Katalog "Dämmern"
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Katalog "Dämmern"
Karen Irmer Dämmern Stills? Stills? Über Karen Irmer About Karen Irmer In einem als zusammenhängende Bildreihe präsentierten Konvolut von Fotografien Karen Irmers wandert der Blick über ferne Landschaften. Es sind stille Erzählungen von weiten Horizonten und dahin ziehenden Wolken, die sich auflockern und verdunkeln, von der Feuchtigkeit der Luft und der Bewegung des Windes, von aufklarendem und diffus werdendem Licht, von Nebel, Dunst und Atmosphäre. Nichts passiert, das Bildklima selbst ist die Handlung. Eines dieser stillen Bilder hält nicht wirklich still. Es ist eine Projektion, der man dies kaum anmerkt. Projiziert auf denselben Bildträger wie die ihr zugeordneten Fotografien, dieselben Abmessungen aufweisend und im Ausdruck einer identischen Motivsprache verändert sie sehr langsam ihren Zustand. Über- und Ineinanderblendungen mehrerer Fotografien schaffen nicht nur eine komplexe Struktur neuer Bildebenen, sie entwerfen überhaupt ein neues Bild, das sich zwischen den einzelnen Abbildern und deren Gesamtheit zu einem eigenen Komposit formiert, zu einem dauernden Übergang von Bildzuständen, die sich immer wieder neu entwerfen. Was also ist das genau, was wir dort sehen? Ein Stück Natur und eine fotografische Erzählung über sie, mehrere Bilder ein und derselben Landschaft, oder gar ganz unterschiedliche, vielleicht nur künstlich ineinander komponierte Naturareale, die eine bewegte Ideallandschaft ergeben? Die Beobachtung der subtilen Veränderung des Bildgegenstandes durch das Ablagern seiner Abbilder auf einen imaginären Grund legt permanent unterschiedliche Erscheinungsformen frei, die wiederum die Frage aufwerfen, ob es den Bildgegenstand in der Eindeutigkeit, die das Momentane des Blicks zunächst vermuten lässt, hier überhaupt gibt. 2 meiner Großmutter dedicated to my grandmother While strolling along a well considered, lined up collection of displayed images in Karen Irmer’s photographic work, the gaze travels over distant landscapes. They are silent tales of wide horizons with clouds drifting towards them, which slowly dissolve and darken; of the moisture in the air and travelling winds; of light, which grows bright or dim; of haze, fog and atmospheres. Nothing happens, the image with its own climate is the scene of the action. One of these still photographs isn’t motionless but is in fact a barely noticeable projection. Having the same proportions, being projected on the same uniform picture carrier as the group of adjoining photographs and containing the same motif language, the picture slowly transforms. This crossfading of several photographs provides not only a complex structure of new imagery planes; it conveys actually a complete new image. In between the individual portraits and their common denominator, this new image forms its own composition and is a continuous transition of image shapes that renew themselves. So what is it precisely, what we see over there? A piece of nature and a photographic tale about several pictures of one and the same landscape or completely different nature areas, which are neatly composed together so as to create a slowly moving idyllic landscape? Observing the subtle change of a thematic image through a smooth emerging of its likeness helps to reveal different steadfast appearances. And basically, a question is being raised here if the object of interest, the presence of which the gaze has suspected all the way through, in its simple form exists at all. 3 4 Dämmern, der gleichermaßen intuitiv wirkende wie programmatisch greifende Werk titel dieser und weiterer hier vorgestellter fotografischer Bilder Karen Irmers umschreibt wesentliche Eigenschaften ihrer Vorgehensweise sehr genau. Changierende Lichtstimmungen, kaum merkliche Übergänge, die sich allmählich vom Hellen ins Dunkle und wieder zurück bewegen, markieren Landschaften als atmosphärische Innenbilder, die jedem theoretischen Konstrukt, wie man sie denn nun sehen müsse, mit ästhetischer Souveränität und intuitiver Leichtigkeit gegenüber treten. Den Fotografien haftet bei aller oft mirakulösen Ausstrahlung nichts Schwülstiges an. In den vergangenen Jahren hat Karen Irmer eine äußerst sensible Bildsprache entwickelt, deren äußerer Erkennbarkeit, Lesbarkeit, Erfahrbarkeit fotografierter Landschaften stets eine ganz eigentümliche Verrätselung beigemischt ist. Man sieht, was man sieht, und man fragt sich zugleich, ob das Gesehene dem Realen entspricht. Oder ob das Auge nicht doch die Atmosphäre des in den Blick genommenen Bildgegenstandes sieht, statt jenen Gegenstand selbst – ob hier also im Sehprozess nicht etwas eigentlich Widersprüchliches vor sich geht, für das man zunächst keine Erklärung findet. The true mystery of the world is the visible, not the invisible. Mit diesem Aphorismus über das scheinbar so untrüglich Sichtbare in der Welt, den Lord Henry im zweiten Kapitel von The Picture of Dorian Gray 1 ausspricht, fand Oscar Wilde eine ebenso verblüffende wie provokante Formulierung, die sich an eine auch heute noch aktuelle künstlerische Debatte um Bedeutung, Sinn und Wert der Oberfläche in der Kunst richtet. Legt doch mit der Zuschreibung des Geheimnischarakters an alles Sichtbare – genau genommen also zunächst an die Oberflächen der Dinge – der Gedanke Wildes durchaus eine Umkehrung des traditionell geläufigen Verhältnisses von Außen und Innen, von Oberfläche und Tiefe nahe, die nicht nur eine andere Form der Reflexion, sondern zu gleich auch eine neue Anforderungsqualität an die Beobachtung des Betrachters nach sich zieht. Dass beide Seiten der Medaille schon lange argumentativ gegeneinander gesetzt, nicht selten ausgespielt wurden, ist ein Gemeinplatz, der bis in unseren Alltagssprachge- 1 Oscar Wilde, The Picture of Dorian Gray, London 2011, S. 26 Dawning is a work title that both intuitively and programmatically is well chosen for the current and also future showcases of Karen Irmer’s photographic work, because it describes precisely the essential features of her personal approach. Atmospheres of changing light, hardly noticeable transformations, which move from bright to dusky and back again, marking landscapes as atmospheric images of inside worlds, that oppose every applied theoretical reading, of how one ought to look at them, with aesthetic sovereignty and intuitive lightness. In fact, her photographs with all their miraculous imaginative charisma don’t exude