Trägheitsmoment und Drehschwingung ( )

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Trägheitsmoment und Drehschwingung ( )
M15
Physikalisches Praktikum
Trägheitsmoment und
Drehschwingung
Das Trägheitsmoment unterschiedlicher starrer Körper soll nach der Schwingungsmethode gemessen
werden. Die Ergebnisse sind mit den aus Geometrie und Masse berechneten Werten zu vergleichen.
Der Steinersche Satz soll bestätigt werden.
1. Theoretische Grundlagen
1.1 Rotation eines Massepunktes

Ein Massepunkt, der sich mit der Geschwindigkeit v bewegt, besitzt bezüglich eines festen Punktes 0 den Drehimpuls

 
 
(1)
L = m( r × v ) = r × p .

Rotiert der Massepunkt mit der Winkelgeschwindigkeit ω (Drehvektor)

auf einer Kreisbahn um 0 mit dem Radius r , so ist
  
v = ω × r.
(2)


Da ω senkrecht auf r steht, gilt für den Betrag des Drehimpulses
L = m ⋅ r 2 ⋅ ω.
Bild 1: Definition
des Drehimpulses
(3)
Die kinetische Energie des Massepunktes ist
Ekin =
1
1
1
m ⋅ v2 = L ⋅ ω = m ⋅ r 2 ⋅ ω 2.
2
2
2
(4)
Es besteht eine enge Analogie zwischen der mathematischen
Beschreibung von Translations- und


Rotationsbewegungen. Dabei entspricht der Drehimpuls L dem Bahnimpuls p und die Winkelge

schwindigkeit ω der Translationsgeschwindigkeit v .
Der Masse bei der Translation entspricht nach Gleichungen (3) und (4) bei der Rotation die Größe
J = m ⋅ r2,
(5)
die als Trägheitsmoment des Massepunktes bzgl. der gegebenen Drehachse bezeichnet wird.
1.2 Rotation starrer Körper
Zur Beschreibung eines starren Körpers um eine beliebige Achse wählen wir den Koordinatenursprung 0 auf der Rotationsachse. Der Drehimpuls eines Massenelementes mi des Körpers ist nach
Bild 2

(6)
Li = mi (ri × vi ).
Der Gesamtdrehimpuls ist also


L = ∑i Li .
©2015
(7)
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Bild 2 zeigt, dass die Richtungen des Drehimpulses und der Winkelgeschwindigkeit nicht übereinstimmen müssen. Der Drehimpulsvektor wird ausgedrückt durch


L = J ⋅ω ,
(8)

wobei man J als linearen Operator aufzufassen hat, der dem Vektor ω einen Vektor L zuordnet. Er wird als Trägheitstensor bezeichnet.
Dieser Trägheitstensor kann in Matrixform dargestellt werden. Setzt man
nämlich die Gleichungen (6) und (2) in (7) ein, so erhält man
(
)

 

L = ∑i mi ri × (ω × ri ) .
(9)
Die Ausführung dieses zweifachen Kreuzproduktes liefert unter Verwen        
dung des Entwicklungssatzes a × b × c = b (a ⋅ c ) − c a ⋅ b
(
)
( )
Lx = J xx ⋅ ω x + J xy ⋅ ω y + J xz ⋅ ω z
(10)
Ly = J yx ⋅ ω x + J yy ⋅ ω y + J yz ⋅ ω z
Bild 2: Drehimpuls und
Winkelgeschwindigkeit
eines Massenelementes mi
Lz = J zx ⋅ ω x + J zy ⋅ ω y + J zz ⋅ ω z
Die Diagonalelemente haben die Form
(
)
(
)
= ∑ m (r − y ) = ∑ m (x + z ) = ∑ m ⋅ r
= ∑ m (r − z ) = ∑ m (x + y ) = ∑ m ⋅ r
J xx = ∑imi ri − xi2 = ∑imi yi2 + zi2 = ∑imi ⋅ rx2
J yy
J zz
2
i
i
i
i
i
i
2
2
2
i
i
i
2
i
i
i
2
i
2
i
i
i
i
2
i
2
i
i
i
i
(11)
2
2
,
wobei rx, ry, rz die Abstände von der x-, y- bzw. z-Achse sind, während r der Abstand vom Ursprung 0
ist.
Die Nichtdiagonalelemente haben folgende Form:
J xy = J yx = −∑imi ⋅ xi ⋅ yi
(12)
J xz = J zx = −∑imi ⋅ xi ⋅ zi
J yz = J zy = −∑imi ⋅ yi ⋅ zi .
Bei Körpern der Dichte ρ können die Summationen in Gleichungen (11) und (12) durch eine Integration ersetzt werden. Für ein Diagonalelement gilt dann
J xx = ∫ ρ (r 2 − x 2 )dV = ∫ ρ ⋅ rx2 ⋅ dV .
V
(13)
V
Jeder Körper besitzt eine Achse durch den Schwerpunkt mit maximalem und eine andere, dazu senkrechte Schwerpunktachse mit minimalem Trägheitsmoment. Diese beiden und die dritte, zu beiden
senkrecht stehende Achse werden als Hauptträgheitsachsen bezeichnet. Sie fallen mit den eventuell
vorhandenen Symmetrieachsen des betrachteten Körpers zusammen. Die zugehörigen Trägheitsmomente heißen Hauptträgheitsmomente Jx, Jy und Jz.
Legt man das Koordinatensystem so, dass seine Achsen mit den Hauptträgheitsachsen zusammenfallen, verschwinden alle Nichtdiagonalelemente von J und Gleichung (10) vereinfacht sich zu
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J
  x
L= 0

