Engel sterben - Alexander Kulpok
Transcription
Engel sterben - Alexander Kulpok
Joachim Kaiser: Rache, Flüche, Explosionen - Ein literarisches Weihnachtsquiz I Mil Burkhard Müller: Eine neue Nestroy-Biografie I Cornelia Vismann: Christiane Schulzl Engel sterben Ein Geschöpf aus Träumen, ein Leben als Legende - Marlene Dietri( ach meine Beene ist ja ganz Berlin verrückt." Da saß sie, zum zweiten Mal heimgekehrt nach Berlin, in einem Salon des gerade erbauten Hilton-Hotels am Zoo, von Presse, Funk und Fernsehen neugierig umringt, am 30. April 1960 - einen Tag vor ihrem ersten Auftritt auf einer deutschen Bühne nach dreißig Jahren. Im April 1930,gleich nach der Premiere ihres Films "Der Blaue Engel" hatte sie Deutschland in Richtung Hollywood verlassen. 1945 war sie zurückgekehrtmit Stahlhelm und Uniform als Betreuerin der US-Truppen. Das böse Wort von der "Vaterlandsverräterin" machte seither die Runde - nicht nur am rechten Rand der deutschen Gesellschaft, auch in Kollegenkreisen. Deutschland und Berlin- das sei ihr Verlust, sagte sie. Und nur der hinlänglich bekannte Spruch eines weithin unbekannten Dichters namens Wilhelm Gerhard habe ihr geholfen, als preußische Offizierstochter all die Jahre ohne Wehmut eisern durchzuhalten: "Landgraf, werde hart!" Die im Frühjahr 1960laut US-Pass 55 und laut Geburtsurkunde 58 Jahre alte Dietrich hatte ganz offenkundig eine Schwäche für junge Männer. Was damals nicht nur an ihrem 30 Jahre jüngeren Begleiter, dem Komponisten Burt Bacharach, deutlich wurde. Als morgenfrischer Zeitungsvolontär standen einem zumindest für die Berichterstattung über diese weltweit beachtete Berlin- Visite - alle Türen bei ihr offen. (Unser Fotograf verdiente sich bei dieser Gelegenheit in drei Tagen eine goldene Nase und seinen ersten schnittigen Sportwagen.) Marlene Dietrich wollte 1960 ihren Frieden mit Deutschland und den Deutschen machen. Es war eine lebenslange, vertrackte Beziehung zwischen ihr und ihrem Heimatland. Zwar schlug bei dem Auftakt einer Deutschland-Tournee im N Herlmer l'ltama-.t'alast ct'eHegelsterung 80Minuten lang hohe Wellen, doch draußen vor den Saaltüren wehten Transparente mit Aufschriften wie "Marlene raus" oder "Marlene go horne". In Berlin war die Dietrich in den Zwanzigerjahren zum Star geworden. Hier heiratete sie 1924Rudolf Sieber, Aufnahmeleiter und Assistent der Joe-May-Filmproduktion, von dem sie sich niemals scheiden ließ. Hier wurde ihre Tochter Maria geboren. Hier begegnete sie dem Filmregisseur Josef von Sternberg ("Ich formte sie im Schmelztiegel meiner Phantasie, bis ihr Bild meinen Vorstellungen entsprach"), der mit ihr als "fescher Lola" den "Blauen Engel" nach Heinrich Manns Roman "Professor Unrat" drehte. In 16 Stummfilmen hatte die Dietrich mitgewirkt, bis Sternberg sie engagierte. Ihr erster Film "So sind die Männer" von 1922 zeigt Marlene als rundliche Kammerzofe, freundlich, unbeholfen. Wer sie sieht, wird erinnert an ein Klassenfoto der 17-Jährigen gleich nach dem Abitur auf dem Schöneberger Schulhof. Den Künstlernamen Marlene hatte sich die am 27. Dezember 1901 geborene Marie Magdalene Dietrich schon damals gegeben, als GeigenschüleOOmit Hang zu Höherem. Denn ihr Ehrgeiz war riesengroß, ihre Disziplin ebenfalls, ein Leben lang. Die Probeaufnahme für "Der Blaue Engel" ist bis heute erhalten. Sie zeigt vieles, fast alles von dem, was Marlene Dietrich