any pretence. Karen Irmer has in the past years developed a very sensible figurative language in the photographed landscapes wherein a characteristic conundrum is mixed with acknowledgment, readability and perception. You see what you see and at the same time you ask yourself if the viewed has something to do with reality. Or it seems that the eye hasn’t seen the particular thematic subject, but merely the atmosphere that encapsulates this. It is a question whether the seeing in this situation doesn’t uncover actually something self-contradictory, for which one doesn’t have an explanation yet. The true mystery of the world is the visible, not the invisible. With this aphorism about the seemingly so unmistakable obviousness in the world, according to Lord Henry in the second chapter of The Picture of Dorian Gray 1, Oscar Wilde uses a remarkable and provocative phrasing, that addresses even nowadays the artistic debate about meaning, sense and value regarding the surface in art. Attributing an element of mystery to all that is perceptible – initially more precisely to all that on the surface – makes the thought of Oscar Wilde quite obvious in connection with a reversal of a traditionally accepted relation between outside and inside, between surface and depth. This understanding cultivates not only a different form of contemplation, but at the same time demands from the observer a different quality in the way of perceiving. 1 Oscar Wilde, The Picture of Dorian Gray, London 2011, page 26 brauch hinein seine Fortsetzung gefunden hat. Oberflächlich betrachtet werden Zusammenhänge nicht wirklich erkannt, nur wer hinter die Kulissen schaut, erfasst, worum es geht. Das Wesen der Dinge liegt im Inneren, das stets von seiner Oberfläche separiert scheint. Diese hat eher Dekorations-, Effekt- oder Verpackungsstatus, eine Vorstellung von Substanz und Tiefe scheint sich mit ihr kaum zu verbinden. Karen Irmers künstlerische Konzeption fasst die spezielle Beschaffenheit der Oberflächen ihrer fotografischen Arbeiten als einen integralen, das Bild selbst mit aufbauenden Bestandteil auf, der von dessen Innerem nicht zu trennen ist. Beim Betrachten stellt sich etwas wie ein Eintauchen weniger durch, als in die Oberfläche des Bildes ein, in eine Bildsphäre, die nicht versiegelt, sondern als ein zum Betrachter hin transparenter Raum erscheint. Rein technisch gesehen löst dabei die Verwendung eines speziellen Metallicpapiers mit einem matten Überzug eine Dynamisierung aus, die irisierend wirkt, und dem Eigenlicht des Bildes Leben verleiht. Dennoch geht es hier keinesfalls um die Erzielung bloßer Effekte (auch sonst sind Irmers Fotografien frei von Retuschen, Montagen oder Fakes) oder um den Versuch einer Strategie metaphorischer Überhöhung. Vielmehr kommen Intuition und ein Gespür für Materialwirkung sowie ganz grundsätzlich eine künstlerische Haltung zum Ausdruck, die, wie in einem generell die Frage betreffenden Kontext und weiter gefasst formuliert, nicht »das vermeintlich Defizitäre der Oberfläche« sieht, sondern »das, was sie in erster Linie ist: ein ästhetisches Phänomen, das von Inhalten nicht ablenkt oder sie schmückt, sondern sie überhaupt erst prägt.« 2 Die Prägung des Inhalts als einer Legierung aus Abbild und Bilderfindung zeigt sich bei Karen Irmer schon früh. In einem Fotogramm aus dem Jahr 1988 sieht man drei kugelförmige Gebilde wie Monde durch ein dunkles Nichts schweben. Dazwischen, nur schwach von ihrem Grund sich abhebend und kaum wahrnehmbar, gläserne Fische in 2 Hans-Georg von Arburg et. al. [HG.], Mehr als Schein. Ästhetik der Oberfläche in Film, Kunst, Literatur und Theater. Zürich/Berlin 2008, S.7 The fact that both sides of a coin are exploited in a continuous argumentative encounter – but also played off against one another – is a platitude, which has found its continuation even into our daily conversation. On the surface, similarities are not being recognised‚ just those who are able to peek around the corner understand what is essential. And the essential value of all things is present in an innermost world, which seems constantly separated from its surface. And this surface has gained a status of decoration, wrapping and effect; it is barely possible to find linkage here with a depiction of substance and profundity. In her artistic conception, Karen Irmer considers the special condition of the surfaces in her photographic work as a complete and unabridged self-building element, which cannot be separated from its inner life. Observing the photograph, one is more directed towards diving onto the surface of the image as opposed to going through it; diving into an imaginative atmosphere, which is not revealed as something sealed up, but as a transparent space obtainable for the observer. Technically speaking, the use of a special metallic paper with a dim finishing coat creates a liveliness, which is iridescent and provides the inherent light quality of the image with vitality. However, by no means is it a matter of aiming for mere effects (the photographs of Irmer are in any case deprived of retouching, editing or faking) or of attempting for a strategy of metaphorical promotion. On the contrary, intuition and a feel for the use of material as well as fundamentally an inventive attitude is conveyed in her work, which doesn’t reflect »the presumed deficit of the surfaces«, but »that, which it essentially is: an aesthetic phenomenon, that doesn’t embellish or deviate from subject matter but actually firstly fosters it« 2 2 Hans-Georg von Arburg et. al. [HG.], Mehr als Schein. Ästhetik der Oberfläche in Film, Kunst, Literatur und Theater. Zürich/Berlin 2008, page 7 5 6 einem seltsam raumlosen Raum. Das Werk ist eine Schülerarbeit, entstanden in einem Fotokurs, den die Vierzehnjährige im Sommer dieses Jahres absolviert. Ausgrabungen familiärer Archäologie wie solche sind nicht ungewöhnlich im Werk von Künstlern und sollten sicher nicht überstrapaziert werden, um auf die Anlage später sich ausbildender Qualitäten zu verweisen. Interessanter als die Frage nach dem hier schon in verblüffender Prägnanz sich zeigenden ästhetisch-kompositorischen Talent ist aber etwas anderes: Die Fische aus Glas sind farblos und durchsichtig. Und feststellbar ist, wenn auch sicher noch nicht im Kontext einer übergreifenden Idee verankert, die offensichtliche Fokussierung einer Wahrnehmung, die danach sucht, dem Immateriellen eine Form zu geben. Diese Suche, etwas zu belichten, das