Der Sonntag REBELL WIDER WILLEN
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Der Sonntag REBELL WIDER WILLEN
Der Sonntag MENSCHEN UND ZEITEN Samstag/Sonntag 24./25. September 2005 benen Texte in den Drehbüchern zu Eigen, lebte sie aus. Das, was noch heute unter „method acting“ verstanden wird, das, wofür spätere Actors Studio-Schauspieler wie Robert De Niro oder Al Pacino noch heute stehen: das Eins-Werden mit einer Rolle, beherrschte James Dean in Perfektion. Während der Eden-Dreharbeiten verliebte Dean sich in die italienischstämmige Schauspielerin Pier Angeli, der Liebe seines Lebens. Die Klatschspalten waren voll mit den neuesten Geschichten über diese Liaison, die jedoch nicht von langer Dauer sein sollte. Angelis Mutter lehnte den ihrer Meinung nach linkischen, ungehobelten und ungepflegten Mann ab, und als Angeli nur vier Monate später Schlagersänger Vic Damone heiratete, brach für Dean eine Welt zusammen. Wieder war ihm etwas durch die Finger geglitten, fand er keinen Halt. Er machte die Nacht zum Tag, schwankte – je nachdem, wen er um sich hatte – zwischen zutraulich und schroff, zwischen ausgelassen und deprimiert. Seinem enormen Lebenshunger stand seine extreme Schüchternheit gegenüber, und auch seine Sexualität galt als ambivalent. So tauchte er während der Dreharbeiten zu seinem zweiten Hollywood-Streifen „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ tagein, tagaus gemeinsam mit Schauspielerkollege Jack Simmons auf und verließ mit diesem auch das Set, andererseits wurden ihm auch einige Affären mit diversen Starlets angedichtet. Glaubt man zahlreichen Biografen, war James Dean bisexuell. Ein früherer Mitbewohner meinte, Dean wäre viel zu interessiert an allem gewesen, um sich auf ein Geschlecht festzulegen. Selbst dazu befragt, gab Dean eine vieldeutige Antwort: „Nun, ich gehe ganz bestimmt nicht mit einer auf dem Rücken gefesselten Hand durchs Leben.“ VON UWE ZIEGLER E r starb, als sein Stern aufging, und sein früher Tod war der Beginn einer Legende, die bis heute nur we- nig von ihrer Wucht verloren hat. Dass das Idol von Millionen einen ewigen Kampf mit sich selbst ausfocht, ist weniger bekannt. Die Liste seiner Verehrer ist lang. Elvis Presley konnte „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ nahezu auswendig rezitieren und suchte Kontakt zu jenen, die Dean persönlich kannten. Alain Delon galt als der „James Dean Frankreichs“, den deutschen Rebellen verkörperte Horst Buchholz, der auch zu internationalem Ruhm gelang. Bruce Springsteen, Van Morrison, Lou Reed, Madonna, die Eagles, R.E.M. – um nur einige zu nennen – sangen über ihn. Bob Dylan zog es im Juli 1988 nach Fairmount, dem Städtchen im USBundesstaat Indiana, in dem Dean aufwuchs und zu Grabe getragen wurde, Deutschlands TennisHeld Boris Becker reiste nach Cholame, jenem winzigen Fleck auf der Landkarte im Westen der Vereinigten Staaten, in dem James Dean am 30. September 1955 mit seinem silbergrauen Porsche 550 Spyder in den Tod raste. Die Legende lebt, die Zahl der „Deanologen“ reißt nicht ab. „Eine zerstörte, aber SCHÖNE SEELE unserer Zeit“ Doch der Mann, der nach dem Motto „Live fast, die young“ (Lebe schnell, sterbe früh) in einer ständigen Hast lebte, war alles andere als ein strahlender Held. Sehr wohl war er ein aufgehender Stern über den Hügeln von Hollywood mit Aussicht auf eine glänzende Karriere und ein Genie seines Fachs, doch Zeit seines kurzen, nur 24 Jahre währenden Lebens, gleichzeitig ein ewig Getriebener, Rastloser. Das, was Millionen von jungen Menschen in ihm sahen und imitierten, war ironischerweise jene Seite an ihm, die ihm stets zu schaffen machte, weshalb er in psychoanalytischer Behandlung war: Dean hatte ein Identitätsproblem, fühlte sich nirgendwo zugehörig, ausgestoßen. Er wurde Mitte der fünfziger Jahre zum Mythos, weil er im Gegensatz zu seinem Idol