programmheft - Ensemble Kontraste

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programmheft - Ensemble Kontraste
Samstag 3.10.2015, 20 Uhr
Tafelhalle
Wahlverwandtschaften
Werke von Franz Schubert und Jörg Widmann
Eine Veranstaltung in Zusammenarbeit mit der Tafelhalle.
Das ensemble KONTRASTE wird gefördert durch die Stadt
Nürnberg, den Bezirk Mittelfranken und den Freistaat Bayern.
Jörg Widmann
(*1973)
Oktett (2004)
für Klarinette, Fagott, Horn,
zwei Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass
Intrada
Menuetto
Lied ohne Worte
Intermezzo
Finale
- Pause -
Franz Schubert
(1797 - 1828)
Oktett D 803 (1824)
für Klarinette, Fagott, Horn,
zwei Violinen, Viola, Violoncello und Kontrabass
Adagio – Allegro
Adagio
Allegro vivace – Trio
Andante con variazioni
Menuetto. Allegretto – Trio
Andante molto – Allegro
Klarinette – Günter Voit
Fagott – Christoph Baumbusch
Horn – Fabian Borchers (Schubert)
Horn – Sebastian Schorr (Widmann)
Violine I – Rebekka Hartmann
Violine II – Karlotta Eß
Viola – Albert Bachhuber
Violoncello – Cornelius Bönsch
Kontrabass – Ingo Nawra
Jörg Widmann – Instrumentalist und Komponist
Jörg Widmann, Jahrgang 1973, ist zweifelsohne eine der auffälligsten und
vielseitigsten Persönlichkeiten des gegenwärtigen klassischen Musikle­
bens. Als gefeierter Klarinettist spielt er seit vielen Jahren sowohl mit
weltbekannten Orchestern und Dirigenten als auch mit der internationa­
len Crème der Kammermusiker. Bedeutende Komponisten wie Wolfgang
Rihm, Peter Ruzicka, Heinz Holliger oder Aribert Reimann schrieben Kom­
positionen mit Soloklarinette für ihn.
Ebenso unzweifelhaft ist er längst der erfolgreichste deutsche Komponist
der jüngeren Generation. Trotz seiner erst 42 Jahre blickt er bereits auf
einen erstaunlich umfangreichen Werkkatalog zurück, es gibt kaum ein
Genre, zu dem er nicht gewichtige Beiträge geleistet hätte: Solostücke,
Kammermusik, unter anderem einen Zyklus von Streichquartetten, Vokal­
werke, Kompositionen für Sinfonieorchester, und nicht zuletzt Opern –
seine in jeder Hinsicht gigantisch angelegte Oper Babylon wurde im
Münchner Nationaltheater ein Riesenerfolg.
Stilistisch lässt er sich kaum festlegen. Neugier, Vielseitigkeit und Experi­
mentierfreude führen ihn bei jedem neuen Werk zu neuen Lösungen, ein­
mal fast klassisch tonal, ein andermal geräuschhaft grell beim Erkunden
der Spielmöglichkeiten eines Instruments. Da gibt es literarische Bezüge,
beispielsweise zu Baudelaires „Fleur du mal“, aber auch musikgeschichtli­
che, wie zu Schubert im Lied für Orchester oder im Oktett. Er greift auf tra­
dierte Formen und Konstruktionsprinzipien zurück, unterwirft diese aber
originellen und kontrastreichen Umformungen. In einem Interview sagte
der Komponist:
„Ich glaube fest daran, dass gute Musik immer in diesem Spannungsfeld
von ungeschützter Inspiration und kontrollierter Setzung liegt.“
Doch mit den Aktionsfeldern Instrumentalist und Komponist, beides auf
höchstem Niveau, ist Widmanns Tatendrang offensichtlich noch nicht ge­
stillt, denn zunehmend betätigt er sich auch als Dirigent. Außerdem ist er
leidenschaftlicher Musikpädagoge, Inhaber einer Doppelprofessur für
Klarinette und Komposition an der Musikhochschule Freiburg.