man eigentlich gar nicht sieht, hat bis heute Bestand. Die in Karen Irmers aktuellen fotografischen Bildern selbst stets offen angelegte Lichtsituation ist auch ein unsichtbarer Weg von der Intuition zum Material und viceversa, und sie verändert sich subtil doch deutlich wahrnehmbar mit dem Standpunkt des Betrachters. Bewegt dieser sich vor den Fotografien, verschwinden Farbwerte und tauchen wieder auf, die Wahrnehmung der äußeren, realen Lichteinwirkung korrespondiert mit derjenigen im Inneren der Bilderzählung. Oder genauer: Außen und Innen verschmelzen zu einer Einheit, die Oberfläche wird quasi zur Haut des Bildes, zu einem sinnlichen Gestaltungsmodul, das sich in der Wahrnehmung der atmosphärischen Qualitäten der Fotografien nicht weniger wesentlich niederschlägt, als das Motiv, der Gegenstand, die Komposition. Das mag theoretisch klingen, kann aber von jedem, der Karen Irmers Arbeiten in ihrer jeweils realen Ausstellungssituation betrachtet (und letztlich nur dort) ganz unmittelbar erfahren werden – am zuletzt eindrücklichsten vielleicht in der im Frühjahr 2011 in Tel Aviv mit Uriel Miron präsentierten Schau The Principle of Moments. Und auch hierin liegt ein durchaus eigenständiger Werkaspekt. Die Fotografien, von denen wir hier sprechen, können nicht 1:1 publiziert werden. Was sich im Prozess des Sehens wie oben beschrieben vollziehen kann, funktioniert nur im Kontext eines jeweils ganz realen Raumes This fostering of the subject matter as an alloy of image and inventiveness was found by Karen Irmer at a young age. In a photogram from 1988 one can see three spherical creations like moons floating in a dark void. Fishes from glass are hovering in between, just a bit above the floor in a peculiar space-less space. This work is the result of an assignment in a school photography course that the fourteen year old completed in the summer of that year. Digging into the family archives like this isn’t strange with regard to the work of artists but certainly shouldn’t be used extensively to find evidence for later gifted qualities. Much more interesting than the question about the young remarkable precision and noticeable aesthetic and compositional talent is something else: the glass fish are colourless and transparent. One can already state that the apparent focus of an observation – although not yet anchored in the context of coinciding ideas – which searches for a way to give something immaterial a form, is present. The quest of giving light to something, that one actually can’t see at all has endured up until now. Nowadays, Karen Irmer applies consequent overt settings of light in her photographic images and this indicates an invisible route from intuition to material and vice versa. In her own subtle approach, she alters her position noticeably together with the viewpoint of the observer. If he moves in front of the displayed photographs, colour qualities appear and disappear and the observation of the outer, actual light effect will correspond with the innermost story of the pictorial narration. Or even more precisely: outside and inside melt together to a unity, the surface becomes seemingly the skin of the picture, a sensuous design module where during the perception of the atmospheric qualities, the photographs find essentially their expression, as motif, theme or composition. This may sound quite theoretical, but as a most direct experience anyone who views Karen Irmer’s work in her from time to time realised exhibition situation (and principally only there) can take part in it. On balance, the best example for this und den Wechselwirkungen mit ihm. Insofern ist die gewissermaßen eingeschmuggelte Form der Projektion eine nur folgerichtige Fortsetzung genau derjenigen Bewegung des Lichts, die dem mit Dämmern umschriebenen Charakter der statischen Fotografien selbst schon innewohnt. Die durchaus auch klassische Schönheit der fotografischen Bilder Karen Irmers ist in jedem Fall eine vielschichtige. Sie drückt sich aus in einem gleichermaßen klaren wie irritierenden Bildempfinden, in Metamorphosen eines Dr. Thomas Elsen Zwischenbereichs zwischen abgebildeter Realität und eiStudium der Kunstgeschichte, nem ganz eigenen ästhetischen Entwurf von Wirklichkeit, Philosophie und Katholischen der vielleicht mehr die Summe ihrer Möglichkeiten als die Theologie, Promotion. Idee ihrer unverrückbaren Faktizität im Blick hat. »Das Leiter / Kurator des H2 – Zentrum Wort ›Schein‹ hat dieselbe Wurzel wie das Wort ›schön‹ für Gegenwartskunst und der und wird in der Zukunft ausschlaggebend werden.« 3 An Neuen Galerie im Höhmannhaus, Augsburg. Zahlreiche diesen Gedanken Vilém Flussers fühlt man sich hier erinAusstellungen, Publikationen nert. Und etwas ihm durchaus V erwandtes macht Karen und Lehraufträge zur internatio Irmers künstlerische Position so homogen. Und so geladen nalen Gegenwartskunst. zugleich. In ihren Bildern mag der Betrachter die Welt erkennen wie sie ist. Sicher sein kann er sich nie. Thomas Elsen, 2011 is the impressive exhibition The Principle of Moments with Uriel Miron, spring 2011, in Tel Aviv. And there too, an authentic work dimension is predominating throughout. The photographs, of which I speak, can’t be published on a 1:1 basis. The viewing process as described above can only happen or function in the context of and interaction with the real space. The smuggled form of projection, if I may put it this way, is in this respect just a consequent continuation of these movements of light, which are inherent to the already defined dimly visible characDr. Thomas Elsen ter of these static photographs. Studied art history, philosophy The photographic images of Karen Irmer conand catholic theology; tain furthermore a classic beauty, which is in any Leader H2 – Center for Contem event multifaceted. They generate both a pure and porary Art, curator of new gallery Höhmannhaus, Augsburg. irritating visual experience and express themselves Numerous exhibitions, in metamorphoses of an in-between stage depicting publications; professorship a pictorial reality and a fully authentic design of rewith regard to international ality, which has more eye for the sum of possibilities contemporary art. than for the idea of its indisputable factuality. The following words of the philosopher Vilém Flusser come to mind: »The word ›Schein‹ has the same origin as the word ›schön‹ and in the future this will become decisive.