0
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0

0 ω .

Jz 
0
Jy
0
(14)
Lässt man einen Körper um eine beliebige starre Achse rotieren, so sind im allgemeinen alle drei


die starre Achse raumKomponenten der Winkelgeschwindigkeit ω von 0 verschieden. Da ω durch

fest gehalten wird, rotiert das körperfeste
Koordinatensystem und damit L um die starre Achse. Die

zeitliche Änderung des Drehimpulses L erfordert an der Rotationsachse das Drehmoment

 dL
,
(15)
M =
dt

das sich bei ω = konst. als „Unwucht“ rotierender Körper äußert. Fällt jedoch die starre Achse mit

einer Hauptträgheitsachse zusammen,
so besitzt ω nur eine von 0 verschiedene Komponente und

nach Gleichung (14) zeigt L dann immer in Richtung der Achse. In diesem Fall verschwindet das

Drehmoment auf die Achse (bei ω = konst.), der Körper ist „ausgewuchtet“.
1.3 Der Satz von Steiner
Nach Betrachtung von Rotationsachsen durch
den Schwerpunkt des Körpers wird nun der Koordinatenursprung in den Schwerpunkt S des
Körpers mit der Masse m gelegt und dessen Rotation um eine Achse A, die nicht durch S geht, untersucht (Bild 3).
Das Trägheitsmoment bezüglich A ist
J A = ∑i mi Ri2 .
(16)
Wegen
Ri2 = a 2 + ri 2 − 2a ⋅ ri cos α i
Bild 3: Trägheitsmoment für beliebige Achsen
(17)
erhält man aus Gleichung (16)
J A = m ⋅ a 2 + ∑imi ⋅ ri 2 − 2a ∑imi ⋅ ri cos α i ,
(18)
Der mittlere Term ist gerade das Trägheitsmoment JS bezüglich der zu A parallelen Schwerpunktachse. Im letzten Term in Gleichung (18) sind die Produkte ri cos α i die Projektionen der Ortsvektoren
auf die x-Achse. Der Term verschwindet, denn
∑ m ⋅ r ⋅ cos α = ∑ m ⋅ x
i
i
i
i
i
i
i
= m ⋅ xS .
(19)
xS ist aber gerade die x-Koordinate des Schwerpunktes, der im Koordinatenursprung liegt. Für das
Trägheitsmoment um eine beliebige Achse A ergibt sich somit aus (18) der Satz von Steiner:
J A = J S + m ⋅ a2,
(20)
wobei JS das Trägheitsmoment um die zu A parallele Schwerpunktachse ist.
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1.4 Experimentelle Bestimmung von Trägheitsmomenten
Zur Messung von Trägheitsmomenten
kann
man eine Torsionsfeder
verwenden, die beim
Auslenken des Körpers
aus der Ruhelage ein zum
Auslenkwinkel proportionales Drehmoment
M = D ⋅ϕ
(21)
erzeugt. Der Faktor D
wird als zur Torsionsfeder
gehöriges Direktionsmoment (auch Direktionskonstante, Richtkonstante, Federkonstante) bezeichnet.
Bild 4: Drillachse mit montiertem horizontalen Stab
Die entstehende Schwingung hat die Schwingungsdauer
T = 2π
J
.
D
(22)
Das Direktionsmoment D kann nach dem Hookeschen Gesetz (Gleichung (21)) bestimmt werden oder
aus Gleichung (22) durch Messung der Schwingungsdauer eines Körpers mit bekanntem Trägheitsmoment.
2. Versuch
2.1 Vorbetrachtung
Aufgabe 1: Warum ist das Trägheitsmoment bezüglich einer Schwerpunktachse immer kleiner als
das für eine parallele Achse, die nicht durch den Schwerpunkt geht?
Aufgabe 2: Worin bestehen die Unterschiede der beiden im Versuch zu benutzenden Methoden für
die Bestimmung des Direktionsmomentes D (Aufgabe 1 und 2).
Aufgabe 3: Sie bestimmen in Aufgabe 3 das Trägheitsmoment J für verschiedene Körper mit zwei
unterschiedlichen Methoden. Beschreiben Sie kurz diese beiden Messmethoden.
2.2 Versuchsdurchführung
2.2.1 Verwendete Geräte
