ACT 03/10 - Greenpeace

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ACT 03/10 - Greenpeace
03 |
September – Oktober 2010
speZial Erdöl
Stoppt den
Wahnsinn!
www.greenpeace.at
Liebe Leserinnen
und Leser
Die BP-Katastrophe im Golf von Mexiko war für die Ölindustrie der Super-GAU. Seit
dem Untergang der „Deepwater Horizon“ sind rund 800 Millionen Liter ins Meer geströmt – die Ladung von sage und schreibe 18.000 Tanklastern. Lesen Sie die Chronik
eines Desasters, dessen ökologische Folgen bis heute unabsehbar sind (ab Seite 4).
inhalt
Die BP-Katastrophe im Golf von Mexiko: eine Chronik 04 Ölknappheit: Die Förderung
wird riskanter und umweltschädlicher 08 Karte: Mittelmeer in Gefahr 12
Nigeria: Der Fluch des Schwarzen Goldes 14 Russland: Die endlose Ölpest 17
Weg vom Öl: Unsere Tipps 18 Rätsel: Was wissen Sie über Erdöl? 20 Greenpeace:
Kampagnen und Erfolge 21 So können Sie aktiv werden 22 Impressum 22
04
02 | 03 act [september 2010]
08
14
Titel: Laurent Hunziker; Fotos: Fraser Newman/GP, Daniel Beltra/GP, Christian Aslund/GP, Ed Kashi, Teresa Novotny/GP; Karte: Carsten Raffel
Bei der Ölförderung in der Tiefsee wurden die Grenzen des technisch Beherrschbaren überschritten. Das ist kein Zufall, sondern Symptom unserer Öl-Abhängigkeit.
Weil die leicht zugänglichen Quellen zunehmend versiegen, gehen die Konzerne
immer größere Risiken ein und zerstören immer rücksichtsloser die Umwelt. In
Kanada extrahieren sie unter enormem Energie- und Chemikalieneinsatz Öl aus
„Teersanden“ – die Folge sind die voraussichtlich größten Löcher, die je gegraben
wurden, verseuchte Flüsse und vertriebene Ureinwohner (Seite 8). Im Nigerdelta
herrscht schon seit Jahrzehnten ökologischer Ausnahmezustand (Seite 14). Und in
Sibirien fließen Unmengen Öl aus maroden Pipelines in die Natur (Seite 17).
Ungeachtet der Lage in Sibirien bemüht sich derzeit die OMV um eine direkte
Pipeline-Verbindung nach Russland. Durch die neue Leitung von Schwechat nach
Bratislava würde nicht nur Öl aus einem Umweltkatastrophengebiet nach Österreich fließen – sie würde noch dazu quer durch das Trinkwasserschutzgebiet von
Bratislava führen. Greenpeace protestiert lautstark, um das Projekt zu verhindern!
Doch mit der Förderung und dem Transport des Öls sind die Probleme nicht zuende.
Viel mehr Schaden entsteht, wenn es schließlich in Autos, Flugzeugen oder Heizungen seiner Bestimmung zugeführt wird: Die Ölverbrennung ist eine der Hauptursachen des Klimawandels. Deshalb kann es nicht darum gehen, noch den letzten
Tropfen aus der Erde zu pressen – wir müssen uns viel früher vom Öl verabschieden!
Als Sofortmaßnahme fordert Greenpeace nach der BP-Katastrophe ein Verbot der
Erdölförderung in der Tiefsee. Unterstützen Sie uns bei unserem Protest!
Jurrien Westerhof Klima- und Energieexperte
Im Golf von Mexiko ist eine
riesige Fläche von der Ölpest
betroffen. Das für die Fischerei
gesperrte Gebiet ist größer
als Österreich.
Nach der Ölpest war greenpeace der meinung, dass
das BP-logo überarbeitet
werden musste
Gewinner der OnlineAbstimmung: Laurent Hunziker
Gewinner der Greenpeace-Jury:
Alexander Hettich
Mehr Entwürfe des
Wettbewerbs „Rebrand BP“
von Greenpeace UK:
rebrandbp.greenpeace.org.uk
Aktiv Meer tun!
Werden Sie
Meerespate!
Unsere Vision einer besseren
Zukunft ist nur so stark wie
die Menschen, die hinter uns
stehen! Informationen zum
Thema Aktivsein mit und bei
Greenpeace und eine Möglichkeit, unsere Meereskampagne
direkt zu unterstützen, finden
Sie auf den Seiten 22 und 23!
Wollen Sie mitverfolgen, wo
unsere Schiffe gerade sind?
Im Internet finden Sie
Live-Webcams, Videos und
viele Fotos:
www.greenpeace.at/flotte
Chronik des
versagens
20. April Die Katastrophe beginnt am späten Abend:
Um kurz vor zehn schießt Schlamm aus dem Bohrrohr
der Ölplattform „Deepwater Horizon“, die seit Februar
im Golf von Mexiko ein neues Ölfeld erkundet. Minuten
später steigt eine riesige Gasblase vom Meeresboden em­
por und verbrennt an der Oberfläche in einem Feuerball.
Panik breitet sich unter der Besatzung aus. Dann erschüt­
tern zwei gewaltige Detonationen die Plattform, elf Crew­
mitglieder werden getötet. Die Arbeiter versuchen den
Blowout-Preventer auszulösen, ein mehrstufiges Sicher­
heitsventil am Meeresgrund, welches das Bohrloch im
Notfall sofort abdichten soll – ohne Erfolg. Rettungsschiffe
werden herbeigerufen, die brennende Plattform wird eva­
kuiert. An diesem Tag sollte die Testbohrung beendet wer­
den, zuvor hatte man das Loch mit Schlamm und Zement
versiegelt. Aber es war nicht dicht.
Die Katastrophe hatte sich Tage zuvor angekündigt.
Bei Sicherheitstests des Blowout-Preventers fielen wider­
sprüchliche Ergebnisse auf, wurden aber ignoriert. Auch
den Austritt von Gas am 15. April werteten Techniker irr­
tümlich als Routinevorfall. Zudem hatten Arbeiter häufig
„riskantes Verhalten“ auf der Bohrinsel beobachtet und
den mangelhaften Zustand der Ausrüstung kritisiert.
04 | 05 act [september 2010]
22. April Eine weitere Explosion erschüttert die „Hori­
zon“, anschließend sinkt die 120 mal 80 Meter große Platt­
form. Mit Unterwasser-Robotern entdeckt BP drei Lecks
in der Tiefe. Der Konzern schätzt die Menge austretenden
Öls auf 160.000 Liter pro Tag. Später wird klar, dass es
viel mehr ist.
