Ausgabe 03/08 - Kassenärztliche Vereinigung Berlin

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Ausgabe 03/08 - Kassenärztliche Vereinigung Berlin
KVH • aktuell
Informationsdienst der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen
Pharmakotherapie
Rationale und rationelle Pharmakotherapie in der Praxis
Jhrg. 13, Nr. 3 – Oktober 2008
Hartnäckige chronische Wunden
Welcher Verband hilft am besten?
Neben den guten alten Binden und Kompressen gibt es längst moderne Wundauflagen, die eine bessere Heilung bei den oft undankbaren chronischen Wunden
versprechen. Allerdings haben diese Mittel und Verbände auch ihren Preis. Lohnt
sich ihr Einsatz auch wirklich? Die Antwort: Sie können durchaus wirtschaftlich sein
und unterm Strich sogar Kosten sparen – aber nur, wenn man nicht alle Wunden
über einen Kamm schert, sondern die modernen Verbandmittel auch wirklich nach
differenzialtherapeutischen Erwägungen einsetzt und nicht gerade das teuerste
Verbandmittel einer Gruppe verwendet. Seite 4
Der akute Hexenschuss
Bewegung und Paracetamol
sind die beste Therapie
Bei der akuten Lumbago werden hierzulande meist NSAR verschrieben und nur selten
Paracetamol. Zu Unrecht: Wie eine randomisierte Studie in 40 Praxen zeigt, kann man
die nebenwirkungsträchtigen NSAR ohne Weiteres weglassen und dem Patienten
statt dessen Paracetamol und Bewegung ans Herz legen. Damit ist er mindestens
genauso gut bedient wie mit alleinigen oder zusätzlichen NSAR.
Seite 8
Rhinosinusitis
Antibiotika selten besser als Placebo
Seite 14
Wie arriba dem Hausarzt
die Risikoberatung erleichtert
Seite 16
Praxisnahe hausärztliche Leitlinie
Schwere Schmerzen effizient behandeln
Vor allem bei der palliativen Behandlung muss der Hausarzt oft genug schwere
Schmerzen bekämpfen. So manchem Kollegen bereitet der Umgang mit den starken
Schmerzmitteln aber Kofpzerbrechen und insbesondere bei Durchbruchschmerzen
schreckt so mancher davor zurück, die notwendigen Geschütze aufzufahren. Andererseits darf man sich den Griff zu Opiaten auch nicht allzu leicht machen. Hier hilft
die hausärztliche Leitline Schmerz: Mit ihr ist die Auswahl des richtigen Schmerzmittels samt der geeigneten Galenik, die Steuerung der Schmerztherapie und das
Handling der Nebenwirkungen kein Problem. Seite 31
Seite 2
KVH • aktuell
Nr. 3 / 2008
Auf dem richtigen Weg
Editorial
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die Arzneimittelverordnungskosten sind für fast alle von uns ein leidiges Thema.
Umso mehr sollte betont werden, wenn es Positives von dieser „Front“ zu berichten
gibt. Wir Berliner Ärzte liegen mit unserer wirtschaftlichen Verordnungsweise bundesweit mit an der Spitze. Dieser Weg muss konsequent weitergegangen werden!
Deshalb hat die Kassenärztliche Vereinigung Berlin gemeinsam mit den Krankenkassen in diesem Jahr eine Informationsoffensive gestartet – mit guter Resonanz.
Mit Sonderpublikationen, fachgruppenspezifischen Informationsschreiben sowie
Fortbildungs- und Beratungsangeboten wollen wir Sie in Ihrer wirtschaftlichen
Verordnungsweise weiter unterstützen.
Der Wermutstropfen ist, dass wir in der Hauptstadt dennoch regelmäßig das
Ausgabenvolumen überschreiten. Dies liegt, wie übrigens eine aktuelle Versichertenbefragung der KBV bestätigt hat, zum einen daran, dass im Bundesvergleich
überdurchschnittlich viele Berliner ihren Gesundheitszustand als schlecht bezeichnen und daher öfter zum Arzt gehen. Zum anderen ist die Hauptstadt für ihr hochspezialisiertes fachärztliches Versorgungsangebot bekannt, das nicht nur Patienten
aus dem Umland, sondern auch aus dem Bundesgebiet anzieht. Lassen Sie uns auf
dem eingeschlagenen Weg weiter Maßstäbe setzen: ¡Arriba! – „Los geht’s“.
Auch in Marburg ist ¡Arriba! in vieler Munde, allerdings nicht im herkömmlichen
Sinn. Mit arriba wurde in den vergangenen Jahren eine ganz andere Form der
Patienten-Beratung zur kardiovaskulären Prävention entwickelt, die Ihnen in diesem Heft vorgestellt wird. Mit diesem Beratungsangebot binden Sie den Patienten
stärker in die Therapie ein und lassen ihn mitentscheiden. arriba hilft Ihnen auch,
in Ihrer Praxis noch konsequenter evidenzbasierte Medizin umzusetzen.
Um die Prinzipien der evidenzbasierten Medizin geht es auch in der DiabetesDiskussion, die sich in diesem Heft weiter fortsetzt. Wir wollen alle das Beste für
unsere Diabetes-Patienten. Aber was ist das? Die Ergebnisse der ACCORD-Studie
waren unerwartet, aber auch die ADVANCE-Studie kann nicht alle offenen Fragen
beantworten.
Apropos Fragen: Immer häufiger sehen wir uns im Praxisalltag mit der Frage
konfrontiert: Was kann ich tun, um mein Budget zu entlasten und einer Regress­
forderung zu entgehen? Vielleicht deckt der Beitrag „Fünf Medikamente – mehr
braucht kein Patient“ oder der Artikel zur Rhinosinusitis noch Sparpotentiale auf.
Behandeln Sie Erkrankungen der Nasennebenhöhlen auf dem gängigen Weg mit
Antibiotika? Möglicherweise bewegt Sie der Beitrag in diesem Heft zum Umdenken;
entscheiden Sie selbst, ob Sie sich der schweizerischen Methode „wait and see“
anschließen.
Nicht Abwarten sollten Sie bei der Lektüre der aktuellen Ausgabe von „Pharmakotherapie“.
Viel Spaß beim Lesen wünscht Ihnen
Ihre
Angelika Prehn
Vorstandsvorsitzende der KV Berlin
Nr. 3 / 2008
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Editorial
2
Behandlung chronischer Wunden
Dr. med. Klaus Ehrenthal, Klaus Hollmann
4
Hexenschuss: Paracetamol und Bewegung sind die beste Therapie
Dr. med. Alexander Liesenfeld
8
Die revidierten Hypertonie-Leitlinien
Neue Hochdruck-Klassen, aber ohne „Grenzwert-Hypertonie“
Dr. med. Günter Hopf
11
Rhinosinusitis: Antibiotika nicht besser als Placebo
Dr. med. Klaus Ehrenthal
14
arriba: Neue Wege der Patientenberatung
Prof. Dr. med. Norbert Donner-Banzhoff, Dr. med. Attila Altiner
16
Hessens Hausärztliche Leitlinien sind im Internet ein Hit
21
Fünf Medikamente – mehr braucht kein Patient
Dr. med. Dirk Mecking
22
Leserbrief und Erwiderung
Paradigmenwechsel beim Diabetes – eine zu radikale Bewertung?
Manche Dogmen wehren sich gegen die Realität ...
Inhaltsverzeichnis
23
25
Sicherer verordnen
Dr. med. Günter Hopf
Komplementäre Behandlungsmethoden: Spezifische Gefahren in der Onkologie
Therapie der rheumatoiden Arthritis: Hämatologische Neoplasien
Neuere Psychopharmaka: Sehstörungen
Opiat-Pflaster: Vorsicht bei Aut idem!
Tilidin/Naloxon: Missbrauch als neue Modedroge bei Jugendlichen
28
Hausärztliche Leitlinie Schmerz
Therapie von Schmerzen: Hausärztliche Schlüsselfragen
Diagnostik von Schmerzen
Tumorschmerzen und sonstige schwere chronische Schmerzen
Die Effizienz der Schmerzbehandlung
31
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Hausärztliche Leitlinie Alter, Teil 2 – die Tischversion zum Ausschneiden
43
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29
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Impressum
Verlag: info.doc Dr. Bernhard Wiedemann und Anne Haschke-Wiedemann GbR, Pfingstbornstr. 38, 65207 Wiesbaden
Herausgeber: Kassenärztliche Vereinigung Hessen, Georg-Voigt-Straße 15, 60325 Frankfurt
Redaktionsstab: Dr. med. Joachim Feßler (verantw.),
Dr. med. Klaus Ehrenthal, Dr. med. Margareta Frank-Doss, Dr. med. Jan Geldmacher, Dr. med. Harald Herholz,
Klaus Hollmann, Dr. med. Günter Hopf, Dr. med. Wolfgang LangHeinrich, Dr. med. Alexander Liesenfeld,
Renata Naumann , Karl Matthias Roth, Dr. med. Michael Viapiano, Cornelia Wachsen, Dr. med. Jutta Witzke-Gross
Fax Redaktion: 069 / 79502 501
Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. med. Ferdinand Gerlach, Institut für Allgemeinmedizin der Universität Frankfurt;
Prof. Dr. med. Sebastian Harder, Institut für klinische Pharmakologie der Universität Frankfurt
Die von Mitgliedern der Redaktion oder des Beirats gekennzeichneten Berichte und Kommentare sind redaktionseigene Beiträge; darin zum Ausdruck gebrachte Meinungen entsprechen
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dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- oder Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften.
Wie alle anderen Wissenschaften sind Medizin und Pharmazie ständigen Entwicklungen unterworfen. Forschung und klinische Erfahrung erweitern unsere Erkenntnisse, insbesondere, was
Behandlung und medikamentöse Therapie anbelangt. Soweit in dieser Broschüre eine Dosierung oder eine Applikation erwähnt wird, darf der Leser zwar darauf vertrauen, dass Autor und
Herausgeber große Sorgfalt darauf verwandt haben, dass diese Angaben dem Wissensstand bei Fertigstellung der Broschüre entsprechen. Für Angaben über Dosierungsanweisungen und
Applikationsformen kann vom Herausgeber jedoch keine Gewähr übernommen werden. Jede Dosierung oder Applikation erfolgt auf eigene Gefahr des Benutzers.
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Beiträge
der
Redaktion
Nr. 3 / 2008
Behandlung chronischer Wunden
Dr. med. Klaus Ehrenthal, Klaus Hollmann
Ein Schlagwort in der Pflege lautet: Wundmanagement. Jeder versteht
etwas anderes darunter und viele meinen, wenn man eine moderne
Wundauflage auflegt, dann handelt es sich bereits um Wundmanagement. Andererseits haben aber auch viele Vertragsärzte wegen der Kosten Angst, moderne Wundverbände zu verwenden. Der folgende Beitrag
fasst deshalb die Grundsätze der modernen Wundbehandlung unter
medizinischen und wirtschaftlichen Aspekten zusammen und zeigt, was
sinnvoll ist und wo man getrost sparen kann.
Chronische Wunden stellen besonders bei älteren Patienten ein ernsthaftes medizinisches und gesellschaftliches Problem dar. Die Datenlage bezüglich Prävalenz und
Inzidenz von chronischen Wunden ist schlecht, allerdings werden die Patienten­
zahlen bei steigender Lebenserwartung sicher zunehmen.
Grundsätze der modernen Wundbehandlung
Regelmäßig sind die Wundverhältnisse und das Dekubitusstadium zu erfassen.
Gibt es Schwellungen, wie ist die Art und das Ausmaß von Belägen, wie sind der
Wundgrund, der Wundrand oder Wundtaschen zu beurteilen?
Grundleiden und besondere Bedingungen (z.B. Diabetes, Demenzen mit Unruhe,
Druckulzera durch Immobilität, besondere Lage der Wunde, z. B. perianale und/
oder urogenitale Wunden mit chronischen Verunreinigungen, Möglichkeit der
Druckentlastung durch Lagerung und viele andere Bedingungen) erfordern stets
ein individuelles Vorgehen.
Vor Beginn der Verbandbehandlung muss entschieden werden, ob Nekrosen und
Beläge als avitales Gewebe entfernt werden müssen. Neben der ggf. mehrfach
erforderlichen chirurgischen Sanierung (Skalpell, Pinzette, Schere, scharfer Löffel),
können auch Hydrogele durch ihre autolytische Wirkung verwendet werden.
Ohne Druckentlastung wird die Wunde nicht heilen. Konkrete Hinweise an das
Pflegepersonal mit einem regelmäßigen Zeitplan für Lagerung und Bewegung,
sorgfältiges Betten, regelmäßige Kontrolle der belasteten Hautareale (vor allem
Rücken, Schulter, Becken, Fersen) sind wichtig. Antidekubitusmatratzen, Sitzkissen
usw. unterstützen die Behandlung, ggf. helfen über der Wunde ausgeschnittene
Entlastungspolster. Durch genaue Anamnese wird festgelegt, seit wann die Wunde
besteht, in welcher Wundphase sich die Wunde befindet, welche Diagnostik erfolgte
und welche Wundauflage bisher verwendet wurde.
Tabelle 1: Einsatzgebiet verschiedener Wundauflagen
Hydrogele
Schwache Exsudation
Hydrokolloide, Hydropolymere
Normale Exsudation
Für jede Wunde den
richtigen Verband wählen
Die Auswahl der geeigneten
Wundauflage orientiert sich
Schaumverbände, Hydropolymere
Starke Exsudation
daran, wie viel Exsudat austritt
(siehe Tabelle 1).
Auf Lokaltherapeutika (z.B. Povidon-Jod: Betaisodona® u.a., H2O2) sollte weitgehend verzichtet werden. Lediglich infizierte eitrige Wunden mit hoher Keimdichte
und allen Infektionszeichen müssen desinfiziert werden.
Bitte keine Polypragmasie, denn für das Ausprobieren vieler Behandlungsmöglichkeiten und Lokaltherapeutika gibt es keine Evaluation. Die Behandlung einer
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chronischen Wunde braucht Zeit, um über Erfolg und Misserfolg entscheiden zu
können. Wichtig ist eine Dokumentation (am besten mittels Fotos), die den Therapieverlauf zeigt.
Lokale Antibiotika haben sich nicht bewährt, sie wirken oft allergen und können
die Granulation behindern. Salben verhindern grundsätzlich den Sekretabfluss
und Farbstofflösungen färben die Wunde, so dass die Beurteilung erschwert wird.
Farbstoffe können zudem zelltoxisch wirken.
Eine Wundspülung kann mit isotonischer Kochsalzlösung erfolgen. Spezielle
antiseptische Wundspüllösungen wie Lavasept® und Prontosan® werden zwar als
geeignet angesehen, sie sind aber keine Kassenleistung (siehe weiter unten). Eine
Wundspülung (cave H2O2!) ist nur bei viel Exsudat in der Reinigungsphase nötig.
Ansonsten stört die Wundspülung nur die Wundruhe. Es sollte alles unterlassen
werden, was die Wundgranulation, die meist von den Wundrändern ausgeht,
behindern kann.
Treten beim Allgemeinbefinden des Patienten keine Veränderungen wie Fieber,
vermehrte Schmerzen, Kachexie auf und deutet auch die Geruchsprobe nicht auf
eine Keimbesiedlung hin (E. coli riecht), dann ist eine tägliche Inspektion der Wunde mit Ablösen des Wundverbandes nicht nötig. Intervalle von drei bis zu sieben
Tagen können je nach Befund sinnvoll sein.
Wunde nicht zu
oft inspizieren –
Verband besser
länger belassen
Zum erfolgreichen Wundmanagement gehören auch allgemeine Maßnahmen:
optimale Ernährung und optimaler Flüssigkeitsersatz zur Verhinderung von Unterernährung und Kachexie, eine Fieber- und Schmerzbekämpfung und natürlich die
bestmögliche Betreuung der Grundkrankheit.
Erstattungspflicht durch die gesetzlichen Krankenkassen
Die Wundverbände unterliegen nicht der Apotheken- oder gar der Verschreibungspflicht, sie sind trotzdem zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig. Der Gesetzgeber formuliert im § 31 des Sozialgesetzbuches V, dass der
Patient einen Anspruch auf die Versorgung mit Verbandmitteln hat.
Probleme mit der Erstattungsfähigkeit gibt es bei Antiseptika (beispielsweise Octenisept®, Serasept®). Sie sind seit dem 01.01.2004 nicht mehr zu Lasten der GKV
verordnungsfähig. Es gibt davon nur zwei Ausnahmen: Bei Patienten, die das 12.
Lebensjahr noch nicht vollendet haben und bei Patienten mit einem Katheter – nur in
diesen beiden Fällen können Antiseptika zu Lasten der Kassen verordnet werden.
Wenn eine Wunde gespült werden muss, dann kann man eine isotonische Kochsalzlösung oder eine Ringerlösung als Wundspüllösung zu Lasten der GKV verordnen.
Der Gemeinsame Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen hat formuliert,
dass arzneistofffreie Injektions-/Infusions-, Träger- und Elektrolytlösungen Kassenleistung sind. Prontosan®, Lavanid® und andere so genannte „konservierte“
Wundspülungen sind dagegen nicht verordnungsfähig.
Wirtschaftlichkeit
Wie steht es mit der Wirtschaftlichkeit bei der Verordnung der „modernen“
Wundauflagen? Einen vollständigen Überblick über die moderne Produktpalette
zu geben, ist unmöglich, so sagen selbst die Experten. Es gibt viele Firmen, die
sehr ähnliche Produkte vertreiben und diese zu sehr unterschiedlichen Preisen
anbieten. Der Hausarzt ist gut beraten, wenn er mit einem kleinen Sortiment
arbeitet, statt sich in „Materialschlachten“ zu verrennen. Die Tabellen auf den
folgenden Seiten können bei der Zusammenstellung eines solchen Sortiments
Antiseptika sind
nur ausnahmsweise
verordnungsfähig
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helfen. Die Kosten für Wundauflagen – das muss beachtet werden – gehen in die
Richtgrößenstatistiken ein.
In folgende Kategorien können die Produkte unterteilt werden:
– Hydrokolloide
– Alginate
– Hydrogele
– Schaumverbände
– Polymere/hydropolymere Wundauflagen
– Semipermeable Folienverbände
– Aktivkohle-Wundverbände
– Silberhaltige Wundauflagen.
„Moderne“ Wundverbandstoffe, eine Auswahl
Tabelle 2: Diverse Hydrogel-Verbände und ihre Preise
Hydrogel
Hersteller
Menge
Preis €
NU-GEL
Johnson & Johnson
10 x 15 g
55,85
Urgo hydrogel
Urgo
10 x 15 g
53,45
Varihesive Hydrogel
ConvaTec
10 x 15 g
58,90
Suprasorb G
Lohmann & Rauscher
10 x 20 g
76,18
Hydrogele (siehe Tabelle 2) werden bei trockenen Wunden mit
Nekrosen, zum Abtragen der Nekrosen, und bei Wunden mit geringer Sekretion zum Feuchthalten der
Wunde eingesetzt. Die Zusammensetzung der Produkte ist je nach
Hersteller etwas unterschiedlich.
Quelle: Lauer-Taxe 15.12.2007
Zu häufiger Wechsel
eines Hydrokolloids
ist unwirtschaftlich
Hydrokolloidverbände (siehe Tabelle 3 auf der gegenüberliegenden Seite) bestehen aus Polyurethanabdeckungen, die für Gase und Wasserdampf durchlässig
sind. Durch den Kontakt mit dem Wundsekret quillt der Hydrokolloidverband auf.
Es entsteht eine Blase, die jeden Tag größer wird. Wenn die Blase ausläuft, muss der
Verband gewechselt werden. Beim Verbandwechsel verbleibt eine Gelschicht auf
der Wunde, die man nicht mit Eiter verwechseln sollte. Sie kann belassen werden,
um die Wundgranulation nicht zu stören.
Indikation: saubere und wenig sezierende Wunden. Sondert die Wunde zu viel
Sekret ab und löst sich der Verband schon nach ein bis zwei Tagen ab, dann sollte
zu einer anderen Wundauflage gewechselt werden.
Einen Hydrokolloidverband zweimal oder gar mehrmals am Tag zu wechseln, entspricht nicht den Vorgaben, die der Verband erfüllen soll. Eine solche Versorgung ist
unwirtschaftlich. Durch den Hydrokolloidverband soll die Wunde Ruhe zur Heilung
haben. Vier bis sieben Tage kann der Verband deshalb auf der Wunde verbleiben.
Der Verband muss größer als die Wunde sein und diese mindestens 1 cm nach allen
Seiten überdecken.
Silberhaltige Wundauflagen (siehe Tabelle 4 auf der gegenüberliegenden Seite)
haben bakterizide Wirkungen bei fast allen Bakterien und Pilzen. Mit Proteinen der
Keime bilden die Silberionen Komplexe, dadurch wird die Zellmembran aufgelöst
und der Zelltod resultiert. Aufgrund des hohen Preises sollten sie nur gezielt eingesetzt werden, z.B. in der Palliativmedizin.
Dafür muss der
Pflegedienst sorgen,
das darf nicht auf
das Kassen-Rezept
Was sollte der Pflegedienst vorhalten?