Drillachse, Stab mit zwei darauf verschiebbaren Massen, Kraftmesser, Lichtschranke mit Zähler, unterschiedliche starre Körper (Vollzylinder, Hohlzylinder, Vollkugel, Scheibe), Scheibe mit kreisförmiger,
dreieckiger und quadratischer Grundfläche für Steinerschen Satz, Laborwaage, Messschieber
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2.2.2 Versuchshinweise
Aufgabe 1: Bestimmung des Direktionsmomentes D der Torsionsfeder nach dem Hookeschen Gesetz
Gleichung (21)
• Bestimmen Sie mit einem 1N-Kraftmesser
die Kräfte F in Abständen von 10 cm, 15cm,
20cm, 25cm und 30cm von der Stabmitte,
in dem Sie den Federkraftmesser senkrecht
am Stab ansetzen (siehe Bild 5).
• Bringen Sie die Anordnung um α = 180° (in
Uhrzeigerrichtung drehen) aus der Gleichgewichtslage.
Bild 5: Aufbau Drillachse mit Stab
Zur Zeitmessung in Aufgaben 2 bis 4:
Zur Messung der Schwingungsdauer wird eine Lichtschranke mit Zähler verwendet. Dabei wird
eine Betriebsart gewählt, die eine Zeitmessung zwischen der ersten und der dritten Abschattung erlaubt und damit die Schwingungsdauer T misst und im Display anzeigt.
• Betriebsartenschalter in Stellung
• Nach dem Drücken der „SET“-Taste sind vier Dezimalpunkte eingeschaltet, die Messung ist
vorbereitet.
Aufgabe 2: Nachweis der Abhängigkeit des Trägheitsmomentes von der Massenverteilung nach der
Schwingungsmethode
• Messen Sie die Schwingungsdauer T zunächst nur mit dem Stab ohne dabei die zusätzlichen
Massen auf die Achse zu stecken.
• Wiederholen Sie diese Messung 10-mal. Das gilt auch für die folgende Aufgabe!
• Positionieren Sie die Lichtschranke so, dass der Stab die Lichtschranke auslösen kann. Dabei ist
die Auslenkung nur so groß zu halten, wie sie zur Messung notwendig ist.
• Bestimmen Sie die Masse der Aufschiebekörper.
• Stecken Sie dann die Massen symmetrisch im Abstand r = 5 cm, 10 cm, 15 cm, 20 cm und
25cm von der Stabmitte auf die Achse. Die Massen sind nur aufzuschieben, sie rasten eigenständig ein. Messen Sie die Schwingungsdauer wieder je 10-mal.
Aufgabe 3: Untersuchung der Trägheitsmomente eines Voll- bzw. Hohlzylinders sowie einer Holzscheibe und einer Kugel
a) nach der Schwingungsmethode und
b) durch Masse- und Längenbestimmungen (siehe Ergänzung)
• Bestimmen Sie das Trägheitsmoment des Auflagetellers (zur Befestigung der beiden Zylinder)
über die Schwingungsdauermessung und berücksichtigen Sie dieses bei der Berechnung der
Körper.
• Benutzen Sie die gleiche Verfahrensweise für die Schwingungsdauermessung wie bei
Aufgabe 2. Dabei verwenden Sie zur Auslösung der Lichtschranke einen an der Drillachse befestigten Zeiger.
• Bestimmen Sie die Massen und Radien der verwendeten Körpern.
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Aufgabe 4: Bestimmung der Abhängigkeit des Trägheitsmomentes J vom Abstand a zwischen Rotations- und Schwerpunktachse
a) nach der Schwingungsmethode und
b) durch Masse- und Längenbestimmungen (siehe Ergänzung)
• Stecken Sie zunächst die Kreisscheibe im Schwerpunkt (a = 0) auf die Drillachse und lassen Sie
die Kreisscheibe um ihre Achse rotieren.
• Messen Sie die Schwingungsdauer T analog zur Aufgabe 2 und wiederholen Sie diese Messung
5-mal.
• Führen Sie die Messungen bei folgenden Abständen a zwischen Rotations- und Schwerpunktachse (0 cm, 2 cm, 4 cm, 6 cm und 8 cm) durch.
Hinweis:
Justieren Sie die Kreisscheibe bzw. die anderen zu untersuchenden Körper bei der
