Konstantin Grcic - German Design Award

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Konstantin Grcic - German Design Award
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Für mich ist ein Detail am
besten, wenn es unsichtbar wird
Konstantin Grcic im Gespräch
I think the best details
are those, that become invisible
An interview with Konstantin Grcic
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Wir treffen Konstantin Grcic, den diesjährigen Träger des Personality-Preises des
German Design Award 2016, in seinem Berliner Büro: ganz oben in einem Alvar-Aalto-Wohnblock im
Hansaviertel. Helle Räume, das Licht schon etwas nordisch. Hier ist Berlin ruhig und wirkt trotz der im
Grün verteilten Großbauten der Internationalen Bauausstellung (1957) fast dörflich – ein Eindruck, der
sich noch verstärkt, als von den Kirchen der Umgebung Glockenläuten erklingt.
Seit einigen Jahren teilt Grcic seine Zeit zwischen München, dem Hauptstandort
seines Büros, und Berlin, wo auch seine Familie lebt. Das Berliner Büro ist seine Denkerklause, hier arbeitet
er allein und losgelöst vom Betrieb in München. Gesellschaft leisten ihm dabei diverse eigene Möbelentwürfe, aber auch Stücke aus der Hand verschiedener Designerkollegen und Vorbilder. Es herrscht gerade
das richtige Maß an Unordnung, um unserem Gespräch einen zwanglosen Rahmen zu geben.
Andrej Kupetz: Konstantin, du bist jetzt 50 und bekommst einen Preis für dein
Lebenswerk. Wie fühlt sich das an? Konstantin Grcic: Schon etwas merkwürdig. Es macht mir bewusst:
Nächstes Jahr existiert mein Büro 25 Jahre – eine Zeitspanne, die man sich am Beginn seiner Karriere kaum
vorstellen kann. –––––––––––– Fangen wir am Anfang an. Wie entwickelte sich bei dir der Wunsch, Designer zu werden? Der Berufswunsch formte sich erst relativ spät. Meine Mutter ist Kunsthändlerin, sie
brachte meiner Schwester und mir die zeitgenössische Kunst nahe, das hat uns sehr geprägt. Künstler
gingen bei uns ein und aus, unsere Mutter nahm uns mit zu Atelierbesuchen. Es imponierte mir zu sehen,
wie Künstler Leben und Arbeit vereinten. So wollte ich mir mein eigenes Leben auch vorstellen. Dieses
Ideal hat sich sehr früh in mein Bewusstsein eingebrannt. Damals hatte ich vom Beruf des Designers noch
keine Ahnung. Ich wollte Bildhauer werden oder vielleicht Architektur studieren. Nach der Schule habe ich
AUTOR . AUTHOR
[ Andrej Kupetz ]
We meet Konstantin Grcic, recipient of the German Design Award 2016 Personality
prize, in his Berlin office located in the top floor in an Alvar Aalto apartment block in the Hansa Quarter.
The rooms are bright, the light is slightly Nordic. Here, Berlin is quiet and seems almost village-like
despite the looming buildings of the 1957 International Building Exhibition dotting the greenscape. Ringing
church bells only add to the almost rural atmosphere.
For years, Grcic has been splitting his time between Munich, where his main office
is based, and Berlin, where his family lives. His Berlin office is a thinker’s retreat where he can work alone,
isolated from the hustle and bustle in Munich. His office contains several pieces of his own furniture as
well as pieces from other designers and role models. There is just enough disorder to create a relaxed setting for our talk.
Andrej Kupetz: Konstantin, you are now 50 and have received a prize for your life’s
work. How does it feel? Konstantin Grcic: It feels a bit odd. I can’t ignore the fact that, come next year,
I will have had my office for 25 years, which seemed like an unimaginable span of time when I started my
career. ––––––––––– Let’s start at the beginning. How did you become interested in becoming a designer?
My career plans did not form until relatively late. My mother, an art dealer, introduced my sister and me to
contemporary art, which left a huge impression on us. We always had artists at the house, and our mother
took us to visit art studios. I was impressed by how artists combined life and work. That is how I wanted
to envision my own life, too. This ideal was imprinted on my consciousness at a very early age. Back then,
I had no idea that the design profession even existed. I wanted to become a sculptor, maybe get a degree
in architecture. The first thing I did after I left school was to complete an apprenticeship in carpentry;
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dann zuerst eine Schreinerlehre absolviert, ich wollte etwas mit meinen Händen machen.
–––––––––––– Hat sich dieses Interesse für das Handwerkliche schon früher in deinem Leben
gezeigt? Ein Kindheitstraum von mir war, Bootsbauer zu werden. Als Kind habe ich viel gebastelt: Lego, Fischertechnik, irgendwann waren es Flugzeuge und Schiffsmodelle. Es war eine
völlig romantische Vorstellung, Boote zu bauen, weil wir weit weg vom Wasser lebten und
ohne Beziehungen hatte ich keine Chance auf eine Lehrstelle in einer Bootswerft. Also fing ich
nach dem Abitur an, bei einem Münchner Antiquitätenrestaurator zu arbeiten. Was eher eine
Notlösung war, wurde zu einer wichtigen Zeit für mich, denn dort entdeckte ich meine Leidenschaft für Möbel. Beim Restaurieren alter Möbel habe ich viel gelernt; vor allem habe ich mein
Auge für Qualität geschult. Es gibt sehr hochwertig gestaltete Antiquitäten, und ebenso gibt
es auch die weniger guten. Mich interessierte besonders, wie Möbel konstruiert waren, und
so wuchs schnell der Wunsch, dass ich nicht nur alte restaurieren, sondern neue bauen wollte.
Eine Freundin erzählte mir von der John Makepeace School for Craftsmen in Wood in Dorset,
England, wo ich mich bewarb. Das englische Handwerk ist anders als in Deutschland organisiert. Es gibt nicht die klassische Lehre in einem Betrieb. In der Tradition der Arts & Crafts Bewegung gibt es noch den Master Craftsman, also eine Person oder sogar Persönlichkeit, die,
abgesehen von technischer Exzellenz, auch selbst gestaltete. John Makepeace, der selbst noch
bei Edward Barnsley vom Arts & Crafts Bewegung gelernt hatte, leitete eine eigene Schule,
deren Ausbildung weit über das Erlernen handwerklicher Fähigkeiten hinaus ging. Für mich
war es die wichtigste Ausbildung, das Fundament für alles, was ich heute noch praktiziere.