Jeder Pflegedienst muss pro Verbandwechsel folgende Materialien einbringen, die
die Krankenkassen nicht gesondert erstatten, die aber auch nicht verordnungsfähig
sind:
– Einmalhandschuhe (steril oder unsteril)
– Einmalschürze
– Händedesinfektionsmittel
– Krankenunterlagen
– sterile Einmalinstrumente
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Tabelle 3: Diverse Hydrokolloidverbände und ihre Preise
Hydrokolloidverband
Hersteller
Stückzahl
Größe (cm2) Preis €
Algoplaque
URGO
10 10 x 10
55,60
Algoplaque Film
URGO
10 10 x 10
44,95
Askina Biofilm Transparent
BRAUN
10 10 x 10
45,00
Askina Hydro
BRAUN
10 10 x 10
55,00
CombiDERM
ConvaTec
10 12,5 x 12,5
114,92
CombiDERM N
ConvaTec
10 14 x 14
103,48
Comfeel Plus
Coloplast
10 10 x 10
56,00
Comfeel Transparent
Coloplast
10 10 x 10
45,00
Hydrocoll
Paul Hartmann AG
10 10 x 10
56,50
Hydrocoll Thin
Paul Hartmann AG
10 10 x 10
51,00
Nobacolloid
Noba
5 10 x 10
27,25
Nobacolloid transparent
Noba
5 10 x 10
21,95
Nuderm
Johnson & Johnson
10 10 x 10
51,19
Incare Restore
Hollister
5 10 x 10
22,75
Incare Restore CX spezial
Hollister
5 10 x 10
22,75
Suprasorb H standard
Lohmann & Rauscher
10 10 x 10
54,59
Suprasorb H dünn
Lohmann & Rauscher
10 10 x 10
45,94
SureSkin II Border
Medi Bayreuth
10 10 x 10
89,00
SureSkin II Thin
Medi Bayreuth
10 10 x 10
69,00
Sure Skin II Standard
Medi Bayreuth
5 10 x 10
49,00
Tegasorb
3M Medica
5 10 x 10
26,50
Tegasorb THIN
3M Medica
5 10 x 10
26,90
Traumasive plus
Hexal
10 10 x 10
42,41
Traumasive Film
Hexal
10 10 x 10
36,34
Ultec pro
Covid
5 10 x 10
45,65
Ultec pro Border
Covid
5 10 x 10
72,90
Varihesive E
ConvaTec
10 10 x 10
55,64
Varihesive E Border
ConvaTec
5 10 x 10
37,34
Quelle: Lauer-Taxe 15.12.2007
Tabelle 4: Silberhaltige Wundauflagen und ihre Preise
Silberhaltige
Wundauflagen
Hersteller
Acticoat
Smith & Nephew
12
Acticoat 7
Smith & Nephew
Acticoat absorbent
Smith & Nephew
Actisorb Silver 220
Johnson & Johnson
10
10,5 x 10,5
60,73
Aquacel Ag
ConvaTec
10
10 x 10
76,12
Contreet
Coloplast
5
10 x 10
33,75
Silvercell
Johnson & Johnson
10
11 x 11
74,09
Quelle: Lauer-Taxe 15.12.2007
Stückzahl
Größe (cm2) Preis €
10 x 10
176,50
5
10 x 12,5
176,50
5
10 x 12,5
110,20
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Nicht empfehlenswerte Verbände
Prinzipiell kann ein feuchter Wundverband auch z. B. mit in Ringer-Lösung getränkten sterilen Kompressen durchgeführt werden. Ein Nachteil ist jedoch die Gefahr
der Austrocknung des Verbandes und der Wunde, da nur schwer ein kontinuierlich
feuchtes Wundmilieu zu gewährleisten ist. Dies führt in der Regel zu häufigen und
u. U. durch das „Kleben“ des Verbandes an der Wunde auch zu traumatischen
Verbandwechseln. Die gerade frisch begonnene Granulation vom Wundrand her
wird dabei wieder abgerissen und zerstört.
Bedeutung
für
unsere
Praxis
Bei korrekter
Anwendung kann
auch ein teurer
Verband unterm
Strich
kostengünstig sein
Was folgt daraus für unsere Praxis?
Die Industrie bietet mit den so genannten „modernen“ Wundverbandstoffen unterschiedliche Materialien an, die für alle Phasen der Wundheilung ein kontinuierlich
feuchtes Wundmilieu gewährleisten. Je nach Wundstadium und der damit verbundenen Sekretproduktion ermöglichen sie entweder eine große Sekretaufnahme (z. B. mit
Hydrokolloiden, Hydropolymeren, Schaumverbänden) oder eine Wundbefeuchtung
(z. B. mit Hydrogelen). Vorteilhaft wirkt sich bei der Anwendung zudem aus, dass
eine Gewebemazeration der umliegenden Haut vermieden wird,
die Verbände mehrere Tage auf der Wunde verbleiben können,
durch das kontinuierlich feuchte Wundmilieu ein atraumatischer Verbandwechsel ermöglicht wird und
durch solche Verbände oftmals die Beweglichkeit und Sozialfähigkeit des Patienten verbessert werden kann.
Nach gründlicher Wundreinigung ist eine Wundbehandlung immer individuell
auf ihre Anwendbarkeit und Verträglichkeit bei dem Patienten zu prüfen, da jede
Wunde, jeder Heilverlauf und jede Grundkrankheit andere Maßnahmen notwendig
werden lassen kann.
Bei der Berechnung der Gesamtkosten ergibt sich zudem ein Vorteil durch die
Anwendung der „modernen“ Wundverbände (Verbandmaterialien, beim pflegerischem Aufwand, bei selteneren Verbandwechseln und durch kürzere Verläufe bis
zur Abheilung).
Interessenkonflikte: keine
Für Sie
gelesen
Studie in 40 Praxen zeigt beim akuten Hexenschuss:
Paracetamol und Bewegung
sind die beste Therapie
Dr. med. Alexander Liesenfeld
Neben der medikamentösen Behandlung und der physikalischen Therapie geben die
meisten Hausärzte leitlinienkonform Hinweise in Bezug auf Verhaltensmaßregeln
bei Hessenschuss; diese sind:
Bewegen ohne Belastung mit Erhalten der täglichen Aktivität
Bettruhe meiden
Beruhigung: Information über die gute Prognose bei akuter Lumbago.
Zuvor müssen selbstverständlich schwerwiegendere Erkrankungen ausgeschlossen
werden (siehe Kasten „Red Flags“ auf der gegenüberliegenden Seite).
Medikamentös wird bei unkomplizierten Rückenschmerzen der LWS in vielen angelsächsischen Ländern (im Gegensatz zu Deutschland) vor den NSAR Paracetamol als
Mittel der ersten Wahl gegeben. Wegen möglicher schwerwiegender Nebenwir-
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kungen beim Einsatz der NSAR (die i.m.-Injektion ist obsolet) sollte im Vergleich zu
Paracetamol eine signifikant bessere Effektivität wissenschaftlich begründet sein.
Ob dies tatsächlich so ist, sollte eine randomisierte kontrollierte Studie [1] in 40
australischen Praxen zeigen. Alle Patienten mit akuten, weniger als sechs Wochen
andauernden Rückenschmerzen im LWS-Bereich wurden gefragt, ob sie an dieser
Studie mit folgender Fragestellung mitmachen wollten: Verkürzen Diclofenac
und/oder manuelle Therapie zusätzlich zu Paracetamol und Aktivität die
Krankheitsdauer?
Ausschlusskriterien waren:
frühere Schmerzepisoden im LWS-Bereich ohne schmerzfreies Intervall von
mindestens einem Monat, d.h. in den letzten vier Wochen keine Lumbago
gesicherte oder vermutete Erkrankung innerhalb des Spinalkanals
Nervenkompressionssyndrome (mit mindestens zwei der folgenden Symptome:
muskuläre Schwäche, dermatombezogener Sensibilitätsverlust oder Hyporeflexie
an der unteren Extremität)
Einnahme von NSAR
Chiropraktische Intervention
OP im Bereich der LWS in den letzten sechs Monaten
Kontraindikationen für Paracetamol, Diclofenac oder manuelle Therapie.
240 Patienten wurden in vier Gruppen randomisiert:
Gruppe 1: Diclofenac und manuelle Therapie
Gruppe 2: Diclofenac und „Schein-manuelle Therapie“
Gruppe 3: Placebo und manuelle Therapie
Gruppe 4: Placebo und „Schein-manuelle Therapie“
Ergebnis: Diclofenac und manuelle Therapie
sind nicht besser als Paracetamol
Die Basistherapie bestand aus 3 x 1g Paracetamol pro Tag und Bewegung ohne Belastung. Weder Diclofenac und manuelle Therapie zusätzlich, noch Diclofenac alleine oder
manuelle Therapie alleine brachten im Vergleich zu der genannten Basistherapie
Die Red Flags: Hier sollten Sie hellhörig werden!
Bevor Rückenschmerzen als akute unkomplizierte Lumbago behandelt werden, müssen schwerwiegendere Krankheitsbilder ausgeschlossen werden. Bei den folgenden „Red Flags“ ist daher
besondere Aufmerksamkeit nötig:
Das Cauda-Equina-Syndrom (Reithosenanästhesie mit oder ohne Blasen- und Mastdarmstörung)
Schmerzen im Bereich mehrerer Nervenwurzeln
Ausgeprägte neurologische Ausfälle, z.B. Reflexauffälligkeiten, motorische und sensible Ausfälle
im Bereich eines Dermatoms
Trotz konservativer Therapie stärkere, nicht bewegungsabhängige Schmerzen oder längere
Persistenz der Beschwerden
Bekanntes Malignom
Immunsuppression
Alter <20 Jahre oder >50 Jahre
Schlechter Allgemeinzustand
Fieber (z.B. als Hinweis auf eine Infektion, z.B. auch Tuberkulose, Abszess)
Fraktur möglich, Unfall in der Vorgeschichte
Intravenöser Drogenabusus
HIV-Infektion
Systemische Steroideinnahme bei Rheuma, Asthma oder COPD (WS-Sinterungsfraktur)
Bekannte Osteoporose (WS-Sinterungsfraktur)
Hinweise auf entzündlich rheumatische Erkrankungen.
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eine signifikante Verkürzung der Krankheitsdauer. Die Krankheitsdauer aller Patienten
der Gruppen eins bis vier unterschied sich nur um wenige Prozent. Die mittlere Krankheitsdauer unabhängig von der Behandlung betrug zwei bis drei Wochen.
Bedeutung
für
unsere
Praxis
Statt NSAR besser Paracetamol geben
Paracetamol wird in Deutschland eher selten bei Hexenschuss gegeben. Die vorliegende Untersuchung zeigt jedoch eindeutig, dass Diclofenac keine Verbesserung
im Vergleich zu Paracetamol alleine bewirkt.
Da das Nebenwirkungsprofil von Paracetamol (außer bei Überdosierungen – siehe
untenstehenden Kurzbeitrag) deutlich besser ist und auch bei Schwangeren und in
der Stillzeit nach Rücksprache mit dem Gynäkologen gegeben werden kann, sollten
die Ergebnisse dieser sorgfältig durchgeführten Studie zum Umdenken in unserer
hausärztlichen Tätigkeit führen! Insbesondere bei älteren Patienten mit Multimedikation ist von der Gabe von NSAR abzusehen und auf das alleine genauso gut
wirksame Paracetamol umzusteigen.
In einem Begleitkommentar im gleichen Heft des Lancet [2] wird dieses Problem
verallgemeinert. Wenn die NSAR gegenüber Paracetamol keine bessere Wirksamkeit
bei Lumbago haben, kann das nebenwirkungsärmere Medikament auch bei anderen
nicht entzündlichen Erkrankungen des Bewegungsapparates eingesetzt werden!
Für den ärztlichen Alltag bedeutet dies, dass man auch Patienten mit anderen nicht rheumatischen muskulären, knöchernen oder Gelenkerkrankungen
zunächst mit Paracetamol (ggf. intravenös) therapieren kann.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1 Hancock MJ et al.: Assessment of diclofenac or spinal manipulative therapy, or both, in addition to recommended first-line treatment for acute low back pain: a randomised controlled trial. Lancet 2007; 370: 1638-1643.
2 Bart WK: Evidence-based management of acute low back pain. Lancet 2007; 370: 1595-1596.
Anmerkung: Paracetamol kann für Patienten, die das 12. Lebensjahr vollendet
haben, nur zur Behandlung schwerer und schwerster Schmerzen in Co-Medikation
mit Opioiden zu Lasten der GKV verordnet werden (Arzneimittel-Richtlinien). Ansonsten kommt ein grünes Rezept in Frage.
Paracetamol: Auf die Gesamtdosis
kommt es an
Das Nebenwirkungsprofil von Paracetamol ist günstiger als das der NSAR. Gefährlich
kann allerdings die Überdosierung werden – hier drohen Leberschäden. Dies ist insofern wichtig, als Paracetamol in vielen frei verkäuflichen Präparaten enthalten ist,
die Patienten sich zusätzlich besorgen und einnehmen können und denen man nicht
auf Anhieb ansieht, dass sie Paracetamol enthalten. Darüber muss man ggf. mit den
Patienten sprechen. Die empfohlene maximale Tagesdosis (verteilt auf vier Einzeldosen), die Apotheker beim Kauf Paracetamol-haltiger Präparate empfehlen (sollten),
liegen für Jugendliche und Erwachsene bei 4000 mg. Hier der Vollständigkeit halber
auch die Dosen für Kinder:
Säuglinge (bis 6 Monate / bis 7 kg KG)
max. 375 mg/d (Suppositorien)
max. 350 mg/d (Saft)
Säuglinge (bis 12 Monate / bis 10 kg KG)
max. 500 mg/d
Kinder (bis 3 Jahre / bis 15 kg KG)
max. 750 mg/d
Kinder (bis 6 Jahre / bis 22 kg KG)
max. 1000 mg/d
Kinder (bis 9 Jahre / bis 30 kg KG)
max. 1500 mg/d
Kinder (bis 12 Jahre / bis 40 kg KG)
max. 2000 mg/d
max. 1500 mg/d (Suppositorien)
Nr. 3 / 2008
KVH • aktuell
Aktualisierte Hypertonie-Leitlinien
Einige Anmerkung
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Für Sie
gelesen
Dr. med. Günter Hopf
Die neuen Leitlinien der Deutschen Hochdruckliga und der Deutschen
Hypertonie Gesellschaft wurden auf dem Internationalen Hypertonie
Kongress Mitte Juni 2007 in Berlin vorgestellt. Sie sind abrufbar unter
www.paritaet.org./RR-Liga/Leitlinien-Therapie2007.pdf. Die Empfehlungen sind grundsätzlich nachvollziehbar und bieten Therapiekonzepte, die für Ärztinnen und Ärzte in der Praxis eine Richtschnur sein
können. Insbesondere die Diskussion der Ergebnisse neuerer Studien ist
überwiegend überzeugend, so dass eine Durchsicht dieser Leitlinie also
durchaus empfohlen werden kann.
Positive Aspekte
Klassifizierung der Hypertonie
Die alleinige numerische Gradeinteilung der Hypertonie wurde verlassen und eine für
Patienten besser verständliche verbale Definition der einzelnen Stadien hinzugefügt
(siehe Tabelle 1).
Kardiovaskuläres Gesamtrisiko
Tabelle 1: So wird die Blutdrucksituation
klassifiziert
In Abhängigkeit von vorhandenen Risiko- Kategorie
Systolisch
faktoren u.a.
(mm Hg)
Rauchen, abdominelles Übergewicht, optimal
< 120
Dyslipidämie, Diabetes mellitus, neu:
normal
120 - 129
C-reaktives Protein,
130 - 139
Anzeichen für Endorganschäden wie hochnormal
Mikroalbuminurie, leichte Serum-Krea- Hypertonie Grad 1 (leicht)
140 - 159
tininerhöhung oder Retinablutungen,
Hypertonie Grad 2 (mittelschwer)
160 - 179
Zeichen für Begleiterkrankungen wie
Hypertonie Grad 3 (schwer)
≥ 180
Anstieg des Serumkreatininins über 1,5
≥ 140
mg/dl, Proteinurie, Retinablutungen/ Isolierte systolische Hypertonie
Papillenödem,
wird den unterschiedlichen Hypertoniegraden ein leicht erhöhtes, mäßig erhöhtes,
hohes oder sehr hohes kardiovaskuläres Risiko zugeordnet, je nachdem, ob über
die folgenden zehn Jahre z.B. das Risiko kardiovaskulärer Erkrankungen weniger
als 14 Prozent, 15 bis 20 Prozent, 20 bis 30 Prozent oder mehr als 30 Prozent entsprechend den Kriterien der Framingham-Studie beträgt.
Die Höhe des systolischen und diastolischen Blutdruckes und das kardiovaskuläre
Gesamtrisiko des Patienten bestimmen den Beginn einer antihypertensiven Behandlung – jedoch erst dann, wenn eine Veränderung der Lebensweise fehlgeschlagen
ist.
Blutdrucksenkung ist mit allen Antihypertensiva erreichbar
Primär kommt es auf die Senkung des Blutdruckes an und erst in zweiter Linie auf
das jeweilige Antihypertensivum. Als Ziel der Blutdrucksenkung werden allgemein
Werte unter 140/90 mm Hg, bei Diabetes und Niereninsuffizienz unter 130/80 mm
Hg empfohlen.
Hochdrucktherapie in der Schwangerschaft
Neben den Empfehlungen zur Hochdrucktherapie spezieller Patientengruppen
Diastolisch
(mm Hg)
< 80
80 - 84
85 - 89
90 - 99
100 - 109
≥110
< 90
KVH • aktuell
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(Diabetiker, ältere Patienten, zerebrovaskuläre Erkrankungen, Herzerkrankungen,
eingeschränkte Nierenfunktion) hat die differenzierte Darstellung der unterschiedlichen Hochdruckformen in der Schwangerschaft bzw. Stillzeit und ihre Therapie
überzeugt.
Hochdruckformen:
schwangerschaftsunabhängige arterielle Hypertonie
schwangerschaftsbedingte Hypertonie ohne Proteinurie (Gestationshypertonie)
schwangerschaftsbedingte Hypertonie mit Proteinurie (Präklampsie, Gestose)
schwangerschaftsunabhängige Hypertonie mit erstmaliger Proteinurie nach der
20. Schwangerschaftswoche (Propfpräeklampsie, Propfgestose).
Therapie: Notfallmäßig werden stationär Methyldopa oder Nifedipin eingesetzt
(über 170/110 mm Hg), Substanzen zur Langzeittherapie sind weiterhin AlphaMethyldopa, mit Abstrichen Beta-1-selektive Betablocker und Kalziumantagonisten. In der Stillzeit gelten Alpha-Methyldopa und Dihydralazin als Mittel der
Wahl.
„Prähypertonie“ nicht berücksichtigt
Industriefreundliche
„Prähypertonie“
wurde eliminiert
Hersteller haben sich – auch mit Hilfe medizinischer „Sprachrohre“ – ein neues Betätigungsfeld für Indikationsausweitungen (früher in Einzelfällen: Schaffung vollständig
neuer Krankheitsbilder wie das angeblich Antidepressiva-bedürftige so genannte
„Sissy-Syndrom“) und damit Umsatzsteigerungen ihrer Produkte einfallen lassen:
„Prädiabetes, Prächolesterinämie, Prähypertonie“ sind einige der Schlagworte.
In den USA wurde der Begriff „Prähypertonie“ geprägt, der den Blutdruckbereich von 120 – 139 mm Hg systolisch und 80 – 89 mm Hg diastolisch umfassen
soll. Die deutschen Gesellschaften sind den amerikanischen Leitlinien nicht gefolgt
und haben auch den früher verwandten Ausdruck „Grenzwerthypertonie“ nicht
mehr aufgenommen.
Studienkritik
Die Gesellschaften kommen zu der Erkenntnis, dass randomisierte Therapiestudien
in ihrer Aussagefähigkeit beschränkt sind. Sie bilden aufgrund ihrer Auswahlkriterien und oft „weichen Endpunkte“ nicht die große Mehrheit der Patienten mit
unkompliziertem Bluthochdruck ab. Auch mangelt es an direkten Vergleichen von
Vertretern einer Substanzgruppe untereinander.
Kombinationstherapie versus Monotherapie
Die positiven Ausführungen zur Monotherapie zu Beginn einer Behandlung sind
zu begrüßen, da selbst bei einer Hypertonie Grad 2 und 3 noch eine Monotherapie
erfolgreich sein kann (zu 25 – 40 Prozent). Leider wird die Aussage wieder relativiert,
wenn danach auf das „zeitraubende Vorgehen“ und eine erhebliche „Belastung der
Arzt-Patient-Beziehung“ bei einem Monotherapiebeginn hingewiesen wird.
Eher kritisch zu hinterfragen
Ergebnisdarstellung
Die Darstellung der Studienergebnisse in Prozenten (oder noch fragwürdiger: die
Angabe des relativen Risikos) ist wissenschaftliche Schönfärberei. Da es sich um
Leitlinien für Fachkreise handelt, sollten absolute Zahlen und immer auch die Größe
der Studienpopulation angegeben werden. Wie sinnvoll ist z.B. eine 30 Prozent
Reduktion irgendeines Risikos, wenn statt 10 nur 7 von 10.000 Patienten betroffen sind? Nur zur überhöhten positiven Darstellung für einen Patienten scheinen
derartig übertrieben Effektzahlen einen therapeutischen Sinn zu ergeben. Im
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Umgang mit Kollegen bleibt, insbesondere bei der Darstellung des relativen Risikos,
der Geruch von Industrienähe.
Reihenfolge der empfohlenen Lebensstiländerungen
Ohne Zweifel gehören Rauchen und exzessives Trinken zu den wichtigsten Riskofaktoren für Erkrankungen. Körperliche Bewegung und Sport – beides führt zu einer
Gewichtsreduktion – sollten in der Aufstellung dennoch höher angesiedelt werden.
Insbesondere scheinen die Auswirkungen regelmäßiger körperlicher Aktivität nicht
nur auf die Höhe des Blutdruckes, sondern auch auf den gesamten Körper und auf die
Lebensqualität unterschätzt zu werden. Optimal sind – wie Japaner es empfehlen –
jeden Tag mindestens 10.000 Schritte. Die Warnungen hinsichtlich isometrischer
Kraftanstrengungen wie Gewichtheben sind wiederum zu begrüßen.
Diuretikaeinsatz
Diuretika werden ohne entscheidenden Hinweis auf die tägliche maximale Dosis (z.B.
maximal 25 mg Chlorthalidon, besser: 12,5 mg) generell als negativ hinsichtlich des
Auftretens eines Diabetes (oder mehrfach von entsprechenden Meinungsbildnern
als verantwortlich für Elektrolytstörungen) dargestellt. Die hohe blutdrucksenkende
Potenz von Thiaziddiuretika (vor allem als Kombinationspartner) in entsprechend
niedriger Dosierung empfehlen deren Einsatz weiterhin für eine primäre Therapie.
Besser gehen als
Gewichte heben;
optimal: 10.000
Schritte pro Tag
Diuretika:niedrige
Dosis entscheidend
Spekulation zugunsten von AT1-Blockern
Eine vermutete Überlegenheit von AT1-Blockern gegenüber anderen Antihypertensiva in der Therapie von Komplikationen bei Risikopatienten ist derzeit noch
Spekulation und sollte – trotz späterer Relativierung – in Leitlinien unterbleiben,
ebenso wie es aufgrund ungenügender Langzeitergebnisse noch zu früh ist, eine
doppelte Blockade des Renin-Angiotensin-Systems zu empfehlen. Therapieprinzip
der Wahl bei entsprechender Indikation sind ACE-Hemmer, sodass AT1-Blocker
immer erst an zweiter Stelle empfohlen werden sollten.
Persönliche Ergänzungen
Für eine rationale und wirtschaftliche Therapie einer Hypertonie empfehlen sich:
1. Wiederholt auf erforderliche Lebenstiländerungen hinweisen
2. Eine Hypertonietherapie ist geprägt durch individuelles Vorgehen, u.a. mit der
Frage: was ist einem Patienten zuzumuten?
