elektra - Staatskapelle Dresden

Transcription

elektra - Staatskapelle Dresden
RI CH AR D STR A U S S
ELEKTRA
Sächsische Staatskapelle Dresden
Christian Thielemann Dirigent
S ai s o n 2 01 3
2 014
o r ts w e c h s e l .
Richard Strauss
Elektra
Sa i s o n 2 01 3
2 01 4
Christian Thielemann Dirigent
Waltraud Meier Klytämnestra
Evelyn Herlitzius Elektra
Anne Schwanewilms Chrysothemis
Frank van Aken Aegisth
René Pape Orest
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Einstudierung: Pablo Assante
Besuchen Sie den Ort, an dem Automobilbau zu
einer perfekten Komposition wird: die Gläserne
Manufaktur von Volkswagen in Dresden.
w w w.g l a e s e r n e m a n u fa k t u r . d e
PA R T N E R D E R
S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
In Kooperation mit
der Semperoper Dresden
Ein Abo-Konzert der Konzert-Direktion Hans Adler
Pro Musica | Musikalische Akademie 3. Konzert
Inhalt
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3
4
Programm & Mitwirkende
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Christian Thielemann
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Sächsische Staatskapelle Dresden
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Orchesterbesetzung
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Interview mit Christian Thielemann
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Die Handlung von »Elektra«
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Daten & Fakten zur »Elektra«
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Eine Chronik: Richard Strauss und Dresden
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Strauss-Aufnahmen der Staatskapelle
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Zur Entstehungsgeschichte der »Elektra«
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Zur »Elektra«-Partitur
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Werke von Strauss in der Kapellsaison 2013 / 2014
46
Opern von Strauss in der Spielzeit 2013 / 2014
der Semperoper Dresden
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Osterfestspiele Salzburg 2014
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Ein Brief von Richard Strauss an Ernst von Schuch
54
Die Solisten
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Sächsischer Staatsopernchor Dresden
74
Das Libretto
126
Impressum
R i c h a r d S t r au ss , L i t h o g r a f i e vo n L e o n h a r d Fa n to (19 3 9),
m i t W i d m u n g d e s Ko m p o n i s t e n a n d i e S ta at s k a p e l l e D r e s d e n
Leonhard Fanto, langjähriger Kostümdirektor der Königlichen Hofoper
in Dresden, hatte auch die Kostüme für die Dresdner Uraufführung von
Richard Strauss’ »Elektra« am 25. Januar 1909 entworfen.
elektra
D i e n s tag 2 8 .1.14 2 0 U h r | P h i l h a r m o n i e B e r l i n
Richard Strauss
Besetzung
Elektra
Waltraud Meier Klytämnestra
konzertante Aufführung
Tragödie in einem Aufzuge
von Hugo von Hofmannsthal
Anne Schwanewilms Chrysothemis
Frank van Aken Aegisth
Uraufführung am 25. Januar 1909
in der Königlichen Hofoper zu Dresden
Christian Thielemann
Dirigent
Sächsische Staatskapelle Dresden
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Einstudierung: Pablo Assante
Evelyn Herlitzius Elektra
René Pape Orest
Peter Lobert Der Pfleger des Orest
Romy Petrick Die Vertraute
Ute Selbig Die Schleppträgerin
Simeon Esper Ein junger Diener
Matthias Henneberg Ein alter Diener
Nadine Secunde Die Aufseherin
Constance Heller Die erste Magd
Gala El Hadidi Die zweite Magd
Christa Mayer Die dritte Magd
Rachel Willis-Sørensen Die vierte Magd
Die Dresdner »Elektra«
Nach dem Jubiläum ist vor dem Jubiläum: Im vergangenen Jahr erwiesen
Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle in Konzert und
Oper dem einstigen Dresdner Hofkapellmeister Richard Wagner zum
200. Geburtstag die Ehre. Mit dem Jahreswechsel rücken die Kapelle
und ihr Chefdirigent erneut in den Fokus der Musikwelt: Der Geburtstag
von Richard Strauss jährt sich 2014 zum 150. Mal. Ganze neun seiner
15 Opern ließ der Bayer in Dresden uraufführen, eine davon, die seinen
Ruhm entscheidend mitbegründete: die »Elektra«. Erst vor wenigen Tagen
feierte eine Neuproduktion des Einakters mit der Besetzung des heutigen
Abends Premiere in der Semperoper.
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5
Nadja Mchantaf Die fünfte Magd
Julia Buck, Katrin Dönitz,
Carolin Graßnick, Elke Kaplon,
Kira Tabatschnik, Heike Wiechmann
Sechs Dienerinnen
da s Ko n z e r t f i n d e t o h n e pau s e s tat t. e n d e c a . 21. 4 5 U h r
elektra
Christian Thielemann
Chefdirigent der
S ä c h s i s c h e n S ta at s k a p e l l e D r e s d e n
B
rahms- und Bruckner-Zyklus, Wagner-Geburtstagskonzerte, Tourneen nach Asien, in die USA und durch Europa, die Osterfestspiele
Salzburg, Operndirigate von »Lohengrin«, »Manon Lescaut« und
dem »Rosenkavalier« – in der vergangenen Saison trat Christian
Thie­lemann unter weltweiter Aufmerksamkeit als Chefdirigent an
die Spitze der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Zuvor leitete er von 2004 bis
2011 als Generalmusikdirektor die Münchner Philharmoniker, von 1997 bis
2004 hatte er das gleiche Amt bereits in seiner Heimatstadt an der Deutschen
Oper Berlin inne, an der er 1978 als Korrepetitor seine Karriere begann. Enga­
gements in Gelsenkirchen, Karlsruhe und Hannover schlossen sich an, ehe er
1985 Erster Kapellmeister an der Düsseldorfer Rheinoper und 1988 jüngster
Generalmusikdirektor Deutschlands in Nürnberg wurde. Neben seiner Dresdner
Chefposition übernahm Thielemann 2013 die künstlerische Leitung der Osterfestspiele Salzburg, deren Residenzorchester seither die Staatskapelle ist.
Konzert und Oper miteinander zu verbinden, schätzt Christian Thiele­
mann sehr, und so widmet er sich am Pult der Kapelle in dieser Spielzeit dem
großen Musikerjubilar des Jahres 2014, Richard Strauss, in den Symphoniekonzerten, einem Sonderkonzert und einem Aufführungsabend, aber auch in
Opern-Neuproduktionen der »Elektra« und »Arabella«. Für Thielemanns Interpretation der Strauss’schen »Frau ohne Schatten« bei den Salzburger Festspielen 2011 hatte ihn die »Opernwelt« zum »Dirigenten des Jahres« gewählt.
Eine enge Zusammenarbeit verbindet Christian Thielemann mit den
Berliner und Wiener Philharmonikern sowie mit den Bayreuther Festspielen, die
er seit seinem Debüt im Sommer 2000 (»Meistersinger«) alljährlich durch maßstabsetzende Interpretationen geprägt hat; seit 2010 ist er auch musikalischer
Berater auf dem »Grünen Hügel«. Im Rahmen seiner vielfältigen Konzerttätigkeit dirigierte er u.a. die großen Orchester in Amsterdam, London, New York,
Chicago und Philadelphia, ebenso gastierte er in Israel, Japan und China.
Christian Thielemanns Diskografie als Exklusivkünstler der UNITEL
ist umfangreich. Mit den Wiener Philharmonikern spielte er sämtliche Beet­hoven-Symphonien auf CD und DVD ein. Sein Brahms-Zyklus mit der Staats­
kapelle erscheint ebenfalls auf CD und DVD. Christian Thielemann ist Eh­
ren­m itglied der Royal Academy of Music in London, zudem wurde ihm die
Ehrendoktorwürde der Hochschule für Musik »Franz Liszt« Weimar und der
Katholischen Universität Leuven (Belgien) verliehen.
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7
elektra
Sächsische
Staatskapelle
Dresden
Christian Thielemann Chefdirigent
S i r C o l i n D a v i s (†) E h r e n d i r i g e n t
Myung -Whun Chung Erster Gastdirigent
M
it der Unterzeichnung der Gründungsurkunde am 22. September 1548 legte Kurfürst Moritz von Sachsen den Grundstein für die inzwischen mehr als 460-jährige ununterbro­
chene His­torie der Sächsischen Staatskapelle Dresden,
eine glanzvolle Historie, die sie zu einem der ältesten und
traditionsreichsten Orchester der Welt macht. Zunächst eine »Cantorey« mit
»Instrumentisten«, erlangte sie rasch weitreichendes Ansehen und entwickelte
sich 1709/1710 zu einem modernen Orchester. Ihre seit drei Jahrhunderten
kontinuierliche Existenz als Orchester, über alle gesellschaftlichen Umbrüche
und geschichtlichen Ereignisse hinweg, sichert der Sächsischen Staatskapelle
einen Ausnahmestatus in der internationalen Musiklandschaft. Unzählige
zeitgenössische Urteile aus den verschiedenen Epochen, von Telemann und
Rousseau über Beethoven und Berlioz bis zu Richard Strauss, Herbert von
Karajan und weiteren führenden Dirigenten, belegen den exzellenten Ruf,
den das Dresdner Ensemble seit seinen Anfängen genießt.
Herausragende Kapellmeister und international geschätzte Instrumentalisten prägten die Geschichte der einstigen Hofkapelle. Zu ihren Leitern
zählten Heinrich Schütz, Johann Adolf Hasse, Carl Maria von Weber und
Richard Wagner. Bedeutende Chefdirigenten der letzten 100 Jahre waren
Ernst von Schuch, Fritz Reiner, Fritz Busch, Karl Böhm, Joseph Keilberth,
Rudolf Kempe, Otmar Suitner, Kurt Sanderling, Herbert Blomstedt, Giuseppe
Sinopoli, Bernard Haitink und Fabio Luisi. Mit Beginn der Saison 2012 / 2013
übernahm Chris­t ian Thielemann das Amt des Chefdirigenten der Sächsischen
Staatskapelle. Zum Ehrendirigenten wurde 1990 der im vergangenen Jahr verstorbene Sir Colin Davis ernannt, den erstmals in der Kapellgeschichte verliehenen Titel eines Ersten Gastdirigenten trägt seit 2012 Myung-Whun Chung.
Richard Strauss, dessen 150. Geburtstag 2014 gefeiert wird, war
der Kapelle über 60 Jahre lang freundschaftlich verbunden. Neun seiner
15 Opern, darunter »Salome«, »Elektra« und »Der Rosenkavalier«, wurden in
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Dresden uraufgeführt; seine »Alpensinfonie« widmete er der Staatskapelle.
Auch zahlreiche andere berühmte Komponisten schrieben Werke, die von
der Staatskapelle aus der Taufe gehoben wurden bzw. ihr gewidmet sind. An
diese Tradition knüpft das Orchester seit 2007 mit dem Titel des Capell-Compositeurs an, den in der vergangenen Saison Hans Werner Henze innehatte.
