Gedichtvergleich – “Die Stadt” von Theodor Strom und Georg Heym

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Gedichtvergleich – “Die Stadt” von Theodor Strom und Georg Heym
Gedichtvergleich – “Die Stadt” von Theodor Strom und Georg
Heym
Das erste Gedicht “Die Stadt” von Theodor Strom ist ein Gedicht des
bürgerlichen Realismus. Storm hat dabei sein Augenmerk auf der Darstellung
der Stadt als triste, hässliche und unwirtliche Siedlung von Menschen.
Er verwendet eine Kombination von Paar- und Kreuzreim, in der Abfolge
“abaab”. Jede der vier Strophen besteht aus 15 Versen. In seinem Gedicht
finden sich viele dunkle und abwertende Formulierungen wie “rauscht kein
Wald”, “Eintönig”, “grauem Strand” und “drückt”, die er mit der Stadt und
ihrer Ausstrahlung in Verbindung bringt. Sehr häufig wird das Wort “grau”
verwendet, was Trostlosigkeit und Tristigkeit zum Ausdruck bringt.
Das lyrische Ich beschreibt die Stadt als lebensfeindlich und wider der Natur
(“es rauscht kein Wald”, “der Nebel drückt die Dächer schwer”, “braust ...
eintönig durch die Stadt”). Die Stadt liegt am Meer, dieses ist vermutlich
infolge des Einflusses der Stadt auch grau geworden. Die Häuser werden von
Nebel eingeschlossen, das lässt auf einen naß-kalten, vielleicht regnerischen
Tag im Herbst schließen. Der Herbst ist wiederum Ausdruck der Depression
und Verzweiflung, welche durch dieses Gedicht insbesondere deutlich gemacht
wird. Die Stadt leigt seitab, also fast sekundär zum Meer gesehen. Selbst
dieser Ort des Lebens, das Meer, wird grau und eintönig, wenn er durch die
Stadt fährt (Z. 4f). Durch die Litothes und gleichzeitig der Anapher “es rauscht
kein Wald, ... kein Vogel ohne Unterlaß” verdeutlicht der Autor seine Position
der Bedrohung und Depression ausgehend von der Stadt. Die Tiere meiden die
Stadt, kommen nur vorbei, wenn es sich nicht anders machen läßt (“die
Wandergans ... nur fliegt in Herbestnacht vorbei” Z. 8f).
Doch trotzdem ist die Stadt für das lyrische Ich ein Ort der Geborgenheit, da
es hier seine Kindheit verbrachte. Hier hängen Erinnerungen an die vielleicht
schönste Zeit seines Lebens und darüber kann auch eine derartig graue und
depressive Stadt nichts verändern (“hängt ... mein ganzes Herz an dir” Z 11f).
Das lyrische Ich ist so von den Erinnerungen und den Erfahrungen seiner
Jugend überwältigt, dass es die Stadt direkt anredet: “Du graue Stadt am
Meer”. Die Stadt besitzt einen “Zauber” eine Magie, eine Art Anziehungskraft
der Erinnerung steckt in ihr, die trotz aller Widrigkeiten schön ist.
Das zweite Gedicht von Georg Heym ist der Literaturepoche des
Expressionismus zuzuordnen. Heym verwendet fast nur metaphorischsymbolische Worte, die nur sekundär etwas vom Thema der Stadt erahnen
lassen. Dabei benutzt er einen umschließenden Reim mit dem Klangschema
“abba”. Die ersten beiden Strophen bestehen aus vier, die letzten beiden aus
jeweils drei Versen.
Auffällig ist die Verwendung von progressiven, boshaften und
aufscheuchenden und manchmal fast ironisch-sarkastischen Wörtern wie
“ewig stumpfer Ton”, “Tod”, “Lallerei der Wehen” oder “Sterbeschrei”.
Heym beleuchtet die Stadt als ein der Nacht ausgeliefertes Individuum (Z. 1
ff), beispielsweise vergleicht er die Straßen der Stadt mit den Adern eines
Menschlichen Körpers (Z. 5), er personifiziert sie damit ebenso wie mit der
Äußerung, dass sie mit den Augenlidern blinzeln würde (Z. 4). Dabei lassen
sich gewisse Parallelen zur Personifikation durch Storm nicht leugnen. Doch
dieser ging im folgenden mehr auf den Wert der Stadt als Erinnerungsträger
seiner Kindheit ein. Im Gegensatz dazu personifiziert Heym seine Stadt als
Übel und als Ansammlung von Tod und Verderben (Z. 9 f).
Er charakterisiert die Stadt als überfüllt (“unzählig ... schwemmen aus und
ein” Z. 6) und dumpf (Z. 8), sehr eintönig (Z. 9) und trist, ähnlich wie Storm
seine Stadt charakerisiert.
Das lyrische Ich in Heyms Gedicht spricht von “stumpfe[m] Ton aus stumpfem
Sein”, es verurteilt damit das Leben in der Stadt. Es wäre nicht mehr als ein
sinnloses Dasein, ohne Freude, stumpf, ja – grau – eine Parallele zu Storm.
Jedoch geht es Heym, diesen Schluss lässt die Wortwahl vermuten, um die
Auflehnung der Menschen, die in der Stadt am meisten leiden “Die drohn im
Weiten mit gezückter Hand” Z. 13 bzw. warnt davor, dass mit Sicherheit diese
Menschen reagieren werden (“mit gezückter Hand”), beispielsweise durch
einen Aufstand (“Feuer, Fackeln rot und Brand”).
Das lyrische Ich in Heyms Gedicht prognostiziert bereits das Ende der Stadt,
so z.B. “Gebären, Tod, gewirktes Einerlei” - es ist also unwichtig was im
Moment passieren wird, denn die Apokalypse droht ohnehin – und “langer
Sterbeschrei, Im blinden Wechsel geht es dumpf vorbei” macht deutlich, dass
das Ende der Stadt und der Gesellschaft bereits vorprogrammiert ist. Die
Stadt wird dumpf, ohne großen Aufwand und unspektakulär untergehen.
So progressiv ist Strom beispielsweise nicht. Er zieht es vor, die Misstände
anzukreiden und von der Hässlichkeit der Stadt zu schreiben, ruft jedoch nicht
auf, dagegen etwas zu tun. Im Gegensatz dazu ist Heym sehr progressiv, er
strebt die Revolte an.