25. April Auch die Unterwasser-Roboter können den
defekten Blowout-Preventer nicht aktivieren. Der Öltep­
pich sei bereits 1550 Quadratkilometer groß, sagt BP. In
den darauffolgenden Tagen zeigt sich: Der Konzern hat
untertrieben, der Teppich erreicht Ausmaße von bis zu
10.000 Quadratkilometern. Die Küstenwache fackelt Teile
des Teppichs ab, kilometerlange Ölsperren erweisen sich
wegen zu starken Wellenganges als wirkungslos. BP setzt
die Chemikalie Corexit ein, um den Ölteppich in kleine
Tröpfchen zu zersetzen. Greenpeace kritisiert den Ein­
satz, da Corexit für Meereslebewesen giftig ist. Die US-Re­
gierung kündigt an, alle Offshore-Ölbohrungen und alle
Hochsee-Plattformen überprüfen zu lassen.
30. April Das Öl erreicht die Marschlandschaften im
Mississippi-Delta. Ein Greenpeace-Team trifft in Venice
in Louisiana ein und dokumentiert aus dem Flugzeug die­
Mit Öl verklebte Braunpelikane
werden im Fort Jackson International Bird Rescue Center
im US-Bundesstaat Louisiana
gesammelt. Freiwillige reinigen
die Seevögel. Die Tiere tauchen
ins Wasser ein, um Fische zu
fangen – dabei kommen sie in
Kontakt mit dem Öl. Erst letztes Jahr war der Braunpelikan
von der Liste der bedrohten
Tierarten genommen worden.
Nun sind tausende Tiere von
der Ölpest betroffen.
Fotos: Daniel Beltrá/GP, The United States Coast Guard
Das Leck im Golf von Mexiko ist gestopft, eine der größten Ölkatastrophen überhaupt ist damit vorerst vorbei.
Die Ölpest ist eine Geschichte von Pfusch und Selbstüberschätzung.
Spezialeinheiten versuchen,
die brennende Bohr­insel zu
­löschen. Vergeblich. Schließlich
sinkt die „Deepwater Horizon“.
­Situation an der Unglücksstelle. Wenige Tage später tref­
fen zwei Greenpeace-Schlauchboote ein, mit denen Ex­
perten entlang der Küste Öl- und Wasserproben nehmen
können. Mit an Bord: Journalisten, die daran gehindert
werden, die Schäden zu dokumentieren.
Anfang Mai BP startet zwei Entlastungsbohrungen.
Das Prinzip: Von der Seite will man das Loch anbohren,
dann mit Zement versiegeln („Bottom Kill“). Die Aktion
dauert jedoch drei Monate und ist kompliziert: In einer
Tiefe von 4000 Metern müssen die beiden Bohrköpfe das
18 Zentimeter breite Bohrloch treffen.
Das Öl hat nun die Chandeleur Islands, eines der äl­
testen Naturschutzgebiete der USA, erreicht. Auch an den
Küsten Alabamas und Floridas findet sich Öl. Verklebte
Vögel werden aufgefunden und in Rettungsstationen
mühselig gereinigt. Das meiste Öl bleibt allerdings auf­
grund des Corexit-Einsatzes unter der Meeres­oberfläche.
BP versucht vergeblich, mit einer Stahlglocke das austre­
tende Öl aufzufangen.
23. Mai Erst jetzt spricht BP von einer „Katastrophe“.
„A Whale“ soll zusätzlich täglich 80 Millionen Liter ver­
seuchtes Meerwasser vom Öl säubern. Der Tanker erweist
sich jedoch später als Pleite. Tierschützer kämpfen wäh­
renddessen um das Überleben tausender Meeresschild­
kröten und Seevögel. Mittlerweile hat das Öl auch Texas
erreicht.
Juli/August Am 15. Juli kann BP endlich einen Erfolg
vermelden: Mit einer Absaugglocke gelingt es, das Öl erst­
mals komplett aufzufangen. BP-Chef Tony Hayward tritt
Ende Juli zurück. Am 5. August dann vermeldet BP die
endgültige Versiegelung des Lecks mit Zement.
Bilanz der Ölkatastrophe: Rund 800 Millionen Liter
Öl sind ins Meer geströmt. Welche Schäden in der Tiefe
angerichtet wurden, versucht derzeit eine Greenpeace-Ex­
pedition an Bord des Schiffs „Arctic Sunrise“ zu klären.
Experten schätzen die Gesamtkosten der Katastrophe auf
50 bis 100 Milliarden Dollar.
Die Küstenwache fackelte in
Zusammenarbeit mit BP Teile
des Ölteppichs ab (links).
Strände und Fischgebiete der
angrenzenden Bundesstaaten
wurden gesperrt (Mitte).
Verseuchte Landschaft im
Mündungsgebiet des Mississippi (rechts). Hunderte
Pelikane, Schildkröten und
Delfine wurden tot an den
Küsten aufgefunden.
Die grössten ölkatastrophen
(Auswahl, Mengenangaben in Litern)
26. Mai BP startet die Operation „Top Kill“: Mit dem di­
rekten Einspritzen großer Mengen Schlamms und Betons
will man das Leck permanent versiegeln. BP schlachtet
die Aktion PR-mäßig aus, überträgt sie live im Internet
– sie scheitert jedoch.
Mitte Juni Wissenschaftler beziffern die Menge des
ausströmenden Öls auf täglich 5,7 bis 9,5 Millionen Li­
ter. Brisant: Der US-Kongress veröffentlicht ein internes
BP-Dokument, in dem Experten des Konzerns die Menge
auf sogar 16 Millionen Liter veranschlagen. Der Verdacht
kommt auf, dass BP das Ausmaß der Katastrophe von
Anfang an verschleiert hat. BP-Chef Tony Hayward muss
sich vor dem US-Kongress verantworten.
Ende Juni/Anfang Juli BP stülpt eine Absaugvor­
richtung über das leckende Rohr. Damit kann immerhin
ein Teil des Öls aufgefangen werden. Der Supertanker
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1910 1972 1978 1979 1979 1980
1983 1983 1988 1989 1991 1991 1991 1992 2002 2010 Lakeview Gusher (Ölfeld), Kalifornien/USA Sea Star (Tanker), Iran Amoco Cadiz (Tanker), Bretagne, Frankreich Ixtoc I (Bohrinsel), Mexiko Atlantic Empress (Tanker), Tobago/Karibik Irenes Serenade (Tanker), Griechenland
Nowruz (Bohrinsel), Iran Castillo de Bellver (Tanker), Südafrika Odyssey (Tanker), Kanada Exxon Valdez (Tanker), Alaska ABT Summer (Tanker), 700 Seemeilen vor Angola Golfkrieg (mehrere Tanker), Irak MT Haven (Tanker), Mittelmeer, Italien Fergana Valley (Bohrinsel), Usbekistan Prestige (Tanker), spanische Atlantikküste Deepwater Horizon (Bohrinsel), Golf von Mexiko 1.400.000.000
135.000.000
260.000.000
561.000.000
335.000.000
116.000.000
304.000.000
295.000.000
154.000.000
49.000.000
304.000.000
636.000.000
169.000.000
333.000.000
73.000.000
800.000.000
Fotos: The United States Coast Guard, Jose Luis Magana/GP, Sean Gardner/GP, Ingrid Fankhauser/GP, Eric De Mildt/GP, Pedro Armestre/GP, Felix Clay/ GP, Kurt Prinz/GP
brüssel
Wien
London
Madrid
greenpeace aktionen weltweit
wien (07.07.) Greenpeace-Protest gegen BP auf dem Wiener Stephansplatz. Am 16.06. stellten sich
Greenpeace-Aktivisten in Wien zudem vor eine BP-Tankstelle und forderten Autofahrer auf, nicht
mehr bei BP zu tanken, solange das Leck nicht gestopft sei.
