Design + Dilettant = Dilemma
Transcription
Design + Dilettant = Dilemma
Design + Dilettant = Dilemma ? Neuwerk, Zeitschrift für Designwissenschaft Eine Publikation der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle im Verlag form+zweck. Heft 03 „ ... man [könnte] doch ein Thema hernehmen, die Quellen gründlich ausschöpfen, sie genau analysieren und dann zu einer Erzählung verdichten, die gleichsam ein Abriß der Dinge wäre und die volle Wahrheit widerspiegle. Ein solches Werk schien Pécuchet ausführbar. ‚Möchtest du, dass wir den Versuch machen, eine Geschichte zu schreiben?‘ ‚Nichts wäre mir lieber! Aber welche?‘ “*1 * Flaubert, Gustave: Bouvard und Pécuchet. Zürich 1979, S. 147. Inhaltsverzeichnis 4 8 11 25 37 41 49 63 73 83 89 95 109 115 121 135 141 151 159 165 169 174 Vorwort noch ein Vorwort Reprint Alfred Lichtwark „Design is always more than the sum of its parts“ Paola Antonelli interviewed by Martin Hartung Stärke des Seitenblicks Versuch zur Rehabilitation des Dilettantismus im Design Mara Recklies Vorn und Hinten, Anfang und Ende In eigener Sache Dimitri Reibestein Die reine Leere Ein Zwischenruf Steffen Leuschner Pioniere und/oder Dilettanten Über den Wert des Dilettantismus für die moderne Typografie Julia Meer Dilettant ≠ Dilettant Über achtenswerte Dilettanten im Grafikdesign Philine Delekta Dilettanten, Designer, Philosophen – Wo ist da der Unterschied? Michael Funk anonyme Gestaltung Ein Selbstversuch auf unterschiedlichen Ebenen Claudia Zachow Lob des Dilettantismus I oder: Vom Photographieren Dimitri Reibestein Perfektion und Dilettantismus ein ungleiches Paar? Die Shaker und ihr Vermögen, beides miteinander zu vereinbaren. Sandra Giegler Die Malerei auf Seide, Atlas, Gaze etc. illustriert mit Bildern von Robin Zöffzig Lob des Dilettantismus II oder: Viele Wege führen nach Rom Dimitri Reibestein Bilder einer Ausstellung – in Worten Über den Dilettantismus Katharina Bese Dilettantismus als Methode Zur künstlerischen Arbeit von Mark Dion Christine Heidemann Facetten des Möglichkeitssinns zur Dynamik und Neuformulierung des Kunstbegriffs Marija Falina Die Kunst des Imperfekten Scheitern als Handlungsmaxime Denys Bouvard Lob des Dilettantismus III oder: Gedanken beim Fahrrad streichen Dimitri Reibestein Biografisches Befragung einer leidenschaftlichen Dilettantin Claudia Zachow Willkommen im Freudenhaus! Kommentar Charlotte Gärtner Autoren Vorwort Zugegeben, das Mittel ist nicht neu. Einband einfach umgedreht und schon fragen sich die meisten, was soll der Quatsch. Die wenigsten werden vermuten, dass uns da tatsächlich ein Fehler unterlaufen ist. Unprofessionell und laienhaft wäre es in beiden Fällen – und damit ist der Einstieg ins Thema gefunden. Mangelnde geistige Tiefe und abnehmende Qualität in jeglicher Hinsicht scheinen unsere Umwelt und uns selbst mehr und mehr zu bestimmen. In konkreten Momenten wird dann gern der Begriff des Dilettantischen bemüht. Zu unrecht. Mit ziemlich genau einem Jahr Verspätung erscheint NEUWERK III. Diese dritte Ausgabe der Zeitschrift für Designwissenschaften widmet sich dem Dilettantismus. NEUWERK erschien erstmals 2009, erdacht und konzipiert von Eva Kristin Stein und Florian Walzel, den ersten Studierenden des designwissenschaftlichen Masterstudiengangs Design Studies an der Burg Giebichenstein Kunsthochschule Halle. Ihr Thema war damals Oberflächen und Untersichten. Die zweite Generation beschäftigte sich in ihrer Ausgabe mit x-mal Nutzen. Dies ist nun NEUWERK III, das Produkt der dritten Generation. Als wir unser Thema gefunden hatten und an die Recherche gingen, fiel auf, dass auf diesem Gebiet in letzter Zeit schon so einiges publiziert wurden ist. Das spricht zwar dafür, etwas gefunden zu haben, was eine gewisse aktuelle Relevanz hat, sorgt aber ebenso für ein latentes Gefühl, etwas Überflüssiges zu produzieren. (Wobei wir damit ebenfalls durchaus im Trend der Zeit lägen.) 