3. Mit einer Monotherapie beginnen (im Alter und bei entsprechender Blutdruckhöhe wäre auch eine niedrig dosierte Kombinationstherapie ACE-Hemmer/
Thiaziddiuretikum sinnvoll)
4. Die natürlichen Blutdruckschwankungen erlauben eine kostengünstigere Teilung von Tabletten, daher bei einer Verordnung auf Teilbarkeit des Präparates
achten.
5. Der Einsatz von Generika im preislich unteren Marktsegment erlaubt ein Ankreuzen des „Aut-simile-Feldes“, d.h. der Ausschluss eines Austausches durch den
Apotheker (die Bedeutungsumkehr des Ankreuzens durch das verantwortliche
Ministerium war ein genialer Schachzug, der jedoch langsam von Ärztinnen und
Ärzten erkannt wird). Dies kann nur Compliance-fördernd sein.
Interessenkonflikte: keine
Die Leitlinien im Web:
www.paritaet.org./RR-Liga/Leitlinien-Therapie2007.pdf
ACE-Hemmer
bleiben Mittel
der Wahl
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Rhinosinusitis: Antibiotika
nicht besser als Placebo
Dr. med. Klaus Ehrenthal
Entzündungen der Nasennebenhöhlen mit Rhinitis sind in der hausärztlichen Medizin ein häufiges Ereignis. In der Regel erwartet der Patient von seinem Hausarzt
die Verordnung eines Antibiotikums, was der Arzt ihm derzeit in den meisten Fällen
(in Europa in 72 bis 92 Prozent der Fälle) auch aufschreibt. Da es bisher keinerlei
gesicherte Erkenntnisse gibt, ob eine Antibiotikabehandlung hierbei notwendig ist,
haben Forscher des Instituts für Epidemiologie der Universität Basel eine Metaanalyse
von neun randomisierten, doppelt verblindeten Studien aus allgemeinmedizinischen
Behandlungen von insgesamt 2.547 erwachsenen Patienten durchgeführt [1]. Dabei
sollte herausgefunden werden, ob eine Antibiose die Krankheitsrate verbessern
konnte.
Erkrankungsdauer
spielte
keine Rolle
Bisher wurde in verschiedenen Leitlinien meist eine Antibiotikagabe empfohlen,
wenn die Erkrankung länger als sieben bis zehn Tage dauerte. Die Ergebnisse der
Schweizer Epidemiologen Young et al. konnten diese Empfehlungen bei der Analyse der 2.547 Patientendaten nicht bestätigen. Die Metaanalyse enthielt allerdings
nur Daten aus allgemeinmedizinischen Praxen, HNO-fachärztliche Studien waren
nicht untersucht worden, was möglicherweise hochakute Verläufe ausschloss. Von
allen Patienten der neun randomisierten Studien, die wegen einer Rhinosinusitis
mit Antibiotika oder Placebos behandelt worden waren, wurden die ärztlichen
Behandlungsdaten analysiert und die Befunde einschließlich Rhinoskopie (bei allen
Patienten) und die Verläufe verglichen.
Bei der Metaanalyse ließ sich kein sicheres klinisches Unterscheidungsmerkmal für eine virale oder bakterielle Ursache der Sinusitis definieren.
Es wurde festgestellt, dass trotz sorgfältiger Analyse der Falldaten keine
Subgruppe identifiziert werden konnte, für die eine Antibiotikagabe eindeutig gerechtfertigt gewesen wäre.
Antibiotika nur bei
eitrigem Sekret
sinnvoll
Wenn auch ältere Patienten einen eher längeren Verlauf der Erkrankung vorwiesen,
so war auch hier kein Unterschied in den Behandlungsergebnissen zwischen der
Gabe von Antibiotika oder Placebos nachzuweisen.
Auch Symptome einer schwereren Erkrankung (starke einseitige Schmerzen,
Schmerzen beim Bücken, Zahnschmerzen, Schmerzen beim Kauen, Fieber, eitriges
Nasensekret) führten durch Antibiotikagabe nicht zu einem besseren Heilverlauf
als mit Placebos.
Aufgrund ihrer Ergebnisse halten Young et al. auch in diesen Fällen eine Antibiotikagabe nicht für erforderlich. Sie empfehlen auch bei längeren Verläufen das
abwartende Beobachten („wait and see“, siehe auch [2],[3],[4]).
Allerdings hielten sie bei rascher Symptomverschlechterung (hohes Fieber, periorbitales Ödem, Erythem, intensiver Gesichtsschmerz) Antibiotikagaben für indiziert.
Lediglich Patienten mit eitrigem Rachen- bzw. Nasensekret hatten unter Placebobehandlung längere Verläufe und schienen durch Antibiotika einen besseren Verlauf
zu haben. Hier betrug bei einer kleinen Patientenzahl die NNT mit Antibiotika 8
(Number Needed to Treat: Zahl der zu Behandelnden, bis einer von Ihnen davon
einen Nutzen hat).
Für den Normalfall einer Rhinosinusitis wurde von Youg et al. eine NNT von 15
errechnet. Dies rechtfertigt nach Meinung der Basler Epidemiologen nicht die Antibiotikagabe, denn von 15 Behandelten hat nur einer einen Nutzen davon.
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Allerdings war die NNH mit 190 hoch (Number Needed to Harm: Von 190 mit
Antibiotika behandelten Patienten hat nur einer einen Schaden davon). Die Möglichkeit einer unbemerkten Sensibilisierung durch Antibiotika sowie einer gefährlichen
Resistenzentwicklung der Erreger wurde dabei allerdings nicht berücksichtigt.
Fazit für die Praxis
Klinische Zeichen, die eine bakterielle Infektion von einer viralen Infektion unterscheiden lassen würden, sind nicht sicher auszumachen. Lediglich eitriges Rachenund/oder Nasensekret ist verdächtig auf eine bakterielle Erkrankung.
Die primäre Therapieoption sollte bei unkomplizierter Rhinosinusitis in symptomatischer Behandlung ohne Antibiotika bestehen. („Abwartendes Offenlassen“).
Abwartendes Verhalten ohne Antibiotika ist auch bei längerer Krankheitsdauer
nach sieben bis zehn Tagen weiterhin sinnvoll, da ein Unterschied im Verlauf mit
Antibiotika oder Placebos nicht gesehen werden konnte. Auch bei älteren Patienten
sollte wegen des hier meist längeren Verlaufs geduldig abgewartet werden.
Abwarten bedeutet aber auch Verlaufskontrolle, damit bei akuter Verschlechterung durch bakterielle Invasion mit antibiotischer Therapie eingegriffen werden
kann.
Das meist zu Grippezeiten in überfüllten Hausarztpraxen geübte Verfahren, bei
Rhinosinusitis gleich ein Antibiotikum zu verordnen und dann den Patienten sich
selbst zu überlassen, sollte überdacht werden, denn die Komplikationsrate änderte
sich durch die antibakterielle Behandlung in der Regel nicht wesentlich.
Keine Aussage kann aus der obigen Metaanalyse zur Behandlung von Kindern
und Immungeschwächten gemacht werden sowie zur Art der Behandlung von
chronischen eitrigen Sinusitiden.
Interessenkonflikte: keine
Literatur:
1 Young J, De Sutter A, Merenstein D, van Essen GA, Kaiser L, Varonen H, Williamson J, Bucher CH: Antibiotics for
Adults with clinically diagnosed acute rhinosinusitis: a meta-analysis of individual patient data.
The Lancet 2008;371:908-14
2 Ehrenthal K: Besser keine Antibiotikatherapie bei Virusinfektionen. KVH aktuell Pharmakotherapie
2007;12(3):18-19
3 Ehrenthal K: „Wait and see“ bei der akuten Otitis media des Kindes. Wie sinnvoll ist eine abwartende Haltung?
KVH aktuell Pharmakotherapie 2007;12(1):5-7
4 Ehrenthal K: Unkomplizierte Infektionen der unteren Atemwege. Sofort antibiotisch behandeln oder abwarten?
KVH aktuell Pharmakotherapie 2006;11(2):12-14
Bedeutung
für
unsere
Praxis
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Der
Gastbeitrag
KVH • aktuell
Nr. 3 / 2008
arriba: Neue Wege
der Patientenberatung
Prof. Dr. med. Norbert Donner-Banzhoff, Dr. med. Attila Altiner
Immer wieder geraten wir als Hausärzte in das gleiche Dilemma. Fachgesellschaften, Industrie und „Meinungsführer“ feuern uns an, immer
mehr Menschen mit lipid- und blutdrucksenkenden Mitteln zu versorgen,
um immer niedrigere Zielwerte zu erreichen. Wenn wir das jedoch ernst
nehmen, sind Wirtschaftlichkeits-Prüfung und Regress kaum noch zu
vermeiden. arriba will Ihnen helfen, diesen Widerspruch zu lösen, und
zwar indem Sie den Patienten informieren und mitentscheiden lassen.
Fast zehn Jahre Entwicklung stecken in dieser Beratungshilfe, vielfältige Erprobung in der Praxis, Hunderte von Rückmeldungen engagierter
Hausärzte. Wir geben hier eine praxisbezogene Einführung (Software,
druckbare Beratungshilfen und Hintergrundinformationen sind kostenfrei erhältlich unter www.arriba-hausarzt.de).
Um gleich mit einem Beispiel einzusteigen: Frau Sorge, 47 Jahre alt, Hausfrau,
Mutter von zwei fast erwachsenen Kindern, ist seit etwas über zehn Jahren in Ihrer
hausärztlichen Betreuung. Sie neigt dazu, bei Beschwerden recht früh zu kommen,
weil sie eine ernste Erkrankung ausgeschlossen wissen möchte. Sie achtet sehr auf
ihre Gesundheit, ernährt sich vernünftig und geht öfter an die frische Luft. Gravierende Erkrankungen sind weder bei ihr noch in der Familie bekannt.
Vor einigen Monaten hat Frau Sorge ein Plakat gesehen, das zur Cholesterinmessung aufrief. In der Apotheke ergab sich ein erhöhter Wert; ihr wurde geraten, den
Hausarzt aufzusuchen.
Sie haben in Ihrer Praxis folgendes Risikoprofil erstellt: Gesamt-Cholesterin: 260
mg/dL, HDL-Cholesterin: 41 mg/dL, Blutdruck: 138/64 mm Hg, Nichtraucherin.
Nach mehrfacher Beratung in Bezug auf den Lebensstil (Ernährung, körperliche
Bewegung) messen Sie ähnliche Cholesterin-Werte; Sie haben das Gefühl, die
Sache ist ausgereizt. Frau Sorge macht sich auch deshalb Sorge, weil ein guter
Freund der Familie kürzlich an einem Herzinfarkt verstorben ist. Die Frage „Muss
ich jetzt cholesterinsenkende Tabletten einnehmen?“ ist bei ihr also durchaus
angstbesetzt.
Natürlich wäre es jetzt einfach, Frau Sorge Simvastatin aufzuschreiben. Aber Sie
haben das Bauchgefühl, dass sie von dem Medikament jetzt noch nicht viel hat.
arriba hilft Ihnen, dieses „Bauchgefühl“ zu untermauern, indem die Wahrscheinlichkeit künftiger Erkrankungen (Herzinfarkt, Schlaganfall) abgeschätzt und dem
Patienten anschaulich gemacht wird.
Das Vorgehen nach arriba lässt sich in die folgenden Schritte gliedern, wobei
die Abkürzung „arriba“ hier gleichzeitig eine Erinnerungshilfe darstellt. Sie werden
merken, dass im Gespräch mit dem Patienten sich jeder Schritt ganz logisch aus dem
vorigen ergibt; mit der Software auf Ihrem PC oder dem Risikokalkulations-Bogen
in der Hand wird Ihnen die Beratung bald ganz glatt und elegant gelingen:
a ufgabe gemeinsam definieren
r isiko subjektiv
r isiko objektiv
i nformation über Präventionsmöglichkeiten
b ewertung der Möglichkeiten
a bsprache über weiteres Vorgehen
1. Aufgabe gemeinsam definieren
Die Anlässe für eine arriba-Beratung können sehr verschieden sein. Gut ge-
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eignet ist natürlich das abschließende Gespräch bei der Gesundheitsuntersuchung
(Check ab 35), da hier die nötigen Daten komplett vorliegen und Sie in der Regel
etwas mehr Zeit haben als sonst. Auch wenn Sie das Gefühl haben, Ihr Patient
trägt die Behandlung nur halbherzig mit, kann dies ein geeigneter Anlass sein, die
laufende Therapie zu überdenken.
Die Einladung an den Patienten zum Gespräch geschieht am besten implizit. „Wir
sollten das miteinander überlegen“, dazu der Hinweis auf die arriba-Software am
Bildschirm, oder das Risikofaktoren-Formular (Papierversion) – dann macht eigentlich
Abbildungen:
jeder mit. Sie erläutern Ihrem Patienten, dass es hier nicht mehr nur um einzelne
Risikofaktoren geht (außer bei extremen Abweichungen). Vielmehr geht es um
das Gesamtrisiko für Herzinfarkte und Schlaganfälle, also das Zusammenspiel der
Abb. 1:
einzelnen Risikofaktoren.
2. Risiko subjektiv
Dieser zweite Schritt ist echte
Hausarzt-Medizin; damit unterscheidet arriba sich von allen
anderen Risikorechnern, die eben
nur Risikorechner sind.
Sie versuchen herauszubekommen, was Ihr Patient zum Thema
weiß; unter Erkrankungen wie
„Schlaganfall“ oder „Herzinfarkt“ stellen sich unsere Patienten nicht unbedingt das Gleiche
vor wie wir. Aber es geht auch
um die emotionalen Aspekte:
wie werden diese Erkrankungen bewertet? Für wie gefährdet
hält sich Ihre Patientin? Während
der arriba-Beratung kommen
die Ängste und Befürchtungen,
aber auch die Hoffnungen und Abb. 1: Die Risikoprognose für Frau Sorge.
Erfahrungen unserer Patienten
mit ins Spiel.
3. Risiko objektiv
Jetzt erstellen Sie die Risikoprognose für Ihren Patienten. Dazu benötigen Sie Alter
und Geschlecht Ihres Patienten, systolischen Blutdruck, Gesamt- und HDL-Cholesterin. Vorzugsweise benutzen Sie dazu die arriba-Software, oder Sie drucken die
Berechnungshilfen auf Papier aus.
Wenn Sie die Daten eingegeben haben, erscheint in Zahlen (Prozent) und als
orangefarbener Balken die Prognose für Ihren Patienten: Risiko für Herzinfarkt oder
Schlaganfall in den nächsten zehn Jahren (siehe auch Abb. 1). Übrigens hilft Ihnen
arriba auch bei der Beratung in der Sekundärprävention; Sie können angeben,
ob eine manifeste „arteriosklerotische Erkrankung“ vorliegt. In diesem Fall befindet
sich Ihr Patient automatisch in der Hochrisiko-Gruppe.
Die optische Demonstration des Risikos ist eine besondere Spezialität von
arriba. Sie können dabei zwischen drei verschiedenen Darstellungen wählen:
Smileys, Balken (Histogramm) und Perzentilen. Bei den letzten beiden
ist jeweils
-8ein Vergleich mit Durchschnittswerten der Bevölkerung möglich.
Diese Berechnungen beruhen auf der Framingham-Formel, die wir auf die europäische Situation angepasst haben; außerdem haben wir den Schlaganfall als
Zielerkrankung eingearbeitet. Wenn Sie arriba in diesem Sinne anwenden,
So werden Sie allen
Leitlinien gerecht
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tun Sie ganz nebenbei das, was sämtliche Leitlinien heute fordern: das Gesamtrisiko in den Mittelpunkt zu stellen und nicht mehr Mess-Kosmetik mit einzelnen
Risikofaktoren zu betreiben.
4. Information über Präventionsmöglichkeiten
Der Patient
sieht sofort,
was
ein Medikament
bewirkt
Als nächstes diskutieren Sie mit Ihrem Patienten, was getan werden könnte. Dazu
können Sie mit arriba verschiedene Optionen durchrechnen: Verhaltensänderungen (Rauchstopp, mehr körperliche Aktivität, Ernährungsumstellung) und die
wichtigsten Medikamente (Statin, ASS, Blutdrucksenkung). Die Effekte zeigen
sich sehr schön durch Smileys, die wieder lächeln, oder durch Farbveränderungen
der Balken. Die Wirkung mehrerer Maßnahmen gleichzeitig lässt sich ebenfalls demonstrieren. Damit wird dem Patienten eindrucksvoll vor Augen geführt, wie
viele der für die nächsten zehn Jahre prognostizierten kardiovaskulären Ereignisse
sich durch die jeweilige Maßnahme verhindern lassen.
Im Fall von Frau Sorge ist dies kaum relevant; sie hat mit Drei von Hundert eine so
günstige Prognose für die nächsten zehn Jahre, dass sich hier präventive Effekte
kaum darstellen lassen (siehe Abb. 1 auf der vorigen Seite). Sehen wir uns doch
Herrn Süß an, bei dem sich ganz andere Probleme ergeben.
Herr Süß, 61 Jahre alt, ist Ihnen über viele Jahre eigentlich nur aus den Erzählungen
seiner Ehefrau bekannt: er geht eben nicht gerne zum Arzt. Vor einem Jahr haben
Sie bei dem übergewichtigen, genussfreudigen und lebensfrohen Menschen einen
Diabetes mellitus, ein niedriges HDL und einen systolischen Blutdruck von 156 mm Hg
festgestellt. Seine Risikokonstellation: Raucher, Blutdruck: 156/98 mm Hg, GesamtCholesterin: 195, HDL-Cholesterin: 34 mg/dL, Diabetes mellitus (HbA1c = 7,8).
Abb. 2:
Hier sieht die Situation ganz anders aus als bei Frau Sorge; Herrn Süß‘ Prognose von gut 32 Prozent in den
nächsten zehn Jahren (Abb. 2)
lässt reichlich Spielraum für präventive Effekte. Der Rauchstopp
wäre natürlich die physiologisch
nächstliegende Maßnahme, sie
lässt den Risikobalken um ein
Drittel schrumpfen bzw. bringt
die entsprechende Anzahl trauriger Smileys wieder zum Lächeln. Weiter geht es mit mehr
körperlicher Aktivität (Sport), die
das Risiko weiter senkt; es bleiben noch 13.5 Prozent übrig.
Vielleicht kann jedoch Herr Süß
Medikamente eher in sein Leben integrieren; die Gabe eines
Statins, von ASS und der Blutdrucksenkung können Sie separat und in Kombination mit ihm
durchrechnen und besprechen.
Abb. 2: Risikoprognose für Herrn Süß
arriba erlaubt Ihnen, sehr individuell und flexibel mit dem Patienten das weitere Vorgehen zu überlegen.
arriba macht Ihnen keine „Vorschrift“, ab welcher Risikoschwelle behandelt werden „müsse“. Hier sollen sich Patient und Arzt zunächst einmal über ihre eigenen
Wertvollstellungen Klarheit verschaffen. Allerdings wird ein Hinweis gegeben,
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von welchem Risiko an wir eine Diskussion über Interventionen durch Medikamente
für sinnvoll halten. Dieses orientiert sich an der Schwelle, oberhalb derer wir durch
Studien wissen, dass die positiven Effekte der Behandlung die negativen überwiegen.
5. Bewertung der Möglichkeiten
Ermutigen Sie den Patienten, die Gründe für oder gegen die jeweilige präventive
Option zu formulieren. Wenn es um Tabletten geht, stehen den vermiedenen Erkrankungen die Unbequemlichkeit, Nebenwirkungen und Kosten (Zuzahlungen)
gegenüber. Für die meisten Menschen ist die erstmalige tägliche Tabletteneinnahme
ein gewichtiger Schritt („jetzt bin ich für immer krank“). All diese Nachteile sind
unmittelbar zu spüren; der Nutzen dagegen (absolute Risikoreduktion) ist abstrakt,
meist in der fernen Zukunft und dazu noch ungewiss.
Besonders wichtig ist das Abwägen von Vor- und Nachteilen bei Verhaltensänderungen, z.B. der Aufgabe des Rauchens oder vermehrter körperlicher Aktivität.
Viele Menschen sind hier zwiespältig, und es macht keinen Sinn, diesen Zwiespalt
mit forschem Auftreten Ihrerseits zu „lösen“. arriba ist nicht das Allheilmittel, Ihre
Patienten zu einer gesunden Lebensweise zu bewegen, liefert aber eine Starthilfe
für das Gespräch, indem es die Langzeitwirkung von Rauchstopp und mehr Sport
aufzeigt.
Das Schwerste
Respekt und Offenheit sind die zentralen Begriffe der arriba-Philosophie. In der
Gesprächsführung respektieren wir die Vorstellungen des Patienten, auch wenn
diese nicht dem medizinischen Nonplusultra der Zeit entsprechen. Entsprechend
stellen Sie die Alternativen, die sich bei Medikamenten und Verhaltensänderungen
ergeben, gleichberechtigt und sachlich dar. Dazu gehört vor allem die Möglichkeit, eine bestimmte Behandlung nicht einzusetzen. Auch wer die Tablette X nicht
nehmen will, bleibt in Ihrer hausärztlichen Betreuung. Nach ein oder zwei Jahren
werden Sie die Risikofaktoren kontrollieren, die Berechnung wiederholen und neu
überlegen, wie es weitergehen soll.
Man kann darauf hinweisen, dass viele Dinge auch unter Ärzten umstritten sind
– denken Sie nur an die diversen Cholesterin-Debatten der letzten 30 Jahre. Damit
wird die Erwartung des Patienten an das ärztliche Expertentum relativiert und Raum
geschaffen für seine eigene Meinung.
Das ist übrigens das Schwerste an arriba. Wir haben oft eine dezidierte Meinung davon, was für unsere Patienten gut ist und was nicht. An entsprechenden
Formulierungen oder der Körpersprache nimmt der Patient diese Botschaften wahr.
In der arriba-Beratung versuchen wir, eine solche Beeinflussung zu minimieren
und dem Patienten zu einer eigenen Entscheidung zu verhelfen.
Schwierig ist dies deshalb, weil wir Ärzte geworden sind, um Menschen gesund
zu machen. Dies erklärt unsere Probleme mit Patienten, die von Gesundheit oder
gesundheitsförderndem Verhalten andere Vorstellungen haben als wir. Oder noch
schlimmer: für die gesundheitsbewusstes Verhalten einfach keine Priorität hat.
arriba geht es primär darum, diese Menschen gut zu beraten. Wenn dies gelingt,
haben wir gute Arbeit geleistet – auch wenn sich der Patient dann für einen aus
unserer Sicht „ungesunden“ Weg entscheidet. Er hat aber dank unserer Hilfe seine
Freiheit informiert nutzen können. Wir glauben, dass eine solche Grundeinstellung
von ärztlicher Seite nötig ist, um eine wirklich partnerschaftliche Beratung und
Entscheidung in der Praxis realisieren zu können.