« 3 In this we recognise an affinith with the artistic view of Karen Irmer, which makes her position so homogeneous, and at the same time so charged. In her images the observer can acknowledge the world as it is. Though he will never be certain. Thomas Elsen, 2011 3 Vilém Flusser, Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien. Bensheim/Düsseldorf 1993, S. 284 3 Vilém Flusser, Lob der Oberflächlichkeit. Für eine Phänomenologie der Medien. Bensheim/Düsseldorf 1993, page 284 7 8 Wiederauffangschleife | Looploop 9 Wiederauffangschleife | Looploop Still II, 2010 Cross fade 100 cm × 180 cm 10 11 Wiederauffangschleife | Looploop Wiederauffangschleife | Looploop Still III, 2010 Cross fade 100 cm × 180 cm Still V, 2010 Cross fade 100 cm × 180 cm 12 13 Wiederauffangschleife | Looploop Wiederauffangschleife | Looploop Still VI, 2010 Cross fade 100 cm × 180 cm Stills, 2010 Cross fade 100 cm × 180 cm 14 Dämmern 15 Dämmern Moor, 2010 C-Print 100 cm × 150 cm 16 17 Dämmern Dämmern Strauch, 2010 C-Print 100 cm × 150 cm Überfahrt, 2010 C-Print 100 cm × 150 cm 18 The Principle of Moments 19 20 21 The Principle of Moments The Principle of Moments Distinctly and visibly, 2009 C-Print 100 cm × 150 cm Quite clearly, 2009 C-Print 100 cm × 150 cm 22 23 The Principle of Moments Well defined, 2009 C-Print 100 cm × 150 cm 24 Don’t come back 25 Don’t come back Hill, 2011 C-Print 100 cm × 150 cm 26 27 Don’t come back Don’t come back Far, 2011 C-Print 100 cm × 150 cm Migration II, 2011 C-Print 100 cm × 150 cm 28 29 Don’t come back Migration I, 2011 C-Print 100 cm × 150 cm 30 31 Don’t come back Wave, 2011 C-Print 100 cm × 150 cm 32 Dunkeln 33 Dunkeln Jellyfish in Space, 2010 C-Print 100 cm × 150 cm 34 35 Dunkeln Innen weit, 2010 C-Print 100 cm × 150 cm 36 37 Dunkeln Tief draussen, 2010 C-Print 100 cm × 150 cm nicht zu sehen not to see Reflexionen Reflexions Das Werk von Karen Irmer ist eine Reflektion über Wahrnehmung. Sie mögen mir dar- The photographic work of Karen Irmer is a reflection on perception. You might want auf antworten, dass jedes gute Kunstwerk eben dies auch leistet. Aber hier, vor diesen to reply to me by saying that simply every good piece of art accomplishes precisely Arbeiten, passiert etwas anderes: die Reflektion über Wahrnehmung wird buchstäblich. that. But right here, in front of these works, something else happens: the reflection on Das zeigt sich schon an der Unterscheidung zwischen Reflexion alias Überlegung und perception becomes literal. It becomes apparent in the act of distinguishing between Reflektion alias Widerspiegelung, zwischen x und kt. Karen Irmer macht uns ein x für ein the word reflexion as contemplation and its twin, reflection as mirroring, between -x kt vor, ließe sich hier behaupten und wir sind wieder auf der Ebene der Buchstäblichkeit. and -ct. As it becomes evident here, Karen Irmer conjures up visions for us of an -x Ein Bild entsteht durch die Reflektion (mit kt) von Lichtstrahlen auf einer Ober- as a -ct and once more we are on a level of taking things literally. fläche. Das Erkennen ist dabei immer doppelt: wir sehen das Bild und wir sehen dessen A photograph is made through the reflection (with -ct) of rays of light on Reflektion. Die dunklen bis zur Unkenntlichkeit aufgelösten Objekte in den Arbeiten von a surface. The acknowledgment thereof is always two-fold: we see the photo and Karen Irmer nehmen wir wahr. Aber es gibt einen Punkt dabei, wo das Gesehene mit dem we see its reflection. We are distinguishing the dusky and almost unrecognisable Sehen wollen in Eintracht gebracht werden will. Erst im Versuch, beides in Übereinstim- vanishing objects in the work of Karen Irmer. However, there is a moment where the mung zu bringen, gelingt es uns ein Bild zu erfassen. So ist die Reflektion auch immer viewed wants to be unified with the act of wanting to view. Only after attempting to eine Projektion. Jedes Sehen aber ist auch eine Projektion dessen, was wir schon gesehen reconcile both, are we able to grasp the image. So this reflection is therefore always a haben. Gerade im Moment der Wahrnehmung, wo das spezifische Objekt noch nicht ent- projection. Every act of seeing is a projection as well, namely of that which we have schlüsselt ist, begegnen sich Projektion und Reflektion. already seen. Just in that particular moment where the specified object hasn’t been Wir merken das nicht, weil wir umgeben sind von Foto-Bildern, die keine weitere decoded yet, the projection meets with the reflection. Entschlüsselung mehr brauchen. Vor den Bildern – und ich benutze bewusst den Begriff We don’t notice this because we are surrounded by photographic images, Bild statt den des Foto – von Karen Irmer aber beginnen wir zu zweifeln. Sehen wir das, which are not in need of further decoding. Nevertheless, for the images of Karen was wir sehen? Tatsächlich scheint mir das die eigentliche Frage hinter diesen Arbeiten Irmer – and deliberately I use the concept of image rather than picture – we are zu sein. Und das lässt sich als Reflexion der Wahrnehmung, diesmal mit x, verstehen. starting to question if we see what we are seeing. This seems, in fact, for me the esUnd wir können das sogar noch ausdehnen: Nehmen wir wahr, was wir wahrnehmen? sential question behind her work. And this permits it to be understood as a reflexion Damit verknüpft sich auch wieder das Problem der Wirklichkeit und Wahrheit. Muss of perception, this time with an -x. We can elaborate on this a bit further: do we Wahrheit Wirklichkeit sein? In dieser Frage steckt ein Momentum, dass die Arbeiten perceive what we are perceiving? And thus the problem of reality and truth pops up. von Karen Irmer mit dem Reich der Literatur verknüpft. Denn einige Motive wirken wie Does truth have to be reality? This question contains a momentum, which links the die Madeleine, das berühmte Teegebäck von Marcel Proust in seinem Roman Auf der work of Karen Irmer to the world of literature. Then several motifs function as the Suche nach der verlorenen Zeit, das ihn wieder erinnern lässt an die verlorene Zeit. madeleine, the illustrious teacakes out of In Search of Lost Time by Proust letting him reminisce about the lost time. 38 Dunkeln KojKoj, 2010 C-Print 100 cm × 150 cm 39 40 Das liegt sicherlich auch an dem Formeninventar, das hier in diesen Arbeiten erscheint. In spezifischer Art und Weise referieren sie für mich auch auf die Frühzeit der Fotografie, wie sie deutlich wird in den Arbeiten von Henry Fox Talbot oder Daguerre. Und ich sehe ein weiteres