Marlon Brando, welcher die Schauspielkunst revolutionierte, die Art zu leben veränderte und all den Halbwüchsigen, die sich unverstanden fühlten in der schwierigen Übergangsphase zwischen Teenager und Erwachsensein, mit seiner Zerrissenheit zwischen Normerfüllung und Aufbegehren ein Gesicht gab. „Dean war die perfekte Verkörperung des ewigen Kampfes Unschuld gegen Erfahrung, Jugend gegen Alter. Er war die zerstörte, aber schöne Seele unserer Zeit“, meinte Pop-Art-Ikone Andy Warhol. James Deans Ruhelosigkeit hatte ihren Ursprung im frühen Tod seiner Mutter Mildred, die im Alter von gerade einmal 29 Jahren einem Krebsleiden erlag. Der kleine Jimmy war neun und hatte den Halt in seinem Leben verloren. „Ich habe nie gewusst, warum meine Mutter starb, und es beschäftigt mich noch immer“ schrieb er im Alter von 17 Jahren in einem Aufsatz seinem Rektor der Fairmount Highschool, und noch zu Beginn seiner kurzen Filmkarriere war diese Unsicherheit präsent: „Was erwartet sie von mir, dass ich mich um alles selber kümmere?“, sprach er einem Reporter ins Diktiergerät. Von seinem überforderten Vater in die Obhut von Verwandten gegeben, wuchs der Junge zwar in liebevoller und ländlicher Umgebung auf, wurde aber puritanisch erzogen von Menschen, die seine Großeltern hätten sein können, von Quäkern, jener Religionsgemeinschaft mit für Außenstehenden befremdlichen Bräuchen wie Einheitstracht, Verbot von Theater und Tanz und Ablehnung eines „zügellosen Lebens“. Der Farmerjunge begeisterte sich für Sport und Kunst und stellte in Schulaufführungen früh sein schauspielerisches Talent unter Beweis. Seinen schmächtigen Körperwuchs und seinen bäuerlichen Akzent, über den sich die anderen lustig machten, kompensierte er mit einer schier unglaublichen Energie, die vor allem in musischer und sportlicher Hinsicht zum Tragen kam. Auch dem Geschwindigkeitsrausch war er schon in jungen Jahren verfallen. Im Motorradla- Mit dem ersten Film FÜR DEN OSCAR als Hauptdarsteller nominiert Zu Lebzeiten ein gefeierter Held auf der Leinwand, seit seinem tödlichen Autounfall im Alter von nur 24 Jahren eine Legende: James Dean. Foto: Taschenverlag R E B E LL WI DE R Z UM 50. TODE STAG den seiner Heimat gaben sie dem halsbrecherisch fahrenden 15-Jährigen den Spitznamen „One Speed Dean“, weil er ständig die Grenzen bis ans Limit ausloten wollte. Seinem Vater zu Liebe nahm James Dean zu Beginn seiner Highschool-Zeit am Santa Monica City College an Vorbereitungskursen für ein Jurastudium teil, belegte aber zur gleichen Zeit schon Theater- und Schauspielkurse. Als er bei einem Heimatbesuch „Die Männer“ mit dem 26-jährigen Debütanten Marlon Brando in der Rolle eines querschnittsgelähmten Kriegsinvaliden sah, hatte er ein Vorbild gefunden und intensivierte seine Bemühungen, selbst ein ernsthafter Schauspieler zu werden. Er bekam einige Rollen in Theaterstücken und ging schließlich, im Alter von 20 Jahren, nach New York, wo er kompromisslos und stur sein Ziel verfolgte und keinen Job außerhalb der Theater- und Filmindustrie annahm. Seine Hartnäckigkeit sollte sich auszahlen. Wie Marlon Brando und Montgomery Clift schaffte er den Sprung in Lee Strasbergs berühmtes Actors Studio, gab einige Male in TV-Filmen auf fast schon beängstigende Art und Weise den straffälligen Jugendlichen und wurde fürs Theater am Broadway engagiert. Dort erhielt er bereits bei seinem zweiten Stück „Der Unmoralische“, wo er einen homosexuellen arabischen Hausdiener spielte, solch exzellente Kritiken, dass Hollywood auf ihn aufmerksam wurde. Elia Kazan suchte für die Verfilmung der erfolgreichen Steinbeck-Familiensaga „Jenseits von Eden“, einer modernen Variante der Kain-und-Abel-Geschichte, W I LLE N VON JAM E S D EAN ein ungleiches Bruderpaar, dachte dabei an Brando und Clift, die jedoch anderweitig beschäftigt waren. Ein damals noch unbekannter Paul Newman wurde gecastet und abgelehnt. Bis James Dean vorsprach und Kazan, der mit „Endstation Sehnsucht“ schon zum Kultregisseur aufgestiegen war, sofort dessen unglaubliches Potenzial entdeckte: „Dean musste die Rolle nicht spielen, er war Cal. Er hatte einen Hass auf alle Vaterfiguren.