–––––––––––– Wichtiger als das Royal College of Art? Ja. Die Erfahrung bei John Makepeace
hat mich irgendwie erwachsen gemacht. Hier konnte ich meine Neigungen und Talente entwickeln. Das Royal College of Art war auch wichtig, aber weniger im Sinne der Ausbildung als
I wanted to do something with my hands. ––––––––––––– Did you develop an interest in all
things artisanal even earlier in your life? One of my childhood dreams was to become a shipbuilder. I loved doing things with my hands. I played with Lego and Fischertechnik construction toys, which at some point were airplanes and model boats. It was an entirely romantic
notion of building boats since we lived far away from any water, and I had no chance of landing an apprenticeship at a shipyard without the right connections. So, after graduating from
high school, I started working for an antiques restorer in Munich. What started out as a stopgap solution quickly became a key period in my development: this is where I discovered my
passion for furniture. Restoring old furniture taught me a great deal; in particular, it trained
my eye for quality. There are very high-quality antiques, and there are pieces of lesser quality.
I was particularly interested in how furniture was constructed, and so I quickly developed a
desire not only to restore old pieces, but to build new ones as well. A friend of mine told me
about the John Makepeace School for Craftsmen and Wood in Dorset, England, and I applied
there. The English trade system is not organised in the same way as the German one. You
don't complete a traditional apprenticeship at a company. The Arts and Crafts movement still
has the master craftsman, that is, a person or even celebrity who is not only an excellent
craftsman but also a designer in his own right. John Makepeace, himself a student under
Edward Barnsley of the Arts and Crafts movement, headed his own school and his teachings
went well beyond mere craft skills. For me, it was the most important training, the foundation of everything I still practice today. –––––––––––– More important than the Royal College
of Art? Yes. My experience at John Makepeace made me grow up somehow. This is where I
developed my talents and preferences. The Royal College of Art was important, too; not so
much in terms of the training itself, but more in the experience of being completely on my
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Mayday, Flos S.p.A., 1998
chair_ONE, Magis S.p.A., 2004
Miura, Plank Collezioni Srl, 2005
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vielmehr für die Erfahrung, ganz auf sich selbst gestellt zu sein, seinen eigenen Weg zu finden.
Ich habe meinen Master im Bereich Furniture-Design gemacht, aber das wertvolle am RCA
war, dass die Schule einem Einblicke und Erfahrungen in den unterschiedlichsten Gestaltungsdisziplinen eröffnete. –––––––––––– Dabei ist das RCA ein Mythos. Ich hatte einmal Gelegenheit, den Senior Common Room, also den Club für die Alumni, zu besuchen – das hat mich
schon beeindruckt. Ja, dort hängt die Sammlung des College mit Werken von Künstlern wie
Lucian Freud, David Hockney oder Henry Moore, alles ehemalige Studenten. Ich habe viel von
meinen Kommilitonen gelernt – jeder machte irgendwas Spannendes, etwas Neues, Verrücktes. Und vor allem verstand ich, dass es im Gegensatz zu meiner handwerklichen Ausbildung
keine Regeln dafür gab, wie man arbeitet. Das war keine leichte Einsicht, sie hat mich herausgefordert, nochmals meine eigene Auffassung von dem, was ich machen wollte, und wie, in
Frage zu stellen. –––––––––––– Zu meinen Studienzeiten in Berlin wurde unheimlich viel theoretisiert und philosophiert. Als ich später nach England kam, erntete ich damit Kopfschütteln:
Die Deutschen erzählen uns etwas über Theorie, sollten aber besser erst mal zeichnen üben...
Stimmt, die Haltung in England war eher „hands on“, empirisch. Machen und daraus lernen.
Mir kam das sehr entgegen – schwer zu sagen, wie ich an einer deutschen Hochschule zurechtgekommen wäre. Was in England allerdings fehlte, war die gesellschaftliche Auseinandersetzung mit Design. In Deutschland und Italien gab es in den 80er Jahren ein starkes Aufbegehren der jungen Generation gegen die festgefahrene Doktrin der guten Gestaltung. Für
meine theoretische Abschlussarbeit am RCA wollte ich dieses Thema für mich selbst aufarbeiten und schrieb über die damalige Designszene in Berlin, mit ihren Protagonisten wie
Christian Borngräber, Axel Kufus, Andreas Brandolini usw. –––––––––––– Das Neue Deutsche
Design. Was damals passierte, fand ich hoch spannend, obwohl ich es nur aus der Ferne ver-
own, of finding my own way. I obtained my Master’s degree in furniture design, but what
was really helpful about the RCA was that the school provided insights and experiences in all
kinds of design disciplines. –––––––––––– Still, the RCA is a legend. I once had an opportunity
to visit the Senior Common Room, the association for the alumni – I was really impressed.
Yes, that’s where they have the college’s collection with works by artists such as Lucian
Freud, David Hockney and Henry Moore, all former students. I learned a lot from my fellow
students – everyone was doing something exciting, something new, crazy. Above all, I realized that, contrary to my vocational training, there were no rules for how to do your work.
This wasn’t an easy realization at all. It challenged me to re-examine my goals and how
I wanted to achieve them. –––––––––––– There was an incredible amount of theorising and
philosophising during my college days in Berlin. When I came to England later, it earned me a
lot of head-shaking: The Germans want to tell us about theory, but they need to work on their
drawing skills first... True, the English approach is more hands-on, empirical. Do something,
and then learn from it. This suited me perfectly. It’s hard to say how well I would have managed at a German university. What was missing in England, though, was a social debate on
design. In the ’80s, the young generation in Germany and Italy rebelled against the rigid
doctrine of good design. For my final dissertation at the RCA, I wanted to delve into this topic
for myself and wrote about Berlin’s then-current design scene, including protagonists such
as Christian Borngräber, Axel Kufus and Andreas Brandolini. –––––––––––– The New German
Design. I thought that what was happening back then was fascinating, although I could only
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folgen konnte und mich nie als Teil dieser Bewegung verstand. Meine Einflüsse waren ganz
andere: die handwerkliche Ausbildung, dann das Interesse an der Maschine als Produktionsmittel, am Design für die Serie. Ich habe mich vorhin kritisch darüber geäußert, wie wenig
Ausbildung das RCA geboten hat – davon möchte ich Vico Magistretti und Jasper Morrison
ausnehmen. Sie waren damals beide Gastprofessoren und vertraten eine Designauffassung,
die mich in meiner Leidenschaft für die Industrie bestätigte. Mit dem industriefeindlichen
Aspekt der Funktionalismuskritik der 80er Jahre konnte ich mich nicht wirklich identifizieren.