Montage sowie bei jeder Abstandsänderung möglichst waagerecht!
• Wiederholen Sie die Messung mit Körpern dreieckiger bzw. quadratischer Grundfläche.
• Ermitteln Sie die Massen der Kreisscheibe, des Dreiecks und des Quadrats sowie den Radius
bzw. die Kantenlängen.
2.3 Versuchsauswertung
Aufgabe 1: Bestimmung des Direktionsmomentes D der Torsionsfeder nach dem Hookeschen Gesetz
• Berechnen Sie das Direktionsmoment D der Torsionsfeder nach dem Hookeschen Gesetz (siehe
Abschnitt 1.4) und geben Sie dazu die Messunsicherheit durch eine Fehlerrechnung (absolut
und relativ) an. (α in Bogenmaß verwenden!)
Hinweis:
Das Massenträgheitsmoment der Drillachse ohne Stab liegt in der Größenordnung
10-5 kg·m2. Es wird bei den mit den experimentell bestimmten Daten durchgeführten
Berechnungen nicht berücksichtigt, so dass diese Ergebnisse stets größer als die theoretisch zu erwartenden Werte sind.
Aufgabe 2: Nachweis der Abhängigkeit des Trägheitsmomentes von der Massenverteilung nach der
Schwingungsmethode
• Stellen Sie den Zusammenhang als Funktion J = f(r) und J = f(r2) graphisch dar.
• Berechnen Sie aus den Messwerten die Mittelwerte der Schwingungsdauern T und die Messabweichungen aus den Summen der systematischen und zufälligen Fehler (Mittelwert, Standardabweichung, t-Verteilung).
• Ermitteln Sie aus der graphischen Darstellung der Messergebnisse T2 = f(r2) den Anstieg des
Graphen
• Leiten Sie dazu aus der Gleichung (22) und dem Steinerschen Satz Gleichung (20) die Bestimmung des Direktionsmomentes der Torsionsfeder her.
• Berechnen Sie das Direktionsmoment D erneut. Bestimmen Sie dazu die Messunsicherheit
durch eine Fehlerrechnung (absolut und relativ).
• Vergleichen Sie beide Messmethoden und deren Messunsicherheiten miteinander.
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Aufgabe 3: Untersuchung der Trägheitsmomente eines Voll- bzw. Hohlzylinders sowie einer Holzscheibe und einer Kugel
• Vergleichen und diskutieren Sie die Ergebnisse der nach Aufgabe 3a und 3b bestimmten Trägheitsmomente und ermitteln Sie die Messunsicherheiten durch eine Fehlerrechnung.
Aufgabe 4: Bestimmung der Abhängigkeit des Trägheitsmomentes J vom Abstand a zwischen Rotations- und Schwerpunktachse
a) nach der Schwingungsmethode und
b) durch Masse- und Längenbestimmungen (Siehe Gleichung (20)).
• Bestimmen Sie die Trägheitsmomente J nach Aufgabe 4a und 4b.
• Weisen Sie an Hand der in Aufgabe 4a ermittelten Werte mit Hilfe der graphischen Darstellung
J = f(a2) den Steinersche Satz nach (ein Diagramm pro Körperfläche).
• Zeichnen Sie eine Regressionsgeraden in das Diagramm ein. Legen Sie die Fehlerbalken fest und
schätzen Sie daraus die relative Messunsicherheit ab.
• Zeichnen Sie aus den berechneten Daten nach Aufgabe 4b eine Kennlinie in die jeweilige graphische Darstellung mit ein.
• Welche Schlussfolgerungen ziehen Sie daraus?
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3. Ergänzung
Massenträgheitsmomente einiger einfacher Körper (schwerpunktbezogen)
1
m b2 + c 2
12
1
J y = m ( a 2 + b2 )
12
1
J z = m ( a2 + c2 )
12
(
Jx =
Quader
)
1
m ⋅ r2
2
1
J z = m (3⋅ r 2 + l 2 )
12
Jx =
Vollzylinder
1
J x = m ra2 + ri 2
2
1 
1 
J z = m  ra2 + ri 2 + h 2 
4 
3 
(
Hohlzylinder
1
m⋅l2
12
1
Jl = m ⋅ l 2
3
JS =
langer dünner Stab
Kugel
J=
2
m ⋅ r2
5
Körper mit dreieckiger (gleichschenklig) Grundfläche
Jz =
-8-
1
m ⋅ b2
12
)