später ausmachte: die Berliner Göre, das unerschütterliche Selbstbewusstsein und eine Munterkeit hart an der Grenze der Schamlosigkeit - nichts für schwache Nerven, für Unwissende, Spießer und Moralisten. So sang sie 1929 zur Probe You're the cream in my coffee you're the salt in my stew, und Sternberg war fasziniert.Vergessenwaren alle anderen, weitaus bekannteren Anwärterinnen für die Rolle: Brigitte Helm, Blandine Ebinger, Lucie Mannheim, Käte Haack und selbst die Heinrich-MannFreundin Trude Hesterberg. Bei der Premiere gingen die Menschen ins Kino, um Emil Jannings zu sehenund sie entdeckten Marlene, ihre berückenden Beine und ihre rauchige Stimme ("Ich bin von Kopf bis Fuß auf Liebe eingestellt"). Über die Beine der Dietrich ist viel, wahrscheinlich zu viel geschrieben worden - über ihre Stimme wenig, zu wenig. Ein Kollege meinte, mit solch einer Stimme würde Hamlet seinen Monolog sprechen, wenn er wüsste, wie er endet. Marlene Dietrich hat mit dieser Stimme in den Fünfzigerjahren in den USA große Radio-Erfolge gefeiert, die zu ihrem 100. Geburtstag aus den Archiven geholt und gesendet werden. Mit Josef von Sternberg ging die Dietrich im April 1930 gleich nach der Uraufführung des "Blauen Engel" nach Hollywood. Der Film "Marocco" markierte den Auftakt für ihre Karriere in Kaliforniens Traumfabrik. Anders als andere widerstand sie dem Ruf aus Berlin, nach 1933 "heim ins Reich" zu kommen. Als sie 1937 bei einem Europa-Aufenthalt Paris und Salzburg besuchte, wurde Propaganda- und Filmminister Joseph Goebbels aktiv. Den Auftrag dazu hatte ihm ein leidenschaftlicher Dietrich-Verehrer erteilt: Adolf Hitler. Der saß in seinem Heimkino auf dem Obersalzberg und ließ sich sämtliche Dietrich-Filme vorführen, die neben denen mit Marika Rökk seinen besonderen Beifall fanden. Am 7. November 1937 notierte Goebbels in seinem Tagebuch: "Intendant Hilpert fährt nach Paris, um Marlene Dietrich nach Deutschland zurückzuholen. Das wäre für uns ein großer Gewinn!" Und fünf Tage später schreibt er: "Marlene Dietrich kann erst in einem Jahr in Deutschland auftreten - aber sie steht fest zu Deutschland." Die Dietrich hatte den NS-Emissären von "langfristigen Verträgen" erzählt, wohl um nicht durch schroffe Ablehnung ihre in Berlin lebende Mutter zu gefährden. Später einmal verstieg sie sich in einer Reflexion über Hitlers Bemühungen von 1937zu der Bemerkung: "Wenn ich nach Deutschland gegangen wäre, hätte ich ihm alles ausreden können!" Erich Maria Remarque, Schriftsteller und Marlene-Lover, urteilte nicht nur wegen solcher Sprüche über seine Geliebte: "Sie ist zu 90 Prozent gut und zu zehn Prozent schrecklich dumm." In den Vereinigten Staaten bekannte sie sich als entschiedene Hitler-Gegne00. Sie erwarb die amerikanische Staatsbürgerschaft und nutzte diese Gelegenheit, ihr Geburtsdatum in allen Dokumenten auf das Jahr 1904 zu verlegen. Sie plädierte energisch für den Kriegseintritt der USA, und der von Friedrich Hollaender, dem Komponisten des "Blauen Engel" ,im amerikanischen Exil geschriebene Song The Boys in the Backroom aus dem Western Destry Rides Again wurde zur Hymne der US-Soldaten im Zweiten Weltkrieg. Doch das stetig nachforschende FBI blieb bei Marlene Dietrich - wie bei Thomas Mann oder Bertolt Brecht misstrauisch. Eng mit Maschine beschriebene Papierbündellagern als "Akte Dietrich" in FBI-Archiven. Dass sie sich von 1942an