Evidence based medicine
Transcription
Evidence based medicine
Longitudinalkurs L-6 Epidemiologie, Med. Biometrie, med. Informatik 1. evidenzbasierte Medizin (ebM) 2. Literatursuche und kritisches Lesen von Publikationen 3. Der Weg zur Dissertation 4. Literaturbesprechung: André T et al.: N Engl J Med 2004;350:243 1 2 Thema 1. evidenzbasierte Medizin (ebM) 3 evidence based medicine die gewissenhafte und überlegte Anwendung des besten derzeitigen Wissens aus der klinischen Forschung auf die Behandlung (Diagnostik und Therapie) einzelner Patienten Sackett D BMJ 1996,312:71 evident deutsch: unmittelbar einleuchtend englisch: Nachweis, Beweis klinische Erfahrung Evidenz Forschungsergebnisse Werte Patientenpräferenzen 4 C107a Hintergrund der evidenzbasierten Medizin • Mangel an rationalen, transparenten Begründungen für Entscheidungen im klinischen Alltag (bei 60 - 80 %) • Wenig durchschaubarer, fehlerbehafteter, langsamer Prozess der Umsetzung von Forschungsergebnissen in die Praxis (z.T. 10 und mehr Jahre) • Literaturflut und schnelle Alterung des medizinischen Wissens (Halbwertzeit bis zu 4 Jahren) • Aufwändige Bewertung von Studien (Rücknahme umsatzstarker Arzneimittel vom Markt) 5 C238a Innovation 1981 publiziert: BET + RAD gleichwertig Veronesi U et al: N Engl J Med 1981, 305:6 Disease Management Brustkrebs :Dtsch Arztebl 2004; 101: A1810 – 1819 (Heft 25) 6 C334 Pubmed ein Weg zur Literatur Literaturflut: es gibt ca. 20.000 med. Zeitschriften mit 2 Mio Artikel pro Jahr nur 4300 Zeitschriften sind in Medline erfasst, mit insgesamt 15.487.706 Mio Literaturstellen bis in die 1960er zurück (Stand Mai 19.4.05) Neuzugang 2003:579.183 2004: 612.665 (Abfrage: 2004[dp]) z.B.: im Jahr 2000 ca. 490.000 neue Artikel, 20.140 klinische Studien 2003 ca. 573.208 21.708 7 C89a NEW YORK (Reuters) - Merck & Co Inc. (MRK.N: Quote, Profile, Research) pulled its arthritis drug Vioxx off the market on Thursday after a study showed it doubled the risk of heart attack and stroke. The move sent the company's shares plunging almost 27 percent and erased $25 billion of its market value. .........Vioxx, which has been used by 84 million people around the world since 1999, is Merck's fourth-biggest drug. It had sales of $2.55 billion last year, accounting for more than 10 percent of annual revenues. It is part of a class of drugs known as COX-2 inhibitors. ............ ....."This has implications for all members of this class," said Dr. Garret FitzGerald, chairman of the Department of Pharmacology at the University of Pennsylvania. ...................... "We are going to be more interested in looking at longterm data on new products that come down the pike," said Steven Galson, acting director of the FDA's Center for Drug Evaluation and Research. ..................The decision to withdraw Vioxx came after a trial of 2,600 patients showed those taking it faced twice the risk of heart attack or stroke after three years as patients taking a placebo. The risk did not appear until after 18 months, the company said. The trial was designed to see if Vioxx could prevent recurrence of colon polyps, which can become cancerous. 