Momentum in diesen Arbeiten, die uns spezifisch die Kunst der Fotografie nahe bringt. Denn hier ist es nicht ein kleiner digitaler Pinsel eines Computerprogramms, sondern die konkrete Bewegung vor dem Negativ. Die Unterscheidung zwischen digital und analog gerät immer mehr in den Hintergrund. An den Arbeiten von Karen Irmer lässt sich diese Unterscheidung und deren Bedeutung noch nachvollziehen. Hier ist die Realität sowohl künstlich als auch natürlich. Der digitale Thomas Wulffen Körper aber ist nur künstlich. Und angesichts der KörperStudium der Philosophie und welten in einigen Bildern von Karen Irmer fühlt man sich Linguistik. Seit 1982 als Kurator erinnert an Edgar Allen Poes Sturz in den Malstrom. So in Berlin tätig für Kunstforum eignet diesen Bildern auch eine literarische Qualität, weil International, Flash Art u.a. sie entziffert werden wollen … Und einige dieser Bilder Seit 2001 Mitarbeiter der Berliner Seiten der FAZ und des artist kommen einem wie wiedergefundene Palimpseste vor. kunstmagazins. Präsident der Gleichzeitig aber kann man sie auch als Konstruktionen deutschen Sektion der Interder Wahrheit verstehen, Titel einer Gruppenausstellung, nationalen Assoziation der an der die Künstlerin teilgenommen hat. Kunstkritiker AICA. In diesem Sinne ist die Unterscheidung zwischen Reflexion der Wahrnehmung mit x und der Reflektion der Wahrnehmung bedeutsam. Nehmen wir es buchstäblich: in den Fotoarbeiten von Karen Irmer wird unsere Wahrnehmung in Frage gestellt. Wie sehen wir mit welchen Mitteln welche Bilder? Karen Irmer gibt mit ihren Bildern eine Antwort darauf, die gleichzeitig äußerst reduziert erscheint und doch einen Kosmos erahnen lässt. Thomas Wulffen, 2010 This surely must have something to do with the summing up of style and manner, which is reflected in these photographic works. In their own specific way they remind me also of the early days of photography, as one can recognise in the work of Henry Fox Talbot or Louis Daguerre. And I recognise an additional momentum in Karen Irmer’s work, which specifically lets us look into the art of photography more closely: it is not a miniature digital brush of a software programme, but the factual movement in front of the negative. Distinguishing between digital and analogue becomes more and more a background detail. Within these works the differentiation and its significance can however be distinguished. Thomas Wulffen Here, the reality is artificial as well as natural. Yet the Studied philosophy and lin digital body is only artificial. Face to face with physiguistics; Since 1982 working as curator in Berlin, e.g. Kunstforum cal worlds in certain images of Karen Irmer, Edgar Allan Poe and his Descent into the Maelstrom comes International, Flash Art; Since 2001 contributing to the Berlin to mind. This literary quality is part of these photos, pages of FAZ-magazine and because they ask to be deciphered and subsequently artist art magazine; President some of them turn up as recovered palimpsests. At of the German section of AICA the same time, the pictures can be understood as (International Association of constructions of truth, just like the title of a group exArt Critics). hibition, wherein the artist has participated. The differentiation between reflexion (with -x) of perception and the other reflection of perception becomes rather significant in this framework. And let’s take this literally: in the photographs of Karen Irmer our perception is being challenged. How do we see with which means, which image? Karen Irmer does give us an answer with her photographs, which seem fairly reduced at the same time that they have the sensation of a cosmos. Thomas Wulffen, 2010 41 42 Draussen in mir 43 Draussen in mir Baum, 2008 C-Print 100 cm × 150 cm 44 45 Draussen in mir Draussen in mir Wandern I, 2008 C-Print 100 cm × 150 cm Wandern II, 2008 C-Print 100 cm × 150 cm 46 47 Draussen in mir Zweig, 2008 C-Print 100 cm × 150 cm 48 49 Draussen in mir Mensch, 2008 C-Print 100 cm × 150 cm 50 51 Draussen in mir Weise, 2008 C-Print 100 cm × 150 cm 52 53 Draussen in mir Weite, 2008 C-Print 100 cm × 150 cm 54 Abends in mir 55 Abends in mir Tal, 2009 C-Print 40 cm × 60 cm 56 57 Abends in mir Abends in mir Drei, 2009 C-Print 40 cm × 60 cm Tannen, 2009 C-Print 40 cm × 60 cm 58 59 Abends in mir Abends in mir Gnom, 2009 C-Print 40 cm × 60 cm Licht, 2009 C-Print 40 cm × 60 cm 60 Dickicht 61 Dickicht 5 + 4, 2009 C-Print 24 cm × 16 cm 62 63 Dickicht Dickicht 2 + 7, 2009 C-Print 24 cm × 16 cm 6 + 3, 2009 C-Print 24 cm × 16 cm 64 65 Dickicht 1 + 8, 2009 C-Print 24 cm × 16 cm Von hier aus Draussen in mir 67 Loss of sight control Kontrollverlust des Sehens The photographs of Karen Irmer transform at the edge Karen Irmers Bilder changieren am Rande der Einbildung of imagination Es ist ein Wintermärchen – und Spuk zugleich. Wie Eisblumen haben sich surreale Gewächse einer exotisch wirkenden Vegetation an den fünf hochformatigen Fenstern im Obergeschoss des Museums festgefroren. Und so verwandelt sich auf nahezu magische Weise der mit seinen Klinkersteinen sehr festungsartig wirkende Bau des Künstlerhauses Marktoberdorf zu einem Schauraum auf ein Vexierrätsel der Natur. Erst nach einer Weile schält sich heraus, dass sich hinter Karen Irmers auf die Fensterscheiben aufgezogenen, transluzenten Fotoansichten keineswegs das Fantasy-Gebilde eines bizarr vereisten Dschungels verbirgt, sondern vielmehr ein etwas ungewöhnlicher Ausschnitt von an sich gewöhnlichem deutschen Wald. Die rhizomartige Verflechtung der Naturformen, die krause Struktur der Botanik ist in ihrer illusionären Erscheinung durch raffinierte fotografische Spiegelungen respektive Doppelbelichtungen erzeugt. Karen Irmer transformiert den Ausstellungsraum in eine Wunderkammer der sich von ihrer obskuren Seite darstellenden Waldlandschaft. Keine Frage, das Schattendasein der Natur und ihrer unheimlichen Kräfte ist ein Topos der Romantik. Doch in dem gleichen Maße, wie Karen Irmer an der Konstruktion des Geheimnisvollen feilt, entschlüsselt sie das von ihr aufgestellte Mysterium auch wieder. Die Motive entstammen quasi dem Wald um die Ecke, also einer hiesigen Menschen durchaus vertrauten Umgebung. Karen Irmer wird durch das Erwecken von trügerischer Vertrautheit der Thematik der Gruppenausstellung Von hier aus auf ungezwungene und doch überlegte Weise gerecht. »Erst wenn man versucht, etwas Bekanntes anders anzuschauen, dann changiert es auch«, sagt sie. Zudem stehen in ihrer