der Truppenbetreuung widmete, dass sie sich weit vorwagte an die Front und über einen Geheimsender der Alliierten demoralisierende Lieder von Tod und Trauer sang, konnte die Geheimdienstler zunächst nicht beeindrucken. "Hitler hat ein Faible für sie", wurde notiert. Als die Dietrich sich 1944 gar ins Kampfgetürnmel an die nordafrikanische Front stürzte, vermutete das FBI nicht ganz zufällig, der als französischer Soldat in Algier stationierte Jean Gabin ("Der sensibelste Mann, den ich je gekannt habe! ") sei der Grund dafür. Erst 1967 kam es in den FBI-Unterlagen zu dem Eintrag: "Sie hatte nie Sympathie für Hitler-Deutschland." 1945 kam der "Blaue Engel" im Drillich mit den Siegern nach Deutschland. Es war keine glückliche Heimkehr. Im KZ Bergen-Belsen suchte Marlene Dietrich ihre Schwester Elisabeth, die sie dort als ehemaligen Häftling vermutete. Die Erkenntnis, dass "LieseI" dort eine Kantine betrieben hatte, ließ Marlenes Schwesterliebe für immer erkalten. In Berlin traf sie im September ihre 68-jährige Mutter, ein letztes Mal. Zwei Monate später starb die Mutter und wurde in Friedenau begraben. Marlenes Einsatz bei der Truppenbetreuung wurde mit dem höchsten Orden des US-Frontkämpferverbandes belohnt. Das Kreuz der französischen Ehrenlegion kam später hinzu. Nach Hollywood wurde ihr letzter Wohnsitz Paris - näher an Berlin, der Stadt ihrer immer währenden, meist aber heimlichen Liebe. Fast genau vier Jahre nach dem Berliner Dietrich-Gastspiel von 1960, im EIHNACHTEN, 24./25./26. DEZEMBER 2001 / NUMMER 296 chael Scharang: Der regelmäßige Christbaum I Svenja Pelzei: Schloss des Lächelns I iki-Haddouti auf Datenjagd im Internet I Peter Burghardt: Eine Kathedrale aus Schrott nicht eh, der Weltstar au..&Berlin-Schöneberg Männer gab es etliche im Leben der Dietrich, Frauen auch. Von ihrer Freundin Claire Waldoff übernahm sie einiges aus deren berlinischem Repertoire, darunter den Identity-Song "Nach meine Beene ist ja ganz Berlin verrückt". Von Hemingway lernte sie schreiben, auf unnötige Adjektive zu verzichten - und sonst gar nichts. Bei Gabin und Remarque war das bekanntlich anders. Doch als sie siebzig und älter wurde, sich mit körperlichen Gebrechen und quälenden Gedanken mehr und mehr in ihre Pariser Wohnung zurückzog, wo sie seit 1987 nur über Fernsehgerät und Telefon eine Außenverbindung hatte, da war sie beherrscht von der Erkenntnis des "Inferno" -Dichters Dante: "Nichts bedeutet mehr Schmerz, als sich im Unglück an Zeiten des Glücks zu erinnern." Maximilian Schell war es vergönnt, für seinen Film "Marlene" über Wochen und Monate in der Avenue Montaigne mit ihr Gespräche zu führen. Da war sie 82. Seinen Wunsch, sie möge noch einmal kurz vor die Kamera treten, erfüllte sie nicht. So besteht SchellsFilm aus Tonbandprotokollen, die mehr über Marlene Dietrich aussagen als ihre Autobiografie "Nehmt nur mein Leben ... ". Eine Greisin, die mit preußischem Starrsinn erklärt, dass sie nicht "an früher" und nicht an den Tod denkt: "Mich interessiert nur das Heute!" Punktum. Die behauptet, sie glaube nicht an Gott oder an eine höhere Macht. Denn "wenn es eine höhere Macht gibt, dann ist die höhere Macht meschugge". Die Dietrich - noch mit 82 bemüht, ihrer Umgebung keinen Einblick in ihr Inneres zu geben, ständig an ihrer Legende bastelnd, schnoddrig so wie Josef von Sternberg sie in seinen Filmen haben wollte. Nur beim Lieblingsgedicht ihrer Mutter ging Marlenes Seelenschutzwall plötzlich zu Bruch. Fort die Unnahbarkeit und Wilhelm Gerhards "Landgraf, werde hart!" nur ein Spruch, als sie gemeinsam mit Maximilian Schell rezitiert: ,,0 lieb, so lang du lieben kannst ... Bald ist ein böses Wort gesagt. 