Brüssel (14.07.) Als „oily people“ verkleidet forderten Greenpeace-Aktivisten in Brüssel den Stopp
aller Tiefsee-Bohrungen. Zuvor hatte EU-Energiekommissar Günther Oettinger ein Moratorium für
Tiefsee-Bohrungen gefordert.
london (27.07.) Ausgetankt: In London schlossen Greenpeace-Aktivisten vorübergehend
50 BP-Tankstellen. Es war ein Zeichen an den neuen BP-Chef Bob Dudley, endlich Ernst zu machen
mit „beyond petroleum“ und den Konzern vom Öl wegzubringen.
madrid (07.07.) Greenpeace-Aktivisten tauschten das Logo in der BP-Hauptniederlassung aus.
wien
die grosse gier
Der Öl-Durst der Menschheit ist gigantisch: Tag
für Tag verbrauchen wir rund 13,5 Milliarden Liter, das sind
300.000 volle Tanklastwagen. Wäre der Neusiedler See der
Öltank der Welt, er wäre in nur drei Wochen leergepumpt.
Erdöl deckt ein Drittel des globalen Energiebedarfs, der
Transportsektor ist fast vollständig davon abhängig. Und
der Verbrauch steigt und steigt.
Dabei ist längst klar, dass der Schmier- und Brennstoff
der Weltwirtschaft endlich ist. Trotz des enormen technischen Aufwands entdecken die Ölsucher immer seltener
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neue Vorkommen, und wenn, dann sind sie deutlich kleiner als früher – und deutlich schwieriger auszubeuten.
Bereits seit den 60er-Jahren geht die Zahl der Ölfunde zurück, inzwischen wird jährlich rund viermal mehr gefördert als neu entdeckt. Experten nehmen an, dass wir den
Höhepunkt der Ölförderung, „Peak Oil“ genannt, gerade
überschreiten – und fürchten schlimme Folgen für die
Weltwirtschaft.
Die westlichen Industrieländer, die besonders viel Öl verbrauchen, werden immer abhängiger von Importen. Drei
Weltkarte: Cartsen Raffel
Das Erdöl ist endlich – so viel wissen wir längst. Doch
die Katastrophe im Golf von Mexiko zeigt deutlicher denn
je, welche Risiken die Ausbeutung neuer Ressourcen
mit sich bringt. Je knapper das Öl, desto größer werden
die Gefahren für Mensch, Natur und Klima.
Viertel der bekannten Reserven liegen in den Ölstaaten des
Nahen Ostens sowie in Russland, und zunehmend kontrollieren staatlich gelenkte Firmen die Ölproduktion der Exportländer. Die Förderung in den USA sinkt dagegen seit
Jahrzehnten, und auch die Ölquellen in der Nordsee sind
nahezu leergepumpt. Großbritannien und Norwegen steuern von Jahr zu Jahr weniger zur Versorgung Europas bei.
So suchen die großen Mineralölunternehmen wie Exxon, Shell und BP fieberhaft nach neuen Möglichkeiten,
um an Öl zu kommen. Mit gigantischem Aufwand beuten
sie Lagerstätten aus, deren Erschließung früher technisch
gar nicht möglich gewesen wäre oder sich nicht gelohnt
hätte. Doch oft ist die Förderung dieses Öls riskant und
verursacht schwere Umweltschäden. Die Katastrophe im
Golf von Mexiko war logische Folge dieser Entwicklung.
tiefer und tiefer In den letzten Jahren dringen
die Ölkonzerne in immer größere Meerestiefen vor. Das
Bohrloch, aus dem nach der Explosion der „Deepwater Horizon“ rund 800 Millionen Liter Öl in den Golf von Mexiko
Greenpeace fordert den Stopp der Ölförderung in
der Tiefsee: Neue Lizenzen dürfen nicht vergeben werden,
Ölkonzerne müssen laufende Tiefsee-Projekte aufgeben.
Alle bestehenden Öl- und Gasförderanlagen sind von unabhängiger Stelle auf ihre Sicherheit hin zu überprüfen
und gegebenenfalls stillzulegen. Die Ölkonzerne müssen
einen unabhängig verwalteten Schadensfonds gründen.
Eldorado im hohen Norden Es ist eine bittere
Ironie der Geschichte: Die Ölindustrie ist einer der Hauptverursacher des Klimawandels – und profitiert nun auch
noch von ihm, weil die Erwärmung in der Arktis neue
Förderregionen zugänglich macht. Der Rückzug des arktischen Meereises, der noch schneller verläuft als vorhergesagt, macht neue Routen schiffbar und die Installation
von Förderplattformen deutlich einfacher.
Der Geologische Dienst der USA schätzt, dass in der
Arktis mehr als 14 Billionen Liter unentdecktes Öl lagern –
das sind 13 Prozent der „noch nicht gefundenen“ Ölvorräte
der Welt. Die Menge würde ausreichen, um die Welt drei
Jahre lang zu versorgen – doch für den Westen ist das Öl
10 | 11 act [september 2010]
besonders wertvoll, da es vor allem in den Hoheitsgebieten
der USA, Kanadas und Grönlands liegt. Seit Juli bohrt das
schottische Unternehmen Cairn Energy vor Westgrönland
nach Öl – mitten in einem Eisberggebiet. Andere Konzerne
stehen bereits in den Startlöchern: Exxon und Chevron
verfügen über Förderlizenzen im Meeresgebiet zwischen
Grönland und den kanadischen Inseln.
Umweltschützer warnen aber vor den immensen ökologischen Gefahren durch defekte Rohrleitungen und Tankeroder Bohrplattform-Unfälle. Eine Katastrophe wie die im
Golf von Mexiko wäre in der Arktis noch viel verheerender,
weil Mikroorganismen das Öl im kalten Polarmeer nicht
oder nur sehr langsam abbauen. Hinzu kommen die widrigen Arbeitsbedingungen in der monatelangen arktischen
Nacht und die schwere Erreichbarkeit für Katastrophenhelfer, besonders in Meeresgebieten mit Eisvorkommen.
die durch Abbau und Verarbeitung freiwerden. In den
nächsten Jahren könnten die Gesamtemissionen auf bis
zu 140 Millionen Tonnen jährlich steigen. Zum Vergleich:
Österreich emittiert derzeit insgesamt rund 90 Millionen
Tonnen CO2 pro Jahr.
Greenpeace fordert ein sofortiges Ende des Teersandabbaus und einen Rückzug der Ölkonzerne aus dem
schmutzigen Geschäft.