Capell-Compositeur in dieser Spielzeit ist Wolfgang Rihm.
Die Sächsische Staatskapelle ist in der Semperoper beheimatet und
in diesem Haus pro Saison in etwa 260 Opern- und Ballettaufführungen zu
erleben. Hinzu kommen ca. 50 symphonische und kammermusikalische
Konzerte in der Semperoper sowie Sonderkonzerte in der Dresdner Frauenkirche. Als eines der international begehrtesten Symphonieorchester gastiert
die Staatskapelle regelmäßig in den großen Musikzentren der Welt. Seit 2013
ist sie das Orchester der Osterfestspiele Salzburg, die von Christian Thielemann künstlerisch geleitet werden.
Die Sächsische Staatskapelle engagiert sich auch in der Region:
Seit 2008 ist sie Patenorchester des Meetingpoint Music Messiaen in der
Doppelstadt Görlitz-Zgorzelec. 2010 rief die Staatskapelle die Internationalen Schostakowitsch Tage Gohrisch in der Sächsischen Schweiz mit ins
Leben, die sich – als einziges Festival weltweit – jährlich dem Schaffen des
Komponisten Dmitri Schostakowitsch widmen.
2007 erhielt die Sächsische Staatskapelle Dresden als bislang einziges Orchester in Brüssel den »Preis der Europäischen Kulturstiftung für
die Bewahrung des musikalischen Weltkulturerbes«.
Seit 2008 ist Die Gläserne Manufaktur von Volkswagen
Partner der Sächsischen Staatskapelle Dresden.
elektra
Elektra
Orchesterbesetzung
1. Violinen
Matthias Wollong
1. Ko n z e r tm e i s t e r
Thomas Meining
Jörg Faßmann
Federico Kasik
Michael Frenzel
Susanne Branny
Barbara Meining
Birgit Jahn
Wieland Heinze
Henrik Woll
Annika Thiel
Bratschen
Michael Neuhaus S o lo
Andreas Schreiber
Stephan Pätzold
Michael Horwath
Ulrich Milatz
Ralf Dietze
Zsuzsanna Schmidt-Antal
Marie-Annick Caron
Juliane Böcking
Milan Líkař
Raimund Eckertz*
Tobias Mehling*
Flöten
Andreas Kißling S o lo
Bernhard Kury
Cordula Bräuer
Jens-Jörg Becker
Oboen
Bernd Schober S o lo
Volker Hanemann
Michael Goldammer
Florian Hanspach**
Klarinetten
2. Violinen
Violoncelli
Heinz-Dieter Richter
Norbert Anger
Ko n z e r tm e i s t e r
Ko n z e r tm e i s t e r
Matthias Meißner
Annette Thiem
Stephan Drechsel
Jens Metzner
Alexander Ernst
Mechthild von Ryssel
Emanuel Held
Johanna Fuchs
Friedwart Christian Dittmann S o lo
Simon Kalbhenn S o lo
Tom Höhnerbach
Martin Jungnickel
Bernward Gruner
Johann-Christoph Schulze
Jakob Andert
Kontrabässe
Andreas Wylezol S o lo
Petr Popelka
Helmut Branny
Christoph Bechstein
Fred Weiche
Thomas Grosche
* als Gast
** A l s A k a d e m i s t / i n
10
11
Wolfram Große S o lo
Dietmar Hedrich
Egbert Esterl
Jan Seifert
Christian Dollfuß
Lisa Liszta**
Uwe Fritzsching*
Vladyslav Vasylyev*
Fagotte
Erik Reike S o lo
Joachim Huschke
Andreas Börtitz
Tilmann Baumgartl**
Hörner
Jochen Ubbelohde S o lo
Andreas Langosch
David Harloff
Harald Heim
Julius Rönnebeck
Miklós Takács
Eberhard Kaiser
Sebastian Posch*
Trompeten
Mathias Schmutzler S o lo
Tobias Willner S o lo
Siegfried Schneider
Volker Stegmann
Sven Barnkoth
Gerd Graner
Posaunen
Uwe Voigt S o lo
Jürgen Umbreit
Frank van Nooy
Christoph Auerbach
Edgar Manyak*
Tuba
Jens-Peter Erbe S o lo
Pauken
Thomas Käppler S o lo
Schlagzeug
Christian Langer
Jürgen May
Dirk Reinhold
Jakob Eschenburg**
Harfe
Vicky Müller S o lo
Astrid von Brück S o lo
Celesta
Johannes Wulff-Woesten
elektra
»REvolution ist unbequem«
Ein Gespräch mit Christian Thielemann über
Richard Strauss, bürgerliche Gelassenheit und die
konservativen Vorlieben von Revolutionären
Herr Thielemann, im Wagner-Jahr haben Sie mit »Parsifal« bei den Osterfestspielen Salzburg debütiert – 2014 ist das Strauss-Jahr …
… und ich kann Ihnen sagen, dass mich an dieser Jubiläumskonstellation
freut, dass Strauss nicht so wagnermäßig drauf ist! Dass wir es nun mit
einer etwas entspannteren Persönlichkeit zu tun haben.
Na ja, ganz ohne Spannung ist Strauss ja nun auch nicht: »Salome« und
»Elektra« waren Skandale – und selbst die »Arabella« hat es in sich.
Strauss war stets ein gelassener Mensch, auch wenn er sehr ungelassene
Inhalte komponiert hat. Anders als Wagner, der das Drama mit Frauengeschichten, politischem Radikalismus und Schulden ständig gelebt hat, blieb
der Skandal bei Strauss stets auf der Bühne. Er kehrte immer wieder zurück
in sein Garmischer Idyll und pflegte diese angenehme bayerische Heimatverbundenheit. Der Unterschied ist, dass Wagner dauernd im existenziellen
Dienst war und Strauss, nachdem er einige dramatische Noten komponiert
hatte, auch einfach mal einen Nachmittag lang Skat spielen konnte.
Dieses bürgerliche Leben müsste Ihnen liegen: Strauss ist pünktlich um
sechs Uhr aufgestanden, hat ein bisschen Opernskandale komponiert und
dann pünktlich zum Mittag die Suppe von seiner Frau Pauline gelöffelt.
Sie haben einmal gesagt, dass »konservativ« die neue Avantgarde sei –
trifft das auch auf Strauss zu?
Der gemütliche Lebensstil von Strauss schloss große musikalische Revolu­
tionen ja nicht aus. Der Hang zum Biederen ist für mich in der Tat hochmodern. Schauen Sie sich doch unseren Ex-Außenminister an, der einst auf der
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Straße begonnen hat, seine Turnschuhe irgendwann gegen einen Anzug
tauschte und heute in einer Villa in Dahlem lebt. Für mich personifiziert so
eine Vita den späten Sieg des Bürgertums. Denn letztlich findet es doch jeder Revolutionär super, wenn das warme Badewasser eingelassen ist, wenn
es etwas Gutes zu essen gibt, wenn die Haushälterin den Tee serviert und
das Bett nach Lavendel duftet. Immerhin soll ja selbst eine Revolution Spaß
machen: Da werden die Nächte durchgesoffen, und da wird Sex mit jedem
gemacht – aber, hallo, am Ende will nicht mal ein Berufsrevoluzzer im Dreck
leben. Letztlich mussten sie irgendwann alle einsehen, dass Wasser bei
100 Grad kocht, dass man schlafen muss, um wach zu sein, dass man stinkt,
wenn man sich nicht wäscht, und dass das achteckige Rad zwar innovativ
wäre, sich aber nicht durchsetzen wird …
Aber, mit Verlaub, was hat all das mit Strauss zu tun?
Er hat in der Umbruchszeit zwischen zwei Weltkriegen allerhand Ausflüge
in die menschliche Welthölle unternommen. Und am Ende ist er in seine
Garmischer Berge zurückgekehrt und hat gesagt: »Hey, dieses ganze Revoluzzertum ist doch irgendwie unbequem und doof. Ich muss das zu Hause
elektra
Wie meinen Sie das?
Strauss deckt ein Phänomen auf, das heute noch aktuell ist: dass das Bürgertum gar nicht mehr so sein kann, wie es sich in aller Konvention nach
außen gibt. Und er zeigt, dass es in allen Welten Langweiler gibt, im Bürgertum ebenso wie unter den Revolutionären. Letztlich ist hinter den Mauern
der Villen von Dahlem doch das Gleiche los wie hinter den Plattenbauten
in Neukölln: Da wird menschlich gelitten, verzweifelt, gehasst und unmoralisch gelebt. Dass die bürgerlichen Spießer rausgehen und nachschauen,
ob der Porsche einen Kratzer hat, ist letztlich genau so peinlich wie die
vermeintlichen Revolutionäre, die behaupten, dass man nicht zweimal mit
derselben pennt, und am Ende doch an Eifersucht leiden. Beide Gruppen
spielen die große Sause nur vor. Und Strauss zeigt uns, dass sie hinter den
Fassaden alle gleich ticken. Das ist knallhart!
nicht auch noch haben. Mir reicht es, dieses menschliche Extrem auf der
Bühne zu zeigen.« Und ich persönlich habe für diese Einstellung vollstes
Verständnis.
Nun zeigen Sie, nach der neuen »Elektra« in Dresden, die »Arabella« bei
den Osterfestspielen Salzburg, eine Oper, die im Bürgertum spielt, ähnlich wie der »Rosenkavalier« – ist sie so böse wie die frühen Werke?
Die »Arabella« sollte ja Strauss’ zweiter »Rosenkavalier« werden. Und
schon der hatte es in sich. Während wir in »Salome« den Untergang eines
Weltreiches verfolgen, sehen wir im »Rosenkavalier« den Sittenverfall des
Adels. Und auch in »Arabella« wird eine Scheinwelt, die nur noch vorgibt
zu existieren, demaskiert. Da sitzen die ehemals reichen Leute in einem
abgewrackten Hotel, eine der Töchter muss sich als Mann verkleiden, weil
niemand sich leisten kann, sie auszustatten. Die Mutter ist überkandidelt,
der Vater verspielt sein Hab und Gut. Dann gibt es da noch eine Karten­
legerin – die hatte die Familie, als sie noch reich war, nie ins Haus gelassen.
Die ganze Oper beginnt mit einem menschlichen Slapstick. Zugegeben, das
ist nicht wie bei »Elektra«, kein archaisches Haudrauf, aber in seinen inneren Strukturen viel böser und realistischer!
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Dafür benutzt er nach »Elektra«, in Werken wie der »Arabella«, einen
musikalischen Neoklassizismus. Der wird oft als süß empfunden.
Otto Klemperer hat einmal gesagt, dass er keine Lust habe, den »Rosenkavalier« zu dirigieren, weil er kein Zuckerwasser anrühren wolle – später hat er
es dann doch getan. Natürlich auch, weil Strauss ein ganz Raffinierter war.
