´CHICAS EN GTO`
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´CHICAS EN GTO`
´CHICAS EN GTO` Eine Geschichte zum Auslandsstudienjahr in Guanajuato, Mexiko Eine Geschichte zum Schreibwettbewerb „go international-Entdecker gesucht“ Schreibwettbewerb ‘Chicas en Gto‘ Seite 1 Dies ist die Geschichte, von unserem Auslandsstudienjahr in Guanajuato, Mexiko. Wir, das sind Heike, Nicole und Desiree. Drei Mädels die an der FH-Dortmund den International Business Studiengang deutsch/ spanisch studieren und sich für ihr obligatorisches Auslandsstudienjahr für die ‘Universidad de Guanajuato’ in eben Guanajuato, Mexiko entschlossen haben. Diese Geschichte erzählt von dem wohl spannensten Jahr aus unserem bisherigen Leben und einer Zeit die keiner von uns drei je vergessen wird und uns für immer verbindet... ‘CHICAS EN GTO‘ Eine Geschichte zum Auslandsstudienjahr in Guanajuato, Mexiko: Im Juli 2007 war es soweit. Unsere Ankunft in Mexiko. Mexiko-Stadt, etwas skeptisch blicken wir den Himmel herunter, als nach halbstündigem Flug über die Stadt, das Flugzeug langsam Kurs auf den Flughafen nimmt. Beeindruckend, diese Größe aber so gefährlich soll es da unten sein. So viel hatten wir noch nicht von der Welt gesehen, wir kommen aus kleinen Städten wie Lünen, Bad Bergzabern oder Dörfern namens Salzbergen. Ein irgendwie komisches Gefühl zwischen Unwohlsein und totaler Vorfreude schleicht sich in die Magengegend. Was wird uns da unten nur erwarten? Das Flugzeug landet, wir sind angekommen, unser Jahr beginnt. Mexiko-Stadt: Das Taxi fährt vom Flughafen ab, ein Hotel hatten wir schon gebucht für die erste Nacht, bevor es am nächsten Tag weiter nach Guanajuato gehen sollte. Beeindruckend diese Stadt, nur irgendwie sieht es grad aus wie in einem typischen lateinamerikanischen Streifen wie ‘City of God‘. Gerade waren wir noch auf einer vollbefahrenen und beleuchtete Straße und jetzt ist es eine dunkle Sandpiste. In den kleinen Gassen sitzen und stehen ein paar Leute auf der Straße und starren uns direkt ins Taxi. Der Taxifahrer macht die Knöpfe runter. Werden wir etwa an unserem aller ersten Tag schon ausgeraubt? Vor wem müssen wir denn nun Angst haben, vor dem Taxifahrer oder den Leuten da draußen? Ruhig bleiben, wir wollen doch ein bisschen Abenteuer. „Schickes Hotel!“ Plötzlich sieht alles ganz anders aus und wir atmen erleichtert auf. Wir halten vor einem hübschen, weißen Hotel mit goldener Eingangshalle. Ein Page öffnet die Taxitür mit einem freundlichen Lächeln: ‘Welcome to México‘. Wir sprechen spanisch, machen wir ihm klar. Wir sind zwar längst nicht perfekt im Schreibwettbewerb ‘Chicas en Gto‘ Seite 2 Spanischen und vor allem nicht im mexikanischen Spanisch aber trotzdem, es geht ums Prinzip. Gut geschlafen haben wir in dem weiß bezogenen Deluxe-Doppelbett. Ein genüßlicher Biss in den Sandwich oder in die‘torta‘, wie es die Mexikaner nennen. Der nächste Morgen war gekommen. „Was ist da denn drin?