Greenpeace fordert deshalb ein Verbot von Ölbohrungen in der Arktis.
das dreckigste öl der welt Eines der größten
Umweltverbrechen unserer Tage spielt sich in Kanada ab:
der Abbau sogenannter Teersande. Dabei wird aus einem
Gemisch von Sand, Schotter und einer teerartigen Substanz Öl gewonnen. In der Provinz Alberta kommen Teersande in riesigen Mengen vor. Bis vor wenigen Jahren hat
sich der Abbau nicht gelohnt, doch mit dem Anstieg des
Ölpreises wird er wirtschaftlich. Die Branche glaubt, dass
Teersande nach dem Fördermaximum konventionellen Öls
immer wichtiger werden und die entstehende Lücke stopfen. Sämtliche großen Ölkonzerne sind inzwischen in das
Teersandgeschäft eingestiegen, die US-Regierung treibt
den Bau einer Pipeline von Alberta nach Texas voran.
Umweltschützer warnen vor dem Öl „zweiter Wahl“:
„Wer ein Auto mit Diesel aus Teersand fahren würde,
bräuchte in Wirklichkeit nicht sieben, sondern mehr als 30
Liter auf hundert Kilometer – so viel wie ein Sattelschlepper“, rechnet Greenpeace-Energieexperte Jurrien Westerhof vor. Denn Öl aus Teersand ist fünfmal klimaschädlicher als herkömmliches Öl. Der Grund: Der Sand muss
abgegraben, erhitzt und gewaschen werden – ein Verfahren, dass enorme Mengen Wasser und Energie verbraucht.
Weil Teersande ähnlich wie zum Beispiel Braunkohle im
Tagebau gewonnen werden, zerstören die Ölfirmen darüber hinaus großflächig Wälder und Moore. Eine Studie der
Organisation „Global Forest Watch Canada“ beziffert die
durch die Abholzung in Alberta verursachten CO2-Emissionen auf neun Millionen Tonnen jährlich – sie müssen
zu den 36 Millionen Tonnen CO2 hinzuaddiert werden,
Port Fourchon, Louisiana:
„Als nächstes die Arktis?“
schreiben US-Greenpeacer mit
Öl aus dem Golf von Mexiko an
die Bord­wand eines Schiffs,
das kurz vor einem Einsatz bei
Ölbohrungen in Alaska steht.
Alberta, Kanada: Bis vor
wenigen Jahren noch war
es unwirtschaftlich, aus
Teersanden Öl zu gewinnen.
Mittlerweile sind alle großen
Ölkonzerne in das Geschäft
eingestiegen.
Sudan: China hat massiv im
Sudan investiert, importiert
große Mengen Öl – und kooperiert mit dem Militärregime.
Fotos: GP, Jiri Rezac/GP; Sven Torfinn/laif
flossen, befindet sich 1500 Meter unter der Meeresoberfläche, und die Bohrung drang nochmals mehr als 5000 Meter in den Boden ein. Die Arbeitsbedingungen bei solchen
Offshore-Projekten sind schwierig: Ab einer Tiefe von rund
200 Metern ist der Einsatz von Tauchern nicht mehr möglich, sämtliche Arbeiten müssen von Unterwasserrobotern
erledigt werden, die sich unter hohem Druck und in Eises­
kälte nur in Zeitlupentempo bewegen. Die Katastrophe
im Golf von Mexiko hat gezeigt, dass die Branche trotz
hoch entwickelter Fördertechnik auf Unglücksfälle in der
Tiefsee nicht vorbereitet ist. „Die Grenzen des technisch
Beherrschbaren wurden überschritten“, sagt Christian
Bussau, Öl-Experte bei Greenpeace Deutschland.
Doch die Mineralölbranche setzt unbeirrt auf Öl aus
der Tiefsee, nicht nur im Golf von Mexiko. Greenpeace
kritisiert zum Beispiel ein besonders riskantes Projekt vor
den Shetland-Inseln, wo BP mithilfe von Förderschiffen in
mehr als 400 Metern Tiefe nach Öl bohrt. Und es ist ebenfalls der Unglückskonzern, der jetzt im Mittelmeer groß in
die Tiefsee-Ölförderung einsteigt: Vor der Küste Libyens
beginnt BP in einer Wassertiefe von 1734 Metern mit einer
ersten Bohrung, bis Jahresende sollen vier weitere folgen,
teilweise in mehr als 2000 Metern Tiefe. Der halbstaatliche brasilianische Konzern Petrobras ist gerade dabei, einen neuen Weltrekord aufzustellen: Er begann im Juli mit
der Ausbeutung eines erst vor wenigen Jahren entdeckten
Ölfeldes vor der Atlantikküste in rund 5000 Metern Tiefe.
letzte hoffnung afrika In Afrika herrscht derzeit Goldgräber­stimmung: Der Kontinent liefert bereits
13 Prozent des weltweit produzierten Öls, und er ist der
einzige, für den in den nächsten Jahren eine steigende
Ölförderung erwartet wird. Unternehmen aus Amerika,
Europa und China liefern sich Wettrennen um neue Förderlizenzen im Golf von Guinea und treiben inzwischen
auch in Ostafrika zwischen Eritrea und Mosambik hunderte Probebohrungen in den Boden. In jüngster Zeit haben
sich Ghana, Sierra Leone, Liberia, die Elfenbeinküste und
Uganda in die Liste der Ölnationen eingereiht.
Noch ist ungewiss, ob das für die Menschen in diesen
Ländern ein Segen ist – oder eher ein Fluch. Denn die bisherigen Erfahrungen in Afrika zeigen: Vom Ölboom profitiert fast immer nur eine kleine Machtelite. Die Mehrheit
der Bevölkerung bleibt bitterarm, häufig verschlechtern
sich die Lebensbedingungen sogar, hinzu kommen teilweise dramatische Umweltschäden. Man spricht vom „paradox of plenty“, dem Widerspruch des Überflusses.
Immer wieder löst der Streit um Ölressourcen bewaffnete Konflikte aus, nutzen Machthaber die Erlöse aus der
Lizenzvergabe für Waffenkäufe, werden Menschen aus ölreichen Regionen oder beim Pipelinebau vertrieben. Das
berühmteste Beispiel für die katastrophalen Folgen eines
Ölbooms ist das Nigerdelta (siehe Seite 14). Ein neuer Konflikt zeichnet sich im Krisenland Sudan ab, wo der ölreiche
Süden Anfang 2011 per Referendum voraussichtlich für seine Unabhängigkeit stimmen wird. Die einzige Pipeline zur
Küste führt quer durch den Norden des Landes. Menschenrechtsorganisationen warnen vor einem neuen Ölkrieg.
Greenpeace fordert von der Ölindustrie, keine Geschäfte mit Diktaturen zu machen.
Und nicht zu vergessen: Die Verbrennung von Öl ist
neben der Kohleverfeuerung die größte Quelle des Treibhausgases CO2. Auch indirekt führt sie so zu unermesslichen Umweltschäden und Sicherheitsrisiken. Deshalb
lau­­tet das wichtigste Ziel: Wir müssen weg vom Öl – so
Wolfgang Hassenstein
schnell wie möglich!