räumlich präzisen Installation als Antwort auf die nebulöse Durchlässigkeit der fotografisch illuminierten Fenster an der gegenüberliegenden Wand fünf Bildblöcke am Boden wie Gedenktafeln parat. Sie verdoppeln auf demonstrative Weise das Gemauertsein der Wand, indem die darauf erscheinenden Motive in Schwarz-Weiß den Verbund aus dunklen Fugen und hellerem Stein imitieren und einen zugemauerten Torbogen vorgaukeln. Tatsächlich gab es an dieser Stelle des fotografierten Gebäudes einmal den Durchgang einer Tür. Das etwas Klaustrophobische des Ziegelbaus Von hier aus Einwand, 2009 Installation, C-Prints each 310 cm × 100 cm It’s a winter’s tale – and at the same time an eerie story. Surreal plant growth of exotic vegetation has encroached upon five large portrait-shaped windows on the upper floor of the museum like patterns of frost. And thus in an almost magical way the Künstlerhaus Marktoberdorf as a sturdy stronghold with its ornate brickwork changes into a showroom for picture puzzles of mother nature. Only after a short moment is it revealed that Karen Irmer’s translucent photographic images on the window panes are not at all a phantasy composition of a bizarrely iced jungle, but rather unfamiliar cut-outs of a seemingly normal German forest. The illusionary effect of this rhizomatic entanglement of natural forms and wrinkled botanic structure has been created by sophisticated photographic reflexions, more accurately by double exposures. Karen Irmer transforms the exhibition room into a magical space of an obscurely presented forest landscape. There is no doubt that the shadowy presence of nature with its enigmatic powers is a topos of romanticism. And in the same manner in which Karen Irmer polishes the composition of this arcane environment, she decodes her self-erected mystery over and over again. The motifs originate seemingly from the forest around the corner, so to say, the completely familiar environment for a local person. Because of her creations of deceptive familiarity Karen Irmer complies in an informal and yet thought-out approach with the subject matter of the group exhibition Von hier aus. »Only when you try to observe something familiar in a dif ferent way, does it transform«, she says. In addition, five blocks with images like commemorative plaques are arranged on the floor alongside the opposite wall. In her accurate three-dimensional installation they serve as an answer to the nebulous transparency of the photographic illuminated windows. They double the rock-solid quality of the wall in a demonstrative way, whereupon the emerging motifs in black and white imitate the bond between the darker joints and lighter stones and conjure up a walled up archway. And actually a passageway with door did once exist at this 69 70 wird durch das fotografische Trompe l’oeil der exakt in der Dimension der Fenster gehaltenen Tafeln zwar imaginär aufgebrochen, aber zugleich besiegelt. Irritierend neben dieser Ambivalenz ist auch, dass bei der fotografischen Simulation einer Mauer kleine Narben, Abnutzungsspuren, Schrammen eingeblendet werden. Karen Irmer holt urbane Duftmarken in den gemeinhin cleanen Museumsraum, erinnert wenn auch in homöopathischen Dosen an potentielle menschliche Geschichten. Im Grunde finden sich alle Kriterien, die Karen Irmers künstlerische Arbeit bislang auszeichneten, in der Installation für Marktoberdorf wie unter einem Brennglas fokussiert. Es geht ihr um die Transformation von bereits Vorhandenem, um das Herauskristallisieren von atmosphärischen Möglichkeiten, die in einem Raum existieren. So hat sie zusammen mit Dunja Bergmeir und Robert Strauch bereits 2002 und in einem zweiten Anlauf 2003 den Raum einer ehemaligen Polsterfabrik in Augsburg durch fotografische Interventionen in seiner schönen Hinfälligkeit zur Darstellung gebracht. Gelbliche Farbspuren an der Wand, poetische Risse im Putz oder auch drastischere Verfallsindizien auf der Haut der Innenarchitektur wurden durch 12 Fo tografien mit identischen, aber koloristisch leicht veränderten Ansichten der Wandoberfläche gespiegelt. In diesen Vortäuschungsmanövern lässt sich – wenn auch auf hochgradig abstrakte Weise – das Doppelgängermotiv der Romantik wiederfinden. So minimal die Eingriffe in der Fabrikräumlichkeit auch sein mochten, es wurde eine gespenstische Atmosphärik des Vergehens und Versehens am Rande der schieren Einbildung beschworen. »Ich konnte mich noch nie für High-End-Fotografie begeistern«, erklärt Irmer. Und tatsächlich gelang es ihr immer wieder, mit experimentellen fotografischen Methoden kleine Sensationen des Wahrnehmens, Erkennens und Wiederauslöschens herzustellen. spot of the photographed building. Because of the photographic trompe l’oeil of the exactly fitted plaques in the windows, the claustrophobic feature of the brick building is in fact hypothetically broken up while at the same time it is being endorsed. One irritating effect next to this ambivalence is the small changes of texture, traces of erosion, scratches, which become blended with the photographic simulation of a wall. Karen Irmer brings into this generally sterile museum space urban identification marks that are even in small doses reminiscent of potential human stories. All criteria, in which the artistic works of Karen Irmer so far have excelled, find themselves unified in the Installation for Marktoberdorf as being under a magnifying glass. For her it is important to stress the transformation of what is already there, to re-crys tallise atmospheric possibilities that exist in a sin gle space. In 2002 and a second time in 2003, together with Dunja Bergmeir and Robert Strauch, she utilised the inner space of a former upholstery factory in Augsburg in all its beautiful decay by use of photographic interventions. Twelve almost identical photographs with a slightly altered but almost identical colour palette mirrored the walls of the inner architecture characterised with yellow traces of paint, poetic cracks in the plasterwork and also more drastic decay. This tendency of conjuring up visions reminds us – despite the strongly abstract style – of the doppelganger motif during the Romantic period. However minimal the interference in the factory environment might be, a ghostly atmosphere of decay and deception was summoned at the edge of pure imagination. »I was never really enthusiastic about high-end photography«, explains Irmer. And actually she managed over and over again to construct with