4 Das Ergebnis ist eine Kompilation von Texten aus verschiedenen Bereichen: Den Auftakt macht ein Fundstück aus der Feder von Alfred Lichtwark, der sich anlässlich einer Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle 1894 begeistert über die Dilettanten äußert. Mit Paola Antonelli ist es Martin Hartung gelungen, die leitende Kuratorin der Abteilung Architektur und Design des MoMA für ein Interview zu unserem Thema zu gewinnen. Martin Hartung hat bereits für die zwei vorangegangen NEUWERK-Ausgaben geschrieben und lebt und arbeitet selbst seit einigen Jahren in New York. In der Stärke des Seitenblicks geht Mara Recklies ausführlicher auf den Begriff Dilettantismus und den Zusammenhang zum Design ein. In eigener Sache ist zu erfahren, wie es zur Umschlaggestaltung kam und wie sich nach Dreyfus/Dreyfus die Entwicklung vom Anfänger zum Experten vollzieht. Einen kritischen Blick aus und auf die konkrete Situation der heutigen Designausbildung liefert Steffen Leuschner. Er bringt dabei eine der schönsten und inzwischen fast vierzig Jahre alten und doch so aktuellen Begriffskonstruktion ins Spiel: die Inkompetenzkompensationskompetenz. Julia Meer und unsere Kommilitonin Philine Delekta beschreiben den Stand der Dilettanten bei den Vätern der ‚Neuen Typografie‘ in den 20er und 30er Jahren und bei heutigen Grafikern, bevor sich Michael Funk, Assistent am deutschlandweit einzigen Lehrstuhl für Technikphilosophie an der TU Dresden, essayistisch zum Verhältnis der Begriffe Design, Philosophie, Schönheit, Kunst, Technik, Spiel, Musik, Glück und was Goethe und Schiller damit zu tun haben, äußert. Mit dem Fotoapparat waren angehende junge Grafiker der BBIAkademie in Halle ‚anonymen Gestaltern‘ auf der Spur. Daran schließt sich ein Lob des Dilettantismus – Vom Photographieren an. Sandra Giegler forscht derzeit im Bereich ‚Objektkultur‘, im englischen Sprachraum als ‚Material Culture Studies‘ bekannt. In ihrem Beitrag geht sie auf die Religionsgemeinschaft der Shaker ein und wie deren Glaube im Zusammenhang mit ihrer gestalterischen und handwerklichen Leistung zu sehen ist. 5 Die Abbildung eines Buchcovers mit dem vielsagenden Titel Das Buch der Liebhaberkünste und der Dilettantenarbeiten aus dem Jahr 1898 steht für die Anerkennung, die einst das Laienhafte genoss. Robin Zöffzig, seit kurzem diplomierter Maler, widmet sich einer typischen Liebhaberkunst – der Seidenmalerei. Die von ihm abgedruckten Arbeiten zeigen einen recht eigenwilligen Umgang mit dieser Materie. Ein weiteres Lob des Dilettantismus reflektiert über die aktive Freizeitgestaltung, wie wir sie heute erleben. Mit einer Ausstellung Über den Dilettantismus, die zuerst in der ACC-Galerie Weimar und im Anschluss in der Baumwollspinnerei Leipzig statt fand, waren Positionen verschiedener internationaler Künstler zu diesem Thema dargestellt. Die Katalogtexte von Katharina Bese veranschaulichen die verschiedenen Verhältnisse von Künstlern zum Dilettantismus. Einer von ihnen ist Mark Dion, anhand dessen Werkes sich Christine Heidemann in ihrer Promotion mit Dilettantismus als Methode auseinander gesetzt hat. Zum Kunstbegriff und dessen Dynamik und Neuformulierung schreibt Marija Falina. Die Kunst des Imperfekten steht als Plädoyer dafür, auch das Scheitern als Teil dilettantischer Handlungen zu würdigen. Das dritte Lob des Dilettantismus handelt vom Fahrrad streichen und den Gedanken, die einem während dessen so durch den Kopf gehen. Von der Welt der Gedanken zur Lust des Fleisches. Ein ganz besonderer biografischer Einblick illustriert geradezu plakativ den engen Zusammenhang zwischen dem nichtprofessionellen Machen und der dazu notwendigen Hingabe. Den abschließenden Beitrag überlassen wir unserer ehemaligen Kommilitonin Charlotte Gärtner. Mir ihrer poetisch-phantastischen Erzählweise hinterlässt sie uns einen Ausblick auf die Möglichkeit, irgendwann DELECTARE zu erreichen, den Ort, der für die Anwesenheit jeglicher Form von Freude bekannt ist. Und was hat das alles mit Designwissenschaft zu tun? Was ist Designwissenschaft überhaupt? Seit fast 4 Jahrzehnten ist Designtheorie ein Thema an der 6 Burg Giebichenstein. In den letzten Jahren hat sich Design – zumindest begrifflich – in viele Bereiche ausgebreitet. Außerdem wird es heute gern, zu einer Vorsilbe degradiert, zur vermeintlichen Aufwertung missbraucht. Vielleicht liegt das fachlich-spezifische der Designwissenschaft gerade in ihrer allgemeinen Universalität, wenn es eben um die Betrachtung und Reflexion all dessen geht, was die Schnittstelle Mensch und Umwelt betrifft. Na, wenn das nicht dilettantisch ist! die Redaktion 7