Natürlich wird diese Einladung in unterschiedlichem Maße angenommen. Manche
Patienten fühlen sich in einer offenen Entscheidungssituation unwohl, andere
Der Patient darf
durchaus erfahren,
dass auch Ärzte
streiten
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bringen sich aktiv ein und wollen Verantwortung übernehmen. Unsere Meinung,
zu welcher dieser beiden Gruppen ein einzelner Patient gehört, muss nicht immer
richtig sein. Deshalb ist es so wichtig, jeden zunächst einmal einzuladen und dann
aufmerksam zu beobachten, wieweit sich Neugier oder Verunsicherung ergeben.
Selbst bei einem Patienten, der Ihnen die Entscheidung ganz und gar überlässt,
macht arriba eine fundierte Risikokalkulation in seinem Interesse möglich.
6. Absprache über weiteres Vorgehen
Nach unseren Erfahrungen mit arriba sind Patienten eher ernüchtert oder sogar
erleichtert (keine Tablette nehmen zu müssen), wenn ihnen die zu erwartenden
präventiven Effekte anschaulich gemacht werden. Das gilt vor allem für die Risikokalkulation bei jüngeren Menschen. Das Ergebnis der Information à la arriba ist
deshalb eher Zurückhaltung in Bezug auf Medikamente. Wenn man sieht, dass 100
Menschen eine Tablette einnehmen müssen, um drei Herzinfarkte in zehn Jahren
zu verhüten, dann wartet man fast immer noch einmal zu. arriba bringt damit ein
gutes Maß an Realismus und Ehrlichkeit in die Medizin.
Der Patient ist
beeindruckt – aber
lassen Sie ihn
doch mal
selber denken!
Auch Herr Süß ist beeindruckt von den präventiven Effekten, die Sie ihm vorrechnen.
Ja, man kann sogar sagen, dass er von der Notwendigkeit überzeugt ist, etwas an
seinem Leben zu ändern. Dies im Alltag umzusetzen, ist allerdings sehr schwer für
ihn, da sein Leben auf ganz andere Dinge ausgerichtet war. Sie bedrängen ihn nicht,
sondern vereinbaren einen Termin in vier Wochen. Als Hausaufgabe erwarten Sie
von ihm einen Vorschlag, welche Maßnahme am ehesten eine Chance auf Umsetzung hätte und deshalb als erste versucht werden sollte. Zwingen Sie also Ihre
Patienten nicht zu einer raschen Entscheidung. Nehmen Sie sich Zeit und gehen die
möglichen Veränderung mit Geduld und langem Atem an.
Ihr Vorteil als Hausarzt ist, dass all diese Erörterungen in eine verlässliche ArztPatient-Beziehung eingebaut sind. Sie beziehen den Patienten in die Entscheidung
ein, lassen ihn aber nicht damit allein. So weit es irgendwie geht, tragen Sie die
Entscheidung gemeinsam.
Wozu der Aufwand?
Mit Kochbuchmedizin
hat dies nichts zu tun
arriba hilft Ihnen, evidenzbasierte Medizin in der Praxis umzusetzen. Die großen
Studien zur Herz-Kreislauf-Prävention, aber auch wissenschaftliche Erkenntnisse
über Risikokommunikation, Gesprächsführung und Entscheidungsfindung sind
berücksichtigt. Mit arriba wird hoffentlich deutlich, dass dies mit „KochbuchMedizin“ nichts zu tun hat. Sie werden sehen, dass die so geführten Gespräche
ganz neue Einsichten, aber auch Offenheit und Vertrauen bringen.
Die aktive Einbeziehung von Patienten geschieht nicht nur aus Nettigkeit. Viele
Untersuchungen haben inzwischen nachgewiesen, dass diese Patienten informierter,
zufriedener und sicherer sind. Auch die Ergebnisse der medizinischen Behandlung
sind besser. Mit dem Gesamtrisiko-Ansatz schaffen wir es außerdem, gerade diejenigen zu behandeln, bei denen eine Intervention die größten Effekte hat.
Hilfen für die Praxis
Der Artikel soll einen Überblick über arriba geben und Ihnen vor allem Mundwasser
machen. Wenn dies gelungen ist, gehen Sie zu www.arriba-hausarzt.de. Dort
können Sie sich ohne Kosten und ohne Anmeldung mit arriba weiter vertraut
machen. Eine Broschüre (pdf-Datei zum Herunterladen) gibt konkrete Hilfen für Gesprächsführung und Risikoberechnungen, außerdem umfassende Hintergrundinformationen und Studienbelege. Die Software ist eine Java-Applikation, die auf jedem
Betriebssystem läuft. Nach der Installation sollten Sie allerdings einige Berechnungen
durchführen und die Möglichkeiten erproben, bevor Sie die erste Beratung durchführen.
Nr. 3 / 2008
KVH • aktuell
Seite 21
Die Papierversion ist eine Alternative, erfordert allerdings ein gutes Verständnis
der Zusammenhänge (z.B. absolute und relative Risikoreduktion). Auch dies ist in
der Broschüre näher erläutert.
Ausblick
Wenn Sie arriba umsetzen, wird Ihnen auffallen, dass Sie neben der wissenschaftlichen Kompetenz Ihren Patienten durchaus auch eine emotionale Botschaft
vermitteln. Etwa: Ich bemühe mich um Sie; ich berücksichtige Ihre individuelle
Situation; ich gehe auf Ihre Fragen, Ängste, Ideen ein; wir tragen Verantwortung
gemeinsam.
Immer wieder merken Kollegen kritisch an, dass arriba doch zuviel Zeit benötige.
Sobald man jedoch ein Daueranwender geworden ist, schätzt man die Zeitersparnis.
Mit arriba können Sie frühzeitig klären, ob ein Patient überhaupt behandelt werden
will. Und wenn er nicht behandelt werden will, entfallen das Versteckspiel und der
Ärger, welche sich die Beteiligten bei der herkömmlichen Betreuung oft zumuten.
Entscheidungshilfen, wie sie bei arriba verwendet werden, reduzieren nicht nur
bei Ihnen, sondern auch bei Ihren Patienten Unsicherheit. Vielleicht kann arriba
Ihnen auch eine Idee davon vermitteln, wie sich eine hausärztliche Betreuung im
digitalen Informations-Zeitalter bewähren kann.
Aus dem
anfänglichen
Zeitaufwand wird
bald
eine Zeitersparnis
Prof. Dr. med. Norbert Donner-Banzhoff, M.H.Sc, Arzt für Allgemeinmedizin
Abteilung für Allgemeinmedizin, Präventive und Rehabilitative Medizin
Philipps-Universität Marburg, 35032 Marburg
Email: [email protected]
Dr. med. Attila Altiner, Arzt für Allgemeinmedizin
Abteilung für Allgemeinmedizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf,
40225 Düsseldorf
Interessenkonflikte: keine
arriba kann kostenlos heruntergeladen werden von www.arriba-hausarzt.de
Hessens Hausärztliche Leitlinien sind
im Internet ein Hit
Die hausärztlichen Leitlinien der Leitliniengruppe Hessen, die wir in unseren Heften
immer wieder auszugsweise und als Tischversion abdrucken, sind auch im Internet
begehrt. Spitzenreiter ist die Leitlinie orale Antikoagulation. Ihre Komplettversion
wurde in den ersten acht Monaten dieses Jahres fast 34.000 Mal abgerufen. Die
jeweiligen Komplettversionen sind unter www. 40000
pmvforschungsgruppe.
33953
35000
de verfügbar. Auf dieser
Zugriffe Januar bis August 2008
Webseite bitte den Cur- 30000
sor in der Menü-Leiste im
23142
oberen Teil der Seite auf 25000
21780
Publikationen positionie- 20000
ren und im aufklappenden
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Untermenü auf Leitlinien 15000
klicken. Dann können Sie
8989
8642
8325
die gewünschte Leitlinie 10000
6968
6810
6414
auswählen und ansehgen 5000
oder als PDF-Datei herun0
terladen und auf dem eigeOAK
Diabetes
Alter
Asthma
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Psycho Gespräch Lipide
Palliativ Schmerz
nen Computer speichern.
Hausärztliche Leitlinie Hessen
5620
3543
Herzins.
RR
2467
KHK
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Der
Gastbeitrag
Nr. 3 / 2008
Fünf Medikamente – mehr
braucht kein Patient
Dr. Dirk Mecking
Neben- und Wechselwirkungen von Medikamenten führen in Deutschlands Kliniken und Praxen jährlich zu zahlreichen Todesfällen. Ärzte sollten die Medikation
regelmäßig kritisch prüfen, um die Zahl der verordneten Arzneimittel zu minimieren. Verordnungssicherheit im Praxisalltag lässt sich nicht auf den Abgleich von
Interaktionen per Computer reduzieren. Sie hat viel mit der Führung des Patienten
zu tun. Das kann zeit- und arbeitsaufwendig sein – sicherlich in höherem Maße als
das bloße Ausstellen eines Rezeptes.
1. Nicht jeder Besuch muss mit einem Rezept enden
Viele Patienten erwarten, dass der Arzt nach dem Vortragen der Beschwerden zum
Rezeptblock greift, um dem „Übel“ mit einer Verordnung zu begegnen. Es mag
im Praxisalltag manchmal einfacher sein, dem Patienten ein Rezept in die Hand zu
geben, als mit ihm über Lebensführung, Risikoverhalten oder mögliche Hausmittel
zu sprechen.
2. Medikamentenanamnese
Im Alltag lästig, aber wichtig: Bei jeder Verschreibung sollten Sie die Selbstmedikation des Patienten und die Verordnungen von Kollegen erfragen, die der Patient
konsultiert. So verringern Sie das Risiko unerwünschter Interaktionen. Auch die
eigenen Therapieschemata sind regelmäßig auf ihre Sinnhaftigkeit zu prüfen und
zu aktualisieren.
3. Mut zum Weglassen
Die Compliance sinkt mit steigender Zahl der verordneten Präparate. Ausgenommen davon sind akut-interventionelle Medikationen; die dafür angesetzte Therapie
sollte aber so bald wie möglich wieder auf das Nötige reduziert werden. Patienten
reagieren vielfach verunsichert, wenn Sie die Zahl der Verordnungen reduzieren.
Hier ist unsere ärztliche Führung gefragt.
4. Entlassmedikation prüfen
Nach Entlassung aus der Klinik sind unsere Patienten mit elf bis 18 Medikamenten
„versorgt“. Die Reduktion ist bitter nötig. Lassen Sie zum Beispiel den Protonenpumpen-Hemmer weg, für den die Indikation „Klinikstress“ nicht mehr gegeben
ist. Damit reduzieren Sie das Neben- und Wechselwirkungspotenzial.
5. Leitlinien hinterfragen
Ein simples „Abarbeiten“ von Leitlinien bei Multimorbiden führt schnell zu mehr
als 20 Pillen am Tag. Mit der Therapietreue im Alltag ist es dann vorbei. Und das
Risiko von Interaktionen steigt. Dem Patienten schadet man oft mehr durch die
Verordnung zahlreicher Medikamente, als man ihm durch eine leitliniengerechte
Therapie nutzt. Deswegen sollten Sie sich überlegen, welche Medikamente Sie
weglassen können.
Fazit
Mehr als fünf Medikamente braucht kein Patient. Kein Patient sollte zur Therapie
chronischer Erkrankungen mehr als fünf Medikamente erhalten (Ausnahmen
Nr. 3 / 2008
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wie akute Intervention und Spezialbehandlungen bestätigen die Regel). Je weniger
Medikation, desto weniger Nebenwirkungen und Interaktionen – bei steigender
Compliance.
Überprüfen Sie kritisch Diagnose und Indikation, treffen Sie mit Ihrem Patienten
Entscheidungen über notwendige Behandlung und Prioritäten, nehmen Sie sich
eine Minimierung der Anzahl der verabreichten Medikamente vor.
Dr. med. Dirk Mecking
Vorsitzender des Gemeinsamen Ausschusses
des Instituts für Qualität im Gesundheitswesen Nordrhein (IQN)
Interessenkonflikte: keine
Nachdruck aus KVNO aktuell mit freundlicher Genehmigung der KV Nordrhein
Paradigmenwechsel beim Diabetes –
eine zu radikale Bewertung?
Leserbrief zu unserem Beitrag „Wer das HbA1c zu stark senkt, gefährdet
die Patienten“ in KVH aktuell Pharmakotherapie Nr. 2 / 2008:
Mit Betroffenheit haben wir den o.g. Artikel gelesen. Es ließe sich eine ganze Menge
zum ideologischen Unterbau dieser Ausführungen schreiben. Wir möchten uns jedoch
darauf beschränken, die völlig den Prinzipien der „Evidence based medicine (EBM)“
widersprechende Zitierung von Studiener­gebnissen in das richtige Licht zu rücken.
1. Es widerspricht jeder guten EBM, über noch nicht veröffentlichte Studien­daten
zu spekulieren und vor allem ist es völlig unzulässig, daraus bereits allgemeingültige
Schlüsse zu ziehen. Genau dies tut Herr Egidi jedoch mit den ACCORD-Ergebnissen.
Darüber hinaus sind die Ergebnisse einer Studie selbstverständlich nur für die untersuchte Studienpopulation gültig. Analog­schlüsse werden insbesondere ja auch
durch das IQWIG und Professor Sawicki als unzulässig abgelehnt. Die Studienpopulation in ACCORD waren jedoch kardiovaskuläre Hoch- und Höchstrisikopatienten
mit jahre- bis jahrzehntelangem Diabetesverlauf. Von daher ist es schon mehr als
vermessen und grob unwissenschaftlich, daraus den Schluss zu ziehen, dass man
25-jährige neumanifestierte Typ-2-Diabetiker lediglich auf einen HbA1c-Wert < 8
Prozent einstellen solle, da man ihnen sonst schade.
2. Die angeführte UGDP-Studie aus den 70er Jahren (!) ist so grotten­schlecht durchgeführt worden, dass man daraus letztlich überhaupt keine sinnvollen Schlüsse ziehen kann und darf. Tut man dies, wie durch Herrn Egidi geschehen, trotzdem, dann
muss sofort jegliche Sulfonylharnstofftherapie (Laut DMP Nutzen belegt!) beendet
werden, da diese Substanzgruppe in der UGDP das kardiale Risiko erhöht hat.
3. Die Missinterpretation der UKPDS durch Herrn Egidi disqualifiziert ihn genau
genommen für jegliche ernsthafte wissenschaftliche Diskussion.
Die UKPDS ist eine Studie, die Mitte der siebziger Jahre konzipiert wurde und
mit der zunächst einmal damalige Therapiekonzepte überprüft werden sollten.
Die Dokumentation z.B. der Begleittherapie ist z.T. erheblich lü­ckenhaft und die
Randomisierung war z.T. nicht korrekt.
Welche Fragestellung wurde geprüft? Es wurde geprüft, welche Auswirkun­gen es
hat, wenn man, koste es, was es wolle, den Nüchtern-Blutzucker senkt versus einer
schlechten Nüchtern-Blutzuckereinstellung. Nicht mehr und nicht weniger.
Was ist dabei herausgekommen? Kurz und knapp: Die rein nüchternblutzu-
Brief an die
Redaktion
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KVH • aktuell
Nr. 3 / 2008
ckerfixierte Therapiestrategie ist insuffizient. Sie verhindert weder eine pro­grediente
Verschlechterung der Gesamtstoffwechsellage noch verbessert sie wesentlich die
schlechte Prognose hinsichtlich makrovaskulärer Komplikati­onen. Dies gilt allerdings
nur für eine HbA1c-Absenkung von 7,9 auf 7 Prozent. Be­trachtet man die Subgruppen, die Werte < 7 Prozent erreichen, dann ist sehr wohl auch eine deutliche
Absenkung z.B. der Myokardinfarkte zu sehen. Trotz dieser letztlich insuffizienten
Therapiestrategie konnten nicht nur, wie von Herrn Egidi angeführt, die Laserkoagulationen vermindert werden, es wurden auch die renalen Komplikationen und
Amputationen signifikant re­duziert. Und dies trotz einer letztlich insuffizienten
Blutzuckertherapie!
Weitere Schlüsse sind nur in höchst eingeschränktem Ausmaß möglich, da andere
Parameter als der Nüchternblutzucker nicht das Interventionsziel waren. Daraus
aber jetzt den kühnen Schluss abzuleiten, dass Blutzucker-Senkung keine Vorteile
erbrächte, ist aus der Studie nicht ablesbar und wis­senschaftlich nicht haltbar.
Wenn auf die höhere Zahl an schweren Hypoglykämien als schwerwiegender
Komplikation abgehoben wird, ist festszustellen, dass diese erhöhte Rate aus dem
insuffizienten Therapieziel und dem daraus resultierenden Einsatz insulinotroper
Medikamente bzw. Verzögerungsinsulin zur Nacht resultiert. Schlussendlich hat
die UKPDS damit bewiesen, dass eine reine Nüchternblutzuckersenkung nicht
ausreichend ist, um Typ-2-Diabetes von der Glu­koseseite her suffizient zu behandeln.
4. Die unter „Bedeutung für unsere Praxis“ aufgeführten Punkte sind be­
dauerlicherweise eine Mischung aus nicht haltbaren Aussagen (HbA1c unter sieben
Prozent schadet Diabetikern (EBM-Belege werden wie oben ausgeführt nicht geliefert), standespolitischem Kampfgeklingel in Fettdruck („Allerdings sollte man als
Hausarzt auch überlegen....“), gelegentlichen teilweise korrekten Aussagen (Metformin senkt in Monotherapie als einziges Antidiabetikum das Myokardinfarktrisiko)
und kompletten Falschaussagen (Glitazone und Doxa­zosin).
5. Zur Aussage, dass Doxazosin in der ALLHAT-Studie zur Übersterblichkeit geführt
hat, muss man Folgendes anmerken: Diese Aussage gilt nur für Bevölkerungen, in
denen der Anteil schwarzafrikanischstämmiger Bewohner bei 30 Prozent liegt (ALLHAT Anteil von Afro-Amerikanern). Das Studiendesign von ALLHAT hätte normalerweise gar kei­ne Ethikkommission passieren dürfen. Da wurden bei z.T. langjährigen
Hy­pertonikern vorbestehende Therapien ab- und die Studienmedikation ange­setzt.
Dass dies zu unerwünschten Effekten und u.U. dann bei einer Substanz auch zu
einer Übersterblichkeit führen kann, leuchtet ein, entspricht aber weder unserem
therapeutischen Vorgehen, noch ist es realistisch unter Pra­xisbedingungen.
6. Zu den Glitazonen ist anzumerken, dass es außer einer qualitativ schlech­ten
Metaanalyse zum Rosiglitazon keine wie auch immer belastbaren Daten hinsichtlich
einer Steigerung der Myokardinfarktrate gibt. Eine Zwischen­auswertung der einzigen vorhandenen und noch in Gang befindlichen pro­spektiven und randomisierten
Rosiglitazonstudie zu dieser Thematik er­brachte keinen Beleg. Für das Pioglitazon
ist bei einem Hochrisikokollektiv (ProACTIV-Studie) keine Steigerung der Myokardinfarktrate nachweisbar. Insofern ist diese Aussage unter den Kriterien der EBM
schlicht falsch.
7. Wenn am Schluss des Artikels die Forderung zitiert wird, dass ein Medi­kament
nur zugelassen werden dürfe, wenn ein relevanter klinischer Nutzen bewiesen
worden sei, dann ist hier zu fragen, wer definiert, was ein „klinisch relevanter
Nutzen“ für den Patienten ist. Wir bestreiten aus der „Evidence des Alltags der
Patientenbetreuung“ heraus, dass dies immer die von Wis­senschaftlern definierten „harten Endpunkte“ Tod, Myokardinfarkt etc. sind. Es ist eine zutiefst
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autoritäre und undemokratische Haltung der selbster­nannten Gralshüter wissenschaftlicher Medizin, dass sie definieren wollen, was für den einzelnen Patienten
„klinisch relevant“ ist.
Fazit: Wir würden uns wünschen, dass im Interesse einer sparsamen und wirt­
schaftlichen Verwendung unserer Verwaltungskostenumlage zukünftig sol­che
Artikel mangelhafter wissenschaftlicher Qualität nicht mehr flächendeckend für
teures Geld auf Hochglanzpapier in jede Praxis verschickt werden.
Dr. med. Christian Klepzig, Dr. med. Gerd Nitzsche
Diabetologische Schwerpunktpraxis, Offenbach
Interessenkonflikte Dr. med. Christian Klepzig: Mein Bruttoeinkommen erziele ich aus
80% GKV-Einnahmen
10% PKV-Einnahmen
5% aus der Teilnahme an DMP, HZV, IV-Vertrag Diabetiva Taunus BKK, IV-Vertrag DFS AOK Hessen, IV-Vertrag Schlaganfall AOK Hessen, BEK-HA-Vertrag
5% aus Vorträgen, Studienteilnahmen (Phase 3 und 4, keine AWB!) für folgende Organisationen und Firmen:
Deutscher Diabetiker Bund, Bayer, Sanofi Aventis, Lilly, MSD, Novo Nordisk, Berlin Chemie, Novartis, Glaxo Smith Kline
Interessenkonflikte Dr. med. Gerd Nitzsche: Mein Bruttoeinkommen erziele ich aus:
80% GKV-Einnahmen
10% PKV-Einnahmen
2% aus der Teilnahme an DMP, HZV, IV-Vertrag DFS AOK Hessen
8% aus Vorträgen, Studienteilnahmen (Phase 3 und 4, keine AWB!) für folgende Organisationen und Firmen: Deutscher Diabetiker Bund, Bayer, Sanofi Aventis, Lilly, MSD, Novo Nordisk, Berlin Chemie, Novartis, Glaxo Smith Kline,
Takeda, Boehringer Ingelheim
Manche Dogmen wehren sich
gegen die Realität ...
Die Antwort des Autors
Der Artikel, in dem die ersten an die Öffentlichkeit gelangten Ergebnisse der ACCORD-Studie vorgestellt wurden, hat ganz offensichtlich viele Diabetologen
unerwartet getroffen. Das ist nachvollziehbar, haben sich doch viele Diabetologen im Glauben, ihren Patienten dadurch helfen zu können, um eine möglichst
normnahe Diabetes-Einstellung bemüht.
Sie leiten dies ab aus Arbeiten wie der UKPDS 35, in der beobachtet werden konnte, dass makro- wie mikrovaskuläre Komplikationen mit einer Zunahme des HbA1c
kontinuierlich ansteigen, ohne dass sich ein Schwellenwert hierfür definieren ließe.
Sie vergessen zugleich, dass es sich bei der UKPDS 35 um eine reine BeobachtungsStudie handelte. Die Ergebnisse solcher Studien sind nicht auf Interventions-Studien
übertragbar, wie die ernüchternden Ergebnisse der UKPDS 33 dann zeigten.