8 © Reuters 2004. All Rights Reserved. Lancet Erscheinungstag 26.6.04: SZ-Artikel 29.6.04 Bad and good News sind kurzfristig in der Laienpresse zu finden. Daraus resultieren sofort 9 viele Fragen an den Arzt. L4227/C339a evidence based medicine die gewissenhafte und überlegte Anwendung des besten derzeitigen Wissens aus der klinischen Forschung auf die Behandlung (Diagnostik und Therapie) einzelner Patienten Sackett D BMJ 1996,312:71 hohe Relevanz für den klinischen Alltag ebm umfasst per definitionem 3 Aufgaben 1. Bewertung von Studien 2. Literatursuche, Nutzung von Leitlinien 3. medizinische Entscheidungsfindung (medical decision making) 10 C107a Rangordnung für wissenschaftliche Aussagen • logisches Denken (nicht Standard in der Rangordnung, aber überfällig, die vielen Aussagen verschiedenster Fachgebiete auf Widersprüche zu prüfen und Folgerungen zu ziehen) • mehrere randomisierte Studien Metaanalysen, besser systematischer Review • eine randomisierte Studie ggf. doppelblind, multizentrisch, Placebovergleich ... • Kohorten-Studien (mit Vergleichsgruppen ohne Randomisierung) • eine Kohortenstudie (eine Gruppe) andere Rangordnung ergibt sich • für Forschung • für Lehre • Fall-Kontroll-Studien • Trends von Zeitreihen mit und ohne Interventionen • ökologische Studie regionale Variationen, Migrationsstudien • Fallsammlungen • Expertenmeinung 11 C107n Experimentieren in der Medizin erfordert: fair vergleichen und Experimente wiederholen A: Ausgangsbedingung Z: Zielkriterium Gruppe 1: Exposition, Risiko 1, Therapie 1 AGruppe 1 Sind die Gruppen 1 und 2 vergleichbar?? AGruppe 2 ZGruppe 1 sicher bei randomisierten Studien kritisch bei Kohortenund Fall-Kontroll-Studien ZGruppe 2 Gruppe 2: keine Exposition Risiko 2, Therapie 2 12 C73f Kriterien für die Bewertung von klinischen Studien Interne Validität Die Ergebnisse treffen für die Patienten in der Studie tatsächlich zu. Externe Validität Die Ergebnisse der Studie können generalisiert werden, d.h. sie gelten auch für die Routineversorgung. 13 siehe auch: P.Jüni et al: Assessing the quality of controlled clinical trials BMJ 2001;323:42–6 klinische Studien und Versorgungsforschung Fragestellungen der klinischen Forschung für Indikation x alle zu versorgende Patienten mit Indikation x Impulse für Patienten für Studie klinische Studie randomisiert, blind … Leitlinie prüft interne, nicht externe Validität übertragbar auf alle Patienten? Umsetzung, Wirksamkeit Sicherheit unter Alltagsbedingungen? Phase IV - Studien PLoS Medicine 2005; Iressa, Hochdosischemotherapie Mamma, Trastuzumab 14 INTERNE VALIDITÄT Planung X X X X X Eindeutige a priori Fragestellung und Hypothesen Zentrale Randomisierung / Strukturgleichheit Beobachtungsgleichheit / Verblindung Genau beschriebene Therapien Fallzahlschätzung Durchführung X Qualitätskontrolle / -sicherung, GCP-Konformität X Protokoll- und Patientencompliance X Wenige lost to follow-up-Patienten 15 INTERNE VALIDITÄT Auswertung X X X X X X ITT für Wirksamkeit, as treated für Verträglichkeit / UAW Analyse der Strukturgleichheit Beschreibung der vorzeitigen Ausscheider Adäquate statistische Verfahren Konfidenzintervalle Explorative von konfirmatorischen Analysen klar getrennt Diskussion X Bias, Protokollabweichungen X Interpretation datennah 16 EXTERNE VALIDITÄT X detaillierte Ein- und Ausschlusskriterien X Repräsentativität von Patienten und studiendurchführenden Zentren X Beschreibung der tatsächlich applizierten Therapie X Dosierungen der Therapien adäquat X Vergleichsgruppe adäquat behandelt X Surrogatzielgröße oder Patienten relevante Zielgröße (Clinical Endpoint)? X Intention to treat-Auswertung der Wirksamkeit? 