Ich wollte lieber zu einer Folgegeneration von Designern gehören, die mit den neu gewonnenen
Freiheiten wieder auf die Industrie zugeht. –––––––––––– Würdest du Jasper Morrison als
Vorbild bezeichnen? Ja, Jasper Morrison war sehr wichtig für mich. Im Unterschied zu anderen
Vorbildern der Designgeschichte wie etwa Marcel Breuer, Gerrit Rietveld oder Joe Colombo war
Jasper ja nur sechs Jahre älter als ich! Ich konnte direkt mit ihm reden, ihn erleben. Er hatte
damals ein winziges Büro, von dem aus er seine Projekte realisierte. Er hat mich ermutigt,
dass man mit wenigen Mitteln viel machen kann. Ich habe eine Zeit lang für Jasper gearbeitet,
während meines Studiums und direkt nach meinem Diplom. Aber mir war immer klar, dass ich
eigentlich mein eigenes Büro gründen wollte. Genau so, oder so ähnlich, wie Jasper es getan
hatte. Damals war das alles noch einfach. Man brauchte einen Zeichentisch, eine Telefonleitung
und ein Faxgerät – auf dieser Basis konnte man ein Designbüro betreiben. Aus heutiger Sicht
erscheint einem das naiv, aber es hat so funktioniert. Was mich bestärkt hat, war das Gefühl,
gefunden zu haben, was ich mit meinem Leben machen wollte, was mich glücklich machte.
Dieses Gefühl motiviert mich noch heute. –––––––––––– Uns wurde im Studium eher vermittelt: Geht am besten in die Industrie oder in ein großes Designbüro. Macht euch bloß nicht
selbständig! Aber genau das hast du getan, als du nach München zurückkehrtest. Wolltest du
watch it from afar and never saw myself as part of the movement. I was influenced by entirely
different things: my vocational training, followed by my interest in the machine as a means of
production and in design for mass production. Earlier, I criticised how little actual training the
RCA offered. I’d like to say that this is not true of Vico Magistretti and Jasper Morrison. They
were both visiting professors back then and advocated an understanding of design that validated my passion for industry. I could not really identify with the anti-industrial aspect of
functionalist criticism of the ’80s. I preferred to be part of a new generation of designers that
reached out to industry again with the newly gained freedoms. –––––––––––– Would you call
Jasper Morrison a role model? Yes, Jasper Morrison was very important for me. After all, unlike
other role models in design history – Marcel Breuer, Gerrit Rietveld or Joe Colombo – Jasper
was only six years older than I. I was able to talk to him directly, to experience him. He used
to have a tiny office where he brought his projects to life. He showed me that you could do a
lot with very little. I worked for Jasper for a while during my college days and directly after
graduating. But I had always known that I really wanted to open up my own office. Exactly,
or almost like Jasper had done. Things were simple back then. All you needed to run a design
studio was a drawing table, a phone line and a fax machine. It seems naive today, but it worked.
What made me even more determined was the feeling that I had found what I wanted to do
with my life, what made me happy. That feeling still keeps me going today. –––––––––––––
When I was in school, we were told: do yourself a favour and work for industry or a large
design agency. Don’t go into business for yourself. But that’s exactly what you did when you
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Remo, Plank Collezioni Srl, 2015
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London eigentlich verlassen? Nein, das war eher unfreiwillig. Ich wollte im Januar 1991 nach
einem Besuch bei meiner Mutter wieder nach London fliegen – aber bei der Einreise wurde ich
von der Einwanderungsbehörde zurückgewiesen: Ich hatte damals noch keinen deutschen
Pass, und meine Aufenthaltserlaubnis war mit dem Studium abgelaufen. Man schickte mich
dorthin zurück, woher ich gekommen war: München. Es war eine Zwischenlösung, bevor ich
wieder zurück nach England ziehen konnte, dachte ich. Aber am Schluss dauerte es drei Jahre,
bis ich die deutsche Staatsbürgerschaft bekam. In der Zwischenzeit hatte ich in München Fuß
gefasst und entschied mich zu bleiben. –––––––––––– Wie sah dieser Start in München aus?
Die ersten Jahre waren unkompliziert. Mein Büro war klein, ich brauchte nicht viel, um durchzukommen. Ich hatte einen Auftrag für den Ausbau einer privaten Bibliothek. Dieses Projekt
hat mich damals finanziert und mir den Freiraum für andere Dinge erlaubt. Aus England hatte
ich Kontakt zu SCP Ltd., einer kleinen Firma aus dem Londoner East End, die unter anderem
Jasper Morrisons Entwürfe produzierte. Jasper hatte mich ihnen auf meiner Abschlussausstellung am RCA vorgestellt. 1991 zeigte SCP meine ersten Entwürfe TomTom & TamTam und
Bishop auf ihrem Messestand auf der Mailänder Messe. Es war die Zeit nach Memphis, alle
hielten Ausschau nach etwas Neuem, und so kam es, dass eine kleine Firma wie SCP größtmögliche Aufmerksamkeit bekam. Meine Projekte für SCP führten auch dazu, dass Cappellini mich
einlud, für sie zu arbeiten. Auch meine ersten Entwürfe für ClassiCon fallen in diese Zeit. Durch
Zufall lernte ich Uli Guth, den Produktentwickler von ClassiCon, kennen, der um die Ecke von
meinem Büro wohnte. Daraus entwickelte sich eine sehr enge und langjährige Zusammenarbeit
mit Stephan Fischer von Poturzyn, dem damaligen Chef von ClassiCon. Das eine führte zum
anderen. Wie gesagt, eigentlich waren diese ersten Jahre sehr einfach. –––––––––––– Nun
hast du dein Büro von Anfang an ganz bewusst Grcic Industrial Design genannt. Weil Möbel-
returned to Munich. Did you really want to leave London? No, not by choice. When I tried to fly
back to London after visiting my mother in January 1991, I was denied entry by the immigration
officials. Back then I didn’t have a German passport, and my residence permit had expired when
I graduated. I was sent back to the place I had come from, Munich. It was an interim solution
until I could move back to London, or so I thought. However, it took me three years to obtain
German citizenship. By that time, I had started to make a life for myself in Munich and decided
to stay. –––––––––––––– What was it like, starting out in Munich? The first few years were
simple. My office was small, and I didn’t need much to get by. I was contracted to finish a
private library. This project paid my bills and gave me time for other things. I was in touch with
SCP Ltd., a small company in London’s East End that produced Jasper Morrison’s designs,
among others. Jasper had introduced me to them at my final exhibition at the RCA while I
was living in England. SCP showed my first designs, TomTom & TamTam and Bishop, at their
stand during the Milan Fair in 1991. It was the post-Memphis period, everyone was looking
for something new, and that’s how a small company like SCP attracted so much attention.
Cappellini saw my projects for SCP and invited me to work for them. It was around this time that
I produced my first designs for ClassiCon. I had met Uli Guth, the product developer of ClassiCon,
by sheer coincidence: he lived right around the corner from my office. This led to a very close,
long-lasting partnership with Stephan Fischer von Poturzyn, the then-boss of ClassiCon. One
thing led to another. As I said, these years were actually really simple. ––––––––––––– Now,
you deliberately called your office Grcic Industrial Design from the very start. Is that because
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design so stark von modischen, von Styling-Gedanken geprägt ist? Am Möbeldesign hing das
Stigma des Handwerklichen, Rückwärtsgewandten. Besonders weil ich ja aus dieser Ecke kam,
wollte ich jetzt ein Zeichen in Richtung Industrie setzen. Ich war sehr stark von der Idee geprägt, dass Design und Industrie zusammengehörten. Natürlich waren meine ersten Kontakte
zur Möbelindustrie eher die kleinen Firmen, es ging um Serien von 50 bis 500 Stück. Ich habe
dadurch viel gelernt, weil mich die kleinen Firmen unmittelbar in alle Prozesse involviert haben.