Jörg Widmann ist in München geboren, seine Eltern sorgten als begeister­
te Amateurmusiker für die musikalische Ausbildung sowohl ihres Sohnes
(Klarinettenunterricht mit sieben Jahren, schon mit 11 Jahren Kompositi­
onsunterricht) als auch seiner Schwester, der bekannten Geigerin und Vio­
line-Professorin Carolin Widmann. Später studierte der Komponist in
München und New York, die Liste seiner Lehrer enthält viel Prominenz,
Wilfried Hiller, Hans Werner Henze, Heiner Goebbels, Wolfgang Rihm.
Heute lebt der Komponist in München und Freiburg – wenn er nicht gera­
de unterwegs zu weltweiten Auftritten ist.
Widmann und Schubert – Wahlverwandtschaften
Einflüsse, Bezüge, Wahlverwandtschaften: Schubert wurde zu seinem Ok­
tett von Beethovens Septett angeregt, und Schuberts Oktett stand fast
zwei Jahrhunderte später Pate für Jörg Widmanns Oktett. „Der Einfluss
von Schubert auf mein Werk ist nicht zu leugnen. Das Schubert-Oktett,
dieses Zwittergebilde zwischen Orchestralem und Kammermusik – das ist
das allergrößte ", schreibt Widmann und er zitiert Adorno, den großen
Musiktheoretiker: „Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge,
ohne erst die Seele zu befragen". Widmann: „Mir war immer klar, dass ich
eines Tages meine persönliche Antwort auf diese musikalische Welt würde
finden müssen.“
Unmittelbarer Anlass zur Auseinandersetzung mit Schubert war ein Kom­
positionsauftrag der Bamberger Symphoniker, die in der Saison
2003/2004 in einem Konzert-Zyklus jeweils eine Schubert-Symphonie
mit einem zeitgenössischen Werk kombinierten, das sich auf Schubert be­
ziehen sollte. Als Beitrag Widmanns entstand 2003 das Lied für Orchester.
Im Jahr darauf, als Auftragswerk für das Dürener Kammermusikfest
„Spannungen. Musik im Kraftwerk Heimbach“ schrieb Widmann dann
sein Oktett, das seither nicht selten zusammen mit Schuberts Kompositi­
on aufgeführt wird.
Widmanns Oktett – eine zeitgenössische Antwort auf Schubert
„In seinem Oktett spürt Widmann den Stimmungen der Schubertschen
Musik nach und lässt sich in Gestus und Tonfall von ihr inspirieren, ohne
sie jemals wörtlich zu zitieren,“ so steht es im Booklet der CD-Aufnahme
von Widmanns Oktett, mit ihm selbst an der Klarinette.
Widmann nimmt den Geist von Schuberts Musik auf, die ersten Takte sind
eine Reminiszenz an ihn, doch die Harmonien zeigen gleich, dass hier ein
Komponist des 20. Jahrhunderts am Werk ist. Widmann dazu: „Die direk­
ten Anspielungen sind nicht so wichtig. Natürlich sind die Oktaven am Be­
ginn ein direkter Bezug zum Schubert-Oktett. Aber mir ging es letztlich
um anderes: einerseits um den Schubertschen Tonfall und den emotiona­
len Gestus seiner Musik; andererseits um das, wohin mich dieser Aus­
gangspunkt Schubert führt.“
Und in der Tat bewegt sich Widmann im Lauf des Stücks immer weiter von
Schubert weg, behandelt das kompositorische Vorbild immer freier. Wid­
manns Musik ist dabei von höchster kompositorischer Komprimiertheit,
Schuberts „himmlische Längen“ will er nicht erreichen – seine fünf Sätze
dauern weniger als eine halbe Stunde.