“ Wir drei schauen uns an und allen steht die Röte in den Gesichtern. Wer kann denn ahnen, dass die auf belegte Brötchen zwei dicke grüne ‘Jalapeno Chili-Bohnen‘ legen. Irgendwie sehr lecker, auch wenn man fast nur Schärfe schmeckt und kaum etwas von dem mit Käse und Fleisch belegten Brötchen. Von da an ist es um uns geschehen, wir lieben das mexikanische Essen: ‘Tacos, Quesadillas Chilaquiles, Sopes, Gorditas, Enchiladas, Flautas‘ und alle möglichen Chili-Arten und Soßen. Wobei man bei der mexikanischen Küche manchmal wirklich durcheinander kommen kann: Das Grundnahrungsmittel sind die Mais- oder Mehlfladen ‘Tortillas‘ und dann gibt es da noch die verschiedenen Zubereitungsformen: ‘Tacos‘ sind kleine runde ‘Tortillas‘, die man vor allem mit Hühnchen, Käse und gehackter Zwiebel belegt und nätürlich mit verschiedener grüner und roter Chilisauce; ‘Quesadillas‘ werden mit Käse, Pilzen, Fleisch usw. gefüllt, zusammengeklappt und erwärmt; ‘Chilaquiles‘ sind kleine fritierte ‘Tortilla-Stückchen‘ die man in grüner und roter Chilisauce kocht; ‘Sopes‘ sind kleine ‘Tortilla-Hütchen‘ die man mit Bohnenmus, verschiedenen Soßen und manchmal Käse und gehackten Zwiebel ganiert; ‘Gorditas‘ sind dickere Maisfladen die man vor allem mit Fleisch und Kartoffeln füllt; fritierte, gerollte, überbackene und mit verschiedenen Zutaten gefüllte und in verschiedenen Soßen gebadete ‘Tortillas‘ sind ‘Enchiladas‘, wobei wenn man diese nicht überbackt es keine ‘Enchiladas‘ sondern ‘Flautas’sind. „Alles klar?“ Hauptsache es schmeckt! Von Méxiko-Stadt geht es schnell weiter. Lieber erstmal hier weg, mit den vielen Koffern, denken wir uns. Wir wollen erstmal unsere neue Heimat Guanajuato kennenlernen. Ein Taxi zum Busbahnhof wird schnell gefunden. Es herrscht reger Trubel und wir beschließen, zwei passen auf die Koffer auf und einer sucht die Busgesellschaft mit der wir nach Guanajuato fahren können. Alles viel leichter als gedacht und schon sitzen wir in der Abfahrtshalle und warten auf den Bus. Wenn da nicht dieses schlechte Gefühl wäre die Koffer einfach mit diesen zwei Herren von der Busgesellschaft gelassen zu haben. Die werden doch nicht etwa... Der Bus fährt ab und der Fernseher geht an. Es gibt einen Aktionsfilm mit Sylvester Stallone, ‘Rambo‘ oder so. Der Bus ist richtig toll, der Sitz kann bis in die Schlafposition nach Hinten Schreibwettbewerb ‘Chicas en Gto‘ Seite 3 geklappt werden und zwischendurch werden leckere belegte Chilibrötchen, Coca Cola und Chips serviert. Nach 3 Filmen sind wir schon da, in Guanajuato unsere neuen Heimat. Ein Haus hatten wir bereits: Das ‘Casa Alemana‘. Dieses Haus steht schon seit einigen Jahren in der Obhut der FH-Dortmund Studenten die für ihr Auslandsstudium nach Guanajuato kommen. Es ist also eine Tradition in diesem Haus zu wohnen, die wollen wir natürlich nicht brechen. Mit dem Taxi können wir nicht zu unserem Haus fahren weil fast alle Häuser in Guanajuato an engen Gassen ’Callejones‘ an der Bergkette liegen, die man nur zu Fuß erreichen kann. Also heißt es, jeder muss seine für ein Jahr gepackte Koffer etwa 500 Stufen und 15 Minuten Fußweg die ‘Callejón‘ hochschleppen. Die Menschen, die in der Gasse sitzen, Pause machen, essen, wohnen oder Kinder, die spielen, gucken uns erstaunt dabei zu. „Hola güeritas,“ ruft einer, was soviel heißt wie „Hallo Blondchen.