Mittelmeer in Gefahr
Die Biodiversität des Mittelmeeres ist für ein Seegebiet außerhalb der
Tropen enorm. Mehr als 10.000 bekannte Arten leben hier, darunter
allein 20 verschiedene Wale. Doch die sensible Ökologie ist bedroht:
Ungeklärte Abwässer und Überdüngung führen zu giftigen Algenblüten,
High­tech-Trawler jagen die letzten Fischschwärme und ein Viertel des
weltweiten Tourismus konzentriert sich in dieser Region.
Hinzu kommen die verheerenden Folgen der Ölindustrie: Quer durchs
Mittelmeer verlaufen stark befahrene Tanker­routen, auf denen Rohöl und
Ölprodukte aus Nord­afrika, Nahost und Zentralasien in die Verbrauchsländer des Westens transportiert werden – pro Jahr sind das mehr als 420
Millio­nen Tonnen, ein Fünftel des globalen Öltransportes auf See. Täglich
Tanker und Ölbohrungen bedrohen eines der
artenreichsten Meere der Welt.
Bedrohte Tiere des
Mittelmeeres
Ölunfälle
ausgelaufenes Öl
(Tonnen)*
Ursache der Havarie
Jahr
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
32.000 5000 8500 770 95.000 12.000 5200 ~100.000 39.000 20.000 12.200 2600 1000 2400 144.000 8000 2000 Schiff auf Grund
Schiffskollision
Technikversagen
Schiff auf Grund
Schiffskollision
Schiff auf Grund
Schiffskollision
Feuer/Schiff sinkt
Schiff auf Grund
Feuer/Explosion
Schiffskollision
Schiffskollision
Technikversagen
Schiffskollision
Feuer/Schiff sinkt
Schiffskollision
Schiffskollision
1976
1977
1977
1979
1979
1979
1979
1980
1980
1981
1990
1990
1990
1991
1991
1992
1993
Schiff
Ellen Conway
Agip Venezia
Al Rawdatain
Grey Hunter
Independenta
Messiniaki Frontis
Vera Berlingieri
Irenes Serenade
Juan Antonio Lavalleja
Cavo Cambanos
Sea Spirit
Jambur
Vasilios V
Agip Abruzzo/Moby Prince
Haven
Geroi Chernomorya/Sigulda
Lyria/Rubus
12 | 13 act [september 2010]
Jahr
Schiff
ausgelaufenes Öl
(Tonnen)*
18 1999 Nassia
20.000
19 1997 Serifos
800 20 1998 Giovanna
1000 21 1999 Volgoneft-248
1500 22 2000 Lina Star
1500
23 2002 Albert Maersk
1000 24 2003 Spabunker IV
1000 25 2003 Svyatoy Panteleymon
500
26 2005 Genmar Kestrel/Trijata
1500
27 2006 Jiyeh (Kraftwerk)
15.000 28 2007 New Flame/ Torm Gertrud Öl wurde aufgefangen 29 2008 Fedra/Tawe
300
30 2009 MSC Shenzhen
280
Ursache der Havarie
Schiffskollision
Schiff auf Grund
Feuer/Explosion
Schiff auf Grund
Schiff sinkt
Technikversagen
Leck
Schiff auf Grund
Schiffskollision
Bombardierung von
Öltanks durch Israel
Schiffskollision
(Doppelhüllentanker)
Schiff auf Grund
Technikversagen
*bis 2006 nur Unfälle, bei denen 500 Tonnen oder mehr ins Meer flossen
Karte: Cartsen Raffel
befahren 250 Tanker das Mittelmeer. An drei berüchtigten Nadelöhren
häufen sich die Unfälle: an der Straße von Gibraltar, dem Suez-Kanal und
dem Bosporus. Auch das ökologisch wertvolle Gebiet südlich von Sizilien
ist schwer schiffbar.
Zudem wird im Mittelmeer Öl gefördert, auch in der Tiefsee – trotz
der Risiken. So will ausgerechnet der Konzern BP, der gerade die Ölpest
im Golf von Mexiko verursacht hat, vor Libyen in 1734 Metern Tiefe
bohren – das wäre noch tiefer als das Loch im Golf von Mexiko. Weitere
Bohrungen sollen sogar in 2000 Metern stattfinden. Dabei verursacht
die Industrie schon jetzt eine „schleichende Ölpest“: Laut Weltbank
fließen pro Jahr 650.000 Tonnen Öl ins Mittelmeer.
A
B
C
D
E
F
G
H
I
J
K
Balearen-Sturmtaucher
Edelkoralle (Rote Koralle)
Finnwal
Großer Tümmler
Grüne Meeresschildkröte
Mittelmeer-Mönchsrobbe
Orca
Pottwal
Blauflossentun
Schweinswal
Unechte Karettschildkröte
die
vergessene
Ölpest
(1) Vielleicht hält wenigstens
der bunte Shell-Regenschirm
dicht – viele Ölleitungen im
Nigerdelta tun es jedenfalls
nicht. Im Dorf Okrika Town
nutzt eine junge Frau die allgegenwärtigen Pipelines
der Ölkonzerne als Fußweg.
Fotos von Ed Kashi
(2)
(2) In Bonny Town zeigen
Jahrzehnte der Ölförderung
und des unkontrollierten
Wachstums ihr Gesicht. Die
Infrastruktur kann nicht mehr
mithalten. Die Abwässer der
Gemeinde fallen aus Plumpsklos auf Stelzen geradewegs
ins Meer. Es ist dasselbe Meer,
in dem die Menschen baden
und manchmal noch einen
Fisch fangen.
(1)
Seit 50 Jahren fördern internationale Multis im Nigerdelta Öl. Die politische Elite Nigerias verdient gut daran. Doch
den Bewohnern verseucht das „Schwarze Gold“ Böden und Wasser. Vom sagenhaften Reichtum haben sie nichts.
Früher haben sie fisch gefangen – im Dorf von Asume Isaac Osuaka. „Heute gibt es dort keine Fischer mehr“,
sagt der Mann von der Organisation „Oilwatch Africa“. Denn es gebe ja kaum noch Fisch. Osuakas Dorf liegt im Niger­
delta. 1958 wurde hier Erdöl entdeckt. Heute fördern Konzerne wie Shell, Total und Exxon nach Angaben der Opec
täglich knapp 320 Millionen Liter. Mehr als 6000 Kilometer Pipelines durchkreuzen das Delta – viele sind veraltet und
haben Lecks. Nach Schätzung von Umweltschützern sind in den vergangenen fünf Jahrzehnten rund zwei Milliarden
Liter Öl im Delta versickert. An Fischfang oder Ackerbau ist da vielerorts nicht mehr zu denken.
Nigeria bezieht 80 Prozent seiner Einkünfte aus dem Öl. Rund 600 Milliarden Dollar sind seit 1960 ins Regierungs­
säckel geflossen. Im Delta ist davon nicht viel angekommen, hier mangelt es sogar an Trinkwasser. Über vielen Ölquel­
len lodern Tag und Nacht riesige Erdgasfackeln. Sie setzen giftige Dämpfe frei. Dabei ist das Abfackeln des überflüssigen
Beiprodukts längst verboten. Im Delta liegt die Lebenserwartung bei nur 43 Jahren. Die Bewohner haben genug. Längst
wehren sich einige mit Sabotageakten und Bohrinselbesetzungen gegen den Raubbau an ihrer Heimat.