Der Intrada-Satz wird geprägt von einem „Signal“, das insgesamt fünf
Mal erklingt, jedes Mal auf verschiedenen Tonstufen und in verschiedener
Harmonisierung. Es eröffnet den Satz in der reinsten Version, als Unisono
aller Instrumente. Dabei spielt das Streichquartett in Doppelgriffen und
sorgt so für eine fast symphonisch wirkende Zwölfstimmigkeit. Eine Tem­
posteigerung beginnt mit einer Kantilene des Fagotts, das verschiedene
kleinstufige Melodiefetzen aneinanderreiht. Widmann: „Im ersten Satz,
Intrada, interessierte mich vor allem die schleichende Verwandlung eines
langsamen Introduktionssatzes in einen schnellen Kopfsatz ... diese un­
merkliche Metamorphose zu gestalten war die kompositorische Heraus­
forderung dieses Satzes.“
Zum zweiten Satz Menuetto, im Grunde ein Scherzo, sagte Widmann, er
spiele hier mit der Gattungstradition, mit dem „Wiener Menuett“. Der Satz
beginnt fast naiv, mit einem Hornthema, das aufgrund der Harmonisie­
rung als „Jagdthema“ wahrnehmbar ist. Völlig gegensätzlich dann das
Trio, das Cello übernimmt die Führung unter den Streichern, die das 6/8Metrum betonen, während die Bläser die Synkopen artikulieren. Widmann
bezeichnet diese Musik als „bitterböse“ und die abschließende Reprise
des Anfangsthemas als „verlogenen Akt“, wie ein „Schlag ins Gesicht“.
Das Lied ohne Worte ist nicht nur der längste, sondern auch der gewich­
tigste Satz des Werks. Widmann verwendet erneut, nur leicht abgewan­
delt, das Thema der ein Jahr zuvor entstandenen Komposition Lied für Or­
chester. In ihr besteht der Schubert-Bezug in der Melodie, im „Singen
ohne Worte“, denn die Melodie ist laut Widmann „der Schubertsche Para­
meter par excellence“.
Doch nicht um fröhliches Singen geht es hier im Oktett, sondern wie so oft
auch bei Schubert um Einsamkeit und Traurigkeit. Im erwähnten Booklet
heißt es: „In tiefer Isolation erwandern die Instrumente mikrotonale Ge­
biete, ohne je wirklich zueinander zu finden. Nur in der Mitte des Satzes
türmen sich alle Stimmen zu hochexpressiven Klangballungen auf, ehe sie
sich wie resigniert wieder vereinzeln.“ Häufige Schattierungswechsel und
starke Kontraste bestimmen den Satz, der am Schluss „senza misura“,
also ohne Metrum verklingt, mit leisen Horn-Glissandi.
Nach einer langen Pause beginnt der Kontrabass geräuschhaft das kurze
Intermezzo, der Satz steigert sich zu erregten Crescendi, Chaos scheint
auszubrechen, mit „verordneter Volksfestheiterkeit“ vergleicht es der
Komponist; dann wieder ein „Jagdlied“ der drei Bläser, und ein attacaÜbergang zum Finale.
Hierzu Widmann: „Der letzte Satz ist ein Nachtstück. Er ist mit „Finale“
überschrieben, müsste aber eher „Anti-Finale“ heißen: überall dunkle
Nachtgeräusche! Der Satz ist kompositionstechnisch purer Kontrapunkt.“
Die Musik nimmt Bezug auf den Kopfsatz, das „Signal“ ertönt, es folgt ein
mit „gefrorene Zeit“ überschriebener langsamer Abschnitt. Nach einer
langen Pause scheint das Finale erneut zu beginnen. Die Klarinette domi­
niert, hat eine „schwebend, von fern“ genannte Passage, in kontrapunkti­
schem Zusammenspiel mit einer „fernen Klage“. Der Satz nimmt Fahrt
auf, erneut eine Jagdmusik-Geste, Crescendo. Mit Flageolett-Tönen und
Bogengeräuschen verblasst die Musik schattenhaft ins Nichts.