Sein Ausflug ins Bürgertum ist wie ein Ausflug ins wilde Tierreich. Und was
das Tollste ist: Er musste dafür keine zerrissenen Jeans anziehen, sondern
hat im Anzug mit goldener Taschenuhr komponiert. Die große Frage war
ja, was er nach »Salome«, »Elektra« und der »Frau ohne Schatten« noch tun
sollte. Gegen diese drei Höllenweiber war selbst Wagner ein Waisenknabe.
Das musikalische Material war ausgereizt, danach hätte nur noch Zwölftonoder gar Fünfzehntonmusik kommen können. Strauss hat sich allerdings für
einen anderen Weg entschieden. Ihm ist etwas viel Genialeres eingefallen:
Er hat das Böse in Schönheit verpackt. Er ist nie atonal geworden, hat die
Form nicht gesprengt, sondern hat die Konvention genutzt, um mit ihren
Mitteln aufzubegehren.
Warum ging er diesen Weg und nicht den von Schönberg?
Weil er im tiefen Herzen ein Theaterpraktiker war. Er wollte, dass die Leute in seine Opern kommen. Wie klug das war, sehen wir noch heute. Wir
bewundern Schönberg und Berg, aber ein »Wozzeck« und ein »Moses und
Aron« erreichen eben nicht so viele Leute wie der »Rosenkavalier« und
»Arabella«. Und das liegt an der tonalen Machart dieser Opern. Strauss hat
sich irgendwann überlegt, dass er seine Inhalte hübsch verpackt, so wie ein
japanischer Verpackungskünstler – und wenn Sie seine Pakete dann öffnen,
gnade Ihnen Gott.
d i e f r ag e n s t e l lt e A x e l B r ü g g e m a n n .
elektra
Die Handlung
D
Die »Elek tr a« in Dresden:
d e r T h e at e r z e t t e l d e r U r au f f ü h r u n g a m 2 5 . Ja n ua r 19 0 9
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ie Mägde erwarten Elektra, die um diese Tageszeit stets ihren Vater
Agamemnon be­weint. Sie verhöhnen sie und ihren Totenkult und
haben kein Verständnis dafür, dass Klytämnestra sie noch im Hof des
Palastes duldet. Nur eine Magd sieht in ihr das Königliche und beklagt, dass
sie ständig gedemütigt und geschlagen wird.
Elektra kriecht aus ihrem Verschlag. Die Erinnerung, wie ihre
Mutter Klytämnestra und deren Geliebter Aegisth ihren Vater erschlagen
haben, überkommt sie. Sie beschwört Agamemnon, sich ihr zu zeigen, und
sieht die Zeit der Rache herannahen.
Chrysothemis hat Neuigkeiten: Klytämnestra will Elektra in den
Kerker werfen lassen. Sie macht der Schwester Vorwürfe, dass sie für ihrer
beider unfreies Leben verantwortlich sei. Sie hat nur einen Wunsch: endlich aus diesem Haus herauszukommen, denn der Bruder Orest, auf den sie
sehnsüchtig warten, komme bestimmt nicht mehr.
Die Mutter kündigt sich an. Chrysothemis geht, da sie weiß, dass
ihre Mutter schlecht geträumt hat. Elektra hingegen sucht die Konfrontation. Klytämnestra wundert sich, dass sich Elektra heute zugänglich zeigt.
Sie vertraut ihr an, dass sie keine guten Nächte habe. Verzweifelt sucht sie
nach einem Weg, diese Träume loszuwerden. Elektra kennt einen: ihren
Bruder Orest. Klytämnestra verbietet ihr, von ihm zu sprechen. Doch Elektra schreit der Mutter ins Gesicht, dass sie sie endlich von der Hand des
Bruders sterben sehen will, so wie einst ihr Vater gestorben ist. Als zwei
Dienerinnen Klytämnestra etwas ins Ohr flüstern, kann sich Elektra nicht
erklären, warum die Mutter in Gelächter ausbricht.
Chrysothemis stürmt mit der Nachricht, Orest sei tot, zu Elektra. Ein
Diener bringt die Neuigkeit zu Aegisth aufs Land. Elektra weiß, nun ist es an
ihr und ihrer Schwester, die Tat zu vollbringen. Doch Chrysothemis will sich
auf den Mord an Klytämnestra und Aegisth nicht einlassen. Also beschließt
Elektra, es allein zu tun. Ein Fremder tritt herein und berichtet, Orest sei
von seinen eigenen Pferden erschlagen worden. Elektra ist von dem Bericht
tief getroffen. Da der Fremde Elektra für eine niedere Magd hält, wundert
er sich über ihre Anteilnahme an Orests Schicksal. Schließlich erkennen
sich die Geschwister, denn der Fremde ist Orest. Er ist gekommen, seinen
Vater zu rächen, und er hat den eigenen Tod nur vorgetäuscht, um ins Haus
eingelassen zu werden. Zitternd tritt er in das Haus. Gleich darauf ertönen
Todesschreie. Die Bediensteten des Hauses geraten in Angst und Schrecken.
Aegisth kehrt vom Land zurück. Elektra leuchtet ihm auf dem tödlichen Weg
ins Haus. Während eines ekstatischen Tanzes bricht sie tot zusammen.
elektra
Elektra
Daten & Fakten
L e b e n s dat e n d e s Ko m p o n i s t e n
* 11. Juni 1864 in München
† 8. September 1949 in
Garmisch-Partenkirchen
Entstehung
1903 verfasste Hugo von Hofmannsthal (1874-1929) seine »Elektra«
nach der gleichnamigen Tragödie
von Sophokles. Strauss, der schon
zu Schulzeiten Verse der Sophokleischen »Elektra« in Musik gesetzt
hatte, sah Hofmannsthals Schauspiel
Anfang 1906 in Berlin mit Gertrud
Eysoldt in der Titelrolle (Regie:
Max Reinhardt) und entschloss sich
zu einer Vertonung. Anfängliche
Vorbehalte wegen einer gewissen
Ähnlichkeit mit dem »Salome«-Stoff
scheint er im Zuge der Korrespondenz mit Hofmannsthal abgelegt
zu haben. Kompositionsskizzen
reichen zurück bis März 1906, abgeschlossen war die Partitur, für die
in Abstimmung mit dem Librettisten
Modifikationen am Text (Kürzungen,
Neudichtungen, Umstellungen)
vorgenommen wurden, am 22. September 1908 in Garmisch.
Bühnenbild: Emil Rieck, Kostüme:
Leonhard Fanto; Klytämnes­t ra:
Ernestine Schumann-Heink, Elek­
tra: Annie Krull, Chrysothemis:
Margarethe Siems, Aegisth: Johan­
nes Sembach, Orest: Carl Perron.
Widmung
»Meinen Freunden Natalie und Willy Levin«. Dem Berliner Kaufmann
und Kunstmäzen Willy Le­v in hatte
Strauss bereits seinen 1903 kompo­
nierten Skatkanon o. Op. TrV 210
zugeeignet (»S-c-a-t spielen wir
fröhlich bei Willy Levin«).
OrchesterBesetzung
Piccolo, 3 Flöten (3. auch Piccolo),
3 Oboen (3. auch Englischhorn),
Heckelphon, Es-Klarinette,
4 Klarinetten, 2 Bassetthörner,
Bassklarinette, 3 Fagotte, Kontrafagott, 8 Hörner (5.-8. auch Tuben),
6 Trompeten, Basstrompete,
3 Posaunen, Kontrabassposaune,
Kontrabasstuba, Pauken,
Schlagzeug, Celesta, 2 Harfen,
Streicher: Violinen 1, 2 und 3, Brat­schen 1 (auch Violinen 4), 2 und 3,
Violoncelli 1 und 2, Kontrabässe
U r au f f ü h r u n g
am 25. Januar 1909 in der Königlichen Hofoper in Dresden unter
Generalmusikdirektor Ernst von
Schuch; Inszenierung: Georg Toller,
18
19
O r t d e r H a n d lu n g
Ein Hof des Königspalastes
von Mykene nach dem Trojanischen Krieg
A n n i e K r u l l , d i e E l e k t r a d e r U r au f f ü h r u n g
i n d e r KÖ n i g l i c h e n H o f o p e r i n D r e s d e n (19 0 9)
elektra
Richard Strauss,
die Sächsische Staatskapelle
und die semperOper
Ein Überblick
M
ehr als 60 Jahre währte die freundschaftliche Beziehung
zwischen Richard Strauss und seinen »lieben Dräsdnern«.
Neun seiner 15 Opern ließ der bayerische Komponist
zwischen 1901 und 1938 an der Dresdner Oper mit der
Sächsischen Staatskapelle (der früheren Königlichen musikalischen Kapelle) im Orchestergraben aus der Taufe heben, er selbst sprach
von einem »Dorado für Uraufführungen«. Einen engen Kollegenfreund und
leidenschaftlichen Verfechter seiner Musik wusste Strauss in dem Dresdner
Generalmusikdirektor Ernst von Schuch an seiner Seite: Unter »des genialen
Schuch unermüdlichem Zauberstab« begann, wie Strauss betonte, die Reihe
der »vorbildlichen Uraufführungen« seiner Opern in Dresden. Mit Werken
wie der »Salome«, »Elektra« und dem »Rosenkavalier« stieg Strauss zum
führenden Opernkomponisten seiner Zeit auf. Die »Alpensinfonie«, seine
letzte große Tondichtung, widmete er der Dresdner Kapelle. Häufig stand
Strauss selbst am Pult des Orchesters, er dirigierte es in Konzerten und
Opernvorstellung­en (nicht nur in Aufführungen eigener Werke) und auch
beim Gesamtgastspiel der Dresdner Staatsoper 1936 in London. Ihren Anfang und ihren Endpunkt fand die Zusammenarbeit mit Strauss im Dresdner
Tonkünstler-Verein (TV), der heutigen »Kammermusik der Sächsischen
Staatskapelle«: Die frühe Bläserserenade op. 7 von 1882 und die erste Bläsersonatine »Aus der Werkstatt des Invaliden« von 1944 geben dieser Partnerschaft, die in der Musikgeschichte ihresgleichen sucht, den Rahmen.
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D i e S e m p e r o p e r u m 19 2 0 , vo n d e r H o f k i r c h e au s g e s e h e n
27.11.1882Uraufführung der Bläserserenade op. 7 im Dresdner Ton­
künstler-Verein (TV) in einem Konzert mit Kapell-Musikern »im Saale der Restauration zu den ›Drei Raben‹«
(Leitung: Franz Wüllner).
19.12.1883Strauss, den man in Dresden als »einen schlanken jungen
Mann mit blondem Kraushaar und feinem durchgeistigten
Gesicht« kennenlernt, tritt als Pianist im TonkünstlerVerein auf und spielt mit dem Kapell-Cellisten Ferdinand
Böckmann die Violoncellosonate op. 6.
19.12.1884Erstmals Aufführung eines Strauss-Werkes in den Symphoniekonzerten der Königlichen musikalischen Kapelle:
die Concertouvertüre in c-Moll o. Op. TrV 125.