0 Gott, es war nicht bös gemeint, der andere aber geht und klagt ... " Marlene Dietrich war zutiefst sentimental, ohne es je zeigen zu wollen. Nur der Berlin-Auftritt 1960 ließ es in manchen A~genblicken dl1l1~11 . Marlene Dietrich 1934 in den USA ril 1964, stattete der damalige Regiede Bürgermeister Willy Brandt Paris dem französischen StaatspräsidenCharles de Gaulle einen offiziellen ucn ab. Herbert von Karajan und die liner Philharmoniker reisten mit und en an der Seine ein Konzert mit Wervon J ohannes Brahms (nicht nur eine erenz an Franc;oise Sagan und ihren an "Lieben Sie Brahms?"). Beim an.eßenden Empfang, als Romy Sctmeiauf Karajan und Brandt einredete, chte ganz überraschend, lebhaft und hlic;h, ohne Bemühen um Dignität, rle~e Dietrich auf. illre Wiedersehensde gegenüber dem einstigen Zeigs lontär aus Berlin erleichterte die he ach verwertbaren Neuigkeiten emein. Nur ein Lächeln blieb da für ndts Pressesprecher Egon Bahr, der der Dietrich und ihrer Ausstrahlung rwältigt war und erst hernach festte, er habe an ihren Händen erkannt, s er eine alte Frau vor sich hatte: "Die nde waren nicht geliftet. " sonsten erinnerte die Dietrich auch 4 in Paris an ihre Begegnung mit em Verehrer, der ihr zugeraunt hatte: h würde alles für Sie tun!" Ihm hatte entgegnet: "Gut - dann gehen Sie mit inem Hund spazieren!" Wer aber schon von sich sagen, dass er MarleDietrich nach Hause begleitet hat, zu ,über die Champs Elysees, in die AveMontaigne Nummer 12? Zum Abied zwei Küsse an der Haustür - der e auf die rechte, der andere auf die linWange. Und nur Ernest Hemingwayn Geliebter der Dietrich, aber vielht ihr bester Freund und nach ihren enen Worten "der Papst meiner perichen Kirche" - fand hierfür Worte: h weiß jedenfalls, dass ich Marlene h nie sehen konnte, ohne dass sie mir erzen ging und mich glücklich machFalls sie dadurch geheimnisvoll wird, es ein schönes Geheimnis ... " 1978knüpfte Marlene Dietrich - außer über das Telefon - ein letztes Mal eine enge Verbindung nach Berlin. Nach 14Jahren Filmpause stand sie im Pariser Atelier noch einmal an zwei Drehtagen vor der Kamera für einen Film, der eigentlich in Berlin entstand: "Schöner Gigolo - armer Gigolo". Ihr Gesundheitszustand seit einem Bühnensturz bei einer Australien-Tournee 1975 erlaubte nicht die Reise nach Berlin. So spielte sie in Paris ihre Gastrolle als alternde Baronesse unter den Klängen des berühmten, 1929 entstandenen Lieds von Leonello Casucci - "... schöne Welt, du gingst in Fransen. Wenn das Herz dir auch bricht, zeig ein lachendes Gesicht - man zahlt, und du musst tanzen." Auch nach dem Krieg hatte sie große Filme mit großen Regisseuren gemachtwie Billy Wilders "Zeugin der Anklage"· oder "Im Zeichen des Bösen" mit Orson Welles. Mit dem Oscar erging es ihr jedoch wie mit der Ehrenbürgerschaft ihrer Heimatstadt Berlin: Sie ging leer aus, und die Ehrung für ihr Lebenswerk wollte sie nicht annehmen. "Ein Todes-Oscar - da kriegt man schnell noch einen, dann wissen die Leute: Die stirbt bald!" Seit 1953war die Dietrich - meist fernab vom Filmgeschäft - von Las Vegasbis Leningrad