“ Gewissermaßen spielte er wirklich seine eigene Vita: einen jungen Menschen, aufgewachsen ohne mütterliche Liebe und Gefangener seiner unerwiderten Zärtlichkeit. Bei Warner Brothers erkannte man rasch, dass man in dem 23-jährigen Nachwuchsschauspieler eine geradezu sensationelle Entdeckung gemacht hatte, und stattete ihn mit einem Vertrag für gleich neun Filme aus. Sie hatten Großes mit ihm vor. In Raymond Massey hatte Dean genau jene Vaterfigur vorgesetzt bekommen, die er zutiefst verachtete. Er brachte den etablierten Schauspieler mit allerlei „dirty tricks“ völlig aus der Fassung. Beispielsweise improvisierte er in der Szene, in der er am Mittagstisch Vater und Bruder aus der Bibel vorlesen sollte, indem er eben nicht las, sondern leise die ätzendsten Flüche von sich gab, was den zutiefst gläubigen Massey zu einem Gefühlsausbruch hinriss, der in dieser Dimension nicht im Drehbuch stand, doch Regisseur Kazan begeisterte. Gemutmaßt wird, dass nicht nur Deans freies Denken Grund solch spontaner Handlungen war, sondern auch seine Leseschwäche. Lesen fiel ihm schwer, also machte er sich die vorgege- Am Set von „Jenseits von Eden“ lernte Dean auch sein Idol kennen, doch Brando hatte für den Emporkömmling wenig übrig. „Er trägt die Garderobe, die ich im vergangenen Jahr getragen habe und benutzt mein Talent aus dem Vorjahr.“ In die gleiche Kerbe schlug auch die viel beachtete „New York Times“: „Er schlurft, wirbelt herum, schmollt, stottert, lehnt sich gegen Wände, rollt mit den Augen, verschluckt Wörter, schlendert mit einknickenden Knien – alles wie bei Brando. Noch nie folgte ein Darsteller so klar dem Stil eines anderen.“ Deans Kritiken waren dennoch überwältigend, seine Darstellung galt als bahnbrechend, und er wurde gleich mit seinem ersten Film für den Oscar als bester Hauptdarsteller nominiert. Zur Benefiz-Vorpremiere des Films am 9. März 1955 im Astor Theater in New York – Marilyn Monroe und Marlene Dietrich gehörten zu den Platzanweiserinnen – erschien er nicht, der Trubel war ihm zu groß. Ein halbes Jahr lang konnte James Dean seinen Ruhm auskosten – hätte er die Zeit dafür gehabt. Denn als „Jenseits von Eden“ in den US-Kinos anlief, drehte er schon seinen nächsten Film, im Anschluss daran mit „Giganten“ (mit Rock Hudson und Elizabeth Taylor) gleich den dritten (der ihm die zweite Oscar-Nominierung einbrachte), und ehe „Denn sie wissen nicht, was sie tun“ in die Kinos kam, war er bereits tot. Und konnte so auch nicht mehr erleben, wie sein Idol Marlon Brando ihn in seiner Autobiografie letztendlich doch noch rehabilitierte: „Als ich ihn kennenlernte, war er noch in einer frühen Entwicklungsphase, aber als er ‚Giganten’ drehte, versuchte er nicht mehr, mich zu imitieren. In diesem letzten Film war er unheimlich gut. Ich denke, er hätte ein sehr bedeutender Schauspieler werden können, doch er starb und wurde für immer in seinem Mythos begraben.“ Viel war von einer Todessehnsucht James Deans zu hören. Einer Freundin sagte er, er werde keine 30 Jahre alt werden. Für einen Fotografen posierte er in einem Sarg im Beerdigungsinstitut in Fairmount, wo er letztendlich auch bestattet werden sollte. Doch nach „Giganten“ strotzte er vor Lebenshunger, hatte endlich auf den Rat einiger Freunde gehört und sich in Therapie begeben, was ihm guttat. Es war wohl einmal mehr sein halsbrecherischer Fahrstil, der ihm am 30. September 1955 spätnachmittags bei tiefstehender Sonne an einer Kreuzung bei Paso Robles im wahrsten Sinne des Wortes das Genick brach. Und die Konsequenz eines permanenten Lebens auf der Überholspur.