“ Eigentlich haben wir doch alle drei dunkle Haare und fühlen uns alles andere als blond. Von da an waren wir halt eben die ‘Blondchen‘. Zum Glück helfen uns dann ein paar ‘Jungs‘ die Koffer hoch zu tragen. Wir schafften es ja kaum ohne die Koffer diese steilen Treppen hinauf zu kommen. Das ‘Casa Alemana‘. Unser neues Zuhause. Als erstes sehen wir unsere ‘Ahnenwand‘ mit Fotos unserer Vorgänger die zuvor in dem Haus gewohnt hatten. Ein bisschen moderig ist es, scheint viele Partys mitgemacht zu haben, vor allem das Sofa, wenn man sich draufsetzt quirrlt Bier an den Seiten raus. Trotzdem, irgendwie ist es auch wunderschön und urig mit den alten mit Holzbalken verkleideten Decken. Vielleicht ein bisschen unfertig in einer Ecke und in der anderen schon wieder kaputt, aber dennoch irgendwie gemütlich. Als wir zu unseren Zimmern mit Panorama-Fenstern und zur riesigen Terrasse hochgehen wird uns klar wie hoch wir gerade gelaufen sind. Wir haben einen wunderschönen Ausblick über ganz Guanajuato mit seinen wunderschön, in jeglichen Farben buntbemalten Häuschen, dem historischen Stadtzentrum mit der Universität, die aussieht wie die ’Hogwarts-Schule‘ aus Harry Potter und auf der anderen Seite das Wahrzeichen von Guanajuato ‘el Pipila‘. Ein Freiheitskämpfer der Guanajuato vor den spanischen Eroberern schützte. Wir sind begeistert und genießen erstmal den Ausblick. Irgendwer klopft unten an die Tür! Wir gehen gemeinsam runter. „Seit ihr die neuen Deutschen?“ werden wir von zwei Mexikanern gefragt. „Ja genau die sind wir“. Gerade erst angekommen, schon hatten wir unsere erste Partyeinladung. Schreibwettbewerb ‘Chicas en Gto‘ Seite 4 Plötzlich verdunkelt sich der Himmel über uns. Das stand ja im Reiseführer. Ungefähr von Mai bis Oktober ist Regenzeit in Guanajuato. „Wir brauchen Eimer!“ schreit Heike von oben. „Komisch irgendwie tropft es.“ Unsere Decke hat ein Loch. Schnell ist ein Eimer gefunden und wir drei Mädels sitzen in der Küche, starren uns an und warten was passiert. Nun ist es, als ob der liebe Gott tonnenweise Badewannen voller Wasser auf uns niederkippt. Unsere Treppe nach oben verwandelt sich in einen kleinen plätschernden Bach. Oben in unserem Zimmer wird uns klar, dass es nicht nur das ein Loch in der Decke ist, sondern dass der Regen gegen die Fenster peitscht und diese weder isoliert noch überall mit Glas versehen sind. Die gesamte obere Etage steht unter Wasser. Putzen bringt da nichts mehr. Wir warten einfach mal ab. Irgendwann hört es auf. Wir müssen erstmal mit dem Vermieter sprechen. Wie praktisch, dass dieser gleich nebenan wohnt. Er sagt, er würde alles reparieren sogar ‘ahorita‘, was so viel wie ‘jetzt gleich‘ bedeutet. Das ‘ahorita‘ aber auch nicht jetzt gleich, nicht bald, nicht heut, nicht morgen sondern eher gar nicht bedeuten kann, war uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Erstmal die Stadt erkunden, das ist der Plan. Es regnet nicht mehr so stark. Als wir in die ‘Callejón‘ einbiegen können wir unseren Augen kaum trauen. Das nette, kleine Gässchen nach unten hatt sich in eine reißende Strömung verwandelt. Das Wasser schwappte von Hauswand zu Hauswand in rasender