29.1.1886Im Tonkünstler-Verein erklingt das (1885 in Meiningen
uraufgeführte) erste Hornkonzert op. 11, das Strauss
dem Dresdner Kapell-Hornisten Oscar Franz widmet
(Leitung: Karl Riccius, Solist: Oscar Franz).
elektra
10.1.1890»Don Juan« op. 20 steht wenige Wochen nach der Weimarer
Uraufführung zum ersten Male auf dem Programm der
Hof­k apelle (Leitung: Adolf Hagen); Strauss berichtet: »Das
Dresdner Orchester ist unstreitig jetzt das schönste, die Blä­
ser sind alle ideal u. haben ein pp, das einfach fabelhaft ist.«
20.12.1895Ernst von Schuch dirigiert »Till Eulenspiegels lustige
Streiche« op. 28 zum ersten Male in den Kapellkonzerten.
2.4.1897»Also sprach Zarathustra« op. 30 unter Schuch zum ersten
Male in den Kapellkonzerten.
8.10.1897»Tod und Verklärung« op. 24 unter Schuch zum ersten
Male bei der Kapelle.
28.2.1899»Aus Italien« op. 16 unter Schuch zum ersten Male bei
der Kapelle.
29.12.1899Unter Schuch erste Kapell-Aufführung des »Helden­
lebens« op. 40.
21.11.1901Uraufführung der ersten »Dresden-Oper« von Strauss:
»Feuersnot« op. 50 unter Leitung Schuchs (Libretto: Ernst
von Wolzogen).
17.1.1902»Don Quixote« op. 35 unter Schuch zum ersten Male bei
der Kapelle.
24.5.1904Anlässlich des 50. Geburtstags des Tonkünstler-Vereins
und des 40. Geburtstags von Strauss Ernennung des Komponisten zum Ehrenmitglied des TV.
15.11.1904 »Sinfonia domestica« op. 53 unter Schuch zum ersten Male
bei der Kapelle.
8.3.1905Strauss’ Leitung eines Aschermittwochskonzerts (u.a. mit
der »Sinfonia domestica«) wird zum Auftakt zahlreicher
Dirigate am Pult der Kapelle in Konzert und Oper über
ein Vierteljahrhundert hinweg.
p o r t r ät F oto vo n S t r au ss (u m 19 0 9) m i t e i n e r W i d m u n g
a n d e n D r e s d n e r G e n e r a l m u s i k d i r e k to r E r n s t vo n S c h u c h ,
9.12.1905Uraufführung der »Salome« op. 54 (Text nach Oscar Wilde) unter Schuchs Stabführung; die Berliner Premiere der
22
23
D e r s i c h m i t L e i d e n s c h a f t f ü r S t r au ss e i n s e t z t e u n d
d e ss e n W E r k e d e m D r e s d n e r P u b l i k u m vo r s t e l lt e
elektra
Oper wird von Kaiser Wilhelm erst nach »moralverträglichen« szenischen Änderungen genehmigt.
31.5.1924Außerordentlicher Aufführungsabend aus Anlass des
70-jährigen Bestehens des TV und zur »Vorfeier des 60. Geburtstages unseres Ehrenmitgliedes Dr. Richard Strauss«.
25.1.1909»Elektra« op. 58, die erste gemeinsame Arbeit mit Hugo
von Hofmannsthal als Librettisten, wird unter Schuchs
Leitung uraufgeführt und als weiterer Meilenstein der
Musikgeschichte gefeiert.
3.11.1924In einem Kammerkonzert im Dresdner Residenzschloss
zum 60. Geburtstag von Strauss begleitet der Komponist
am Flügel eigene Lieder.
26.1.1911Die Uraufführung des »Rosenkavalier« op. 59 unter
Schuch besiegelt endgültig Strauss’ Weltruhm, der
Komponist bezeichnet Schuch fortan als seinen »Leib­
4.11.1924Uraufführung von »Intermezzo« op. 72 unter dem Dirigat
Buschs im Dresdner Staatsschauspiel (Libretto vom Komponisten).
dirigenten«.
21.9.1912Anlässlich der Feier zum 40-jährigen Amtsjubiläum von
Schuch dirigiert Strauss bei der Kapelle eigene Werke.
16.10.1925Uraufführung des »Parergon zur Sinfonia domestica«
für Klavier und Orchester op. 73 unter Buschs Leitung
mit dem Pianisten Paul Wittgenstein.
10.5.1914 Tod Ernst von Schuchs in seinem Haus in Niederlößnitz (Radebeul).
10.1.1926Uraufführung des »Rosenkavalier«-Films im Opernhaus
mit Strauss am Kapellpult.
7.1.1915Gedenkkonzert für Schuch mit Strauss als Dirigenten, auf
dem Programm: Werke von Mozart und Beethoven sowie
eigene Kompositionen.
26.3.1927Strauss dirigiert in Dresden die Symphonien Nr. 1 und
Nr. 9 von Beethoven.
28.10.1915Mit Strauss am Pult bringt die Kapelle die eigentlich für
Schuch geschriebene »Alpensinfonie« op. 64 in der Berliner Philharmonie zur Uraufführung, zwei Tage später
Dresdner Erstaufführung; Strauss widmet das Werk
»Dem Grafen Nicolaus von Seebach und der Königlichen
Kapelle zu Dresden in Dankbarkeit«.
30.11.1917Unter Fritz Reiner zum ersten Male »Macbeth« op. 23 in
den Kapellkonzerten.
17.12.1917Strauss leitet die 100. Dresdner Vorstellung des »Rosenkavalier«.
13.10.1922Fritz Busch dirigiert zum ersten Male die Orchestersuite
aus »Der Bürger als Edelmann« op. 60 bei der Kapelle.
Juni 1923Unter Fritz Busch erste Strauss-Aufnahmen der Kapelle
auf Schallplatte (Polydor): die beiden Menuette aus dem
»Bürger als Edelmann«.
24
25
6.6.1928Uraufführung der »Ägyptischen Helena« op. 75 unter der
Leitung Buschs (Libretto: Hofmannsthal).
15.7.1929 Hugo von Hofmannsthal stirbt in Rodaun bei Wien.
13.2.1933»Tristan und Isolde« unter Strauss’ Leitung in der Sächs­i­
schen Staatsoper.
1.7.1933Unter Clemens Krauss Uraufführung der »Arabella« op. 79,
des letzten gemeinsamen Werkes von Hofmannsthal und
Strauss.
10.6.1934Anlässlich des 70. Geburtstags von Strauss und des
80. Geburtstags des TV leitet der Komponist im Dresdner
Schauspielhaus im Rahmen einer »Richard-StraussMorgenfeier« (als Auftakt zur Dresdner Richard-StraussWoche) die Bläserserenade op. 7.
24.6.1935Uraufführung der »Schweigsamen Frau« op. 80 unter Karl
Böhm; Strauss setzt gegen den Widerstand der National­
elektra
18.6.1944Strauss widmet seine erste Bläsersonatine »Aus der Werkstatt eines Invaliden« o. Op. TrV 288 dem TV zu dessen
90-jährigem Bestehen und verfügt, dass Aufführungen des
Stücks zu seinen Lebzeiten »ein für alle Mal im verdienstvollen Tonkünstler-Verein zu beschränken« sein sollen
(Dirigent der Uraufführung: Karl Elmendorff).
S t r au ss au f d e m w e g vo m H ot e l b e l l e v u e z u r S e m p e r o p e r (19 2 4)
sozialisten durch, dass der Name des jüdischen Librettisten Stefan Zweig auf dem Theaterzettel erscheint, und
wird daraufhin seines Amtes als Präsident der Reichs­
musikkammer enthoben.
26.9.1948Im Festkonzert zum 400-jährigen Bestehen der Staatskapelle leitet Joseph Keilberth u.a. die »Alpensinfonie«, Strauss
gratuliert: »Aus der Fülle der herrlichen Erinnerungen
meiner künstlerischen Laufbahn rufen die Klänge dieses
Meisterorchesters stets von neuem Gefühle innigster Dankbarkeit und Bewunderung wach, mit denen ich jedes Mal,
zuletzt im Mai 1944, aus dem geliebten Theater schied.«
11.6.1949Strauss-Konzert unter Keilberth zum 85. Geburtstag des
Komponisten.
8.9.1949Tod Richard Strauss’ in Garmisch-Partenkirchen.
15.9.1949Gedächtnisfeier unter Keilberth mit Strauss-Werken.
November 1936Gesamtgastspiel der Dresdner Staatsoper in London,
Strauss leitet »Ariadne auf Naxos« in Covent Garden sowie
»Don Quixote« und »Till Eulenspiegel« in der Queen’s Hall,
unter Karl Böhm Aufführung des »Rosenkavalier«.
15.10.1938Uraufführung der »Daphne« op. 82, der neunten und letzten Dresdner Strauss-Oper, unter Karl Böhm (Libretto:
Joseph Gregor).
18.6.1939Letztes Strauss-Dirigat bei der Kapelle: »Arabella«.
Mai 1944Strauss-Festwochen zum 80. Geburtstag und in Anwesenheit des Komponisten, mit Aufführungen der Opern
»Ariadne«, »Capriccio« und »Rosenkavalier«, außerdem
Konzerte unter Karl Elmendorff und Kurt Striegler, u.a.
Aufführung des »Festlichen Präludiums« op. 61 in der
Dresdner Frauenkirche; bei diesem letzten DresdenBesuch hört Strauss (nachdem er die Generalprobe vor der
Salzburger Uraufführung 1943 verlassen hatte) erstmals
sein Hornkonzert Nr. 2 o. Op. TrV 283 mit dem KapellHornisten Max Zimolong als Solisten.
26
27
9.10.1949Auf Einladung Wieland Wagners reist die Kapelle für ein
Gedenkkonzert nach Bayreuth und führt unter Joseph
Keilberth im Festspielhaus die »Metamorphosen« und
»Tod und Verklärung« auf.
21.5.1986Uraufführung der Violoncello-Romanze in der Fassung für
Violoncello und Orchester o. Op. TrV 118, die Strauss dem
einstigen Kapell-Cellisten Ferdinand Böckmann zugeeignet hatte, unter Günter Neuhold mit dem Konzertmeister
Violoncello Jan Vogler.