(3) Etwa 15 Prozent der
nigerianischen Ölvorkommen
liegen vor dem Nigerdelta in
der Tiefsee. Doch auch davor
machen die Konzerne nicht
Halt. Seit 2003 beutet Total das
Ölfeld Amenam Kpono aus.
Der Name bedeutet so viel wie
„gut gemacht“. Das Öl liegt
etwa vier Kilometer unter dem
Grund des Atlantik.
(3)
(4) Fast täglich tritt im Nigerdelta an irgendeiner Stelle Öl
aus den veralteten Leitungen.
Verärgert beobachten Einheimische in Oloibiri eine der
üblichen Aufräumaktionen.
Vorsichtshalber hat sich der
Mitarbeiter von Shell mit einer
Machete bewaffnet.
(4)
14 | 15 act [september 2010]
Die permanente
Katastrophe
Die Welt schaut auf den Golf von Mexiko, aber niemand spricht über Russland. Dabei leckt aus maroden
Pipelines seit Jahrzehnten täglich genau so viel Öl wie aus dem Bohrloch am Meeresboden, berichtet Wladimir
Tschuprow, Leiter der Energiekampagne für Greenpeace Russland.
Wie viel Öl tritt täglich aus russischen Pipelines aus? Es
gibt wenige offizielle Zahlen, der russische Mineralölkon­
zern Rosneft gibt an, dass es im Jahr 2008 17 Millionen
Liter waren. Die wirklichen Mengen liegen aber weitaus
höher. Im Jahr 2000 hat Greenpeace ermittelt, dass es
mehrere Millionen Liter sind – pro Tag!
auf. In Surgut, Nischni Nowgorod und Langepas liegen
die Krebserkrankungsraten 30 bis 40 Prozent höher als in
den umliegenden Gebieten. Weltweit ist Lungenkrebs die
häufigste Krebserkrankung. In Russland sind es erstaunli­
cherweise Hoden- und Darmtumore. Schlechte Luft- und
Wasserqualität infolge industrieller Verschmutzung, aber
auch die Radioaktivität sind offenbar die Gründe dafür.
Das liegt in der Größenordnung, die täglich in den Golf
von Mexiko strömte ... Genau. Die Lage ist wirklich katas­
trophal, die Pipelines sind alt und von schlechter Qualität
und liegen unter anderem in Permafrost-Gegenden, wo
extreme Umweltbedingungen herrschen.
Welche Konzerne betreiben die Pipelines? Normaler­
weise die, die auch das Öl fördern: Rosneft und Lukoil
sind die größten. Der staatseigene Konzern Transneft be­
treibt den Hauptteil der Pipelines.
Wo zum Beispiel? Westsibirien und die Republik Komi
sind besonders hart betroffen. In Westsibirien, wo der
Hauptteil des russischen Öls gefördert wird, sind bereits
etwa 8400 Quadratkilometer Land verseucht – das ist fast
so groß wie das Bundesland Kärnten. In ein paar Mona­
ten werden wir uns an Inspektionen in Komi beteiligen
und versuchen, die Aufmerksamkeit für das Problem zu
erhöhen.
(1)
(2) Illegale Annäherung an die
Bohrinsel „Auntie Julie the
Martyr“, die der nigerianischen
Conoil gehört. Immer wieder
gelingt es Einheimischen
und Arbeitern, Ölplattformen
zu besetzen und gegen die
Zerstörung zu protestieren. An
Zusagen der Konzerne glauben
sie längst nicht mehr.
(3) An dieser Stelle stand bis
1977 ein Bohrturm. Dann legte
Shell die Quelle still. Doch sie
sprudelte weiter. Im Juni 2004
entstand aus drei Millionen
Litern Rohöl schließlich eine
Art Ölteich. Mit einfachsten
Mitteln versuchen Arbeiter,
den Tümpel abzupumpen.
16 | 17 act [september 2010]
(2)
Wie viele Pipelines sind betroffen? Greenpeace hat her­
ausgefunden, dass im westsibirischen Gebiet des Auto­
nomen Kreises der Chanten und Mansen rund ein Drittel
der insgesamt 64.000 Kilometer Pipeline erodiert sind.
Über die Jahre haben sich dort mehrere Milliarden Liter
Ölabfälle angesammelt.
(3)
buchtipp
Der US-Amerikaner Ed Kashi
hat für seinen Band „Curse of
the Black Gold“ (Der Fluch des
Schwarzen Goldes) lange im
Nigerdelta fotografiert. In 102
Bildern zeigt er, was die Ölausbeutung dort wirklich kostet.
Was hat das für Folgen für die Umwelt? Das Öl ver­
schmutzt Seen, Flüsse und kontaminiert das Grundwasser.
In Nischnewartowsk, einer Stadt im Autonomen Kreis der
Chanten und Mansen, wurde fünf Jahre lang das Wasser
des Flusses Wach untersucht. Das Ergebnis: 97 Prozent
des Wassers waren mit Öl belastet, die Grenzwerte waren
mitunter bis zu 50-fach überschritten. Etwa die Hälfte der
befischten Flüsse in dieser Region sind ölverseucht. Und
was viele nicht wissen: Bei der Erdölförderung fallen auch
radioaktive Abfälle an.
Seine Eindrücke zeigt Ed Kashi
auch in einem kurzen, eindringlichen Film, zu sehen auf:
www.curseoftheblackgoldbook.
com
Was für Nachteile hat das für die Bevölkerung in
den betroffenen Regionen? Die Ölverschmutzung be­
einträchtigt die Gesundheit der Bewohner: In der Stadt
Nischnewartowsk hat man bei 15- bis 49-Jährigen die
höchsten Tumorraten in ganz Russland gemessen. Ihr Er­
krankungsrisiko ist zwei bis dreimal so hoch. Und HerzKreislauf-Erkrankungen treten dort neunmal häufiger
Foto: Cevahir Bugu
(1) Umweltzerstörung schafft
Arbeit. Und die ist schweißtreibend und unendlich. Zwei
Männer, die die Lachen einer
stillgelegten Ölquelle in Oloibiri
beseitigen sollen, gönnen sich
eine kurze Pause. Ihr Auftraggeber heißt Shell.
Macht die russische Regierung Druck auf die Ölkon­
zerne? Es ist eigentlich Aufgabe der Regierung, die Kon­
zerne zu überwachen und zu bestrafen. Aber wie wir aus
Komi wissen, passiert das nicht.
Greenpeace-Campaigner
Wladimir Tschuprow: „Niemand
schert sich darum, wo das Öl
herkommt.“
Warum nicht? Die Regierung ist von den Öleinnahmen
abhängig und das staatliche Kontrollwesen durch und
durch korrupt.