Aus solchen Beobachtungen entstehen offensichtlich nicht einmal durch dramatische Ergebnisse wie das der ACCORD-Studie zu erschütternde Dogmen.
Zu den einzelnen Punkten:
Zu 1. Der Kritik, es sei nicht zulässig, aus einer noch nicht vollständig veröffentlichten Studie die Warnung vor einer zu stark Blutzucker senkenden Therapie abzuleiten, ist entgegenzuhalten:
Die inzwischen voll veröffentlichten Daten der ACCORD-Studie geben kein
anderes Bild ab als die vorab veröffentlichten. Die Behandlung in dieser Untersuchung war mit einer Übersterblichkeit in der Interventionsgruppe assoziiert.
In ACCORD wurde die Blutzuckersenkung sehr schnell vollzogen, das HbA1c wurde innerhalb von nur vier Monaten von 8,2 Prozent auf 6,8 Prozent gesenkt.
• Bei 27,8 Prozent der Patienten kam es durch Insulinmast und GlitazonÖdeme zu einer Gewichtszunahme um mehr als zehn Kilo.
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• Bei 10,5 Prozent der Patienten der Interventionsgruppe wurden – Insulin
nicht mitgezählt – vier oder fünf Blutzucker senkende Substanzen eingesetzt.
• Unter den eingesetzten Substanzen war der Anteil von Rosiglitazon sehr
hoch.
Dass ausgerechnet einige Diabetologen sich von einem solchen Vorgehen
abwenden, verwundert, sieht man sich die noch im April veröffentlichten
Leitlinien-Empfehlungen der Deutschen Diabetes-Gesellschaft (DDG) an mit
einem Ziel-HbA1c < 6,5 Prozent und der großzügigen Empfehlung zur Kombination mehrerer antihyperglykämischer Substanzen. Dass sich inzwischen auch
die DDG in einer aktuellen Stellungnahme im Fall eines HypoglykämieRisikos mit einem HbA1c-Ziel von 7,0 Prozent begnügt, bestätigt den
Autor in seiner Position. Ebenfalls ist es erfreulich, dass es offensichtlich
Diabetologen gibt, die sich vorsichtig von der doch nicht unproblematischen
Substanz Rosiglitazon distanzieren (in einem anderen, hier nicht veröffentlichten Leserbrief).
Auch aus der in der Zwischenzeit ebenfalls publizierten ADVANCE-Studie kann
man herauslesen, dass es besser ist, das HbA1c nicht zu weit zu senken:
• Der Sammelendpunkt aus makro- und mikrovaskulären Ereignissen wurde
zwar durch HbA1c-Senkung auf 6,5 Prozent um 1,9 Prozent gesenkt, ohne
dass es hier zu einer Zunahme der Sterblichkeit kam. Hauptsächlich geschah
dies durch eine Verringerung der Rate einer neuen Nephropathie oder die
Verschlechterung einer bestehenden Nephropathie.
• Es ist wahrscheinlich, dass dieser Effekt nicht durch die HbA1c-Senkung,
sondern durch eine stärkere Blutdrucksenkung in der Interventionsgruppe
(135,5 versus 137,9 mm Hg) und durch vermehrten Einsatz von ASS zustande kam.
• Es kam dabei aber zu signifikant häufigeren (2,7 Prozent versus 1,5 Prozent)
und schwereren (0,7 versus 0,4 pro 100 Patientenjahre) Hypoglykämien. Absolut 2,1 Prozent mehr Patienten der Interventionsgruppe mussten stationär
aufgenommen werden.
• Summarisch schadet also diese HbA1c-Senkung mindestens so sehr, wie sie
nützt, wobei der mögliche Nutzen eher der Begleittherapie als der Blutzucker-Senkung selbst zuzuschreiben ist.
Angeblich sei das Ergebnis von ACCORD nicht auf durchschnittliche Typ-2Diabetiker zu übertragen. In ACCORD finden sich etwa 62 Jahre alte Diabetiker
mit Krankheitsdauer von zehn Jahren. Ein Drittel hatte zuvor kardiovaskuläre
Ereignisse erlitten, nur 14 Prozent waren Raucher, das durchschnittliche Cholesterin lag bei 183 mg/dl, der durchschnittliche Blutdruck bei 136/75 mm Hg.
Gehen wir hier von Hochrisiko-Patienten aus?
Zu 2. Die kritisierte UGPD-Studie wurde zitiert, um darauf hinzuweisen, dass
man, wenn man es denn wahrnehmen möchte, seit 30 Jahren wissen kann: die
ACCORD-Studie bringt nicht wirklich neue Ergebnisse, sondern reiht sich ein in eine
Linie enttäuschend ausgegangener Untersuchungen: Die Effekte einer Blutzucker
senkenden Behandlung sind, wenn überhaupt vorhanden, allenfalls marginal. Daran, dass eine Behandlung mit Sulfonylharnstoffen zu einem Anstieg des kardialen
Risikos führen könnte, ließ diese Studie in der Tat denken – diese Annahme gilt seit
UKPDS 33 sowie nach ADVANCE als widerlegt.
Der für ACCORD zutreffende Vorwurf einer rücksichtslosen (aber bisherigen
diabetologischen Leitlinien entsprechenden!) Blutzuckersenkung trifft für UKPDS
nicht zu. Statt angestrebter Nüchternzucker-Werten von <110 in der Interventions- und von <270 in der Kontroll-Gruppe wurden recht nahe beieinander
liegende HbA1c-Werte von 7,9 bzw. 7,0 Prozent erreicht. Eine Auswertung von
Beobachtung von Subgruppen von Patienten mit stärkerer HbA1c-Senkung
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als auf 7,0 Prozent a posteriori ist wegen der zwangsläufigen Verzerrung dabei
nicht zulässig.
Zu 3. Die Behauptung, in der UKPDS seien renale Komplikationen und Amputationen signifikant reduziert worden, ist falsch. Beim Endpunkt Nierenversagen wurde
das Signifikanzniveau mit einem p-Wert von 0,6, beim Endpunkt Amputation mit
p-Wert 0,21 verfehlt. Mit anderen Worten: Im einen Fall ist das Ergebnis mit 60
Prozent, im anderen mit 21 Prozent nur zufällig zustande gekommen.
Die UKPDS habe bewiesen, dass eine reine Nüchternblutzucker-Senkung nicht
ausreichend sei. Für die gegenteilige Hypothese, dass der postprandiale Blutzucker
gesenkt werden solle, gibt es jedoch keine einzige Interventions-Studie.
Zu 4. Es erübrigt sich, auf diesen Punkt einzugehen, da in den emotional gefärbten
Ausführungen kein sachliches Argument zu finden ist.
Zu 5. Der Kritik an der ALLHAT-Studie wegen des hohen Anteils farbiger Patienten
ist entgegenzuhalten: eine andere Endpunkt-Studie als diese mit über 24.000 Patienten, den Effekt eines Diuretikums mit dem von Doxazosin vergleichende, gibt es
nicht. Die Patienten im Doxazosin-Arm erlitten signifikant häufiger Schlaganfälle,
ischämische Ereignisse und kardiale Dekompensationen. Der Doxazosin-Arm der
Studie wurde deswegen vorzeitig abgebrochen. Die prinzipielle Gleichwertigkeit
verschiedener Antihypertensiva vorausgesetzt, erscheint es nicht einsichtig, worin
das Problem besteht, eine antihypertensive Vormedikation abzusetzen und durch
eine Studienmedikation auszutauschen. Ohne dieses Vorgehen hätte man keinen
direkten Vergleich zwischen den Substanzen erhalten können.
Zu 6. Die zitierte Metaanalyse zu Rosiglitazon untersuchte immerhin 42 Studien
mit 28.000 Patienten. Was an der Metaanalyse schlecht sein soll, geht aus dem
Leserbrief nicht hervor. In der ADOPT-Studie nahmen unter Rosiglitazon kardiovaskuläre Ereignisse im Vergleich zu Glibenclamid signifikant zu (3,4 Prozent versus 1,8
Prozent). In der DREAM-Studie steigt das Risiko einer Herzinsuffizienz im Vergleich
zu Placebo signifikant (0,5 Prozent versus 0,1 Prozent). Im Übrigen zeigt auch der
Blick auf die inzwischen vollständig publizierte ACCORD-Studie, dass offensichtlich
doch der vermehrte Einsatz von Rosiglitazon hier für eine Zunahme der Übersterblichkeit in der Interventionsgruppe verantwortlich war.
Zu 7. Wenn die zitierte Auffassung des amerikanischen Kardiologen Psaty kritisiert
wird, nur Medikamente zuzulassen, für die ein klinisch relevanter Nutzen belegt
sei, ist klarzustellen, dass keineswegs nur Endpunkte wie Tod oder Myokardinfarkt klinisch relevant sind – selbstverständlich zählen Lebensqualität, Freiheit von
Herzinsuffizienz-Symptomen oder von vermehrten Knochenbrüchen durch ein Glitazon zu den relevanten Endpunkten. Dass die Beeinflussung von Laborwerten wie
Cholesterin, HbA1c oder Blutdruck per se einen Wert habe, sei aber an dieser Stelle
gerade unter dem Eindruck von Studien, die eben keinen entsprechenden Nutzen
für die Patienten mit sich brachten, noch einmal entschieden bestritten.
Zum Fazit: Auch hier finden sich im Brief der Kollegen Klepzig und Nitzsche leider
keine Fakten, auf die man sachlich und sachgerecht eingehen könnte.
Dr. med. Günther Egidi
Arzt für Allgemeinmedizin
Vorsitzender der Akademie für hausärztliche Fortbildung Bremen
Stellvertretender Sprecher der Sektion Fortbildung der
Deutschen Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)
Interessenkonflikte: keine
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Sicherer
verordnen
Dr. med.
Günter Hopf
Nr. 3 / 2008
Komplementäre Behandlungsmethoden:
Spezifische Gefahren in der Onkologie
Im Gegensatz zu komplementären Behandlungsmethoden bei chronischen, nicht
akut lebensbedrohlichen Erkrankungen wie z.B. rheumatoide Arthritis, kann eine
alleinige Anwendung dieser Methoden in der Onkologie eine Heilungschance für
immer verstreichen lassen. In einer Übersicht weisen deren Autoren auf folgende
spezifische Risiken hin:
Methode
Spezifische Gefahren
Akupunktur
Verletzungen und Infektionen
Antioxidantien
Positive Wirkung ungesichert, zum Teil krebsfördernd
Eigenbluttherapie
Übertragung von Viren (Hepatitis B, HIV)
Immunstimulantien
Paradoxe Reaktionen mit Stimulation des Tumorwachstums oder
Veränderung des Metastasierungsverhaltens
Krebsdiäten, nicht ausgewogen
Mangelernährung, Leistungsminderung und Abwehrschwäche
Misteltherapie
Allergischer Schock
TCM (traditionelle chinesische
Medizin)
Undeklarierter Zusatz hochwirksamer Arzneistoffe, karzinogene
Inhaltsstoffe
Thymus-/Milzextrakte vom Kalb
Übertragung von BSE
Vitamintherapie, hochdosiert
Hypervitaminosen
Zelltherapie
Allergischer Schock
Darüber hinaus verweisen die Autoren auf Interaktionen von Phytotherapeutika
mit Zytostatika (z.B. Johanniskraut, Grapefruit, Phytoestrogene generell), die die
Wirkung, aber auch die unerwünschten Wirkungen wie Nephro- oder Hepatotoxizität der Zytostatika vermindern oder verstärken können. Es gibt zu denken, dass
nach einer Studie im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern in Deutschland
Ärzte die wesentlichen Promotoren komplementärer Heilmethoden sind. Trotz eines
subjektiv eingeschätzten niedrigen Kenntnisstandes der Ärzte über die jeweiligen
Methoden wird ihnen ein vergleichsweise hoher Nutzen beigemessen.
Quelle: Der Internist, Sonderheft März 2008, 12
Therapie der rheumatoiden Arthritis:
Hämatologische Neoplasien
In einem Kommentar zu einer kanadischen Übersichtsarbeit zur medikamentösen
Therapie der rheumatoiden Arthritis (RA) wird eine Überwachung der Patienten hinsichtlich maligner Erkrankungen gefordert. Obwohl bereits bei einer unbehandelten
RA ein bis zu 25-fach erhöhtes Risiko besteht, ein Lymphom zu entwickeln, erhöht die
Einnahme von Basistherapeutika das Risiko noch zusätzlich. Bei über 23.000 Patienten
traten im Untersuchungszeitraum (20 Jahre) 346 Lymphome, 178 Leukämien und 95
multiple Myelome auf. Relative Risiken für eine hämatologische Neoplasie betrugen
bei Methotrexat 1,18, Azathioprin 1,44, Cyclophosphamid 1,83 und (geringe Fallzahlen wegen der Zulassung erst 2002 sind zu bedenken!) bei Tumornekrosefaktorα-Inhibitoren 1,92. Für in Deutschland übliche weitere Basistherapeutika (Sulfasalazin,
Leflunomid, Ciclosporin, D-Penicillamin) ergab sich kein erhöhtes Risiko.
Tumornekrosefaktor-α-Inhibitoren (Infliximab, Etanercept, Adalimumab) sollten auch aufgrund anderer schwerer UAW (z.B. erhöhtes Infektionsrisiko, insbesondere für Mykobakteriosen) nur bei threapierefraktären schweren Verläufen
der RA eingesetzt werden.
Quellen: Arch Intern Med. 2008; 168: 378, zitiert in Dtsch med Wschr 2008; 133: 814; Dtsch medWschr. 2006; 131:2414
Nr. 3 / 2008
KVH • aktuell
Neuere Psychopharmaka: Sehstörungen
Psychopharmaka können in unterschiedlicher, arzneistoff- und dosisabhängiger
Häufigkeit Sehstörungen verursachen. Anticholinerge Eigenschaften dieser Arzneistoffe führen z.B. zu Akkomodationsstörungen, Melanin-Arzneistoff-Komplexe zu
Kornea- und Linsentrübungen. In einer Facharbeit einer Augenoptikerin wurden
Patienten gezielt nach subjektiven Sehstörungen unter der Therapie neuerer Psychopharmaka befragt. 22 von 45 Befragten berichteten unter der Einnahme von Venlafaxin (Trevilor®), 8 von 33 unter Quetiapin, Seroquel® und 3 von 14 unter Risperidon
(Risperdal®) über dosisabhängige Störungen wie z.B. verändertes Entfernungssehen,
erhöhte Blendempfindlichkeit, Akkomodationsstörungen, Doppelbilder.
Diese nicht repräsentative Umfrage sollte Anlass sein,
auf diese, die Compliance der Patienten verringernde und die Fahrtauglichkeit
beeinflussende UAW gezielt hinzuweisen.
Häufigkeit und Schwere von Sehstörungen unter neueren Antidepressiva und
Neuroleptika in einer klinischen Studie zu untersuchen, denn nach diesen
Ergebnissen treten Sehstörungen sehr viel häufiger auf als in den jeweiligen
Fachinformationen erwähnt (angegeben ist bei Venlafaxin: „häufig“ = 1:100 bis
1:10 und bei Risperdal: „selten“ = 1:10.000 bis 1:1000; in der Fachinformation
von Quetiapin fehlt erstaunlicherweise jeder Hinweis auf UAW am Auge).
Quelle: Diplomarbeit für Dip.-Ing. Augenoptik, Fachhochschule Jena, Fachbereich SciTec und Universitätsklinikum Mainz, Psychiatrische Klinik, 2007
Opiat-Pflaster: Vorsicht bei Aut idem!
Am Beispiel von Fentanyl-haltigen transdermalen Pflastersystemen („Schmerzpflaster“) hat sich herausgestellt, dass ein Aut-idem-Austausch von Opiatpflastern nicht
pauschal durchgeführt werden kann. Nach Klarstellung durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) darf ein Austausch nur vorgenommen werden, wenn
die Freisetzungsrate (z.B. 50 µg/h) und die Wirkstoffmenge identisch sind. Diese
Gesamtbeladungsmenge pro Pflaster variiert bei den einzelnen Präparaten z.B. mit
gleicher Freisetzungsrate von 50 µg/h zwischen 5,5 mg und 11,5 mg Fentanyl, wobei
der Gehalt des Originals ungefähr in der Mitte liegt. Aufgrund der Bestimmungen
des Betäubungsmittelgesetzes kann daher ein einfacher Austausch des Originales
nicht vorgenommen werden, da nur Durogesic Smat® eine Beladungsmenge von
8,4 mg hat (siehe untenstehende Tabelle).
Dem Vorschlag einer pharmakritischen Fachzeitschrift ist zuzustimmen, bei einer
Verordnung von opiathaltigen Schmerzpflastern ein preiswertes Generikum
mit hohem Gesamtgehalt an Fentanyl zu wählen. Zusätzlich ist grundsätzlich
zu erwägen, das Aut-idem-Feld anzukreuzen, um einen Austausch u.a. auch
aus Sicherheitsgründen von vornherein auszuschließen.
In Kanada wurden kürzlich 52 Todesfälle zusammengestellt, die mit der Anwendung Fentanyl-haltiger Pflaster (seit 1992 auf dem Markt) in Zusammenhang
gebracht werden, überwiegend jedoch aufgrund von Anwendungsfehlern und
missbräuchlicher Anwendung. Insbesondere sollten die Pflaster vor und nach dem
Gebrauch für Kinder unzugänglich aufbewahrt werden.
Standard bleiben oral applizierbare Opiate, auch in retardierter Form. Bei diesen
Präparaten ist ein Austausch ebenfalls nicht empfehlenswert. Die Bioäquivalenz wird
mit großzügigen Grenzen von 80 bis 125 Prozent Gesamtfreisetzung im Vergleich
zu 100 Prozent des Originalpräparates festgelegt. 20 bis 25 Prozent geringere oder
höhere Freisetzung kann im Austausch Original gegen Generikum noch hinnehmbar
sein. Es ist offensichtlich, dass beim Austausch zweier Generika untereinander im
Extremfall circa 45 Prozent eines Arzneistoffes weniger oder mehr systemisch
Seite 29
Sicherer
verordnen
Dr. med.
Günter Hopf
KVH • aktuell
Seite 30
Sicherer
verordnen
Dr. med.
Günter Hopf
Nr. 3 / 2008
wirksam werden können – bei Arzneistoffen wie Opiaten (oder anderen Arzneistoffen mit geringer therapeutischer Breite wie z.B. Antiepileptika) ist dies wegen
einer möglichen Gefährdung der Patienten nicht tolerierbar.
Beladungsmengen einzelner Fentanylpflaster mit der Freisetzungsrate
50 µg/h, z.B.:
Handelsname
Beladung
Anmerkungen
Matrifen
5,5 mg
Fentanyl ABZ
8,25 mg
Noch sechs weitere Generika mit der gleichem Beladungsmenge, Austausch innerhalb dieser Gruppe möglich
Durogesic Smat
8,4 mg
Original
Fentanyl Krewel
9,6 mg
Noch vier weitere Generika mit der gleichen Beladungsmenge, Austausch innerhalb dieser Gruppe möglich
Fentanyl 1 A-Pharma
11,56 mg
Noch zwei weitere Generika mit der gleichem Beladungsmenge, Austausch innerhalb dieser Gruppe möglich
Fentanyl Acino
12,0 mg
Hinweise:
1 Nur das Original hat eine Beladungsmenge von 8,4 mg Fentanyl. Nur Generika
mit der gleichen Beladungsmenge des Opiates Fentanyl sind austauschbar!
2 Korrekte BtM-Verschreibung: Fentanyl-“muster“pharm 50 µg/h, 5. St., enthält
8,25 mg Fentanyl (z.B. Angabe „OP“ reicht nicht aus).
Quellen: www.bfarm.de, www.arzneitelegramm.de, Pharm.Ztg. 2008; 153: 2352
Tilidin/Naloxon: Missbrauch als
neue Modedroge bei Jugendlichen
Vorsicht,
wenn plötzlich
(jugendliche)
Angehörige ein
Rezept für die Oma
abholen möchten
Das Bundesgesundheitsministerium ist durch Medienberichte über den Missbrauch
Tilidin/Naloxon-haltiger Arzneimittel (Valoron N®, viele Generika) besorgt. Nach
Einschätzung der Kriminalpolizei haben sich diese Medikamente bei Jugendlichen
zu regelrechten Modedrogen entwickelt.
Aus ärztlicher Sicht ist dazu anzumerken, dass ein Auftreten von Missbrauch
und Suchtverhalten bei Arzneistoffen mit Abhängigkeitspotential (hier: schwach
wirksames Opioidanalgetikum) nicht verwunderlich ist. Nachdem der Arzneimittelkommission der Deutschen Ärzteschaft über mehrere Jahre entsprechende
Fallberichte konstant in einstelliger Anzahl zugegangen sind, scheint das Problem
bei der Kombination eines Opiatagonisten mit einem -antagonisten zumindest bei
Erwachsenen nicht sehr bedrohlich zu sein (Verordnungszahlen zu Lasten der GKV
2006: circa 90 Millionen DDD). Zu bedenken ist allerdings, dass
1 bei oraler Gabe der Antagonist Naloxon weitgehend infolge eines First-PassEffektes inaktiviert wird,
2 auch in der Kombination mit einem Antagonisten immer mit der Möglichkeit
eines Missbrauches gerechnet werden muss,
3 eine Verordnung insbesondere bei Jugendlichen nur sehr zurückhaltend gestellt
werden sollte und Wiederholungsrezepte in dieser Altersgruppe nur selten indiziert sind. Dies gilt insbesondere in Großstädten, wie z.B. Berlin: nach Berichten
von Apothekern soll Tilidin/Naloxan bei Jugendlichen mit Migrationshintergrund
sehr beliebt sein.
Quellen:
Schreiben des BMG vom 5.5.2008
Dtsch. Apo. Ztg. 2008; 148: 3576-78
KVH • aktuell
Nr. 3 / 2008
Seite 31
Hausärztliche Leitlinie
Schmerz
Therapie von Schmerzen
Konsentierung Version 3.00
17. Oktober 2007
Revision bis spätestens
2010
Version 3.03 vom 28.01.2008
Hausärztliche Leitlinie
Schmerz
Anmerkung:
Therapie von Schmerzen
Die Leitlinie Schmerz umfasst insgesamt 70 Seiten. Wir
veröffentlichen angesichts des Umfangs nur die wichtigsten Aspekte.
F. W. Bergert
M. Braun
K. Ehrenthal
J. Feßler
J. Gross
K. Gundermann
H. Hesse
J. Hintze
U. Hüttner
B. Kluthe
W. LangHeinrich
A. Liesenfeld
E. Luther
R. Pchalek
J. Seffrin
T. Sitte
A. Sterzing
G. Vetter
H.-J. Wolfring
U. Zimmermann
Konsentierung Version 3.00
In diesem Heft finden Sie neben einigen einführenden
17. Oktober 2007
Informationen die Behandlung schwerer chronischer
Schmerzen. Dies ist gleichzeitig der dritte Teil der Palliabisbeiden
spätestens
tiv-Leitlinie;Revision
die ersten
Teile der Palliativ-Leitlinie
finden Sie in
den Heften 1 und 2/2008.