Schnelle die Stufen herunter bis nach unten ins Zentrum der Stadt. Nun ist alles egal, wir wollten doch Abenteuer. Die Schuhe werden ausgezogen und die Hosen bis zum Knie hochgekrempelt. Es geht durch die Strömung. Das uns nicht gleich ein Fisch begegnet und uns in die Zehen beißt ist alles. Bloß nicht hinfallen das könnte schlimm enden und man wäre sicherlich ganz, ganz schnell unten im Stadtzentrum. Ein wahrer Balanceakt dieser Abstieg, von unten die reißende Strömung und von oben total vom Regen durchhängende Kabel, die man lieber nicht mit dem Regenschirm berühren will. “Hoffentlich sind das nur Telefonkabel“ denkt sich Desi. Einmal unten angekommen, kehrt die Sonne zurück und damit auch das Leben in der Stadt. Guanajuato ist eine kleine touristische Stadt, man nennt sie auch das ‘Heidelberg von Mexiko‘, so wurde es uns gesagt. Es gibt wunderschöne, kleine Plätze auf denen sich Einheimische, Touristen und darunter vor allem Liebespärchen tummeln, die sich von den ‘Mariachis‘ romantische Lieder singen lassen. Die Stadt ist einfach nur zum verlieben und Schreibwettbewerb ‘Chicas en Gto‘ Seite 5 auch die Leute sind sehr hilfsbereit und die vielen Kinder, die man hier sieht, ganz anders als in Deutschland. Das Regenchaos ist somit ganz bald vergessen. Am nächsten Morgen werden wir pünktlich um halb sechs von lautem ‘Kikeriki‘ und Hundegebell geweckt. Unser Nachbar hat Hühner und Hunde, die gibt es hier überall. Vor allem sieht man sie von den Hausdächern nach unten ‘kleffend‘, wenn man an ihnen vorbei geht. Wenn man aus den Zimmerfenstern schaut ist alles dunkel, aber die Lichter der Häuser, unten im Zentrum leuchten hell, es sieht einfach traumhaft aus. Es ist unser erster Unitag. Um sieben Uhr müssen wir dort sein. Daran muss man sich erstmal gewöhnen. Schlaftrunken diese ‘Callejón‘ runtergehen ist eine wahre Herausforderung, der Blick muss immer nach unten auf den Boden fallen, ein falscher Tritt und man könnte wirklich übelst fallen. Unser Uni Campus liegt außerhalb des Zentrums auf einem anderen Berg, wir wissen nur, dass es ein Bus Shuttle vom Zentrum aus gibt. An der Haltestelle warten schon viele Mitstudenten. Die sehen fast alle jünger aus als wir, stellen wir fest. Wahrscheinlich sind sie das auch. Es kommt ein zum Kleinbus umfunktionierter Mercedes-Sprinter angefahren. „Da sollen wir alle reinpassen?“ Nein, ein paar bleiben halt draußen und müssen auf den nächsten warten. Wir gehören auch dazu. Es ist so ein Gedrängel vor der Bustür, dass wir auch den zweiten nicht nehmen können. Aber der dritte. „Irgendwie passen wir da rein“ war das Motto. Heike sitzt fast auf dem Lenker des Busfahrers, Desi lehnt sich aus dem Fenster um nach Luft zu schnappen und Nici haben wir vor lauter Gedränge nicht mehr sehen können. Die Fahrt geht los. „Nein, da sollen wir hoch?“ Jetzt wird uns klar warum es kleine ‘Sprinter-Busse‘ sind und keine normalen Stadtbusse. Vor Angst halten Heike und Desi sich die Hände. Desi denkt: „Eigentlich müsste der Bus vorher Anlauf nehmen um da hoch zu kommen.