experimen- Dabei geht sie oft wie etwa bei ihrer Installation Mehrmals täglich Hände waschen in tal photographic methods small sensations of observing, acknowledging and letting der Münchner Akademie der Bildenden Künste in die gemeinhin nicht beachteten Ni- it fade away again. With that, she enters the usual not so well observed niches of arschen der Architektur. Ihre auf Transparentpapier ansichtigen Fotomotive deckten 2004 chitecture as with her installation Mehrmals täglich Hände waschen in the Academy halbtransparent die Kacheln um ein Waschbecken im Akademieraum ab. Zwischen of Fine Arts in Munich. In 2004 her on transparent paper depicted photographic Waschzwang und Gebilden von Seifenhaltern, die in Irmers Version allerdings eher an motifs covered only partially transparent the tiles around a washbasin in an acadKakerlaken erinnerten, öffnete sich ein von Wiederholungen gezeichnetes Panoptikum emy space. In between compulsive hand washing and constructions of soap holders, irrationaler Alltäglichkeit und Rituale. which in Irmer’s variant reminded us foremost of cockroaches, a repetitive waxwork Für Aufsehen sorgte sie in jüngerer Zeit vor allem durch ihre silbrigen CPP-Prints, show full of irrational platitudes and rituals was exposed. in denen sich die Formen nur schemenhaft vom Grund abzeichnen. Als seien die Bilder Karen Irmer caused in earlier times quite a stir with her silvery CPP-prints, mit fettem Graphitstift übermalt wor wherein the shapes only showed den, lassen sich erst unter Veränderung up dimly against the backdrop des Blickwinkels all die Dinge identifisetting. It is like the pictures have zieren, die auf dem Bild enthalten sind. been drawn over with a thick charOft genug handelt es sich um Unorte coal pencil so the objects in the picoder auch Unrat, den sie mit ihrer Foto ture let themselves be identified grafie geradezu alchemistisch veredelt. only under a change of perspecIn der Verunklärung der Motive erhält tive. Quite often discarded spaces die Ansicht der Hagia Sophia die gleior random waste are dealt with, che Bildwertigkeit wie ein Gartenhaus which Irmer almost alchemistical mit davor abgestellten Plastikstühlen. ennobles with her photography. In »Es ist ein Lehrstück, wenn man beweisen will, dass Fotografie keine Imitation der Na the entanglement of motifs the portrayal of the Hagia Sophia in Istanbul gets the tur ist«, sagt Karen Irmer. Ihre Fotografien besitzen durch das Transzendentmachen des same image value as a portrayal of a gazebo with plastic chairs in front of it. »It is a Gegenständlichen eine geradezu malerische Attraktivität. Sie schließt dabei mit ihrem didactic process if you want to prove that photography is not an imitation of nature«, Silberblick auf die Dinge des gewöhnlichen Lebens an die Pionierzeit der Fotografie an. says Karen Irmer. Her photographs contain an almost picturesque charm through An eine Experimentierphase, als man sich mit den versilberten und polierten Platten der attributing a transcendent quality to everyday objects. With her silver eye on comDaguerrotypien behelfen musste, um der Wirklichkeit einen reflektierenden und deshalb mon objects in everyday life, she associates herself and her work with the pioneering auch nobel zweideutigen Abdruck abzutrotzen. Doch Karen Irmers Bilder lassen einen era of photography: a linking to the experimental phase when one had to help one- 71 72 nach einer Weile vollends in die Sphäre des Traums abtauchen. Bekanntlich herrscht da die Unberechenbarkeit des nächsten Augenblicks vor, denn jederzeit kann die vermeintliche Sicherheit der Lokalität zu einem beunruhigenden oder gar unheilvollen Szenarium umkippen. Birgit Sonna, 2008 self with silvery and polished plates of the daguerreotypes to extract out of reality a reflecting and thus a refined ambiguous print. Yet Karen Irmer’s photographs cause someone ultimately to submerge fully in a dreamy atmosphere. And one knows that right there the unpredictable next moment reigns, because at any time the assumed safety of the premises tips over to a perturbed and even ominous scene. Birgit Sonna, 2008 Dr. Birgit Sonna Kunsthistorikerin und -kritikerin. Arbeitet als Korrespondentin für das Kunstmagazin ART und als Kunstberaterin. Lebt in Berlin. Dr. Birgit Sonna Art historian and critic. Correspondent for art magazine ART; Works as art consultant; Lives in Berlin. Von hier aus Einwand, 2009 Installation, C-Prints each 310 cm × 100 cm 74 Karen Irmer 1974 2012 Amsterdam, Galerie Bart, Zweigstelle Berlin @ Galerie Bart 2012 Augsburg, H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast, behind 75 mit Ursula Oberhauser und Jürgen Paas landscape, mit A. Khoroshilova, T. Paglen, Reynold Reynolds, E. Rokni u.a. Augsburg, Ecke Galerie, Karen Irmer und Sigurd Rompza 2011 Berlin, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., EHF 2010 Bobingen, Kunstverein Bobingen, nicht zu sehen Berlin, Georg-Kolbe-Museum, HotSpot Berlin – Eine Momentaufnahme 2011 Tel Aviv, Fresh Paint Contemporary, The Principle of Moments München, showroom von art-report, Save Japan Berlin, Zweigstelle Berlin, Von Jedem das Beste mit Uriel Miron Berlin, Zweigstelle Berlin, nicht zu sehen Augsburg, H2 – Zentrum für Gegenwartskunst im Glaspalast Augsburg 2010 2010 Essen, Raum3, Himmel sehen, mit Angela Stauber 50 Jahre Kunstförderpreis Augsburg Basel, Scope Basel Art Fair/Zweigstelle Berlin, Karen Irmer München, Mariandl/Kulturreferat der Stadt München, Zimmer frei 2009 Berlin, Zweigstelle Berlin, draussen in mir Miami, Galerie Schuster, Berlin Next Generation 2008 2009 Augsburg, H2 – Zentrum für Gegenwartskunst, Karen Irmer München, Lothringer 13, Städtische Kunsthalle München, Ein Überblick München, Weltraum, Sein und Nichts, mit Barbara Ullmann Gongju (South-Korea), Limlip Museum, 6th Gongju International Biennale Neu-Ulm, Landesgartenschau, gestern wars kälter als draussen Berlin, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst, Kunst im Untergrund 2008 Berlin, Kunstkabine Berlin, wahrscheinlich unwahrscheinlich Goyang (South-Korea), Artmuseum Goyang, Goyang International Biennale 2007 München, Akademie der Bildenden Künste, Debutanten – Karen Irmer Marktoberdorf, Kunsthaus, Von hier aus Oberschönenfeld, Volkskundemuseum Oberschönenfeld Berlin, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., EHF 2010 gestern war heute morgen frische Berlin, Zweigstelle Berlin, hier & jetzt München, Galerie Zisko, Nichts scheint wie es ist