2010
Die im Text erwähnten Anhänge und Literaturstellen (Ziffern in Klammern), die hier nicht abgedruckt sind, finden
Sie in der vollständigen Leitlinie. Sie ist im Internet unter
www.pmvforschungsgruppe.de
verfügbar. Auf dieser
Version 3.03 vom 28.01.2008
Webseite bitte den Cursor in der Menü-Leiste im oberen
Teil der Seite auf Publikationen positionieren und im
aufklappenden Untermenü auf Leitlinien klicken. Dann
können sie die gesamte Leitlinie einsehen bzw. als PDFDatei auf Ihren Computer herunterladen. Eine weitere
Bezugsquelle finden Sie unter www.leitlinien.de. Dort
auf Leitlinienanbieter klicken, dann Leitlinien aus dem
ambulanten Bereich/vertragsärztliche Qualitätszirkel
auswählen, anschließend führt der Link unten auf der
Seite zu den hausärztlichen Leitlinien.
F. W. Bergert
M. Braun
K. Ehrenthal
J. Feßler
J. Gross
K. Gundermann
H. Hesse
J. Hintze
U. Hüttner
B. Kluthe
W. LangHeinrich
A. Liesenfeld
E. Luther
R. Pchalek
J. Seffrin
T. Sitte
A. Sterzing
G. Vetter
H.-J. Wolfring
U. Zimmermann
Seite 32
KVH • aktuell
03 Kontext und Kooperation
04 Verantwortlichkeit
05
06
07
Therapie von Schmerzen
Schmerzwahrnehmung und -erleben
Hausärztliche Schlüsselfragen
Ziel der Schmerztherapie
Ziele der Leitlinie
08 Diagnostik von Schmerzen
Besonderheiten: Schmerzanamnese, Schmerzmessung
und Verlaufskontrolle
09 Beratungsursache 1: Diffuse Schmerzen bei Fieber
10 Beratungsursache 2: Schmerzen bei
unkomplizierten Traumata
11 Beratungsursache 3: Schmerzen bei
muskuloskelettalen Erkrankungen
Arthrose nicht aktiviert
12 Arthrose aktiviert
13 Einteilung der Rückenschmerzen
Yellow and red flags
14 Rückenschmerz: Therapieziele und Schnittstellen
15 Nichtradikuläres Schmerzsyndrom: Unspezifische
Kreuzschmerzen und Lumbago
Behandlung des akuten unspezifischen Kreuzschmerzes
16 Behandlung unspezifischer chronischer Kreuzschmerzen
17 Radikuläre Rückenschmerzen
18 Nichtviszerale Thoraxschmerzen
Definierte chronisch entzündliche Erkrankungen
19 Beratungsursache 4: Abdominale/viszerale
Schmerzen
Abdominale Schmerzen ohne lebensbedrohliche Notfälle
20
21
22
24
25
26
27
28
29
30
Beratungsursache 5: Kopfschmerzen
Klassifikation
Erstdiagnose
Spannungskopfschmerz
Migräne
Migräne bei Kindern
Migräne: Therapieübersicht
Migräneprophylaxe
Clusterkopfschmerz
Arteriitis temporalis (cranialis) Horton
Analgetikakopfschmerz
31
32
33
Beratungsursache 6: Neuropathische Schmerzen
Neuropathische Schmerzen allgemein
Medikamentöse Therapie neuropathischer Schmerzen
Zosterschmerz
Trigeminusneuralgie
34
35
Nr. 3 / 2008
Polyneuropathie
Nervenkompressionssyndrom
Neuroborreliose
36 Beratungsursache 7: Tumorschmerzen und
sonstige schwere chronische Schmerzen
WHO-Stufenschema
37 Schmerzskalen
Nichtopioide WHO-Stufe I
38 Opioide WHO-Stufe II
39 Opioide WHO-Stufe III
40 Nichtmedikamentöse Maßnahmen
Arzneitherapie
Opioidängste
41 Dosisfindung
42
43
44
45
Transdermale Therapiesysteme
Behandlung der Durchbruchschmerzen
Opioidbedingte Nebenwirkungen
Zusatzmedikation bei starken Schmerzen
46
Hinweise
Multimedikation
Patienteninformationen
Implementierung
47 Zusammenfassung
48
49
Literatur
Zur Erarbeitung herangezogene Leitlinien
Zitierte Literatur
59 Anhang
Number needed to treat
62 Besonderheiten bzw. unerwünschte
Arzneimittelwirkungen von NSAR
63 Schwere unerwünschte Wirkungen
Relative Kontraindikationen bei NSAR
64 Notfall-Analgesie
65 Triptane
66 Evidenzkategorien
67 Informationen zur Leitliniengruppe Hessen
69 Disclaimer und Internetadressen
Anmerkung:
Die hier angegebenen Seitennummern beziehen sich auf die Seiten der Original-Leitlinie. Dieses Inhaltsverzeichnis
soll hier zeigen, welchen Umfang die Leitlinie insgesamt hat und welche Details Sie darin erwarten können. Auf
den folgenden Seiten finden Sie lediglich Auszüge aus der Leitlinie (siehe auch vorhergehende Seite).
Nr. 3 / 2008
KVH • aktuell
Seite 33
Therapie von Schmerzen
Hausärztliche Schlüsselfragen
Aus hausärztlicher Sicht stellen sich bei der Behandlung von Schmerzen folgende Herausforderungen und Probleme:
Die Schwere des Schmerzes (subjektiv-objektiv)
anhand der Äußerungen/Präsentation der
Patienten richtig einzuschätzen. Hierbei sind
auch ethnische Unterschiede in der Schmerzwahrnehmung und -verarbeitung zu berücksichtigen.
Den Schmerz im Spannungsfeld zwischen
psychisch und organisch richtig einordnen zu
können.
Keine organischen Ursachen für den Schmerz
zu übersehen und andererseits durch überflüssige Untersuchungen einer möglichen
Chronifizierung keinen Vorschub zu leisten.
Verhinderung der Chronifizierung von Schmerzen (z. B. durch effiziente Schmerztherapie).
Die soziale Bedeutung des Schmerzes (im Familiensetting, sekundärer Krankheitsgewinn,
Arbeitsunfähigkeit, Präsentiersymptom) erkennen und angemessen reagieren.
Klinische Differentialdiagnose bei Kopf- und
Rückenschmerzen vor dem Hintergrund, dass
selten gravierende Ursachen vorhanden sind.
Vermittlung des Therapieregimes mit Schmerzmitteln und Sicherstellen der Adhärenz (Compliance).
Opioid- und Cortisonängste auf Seiten der
Patienten, aber auch auf Seiten der Behandler – mit der Gefahr einer unzureichenden
Schmerzbehandlung.
Erfassen der Selbstmedikation und/oder der
Schmerzmittelverordnungen anderer Behandler.
Adäquate Arzneimittelauswahl unter Berücksichtigung der Risiken und Interaktionen (z. B.
renal, kardiovaskulär und gastrointestinal).
Rechtzeitiges Erkennen und Behandeln eines
Analgetika-Abusus.
Chronische Schmerzpatienten zu akzeptieren.
Fehler, Gefahren und Unsicherheiten
Fehlen von BtM-Rezepten in vielen hausärztlichen Praxen.
Bei schweren Schmerzen (insbesondere Durchbruchschmerzen) werden fälschlicherweise
schwache Opioid-Analgetika (Tramadol, Tilidin) mit starken Opioiden (z. B. Morphin,
Fentanyl) kombiniert.
Patienten mit Herzinsuffizienz erhalten oft unreflektiert ein NSAR (Cave: Dekompensation).
Häufig wird der Effekt auf die Thrombozytenaggregationshemmung durch NSAR/ASS übersehen und diese z. B. vor operativen Eingriffen
nicht rechtzeitig abgesetzt.
Bei gleichzeitiger Indikation von ASS und NSAR
wird ASS häufig nicht 2 Stunden vor NSAR
eingenommen (Wirkungsverlust von ASS bei
gleichzeitiger Einnahme).
Alters- und gewichtsabhängige Dosisanpassung der Schmerzmittel erfolgt unzureichend.
Kombinationsanalgetika mit Koffein oder
Codein kommen noch trotz Abhängigkeitspotenzial zur Anwendung.
Unzureichende Komedikation und dadurch
keine adäquate Schmerztherapie.
Fehlende Ulkusprophylaxe unter NSAR-Gabe
bei Risikopatienten.
Unzureichende Umsetzung der Allgemeinmaßnahmen (Einsparung von Analgetika).
Der Stellenwert der transdermalen Opioid-Applikation (Vor- und Nachteile) noch unsicher.
Seite 34
KVH • aktuell
Nr. 3 / 2008
Diagnostik von Schmerzen
Besonderheiten: Schmerzanamnese, Schmerzmessung und Verlaufskontrolle
Schmerzanamnese und Schmerzmessung
Bei der Behandlung von Schmerzpatienten sollte
immer nach den Erscheinungsumständen von
Schmerzen und deren Stärke gefragt und entsprechend dokumentiert werden, um Schmerzcharakteristika nicht zu übersehen, von denen die
Patienten nicht von sich aus berichten [146].
Eine praktikable Lösung für den ambulanten hausärztlichen Alltag ist die Verwendung der Visuellen
Analog Skala [VAS] oder der 11-stufigen (0-10)
NRS (Numeric Rating Scale) [34] (siehe gegenüberliegende Seite). Dabei wird der Patient gefragt:
Wie stark sind Ihre Schmerzen auf einer Skala von
0 bis 10 wenn »0« bedeutet, dass Sie gar keine
Schmerzen haben und »10« die stärksten Schmerzen, die Sie sich vorstellen können?
Bei älteren Patienten kann auch die 5-stufige VRS
(Verbale Rating Scale) benutzt werden: »Sind Ihre
Schmerzen leicht, mittel, stark oder sehr stark?«
(»Keine Schmerzen« würde mit »0«, »sehr stark«
mit »4« dokumentiert werden usw.).
Die regelmäßige Dokumentation der erhobenen
Werte ist nötig, um eine Überprüfung des Therapieerfolges zu ermöglichen [35]. Das Ziel der
Schmerztherapie und die Interventionsgrenze
bei Durchbruchschmerzen sind mit dem Patienten zu besprechen.
Um einen genaueren Überblick über den Verlauf
der Schmerzen zu bekommen und um eine effektive Therapie einzuleiten, sollten weitere Fragen
gestellt werden (siehe folgende Tabelle).
Fragen zur Beurteilung der Schmerzen unter Therapie
Lokalisation und Ausstrahlung
An welcher Stelle schmerzt es?
Wohin zieht der Schmerz?
Qualität, Intensität, Schmerzcharakter
Ist der Schmerz stumpf, brennend, stechend?
Ist der Schmerz anfallsweise, kontinuierlich, intermittierend im Tagesverlauf?
Wie stark sind Ihre Schmerzen, wenn Sie ruhig im Bett liegen?
Wie stark sind Ihre Schmerzen bei Belastung?
Wie stark sind Ihre Schmerzen maximal?
Nonverbale Schmerzzeichen vorhanden?
Herzfrequenz, Puls, Unruhe, RR-Anstieg, Schwitzen, Mimik, Gestik, Körperhaltung, Muskeltonus
Finden sich psychische Auffälligkeiten?
Depression, Schlaflosigkeit, Angst, Traurigkeit, Sorge, Vereinsamung, Aggression, Autoaggression
Modulierende Faktoren
Gibt es etwas, das Ihre Schmerzen verstärkt/lindert (z. B. Kälte, Wärme, Ruhe)?
Medikation
Wie stark reduzieren sich die Schmerzen, wenn das Medikament wirkt (Schmerzskala)?
Wie lange hält die Wirkung des Medikamentes an?
Begleiterscheinungen: Müdigkeit, Magenschmerzen, Übelkeit, Obstipation, Unruhe, Verwirrtheit...?
Ì WHO-Stufenschema
KVH • aktuell
Nr. 3 / 2008
Seite 35
Tumorschmerzen und sonstige
schwere chronische Schmerzen
Tumorschmerzen
und sonstige schwere
Das WHO Stufenschema
Schmerzen (s. hierzu Leitlinie Palliativversorgung)
Bei der Entstehung von chronischen Schmerzen
Bei der Entstehung von chronischen Schmerzen
spielt die Ausbildung des Schmerzgedächtnisses
spielt die Ausbildung des Schmerzgedächtnisses
eine entscheidende Rolle. Sehr starke oder wieeine entscheidende Rolle. Sehr starke oder
derholte Schmerzreize können auf Dauer zu einer
wiederholte
können
zu
Senkung derSchmerzreize
Schmerzschwelle
führenauf
mitDauer
der Folge,
einer
Senkung
derReize
Schmerzschwelle
führen
mit
dass auch
geringe
starke Schmerzen
auslösen
der
Folge,
dass
auch
geringe
Reize
starke
können. Unter Umständen kann der Patient sogar
Schmerzen
auslösen können.
U. U. Reiz,
kann allein
der
Schmerzen empfinden
ohne aktuellen
Patient
sogar Schmerzen
empfinden
ohneEsaktueldurch spontane
Aktivität von
Neuronen.
ist von
größter
undNeuauslen
Reiz,Bedeutung,
allein durchmöglichst
spontane frühzeitig
Aktivität von
reichend
Schmerz
zu behandeln,
um
ronen.
Eswirksam
ist von den
größter
Bedeutung,
möglichst
frühzeitig und ausreichend wirksam den Schmerz
zu behandeln, um einer Chronifizierung entgegen
einer
Chronifizierung entgegen zu wirken.
zu wirken.
Bei chronischen Schmerzen unterscheidet man:
Bei chronischen Schmerzen unterscheidet man:
Somatische Schmerzen – scharf, gut lokalisierƒ Somatische
Schmerzen – scharf, gut lokalisierbar (z.
(z. B.
B. KnochenKnochen- und
und Periostschmerz,
bar
Periostschmerz, HautHautund
Weichteilschmerz,
Ischämieschmerz)
und Weichteilschmerz, Ischämieschmerz)
Viszerale Schmerzen
Schmerzen –– dumpf,
dumpf, schlecht
ƒ Viszerale
schlechtlokalilokalisierbar
sierbar
Neuropathische Schmerzen
Schmerzen– –attackenweise
attackenweise
ƒ Neuropathische
einschießend
oderauch
auchbrennender
brennender
Dauereinschießend oder
Dauerschmerz.
schmerz
Stufe 3
schwere chronische Schmerzen
Stufe 2
starke chronische Schmerzen
Stufe 1
chronische leichte bis
mittelschwere Schmerzen
Nichtopioid-Analgetikum
ƒ Ibuprofen retard
ƒ Naproxen
ƒ Diclofenac
ƒ Paracetamol (nur geringe
antiphlogistische Wirkung)
ƒ Metamizol (zusätzlich:
spasmolytische Wirkung)
Nichtopioid-Analgetikum
plus
schwach wirkende Opioidanalgetika
ƒ Tramadol, Tilidin
ƒ Dihydocodein
Nichtopioid-Analgetikum
plus
Stark wirkende oral oder subkutan applizierte Opioidanalgetika
ƒ Morphin
ƒ Buprenorphin
ƒ Fentanyl
ƒ Oxycodon
ƒ Hydromorphon
ggf. extra lang wirkende Darreichungsformen (Pflaster, wenn
orale Therapie nicht möglich ist).
Beratungsursache 7:
Tumorschmerzen und
Hinweis: für Patienten
mit PEGsonstige schwere chronische
Schmerzen
Sonde sind verschiedene Morphine als Granulat erhältlich oder
Ì Schmerzskalen
peridurale Morphinapplikation
Ì Nichtopioide WHO-Stufe I
Adjuvans und Ko-Analgetika: Antiemetika, Laxanzien, Antidepressiva, Neuroleptika, Antikonvulsiva,
Cortison, Lokalanästhesie
Anmerkung: Als Adjuvans gelten z. B. auch: Akupunktur, TENS [37] {B, Ia}, alle physikalischen Therapieformen, psychische Führung [158] {A, Ia}.
Anmerkung: Als Adjuvans gelten z. B. auch:
Akupunktur, TENS [37] {B, Ia}, alle physikalischen
Therapieformen, psychische Führung [158] {A, Ia}.
Schmerzskalen
Schmerzerfassung durch Visuelle
oder Numerische Analogskala
Schmerzerfassung
durch Visuelle oder Numerische Analogskala
36
Hausärztliche Leitlinie
»Therapie von Schmerzen«
Nichtopioide WHO Stufe I
Die Auswahl der Analgetika erfolgt nach der zu
Grunde liegenden Schmerzursache und -intensität.
Analgetika werden schrittweise gegen den
Schmerz titriert, wobei die Dosis so weit gesteigert
Version 3.03
I
28. Januar 2008
Diclofenac, Naproxen, Paracetamol, Metamizol.
Bei viszeralen Nozizeptorschmerzen scheint die
Gabe von nichtsauren, antipyretisch wirksamen
Analgetika (Metamizol, Paracetamol), bei somatischen und insbesondere bei ossären Nozizeptor-
KVH • aktuell
Seite 36
Nichtopioide WHO Stufe I
Die Auswahl der Analgetika erfolgt nach der zu
Nichtopioide WHO-Stufe 1
Grunde liegenden Schmerzursache und -intensität.
Die Auswahlwerden
der Analgetika
erfolgt
nach den
der
Analgetika
schrittweise
gegen
zu
Grunde
liegenden
Schmerzursache
und
-inSchmerz titriert, wobei die Dosis so weit gesteigert
tensität.
Analgetika
werden
schrittweise
wird
bis die
Schmerzen
ausreichend
gelindertgegen
sind
den
Schmerz
titriert,
wobei
die
Dosis
so
weit
(Maximaldosis und Nebenwirkungen beachten).
gesteigert wird bis die Schmerzen ausreichend
Nach der WHO-Stufe I werden bei leichten
gelindert sind (Maximaldosis und NebenwirkunSchmerzen Nichtopioide verabreicht: Ibuprofen,
gen beachten). Nach der WHO-Stufe 1 werden
bei leichten Schmerzen Nichtopioide verabreicht:
Nr. 3 / 2008
Diclofenac, Naproxen, Paracetamol, Metamizol.
Bei viszeralen Nozizeptorschmerzen scheint die
Gabe von nichtsauren, antipyretisch wirksamen
Ibuprofen,
Paracetamol,
Analgetika Diclofenac,
(Metamizol, Naproxen,
Paracetamol),
bei somaMetamizol.
Bei
viszeralen
Nozizeptorschmerzen
tischen und insbesondere bei ossären Nozizeptorscheint
die Gabe
von nichtsauren,
antipyretisch
schmerzen
die Gabe
von nichtsteroidalen
Antiwirksamen
Analgetika
(Metamizol,
Paracetamol),
rheumatika (NSAR) von Vorteil zu sein [49, 50].
bei somatischen und insbesondere bei ossären
Nozizeptorschmerzen die Gabe von nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) von Vorteil zu sein
[49, 50].
Stufe
WHO
– Nicht-Opioid-Analgetikum
(nach(nach
[8, 116,
Tagesdosis
nach
StufeI 1nach
nach
WHO
– Nicht-Opioid-Analgetika
[8,117];
116,Maximale
117]; Maximale
Tagesdosis
nach
Fachinformationen).
Fachinformationen)
Nichtopioid
Paracetamol
Ibuprofen
Ibuprofen retard
Naproxen
Diclofenac
Diclofenac retard
Metamizol
Wirkdauer
(Std.)
Maximale
Tagesdosis
(mg/d)
Beratungsursache 7:
4-6 x Tumorschmerzen
500-1000 mg
4000und
p.o., rect., i.v.
4-6
auch
als 1000 mg Supp. Schmerzen
sonstige schwere
chronische
Applikation
p.o., rect., i.v.
p.o.
p.o.
p.o., rect., i.v.
p.o.
p.o., rect., i.v.
6-8
12
12
8-12
24
Dosierung (mg)
2-6 x 400, 1-3 x 800
2-3 x 800
Ì Opioide WHO-Stufe II
2 x 500
2-3 x 50-150
1 x 100
4-6
4-6 x 500-1000
Tumorschmerzen WHO Stufe II
Opioide WHO-Stufe 2
Bei unzureichender Analgesie oder bei mäßig
Bei unzureichender
oder bei mäßig
starken
Schmerzen Analgesie
wird die Therapie
nach starder
ken Schmerzen wird die Therapie nach der WHOWHO-Stufe II durch ein mittelstarkes Opioid wie
Stufe 2 durch ein mittelstarkes Opioid wie z. B.
z. B. Tramadol oder Tilidin ergänzt. Sollten TagesTramadol oder Tilidin ergänzt. Sollten Tagesdosen
dosen von 600 mg bei diesen Substanzen nicht
von 600 mg bei diesen Substanzen nicht ausreiausreichen,
starke Opioide
eingesetzt
chen, solltensollten
starke Opioide
eingesetzt
werden.
werden.
Bei
starken
tumorbedingten
Schmerzen
Bei starken tumorbedingten Schmerzen kommen
2400
2400
1250
150
150
4000
kommen häufig unter Umgehung der ersten beiden
Stufen sofort starke Opioide in Kombination mit
häufig
unter Umgehung
der ersten beiden
Nichtopioiden
zur Anwendung
[212].Stufen
Die
sofort starke Opioide in Kombination mit NichtoKombination von schwach wirkenden Opioiden
pioiden zur Anwendung [212]. Die Kombination
(Stufe II) mit stark wirkenden Opioiden (Stufe
von schwach wirkenden Opioiden (Stufe 2)
III) ist pharmakologisch nicht sinnvoll.
mit stark wirkenden Opioiden (Stufe 3) ist
pharmakologisch nicht sinnvoll.
37
Hausärztliche
Leitlinie
»Therapie
von
Schmerzen«
Version
3.03Maximale
28. Januar
2008
StufeII2nach
nach
WHO,
Opioide
gegen
mittelstarke
Schmerzen
[8,117];
116,
117];
TagesStufe
WHO,
Opioide
gegen
mittelstarke
Schmerzen
(nach(nach
[8, 116,
Maximale
I Tagesdosis
dosisFachinformationen)
nach Fachinformationen).
nach
Wirkstoff
Applikation
Wirkdauer
(Std.)
Dosierung (mg)
Maximale
Tagesdosis
(mg/d)*
Dihydrocodein
retard
p.o.