17 Bewertung der empirischen Grundlage für Wissen erfolgt z.B.nach: nach Desch et al J Clin Oncol 1999;17:1312-1 !! Es gibt noch verschiedene Klassifikationen 1. Level I Type of evidence (Studiendesign) Meta-analysis of multiple, well designed, controlled studies. Randomised trials with low false-positive and low false-negative errors (high power) II At least one well designed experimental study. Randomised trials with high false-positive and/or false-negative errors (low power) III Well designed, quasi-experimental studies such as nonrandomised, controlled single-group, pre-post, cohort, time or matched case-control series. IV well designed, non-experimental studies such as comparative and correlational descriptive and case studies. V Case reports and clinical examples. 18 C107d Bewertung der empirischen Grundlage für Wissen erfolgt auch nach: 1. Level Type of evidence (Studiendesign) und 2. Grade Grade of recommendations (Studienaussage) A Type I evidence or consistent findings from multiple studies of type II,III or IV. B Type II, III or IV evidence and generally consistent findings. C Type II,III or IV evidence but findings are inconsistent. D Little or no systematic empirical evidence. 19 C107d SR: sytemetic review CDR: clinical decision rules 20 21 22 23 24 ebm: Operationalisierung in 5 Schritten 1. Klinische Entscheidungen auf der Basis der besten verfügbaren Evidenz 2. Systematische Identifikation von Evidenz (unter Einbezug medizinischer Datenbanken) 3. Beurteilung der gefundenen Evidenz anhand klinisch-epidemiologischer Prinzipien („critical appraisal“) 4. Prüfung der Anwendbarkeit der Evidenz im Rahmen des gegebenen klinischen Problems 5. Evaluation des Erfolgs der durchgeführten Maßnahme Enge Verbindung zu problemorientierten Lernen und Aus- und Fortbildung (CME bzw. CPE) G. Antes, Leiter des Deutschen Cochrane Zentrum 25 C238b http://cebm.jr2.ox.ac.uk 26 http://www.cochrane.de 27 Die wohl anspruchsvollste Entwicklung geht von der Cochran Collaboration -gegründet 1992aus, die systematisch von mittlerweile 15 weltweit verteilten Cochrane Centres das in Studien erarbeitete Wissen zur Gesundheitsversorgung aufbereiten, verbreiten und fortschreiben möchte. Das Logo repräsentiert eine Metaanalyse von 7 randomisierten Studien. Jeder waagrechte Strich charakterisiert das Ergebnis einer Studie. Je kürzer der Strich desto sicherer ist das Ergebnis. Die Raute steht für das kombinierte Ergebnis. Der senkrechte Strich steht für die Position, um die die waagrechten Striche liegen würden, wenn die zu vergleichende Therapien keinen Unterschied gezeigt hätten. Schneidet ein waagrechter Strich den senkrechten, so hat diese Studie keinen signifikanten Effekt ermitteln können. Dieser Teil des Logos ist ein Forest Plot! 28 C107e Cochrane Centres (15) Canadian San Francisco New England UK Nordic German Dutch French Iberoamerican San Antonio Italian Chinese Baltimore Brazilian South African Australasian 29 30 31 32 33 Nutzung von Leitlinien = Nutzung der Literaturbewertung anderer Nutzungskriterien • anerkannte Institution (Autoren) • nachvollziehbare Methodik • Zugangsmöglichkeiten • Aufbereitungsqualität • Überarbeitungshäufigkeit 34 Cxxx 35 C204e 36 37 38 39 C204d Beispiele für Aussagen mit Level of evidence Zukunft der Lehrbücher! 40 C204d Systematische Reviews (SR) (SR besserer Begriff (Oberbegriff) als Metaanalysen) • Reaktion auf Wissenslawine gefordert (ca. 2 Mio. Artikel /Jahr in 20.000 biomed. Zeitschriften, ca. 25% in Medline) • Interessengeleitete Auswahl behindert wiss. Entwicklung (Elektizismus) • Recherche, Bewertung und Schlußfolgerung (Effektschätzung) sind aufwendig • Forschung braucht zuverlässigen Input (für Fallzahlschätzung, Nebenwirkungen, Kovariate ...) • Kliniker braucht sichere Ergebnisse für state-of-the-art-Versorgung • Ökonomen brauchen Input für Kosten-Nutzen-Analyse • Gesundheitspolitik braucht fundierte Daten • SR können Umsetzung fördern und Forschungsprozeß verkürzen • SR fördern Generalisierbarkeit (ähnliche Frage, variierende Einschluß/Ausschlußkriterien, Zielkriterien, Therapien ...) • Konsistenz (Protokollvarianten und Outcomevariation erklären Inkonsistenz) • Power (kleine Effekte bzw. Risiken früher erkennen und Effekte besser schätzen)41 C107m Kritik an ebm (evidence based medicine) • ebm ist fortschrittshemmend bringt, nichts Neues nichts Neues ist richtig, weil es um Optimierung existierender Handlungsmöglichkeiten geht, um Qualitätssicherung, Kosten. Wird das was in Studien unter Idealbedingungen nachgewiesen wurde auch unter Alltagsbedingung erreicht? fortschrittshemmend nicht zutreffend, eher Gegenteil, Lernen aus Fehlern • ebm ist nur für kleine Teile der medizinischen Praxis verfügbar Nicht nur randomisierte Studien schaffen die Grundlage für EBM, Querschnittsstudien zu diagnostischen Fragestellungen, Kohortenstudien zur Prognose etc. gehören dazu. EBM verdeutlicht, das primär das untersucht wird was leicht zu untersuchen ist und was Gewinn bringt. Gesundheitsförderung, Prävention, Rehabilitation sind nahezu weiße Felder • ebm fördert die Kochbuchmedizin Nicht nur randomisierte Studien schaffen die Grundlage für EBM, Querschnittsstudien zu diagnostischen Fragestellungen, Kohortenstudien zur Prognose etc. gehören dazu. EBM verdeutlicht, das primär das untersucht wird was leicht zu untersuchen ist und was Gewinn bringt. Gesundheitsförderung, Prävention, Rehabilitation sind nahezu weiße Felder • ebm wird neue Superwissenschaft Wegen der hohen Erwartungen für Qualitätssicherung, Ökonomie usw. gibt es viele Rangeleien um Zuständigkeiten. nach: H. Raspe Geburtsh u Frauenheilk 58 (1998) M 21-25 42 C122b Wenn Evidenz nur für 20-30 % ärztlichen Handelns gesichert ist: Was ist in 70-80% der Fälle zu tun? Wie ist den Patienten die Unsicherheit zu mitzuteilen? Das Handeln hängt davon ab, auf was gewartet wird : 1. Nachweis der Wirksamkeit, dann kann auf jede Maßnahme verzichtet werden 2. Nachweis der Wirkungslosigkeit, dann kann gehandelt werden bei schwerer Krankheit sinnvoll vielleicht einen Nutzen zu erzielen und es besteht höhere Bereitschaft, Risiken zu akzeptieren 43 Warum evidence based medicine (ebm)? eine wissenschaftliche Geisteshaltung ist gefordert! • Wissensdynamik, es entsteht permanent neue Evidenz mit hoher Relevanz für die Versorgung • keine Zeit, sich alles neue Wissen selbst zu beschaffen • aus beiden Punkten folgt, dass eigenes Wissen veraltet und damit ärztliche Leistungen sinken • klassische Fortbildung ist nicht sehr effektiv • neue Wege bieten sich an • Bereitschaft zu ebm, lebenslanger Lernfähigkeit und Lerngewohnheit, steigern • existierende ebm suchen und anwenden • Arbeitsprotokolle/Leitlinien übernehmen 44 C107b evidence based medicine die gewissenhafte und überlegte Anwendung des besten derzeitigen Wissens aus der klinischen Forschung auf die Behandlung (Diagnostik und Therapie) einzelner Patienten Sackett D BMJ 1996,312:71 das beste derzeitige Wissen wird verfügbar durch die systematische Beurteilung der Literatur nach klinisch-epidemiologischen Prinzipien (und nach Erprobung der Anwendbarkeit und Zusammenstellung als Leitlinie) 45 C107l Seven alternatives to evidence based medicine Isaacs D, Fitzgerald D BMJ 1999;317:1618 auch wenn im klinischen Alltag viele Formen der Entscheidungsfindung zu beobachten sind: die Frage nach der Evidenz einer Entscheidung darf im Gegensatz zu früher heute jederzeit gestellt werden! 46 C107l