Darmstadt, Darmstädter Tage der Fotografie, Konstruktionen der Wahrheit 2007 2006 Augsburg, Neue Galerie im Höhmannhaus München, whiteBox, Klasse Scully 2007 München, Verein für Originalradierung e.V., Jahresgaben Kunstsammlungen Augsburg, Was sein kann muss sein Dachau, KVD-Galerie, lost Galerie für Druckgrafik und Multiples 2004 Girona, Centre Cultural de la Merce, En un calaix no hi ha espai per a 5 2006 2005 Berlin, Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Berlin, EHF – Ein Überblick Dachau, Neue Galerie der Stadt Dachau, Gedankenstrich, Lichtraum, Sichtraum Istanbul, Karsi Sanat Çalismalari Gallery, Next Generation 2003 Aichach, Kunstverein Aichach, Trabanten in Friedberg (Bayern), Deutschland geboren born in Friedberg (Bavaria), Germany Karen Irmer lebt und arbeitet in Augsburg, Deutschland Karen Irmer lives and works in Augsburg, Germany 1995 – 2000 Hochschule Augsburg, Diplom Kommunikationsdesign University of Applied Sciences, Augsburg, Germany Diploma Communications Design 2000 École Supérieure des Arts Décoratifs de Strasbourg Fachbereich Kommunikation/Illustration, Straßburg, Frankreich École Supérieure des Arts Décoratifs de Strasbourg Communication/Illustration Faculty, Strasbourg, France 2000 – 2007 Akademie der Bildenden Künste München bei Gerd Winner, Dieter Rehm und Sean Scully, Diplom Freie Kunst, 1. Staatsexamen Academy of Fine Arts Munich, Germany under Gerd Winner, Dieter Rehm and Sean Scully, Diploma Fine Arts, State Examination 2003Arbeitsaufenthalt Lyon, Frankreich Study visit in Lyon, France 2006Arbeitsaufenthalt Seoul, Süd-Korea: Vortrag und Workshop am Samsung Art and Design Institute sadi, Seoul, Süd-Korea Study visit in Seoul, South-Korea: Lecture and workshop at the Samsung Art and Design Institute sadi, Seoul, South-Korea 2006 – 2010 Lehrauftrag für Visuelle Kommunikation, Hochschule Augsburg Lectureship for visual communication, foundation course University of Applied Sciences, Augsburg, Germany 2011 Lehrauftrag für Visuelles Gestalten, Philosophisch-Sozialwissenschaftliche Fakultät, Lehrstuhl für Kunstpädagogik, Universität Augsburg Lectureship for visual art, Faculty of Philosophy and Social Sciences Chair of Pedagogics of Art, Augsburg University Einzelausstellungen | Solo-Shows Ausstellungsbeteiligungen | Group-Shows Biografie | Biography Stipendien, Preise | Scolarships, Grants Monografische Kataloge | Monographs 2012 Bemis Center for Contemporary Art, Residenzprogramm 2007 Karen Irmer, Was sein kann muss sein Omaha, Nebraska, U.S.A. Neue Galerie im Höhmannhaus, Städtische Kunstsammlungen Augsburg Bemis Center for Contemporary Art, Artist-in-Residence-program 2007 Karen Irmer, zweizweideutig, Akademie der Bildenden Künste München Omaha, Nebraska, U.S.A. 2007 Karen Irmer, gestern war heute morgen frische 2011 Áras Éanna Residenzstipendium, Aran Islands, Irland Volkskundemuseum Oberschönenfeld Áras Éanna Artist in Residency, Aran Islands, Ireland 2004 Karen Irmer: lost, KVD-Galerie Dachau 2010Atelierförderung des Bayerischen Staatsministeriums, München Studio grant awarded by the Bavarian ministry of culture, Munich 2007 Debutantenpreis, Akademie der Bildenden Künste München Ausstellungskataloge | Exhibition catalogues Bayerisches Staatsministerium, München Debutant Prize awarded by the Academy of Fine Arts Munich 2011 HotSpot Berlin – Eine Momentaufnahme, Georg-Kolbe-Museum, Berlin and the Bavarian ministry of culture, Munich 2009 Kunstförderpreisträger der Stadt Augsburg 1997 bis 2007 2006 Kunstpreis Schwaben, Arbeitsstipendium für Seoul, Süd-Korea Städtische Kunstsammlungen Augsburg Swabian Art Prize, study visit in Seoul, South-Korea 2009 6th Gongju International Biennale, Limlip Art Museum, South-Korea EHF-Studienstipendium der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V., Berlin 2005 2009 Ein Überblick, Lothringer 13, Kulturreferat der Stadt München EHF-Scholarship awarded by the Konrad-Adenauer-Foundation e.V. Berlin 2009 Goyang International Art Biennale, Goyang Art Museum, South-Korea 2003Arbeitsstipendium des Deutsch-Französischen Kulturrats, Berlin/Paris 2008 Von hier aus, Raumbezogene Arbeiten, Kunsthaus Marktoberdorf Scholarship awarded by the German-French council for culture, Berlin/Paris 2008 Kunst im Untergrund, Neue Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK), Berlin 2002 Förderpreis Bildende Kunst, Stadt Augsburg 2007 Konstruktionen der Wahrheit, Darmstädter Tage der Fotografie, Darmstadt Augsburg Art Prize, Augsburg, Germany 2007 Shifting Borders, Junge Kunst in der BMW-Welt, München 2000 Studienstipendium des Bayerisch-Französichen Hochschulrates 2005 Gedankenstrich, Lichtraum, Sichtraum, Neue Galerie der Stadt Dachau München/Paris 2003 Next Generation, Karsi Sanat Çalismalari Gallery, Istanbul Scholarship of the Bavarian-French University-Center, Munich/Paris 2003 Trabanten, Kunstverein Aichach, Künstlervereinigung Dachau, Kunstverein Ebersberg, Künstlervereinigung Fürstenfeldbruck, Neuer Kunstverein Regensburg 76 77 Gestern war’s kälter als Draussen 2008 Installation/14 C-Prints 120 cm × 130 cm each 78 Gestern war’s kälter als Draussen 2008 Installation/14 C-Prints 120 cm × 130 cm each Impressum | Imprint: Dieser Katalog erscheint anlässlich der Ausstellung in der Ecke Galerie Augsburg, vom 20. Januar 2012 bis 03. Februar 2012 This catalogue is published on the occasion of the exhibition at the Ecke Galerie Augsburg 2012. Texte | Texts: Thomas Elsen, Birgit Sonna, Thomas Wulffen Übersetzung | Translations: Erick Aufderheyde, wordwords Konzept & Gestaltung | Concept & Design: Karen Irmer, Robert Strauch Fotografie | Photography: Nikolaus Steglich (Seiten 66, 67, 68, 73) Seeblick, www.seeblick.tv; Karen Irmer (sonstige) Schriften | Typefaces: Interstate; Vela von Holger Königsdörfer Lazydogs Typefoundry, www.lazydogs.de Papier | Paper: Luxo Art Samt 150g Gesamtherstellung | Production: Kehrer Design Heidelberg Herausgeber | Edited by: © Kehrer Verlag Heidelberg Berlin, Karen Irmer and the authors Kehrer Heidelberg Berlin www.kehrerverlag.com ISBN 978-3-86828-299-3 Vielen Dank | Thanks to: Erick Aufderheyde, Thomas Elsen, Jürgen Hefele, Lorenz Löbermann, Carina Orschulko, Wolfgang Reichert, Natalija Ribovic, Ilja Sallacz, Angela Stauber, Robert Strauch, Andreas Stucken, Florian Tutte, Anette Urban Mit freundlicher Unterstützung von | With kind support by: Ecke Galerie, www.eckegalerie.de Arno-Buchegger-Stiftung VR-Bank Lech-Zusam eG Künstlervereinigung »Die Ecke« Zweigstelle Berlin