Siglind Bruhn schreibt in ihrem Buch über die Musik Jörg Widmanns: „Mit
andeutungsweise volkstümlichen Einschüben, mit der Gegenüberstellung
von musikantischen Passagen und Segmenten in komplexer Textur und
mit der Abwechslung von intimer und orchestral großflächiger Zeichnung
erinnert Widmann betont an Schuberts Werk, das er als das zentrale Be­
zugswerk seines Oktetts bezeichnet.“
Literatur zu Jörg Widmann:
Markus Fein: Im Sog der Klänge. Gespräche mit dem Komponisten. Schott, 2005.
Siglind Bruhn: Die Musik von Jörg Widmann. Edition Gorz, 2013.
Musik-Konzepte Heft 166. Edition Text + Kritik, 2014.
Das Oktett Schuberts – ein Werk von himmlischer Länge
Franz Schubert hat viele seiner bedeutenden Schöpfungen, wie etwa das
berühmte Streichquintett oder die große C-Dur-Symphonie, nicht erklin­
gen hören – sie wurden oft erst Jahrzehnte nach seinem Tode uraufge­
führt! Nicht so bei seinem Oktett von 1824. Nach einem Privatkonzert im
Entstehungsjahr wurde es 1827 im Wiener Musikvereinssaal öffentlich
aufgeführt – allerdings mit zwiespältiger Rezeption. Der zeitgenössische
Kritiker lobte zwar die Komposition, meinte dann aber, es „dürfte die Auf­
merksamkeit der Hörer durch die lange Zeitdauer vielleicht über die Billig­
keit in Anspruch genommen sein.“
Ein einstündiges Kammermusikwerk, das schien etwas zu viel des Guten.
Doch schon elf Jahre später sprach Robert Schumann, der entscheidend
für Schuberts Anerkennung gewirkt hat, im Zusammenhang mit der CDur-Symphonie von des Komponisten „himmlischer Länge“ – es wurde
zum geflügelten Wort beim Blick auf so manches Werk des großen Wie­
ners.
Übrigens: Schubert bot das Werk zwei renommierten Musikverlagen zur
Veröffentlichung an – vergeblich! Erst 1853 erschien es im Druck, und erst
1861 gab es, nach einer Pause von 34 Jahren, wieder eine öffentliche Auf­
führung. Fast unglaublich bei einem Kammermusikwerk, das heute zu den
beliebtesten des Genres zählt.
Vorbild Beethoven
Das Oktett soll auf Veranlassung von Ferdinand Graf Troyer entstanden
sein, Obersthofmeister des Erzherzogs Rudolf und ein ausgezeichneter
Klarinettist. Er spielte mit seinen Musikern gern Beethovens damals be­
reits sehr populäres Septett op. 20 und wollte nun ein „Schwesterwerk“
dazu.
Mit dem gleichzeitig in Wien agierenden, aber 27 Jahre älteren und längst
berühmten „Titan“ Beethoven hat sich der junge Schubert ohnehin be­
kanntlich lebenslang auseinander gesetzt, oft voller Selbstzweifel und mit
Minderwertigkeitsgefühlen kämpfend. Beethovens Septett ist ein Werk,
das zwar in der Besetzung mit drei Bläsern und vier Streichinstrumenten
eine neue Form begründete, aber auch die von Mozart zur Perfektion ge­
brachte Divertimento-Form mit ihrer lockeren Folge musikalisch unter­
schiedlicher Sätze fortführte. Schubert übernimmt die Besetzung mit drei
Bläsern, Streichtrio und Kontrabass, er führt lediglich eine zweite Geige
ein. Auch bei der Anzahl und Abfolge der Sätze belässt er es, vertauscht
aber Menuett und Scherzo. Es gibt viele weitere Bezüge, beispielsweise
beginnen beide Werke mit einer gewichtigen Adagio-Einleitung, bevor das
übliche Allegro eines ersten Satzes anhebt.
