basics - Die neue Quadriga
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basics - Die neue Quadriga
BASICS 1/2015 – 28 – Außen dampfdicht – innen was tun? ® Feuchteschutz Eine kleine Geschichte der Dampfsperre im Holzbau Der Tauwasserschutz, den die [DIN 4108-3] regelt, beschäftigt sich von Anfang an (Erstfassung: 1981) ausschließlich mit der Wasserdampf-Diffusion. Schon Mitte der 80er Jahre brachten einigen Protagonisten des handwerklichen Holzrahmenbaus von einer Studienreise nach Skandinavien die Erkenntnis mit, dass die größte Tauwassergefahr im Holzbau aus der Dampfkonvektion entsteht. Sie leiteten daraus ab, dass es notwendig ist, eine Trocknungsreserve für die Auswertung der Diffusionsberechnungen nach Glaser zu definieren [BorschLaaks 1993]. Dies war die Geburtsstunde des diffusionsoffenen Holzrahmenbaus, der aus der Bilanz von Tauund Verduns-tungsperiode der Normberechnung, die größten Trocknungspotenziale (meist mehrere Tausend g/m2) aufweisen kann (vgl. condetti Basics 1-2009). Infokasten 1: Die Grundregel für die Dimensionierung von Dampfbremsen bei außenseitig dampfdichten und unbelüfteten Fachdächern So diffusionsdicht wie nötig – zur Begrenzung des winterlichen Tauwasserausfalls durch Dampfdiffusion. So diffusionsoffen wie möglich – zur sommerlichen Rücktrocknung der Feuchteanreicherung durch Dampfkonvektion. Was sagen die Regeln der Technik? Sind sie anerkannt? Seit wann? Bei außenseitig dampfdichten Holzbaukonstruktionen erleben wir stets eine heftige Diskussion über die richtige Wahl der Dampfbremse. Viele Planer, Handwerker und auch Sachverständige vertreten die Auffassung, dass in diesem Fall eine Dampfsperre (sdi ≥ 100 m) erforderlich wäre, weil dies in der Tauwassernorm [DIN 4108-3] stünde. Nun werden die Fachbücher neu geschrieben werden müssen, denn mit der Novellierung der Norm vom November 2014 wird klargestellt: Dampfsperren sind in diesem Fall keine geeigneten Maßnahmen für Holzbauteile. Was sagt die Norm genau und wie kam es dazu? Was aber ist zu tun, wenn z. B. bei unbelüfteten Flachdächern, eine Abtrocknung nach außen nicht erfolgen kann. In diesem Fall wurde durch die Anwendung der Normberechnung schnell klar, dass nur über die sommerliche „Umkehrdiffusion“ nach innen hin eine Rücktrocknung möglich ist. Der daraus abgeleitete Merksatz steht in Infokasten 1. Die Bauphysik hilft dem Holzbau Im Rahmen eines großen europäischen Forschungsvorhabens zur hygrothermischen Bauteilsimulation (HAMTIE) führte das Fraunhofer Institut für Bauphysik (IBP) in Holzkirchen eine Vielzahl von Labor- und Freilanduntersuchungen zur Validierung (Praxisprüfung) des IBP-Programms WUFI® durch. Im Jahr 1998 fasste Hartwig Künzel die Erkenntnisse in einem Artikel mit dem Titel „Außen dampfdicht, voll gedämmt?“ in der Zeitschrift „Bauen mit Holz“ zusammen [H.M. Künzel 1998]. Jetzt war klar: Auch die sommerliche Umkehrdiffusion lässt sich dimensionieren und Dampfsperren sind hierbei kontraproduktiv. Unterhalb einer Neigung von etwa 20° können auch nordorientierte Dächer genügend Sonneneinstrahlung erhalten, um die Rücktrocknung anzutreiben, wenn der sd-Wert der Dampfbremse nur 2 bis 5 m beträgt. Ein Jahr später gab Künzel auf Basis der Auswertung amerikanischer Untersuchungen die quantitative Empfehlung: Für die Abtrocknung von Konvektionstauwasser aus Restleckagen, die auch bei guter handwerklicher Ausführung unvermeidlich sind, sollte der Verdunstungsüberschuss aus der Glaserberechnung 250 g/m2 betragen. Wie lange dauert die Diffusion von Wissen? Es konnte nicht erwartet werden, diese neuen Erkenntnisse der Bauphysik schon in der Novellierung der DIN im Jahre 2001 wiederzufinden. Die Weiterentwicklung der Fachregeln kon- Robert Borsch-Laaks zentrierte sich in der Folge auf die Verfahrensfragen bei der Anwendung der neuen Berechnungswerkzeuge (vgl. Infokasten 2). In der ersten Dekade des neuen Jahrhunderts wuchs der Bedarf nach geeigneten Nachweismethoden