8-12
Tramadol
p.o. (Trpf.);
20 Tropfen = 50 mg
2-4
Tramadol Retard
p.o.
8-12
2-3 x 100-300
400
Tilidin-Naloxon
p.o. 20 Trpf. = 50 mg
2-4
bis 6 x 20-40 Trpf.
600
Tilidin-Naloxon
retard
p.o.
8-12
2 x 60-120 mg
Beginn: 5-6 x 10 Tropfen,
bis 6 x 20-40 Tropfen
2-3 x 100-200
Kps. (je 50-200 mg/d)
240
400
bzw. 160 Tropfen
600
zu dieser
Tabelle: Tabelle:
Die hier empfohlene
maximale
Tagesdosis ist ein Richtwert. Tagesdosen sollten nicht überschritten werden, es sei
** Hinweis
Hinweis
zu dieser
Die hier
empfohlene
denn, es liegen besondere Umstände dafür vor.
maximale Tagesdosis ist ein Richtwert. Tagesdosen sollten nicht überschritten werden, es sei
denn, es liegen besondere Umstände dafür vor.
KVH • aktuell
Nr. 3 / 2008
Tumorschmerzen WHO Stufe III
Obwohl Opioide auf vielfältige Weise invasiv und
nicht-invasiv
appliziert werden
Opioide WHO-Stufe
3 können, gilt bis zum
heutigen Tage die orale Morphingabe als StanObwohl Opioide auf vielfältige Weise invasiv und
dard [100]. Diese ist häufig auch in den letzten
nicht-invasiv appliziert werden können, gilt bis zum
Lebenstagen noch durchführbar. Morphin ist das
heutigen Tage die orale Morphingabe als Stanam häufigsten verabreichte und bevorzugt eindard [100]. Diese ist häufig auch in den letzten
zusetzende starke Opioid [100].
Lebenstagen noch durchführbar. Morphin ist das
wird
bei Patienten mit
starken
TuƒamZunehmend
häufigsten
verabreichte
und
bevorzugt
morschmerzen
auch
Hydromorphon
verwendet
einzusetzende starke Opioid [100].
Durch diewird
niedrigere
Plasmaeiweißbin [119].
Zunehmend
bei Patienten
mit starken
dung
sowie
die
geringere
Kumulation
aktiver verTumorschmerzen auch Hydromorphon
Metabolite
bei Patienten
mit niedrigere
Niereninsuffizienz
wendet [119].
Durch die
Plasmaeisind
Vorteile in Bezug
Nebenwirkungsweißbindung
sowie auf
die das
geringere
Kumulation
spektrum
denkbar [148,
aktiver Metabolite
bei 176].
Patienten mit Nierenin-
Seite 37
ƒ
Bei Schluckstörungen können Buprenorphin
und Fentanyl als transdermale Systeme angewendet werden [181].
für die Dosierung sind Schmerzƒ Richtgrößen
suffizienz sind Vorteile in Bezug auf das Nereduktion und Nebenwirkungen, das bedeutet,
benwirkungsspektrum denkbar [148, 176].
dass eine Maximaldosis für Opioide nicht fest Bei Schluckstörungen können Buprenorphin
gelegt werden kann.
und Fentanyl als transdermale Systeme angeEinige Patienten bedürfen sehr hoher
wendet werden [181].
umdie
eine
zufriedenstellende
Opioiddosen,
Richtgrößen für
Dosierung
sind SchmerzreSchmerzreduktion
zu
erreichen.
duktion und Nebenwirkungen; das bedeutet,
dass eine Maximaldosis für Opioide nicht festgelegt werden kann.
Einige Patienten bedürfen sehr hoher
Opioiddosen, um eine zufriedenstellende
Schmerzreduktion zu erreichen.
WHO
Stufe III,3,Opioide
gegen
starke
Schmerzen
(mod.(mod.
nach Gammaitoni
2003 [86]
und [86]
Gordon
WHO-Stufe
Opioide
gegen
starke
Schmerzen
nach Gammaitoni
2003
und1999
Gordon
[93],
Nauck [116]
AKdÄ
[8])
1999Klaschik,
[93], Klaschik,
Nauckund
[116]
und
AKdÄ [8]). Bei nötiger Überschreitung der Höchstverschreibungs*bei
nötiger
der Höchstverschreibungsmenge
auf dem
BtM-Rezept
die Deklaration
»A« sowie die
menge
istÜberschreitung
auf dem BtM-Rezept
die Deklaration »A«istsowie
die
Dokumentation
der Indikation
für
Dokumentation
die höhere Dosis
(z. B. in der Krankenakte) nötig
höhere Dosis der
(z. Indikation
B. in derfür
Krankenakte)
nötig.
Wirkstoff
Morphin
Applikation;
Tagesdosis (mg)
p.o., i.v., s.c., rect.;
Analgetische
Äquivalenz
Wirkdauer (Std.)
4
1
die
Anmerkung
bei s.c. oder i.v. Gabe
2-3 mal stärkere
6 x 5-500
Wirkung (first-pass
Effekt)
Morphin retard
Buprenorphin
2-3 x 10-500
8-12
1-2 x 20-500
12-24
s.l., i.v., i.m.;
6-8
1
60-70
und ț-Antagonist
3-4 x 0,2-1,2
Buprenorphin TTS
t.d.; 0,8-3,2
Partieller µ-Agonist
48-96
140 µg/h (ceiling
effect)
Fentanyl
t.m., s.c., i.v.
Fentanyl TTS
t.d.; 0,6-12
48-72
Oxycodon retard
p.o.; 2-3 x 10-400
8-12
1,5 -2
Hydromorphon retard
p.o., s.c., i.v.;
8-12
5-7,5
70-100
2-3 x 4-200
Opioid-Ängste
Ängste vor dem Einsatz starker Opioide bei Paleiniger
Grundsätze unbegründet.
Wichtig ist die Tatsache, dass der Schmerz der
physiologische Antagonist der gefürchteten
opioidbedingten Atemdepression ist.
Eine Atemdepression beispielsweise tritt nicht
auf, solange man sich mit der Opioiddosis an
dem Ausmaß der Schmerzreduktion orientiert.
Lebererkrankungen haben keinen wesentlichen
Einfluss auf den Metabolismus von Morphin
und pulmonale Vorerkrankungen stellen keine
Hausärztliche
Leitliniesind
»Therapie
von Schmerzen«
liativpatienten
bei der
Beachtung
ggf. vorteilhaft bei
Niereninsuffizienz
39
Kontraindikation für starke Opioide dar [100].
Version 3.03 einer
Januar 2008
Die mögliche Entwicklung
I 28.psychischen
oder physischen Abhängigkeit ist bei Palliativpatienten irrelevant.
Auch bei der Langzeittherapie mit Opioiden
kommt es zu keiner Schädigung von Organen
[100].
Wichtig: Das Auftreten von Übelkeit nach
Opioidgabe ist keine »Opioidunverträglichkeit« sondern eine typische, behandelbare
Nebenwirkung und kein Grund zum Absetzen
der Opioidmedikation (s. u.) [40].
Seite 38
KVH • aktuell
Nr. 3 / 2008
Dosisfindung bei Einleitung einer Opioidtherapie
Die orale Gabe von Morphin ist nach wie vor der
Goldstandard bei der Einleitung einer Therapie
mit starken Opioiden [100, 232].
Während in der Klinik mit nicht-retardierten
Morphinen die Dosisfindung durchgeführt wird,
wird in der ambulanten Praxis aufgrund der
anderen Rahmenbedingungen in der Regel mit
retardierten Morphinen (zweimal tgl.) oral begonnen.
Nach Abschluss der Dosisfindung mit
kurzwirksamen Morphinen wird schon in
der Klinik auf eine lang wirksame MorphinRetardtablette bzw. -Kapsel im Verhältnis 1:1
des Tagesbedarfs umgestellt. Hat der Patient
bisher 10 mg Morphin oral alle vier Stunden
erhalten, entspricht dies einer Tagesdosierung von 60 mg. Der Patient erhält demzufolge 2 x 30 mg retardiertes Morphin.
Als Bedarfsmedikation für Durchbruchschmerzen erhält der Patient 1/6 der Opioid-
Tagesdosis des gleichen Wirkstoffs als Lösung oder schnellfreisetzende Tablette. Diese
wird bei Schmerzen, jedoch nicht häufiger als
stündlich genommen. Benötigt der Patient
sehr häufig eine Zusatzmedikation wird der
Tagesbedarf entsprechend angepasst und
die Bedarfsmedikation auf 1/6 der neuen
Tagesdosis erhöht [147]. Da die Angaben zur
Höhe der benötigten Bedarfsmedikation in
der Literatur divergieren, kann abhängig von
der schmerztherapeutischen Erfahrung des
Behandelnden die notwendige Dosis (1/12
bis 1/3) im Einzelfall auch davon abweichen
[167, 173] (zum Durchbruchschmerz s. u.).
Bei ambulanter Behandlung wird je nach Zustand und Vorbehandlung des Patienten unmittelbar mit 2 x 10 mg bis 2 x 30 mg retardiertem
Morphin begonnen. Die Verordnung einer Bedarfsmedikation mit schnell wirksamem Morphin
ist jedoch ebenfalls notwendig [232].
Transdermale Therapiesysteme
Ist aufgrund von Schluckstörungen eine orale
Medikation nicht möglich, so können transdermale Therapiesysteme eine Alternative sein.
Dabei ist zu beachten, dass stabile Plasmaspiegel
erst nach 12 bis 24 Stunden erreicht werden.
Nach Entfernen des Pflasters ist die Eliminationshalbwertszeit ebenso lang [181].
Für die Einstellung auf die transdermale Opioidapplikation hat sich folgendes Verfahren
bewährt:
Patienten können zunächst mit einem anderen
Opioid der WHO-Stufe III wie Morphin eingestellt werden, und nach Erreichen einer stabilen
Dosis auf das transdermale System umgestellt
werden.
Für Umrechnung von einer Vorbehandlung
mit oralem Morphin wird für Fentanyl ein
Faktor von 100:1, für Buprenorphin von 50:1
empfohlen.
Von einer Tagesdosis von 60 mg Morphin
sollte also auf 0,6 mg Fentanyl (25 µg/h) oder
1,2 mg Buprenorphin (52,5 µg/h) pro Tag
umgestellt werden [177]. Dies gilt für Pflaster,
die alle drei Tage gewechselt werden. Eine
individuelle Anpassung ist erforderlich. Eine
gute Hilfestellung geben Umrechnungstabellen der Hersteller.
Zunehmende Schmerzspitzen am dritten Tag
können Zeichen einer insgesamt nicht ausreichenden Schmerzlinderung sein [66]. In diesem
Fall sollte zunächst eine Dosiserhöhung erwogen
werden.
Auch Patienten, die bisher nicht unter starken
Schmerzattacken litten, muss eine Zusatzmedikation mit einem schnell wirksamen Opioid
(z. B. oral oder subkutan appliziertes Morphin,
Fentanyl-Stick) verschrieben werden, damit sie es
für möglicherweise neu auftretende Schmerzattacken zur Verfügung haben. Als Bedarfsmedikation für Durchbruchschmerzen erhält der Patient
wie oben dargestellt 1/6 der Opioid-Tagesdosis
z. B. umgerechnet auf schnellfreisetzendes Morphin als Lösung oder Tablette (nicht häufiger als
stündlich). Im klinischen Alltag scheint vor allem
bei höheren transdermalen Fentanyldosen eine
vorsichtigere Umrechnung auf die Bedarfsmedikation sinnvoll.
Erfahrung: Transdermale Systeme wirken vor
allem bei terminal Kranken und kachektischen
Patienten häufig nur unzuverlässig. Daher kann
bei Palliativpatienten auch immer über die subkutane Applikation der Opioide (z. B. über eine
Butterflykanüle unter einer Folie etwa am Oberarm), entweder vierstündlich und bei Bedarf
beziehungsweise kontinuierlich über eine Pumpe
mit Bolusfunktion nachgedacht werden.
KVH • aktuell
Nr. 3 / 2008
Wichtige Hinweise an Patienten:
Pflaster darf erst nach drei Tagen gewechselt
werden, das alte Pflaster ist zu entfernen (wg.
evtl. Restwirkung!),
kein Heizkissen/keine Wärmeflasche auflegen, keine langen heißen Bäder,
bei Fieber mit Arzt Kontakt aufnehmen.
Wichtige Hinweise an den Arzt:
Bei Patienten mit Opioidpflastern sollte bei
Auftreten von hohem, länger anhaltendem
Fieber auf retardierte Opioide umgestellt
werden.
Bei erstmaliger Verordnung von Opioiden
Seite 39
nicht gleich mit Pflastern beginnen (s. Hinweis zur Einstellung auf transd. Opioide),
da es zu Überdosierung und ggf. zu starken
Nebenwirkungen kommen kann.
Membranpfaster dürfen nicht geteilt werden
(Intoxikationsgefahr durch Austritt des Wirkstoffes). Matrixpflaster sind technisch teilbar
bei Gefahr von Dosierungsungenauigkeiten;
allerdings ist die Teilung arzneimittelrechtlich
nicht zugelassen und damit off-label.
Patienten müssen über Wirkung und Anwendung ausführlich informiert werden, um
Falschanwendung zu vermeiden.
Behandlung der Durchbruchschmerzen
Diese Schmerzen treten zusätzlich zum Daugruppe wegen späterem Wirkungseintritt nicht
erschmerz auch unter Opioidtherapie auf und
empfohlen.
Schnelle Wirkung erwünscht, z. B. Morphin
können wenige Minuten, aber auch länger anhalDurchbruchBei Durchbruchschmerzen
Dosis
Grundanalgesie überprüft
und
i.v.,
s.c.,derMorphintropfen,
nichtretardierte
ten
[8]. AuslösendeƒFaktoren
sind Bewegungensollte die
schmerzen
angepasst werden!
Morphintabletten, Fentanyl-Stick
(z.B.
bei Umlagerung, Körperhygiene)
oder auch
Immerein
einschnell
schnellwirkendes
wirksames Opioid
Buprenorphin
wird
von der Appliƒ sollte
1/6verwenden!
der aktuellen
Tagesdosis
derselben
Schlucken. Der Patient
Leitliniengruppe
späterem Wirkungseintritt
nicht
empfohlen.
kationsart; sonst
umrechnen
Opioid zur Verfügung haben
(beachtenwegen
Sie hierzu
Schnelle
Wirkung
erwünscht,
z.
B.
Morphin
i.v.,
s.c.,
Morphintropfen,
Eine
orale
Wiederholung
ist stündlich möglich!
die untenstehende Tabelle).
ƒ
Bei mehrfacher Gabe ist die Grundanalgesie
nichtretardiert Morphintabletten, Fentanyl-Stick
anzupassen.
Behandlungsgrundsätze:
1/6
der
aktuellen
Tagesdosis
derselben
Applikationsart; sonst umrechnen
ƒ
Bei Durchbruchschmerzen
sollte
die
Dosis
Die
erforderliche
gegen
den
mehrfacher Gabe
ist die
ƒ Eine orale Wiederholung ist stündlich möglich! Bei Escape-Dosis
der GrundanalgesieGrundanalgesie
überprüft und angepasst
Durchbruchschmerz
erscheint
manchmal
hoch
anzupassen.
werden!
(s. Tab.),
immer mit der
GesamttagesEscape-Dosis gegen
den deshalb
Durchbruchschmerz
erscheint
ƒ Die erforderliche
Immer ein schnell wirksames
Opioid
verwendosis
vergleichen,
ein
guter
Wirkungseintritt
manchmal hoch (s. Tab.), deshalb immer mit der Gesamttagesdosis vergleichen,
den! Buprenorphin wird von der Leitlinienbestätigt die richtige Therapie.
ein guter Wirkungseintritt bestätigt die richtige Therapie.
Starkwirkende Opioide gegen Durchbruchschmerz (Escape) und akute Dyspnoe [17]
Medikament
Applikation
Wirkung
nach
Wirkdauer
z. B. bei
Tagesdosis
Escape
Dosis:
Dosierungsintervall
ggf. alle ... Minuten
Morphin
oral
20-60 min
4-6 h
300 mg
50 mg
60 min
s.c.
15-30 min
4-5 h
120 mg
20 mg
30 min
i.v.
1-5 min
4-5 h
120 mg
20 mg
5 min
buccal
10-30 min
1-2 h
100 µg/h
200 µg oder
mehr
Sticks anwenden,
bis zur Besserung
Intranasal
1-2 min
1-2 h
100 µg/h
200 µg
5 min
i.v.
1-2 min
1-2 h
100 µg/h
200 µg
5 min
oral
15-30 min
4-5 h
16 mg
2,6 mg
60 min
s.c.
15-30 min
4-5 h
12 mg
2 mg
30 min
i.v.
1-5 min
4-5 h
12 mg
2 mg
5 min
Fentanyl*
Hydromorphon
Buprenorphin
Wegen der langen Wirkdauer und wegen Partialantagonismus gegen Durchbruchschmerzen von der Leitliniengruppe nicht empfohlen.
*Die Leitliniengruppe empfiehlt bei einer Basistherapie mit Fentanylpflastern eine Kupierung des Durchbruchschmerzes mittels Morphin.
Ì Nichtmedikamentöse Maßnahmen
Ì Arzneitherapie
Ì Opioidängste
KVH • aktuell
Seite 40
Nr. 3 / 2008
Nichtmedikamentöse Maßnahmen, Arzneitherapie
Maßnahmen, die der Arzneitherapie vorangehen
oder diese unterstützen
Arzneitherapie
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Grundlage der medikamentösen Therapie ist das
Stufenschema der WHO
Prinzipiell zu beachten ist:
ƒ Möglichst orale Einnahme (retardierte Präparate)
ƒ Einnahmeschema mit festen Zeiten entwerfen
ƒ Bedarfsmedikation für Durchbruchschmerzen
festlegen [172] {B, III}
Ì An
Nebenwirkungen
Therapie unerwünschter
Arzneimittelwirƒ Opioidbedingte
kungen denken: Verordnung von Laxans (z. B.
Lactulose 1 bis 3 Esslöffel/Tag [230] {B}) und
Antiemetikum (z. B. MCP) bei Opiaten [41] {B}
ƒ Unbedingt BtM-Rezepte bereithalten!
ƒ
ƒ
Ursachenbekämpfung
Psychologische Führung [58] {A, Ia}
Aktivierende Pflege
Ausreichende Flüssigkeitsgabe
Angepasste kalorienreiche Ernährung [28] {eR}
Erreichbarkeit des Arztes organisieren, um dem
Patienten die Angst vor Verlassensein und
Verschlimmerung zu nehmen
Schmerztagebuch [82] {B, eR}
Aufklärung über Wirkung der Opioide, Patientenedukation [56] {A, Ib}
Beratungsursache 7:
Tumorschmerzen und
sonstige schwere chronische Schmerzen
Opioid-Ängste
Opioidbedingte
Nebenwirkungen
Opioidbedingte
Ängste
vor dem EinsatzNebenwirkungen
starker Opioide bei PalliaUnter einer Therapie mit Opioiden können zahltivpatienten
bei dermit
Beachtung
GrundUnter einersind
Therapie
Opioideneiniger
können
zahlreiche Nebenwirkungen auftreten, die eine Besätze
unbegründet.
reiche
Nebenwirkungen auftreten, die eine Begleittherapie notwendig machen. Hierüber sollte
gleittherapie
notwendig
sollte
Wichtig ist die
Tatsache,machen.
dass der Hierüber
Schmerz der
ƒjeder
Patient
Beginn
der
Behandlung
jeder
Patient vor
vor dem
dem
Beginnder
dergefürchteten
Behandlung aufaufphysiologische
Antagonist
geklärt
werden.
Die
häufigsten Nebenwirkungen
Nebenwirkungen
geklärt
werden.
Die
häufigsten
opioidbedingten Atemdepression ist.
sind
initiale
Sedierung,
Übelkeit,
Erbrechen
und
sind
initiale
Sedierung,
Übelkeit,
Erbrechen
Eine
Atemdepression
beispielsweise
tritt
nicht
ƒeine
anhaltende
Obstipation.
Zusätzlich
können
und
anhaltende
Obstipation.
Zusätzlich
auf,eine
solange
man sich mit
der Opioiddosis
an
Juckreiz,
Schwitzen,Schwitzen,
Mundtrockenheit,
Harnverhalt
können
Juckreiz,
Mundtrockenheit,
dem Ausmaß der Schmerzreduktion orientiert.
oder
unwillkürlichen
muskulären Zuckungen
(MyoHarnverhalt
oder unwillkürliche
muskulären
ZuLebererkrankungen haben keinen wesentlichen
ƒklonien,
ckungens.(Myoklonien,
s.
Anhang)
auftreten
[118].
Anhang) auftreten [118]. Die meisten
Einfluss auf den Metabolismus von Morphin
Die meisten Nebenwirkungen
treten bei TheraNebenwirkungen
treten bei Therapiebeginn
und
und pulmonale
Vorerkrankungen
stellen keine
piebeginn
und
nach
Dosiserhöhungen
auf.
Die
nach Dosiserhöhungen auf. Die initiale Sedierung
Kontraindikation
für
starke
Opioide
dar
[100].
initiale
Sedierung
lässt
in
der
Regel
nach
einigen
lässt in der Regel nach einigen Tagen nach und
Tagen
nach
und und muss
nicht
und
muss
normalerweise
nichtnormalerweise
behandelt werden.
behandelt werden. Bei anhaltender VigilanzminBei anhaltender Vigilanzminderung sollte aber eine
derung sollte aber eine Reduktion der Opioiddosis,
Reduktion der Opioiddosis, eventuell eine Ändeeventuell eine Änderung des Applikationsinterrung des Applikationsintervalls, die Überprüfung
valls, die Überprüfung anderer Arzneimittel oder
anderer Arzneimittel oder ein Opioidwechsel
(Opioidrotation, s.o.) erwogen werden [40].
Die mögliche Entwicklung einer psychischen
Ćbelkeit
und Erbrechen sollten vom ersten Tag
oder physischen Abhängigkeit ist bei Palliativeiner Opioidtherapie mitbehandelt beziehungsirrelevant.
ein patienten
Opioidwechsel
(Opioidrotation, s.o.) erwogen
weise verhindert werden.
Auch
bei
der
Langzeittherapie
mit Opioiden
werden
[40].
ƒƒ Mittel der ersten Wahl sind z. B.
Neuroleptika
kommt es zu keiner Schädigung von Organen
wie Haloperidol (3 x 0,3-0,5 mg/d) oder MetoÜbelkeit
[100]. und Erbrechen sollten vom ersten Tag
clopramid
(5 x 10 mg).
einer
Opioidtherapie
mitbehandelt
beziehungsDas Auftreten
von Übelkeit
nach
ƒƒ Wichtig:
Darüber
hinaus
können selektive Serotoninweise
verhindert
werden.