14. & 19.4.2014Uraufführung der vom aktuellen Capell-Compositeur Wolfgang Rihm komponierten Orchesterfassung des letzten
Strauss-Klavierlieds »Malven« unter Christian Thielemann
bei den Osterfestspielen Salzburg 2014 (Auftragswerk
der Osterfestspiele Salzburg und der Sächsischen Staatskapelle Dresden); Aufführung zusammen mit Strauss’
»Frühling«, »September«, »Beim Schlafengehen« und
»Im Abendrot« als »Letzte Lieder« (Solistin: Anja Harteros),
Wiederholung am 8. und 9. Juni 2014 in der Semperoper.
elektra
STRAUSS-AUFNAHMEN DER
STAATSKAPELLE DRESDEN
Eine Auswahl
1923 Menuette aus »Der Bürger als Edelmann«,
Dirigent: Fritz Busch
(Profil – Edition Staatskapelle Dresden, Vol. 30)
1938 Auszüge aus »Der Rosenkavalier«, »Die Frau ohne Schatten«,
»Arabella« und »Daphne«, Dirigent: Karl Böhm
(Profil – Edition Staatskapelle Dresden, Vol. 18)
1948 »Salome« (Gesamtaufnahme),
Dirigent: Joseph Keilberth (Berlin Classics)
28
1977 »Die schweigsame Frau« (Gesamtaufnahme),
Dirigent: Marek Janowski (EMI Classics)
1990 »Der Rosenkavalier« (Gesamtaufnahme),
Dirigent: Bernard Haitink (EMI Classics)
1990 »Salome« (Gesamtaufnahme),
Dirigent: Seiji Ozawa (Philips Classics)
1957 »Ein Heldenleben«, »Don Juan«, »Till Eulenspiegels
lustige Streiche«, »Eine Alpensinfonie«,
Dirigent: Karl Böhm (Deutsche Grammophon)
1993 »Eine Alpensinfonie«, Dirigent: Giuseppe Sinopoli
(Deutsche Grammophon)
1957 »Sinfonia domestica«, Dirigent: Franz Konwitschny
(Deutsche Grammophon)
1996 »Die Frau ohne Schatten« (Gesamtaufnahme),
Dirigent: Giuseppe Sinopoli (Teldec Classics)
1958 »Der Rosenkavalier« (Gesamtaufnahme),
Dirigent: Karl Böhm (Deutsche Grammophon)
2001 »Ariadne auf Naxos« (Gesamtaufnahme),
Dirigent: Giuseppe Sinopoli (Deutsche Grammophon)
1960 »Elektra« (Gesamtaufnahme),
Dirigent: Karl Böhm (Deutsche Grammophon)
2006 »Der Rosenkavalier« (Stummfilm, 1926),
Dirigent: Frank Strobel (DVD, Verlag Filmarchiv Austria)
1963 »Salome« (Gesamtaufnahme),
Dirigent: Otmar Suitner (Berlin Classics)
2007 »Eine Alpensinfonie«, »Vier letzte Lieder«,
Solistin: Anja Harteros, Dirigent: Fabio Luisi (Sony Classical)
1968 »Ariadne auf Naxos« (Gesamtaufnahme),
Dirigent: Rudolf Kempe (EMI Classics)
2007 »Der Rosenkavalier« (Gesamtaufnahme),
Dirigent: Fabio Luisi (DVD, medici arts)
1971 – 1975 Sämtliche Orchesterwerke und Solokonzerte,
Dirigent: Rudolf Kempe (EMI Classics)
2012 »Ariadne auf Naxos« (Gesamtaufnahme),
Dirigent: Christian Thielemann (DVD, Decca)
29
elektra
Das Innerste nach
Aussen tragen
Hofmannsthal und
Strauss in ihrer Zeit
»Der erste Einfall kam mir Anfangs September 1901. Ich las damals, um für die
›Pompilia‹ gewisses zu lernen den Richard III. und die Elektra von Sophokles.
Sogleich verwandelte sich die Gestalt dieser Elektra in eine andere. Auch das
Ende stand sogleich da: dass sie nicht mehr weiter leben kann, dass, wenn der
Streich gefallen ist, ihr Leben und ihr Eingeweide ihr entstürzen muss, wie der
Drohne, wenn sie die Königin befruchtet hat, mit dem befruchtenden Stachel
sogleich Eingeweide und Leben entstürzen.«
H u g o vo n H o fm a n n s t h a l (19 0 4)
W
ir schreiben das Jahr 1909. In der Dresdner Hofoper
feiert am 25. Januar ein Werk seine Uraufführung, das
von der Kritik zwiespältig aufgenommen wird, aber
schon nach kurzer Zeit die Bühnen Europas erobert und
schließlich als eines der zentralen Hauptwerke nicht
nur des Komponisten, sondern der Epoche vor dem Ersten Weltkrieg in die
Annalen eingeht: »Elektra« von Richard Strauss auf ein Libretto von Hugo
von Hofmannsthal. »Der Erfolg der Premiere war, was ich, wie gewöhnlich,
erst nachträglich erfuhr, ein anständiger Achtungserfolg. Angelo Neumann telegraphierte nach Prag sogar ›Durchfall‹! Jetzt gilt vielen ›Elektra‹
als Höhepunkt meines Schaffens!«, rekapituliert Strauss Jahre später. Die
Uraufführung war hochkarätig besetzt gewesen mit Annie Krull in der
Titelpartie, Margarethe Siems als Chrysothemis und Carl Perron als Orest
unter der Leitung von Generalmusikdirektor Ernst von Schuch, der die so
neuartige Partitur virtuos mit seinem Orchester umzusetzen wusste. Nur
die berühmte Ernestine Schumann-Heink als Klytämnestra empfand der
Komponist als Fehlgriff. Sie verkörperte für Strauss den alten Typ der Wag-
30
31
R i c h a r d S t r au ss (r e c h t s) z u G a s t b e i s e i n e m L i b r e t t i s t e n
H u g o vo n H o fm a n n s t h a l i m G a r t e n vo n d e ss e n W o h n h au s
i n R o dau n b e i W i e n (u m 19 2 0 ?)
nersängerin. Und schon damals ahnte der Komponist, »wie grundlegend
sich mein Gesangsstil selbst vom Wagnerschen unterscheidet …«
Strauss’ Oper traf nicht nur den Nerv der Zeit, sondern spiegelt das
innovative Potenzial der Jahrhundertwende auf allen Gebieten. Die wissenschaftlichen, gesellschaftlichen und technischen Umwälzungen dieser Jahre sind enorm. Max Planck entwickelt die erste Theorie der Quantenphysik,
Albert Einstein die Relativitätstheorie. 1895 entdeckt Wilhelm Röntgen die
nach ihm benannten Röntgenstrahlen. Um 1889 herum entstehen die ersten
Automobilfabriken in Europa und Amerika. Die Welt gerät in Bewegung.
Die Elektrifizierung beginnt ihren Siegeszug und das Telefon hält Einzug.
Auch in der bildenden Kunst passiert Grundlegendes. So lernen die Bilder
das Laufen. Die ersten Stummfilme werden gedreht. Gleichzeitig opponie-
elektra
ren die expressionistischen Maler
»Sicherlich ist die ›Elektra‹ die
gegen naturalistisches Abbilden
Oper von Strauss, die die ganze
der Realität. 1905 gründet sich in
Bandbreite seines Schaffens wie
Dresden die Künstlervereinigung
unter einem Brennspiegel zusam»Die Brücke« mit den Malern Erich
menführt. Sie ist musikalisch die
Heckel, Karl Schmidt-Rottluff,
radikalste seiner Opern – in vielen
Ernst Ludwig Kirchner, Otto MülPassagen wird man Schwierigkeiten
ler. Sie wollen das Innerste nach
haben, die Harmoniestrukturen
außen tragen und plädieren für die
nachzuvollziehen. Gleichzeitig
Emphase des Sehens.
gibt es aber auch hier große MeloDas sind Ideen, die in diediebögen und lyrische Höhepunkte,
ser Zeit auch auf die Musik von
die auf Werke wie den ›RosenRichard Strauss zutreffen. Eine
kavalier‹ oder die ›Arabella‹ voEmphase des Hörens wollte er mit
rausweisen. Die ›Elektra‹ könnte
den Mittel der »psychischen Poly­
man mit Recht als eine Essenz des
Strauss’schen Œuvres bezeichnen,
phonie« erreichen, mit der sich
eben das Innerste nach außen kehrt
und schon allein deshalb eignet sie
und dem inneren Stimmengewirr
sich so gut, das Strauss-Jahr 2014
vielzähliger Empfindungen eine
zu eröffnen.«
Tonsprache gegeben wird. Und so
liest sich die Partitur der »Elektra«
C h r i s t i a n T h i e l e m a n n ( 2 014)
als Seelengemälde ihrer Figuren.
Der Archaik ihrer Psyche entsprechend, die aber durchaus auch die des
modernen Menschen ist, geht Strauss bis an die Grenzen der Tonalität, reizt
sie bis zum Äußersten aus – überschreitet sie jedoch nie, im Gegensatz zu
seinen Zeitgenossen Schönberg, Berg und Webern.
Thematisch saugen sowohl der Librettist Hugo von Hofmannsthal
wie auch der Komponist Richard Strauss die Anfang des 20. Jahrhunderts
in der Luft liegenden Themen auf. Im November 1899 erscheint Sigmund
Freuds »Traumdeutung«, 1903 Otto Weiningers »Geschlecht und Charak­
ter« und Paul Julius Möbius’ »Über den physiologischen Schwachsinn
des Weibes«. 1895/1902 publiziert Frank Wedekind die beiden Dramen
»Der Erdgeist« und »Die Büchse der Pandora«, bereits 1891 erschien Oscar
Wildes »Salome«, 1901 wurde sie ins Deutsche übersetzt. Zensiert wurden
alle drei, denn die Stücke bargen Sprengstoff. Mit einem Mal sind Frauenfiguren Heldinnen, die das überkommene Bild der treusorgenden Hausfrau
und Mutter über den Haufen werfen. In all ihrer Kindlichkeit und vermeintlichen Naivität morden sie Männer und sprengen die Konventionen der Gesellschaft. Entsprungen sind sie dabei jedoch weniger der Realität als den
verwirrten Hirnen der Männer. Entgeistert blicken diese nämlich auf die
aus Amerika und England herüberschwappende Suffragetten-Bewegung.
Da gehen doch tatsächlich Frauen auf die Straße, stürmen politische Veran-
32
33
staltungen und treten in den Hungerstreik, um für mehr Rechte zu demonstrieren und vor allem das Wahlrecht einzufordern. Die Männer wittern
Gefahr. Das Selbstvertrauen der Frauen wird größer und ihre Röcke werden
kürzer. Ende des ausgehenden 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts erkämpfen sie sich den Zutritt zu den
Universitäten. Sie werden promoviert als Ärztinnen und kurze Zeit
später als Juristinnen. Die Männer
sind alarmiert. Das Zerrbild von der
männerfressenden Femme fatale
auf der einen Seite und der Hysterikerin auf der anderen geistert nicht
nur durch die Köpfe der Männer,
sondern tobt fortan auch durch die
Literatur und über die deutschsprachigen Bühnen.