Damals habe ich alles alleine gemacht, das war eine wichtige Schule. –––––––––––– Wie schnell
du Publizität bekamst, war schon bemerkenswert – abgesehen von den Fachmedien auch in
Lifestyle-Magazinen, als neuer deutscher Autoren-Designer. Dieses Attribut wurde sehr stark
mit dir verbunden, wahrscheinlich auch, weil die bereits erwähnte Generation vor dir diese
Rolle nicht verkörperte. Viele der Protagonisten der 80er wurden in den 90ern schnell Professoren; Borngräber als Promoter starb allzu früh, und es wurde sehr still um diese Szene. Stimmt.
Als ich anfing, mein eigenes Büro in Deutschland zu etablieren, war es in der Szene sehr ruhig
geworden. Viele derer, über die ich noch für meine Studienarbeit recherchiert habe, hatten
sich aus der aktiven Praxis in die Lehre verabschiedet. Es war sicher wichtig, die deutschen
Designhochschulen umzukrempeln und durch eine damals junge Generation von Designern zu
modernisieren. Trotzdem ist es schade, dass ihre Büros dadurch weitgehend von der Bildfläche
verschwunden sind. Zu den wenigen Designern, mit denen ich damals Kontakt hatte, gehörte
Torsten Neeland in Hamburg. –––––––––––– Es blieb offen, welche Wirkkraft sie in der Industrie hätten haben können. Auch bei mir hat es Zeit gebraucht, bis ich meinen Weg in die Industrie
gefunden hatte. Ein Sprungbrett war dabei die Zusammenarbeit mit Hansjerg Maier-Aichen
und Authentics. In meiner Karriere hatte ich öfter das Glück, im richtigen Moment den richtigen
Menschen zu begegnen. Maier-Aichen war eigentlich Bildhauer und erst über Umwege zum
furniture design is so closely associated with fashion and styling? Furniture design carried the
stigma of being a trade, behind the times. That was where I came from, and so I wanted to
point the way to industry. I was convinced that design and industry belonged together. Obviously, my initial contacts with the furniture industry tended to be small companies with production runs of 50 to 500 units. I learned a lot, though, because these small players involved
me directly in all the processes. I did everything myself back then, which was invaluable training. –––––––––––– It is remarkable to see how quickly you gained notoriety – not just in professional media but also in lifestyle magazines – as a new German signature designer. This attribute was probably associated so strongly with you because the previous generation did not
typify this role. Many of the protagonists of the ’80s quickly became professors in the ’90s;
Borngräber, who had been an ardent promoter, died all too soon, and the scene became very
quiet. That’s true. When I began to establish my own office in Germany, the scene had become very quiet. Many designers whom I had researched for my student research project had
closed their offices and taken up teaching. There’s no question that it was important to revolutionise German design schools and modernise the up-and-coming generation of designers.
However, it’s still a shame that most of their offices disappeared in the process. One of the
few designers whom I was in contact with back then was Torsten Neeland in Hamburg.
––––––––––––––– It was never clear what kind of an effect they could have had on industry.
Well, I didn’t find my way into industry overnight, either. One of the stepping stones in this
path was my relationship with Hansjerg Maier-Aichen and Authentics. Throughout my career,
I have been fortunate to happen across the right person at the right time. Maier-Aichen was
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Unternehmer geworden. Ihn kennenzulernen hat mir viele Türen geöffnet, unsere Zusammenarbeit war vielseitig, intensiv und inspirierend. Plötzlich eröffneten sich mir völlig neue
Dimensionen. Authentics hat damals funktionalistische Alltagsprodukte aus transluzentem
Kunststoff produziert und damit den Nerv der Zeit getroffen. Für Authentics realisierte ich
meine ersten Produkte in industriellem Spritzguss. Das war eine große Herausforderung für
mich, das Umdenken von Manufaktur und Halbzeugen zugunsten der Gestaltung werkzeugfallender Teile aus frei formbarem Kunststoff. Für mich waren die ersten Authentics-Produkte
der Ritterschlag zum Industriedesigner. Davon hatte ich immer geträumt: die industrielle Großserie. Maier-Aichen beauftragte mich übrigens auch mit den ersten kleineren Ausstellungsprojekten, was seitdem eine wichtige Erweiterung meiner Arbeit und meiner Auseinandersetzung
mit Design darstellt. –––––––––––– In dem Vierteljahrhundert seit Bürogründung ist ein kleiner Produkt-Kosmos von dir entstanden: Alltagsgegenstände, Elektrogeräte, Leuchten, ein
Pavillon und jüngst auch der Jugendtraum Bootsbau. Aber im Zentrum stehen nach wie vor
die Möbel. Ja, eindeutig. Das ist eine Leidenschaft, fast schon eine Liebesbeziehung – was es
nicht ganz unproblematisch macht. Das Feld der guten Möbelfirmen ist überschaubar und die
wenigen guten sind sich in ihren Möglichkeiten sehr ähnlich. Es gab in den letzten Dekaden
keine wirklichen Innovationsschübe in der Möbelindustrie, weder in technischer Hinsicht noch
funktional. Ich habe begriffen, dass ich mir meine Liebe zu den Möbeln nur erhalten kann,
wenn ich die Projekte wohldosiere und sie nie zur Routine werden. Ich versuche deshalb nur
sehr wenige, dafür aber sehr spezielle Möbelprojekte zu machen. –––––––––––– Von Routine
bist du doch aber weit entfernt; es gibt in deinem Werk nichts, was sich gleicht. Du versuchst
mit jedem neuen Projekt auch Grenzen auszuloten – ob es die Statik ist, das Material oder die
Funktionalität. Das Verbindende ist eigentlich die Radikalität. Stimmt dieser Eindruck? Diese
actually a sculptor and had ended up with his own business after several career detours. Our
relationship opened a lot of doors and initiated an interesting, intense and inspiring period
of collaboration. It suddenly opened up a whole new world of possibilities for me. At the time,
Authentics was making functionalist everyday products from translucent plastic, which really
captured the spirit of the time. Authentics was the company for whom I designed my first industrial injection moulding products. It was a huge challenge for me to redirect my thinking
from manual production based on semi-finished parts to designing ready-to-use products
moulded out of plastic. In my mind, the first Authentics products are what made me an industrial designer. That had always been my dream – industrial mass production. By the way, MaierAichen also started giving me commissions for small exhibition projects, which have become
an important extension of my work and my exploration of design. –––––––––––––– A small
universe of your products has emerged in the quarter-century since you opened your office:
everyday items, electric appliances, lamps, a pavilion and, more recently, the childhood dream
of shipbuilding. But the focus is still on furniture. Absolutely. This is a passion, almost a love
affair – and it does come with problems. There aren’t that many good furniture companies,
and the few good ones are very similar in terms of what they can do. The furniture industry
has not experienced any real waves of innovation in the last few decades, neither technically
nor functionally. I’ve realised that I can only keep my love for furniture alive if I carefully pace
the projects and make sure they never become routine. That’s why I try to do only a few, very