Opioidgabe ist keine »Opioidunverträgantagonisten,
Antihistaminika
oder
lichkeit«
Mittel
dersondern
ersten
Wahl
sind z.
B. Steroide
Neuroleptieine
typische,
behandelbare
eingesetzt
werden (s.(3
Gastrointestinale
Sympka
wie
Haloperidol
x
0,3-0,5
mg/d)
oder
Nebenwirkung und kein Grund zum Absetzen
tome/Übelkeit
und
­M
etoclopramid
(5 Erbrechen).
x 10 mg).
der Opioidmedikation (s. u.) [40].
Darüber hinaus können selektive Serotonin­
oder Steroide
Dieantagonisten,
Inzidenz von Antihistaminika
Übelkeit und Erbrechen
nimmt
eingesetzt
werden
(s.
Gastrointestinale
Sympmit der Therapiedauer kontinuierlich ab. Selten betome/Übelkeit
und Erbrechen).
steht
dieses Problem
länger als eine Woche.
Daher
sollte von
die prophylaktische
Antiemesenimmt
für 7Die
Inzidenz
Übelkeit und Erbrechen
mit
Therapiedauer
kontinuierlich
ab. Seltenoder
be10 der
Tage
fortgeführt werden.
Bei ausgeprägter
steht
dieses
Problem
länger
als
eine
Woche.
Daher
langanhaltender Symptomatik kann aber neben
sollte
die prophylaktische
Antiemese
fürein
7-10
Tage
der medikamentösen
Therapie
auch
Opioidfortgeführt
werden. Bei
ausgeprägter
wechsel in Erwägung
gezogen
werden. oder
Beispiele für die Behandlung und Prophylaxe der opioid-induzierten Übelkeit (mod. nach
Cherny [40])
Beispiele
für die Behandlung und Prophylaxe der opioid-induzierten Übelkeit (mod. nach Cherny [40])
Antiemetikum
Applikation
Dimenhydrinat
p.o., rect., i.v.
Metoclopramid
p.o., s.c., i.v.
Haloperidol
p.o., von
s.c.,Schmerzen«
i.v.
Hausärztliche
Leitlinie »Therapie
Levomepromazin p.o., s.c., i.v.
Ondansetron
p.o., s.c., i.v.
Dexamethason
p.o., s.c., i.v.
Darreichungsform
Amp., Supp., Drg.
Trpf., Tbl., Amp.
Trpf., Amp.
Trpf., Amp.
Tbl., Amp.
Amp., Tbl.
Dosis
[mg/d]
150-450
50
1,5
6-12
4-8
Wirkort
B
G, C
C
Version 3.03
I
40
28. Januar 2008
C, G
4-8
p.o.: oral;
i.v.: intravenös;
s.c.: subkutan;
rect.:subkutan;
rektal; Amp.:rect.:
Ampullen;
Tbl.: Tabletten;
Dragees; Tbl.:
Supp.: Zäpfchen.
p.o.:
oral;
i.v.: intravenös;
s.c.:
rektal;
Amp.: Drg.:
Ampullen;
Tabletten; Drg.: Dragees,
Wirkorte:Zäpfchen;
G = Gastrointestinal,
C =GChemorezeptorentriggerzone,
= Brechzentrum
Supp:
Wirkorte:
= Gastrointestinal, C = B
Chemorezeptorentriggerzone,
B = Brechzentrum
Obstipation
Ballaststoffreiche Kost, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und körperliche Aktivität sind bei der
sollte vom ersten Tag einer Opioidbehandlung mit
osmotisch wirksamen Laxantien wie Lactulose,
Macrogol oder Natriumpicosulfat durchgeführt wer-
Nr. 3 / 2008
KVH • aktuell
Seite 41
Beratungsursache 7:
langanhaltender Symptomatik kann aber neben ten oft Tumorschmerzen
nicht durchführbar. Die Prophylaxe
der
und
der medikamentösen Therapie auch ein Opioid- opioid-induzierten Obstipation sollte vom erssonstige
chronische
Schmerzen
wechsel in Erwägung gezogen
werden. schwere
ten Tag
einer Opioidbehandlung
mit osmotisch
Obstipation: Ballaststoffreiche Kost, ausreichende Flüssigkeitszufuhr und körperliche Aktivität sind bei der Therapie und Prophylaxe der
Obstipation hilfreich, jedoch bei Palliativpatien-
wirksamen Laxantien wie Lactulose, Macrogol
oder
Natriumpicosulfat
durchgeführt
werden
Ì Zusatzmedikation
bei starken
Schmerzen
(s. Gastrointestinale Symptome/Obstipation).
Es empfiehlt sich, das Laxans auf dem BtMRezept mit aufzuschreiben.
Zusatzmedikation
Indikation
Medikament
Dosierung
Obstipation
Lactulose, Macrogol
3 x 2 EL, bzw. 2-3 x 1 Btl.
Übelkeit (insbesondere bei
Therapiebeginn)
Metoclopramid
3 x 10 mg Tbl.; 15-30 Trpf./d
evtl. Haloperidol
3 x 0,5-1 mg (1 ml = 20 Trpf. =
2 mg)
Dexamethason
4-16 mg/d
Loperamid (nicht sinnvoll unter
Morphintherapie)
z. B. 1-2 Kps. oder 4 x 2 mg
Lsg./Trpf.
Tinctura opii
z. B. 3 x 15 Trpf. bzw. nach
Wirkung
Durchfälle
Depression, Angst, Unterstützung der Clomipramin
analgetischen Wirkung
Amitriptylin
Doxepin
Einschießende Nervenschmerzen
3 x 25 mg
25-100 mg abends
25-100 mg abends
Carbamazepin
Gabapentin
Bei Weichteilschwellung, Infiltrationen Prednisolon
und Nervenkompressionen (z. B.
Dexamethason (besonders bei
Kopftumoren, Hepatomegalie,
Wirbelsäulenmetastasen, HirnPleurametastasen, WS-Metastasen) ödem)
bis 800 mg/d
bis 1800 mg/d
15-30 mg
Muskelspasmen
bis 3 x 5 mg
Diazepam
bis 4-16 mg/d
45
KVH • aktuell
Seite 42
Nr. 3 / 2008
Die Effizienz der Schmerzbehandlung
Die untenstehende Tabelle zeigt, dass die NNT
Die
Tabelle zeigt,
dass zwischen
die NNT 2beim
beimfolgende
akuten Schmerz
für NSAR
und
3 liegt.Schmerz
Das bedeutet,
dass
sich die
Wirkstoffe
akuten
für NSAR
zwischen
2 und
3 liegt.
nichtbedeutet,
nennenswert
derdie
Wirkung
unterscheiden.
Das
dass in
sich
Wirkstoffe
nicht nenFür die Auswahl
des Präparates
gelten somit
die
nenswert
in der Wirkung
unterscheiden.
Für die
Kriterien
Interaktion,
Begleiterkrankung,
WirtAuswahl des Präparates gelten somit die Kriterien
schaftlichkeit.
Interaktion,
Begleiterkrankung, Wirtschaftlichkeit.
Oxford league table of analgesic efficacy:
Die NNT Werte in der untenstehenden Tabelle
Oxford
leaguefür
table
analgesic
efficacy die in
sind
berechnet
denofAnteil
der Patienten,
randomisierten
Doppelblindstudien
Vergleich
zu
Die NNT Werte
sind berechnet fürim
den
Anteil der
Placebo
überdie
4-6inh mindestens
50 Prozent
weniger
Patienten,
randomisierten
DoppelblindstuSchmerzen
hatten. zu
Es Placebo
wurde eine
Dosis
dien im Vergleich
übereinzelne
4-6 h mindebei
leichtem
bis
schwerem
Schmerz
gegeben.
Es
stens 50% weniger Schmerzen hatten. Es wurde
erfolgte
eine
orale
Applikation
(außer
wenn
anders
eine einzelne Dosis bei leichtem bis schwerem
angegeben); Dosis in mg.
Schmerz gegeben. Es erfolgte eine orale Applikation (außer wenn anders angegeben); Dosis in mg.
Oxford league table of analgesic efficacy (mod. nach [15])
Oxford league table of analgesic efficacy (mod. nach [15])
Analgesic and dose (mg)
Number of Percent with
patiens in
at least 50%
comparison
pain relief
Paracetamol 1000 + Codeine 60
Diclofenac 50
Naproxen 440
Ibuprofen 400
Pethidine 100 (intramuscular)
Morphine 10 (intramuscular)
Naproxen 550
Naproxen 220/250
Paracetamol 500
Paracetamol 1000
Paracetamol 600/650 + Codeine 60
Paracetamol 600/650
Tramadol 100
Tramadol 75
Aspirin 650 + Codeine 60*
Paracetamol 300 + Codeine 30
Tramadol 50
Codeine 60
Placebo
NNT
Lower
confidence
interval
Higher
confidence
interval
197
738
257
4703
364
946
169
183
561
2759
1123
1886
882
563
598
379
770
1305
57
63
50
56
54
50
46
58
61
46
42
38
30
32
25
26
19
15
2.2
2.3
2.3
2.4
2.9
2.9
3.0
3.1
3.5
3.8
4.2
4.6
4.8
5.3
5.3
5.7
8.3
16.7
1.7
2.0
2.0
2.3
2.3
2.6
2.2
2.2
2.2
3.4
3.4
3.9
3.8
3.9
4.1
4.0
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2.9
2.7
2.9
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9.8
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48.0
>10,000
18
N/A
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deutschen
Markt z.Markt
B. als 500/30
** auf
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dem
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z. B. verfügbar
als 500/30 verfügbar
59
Hausärztliche Leitlinie
»Therapie von Schmerzen«
Version 3.03
I
28. Januar 2008

Tischversion
Seite 3
Alter - Teil
2
KVH • aktuell
Stürze
ƒ häufig: ein Drittel der Menschen über 65 Jahre
stürzt pro Jahr einmal und öfter
ƒ alterstypisch: in der seitlichen Sturzrichtung nahezu
exklusiv ein Altersphänomen
Bei alten Menschen regelmäßig das Risiko für
Stürze überprüfen (geriatrisches Assessment)
sowie nach Stürzen oder Beinahestürzen in den
letzten Monaten fragen.
Ziele des Sturzrisikoassessments
ƒ Indikationsstellung zu therapeutischen und
präventiven Maßnahmen
ƒ individuelle Therapieplanung (differenziert nach
multifaktoriell bedingten Balancestörungen)
Diagnostik/Instrumente
ƒ Anamnese: Fragen nach Tätigkeit/Aktivität
unmittelbar vor dem Sturz, nach Tageszeit
Früheren Stürzen, empfundener Gangunsicherheit
Nach Einschränkungen bei den Aktivitäten des
täglichen Lebens
ƒ Medikamentenanamnese
ƒ Internistischer/neurologischer Status
ƒ Geriatrisches Asessement
ƒ Sturzrisiko ermitteln (Verfahren, Internetlinks s.o.)
ƒ Ggf. weitere Diagnostik
Sturzfolgen
ƒ in 5% Frakturen, in 12 - 20% weitere schwere
Verletzungen, dauerhafte Pflegebedürftigkeit
ƒ Sturzangst, Verlust von Selbstvertrauen
ƒ soziale und lokomotorische Reduktion /
Dekonditionierung
Risiken und Präventionsmaßnahmen
Sturzassoziierte Merkmale und Risiken
ƒ Schlechte Beleuchtung
ƒ Bodenbelag, Stolperschwellen
ƒ Fehlende Handläufe
ƒ Ungeeignete Schuhe
ƒ Positive Sturzanamnese
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Balance- und Gangstörung
(Tandemgang/stand, Timed up & go)
Kraftdefizit (Aufstehtest)
Visus- und Hörminderung
Erkrankungen mit Sturzrisiken wie Parkinson,
Demenz, Depression, Zustand nach Apoplex,
Muskelatrophie, Kachexie, Schwindel,
Alkoholabusus
Psychopharmaka und/oder andere sturzbegünstigende Medikamente: Trizyklische
Antidepressiva, SSRI, Benzodiazepine,
Antikonvulsiva; sind kausal, dosisabhängig
Ungeeignete Aufbewahrung von Alltagsgegenständen
Verwendung riskanter Hilfsmittel (Stuhl statt
Trittleiter), unsicherer Umgang mit Hilfsmitteln
Präventionsmaßnahmen
ƒ Wohnraumbegehung und Anpassung der
häuslichen/institutionellen Umgebung, z.B. bessere
(Nacht-) Beleuchtung, Handgriffe; Anti-Rutschmatten
ƒ
ƒ
Feste Schuhe, Stoppersocken, Gehhilfen
Frakturpräventive Maßnahmen, Überprüfung der
Ernährung, ausreichende Vitamin D/Kalzium-Aufnahme
ƒ
Balance- und Krafttraining
ƒ
Kontrolle von Visus und Hörvermögen
ƒ
Ggf. Mitbehandlung/Konsil durch Spezialisten
ƒ
Überprüfung / Anpassung der Medikation
ƒ
ƒ
Beratung, präventive Hausbesuche
Techniktraining
Korrespondenzadresse
Ausführliche Leitlinie im Internet
Hausärztliche Leitlinie
PMV forschungsgruppe
Fax: 0221-478-6766
Email: [email protected]
http:\\www.pmvforschungsgruppe.de
www.pmvforschungsgruppe.de
> publikationen > leitlinien
www.leitlinien.de/leitlinienanbieter/deutsch/pdf/
hessenalter
» Alter - Pharmakotherapie im
Alter, Teil 2«
Tischversion 1.0 Aug. 2008
info.doc Verlag GbR, Pfingstbornstr. 38, 65207 Wiesbaden
PVSt Deutsche Post AG,
Entgelt bezahlt,
68689
Tischversion
Tischversion
Epidemiologische Studien zeigen einen Zusammenhang
zwischen dem Auftreten von Herz-Kreislauferkrankungen
Körperliche Aktivität im Alter
Mit zunehmendem Alter kommt es zu einem Verlust an
der HDL- und LDL-Werte stellen jedoch nur einen von
körperlicher Leistungsfähigkeit (Fitness). Für die
mehreren Risikofaktoren dar. Deshalb empfiehlt sich für
Fitness sind Kraft, Koordination, Ausdauer und Bewegden Hausarzt bei Vorliegen einer Dyslipidämie die Einteilung
lichkeit maßgeblich. Im höheren Lebensalter nehmen
in eine Risikogruppe anhand von systematischen Algovor allem Kraft und Koordination, weniger die Ausrythmen oder Scores (NCEP, PROCAM). Somit erfolgt eine
dauer ab. Daher sollte man geriatrischen Patienten ein
Abschätzung des Risikos für kardiovaskuläre Ereignisse
Training empfehlen, das vor allem diese Qualitäten
(10-Jahresrisiko) und darauf die Festlegung der Behandberücksichtigt.
und hohen Serumcholesterinwerten. Diese bzw. die Höhe
lungsstrategie mit dem Patienten. Für die Risikoeinstufung
Hinweise
orientiert
sich die Leitliniengruppe Hessen an der folgenden
des Trainings
Hinblick
ƒ Vor Aufnahme
Einteilung
der NCEP
(National Anamnese
Cholesterol im
Education
auf
kardiovaskuläre
Risiken,
klinische
UnterProgram des National Heart, Lung, and Blood Institute,
suchung, EKG, ggf. Ergometrie, ggf. kleines Labor
http://www.nhlbi.nih.gov/guidelines/cholesterol/index.htm):
(keine GKV-Leistungen).
1. Hohes Risiko (10-Jahresrisiko über 20%): a) Bestehende
ƒ Die motorische Funktionsfähigkeit lässt sich durch
koronare Herzkrankheit (KHK), b) KHK-Äquivalente, c)
einfache Tests beurteilen (s. geriatrisches BasisDiabetes mellitus, d) 2 oder mehr Risikofaktoren**:
assessment: Aufstehen vom Stuhl, Gehen über
2. Mäßig hohes Risiko (10-Jahresrisiko 10-20%): •2 Risikoeine definierte Strecke, Treppensteigen, Gleichfaktoren* bei errechnetem Risiko**.
gewichtstest: beid- und einbeinig, mit offenen und
3. Moderates Risiko (10-Jahresrisiko < 10%): •2 Risikogeschlossenen
Augen
aktoren*
bei errechnetem
Risiko**.
4.Krafttraining
Niedriges Risiko: 0-1 Risikofaktor*
*Risikofaktoren:
Zigaretten
rauchen, Erwärmung
Hypertonie, niedriges
Vor Belastung
gewissenhafte
HDL-Cholesterin unter 40mg/dl, familiäre Belastung mit
(lockernde Gymnastik, leichtes Traben)
vorzeitiger KHK, Alter (Männer über 45 Jahre, Frauen über
Festlegung der Trainingsbelastung nach einer dem
55 Jahre); **errechnetes Risiko: Bsp. mit PROCAM Score
Alter angepassten Pulsfrequenz (180 minus
(s. Rückseite) oder elektronischem NCEP-Risikokalkulator
Lebensalter bei physiologischer Kreislaufregulation)
Anmerkung: Diabetiker ohne KHK oder KHK-Äquivalente
Belastungen
etwa 60% profitieren
der Maximalkraft
und Mit
ohne
zusätzliche von
Risikofaktoren
bei einem
gegen
einen- Widerstand
trainieren
(dies entspricht
LDL<115
mg/dL
laut der jetzigen
Studienlage
- nicht von
Gewicht,
nach
dessen 10-maligem Heben
einereinem
Therapie
mit einem
CSE-Hemmer.
Fettstoffwechselstörung Dyslipidämie Alter - Teil 2
ƒ
Einhaltung von diätetischen Empfehlungen für eine
„Herzgesunde Ernährung“
Zunächst ist häufig ein Krafttraining notwendig, um
Nur mäßiger Konsum von Alkohol und Vermeidung von
Ausdauerbelastung
zu ermöglichen.
Nikotin
ƒ
Günstige Seniorensportarten
für Ausdauertraining
Indikationsstellung
für eine medikamentöse
Therapie
Spazierengehen,
Walking,
Wandern,
Umfassende, unmittelbare medikamentöseBergwandern,
Behandlung
Schwimmen,
Radfahren,
Laufen,
Joggen,
Heimaller
Patienten mit
hohem Risiko
(Gruppe
1: 10-Jahrestraining,
Tischtennis,
Tanzen
risiko >20%) und Anstreben eines LDL von 100 mg/dl.
Medikamentöse Therapie bei Patienten der Gruppe 2
und 3unter
nach Anleitung
individueller Entscheidung unter BerückSport
sichtigung
der Rücken-,
LipidwerteWassergymnastik,
und nach ErprobungFitnesslebensstilGymnastik,
ändernder
Maßnahmen.
gymnastik,
Entspannungstraining, Nordic-Walking,
Für
Patienten der
Risikogruppe
4 (0-1 Golf
Risikofaktor) sind
Skilanglauf,
Skiwandern,
Tennis,
lebensstilmodifizierende Maßnahmen im Allgemeinen
Link http://www.richtigfitab50.de
ausreichend.
ƒƒ
ƒ
ƒ
ƒ
Je
nach Risikogruppe
wird ein LDL von
100 mg/dL (Gruppe
Hausärztliches
geriatrisches
Basisassessment
1),
130 mg/dL (Gruppe
2+3) bzw. 160 mg/dL
4) und
Untersuchung
und Dokumentation
von (Gruppe
Funktionsangestrebt.
Fähigkeitsstörungen mit Quantifizierung der Störung
mittels standardisierter
Beurteilt
werden
Arzneimittelauswahl:
EsTestverfahren.
sollten Wirkstoffe
eingesetzt
ƒ
(Demenz)
ƒ Hirnleistung
vorliegen
(Simvastatin,
Pravastatin). Für Simvastatin (20 mg
Fähigkeit
zur
selbstständigen
Erfüllung
der Kriterien
ƒ 40 mg) und Pravastatin
und
(40 mg) ist
eine Senkung
sowohl
Sturzgefahr
werden,
für die Endpunktstudien mit günstiger NNT und NNH
der Aktivitäten des
Lebens (ATL) unter
der Gesamtmortalität
als täglichen
auch der kardiovaskulären
Morta-
ƒ
Berücksichtigung
des kardiopulmonalen
und
neurolität belegt.
Bei Multimorbidität
und Multimedikation
sollte
die
ƒ
und Affekte,
inkl. Sehen
und Hören und der Beurbesonders
streng gestellt
werden.
ƒ
der Trainierende erschöpft ist)
“International Task Force for
Durchgang: 8-10 Wiederholungen)
ƒ Jede Übung (jenach
Prevention of Coronary Heart Disease”:
sollte nach 1 Minute Pause einmal bis dreimal
Basis sind nichtmedikamentöse Maßnahmen, die auf eine
durchgeführt werden
Veränderung des Lebensstils zielen:
Ein Abstand von 2-3 Tagen zur nächsten Trainingsdes normalen Körpergewichtes oder
ƒƒ Erhalten
einheit ist sinnvoll.
Gewichtsreduktion bei Übergewicht
Maximalbelastung vermeiden
der körperlichen Aktivität
ƒƒ Steigerung
ƒ Schnellkraftübungen, z. B. Sprint und Sprung vermeiden, länger andauernde Haltebeanspruchungen
vermeiden
Therapieschritte
muskulären
der Kognition
Indikation
für eineGlobaleindrucks
medikamentöse sowie
lipidsenkende
Therapie
teilung auf Depression, der Nutrition und Kontinenz.
Merke:
Bei medikamentöser
kontrollieren!
Links
(Assessment)Therapie: CK
http://www.afgib.de
(Rhabdomyolyse möglich!)
(Sturzprophylaxe)
http://www.betanet.de/
Keine Kombinationstherapie CSE-Hemmer + Fibrate/
Verfahren
zur Funktions-/ und FähigkeitsMakrolide/Azol-Antimykotika.
einschätzung:
Wechselwirkungen auch mit anderen Medikamenten
möglich!
Barthel Index (von Leitliniengruppe empfohlen)
Bei
Makrolidtherapie
CSE-Hemmer
Nürnberger
Altersinventar
(NAI)pausieren!
Statine
vor chirurgischen Eingriffen
und bei akut auftrePflegegesetzadaptiertes
Basisassessment
(PGBA)
tenden schweren Erkrankungen vorübergehend abVerfahren
zur
Beurteilung
derauf
Sturzgefahr
setzen! Auf
Compliance
achten,
abendliche EinnahTimed
up
&
go
me des CSE-Hemmers hinweisen.
Chair rising (Aufsteh-Test)
Evidenzbasierte
Patienteninformationen sind unter
Tandemstand / Tandemgangabrufbar.
www.gesundheitsinformation.de
ƒ
ƒ
ƒ
ƒ
ƒƒ
ƒƒ
ƒ
ƒƒ
ƒ