1905 feiert Richard Strauss’
Vertonung der »Salome« in Dresden
ihre Uraufführung. 1906 wohnt der
Komponist einer Berliner Schauspiel-Aufführung von Hofmanns­
thals »Elektra« in der Regie von Max
Reinhardt bei. In der Titelrolle GerR i ch a r d Str auss in d er Se m pero per :
trud Eysoldt, die Strauss auch schon
B üste vo n Hu go Led er er (19 0 8) im
als Salome gesehen hatte. Der EinOb er en Ru ndfoy er , Zwin g er seite
druck ist so tiefgehend, dass Strauss
beschließt, Hugo von Hofmannsthal nun doch einmal zu einer Zusammenarbeit zu ermuntern. Sie kannten sich bereits seit 1900. Hofmannsthal hatte
ihm ein Ballett-Libretto vorgeschlagen, das Strauss jedoch abgelehnt hatte.
Nach dem Erfolg der »Salome« sucht Strauss allerdings nach einem neuen
Opernstoff. Er fasst Hofmannsthals »Elektra« ins Auge: »Anfangs schreckte
mich aber der Gedanke, daß beide Stoffe in ihrem psychischen Inhalt viel
Ähnlichkeiten hatten, so daß ich zweifelte, ob ich ein zweites Mal die Steigerungskraft hätte, auch diesen Stoff erschöpfend darzustellen. Jedoch der
Wunsch, dieses dämonische, ekstatische Griechentum des 6. Jahrhunderts
Winkelmannschen Römerkopien und Goethescher Humanität entgegenzustellen, gewann das Übergewicht über die Bedenken«. Hofmannsthal setzt
dagegen: »Denn die Farbenmischung scheint mir in beiden Stoffen eine so
wesentlich verschiedene zu sein: bei der ›Salome‹ soviel purpur und violett
gleichsam, in einer schwülen Luft, bei der ›Elektra‹ dagegen ein Gemenge
aus Nacht und Licht, schwarz und hell. Auch scheint mir die auf Sieg und
Reinigung hinauslaufende, aufwärtsstürmende Motivenfolge, die sich auf
elektra
Orest und seine Tat bezieht – und
»… und so ist ›Elektra‹ sogar noch
die ich mir in der Musik ungleich
eine Steigerung geworden in der
gewaltiger vorstellen kann als in
Geschlossenheit des Aufbaus, in
der Dichtung –, in ›Salome‹ nicht
der Gewalt der Steigerungen, – ich
nur nicht ihresgleichen, sondern
möchte fast sagen: sie verhält sich
nichts irgendwie Ähnliches sich
zu ›Salome‹, wie der vollendetere,
gegenüber zu haben.« Strauss
stileinheitlichere ›Lohengrin‹ zum
macht von Hofmannsthals Drama
genialen Erstlingswurf des ›Tann­
eine erste Strichfassung – für den
häuser‹. Beide Opern stehen in
Hausgebrauch, wie er dem Dichter
meinem Lebenswerk vereinzelt da:
schreibt – und beginnt mit der Komich bin in ihnen bis an die äußers­
position. In einem regen Austausch
ten Grenzen der Harmonik, psychizwischen Komponist und Dichter
scher Polyphonie (Klytämnestras
entsteht im Verlauf der Arbeit die
Traum) und Aufnahmefähigkeit
endgültige Textfassung. Hofmannsheutiger Ohren gegangen.«
thal ist ihm dabei ein kongenialer
Partner, weiß er doch auf Strauss’
R i c h a r d S t r au ss (194 2)
Bitten immer eine Lösung, sei es
im Verknappen, aber auch in der Hinzudichtung wichtiger Passagen, um die
Seelenlage der Figuren zu verdeutlichen. In der Tat findet der Tondichter in
Orchestersatz und Singstimmen für die extremen Gefühlslagen seiner Protagonistinnen extreme Klänge. Ob Hofmannsthal allerdings mit dem Ergebnis
wirklich so zufrieden war? Während der gemeinsamen Arbeit am ›Rosenkavalier‹ übt der Dichter in einem Brief an Harry Graf Kessler Kritik an Strauss.
Er werde Platz für Arien vorhalten, »denn mache ich dem Strauss eine arienlose Dialogoper, so componiert er (ohne viel Kritik zu üben) drüber hinweg –
und es entsteht, wie bei ›Elektra‹ (ich verstehe diese Dinge jetzt klar) ein in
sich complettes Stück, über das er eine – entbehrliche – Symphonie schüttet
wie Sauce über den Braten.«
Hofmannsthal, der so lange um das Wort und mit ihm rang, da es
ihm zu beschränkt im Ausdruck erschien, mag aber vielleicht auch in der
Musik die Erlösung von seinem Hadern gefunden haben, weil sie dem Wort
eine zusätzliche Bedeutungsebene, ja eine ekstatische Übersteigerung hinzugewann. Strauss verstand es, das innere Seelendrama seiner Figuren in der
Musik implodieren zu lassen. Er schreibt dazu: »Auch mein so fein differenziertes Orchester mit seinem subtilen ›Nervencontrapunkt‹, wenn der gewagte
Ausdruck gestattet ist, konnte in der Schlußszene der Salome, in Klytämnes­
tras Angstzuständen, in der Erkenntnisscene zwischen Elektra und Orest, im
II. Akt der Helena, im Traum der Kaiserin (II. Akt, ›Die Frau ohne Schatten‹)
sich in Gebiete vorwagen, die nur der Musik zu erschließen vergönnt waren.«
Elektra, Chrysothemis, Klytämnestra sind komplexe weibliche Charaktere, die trotz archaischer Anleihen an die Antike den idealen wie den
34
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Schreckgestalten der Zeit vor dem 1. Weltkrieg entsprechen. »Meine antiken
Stücke haben es alle drei mit der Auflösung des Individualbegriffes zu tun. In
der Elektra wird das Individuum in der empirischen Weise aufgelöst, indem
eben der Inhalt seines Lebens es von innen her zersprengt wie das sich zu Eis
bildende Wasser einen irdenen Krug«, analysiert Hofmannsthal. In Elektra
verkörpert sich der Alb des absolut Antiweiblichen. Sie ist so sehr Außenseiterin, dass sie gefährlich ist. Sie jagt gleichermaßen Angst ein wie sie auch
fasziniert. Das Trauma ist in ihr zur Gestalt geworden. Kindlich ist sie in ihm
gefangen mit inzestuöser Gewalt, ihre sexuellen Phantasien manisch auf den
toten Vater gerichtet. »In Elektra ist die Person verlorengegangen, um sich
zu retten«, beschreibt Hofmannsthal sie. »Sie ist der Vater (dieser ist in ihr),
sie ist die Mutter (mehr als diese selbst es ist), sie ist das ganze Haus, – und
sie findet sich nicht.« So sagt sie von sich selbst: »Bin kein Kind, habe kein
Kind, bin kein Geschwister, habe kein Geschwister.« Sie hat ihr Ich verloren.
Die Liebe zu ihrem Vater hat es ihr geraubt. Es ist die einzige Liebe dieses
Werkes, in dem die Abwesenheit jeden Mitgefühls so schmerzlich ist.
In einem Klima sexueller Verklemmtheit schaut das Bürgertum
erotisch aufgestachelt auf eine Elektra, wie es auch schon geifernd auf eine
Salome geschaut hat. Bebend folgt es beider Mordphantasien und verbindet
sie schaudernd mit der Anarchie von aus dem Ruder gelaufenen Frauen.
Chrysothemis hingegen ist Elektras Komplementär, ihre andere Seite,
sie ist die weibliche, weiche Sehnsuchtsfigur, das Bild des Mütterlichen,
das gesunde, normale, zukunftweisende. War sie bei Sophokles noch eine
Seherin, die weise vorausschaut, was ein weiterer Mord mit ihren Seelen
anrichtet, und ihre Schwester vor diesen neuen Zerrüttungen warnt, ist sie
bei Hofmannsthal der Fruchtbarkeit und damit der Utopie assoziiert und
nicht dem neurotisch Zersetzenden, dem auch Klytämnestra zugeordnet ist
mit ihren Angstträumen, die einer Studie von Sigmund Freud entstammen
könnten. Gerade wird wissenschaftlich »entdeckt«, was die Dichter schon
seit Jahrtausenden wussten, so Hofmannsthal: das Unbewusste. Verdrängt
hat Klytämnestra ihre Tat, aber ihr Leben wird doch bestimmt durch sie,
denn in ihren Nächten peinigt die Tat sie so sehr, dass die Nacht jeden ihrer
Tage bestimmt. Das Unterbewusstsein lässt ihr keine Ruhe, auch wenn sie
vergessen will, was ihr diese raubt. Damals hat man sie eine Hysterikerin
genannt, heute sieht man sie als Verzweifelte, die sich nicht sich selbst stellt
und von ihren Ängsten beherrscht wird.
So spiegeln sich in den drei Frauenfiguren der »Elektra« das Lebensgefühl und auch der wissenschaftliche Fortschritt des beginnenden
20. Jahrhunderts zwischen Aufbruch, Negation, Angst, Sehnsucht und
einer Vision vom Untergang, der schon wenige Jahre später heraufdämmern sollte.
M i c a e l a v. M a r c a r d
elektra
Zeitgenosse der Zukunft
Über Richard Strauss’
»Elektra«-Partitur
Grenzen der Harmonik, psychischer Polyphonie (Klytämnestras Traum) und
Aufnahmefähigkeit heutiger Ohren« zu gehen. Mit diesem Stoff und Hofmannsthals Dreier-Konstellation Chrysothemis, Elektra, Klytämnestra öffnete sich dem Komponisten ein idealer Raum für Experimente mit der Form,
Motivik, Harmonik und Orchestrierung.
Form
I
m Jahr 1984 bestritt der Musikwissenschaftler Hermann Danuser, dass
Richard Strauss mit den »kompositorischen Neuerungen der Elektra«
einen »allgemeinen Fortschritt der Kompositionsgeschichte« erzielt
habe. Diese »Neuerungen« seien ausschließlich »an die Dramaturgie
des Werks gebunden« und signalisierten deshalb eher einen »Abschied
von der Moderne«. Wer Strauss menschlich wie künstlerisch als angepass­
ten Bourgeois begreift, dem muss es schwerfallen, die bis an den Rand der
Atonalität gehenden harmonischen Entfesselungen oder die komplizierten
harmonischen und rhythmischen Schichtungen seiner avanciertesten Partitur als bahnbrechend zu erkennen. Bis heute weigert sich mancher hartnäckig, Strauss als Wegweiser in die Moderne zu verstehen. Hieß es noch 1898
in der Kölnischen Zeitung: »Strauss ist darin ein ganz Moderner, daß er das
Häßliche ungemildert in seinen Gestaltungsbereich bezieht«, so bemängelt
man rund hundert Jahre später gerade, dass er nur dann »modern« sei,
wenn das Libretto Hässliches vorgebe. Das aber sei nicht wirklich modern,
da es keiner musikalischen Eigenlogik entspringe. Warum eigentlich nicht?
Schon vor »Elektra« war Strauss experimentelle Wege gegangen.