“ Aber das tut er dann doch nicht und man muss sagen, dass man wirklich Kräfte entwickelt, bei diesem hin und her Gewackel den Berg hinauf. Heike sitzt nun schon auf dem Schoß des Busfahrers, dieser scheint etwas vergnügt und Desi versucht während der Fahrt nicht aus dem Fenster zu fallen während Nici nun etwas verkrampft von hinten nach vorne durchwinkt. „Zum Glück, wir sind da, wunderbar!“ Ein großes Schild hängt da: ‘Stundenplan für die internationalen Gaststudenten‘. Damit sind wir gemeint. „Wie bitte, Uni von sieben Uhr morgens bis 8 Uhr abends und zwischendurch nur 1 Stunde Mittagspause.“ Aus Dortmund waren wir einen etwas anderen Stundenplan gewohnt. „Ach ja und dann gibt es da ja auch noch die Anwesenheitspflicht.“ Schreibwettbewerb ‘Chicas en Gto‘ Seite 6 Mit uns sind auch noch sieben französische Gaststudenten aus La Rochelle im Studienprogramm. Wir werden in zwei Gruppen mit unterschiedlichen Fächern geteilt. Desi kommt als einzige von uns drei in die zweite Gruppe. Jedes Fach haben die Gaststudenten mit einer anderen mexikanischen Klasse, damit man Fächer aus verschiedenen Semestern belegt. Der Stundenplan schockt uns noch immer. „ Gut, dass übermorgen schon wieder Feiertag ist!“ Feiertage gibt es in Mexiko viele: Es gibt wie bei uns den Tag der Arbeit, aber auch Feiertage wie der Tag des Studenten oder der Tag des Lehrers. Ob nun wirklich an diesen Tagen frei ist, wird jedes Jahr neu entschieden und stellt sich meist erst ein bis drei Tage vor dem Feiertag heraus. Trotzdem sind wir positiv gestimmt, alle sind sehr nett zu uns. Nach einem Tag Uni kennt uns schon jeder und wir haben für die nächsten drei Tage fünf PartyEinladungen. Am nächsten Morgen schreit Nici aus ihrem Zimmer: „Mädels ich kann nicht zur Uni, mein Bauch tut so weh!“ ‘Tacos, Quesadillas, Enchiladas‘ und vor allem die Chili hatten ihr die ‘Méxiko-Krankheit‘ gebracht. ‘Immodium Akut‘ und Kohletabletten sollten von nun an unsere stetigen Begleiter werden. Bestens ausgerüstet waren wir ja. Unsere ‘Mamis‘ hatten uns vorbildlich mit Medikamenten für mindestens zehn Jahre ‘Mexiko-Krankheit‘ ausgestattet. In der Uni bekommen wir langsam einen Eindruck, dass das System und das Verständnis von Universität in Mexiko oder zumindest in Guanajuato ein anderes ist. Wir nennen uns wieder Schüler ‘alumnos‘ und sind in der Schule ‘escuela‘ und bekommen Hausaufgaben ‘tareas‘. Auch Mitarbeitsnoten gibt es und wie gesagt, es herrscht Anwesenheitspflicht. Kein Vergleich mehr zum Prinzip des ‘Selbststudiums‘ und der Eigenverantwortlichkeit wie man es in Deutschland kennt. Desi bekommt einen Eindruck dafür, dass ihre französischen ‘Mitschüler‘, gemäß dem Klischee, auch nach Bitten ob sie nicht auch spanisch sprechen könnten, munter auf Französisch weiterplaudern. Etwas doof, wenn in den Pausen die Mexikaner nur eben schnell vorbeischauen um uns zur nächsten Party einzuladen und dann wieder zu ihrem Unterricht gehen und die Franzosen eben nur Französisch reden. „Was soll´s, einfach dazustellen und so tun als ob man alles versteht ist die Devise.