special furniture projects. –––––––––––– But you’re nowhere close to routine. No two of your
works are the same, and you always test new waters with each project – whether it has to do
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Rolle kann ich akzeptieren. Einige meiner Entwürfe sind kommerziell erfolgreich, aber den
Mainstream habe ich beim Entwerfen nie im Sinn. Es interessiert mich einfach mehr, daran zu
arbeiten, Anstöße zu liefern, als bekannte Muster zu bedienen. Aber wenn andere diese Anstöße aufnehmen, um sie noch besser oder kommerziell erfolgreicher zu machen, sehe ich
dies auch als einen Erfolg meiner Arbeit. Andererseits habe ich das Privileg, mit Firmen zu
arbeiten, die radikale Entwürfe auch mittragen. –––––––––––– Was erwartet denn eine Firma,
wenn sie Konstantin Grcic beauftragt? Auftraggeber, mit denen ich lange zusammenarbeite,
wissen, dass wir jedes Projekt grundsätzlich hinterfragen. Im Entwurf will ich den Dingen auf
den Grund gehen, die Essenz einer Idee, einer Technologie, einer Funktion erkunden. Es geht
um eine ernste Sache, um das Entwickeln industrieller Produkte. Jeder trägt Verantwortung
und investiert, aber man ist auch angetrieben von der Leidenschaft für die Sache. Firmen, die
zum ersten Mal mit mir arbeiten, müssen bereit sein, sich auf eine Reise mit unbekanntem
Ausgang einzulassen. Natürlich wollen wir Erfolg haben, aber der Designprozess ist ein komplexes Unterfangen und das Gelände in dem man sich bewegt, ist voller Hindernisse. Das Thema
Möbel ist für mich eine Art Metaprojekt. Es wird mich immer begleiten und steht über allem
anderen. Da ist einerseits die Technologie, das Material, die Konstruktion, andererseits die
Form und Ästhetik eines Möbels. Ich finde es immer wieder faszinierend, wie sehr Möbel
Spiegel unseres Lebens sind. Unser Leben verändert sich ständig, also müssen sich auch die
Möbel immer wieder verändern, um Antworten auf unsere Bedürfnisse zu geben oder einfach
mitzuhalten. Ich finde das faszinierend. –––––––––––– Kommen wir auf das Verbindende bei
deinen Entwürfen zurück: Stilistische Gemeinsamkeiten gibt es eigentlich ebenso wenig wie
bestimmte formale Details, die immer wieder auftauchen. Für mich ist ein Detail am besten,
wenn es unsichtbar wird. Was die Entwürfe verbindet, ist der Arbeitsprozess, eine bestimmte
with structure, material or function. What they all have in common is their radical nature. Is
that an accurate characterisation? I would say so. Some of my designs have been commercially
successful, but I never design for the mainstream. I’m more interested in pushing the envelope
than celebrating tradition. When others improve on my ideas or commercialise them more
effectively, I interpret that as a sign of my work’s success. On the other hand, I’m privileged
to work with companies who support radical designs. –––––––––––– What is it like for a company to work with Konstantin Grcic? My long-term customers know that we always question
every project. In my design, I want to get to the bottom of things, distil the essence of an idea,
a technology, a function. Developing industrial products is a serious business. Everyone has
a responsibility and an investment, but people are also driven by their passion for the cause.
Companies working with me for the first time have to be willing to embark on a journey with
an unknown destination. Granted, we want to be successful, but the design process is complex and the terrain on which it unfolds is full of obstacles. For me, the subject of furniture is
a sort of meta-project. It will always be with me and override everything else. One the one
hand, you have technology, material, and construction. On the other, shape and aesthetics.
I am endlessly fascinated by how closely furniture mirrors our lives. Our life is constantly
changing, and furniture has to change as well in order to provide solutions to our needs or
simply to keep up. I find this process fascinating. –––––––––––––– Let’s come back to what
connects all your designs: there are just as few stylistic commonalities as there are recurring
formal details. I think the best details are those, that become invisible. What connects the
designs are my process, attitude and approach to the work. I question things in order to
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Auffassung und Haltung der Arbeit gegenüber. Ich hinterfrage die Dinge, um sie zu verstehen.
Mein Denken als Designer ist eher konstruktiv, ich füge Elemente aneinander – im Gegensatz
zu einem skulpturalen Ansatz, der etwas aus einem Volumen herausarbeitet. Mit jedem neuen
Stuhlentwurf setze ich mich auch mit der Fragestellung des Stuhls an sich auseinander.
Radikale Konzepte dürfen aber auch nicht zur Masche werden. Ein Beispiel: Für Plank haben
wir nach dem sehr anspruchsvollen Freischwinger Myto mit Monza einen sehr einfachen Stuhl
gemacht. Es geht nicht immer darum, an die Grenzen zu gehen. Aber es gibt eine Dringlichkeit
dafür, die Dinge weiterzudenken, Bestehendes herauszufordern. Es geht auch darum, eine
Diskussion zu befördern, die einzuschlafen droht. Vieles hat sich im Mittelmaß eingependelt –
zugegebenermaßen ein Mittelmaß auf ungemein hohem Niveau. –––––––––––– Was betrachtest du als deine größten Erfolge bis jetzt, und warum? Die Arbeit für Authentics habe
ich als großen Erfolg empfunden. Sowohl kommerziell als auch als Beleg dafür, dass ich ein
echtes Industrieprodukt entwerfen kann. Dann die Leuchte Mayday, ein sehr persönliches
Projekt und zugleich eine ganz neue Typologie. Und sie verkauft sich bis heute gut, offensichtlich erfüllt sie ein Bedürfnis. Ich muss jetzt vieles auslassen, aber ein wichtiger Meilenstein ist
natürlich auch der chair_ONE für Magis. –––––––––––– Dieser Entwurf hat inzwischen große
Präsenz entwickelt, gerade im öffentlichen Raum. Wir wollten diesen Stuhl unbedingt machen,
aber wir hatten keine Ahnung, ob es einen Markt dafür geben würde. Als wir den Stuhl das
erste Mal auf der Mailänder Möbelmesse präsentierten, war uns klar, dass der Stuhl polarisieren würde. Aber wie würden die Leute wirklich darauf reagieren? Am meisten bewundere ich
den Mut von Eugenio Perazza, den Inhaber von Magis und Produzent des Stuhls, dass er von
Anfang an an unsere Idee geglaubt hat und bereit war, in die Entwicklung des Stuhls und die
damit verbundenen sehr hohen Werkzeugkosten zu investieren. Jetzt, zehn Jahre später, er-
understand them. I’m interested in the essential, the elemental. As a designer, my thinking is
constructive: I combine elements. That stands in contrast to a sculptural approach, for example, that removes unwanted parts from a block. Whenever I design a new chair, I explore the
question posed and answered by the chair. That doesn’t mean that radical designs should become a shtick, though. Here is an example: For Plank, we designed Monza, a very simple
chair, as a successor to Myto, a sophisticated cantilever chair. Sometimes, the mission is not
to push the boundaries. But there is an urgent need to have a vision, to challenge the status
quo. There is also a need to stimulate a debate that is at risk of dying out. Many things have
become average, even if this average is an incredibly high standard. ––––––––––––– What do
you consider to be your greatest success so far, and why? I view my work for Authentics as
a huge success, both commercially and as proof that I can design a true industrial product.