Und als er zum »Elektra«-Stoff griff, entschied er sich auch diesmal für ein
Libretto, mit dem er die in den Tondichtungen und in »Salome« beschrittenen
kompositorischen Wege fortsetzen konnte: Bi- und Polytonalität, Erweiterung
und intensivere Ausschöpfung des Orchesterklangs, extreme, größere Themenkomplexe vermeidende Motivverflechtung, das Arbeiten mit Enharmonik. Schon in den Tondichtungen waren diese Kompositionstechniken auch
auf außermusikalischer Ebene begründet, durch Außenseiter wie Don Juan,
Eulenspiegel etc., die von der Lebensnorm abweichen wie die ihnen von
Strauss zugeordnete Musik vom herrschenden Kompositionskodex.
Elektra bot Strauss die Möglichkeit, diesen Kodex vollends zu sprengen, »hässlich« zu komponieren und, so er selbst, »bis an die äußersten
36
37
Traditionelle Formstrukturen sucht
»In einer der ersten Orchesterproben
man in »Elektra« vergebens, und
bemerkte Schuch, der gegen Zugluft
doch ist die Musik stärker an ein
sehr empfindlich war, im 3. Rang des
formales Denken gebunden als die
leeren Hauses eine von einer Scheuerebenfalls einaktige »Salome«. Denn
frau offen gelassene Tür. Er rief ärgersie orientiert sich nicht nur an der
lich hinauf: ›Was suchen Sie dort?‹
symmetrischen Geschlossenheit
Ich antwortete aus dem Parkett:
des Aufbaus (Elektras Monologe
›Einen Dreiklang‹.«
stehen zu Beginn und am Ende, ihre
Dialoge mit Chrysothemis rahmen
R i c h a r d S t r au ss (194 2) ü b e r
die große Klytämnestra-Szene ein),
die dresdner »Elek tr a«
sondern die Musik kommentiert das
Geschehen überdies regelmäßig in ausgedehnten Zwischenspielen, in denen
Strauss die fast 50 Motive der Oper durchführungsartig entwickelt. Im Finale
spinnt er noch einmal ein dichtes Netz aus den Elektra-Motiven, greift sie wie
in einer symphonischen Reprise – nun im Tanzrhythmus – auf, um sie in dionysischem Siegestaumel »sterben« zu lassen (nicht anders verfuhr er bereits
in »Also sprach Zarathustra«).
Hans Mayer hat »Elektra« einst als »Gipfelung der frühen symphonischen Dichtungen« beschrieben, und dem ist kaum zu widersprechen.
Hier wie dort bedient sich Strauss eines vorgegebenen Rahmens, der
letztlich jedoch, individuell gefüllt, stets dem Prinzip der Entwicklung, der
ständigen Durchführung gehorcht. So auch in »Elektra«, für die sich Strauss
innerhalb der Szenen überwiegend einen frei durchkomponierenden Stil
vorbehält, der sich der jeweiligen Psychologie der Hauptfiguren anpasst.
Formale Gliederungen als Ausdruck einer bestehenden Ordnung verböten
sich angesichts des Librettos ohnehin, denn weder Elektra noch Klytämnes­
tra vermögen zu einer solchen Ordnung zu finden, und sogar für Chrysothemis bleibt sie nur Wunschtraum. Wenn letztere in ihrem großen Monolog (Elektra imitiert ihn, wenn sie die Schwester um Hilfe bei der Mordtat
bittet) ihre Sehnsucht nach einem normalen Leben, ihre Hoffnung auf ein
»Weiberschicksal« und ihren Willen zum Vergessen äußert, orientiert sich
Strauss zwar am Muster der italienischen Arie, indem er den Monolog in
zwei große, in sich dreigeteilte Abschnitte mit anschließender Kadenz
elektra
gliedert, wobei er den zweiten Teil auch noch stark periodisch anlegt. Doch
mit Chrysothemis’ Angstgefühlen, ihrer Panik vor Erstarrung in einem
»unfruchtbaren« Dasein kehrt auch bei ihr der durchkomponierende Stil
zurück, der sie wieder mit Elektra und Klytämnestra verbindet. Als »Arien«
geben sich die Monologe der drei Frauen nur noch zu erkennen, indem sie
alle durch rezitativische Dialoge (in der Eingangsszene der Mägde angelehnt an das Recitativo secco) eingeleitet werden. Ihre tatsächliche »Form«
erklärt sich aus den unendlichen Metamorphosen der Motive, die die psychologischen Tiefenschichten, die individuellen Entwicklungen der Protagonisten offenlegen. Diese musikalischen Entwicklungen resultieren aus der
Dramaturgie, erfüllen jedoch gleichzeitig ein Formdenken, das Strauss 1907
so umschrieb: Kunst gehorche »denselben Gesetzen […] wie das immer neu
sich gestaltende Leben«. Und was Bernd Sponheuer für den Zeitgenossen
Gustav Mahler als wegweisend postulierte, gilt auch für Strauss: Die Form
wird zum »Prozess«, »der an der Logik des zeitlichen Fortschreitens, mithin
der Entwicklung, sein eigentliches Fundament hat«. Noch in dem Alterswerk
»Metamorphosen« löste Strauss dieses Formgesetz ein.
Motivik
Die Motive und ihre Metamorphosen stehen in »Elektra« im Mittelpunkt und
sind vielleicht kein zweites Mal bei Strauss derart eng an die Psychologie
der Protagonisten gebunden. Sie interpretieren über das Textgeschehen
hinaus, greifen Entwicklungen voraus, stellen in die Gleichzeitigkeit, was
im Text der zeitlichen Folge unterworfen bleibt. Und sie zeigen durch Verwandtschaftsbeziehungen psychische Bindungen (in der Motivik der drei
Frauen) sowie Zusammenhänge auf, die der Text (noch) nicht preisgibt.
Strauss führt die motivische Variantenbildung an die Grenzen des Möglichen, in Rhythmik, Harmonik, Intervallstruktur und Dynamik wie in der
Instrumentation. Hofmannsthals Figurenverständnis geht dabei ganz in die
musikalische Umsetzung ein.
Die motivische Gestaltung Elektras zeigt dies am klarsten. Über sie
schrieb Hofmannsthal in seinen Aufzeichnungen, dass »das Individuum
in der empirischen Weise aufgelöst« werde, »indem eben der Inhalt seines
Lebens es von innen her zersprengt«. Zum einzigen Inhalt von Elektras
Leben ist die Rache für den Mord an ihrem Vater geworden, und so wie sie
sich selbst aufgegeben hat, gesteht auch Strauss ihr keine eigenständige
Motivik zu, gestaltet sie vielmehr ausschließlich aus dem Bezug zum Vater,
dessen Person von Anfang an im Raum steht. Was Streicher und Bläser
zu Beginn der Oper fortissimo intonieren, wird im Monolog Elektras mit
dem entscheidenden Wort »Agamemnon« gefüllt. Aus diesem gebrochenen
d-Moll-Dreiklang entwickeln sich nahezu alle Elektra-Motive: ihr Hassmotiv,
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39
P i cco lo s t i m m e d e r » E l e k t r a « - U r au f f ü h r u n g
Die Stimmen, aus denen die Königliche musikalische Kapelle 1909 die Dresdner Uraufführung spielte, dienen der Sächsischen Staatskapelle noch heute
als Aufführungsmaterial, auch Christian Thielemann dirigiert das Werk aus
der Uraufführungspartitur. In den Bleistifteinzeichnungen am unteren Rand,
in denen die Orchestermusiker die Vorstellungen der »Elektra« festhielten,
findet sich an oberster Stelle der Premierentermin: 25. Januar 1909.
elektra
L i n k s:
R i c h a r d S t r au ss A m P u lt d e r S äc h s i s c h e n S ta at s k a p e l l e ,
Z e i c h n u n g d e s K a p e l l - C e l l i s t e n R u d o l f K r at i n a (19 2 7 )
ihr Leidensmotiv, das Motiv ihrer königlichen Erscheinung. Strauss selbst
versah sie im Skizzenbuch mit Titeln wie »Elektras Haß«, »Elektrathemen«,
»stolz königlich«, »schmerzgebeugt«, »aggressiv«. Nachdem die Mägde sie
schon in der Eingangsszene zur Charakterisierung von Elektras äußerer
Erscheinung vorstellen, dehnen sich diese Motive im anschließenden Monolog in unendlichen Schattierungen und Abwandlungen aus, um Elektras
psychische Zustände zu verdeutlichen. So erklingt in der Eingangsszene
ihr Hassmotiv (vivo, schnell) fortissimo in Oboen und Violinen – scharf
intoniert, um ihre aggressive, tierhafte Besessenheit zu demonstrieren. Zu
Beginn des Monologs hingegen umrahmen es Englischhorn, Violinen und
Violoncelli largamento im Piano, wenn Elektra mit dem Agamemnon-Motiv
ihre Einsamkeit (»Weh, ganz allein«) beschreibt. Auch dieses erhält nun
einen völlig anderen Rhythmus und ertönt – von Pausen umschlossen –
über stehenden Klängen.
Nie entfalten sich die Motive zu thematischer Breite, oft stehen sie
zusammenhanglos nebeneinander, durch Pausen gebrochen. Elektras innere Zerrissenheit, ihre Rastlosigkeit beruhigt sich nur vorübergehend in der
Erinnerung an die Vergangenheit, an ihre einstige Schönheit. Hier gesteht
Strauss ihr zum ersten Mal eine melodische Linie zu, die aus motivischen
40
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Verflechtungen und ornamentalem Ausspinnen entwickelt ist und über stehenden Flageolettklängen und Harfenarpeggien fließt. Zuvor leidvoll absinkende Motive treten nun in eine lebendige Aufwärtsbewegung. Doch stets
bricht die Erinnerung die Gegenwart: durch Klangfarben- und Taktwechsel,
Chromatik und Dissonanzen. Motive, die Elektras Qual, ihrem Leiden und
ihrem Hass zugewiesen sind, schieben sich über die Erinnerung und höhlen
die Idylle aus.
Anders als Elektra gründet Chrysothemis’ musikalische Identität auf
ausschließlich ihr geltenden Motiven, die weder auf das Agamemnon-Motiv
noch auf das der königlichen Familie zurückgehen. Sie will vergessen, ist
bereit, zugunsten eines Mutterdaseins, das ihr persönliche Erfüllung bedeutet, auf ihren Status zu verzichten, und so macht Strauss sie unabhängig von
bereits vorhandenen Motiven oder Motivtrümmern. Chrysothemis’ Musik
gründet in ihrem ersten großen Monolog, vor allem dem leidenschaftlichen
Plädoyer für eine traditionelle Mutterrolle, sogar auf periodisch gestalteten
Themen, die immer weitertreiben, die »leben« wollen. Die Unmöglichkeit
eines Lebens als Frau und Mutter jedoch, ihr durch Elektra verursachtes unfruchtbares »Kerker«-Dasein, führt auch ins andere Extrem. Redet
Chrysothemis nämlich über ihr Gefühl der Erstarrung, lässt Strauss keine
Motivik mehr zu. Stehende Klänge begleiten ihre Stimme, bis auch diese
ganz verebbt (»und niemand kommt, kein Bruder, kein Bote von dem Bruder,
nicht der Bote von einem Boten, nichts«).