Vielleicht wollte ja Schubert mit acht Instrumenten und rund einer Vier­
telstunde längerer Spieldauer das große Vorbild noch übertreffen ... Je­
denfalls kommt der Schubert-Spezialist Arnold Feil beim Vergleich beider
Werke zu dem Ergebnis: „Bei aller Tiefe weht durch Beethovens Septett
Serenadencharakter, während Schuberts Oktett bei aller Heiterkeit in be­
sonderer Weise ernsthaft erscheint.“
Auf dem Weg zur großen Symphonie
Schubert nahm die Kompositionsaufgabe sehr ernst, sein Freund Moritz
von Schwind berichtet aus dieser Zeit: „Jetzt schreibt er schon lang an ei­
nem Oktett mit dem größten Eifer. Wenn man unter Tags zu ihm kommt,
sagt er „Grüß dich Gott, wie geht’s? Gut?“, und schreibt weiter, worauf
man sich entfernt.“ Dieser Eifer lag sicher nicht nur am prominenten Auf­
traggeber. Schubert sah die Komposition eines so großangelegten Werks
auch als Vorstudie zu einer geplanten Symphonie. Berühmt ist seine Äu­
ßerung im Zusammenhang mit dem Oktett: „... überhaupt will ich mir auf
diese Art den Weg zur großen Sinfonie bahnen“.
Und in der Tat, auch wenn man dies in der Schubert-typischen Flut wun­
derbar gefühlvoller Melodien vielleicht gar nicht bemerkt: Das Werk ist
von großer formaler Konzentration, Schubert kommt der intendierten
symphonischen Form sehr nahe. Aber wie immer bei Schubert gilt: Auch
ohne Erfassen der zugrunde liegenden Konstruktion genießt man traum­
haft schöne Musik. Der Dirigent und Musikwissenschaftler Peter Gülke
spricht von der „besonderen Humanität Schubertscher Musik“, sie erlau­
be dem Hörenden, zu „versagen“, sich zu verlieren und zu vergessen, in ih­
ren großen lyrischen Momenten entziehe sie ihn dem strengen Tribunal
fordernder Rezeption und entbinde ihn davon, das Klingende als Ganzes
zu begreifen.
Sechs Sätze zwischen Serenade und Kammersymphonie
Der erste Satz beginnt mit langsamer Adagio-Einleitung, mit einem punk­
tierten Rhythmus, der im gesamten Werk spürbar bleibt, wie eine motivi­
sche Klammer. Das folgende Allegro präsentiert ein schwungvolles Thema
in Aufwärtsbewegung, sogleich kontrastiert von ruhigerer Abwärtsbewe­
gung. Das beginnende faszinierende Spiel alternierender Instrumente und
Farben entzieht sich pauschaler Beschreibung, man muss es hören. Ein­
mal erklingt wieder die gewichtige langsame Einleitung.
Der zweite Satz, ein Adagio, darf ohne Übertreibung zu den schönsten
Schöpfungen Schuberts gerechnet werden. Ein Klarinettensolo leitet die
bläserdominierte Folge innigster Melodien ein, „und singt und singt“, sagt
Jörg Widmann dazu – Romantik pur!
Dem Prinzip der Abfolge von Sätzen ganz unterschiedlichen Charakters
entsprechend folgt als dritter Satz ein heiteres Allegro vivace, es ist das
Scherzo des Werks, daher gibt es darin ein Trio, wiegend ländlerisch, doch
effektvoll grundiert von pausenlos mitlaufenden Viertelnoten.
Im vierten Satz, Andante con variazioni, schreibt der Komponist sieben ab­
wechslungsreiche Variationen über ein eingängiges Thema aus einer sei­
ner früheren Kompositionen, dem Singspiel Die Freunde von Salamanca,
das wie so viele Werke Schuberts zu seinen Lebzeiten nie aufgeführt wur­
de.