Gibt es denn Notfallpläne? Für Unfälle auf See gibt es
spezielle Vorgehensweisen. Für das Land hat jeder Kon­
zern seinen eigenen Plan, der normalerweise nicht öffent­
lich gemacht wird. Auch wird nicht jede Ölkatastrophe
publik. Dabei wäre es das Mindeste, die Behörden und die
betroffenen Gemeinden zu informieren.
Westliche Konzerne importieren das russische Öl. Sind
sie sich der katastrophalen Situation bewusst? Vor einigen
Jahren hat Greenpeace versucht, Total und andere auslän­
dische Konzerne darauf aufmerksam zu machen. Doch
die haben nichts unternommen. Niemand schert sich dar­
um, wo das Öl herkommt.
Russland ist einer der wichtigen Öllieferanten Öster­
reichs. Bald wird das Land auch direkt an das russische
Pipeline-Netz angeschlossen ... Zurzeit versorgt die Družba­Pipeline unter anderem Polen, Ungarn und Deutschland
mit russischem Öl. Der österreichische Mineralölkonzern
OMV plant mit der Bratislava-Schwechat-Pipeline einen
Anschluss an die Družba. Die Pipeline soll durch das
Trinkwasserschutzgebiet von Bratislava verlaufen. Wenn
sie voraussichtlich 2011/2012 fertiggestellt ist, wird dann
noch mehr schmutziges russisches Öl nach Öster­reich
Interview: jens Lubbadeh
fließen.
Weg vom Öl was jeder tun kann
Umsteuern
Erdölprodukte treiben nicht nur Autos, Flugzeuge und
Schiffe an, sondern stecken auch in zahlreichen Alltagsgegenständen. Noch ist es deshalb kaum machbar, ganz
auf Öl zu verzichten. Aber wer es drauf anlegt, kann seinen
Ölverbrauch drastisch senken. Sagen Sie: Nein Tanke!
Schlau fahren
Schrumpf dein Auto! Falls Sie trotz allem nicht aufs Auto
verzichten wollen oder können, gibt’s beim nächsten Au­
to­kauf nur ein Kriterium: den Verbrauch. Luxus-Gelände­
wagen sind überflüssig, wir haben schließlich Straßen.
Also: Kaufen Sie sich das sparsamste Auto! Eine Liste mit
Autos, die unter 120 Gramm CO2/km ausstoßen, gibt‘s hier:
http://marktcheck.greenpeace.at/liste_PKW
Fahr Rad! Autofahren in der Stadt? Das verursacht Lärm,
Abgase, schlechte Laune und ist teuer: Rechnen Sie mal
durch, was Sie im Jahr an Benzin, Versicherung, Steuer,
Reparaturen und Wertverlust für Ihr Auto zahlen. Davon
können Sie sich gleich mehrere neue Fahrräder kaufen.
Die werden immer besser – mit weicher Federung, leichtem Rahmen und guter Schaltung macht das Radeln heute
noch viel mehr Spaß als früher. Und: Es hält fit.
Teil dein Auto! Mal ehrlich: Steht Ihr Auto nicht oft einfach nur herum? Aber andererseits – so ganz drauf verzichten möchten Sie auch nicht? Für solche Fälle gibt’s
eine clevere Lösung: Carsharing. Holen Sie sich „Ihr“ Auto
– aber nur für solange, wie Sie es wirklich brauchen.
www.denzeldrive.at
Tut euch zusammen! Schluss mit dem Einzelkämpfertum – tun Sie sich mit Kollegen zusammen und fahren
Sie gemeinsam zur Arbeit. Fahrgemeinschaften schonen
Geldbeutel, Umwelt und Nerven.
Lass dich chauffieren! Bus und Bahn schlagen das Auto
in der Klimabilanz um Längen. Und in den Innenstädten
ist man mit ihnen sowieso schneller. Machen Sie Schluss
mit Stau und Parkplatzsuche! Außerdem können Sie die
Zeit nutzen – lesen Sie in der Bahn doch ein gutes Buch.
Ohne Öl leben
Weg mit der Ölheizung! Öl ist out – heizen Sie in Zukunft mit Holzpellets, Erdwärme
oder der Kraft der Sonne! Lassen Sie sich von einem Fachmann beraten, welche Heizung
für Ihr Haus in Frage kommt.
Werde Müllverweigerer! Seit der „Jute statt Plastik“-Zeit hat sich nichts geändert.
Überall ist Plastik, wohin man schaut: Jede Käsescheibe wird eingeschweißt, manche
Plastik-Verpackung ist beim Aufschneiden sogar gefährlich scharf. Meiden Sie also jede
unnötige Kunststoffverpackung! Die Wiener Neubaugasse geht mit gutem Beispiel voran: In den dortigen Geschäften gibt’s ab sofort keine Plastiksackerl mehr.
Protestieren
Bleib auf dem Boden! Jeder Flug reißt Ihre persönliche
Klimabilanz tief ins Minus. Ein Fernflug verursacht so viel
Treibhausgase wie ein Jahr Autofahren. Wie wär’s, wenn
Sie eine richtig lange Fernreise planen, statt jedes Jahr mal
nach Thailand zu jetten? Und innerhalb Europas kommt
man sowieso mit der Bahn fast überall hin – Österreich
liegt schön zentral!
18 | 19 act [september 2010]
Illustrationen: Carsten Raffel
Mach Dich stark gegen Tiefseebohrungen! Die Katastrophe im Golf von Mexiko hat gezeigt: Erdöl in der Tiefsee zu fördern, ist höchst riskant und Katastrophen sind
unkontrollierbar. Jetzt bohrt BP im Mittelmeer in noch
größeren Tiefen nach Öl. Deshalb fordert Greenpeace:
„Raus aus der Tiefsee!“ Schauen Sie unser Protest-Video
an und leiten Sie es weiter:
www.greenpeace.at/nein-tanke
Verbreite die Greenpeace-Botschaft im Internet! Über
Face­book können Sie mit Greenpeace Österreich Kontakt aufnehmen und Freunde über Kampagnen infor­mie­
ren. Hier finden Sie aktuelle Informationen und ­Online-­
Protest-Aktionen!
www.facebook.com/GreenpeaceAT
Greenpeace & Öl: Die Erfolge
Brent Spar Als der Ölmulti
Shell seine ausgediente Öllagerplattform Brent Spar einfach
im Atlantik entsorgen wollte,
entschloss sich Greenpeace
zu handeln: Am 30. April 1995
besetzten Aktivisten die Plattform. Die Aktion motivierte viele
zum Mitmachen: Autofahrer
boykottierten Shell-Tankstellen, der Konzern hatte herbe
Umsatzeinbußen. Schließlich
lenkte Shell ein und entsorgte
die Plattform an Land.
antarktis & Arktis In den
frühen 80er-Jahren rieben sich
viele Staaten schon die Hände:
Unter dem Eis der Antarktis
wollte man große Ölvorräte
ausbeuten. Eine der letzten
unberührten Gegenden der Erde
drohte, der Profitgier zum Opfer
zu fallen. Um das zu verhindern,
startete Greenpeace 1985 die
Kampagne „Weltpark Antarktis“
– mit dem Ziel, den Kontinent
unter Schutz zu stellen. Die
Maßnahme hatte Erfolg: 1998
wurde die gesamte Antarktis
zum Natur-Reservat erklärt.