“ Nici versucht derweilen zuhause im ‘Casa alemana‘ aus ihrem Bett zu kommen. Es ist Waschtag! „Wir haben eine Waschmaschine,“ dass würde uns von unseren Vorgängern bereits bestätigt. Doch so richtig hat die noch keiner unter die Lupe genommen. „Irgendwie echt kultig, dieses Ding. „So eine hatte meine Uroma nach dem ersten Weltkrieg. Ihre erste Schreibwettbewerb ‘Chicas en Gto‘ Seite 7 eigene Waschmaschine war das,“ .denkt sich Nici. Man nennt sie ‘Toploader‘ weil die Wäsche von oben reinkommt. Innen ist eine kleine Spirale, die die Wäsche drehen soll. Das Wasser kann kalt über einen Schlauch eingelassen werden, oder man kocht es erst unten in der Küche in einem Topf, schleppt es hoch und fügt es dann hinzu. Dann hat man warmes Waschwasser. Nici schmeißt die Wäsche rein, lässt Wasser dazu und die Spirale dreht sich. „Ob das irgendeinen Effekt hat?“ Die kleine Spirale berührt noch nicht mal die Wäsche. „Oh jetzt klappt´s!.“ Die Wäsche dreht sich einen Zentimeter. „Oh nein!“ Ihre Jeans verfängt sich in der Spirale und man kann sie kaum wieder rausziehen. Von da an wird die Wäsche nur noch von Hand gewaschen, entweder auf der Terrasse in einer Tonne, dann kann man sich gleichzeitig dabei bräunen, oder in der Waschmaschine, aber ohne sie anzustellen, sondern auch mit der Hand. Waschen verbraucht Wasser. Plötzlich klappert ein Rohr laut gegen unsere Hauswand. „Platzt da was?“ Nici rennt schnell zum Nachbarn. „No te preocupes,“ „mach dir keine Sorgen,“ sagt er! „Das ist immer so, das Wasser muß auf das Dach gepumpt werden , damit sich der Kanister, der oben auf dem Dach steht und das Haus mit Wasser versorgt, wieder aufgefüllt wird“. Von da an ‘ratterte‘ diese Leitung in voller Lautstärke mindestens zwei Stunden am Tag. Die Uni ist toll! Die Mitschüler haben in jedem Klassenraum einen riesigen Süßigkeitentisch. „Ach, die kann man kaufen!“ Nicht nur Lollis mit Chili, Früchte wie Mango oder Melone mit Chili und buntes Esspapier mit Chili-Sauce gibt es, sondern auch Klamotten. Ein Junge kommt immer mit einem riesigen Koffer voller Kleider in die Uni und schnell bildet sich eine riesige Traube von Mädels um ihn und seinen Koffer. Die Anprobe wird im Uniklo veranstaltet und bezahlen kann man immer in vielen kleinen Raten. Besser kann man gar nicht shoppen, vor allem lassen sich einige Professoren immer viel Zeit. Man muss mindestens die Hälfte der Vorlesezeit auf sie warten, wenn sie dann nicht kommen, fällt der Unterricht aus. Also wartet man eben, beim Jungen mit dem Koffer, beim Süßigkeitentisch oder auch in der Cafeteria. Aber selbst bitte nie zu spät kommen. Wenn es wirklich um sieben Uhr morgens los geht und man erst um fünf nach sieben kommt, kann es passieren, dass der Unterrichtsraum schon abgeschlossen ist und der Professor macht einen freundlich darauf aufmerksam, dass man leider nicht mehr teilnehmen kann. Wer zu spät kommt hat eben Pech gehabt. Schreibwettbewerb ‘Chicas en Gto‘ Seite 8 Die nächste Unterrichtsstunde ist mexikanisches Zollrecht und alle müssen Präsentationen halten. Die erste Gruppe beginnt und Heike ist etwas verwirrt als sie in der PowerPoint Präsentation, nicht nur ein paar Paragrafen animiert von links nach rechts springend einfliegen sieht, sondern auch einen rosa Delfin mit gold blinkenden Glitzersternchen. „Was hat bloß dieser Delfin mit Zollrecht zutun?