Ein schlichtes Menuett von großer Klangschönheit folgt als fünfter Satz,
bevor, fast wie ein Donnerschlag, mit bedrohlichem Basstremolo und sig­
nalartigen Klangstößen der düstere Beginn des Finalsatzes hereinbricht –
so als wollte Schubert die eingetretene Idylle konterkarieren. Hugo Wolf
hat dies im Bild eines heranziehenden Gewitters das „Grollen fernen
Donners“ genannt. Doch schon nach 14 Takten wird es hell, ein fröhliches
Allegro scheint die Harmonie unbekümmert wieder herzustellen. Aber
kurz vor Schluss erklingt erneut das düstere Intermezzo.
Unwillkürlich muss man daran denken, dass die Zeit der Komposition
auch diejenige war, in der Schubert klar wurde, dass er wohl nie mehr rich­
tig gesunden und auch kein hohes Alter erreichen würde.
Das Oktett Schubert erweist sich so, bei aller vordergründigen Heiterkeit,
als ein Werk mit doppeltem Boden, die Idylle wird zumindest im letzten
Satz mehr als fragwürdig. Offenkundig sind es diese Abgründe, die den
Komponisten Jörg Widmann an Schubert besonders faszinieren.
M. und R. Felscher
Musikkontraste in Nürnberg –
ensemble KONTRASTE für Nürnberg
Die Musikszene der Metropolregion ist so vielschichtig wie ihre
Bevölkerung, sie lebt von der Vielfalt des Angebots. In dieser lebendigen
Musikszene hat sich seit einem Vierteljahrhundert das ensemble
KONTRASTE (eK) als „dritte Kraft“ neben der Staatsphilharmonie und
den Nürnberger Symphonikern etabliert – als wichtiger Impulsgeber mit
eigenem Profil: unkonventionell, spartenübergreifend, mit kontrastreichen Programmen.
KONTRASTE – Klassik in der Tafelhalle
Die Magie des Orts, der „genius loci“, die spezielle Atmosphäre ist wichtig
für jeden Künstler – unser Ort ist die Tafelhalle: Zeugnis des Untergangs
der einstmals großen Nürnberger Schwerindustrie, von der Stadt
wiederbelebt als Spielort der freien Kulturszene Nürnbergs, heute im
Kulturleben der Stadt fest verankert. Und doch: Die Aura industrieller
Geschichte, der Charme des Improvisierten blieb. Kein klassischer Mu­
sentempel, aber auch kein alternativer Schuppen. Die Assoziation „jung
und frisch“ stellt sich ein, die Nähe (wörtlich, in Metern) zwischen Künst­
lern und Publikum ist ein unschätzbares Plus.
Nur Äußerlichkeiten? Keineswegs. Kultur ist nicht nur das „Was“, sondern
auch das „Wo“, das Ambiente, die schwer greifbare Stimmung unter
„Gleichgesonnenen“ zu weilen: Das Publikum ist bunt gemischt, keiner
Schicht und Altersgruppe zuordenbar, nur durch eines geeint: Offenheit
für Unerwartetes und Neues, für alles, was nicht nur „Entertainment“ ist,
was den geheimnisvollen „Mehrwert“ hat, der Kultur unverzichtbar
macht.
Mit konzeptionellen Konzerten, Puppenspiel, Stummfilm, Dichtercafé,
durch die Zusammenarbeit mit kreativen Kultur-Schaffenden nimmt die
eK-Reihe KONTRASTE – Klassik in der Tafelhalle eine herausragende
Position im Angebot dieses Spielorts ein. Künstlerisches Niveau ist
zwingend, aber etwas ist absolut verboten: gepflegte Kultur-Langeweile!
Konzertvorschau
KONTRASTE – KLASSIK IN DER TAFELHALLE
Sonntag, 15.11.2015 · 16.30 Uhr
Wir steigen niemals in denselben Fluss
Anton Webern – Passacaglia op.1
(in der Bearbeitung von Henri Pousseur)
Gustav Mahler – Rückert-Lieder
(in der Bearbeitung von Andreas Tarkmann)
Hans Zender – 33 Variationen über 33 Variationen
(eine komponierte Interpretation von Beethovens Diabellivariationen)
mit Christoph Prégardien – Tenor
ensemble KONTRASTE
Guido Rumstadt – Leitung