Auch am anderen Erdpol ist
Greenpeace aktiv. Zynischerweise macht der durch die
Ölverbrennung mit verursachte
Klimawandel die Ausbeutung
der arktischen Ölvorkommen
leichter, weil das Eis schwindet.
So haben die Anrainerstaaten
bereits Gebietsansprüche angemeldet. Greenpeace fordert
ein Moratorium für Öl- und Gasförderung am Nordpol und will
auch die Arktis nach Vorbild der
Antarktis unter Schutz stellen
lassen.
DoPpelhüllentanker Öltanker sind tickende Zeitbomben:
Schlagen sie leck, verursacht
das auslaufende Öl großen
Schaden in den Meeren. Viele
Tanker hatten früher nur
eine Außenhülle. Eine zweite
Schiffswand kann bei einem
Unfall das Austreten größerer
Mengen verhindern. Greenpeace
setzt sich schon seit langem
dafür ein. Eigentlich sollten
bis 2010 alle Einhüllentanker
verschwunden sein, ältere
Schiffe dürfen mit Ausnahmegenehmigung aber noch
bis 2015 in Betrieb bleiben.
Das ist kein abstraktes Gemälde,
hier strömt Öl in den Golf von
Mexiko. Der New Yorker J Henry
Fair fotografiert seit Jahren
die Narben industriellen Rohstoffabbaus. Aus der Luft sehen
sie oft verstörend schön aus.
Sein erster Bildband erscheint
Ende November.
Greenpeace fordert ein Verbot
dieser Schiffe.
smile Small, intelligent, light,
efficient – Smile. So heißt das
Auto, das nur drei Liter auf
100 Kilometer verbraucht.
Greenpeace ließ es 1996 entwickeln, um der Autoindustrie
zu zeigen, dass solch sparsame Motoren möglich sind.
Lange Jahre wurde der Smile
von den Autobauern ignoriert.
Zwölf Jahre später erließ die
EU schließlich ein Gesetz für
sparsamere Autos. Es bewirkte
einen Investitionsschub für
intelligente High-Tech-Motoren.
So kommt die Autoindustrie
endlich in Bewegung, nach und
nach werden Autos sparsamer
– und VW kopiert sogar die
Smile-Motorentechnologie.
Rätsel: wissen Testen
und gewinnen
Vor ort Aktiv
Im Golf von Mexiko hat sich eine der schlimmsten Ölkatastrophen der Geschichte ereignet. Täglich strömten
aus dem Leck gewaltige Mengen Öl ins Meer. Wie viel
Liter waren es laut Schätzungen?
h 160.000
b 9,5 Millionen
m 16 Millionen
Im Einsatz gegen
Ölkatastrophen – in
China und anderswo
20 | 21 act [september 2010]
Fotos: David Sims/GP, Jiang He/GP, J Henry Fair
Am 16. Juli explodierte in der
chinesischen Hafenstadt
Dalian eine Erdöl-Pipeline. Die
Behörden gaben an, dass rund
1,7 Millionen Liter ausgelaufen
sind, Experten schätzen die
Menge auf bis zu 100 Millionen
Liter. Zur Bekämpfung der
Ölpest werden giftige Lösungsmittel eingesetzt, was die
Situation noch verschlimmern
könnte. Ein mehrköpfiges
Greenpeace-Expertenteam ist
vor Ort, dokumentiert die Ausmaße des Unglücks und hilft im
Kampf gegen die Ölpest.
BP versuchte anfangs, das Leck direkt zu versiegeln,
scheiterte aber. Wie wurde die Aktion genannt?
l „Top Kill“
a „Flop Kill“
c „Bottom Kill“
Welches Land verbraucht am meisten Erdöl?
o USA
y China
u Russland
Welches Land fördert am meisten Erdöl?
a Saudi-Arabien
n USA
w Russland
Ein Barrel Erdöl sind wie viel Liter?
R 15,9
O 159
m 1590
Und das können sie gewinnen
Unter allen richtigen Einsendern verlosen wir fünfmal
das Buch „The Day After
Tomorrow: Images of Our Earth
in Crisis“ von J Henry Fair
und fünf
abostomorrow
des
the
dayJahres
after
images of our earth in crisis
Greenpeace Magazins.
J Henry FAir
A book of photographs by
Družba heißt die Pipeline, die russisches Öl bis nach
Zentraleuropa leitet. Was bedeutet dieser Begriff?
r Energie
d Zukunft
u Freundschaft
the day after tomorrow
images of our earth in crisis
by J Henry Fair
Ein Liter Erdöl enthält so viel Energie wie ...
t 16 Tafeln Schokolade
d 160 Tafeln Schokolade
o 1600 Tafeln Schokolade
Schreiben Sie das lösungswort auf eine Karte und schicken Sie sie an folgende Adresse:
Greenpeace CEE, Fernkorngasse 10, 1100 Wien, Stichwort: Öl. Sie können das Lösungswort auch auf der Karte
auf Seite 23 angeben oder per E-Mail : [email protected] an uns schicken. Viel Glück!
with essays by:
James Hansen Allen Hershkowitz Jack Hitt
roger D. Hodge Frances Mayes John rockwell
and Tensie Whelan
3FMFBTFEBUF'BMMrwww.industrialscars.com
for more information contact:
Katherine Benjamin
[email protected]
or call: 212.674.6599
so können
sie aktiv werden...
Ganz vorne mit
dabei – Greenpeace
Frontline
Aktiv sein
mit und bei
Greenpeace
Frontline-Mitglieder setzen sich gemeinsam mit uns
an vorderster Front für die Umwelt ein. Bei „Greenpeace
Frontline“ sind Sie immer über aktuelle Ereignisse in
der Umweltarbeit von Greenpeace informiert und auf
dem neuesten Stand, was unsere Aktionen und Kam­
pagnen betrifft. Wir freuen uns besonders, alle Frontliner
auf Ausstellungen und Vorträgen begrüßen zu dürfen.
Bei Greenpeace kann jeder mitmachen und sich einbringen. Denn Greenpeace besteht aus einer Idee und
Menschen, die dafür eintreten.
Ab einem monatlichen Beitrag von 25 Euro freuen wir
uns darauf, Sie im Frontline Club begrüßen zu dürfen:
www.greenpeace.at/frontline
oder 01/545458080
Es gibt viele Möglichkeiten, mit Greenpeace aktiv zu
werden: Suchen Sie sich das Passende aus unter
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Schutzgebieten, denn sie tragen wesentlich zum Erhalt der Meere bei:
Nur so geben wir sensiblen oder einzigartigen Lebensräumen eine Chance
zur Erholung und schützen sie vor der Zerstörung. Dadurch können wir
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gefährdeten Arten sichern. Und auch eine sozial gerechte und nachhaltige
Fischerei hat damit eine Zukunft.
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22 | 23 act [september 2010]
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