The Mayday lamp was a very personal project and an entirely new typology. Also, it still sells
well. Clearly there is a need for it. I can’t mention everything – there’s just too much – but
another important milestone, obviously, is chair_ONE for Magis. ––––––––––– This design has
become highly visible, especially in the public domain. We absolutely had to make this chair
even though we didn’t know whether it would find a market. When we unveiled the chair at
the Milan Furniture Fair, it was clear that the chair polarised opinions. But how would people
really react to it? I particularly admire Eugenio Perazza, the owner of Magis and producer of
the chair, for his courage in believing in our idea from the day it was born and his willingness
to invest in the development of the chair and the extremely expensive injection moulds that it
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scheint der Erfolg einfach, jährlich werden ca. 15.000 chair_ONE verkauft! Das hätten wir uns
damals nie träumen lassen. Aber noch mehr als der kommerzielle Erfolg bedeutet es mir, was
wir mit dem Stuhl ausgelöst haben – chair_ONE hat neue Maßstäbe gesetzt, was ein Stuhl ist;
wie er konstruiert ist und dass man überhaupt auf so etwas sitzen kann. Es ist falsch, zu denken, dass ein Stuhl bestimmten Regeln folgen müsste. Es kommt immer darauf an, wofür ein
Stuhl gedacht ist. Wer sitzt darauf, und wie und wo? Bei jedem meiner Stuhlentwürfe setze ich
mich mit der Frage der Bequemlichkeit auseinander. Es gibt viele unterschiedliche Auslegungen
von Bequemlichkeit. Manchmal bietet ein unbequemer Stuhl den angemesseneren Komfort.
Ein frühes Beispiel: Der Chaos für ClassiCon. –––––––––––– Stimmt, Chaos könnte als Prototyp eines unbequemen Polstermöbels gelten. Warum gibt es eigentlich keinen Lümmelsessel
von Grcic? Ich lümmele mich auch gerne auf einem Sessel, aber dazu braucht es nicht unbedingt
dicke, tiefe, weiche Kissen. Das ist es, was ich nicht mag. Wenn man das Gefühl bekommt, gar
nicht mehr aus dem Ding rauszukommen. Was macht das mit meiner Psyche, wie sitze ich
jemandem gegenüber, wenn ich merke, ich werde immer müder und unbeweglicher? Spätestens dann fühle ich mich unbequem! –––––––––––– Von Hans (Nick) Roericht gibt es ein passendes Bonmot, das ich sehr schön finde: „Ich habe noch nie auf einem Stuhl schlecht gesessen,
der mir gut gefallen hat.“ So ist es! Die Psychologie spielt eine wichtige Rolle. Man ist positiv
überrascht, wenn ein Stuhl bequemer ist, als er aussieht – und umgekehrt. Oft passiert nicht
das, was du erwartest. Damit haben wir im Entwurfsprozess ständig zu tun, das macht es
spannend. Ich habe keine Formel dafür, außer es einfach auszuprobieren, immer wieder, und
immer wieder aufs Neue. –––––––––––– Reden wir nach den Erfolgen einmal über die Flops.
Nicht nur kommerziell, sondern auch, wo du sagen würdest, da habe ich mich verrannt. Ich
zögere jetzt – nicht, weil mir nichts einfällt, sondern eher, weil es so viele gibt. Vielleicht die
required. Now, ten years later, this success seems easy. About 15,000 chair_ONEs are sold
each year. Back then, we would have never dreamed of that kind of outcome. What matters
to me more than the commercial success, however, is what the chair has set in motion.
chair_ONE has redefined what a chair is, how it is built and the fact that you can even sit on
something like this. It’s wrong to think that every chair has to follow certain rules. What matters is the chair’s purpose. Who sits on it, how and where? In each of my chair designs, I explore the issue of comfort. There are many different interpretations of comfort. Sometimes,
an uncomfortable chair will provide more appropriate comfort. An early example is Chaos for
ClassiCon. ––––––––––––––– True, Chaos could be considered a prototype of an uncomfortable piece of upholstered furniture. So why isn’t there a Grcic recliner? I certainly like lounging
on a chair, but not necessarily on thick, deep, soft cushions. That’s what I don’t like. That feeling that you might never get out of this thing again. How does that affect my psyche, how
do I sit across from someone as I feel myself getting more tired and lethargic? That is when I
definitely feel uncomfortable. –––––––––––– Hans (Nick) Roericht once said that he was never
uncomfortable on a chair that he liked. Exactly! Psychology matters a great deal. People are
pleasantly surprised when a chair is more comfortable than it looks – and vice versa. What
you expect to happen often doesn’t. This comes up all the time in designing, and it makes
things exciting. I have no pat solution other than to keep trying, over and over again, and not
to give up. –––––––––––––––– We’ve covered the successes, now let’s talk about the flops.
Not just commercially, but also where you’d say that you went off on the wrong track. I need
to think here – not because I don’t remember any, but rather because I remember so many.
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2Hands, Authentics GmbH, 1996
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Geschichte mit Nils Holger Moormann. Wir wollten unbedingt etwas zusammen machen, aber
weil unser Bestreben so groß war, haben wir uns gleich im ersten Projekt ordentlich verhoben.