durch den zunehmenden Ausbau alter Dächer mit Bitumenbahnen auf Schalung und die „Flachdachmode“. Die Erkenntnisse aus vielen Schadensfällen und die wachsenden Erfahrungen von Bauphysikern im Umgang mit der Simulation fanden zunehmend Eingang in Fachpublikationen. Ein Dutzend Artikel in dieser Zeitschrift dokumentiert diesen Lernprozess (siehe Artikelticker). Infokasten 2: Chronologie der Fachregeln 1990er In der Fachdiskussion zur Bauphysik von Holzbauteilen taucht erstmalig die Forderung nach einer Trocknungsreserve für „außerplanmäßige Befeuchtungen“ auf. 1998 1999 Erste hygrothermische Parameterstudie zur Feuchtebilanz von außenseitig dampfdichten Holzbaudächer [Künzel 1998] Quantifizierung des erforderlichen Verdunstungsüberschusses bei der Glaserberechnung durch das IBP (250 g/m2a) 2001 Erscheinen der WTA Merkblätter 6-1 & 6-2 zur hygrothermischen Simulation 2004 3 Publikationen in dieser Zeitschrift zum trocknungsfördernden Effekt von feuchteadaptiven Dampfbremsen. 2007 Weißdruck der Simulationsnorm DIN EN 15026 2008 Publikation des I N FOR MATION SDI EN ST Spezialheftes „Flachdächer in Holzbauweise“ 2009 Publikation „Fehlgeleitet“ [Oswald 2009]. 2010 1. Int. Holz[Bau]Physik Kongress in München 2011 Veröffentlichung der „7 goldenen Regeln für ein nachweisfreies Flachdach“ durch die Referenten beim 2. int. Holz[Bau]Physik Kongresses in Leipzig 2012 Neufassung der DIN 68800-2 schreibt 250 g/m2 Trocknungsreserve für Dächer fest. 2014 Novellierung der DIN 4108-3 und des WTA MB 6-2 HOLZ Meilensteine zur anerkannten Regel der Technik Mitte des letzten Jahrzehnts richtete der INFORMATIONSDIENST HOLZ eine Arbeitsgruppe ein, die eine umfassende Bestandsaufnahme zum Thema „Flachdächer in Holzbauweise“ begleitete. In diesem Spezialheft von 2008 hieß es zum ersten Mal in einer anerkannten Holzbaufachregel klipp und klar: „Deshalb zählt die Anwendung von Dampfsperren insbesondere in nicht belüfteten Flachdachkonstruktionen nicht mehr zum Stand der Technik“. Spätestens jetzt mussten bei allen Holzbauern die Alarmglocken schrillen, wenn sie eine Flachdachplanung mit einer Dampfsperre auf den Tisch bekamen. Zur Absicherung der gewonnenen Erkenntnisse starteten anschließend mehrere Forschungsvorhaben in Deutschland und Österreich, die bei den ersten internationalen Holz[Bau]Physik-Kongressen in München und Leipzig vorgestellt wurden. Die Referenten fassten dies zusammen in „Sieben goldene Regeln für nachweisfreie Flachdächer in Holzbauweise“ [13]. Die Fachwelt war sich einig und konnte sich auf die Bewährung von nachgewiesenermaßen trockenen und luftdichten Bauweisen mit variablen Dampfbremsen beziehen. Was machte die Normung? Es ist raus! In der [DIN 68800-2] wurde 2012 die erforderliche Trocknungsreserve von 250 g/m2 für Dächer festgeschrieben. Die Tauwassernorm brauchte noch 2 Jahre, bis diese Erkenntnis eindiffundierte. Da die vom Holzschutz geforderte Sicherheit bei beidseitig dampfdichten Bauteilen nicht BASICS 1/2015 – 29 – erreichbar ist, bekam der alte Satz zur Nachweisbefreiung bei sd,i ≥ 100 m, der so viele „fehlgeleitet“ [Oswald 2009] hatte, die notwendige Ergänzung (siehe Infokasten 3). Auch die zweckmäßige Tabelle, die nachweisfreie Dächer über die inneren und äußeren sd-Werte definiert, wurde sinngemäß erweitert (s. Tab. 1). Die umstrittene Formel sd,i ≥ 6 x sd,e gilt nun bei Holzbauteilen nur noch bis zu einem äußeren Diffusionssperrwert von 2,0 m (entspricht ca. 300 g/m2 Trocknungsreserve). Wird jetzt alles gut? Leider nein! Die neue Tauwassernorm hat eine grundlegende Änderung erfahren, nach der keiner wirklich gerufen hatte. Beim Versuch, den deutschen Sonderweg (einfaches Blockklima) gegen das Monatsverfahren des Euro-Glasers [DIN EN 13788] zu verteidigen, wurden neue nationale Klimabedingungen definiert. Die um 30 Tage (= 50 %!) verlängerte Tauperiode führt trotz der angehobenen Norm Außentemperatur (–5 °C statt –10 °C) zu einer Erhöhung der Tauwassermengen. Andererseits wurden die Antriebskräfte für das Verdunstungspotenzial drastisch gekappt. Wir werden uns damit in einem gesonderten Artikel demnächst beschäftigen müssen. Eines ist jetzt schon klar, die Studie, in der die neuen Kli- Infokasten 3: Nachweisbefreiung DIN 4108-3:2014 gem. 5.3 Bauteile, für die kein rechnerischer Tauwasser-Nachweis erforderlich ist, – nicht belüftete Dächer mit Dachabdichtung und einer diffusionshemmenden Schicht mit sd,i ≥ 100 m unterhalb der Wärmedämmschicht, wenn sich weder Holz noch Holzwerkstoffe zwischen Dachabdichtung und sd,i befinden.