“. Auf der nächsten Folie blinkt der Hintergrund abwechselnd in allen Farben und Heike fühlt sich wie in einer Disco. Dieses grelle Grün, blinkend mit weißer und pinker Schrift, macht sie fast blind! Den anderen scheint es richtig gut zu gefallen. Am Ende bedankt sich die Professorin für die so schön gestaltete Präsentation, der Delfin wäre so süß gewesen und die tollen Farben! Heike fragt sich, ob man in verschiedenen Kulturen auch Farbzusammenstellungen unterschiedlich deutet oder ob entweder sie oder die Mexikaner farbenblind sind? Abends treffen wir Nici wieder zuhause und die neuen Erlebnisse werden berichtet. Nici ist wieder fit und die ‘Mexiko-Krankheit‘ scheint vergessen. Doch da ist uns noch nicht klar, dass wir ungefähr 200 von 365 Tage mit der ‘Mexiko-Krankheit‘ zu kämpfen haben werden. Es scheint als wäre das Haus eigentlich schon längst eine Quarantänestation. So viele deutsche Studenten hatten hier schon gewohnt und wahrscheinlich das ein oder andere Mal auch mit der ‘Mexiko-Krankheit‘ zu kämpfen. Es sitzt einfach irgendwie in den schönen alten Balken oder in dem ‘versifften Biersofa‘. Darauf macht es sich Nici übrigens grad bequem, natürlich nur mit einem großen Strandhandtuch zum Draufsetzen. Heike ist währenddessen dabei unseren Gasboiler anzuzünden, damit sie warm duschen kann und Desi auf einer der vier Partys zu die wir an diesem Tag eingeladen wurden. „Ahhh ein Skorpion,“ schreit Nicole ganz plötzlich als ginge es um ihr Leben. „Ein Skorpion. Hilfe, Hilfe!“ Sie schreit so laut, dass bereits der Nachbar bei uns im Haus steht als Heike mit einer Flasche ‘Skorpion-Killer-Spray‘, in Bademantel runtergerannt kommt. Wir wussten ja bereits von unseren Vorgängern, dass es Skorpione in Guanajuato gibt und das ein Stich nicht nur wehtun kann, sondern auch sehr gefährlich ist. Der Nachbar tritt einmal mit seinen mexikanischen Cowboystiefeln mit voller Wucht zu und das Tier ist direkt tot. Nici zittert am ganzen Leib während der Nachbar den Skorpion mit nach draußen nimmt und nur sagt: „So ein kleiner Süßer“ und Heike bewegungslos, mit dem Daumen auf dem Abzug ihres “Killersprays“, auf der Treppe steht. Aber ihr Spray soll kurze Zeit später doch noch zum Einsatz kommen als es sich ein zweiter Skorpion in Nicis Zimmer gemütlich gemacht hat. Eine ganze Flasche Spray und der Skorpion ist quicklebendig. Dafür sind Nici und Heike schon vergast und fangen an zu fantasieren und Schreibwettbewerb ‘Chicas en Gto‘ Seite 9 sehen in jeder Ecke potenzielle Mörderskorpione. „Was ist denn hier los, macht die Fenster auf! Lebt ihr noch?“ heißt es von Desi als sie von ihrer Party nach Hause kommt! Die Gaswolke die aus den Fenstern und Türen drang konnte man schon von draußen sehen. Vermummt wie zwei Terroristinnen kommen ihr Heike und Nici entgegen. „Die Skorpione kommen!