Ich hatte die Idee von einem Ausziehtisch mit einer aufwendigen, neuartigen Mechanik; er
sollte viel größer sein, als man solche Tische vernünftigerweise baut. Ich dachte, mit wem,
wenn nicht mit Nils, kann man das machen. Und er wollte mir, glaube ich, zeigen, dass er das
hinkriegt! Es endete im totalen Desaster. Der Tisch hielt einfach nicht. Die Entwicklung wurde
immer aufwendiger und das kostete viel Zeit und Geld und brachte alle Beteiligten an ihre
Grenzen. Zum Glück schafften wir es, das Projekt gemeinsam zu begraben, im guten Sinne. Als
Reaktion haben wir dann das ES-Regal gemacht: Ein Regal, das absichtlich wackelt. Wir wollten zeigen, dass Möbelbau doch eigentlich auch ganz simpel sein kann. Ein paar Holzstangen,
dazu Bretter, nichts weiter. Nils hat das Regal als ernsthaftes Produkt auf der Messe in Köln
präsentiert, und erstaunlicherweise verkauft sich das Ding immer noch. Es steht auch in meinen
eigenen Wohnungen in München und Berlin. Als Symbol dafür, dass Fehler auch zu Lösungen
führen können, hat es für mich eine besondere Bedeutung. –––––––––––– Würdest du dich
heute noch als Industrial Designer bezeichnen? Ja. Es war und ist mein Leitbild, mit der Industrie zu arbeiten. Zurzeit kehrt sich der Begriff der Industrie wieder völlig um. In den 80er Jahren
erschien uns die Industrie veraltet, reformbedürftig. Aber die Designer haben in erster Instanz
gesagt: Wir wollen nichts mit euch zu tun haben, ihr könnt uns eh nicht helfen; oder: Euch ist
sowieso nicht mehr zu helfen! Jetzt erlebe ich zum zweiten Mal in meiner Laufbahn, wie die
Industrie infrage gestellt wird. Man sieht die alte Industrie mit ihren stinkenden Fabriken und
ihrem Mangel an Flexibilität. Und auf der anderen Seite die Verheißung einer sauberen, neuen,
digitalen Industrie, die sich freimacht von Stückzahlen, Standardisierungen und anderen Zwän-
Maybe we should talk about my experience with Nils Holger Moormann. We were bent on doing
something together. However, we were so eager that we bit off more than we could chew in
the first project. I had this idea of a pull-out table with a sophisticated, innovative opening
mechanism, one much larger than any table should reasonably be. I thought, who better to
do this with than Nils? And he, I believed, wanted to prove to me that he could get it done.
It ended up being a total disaster. The table simply wouldn’t stay together. Its development
become more involved, cost a lot of time and money and pushed everyone to their absolute
limit. Luckily, we were able to bury the project together, in a positive sense. As a reaction,
we built the ES-Regal: a shelf designed to wobble. We wanted to show that building furniture
can actually be very simple. A few wooden rods, some shelves, that’s it. Nils presented the
shelf as a serious product at the fair in Cologne, and, surprisingly, it keeps selling. I have it in
my own apartments in Munich and Berlin. It reminds me that mistakes can lead to solutions.
–––––––––––– Would you still call yourself an industrial designer today? Yes. My vision was
and is to work with industry. Right now, the concept of ‘industry’ is completely changing
directions again. In the ’80s, industry seemed outmoded and ripe for reform. But the designers
responded by saying, “We don’t want to have anything to do with you, you can’t help us,”
or, “You’re beyond help anyway!” Today, though, I’m seeing a re-examination of industry for
the second time in my career. On the one side, you have ‘old industry’ with its foul-smelling
factories and lack of flexibility. On the other is the promise of a clean, digital ‘new industry’
that has freed itself from standardisation, large production runs and other strictures. But I
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gen. Aber ich stehe zu dieser alten Form der Industrie, weil ich nicht glaube, dass sie durch die
andere ersetzt wird, sondern eher, dass sich durch die Digitalisierung neue Möglichkeiten eröffnen. Die Industrie, von der ich rede, arbeitet selbstverständlich mit der Digitalisierung. Ich
möchte, dass wir Designer darüber nachdenken, was Industrie in unserer Zeit ist, und uns an
dieser Diskussion beteiligen. Und dass wir uns nicht gewissermaßen in die eigene Küche verkrümeln, in der wir unsere Produkte selbst ausdrucken. Ich halte es für ein großes Missverständnis, dass diese neuen Produktionsarten wie 3D-Druck zwangsläufig in den eigenen vier
Wänden stattfinden werden. Letztlich wird es eher so sein, dass wir unsere Daten an Firmen
schicken, die große und leistungsfähige Maschinen haben und dort rund um die Uhr produzieren. –––––––––––– Es gibt allerdings schon spannende Entwicklungen. Etwa, wenn Adidas
verkündet, dass man in den Stores ab nächstes Jahr dabei zuschauen kann, wie der individuelle Schuh nach Maß gedruckt wird. Natürlich ist das extrem spannend! In vielen Bereichen,
etwa im Leichtbau für Roboter oder Flugzeuge, sind klassische Profile oder Gussteile am Ende
ihrer Entwicklung angelangt, gedruckte Teile können viel leichter sein. Zugleich rechnet sich
bei solchen Stückzahlen, vielleicht sind es 1.000 oder 1.500, das Drucken. Man muss das als
eine spannende Erweiterung der Möglichkeiten der industriellen Produktion begreifen, nicht
als etwas, was sich gegen die Industrie stellt. –––––––––––– Wenn du die Disziplin Industrial
Design betrachtest: Bist du ob der Zukunft bang, oder ist dein Eindruck eher, dass wir im Moment eine gute Zeit für das Design erleben? Ob die Zeiten für Industrie-Design gerade so gut
sind, weiß ich nicht. Aber für Design ganz allgemein schon. Vielleicht liegt in der Abgrenzung
der Disziplinen das Problem und zugleich der Lösungsansatz. Ich glaube, Design als Disziplin,
stand by old industry: I don’t think it will be replaced. Instead, I think digitalisation will open
up new possibilities. Industry, as I know it, has embraced digitalisation. I want for us designers to think about what industry means in this day and age and participate in the discussion –
and not sneak away to our kitchens and print out products there. I feel that it’s a huge mistake
to believe that new production technologies such as 3D printing necessarily have to be located
at home. In the end, we will probably send our data to companies with large, powerful machines
that will manufacture our products 24 hours a day. ––––––––––––– Some exciting things are
happening, though. Such as when Adidas announced that, starting next year, you could watch
your custom shoes be printed to order in the stores. Of course, that’s tremendously exciting.