um den Erdball gereist, als Entertainerin und Diseuse, in wallenden weißen Gewändern mit Schwanenpelz oder im Hosenanzug. Von "Sag mir, wo die Blumen sind" bis zu Bob Dylans "Die Antwort weiß ganz allein der Wind" oder dem traurig-schönen Kinderlied "Paff, der Zauberdrachen" reichte das Repertoire. Alle Erfolge dieser späten Jahre verdankte sie, wie sie sagte, Burt Bacharach, der sie überall hin begleitete, dem sie die Socken wusch und die Hemden bügelte. "Als er mich verließ, wollte ich am liebsten aufgeben. Ich hatte meine Führung verloren, meine Ermutigung, meinen Lehrer, meinen Meister." .LJ~1 .1.\..U1IC"PUl.lULJ..lL. vuu 'U.I lil-VY schrieb nach dem Gastspiel im TitaniaPalast: "Miss Dietrich ist im gewöhnlichen Leben nicht gerade das, was man eine sentimentale Erscheinung nennen kann. Aber hier in Berlin, ihrer Geburtsstadt, fühlte man, dass sie den Tränen nahe war." Als am 6. Mai 1992aus Paris die Nachricht von ihrem Tod kam, hielten sich Überraschung und Anteilnahme in Grenzen, nicht nur in ihrer Geburtsstadt Berlin. Doch hier, an der Seite ihrer Mutter, wollte sie begraben sein. Ein Wunsch, auf den ein letztes Mal neue Peinlichkeiten im schwierigen Verhältnis zwischen Marlene und ihren Berlinern folgten. Wieder kursierte das Wort von der "Vaterlandsverräterin" , auch in seriösen Blättern. Zunächst kündigte der Senat eine Hommage an den Weltstar an. Doch "Adieu Marlene! " wurde abgesagt, nicht nur, weil der zuständige Kultursenator gerade bei den Filmfestspielen in Cannes war. Es war Wahlkampf in Berlin, da wollten die Stadtpolitiker offenbar lieber leise treten. Den 400 akkreditierten Journalisten, für die bei der Beisetzung zwischen den Gräbern Pressetribünen aufgestellt waren, gesellten sich am Friedhofstor Dietrich-Gegner hinzu, die Schmähschriften verteilten. Ein Lichtblick die Kranzschleife der Europäischen Filmakademie mit der Aufschrift "Engel sterben nicht". Und Maximilian Schell, der dem "Blauen Engel" so nahe gekommen war wie selten einer, hielt am Grab die Trauerrede. Marlenes Leben - ein Traum? War alles nur Täuschung, eine grandiose Inszenierung? Die Dietrich war wie jede Künstlerin beim Gaukelspiel- der äußere Schein fürs Publikum, der konfliktreiche Alltag für den inneren Kreis. Es wäre wohl nur ihre Kunst, der Ruhm eines Weltstars aus Berlin, übrig geblieben, wenn nicht das Jahr 1933 Deutschland und diese Welt verändert hätte. So jedenfalls hat die Dietrich selbst in späteren Jahren ihr Schicksal betrachtet. Sie habe in der langen Spanne ihres Lebens versucht, das ihr Mögliche zu tun-verzweifelnd an den Deutschen, nach 1945 enttäuscht von den Amerikanern, sagte sie. Es hat gedauert, bis ein Platz und eine Straße in Berlin und in Babelsberg (wo sie ihre Filme drehte) nach ihr benannt wurden, bis die "Marlene-Dietrich-Collection" mit all ihren Hinterlassenschaften an der Spree ihren Platz fand. Es brauchte seine Zeit, bis der Pakt, den sie bei ihrem Berlin-Besuch 1960per Handschlag mit einer Berlinerin vor dem Rathaus Schöneberg geschlossen hatte, mit Leben erfüllt wurde. Damals hatte eine alte Dame ihr freundlich die Hand gereicht und gefragt: "Na, wolln wa uns wieder vertragen?" Und die Dietrich hatte die Hand ergriffen und stumm genickt, den Tränen nahe. Im Gedenken an glückliche Tage, als sie mit ihren Beinen Berlin und die ganze Welt verrückt machte und der "Liebling der Saison" war.