“. Von da an schwor sich Desi jeden Skorpion im Haus selbst zu beseitigen bevor noch einmal dieses schreckliche Spray eingesetzt werden würde. Insgesamt wurde noch 64 Mal in diesem Jahr wegen der Skorpione um Hilfe geschriehen, aber das Spray zum Glück nie wieder verwendet. Es vergehen ein paar Tage. Die Skorpionszeit ist angebrochen und die Regenzeit hört auf und wir finden uns langsam damit ab, unsere Betten nicht mehr an die Wand stellen zu können und unsere Kleidung auf ‘Skorpionbefreitheit‘ überprüfen zu müssen. Das größte Kultur und Kunstfestival Mexikos steht an, das Cervantino Festival. Tausende von internationalen Künstlern kommen zwei Wochen nach Guanajuato und mit ihnen ganz viel technisches Equipment für Musik, Theater und Tanz. Die ganze Stadt ist voll von Bühnen und Veranstaltungen auf der Straße. Ab nun an gibt es keine ruhige Minute mehr denken wir und freuen uns riesig auf die ganzen Veranstaltungen, die stattfinden. Schick gemacht stehen wir bereit zum Rausgehen in unserer Haustür. Plötzlich ist alles dunkel und es herrscht Totenstille. Man sieht einfach gar nichts mehr. Unsere schöne Panoramasicht auf die Stadt...weg. Nicole, Heike, Desi...weg. „Mädels seid ihr noch da? Ich glaub die haben zu viel Strom angezapft für die ganzen Konzerte, das machen die durchhängenden Kabel der Stadt nicht mit!“ Plötzlich pfeift die Masse der Leute, die bereits auf den Konzerten unten im Stadtzentrum ist. Dann geht der Strom an, Menschen grölen und die Musik setzt ein und wir sehen, dass wir wirklich alle noch im Hauseingang stehen. Dann wieder: aus, an, aus... fast im Minutentakt pfeifen und grölen die Menschen unten, perfekt im Takt der ein- und aussetzenden Musik und unserem Licht im Hauseingang. Doch dann bleibt der Strom weg. „Kerzen, Mädels wir brauchen Kerzen!“. Aus unserem Konzert wird nichts mehr und unser einziges Teelicht leuchtet genau eine Minute. Auch am nächsten Tag, kein Strom und außerdem haben wir vergessen Gas zu kaufen und die Wasserrechnung zu bezahlen, weil wir einfach noch keine Ahnung haben wie das so geht mit den Rechnungen in Mexiko. Kein Strom, kein Wasser und kein Gas zum Kochen und wir hatten die schönsten ‘Candle-Light Abende‘ und eine kleine Erfahrung wie es ist, ohne all diese Vorzüge leben zu müssen. Dass es aber draußen vor unserer Tür Leute gibt, die nicht mal ein Dach über dem Kopf haben ist eine Schreibwettbewerb ‘Chicas en Gto‘ Seite 10 ganz andere Sache. Trotzdem bleibt zu sagen, dass die meisten Mexikaner das Leben mit beneidenswerter Gelassenheit nehmen und eben nicht alles perfekt läuft und laufen muss, nicht einmal beim größten Kulturfestival Mexikos. Die Zeit vergeht hier wie im Flug. Ein Leben zwischen Uni und lernen, Reisen und Partyeinladungen. So viele tolle Dinge, die wir in diesem Jahr sehen, wenn wir die Feiertage wie der Tag des Professors und der Tag der Studenten für Ausflüge nutzen: Kokosnussschlürfen unter Palmenwäldern an einsamen Karibikstränden, Lagerfeuerromantik und Campen in Baja California, uns in indigene Trachten schwingen in Chiapas, frei lebende Delfine und zum 24. Dezember auch springende Wale im Sonnenuntergang. Die tollsten Erfahrungen, aber auch vor allem diese kleinen Erfahrungen des alltägliches Lebens, von denen wir nur einen Bruchteil erzählen konnten, die uns immer wieder zum Lachen bringen werden, oder uns reflektieren lassen über unsere Auslandsstudienjahr in Guanajuato so unvergesslich machen. eigene Kultur und unser