There are many disciplines, such as lightweight construction for robots or aircraft, where
conventional cast or extruded parts have reached the end of their development. Printed parts
can be much lighter. And production runs with 1,000 to 1,500 units make printing cost-effective. You have to comprehend it as an exciting extension of the industrial production toolset,
not as a threat to industry. ––––––––––––– When you look at the discipline of industrial design,
are you worried about the future, or do you feel that we are experiencing a good period in
industrial design? I don’t know whether this is a good period for industrial design. But it certainly is for design in general. Perhaps the differentiation of disciplines is the problem as well
as the solution. I believe design as a discipline, as a form of thinking – and not just analytical,
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Diana A&B, ClassiCon GmbH, 2002
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als eine Form des Denkens, und zwar nicht nur des analytischen, sondern des kreativen Denkens, ist eigentlich der Begriff unserer Zeit. Nicht nur in der klassischen Formgebung, sondern
in alle möglichen Bereiche hinein. –––––––––––– Du hast vollkommen recht, es gibt kaum noch
einen CEO, der noch nicht auf einem Design Thinking Kurs war. In den 80er und 90er Jahren
haben wir die Inflation des Designbegriffs beklagt. Plötzlich war alles Design – und Design
wurde zum Schimpfwort. Architektur galt dagegen als die Königsdisziplin und wurde als Begriff, als Metapher bei der Gestaltung von größeren Strukturen benutzt. Inzwischen ist Design
der zeitgemäße Begriff für ganz viele Dinge, die uns betreffen: wie wir unser Leben gestalten
können, wie wir dafür sorgen, dass das Leben weitergeht. Eine spannende Zeit für das Design!
Und da müssen wir das Industrie-Design einbinden, dafür sorgen, dass es nicht einem Denken
der alten Schule zugeordnet und nur als spezialisierte Praxis betrachtet wird. Ich finde, gute
Industriedesigner waren immer Leute, die in großen Zusammenhängen denken und zugleich
sehr konkret werden konnten. –––––––––––– Wenn du in die Zukunft blickst: Gibt es etwas,
wo du als Designer sagst, das fehlt mir noch, das würde ich gerne machen? Ich sehe mein Büro,
meine Praxis nicht als Trophäensammlung, die ich gezielt erweitere. So ist es nicht und so
war es eigentlich auch nie. Es führte immer ein Projekt zum anderen, und gerade das war das
Spannende. Mein Wunsch ist, dass ich weiter so arbeiten kann – dass immer wieder unerwartete, überraschende, neue Dinge hinzukommen. Dafür brauche ich mit meinem Atelier eine
gewisse unternehmerische Unabhängigkeit. Ich möchte mir in meiner Arbeit eine Autorenschaft, eine Stimme bewahren, mit der ich zu einer Diskussion beitragen kann. ––––––––––––
Du willst dein Büro also nicht an ein internationales Agenturnetzwerk verkaufen. Bestimmt
but creative thinking, too – is the defining concept of our time. Not just in classic design, either,
but in every possible aspect of life. –––––––––––– You’re absolutely right. There aren’t many
CEOs who haven’t attended a design thinking class. In the ’80s and ’90s, we complained about
the inflationary use of the term ‘design’. Suddenly, everything was design – until design degraded to a kind of insult. Architecture, by contrast, was viewed as the premier discipline
and used as a term or metaphor when designing large structures. Today, the word ‘design’
refers to so many things that affect us: how we organise our lives, how we make sure that life
goes on. It’s an exciting period for design. And that’s where we have to bring in industrial
design and keep it from being marginalised as the ‘old way of thinking’ and viewed as a niche
area of practice. I think good industrial designers were always people who could grasp the
big picture while zooming in on concrete details at the same time. –––––––––––– When you
look ahead to the future, is there anything that makes you say, "I haven’t done that yet as a
designer, but I’d like to"? I see my office, my work as something other than a trophy collection
for me to selectively expand. That’s not what it is, nor has it ever been. One project has always
led to another, and that’s the exciting part. I hope to continue working in this fashion – that
a constant stream of new, surprising, unexpected things come my way. To do that, I need a
certain degree of entrepreneurial independence with my studio. I want to retain authorship
in my work, a voice that I can use to participate in the debate. –––––––––––– So you don’t
want to sell your office to an international agency network. Definitely not. What has changed
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nicht. Was sich verändert hat, ist unser „Scope“, die Bandbreite dessen, was wir leisten können. Das ist in den 25 Jahren seit Gründung meines Büro wirklich viel umfassender geworden.
Und ich glaube, wir sind noch gar nicht an einer Grenze angelangt. Insofern müssten wir vielleicht wirklich das „Industrie-“ weglassen und sagen, wir sind einfach Designer, und offen für
alles Mögliche. Wo können wir mitwirken, einen Beitrag leisten mit unserer speziellen Erfahrung und unseren Werkzeugen? Ich denke da weniger an Produkte, sondern an Prozesse und
Lösungen in allen möglichen Bereichen. Zum Beispiel die Flüchtlingsproblematik. Natürlich
können Designer das Problem nicht lösen, aber bestimmt können wir einen Beitrag dazu leisten, wenn wir Teil der Diskussion werden. Das verstehe ich wirklich unter Design Thinking.
–––––––––––– Das gehört traditionell zum Berufsethos der Designer: die Welt verändern, verbessern zu wollen. Ganz genau. Allerdings verstehe ich heute darunter nicht mehr diese Arroganz, dass der Designer bestimmt, wie das Leben sein wird. Ich sehe es eher als eine Vernetzung vieler unterschiedlicher Interventionen. Eine lokale Verbesserung hat Auswirkungen auf
andere Bereiche; so kann vielleicht eine große, sich verändernde und verbessernde Welt zusammenwachsen. Mit großer Geste behaupten, die Welt zu verändern – das ist wirklich das
alte Modell. Solche Designer braucht man nicht mehr, sondern Designer, die sich in ganz konkrete Situationen reindenken und sich engagieren, lokal oder global. Ein Designer bei Apple
hat natürlich heute riesigen Einfluss: Die Produkte haben unser Leben verändert. Aber auch
das konnte nur passieren, weil Steve Jobs die Vision hatte, welche Bedeutung die Qualität
jedes einzelnen Bausteins für das große Ganze hat. –––––––––––– Danke, Konstantin, für das
Gespräch!
is our scope – the range of things that we can do. It has grown much broader in the 25 years
since my office was established. And I think we still haven’t even reached a limit of what
we can do. In that light, we maybe should eliminate the ‘industrial’ and just call ourselves
‘designers’ who are open to every possibility. Where can we designers participate and contribute with our special experience and our tools? I’m not thinking of products as much as
processes and solutions in all sorts of fields. The refugee problem, for example. Obviously,
designers can’t solve this problem, but we can certainly make a contribution by participating
in the discussion. That’s what I really mean by ‘design thinking’. –––––––––––– That has traditionally been the designer’s work ethos: to want to change the world and make it a better
place. Exactly. However, I no longer define this work ethos as the arrogance that a designer
determines how life should be lived. Instead, I see it more as a synthesis of many different
interventions. A local improvement can ripple out to other areas; and that may be the mechanism by which our big, fluid, constantly improving world grows closer together. Grandiose
visions of changing the world are passé. We no longer need those kinds of designers, but
rather designers who can understand a very specific situation and devote themselves to it,
whether locally or globally. An Apple designer obviously has tremendous influence today:
these products have changed our lives. But that could only happen because Steve Jobs had
the vision to recognise the impact that the quality of every single element had on the big
picture. ––––––––––– Konstantin, thank you for talking with us today!
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