“ Abschnitt 5.3.3.2, S. 23 mabedingungen begründet und mit Vergleichsrechnungen abgesichert werden sollten, [Ackermann/ Kießl 2012], hat eine große Lücke. Vergleichsrechnungen zu außenseitig dampfdichten Holzbauteilen wurden nicht durchgeführt, so dass den Autoren nicht auffiel, dass in diesem Punkt ein eklatanter Widerspruch zu den bewährten Regeln der alten Norm besteht. Die vom Holzschutz geforderte Trocknungsreserve lässt sich mit dem „Sommerklima“ der neuen Norm rechnerisch nicht nachweisen! Was bleibt zu tun? Die in Kürze erscheinende Schrift des INFORMATIONSDIENST HOLZ mit Erläuterungen zur Holzschutznorm wird dort, wo ein Verweis auf die DIN 4108-3 erforderlich ist, sehr genau auf datierte Normenbezüge achten müssen. Tab. 1: Nachweisfreie Dächer mit Dachdeckungen nach DIN 4108-3:2014-11 außen sd,e innen sd,i Aktuelle Regel der Technik bis 0,1 m ≥ 1,0 m verzichtbar über 0,1 bis 0,3 m ≥ 2,0 wichtig über 0,3 bis 2,0 m sd,i ≥ 6 * sd,e über 2,0 m *) sd,i ≥ 6 sd,e ergänzt neu, mit Einschränkung *) *) Nur wenn sich zw. sd,i und sd,e weder Holz noch Holzwerkstoffe befinden! Feuchteschutz Den Entwicklern von GlaserSoftware ist dringend anzuraten, bei der Neuprogrammierung die Berechnung gemäß den alten Klimarandbedingungen als Alternative beizubehalten. Hoffnung macht die WTAArbeitsgruppe zum Merkblatt 6-8. Sie wird in diesem Sommer ihr neues Merkblatt „Feuchtetechnische Bewertung von Holzbaukonstruktionen: Vereinfachte Nachweisverfahren und Simulation“ im Entwurf veröffentlichen. Die von dort zu erwartenden Befreiungsregeln sind mittels hygrothermischer Simulation auf Basis von Realklimata abgesichert und fußen nicht auf dem unvalidierten Blockklima der neuen DIN 4108-3. Literaturquellen [Ackermann / Kießl 2012] Thomas Ackermann / Kurt Kießl: Schlussbericht zum Forschungsvorhaben T 3288, IRB-Verlag, Stuttgart 2012. [Borsch-Laaks 1993] R. BorschLaaks: Sorption, Diffusion, Kapillarleitung. Feuchtespeicherung und Feuchtetransport in der Gebäudehülle. Reihe Technische Information Nr. 2 , Hirschhagen (Isofloc) 1993. [Künzel, H.M. 1998] Hartwig M. Künzel: Außen dampfdicht, vollgedämmt? In: bauen mit holz 8/98. [Oswald 2009] Rainer Oswald: Schwachstellen. Fehlgeleitet – Unbelüftete Holzdächer mit Dachabdichtungen. In: Deutsche Bauzeitung, Heft 07 - 2009. Weitere zitierte Quellen in den Beiträgen im Artikelticker. Artikelticker der HOLZBAU – die neue quadriga zum Flachdach: [1] Jenseits von Glaser: Feuchtedynamik von Holz und Holzwerkstoffen (Teil 3) 1-2004 +++ [2] Belüftet oder lieber doch nicht? 5-2004 +++ [3] Flachdach ohne Belüftung 6-2004 +++ [4] Flachdachkonstruktionen in Holzbauweise. Feuchte- und Holzschutz (2 Teile) 3/4-2007 +++ [5] Außen Blech – innen voll gedämmt? 4-2008 +++ [6] Die Diffusionsbilanz: Auf die Reserven kommt es an! 1-2009 +++ [7] Flach geneigte Dächer – der Stand der Dinge 6-2009 +++ [8] Dauerhaftigkeit unbelüfteter Flachdachkonstruktionen 6-2009 +++ [9] Do‘s and Dont‘s im Flachdachbau 1-2010 +++ [10] Trocknungsreserven schaffen: Einfluss des Feuchteeintrags aus Dampfkonvektion 1-2010 +++ [11] Die Dampfkonvektion: Ein Risiko – aber nicht überall 1-2010 +++ [12] Flaches Dach: Was tun? 1-2011 +++ [13] Bemessungsregeln für flach geneigte Dächer 5-2011 +++ [14] Wasserdampf sperren, bremsen, managen 02-2013 +++ [15] Feuchtetechnische Bemessung von Holzkonstruktionen nach WTA 06-2013.