Klytämnestras Motivik ist, lange bevor sie zum ersten Mal erklingt,
durch Elektras Musik präsent: Elektra führt die Mutter aus ihrer Perspektive ein – etwa wenn die Rede von Agamemnons Mördern ist. Damit nimmt
Strauss vorweg, was Hofmannsthal erst später deutlich macht: Klytämnes­
tras Abhängigkeit von der Tochter, ihre Selbstverlorenheit, den Zusammenhang zwischen ihren Angstträumen und der Tochter, den Strauss offenbart,
wenn er ihren großen Monolog mit Elektra-Motivik überlagert. Überhaupt
ist in keiner anderen Szene die Motivschichtung so dicht wie hier, die »psychische Polyphonie« (Strauss) derart extrem. Dabei ist es nicht nur Klytämnestras pathologischer Zustand, die Wirrnis ihrer Empfindungen, die diese
Polyphonie begründet. Strauss macht sie mit gleichzeitig erklingenden Motiven transparent, stellt mit der Musik das gesprochene Wort auf den Kopf:
Klytämnestras Hoffnung, ihrer Qual durch »Bräuche« ein Ende zu bereiten,
begleitet er z.B. mit dem Königsmotiv: Klytämnestra bleibt an ihre Schuld
gekettet, die Sinnlosigkeit der Bräuche ist entlarvt. […]
elektra
D e r » R i e t s c h e lg i e b e l« d e r e r s t e n S e m p e r o p e r :
Tonalität
Theodor W. Adorno schrieb über die Tonalität in »Elektra«: »Die Dissonanz
behält ihre Beziehung zur Konsonanz, anstatt, wie in der neuen Musik, mit
der Konsonanz auch sich selber abzuschaffen.« Doch nur wenige Zeilen
später gestand er Strauss zu, »daß er, zu Beginn des Jahrhunderts, weiter
voran gewesen sei, als seine Zeitgenossen, den Mahler von damals inbegriffen, und einen Maßstab befreiter und reich vorgestellter Musik aufrichtete,
den keiner mehr ignorieren durfte und ohne den weder der späte Mahler
noch Schönberg möglich gewesen
wäre.« […] Schon vor »Elektra« hat»Nach einer Aufführung [der ›Elekte Strauss mit Bitonalität – extrem
tra‹] in Basel wurde ein biederer
in »Also sprach Zarathustra« –,
Schwyzer gefragt, wie ihm die Oper
Tonalitätsverdunklung, Polytonaligefallen habe. ›O! Ganz großartig!‹ –
tät und Tritonusspannungen, Ganz›Und die Musik?‹ – »Musik hab ich
tonclustern und überraschenden
gar keine gehört!‹ So ein Zuschauer
Modulationen experimentiert. Doch
ist mir lieber als ein kritisierender
mit seiner wohl avanciertesten Oper
Dilettant, der die Musik schließlich
glaubte er selbst, an seine Grenzen
doch nicht verstanden hat.«
gelangt zu sein. »Elektra« ermöglichte ihm, so weit vorzustoßen.
R i c h a r d S t r au ss (194 2)
Doch während sich nach ihm Schön­
berg ganz aus dem tonalen Denken löste, brauchte Strauss dieses sogar selbst
in »Elektra«, um es – in Ansätzen – negieren zu können. Die Loslösung von
der Tonalität wird deutlich ausschließlich durch ihr Noch-Vorhandensein, sie
vollzieht sich auf ihrem Fundament.
Ungebrochen begleitet sie nur Wunschträume (etwa Klytämnestras
Sehnsucht nach »Angenehmem« in ironischem C-Dur) oder Erinnerungen an
die Vergangenheit (Elektras Kindheitserinnerungen in As-Dur). Früheres und
jetziges Leben, Unwirkliches und Realität sind voneinander geschieden in eine
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S z e n e au s d e r » O r e s t i e« d e s A i s c h y lo s
15 Sandsteinfiguren von Ernst Rietschel bildeten vormals das Giebelfeld
»Die dramatische Dichtkunst« an der Nordseite des 1841 eingeweihten und
1869 zerstörten ersten Dresdner Semperbaus. Die Skulpturen konnten bei
dem verheerenden Theaterbrand gerettet werden und haben, nach wechselvoller Geschichte, seit 2003 ihren Platz am Burgtheater Bautzen in der Ortenburg gefunden. Die Figuren von links nach rechts: Dike, die drei Vertreter
des Areopag, Apollon, Athene, Orest, Melpomene (Mitte), die drei Erinnyen,
Pylades und Elektra, Klytaimnestra und Aighistos (liegend).
Welt der Geborgenheit, Schönheit und Harmonie und in eine des körperlichen
Verfalls und Identitätsverlusts, die einhergehen mit tonaler Instabilität. […]
In Klytämnestras Traumschilderung schließen sich dann pathologi­
scher und harmonischer Extremismus am kühnsten zusammen. Eingeleitet
durch die Tritonusspannung h-Moll/f-Moll, die die quälenden Träume der
Königin nachhaltig prägt, reihen sich im weiteren Verlauf auch tonalitätsverdunkelnde Quartklänge und Cluster aus Halbtönen, Halbtonspannungen
und mehrfach geschichtete Tritonusklänge aneinander (»Und doch kriecht
zwischen Tag und Nacht, wenn ich mit offnen Augen lieg’, ein Etwas hin über
mich«). Polyphon strukturierte Motivfetzen als Ausdruck eines verzweifelten
Seelenzustands geben der vertikalen Ebene Vorrang und verhindern bewusst
ein Denken in rein horizontalen, tonalen Dimensionen. Strauss beschritt damit einen Weg, der bei Schönbergs Prinzip von der Gleichberechtigung der
Vertikale und Horizontale enden sollte. Sicher ging Strauss von der Dramaturgie aus. Doch wie Schönberg bereits feststellte: »Es kommt nicht darauf an, ob
ein Künstler seine größten Leistungen bewußt nach einem vorgefaßten Plan
erreicht oder unbewußt.«
A n e t t e U n g e r
elektra
Konzerte mit Werken von
Richard Strauss
Saison 2013 / 2014
Sächsische Staatskapelle Dresden
8. & 9. Juni 2014 | Semperoper Dresden
11. Symphoniekonzert
»Letzte Lieder«:
»Frühling«
»September«
»Beim Schlafengehen«
»Im Abendrot«
»Malven«, Orchesterfassung von Wolfgang Rihm (2013),
Auftragswerk der Osterfestspiele Salzburg
und der Sächsischen Staatskapelle Dresden
Uraufführung
»Eine Alpensinfonie« op. 64
28. Januar 2014 | Philhar monie Berlin
Gastkonzert in der Berliner Philharmonie
»Elektra«, konzertante Aufführung
Christian Thielemann Dirigent
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Zum 150. Geburtstag des Komponisten und zum
100. Todestag des Dirigenten Ernst von Schuch
Christian Thielemann Dirigent
Anja Harteros Sopran
11. Juni 2014 | Semperoper Dresden
2.,3. & 4. M är z 2014 | Semperoper Dresden
7. Symphoniekonzert
»Ein Heldenleben« op. 40
Christian Thielemann Dirigent
30. & 31. M är z / 1. April 2014 | Semperoper Dresden
Sonderkonzert zum 150. Geburtstag von Richard Strauss
Auszüge aus den Dresdner Uraufführungsopern
»Feuersnot«, »Salome«, »Elektra«, »Der Rosenkavalier«, »Intermezzo«,
»Die ägyptische Helena«, »Arabella«, »Die schweigsame Frau« und »Daphne«
Christian Thielemann Dirigent
Nina Stemme Elektra, Salome
Anja Harteros Arabella, Helena
Camilla Nylund Daphne
8. Symphoniekonzert
»Don Quixote« op. 35
»Don Juan« op. 20
Christoph Eschenbach Dirigent
Gautier Capuçon Violoncello
12. Juli 2014 | Die Gläserne M anufaktur von Volkswagen
Klassik picknickt
Burleske d-Moll für Klavier und Orchester
Christian Thielemann Dirigent
Rudolf Buchbinder Klavier
15. Mai 2014 | Semperoper Dresden
4. Aufführungsabend
Serenade Es-Dur op. 7 für 13 Blasinstrumente
Sonatine Nr. 1 für 16 Bläser »Aus der Werkstatt eines Invaliden«
»Metamorphosen«, Studie für 23 Solostreicher
Christian Thielemann Dirigent
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Weitere Aufführungen von Strauss-Werken durch die
Sächsische Staatskapelle bei den Osterfestspielen Salzburg 2014
(Programm auf Seite 48 dieses Heftes).
elektra
Opern von
Richard Strauss
Saison 2013 / 2014
Semperoper Dresden
3., 6. & 10. Oktober 2013
Der Rosenkavalier
Peter Schneider Musikalische Leitung
Uwe Eric Laufenberg Inszenierung
E v e ly n H e r l i t z i u s a l s E l e k t r a (l i n k s) u n d Wa lt r au d M e i e r
a l s K ly tä m n e s t r a i n d e r N e u p r o d u k t i o n d e r » E l e k t r a «
Premiere 19. Januar 2014
an der Semperoper unter der musik alischen Leitung
22., 25. & 31. Januar / 22. & 29. Juni 2014
vo n C h r i s t i a n T h i e l e m a n n , R e g i e : B a r b a r a F r e y ( 2 014)
Elektra
Christian Thielemann Musikalische Leitung
Stefan Klingele Musikalische Leitung (Juni 2014)
Barbara Frey Inszenierung
Premiere 7. Juni 2014
9. & 10. Juni 2014
Feuersnot
Premiere 23. Februar 2014
Eine koproduktion mit den dresdner musikfestspielen
28. Februar / 2. M är z 2014
Stefan Klingele Musikalische Leitung
Guntram (konzertant)
Omer Meir Wellber Musikalische Leitung
Premiere 28. Juni 2014
30. Juni / 5., 9. & 11. Juli 2014
9. & 16 . M ä r z / 15 . & 18 . A p r i l 2 014
Ariadne auf Naxos
Omer Meir Wellber Musikalische Leitung
Marco Arturo Marelli Inszenierung
Legenden – Hommage an Richard Strauss (Ballett)
Tanzsuite
Alexei Ratmansky Choreografie
Josephs Legende
Stijn Celis Choreografie
Paul Connelly Musikalische Leitung
21., 25. & 27. M är z 2014
Salome
Cornelius Meister Musikalische Leitung
Peter Mussbach Inszenierung
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In der Saison 2014/2015 finden vom 6. bis 23. November 2014
in der Semperoper die Richard-Strauss-Tage statt.
elektra
OSTERFESTSPIELE
SALZBURG 2014
Strauss-Highlights in Salzburg
»Arabella« mit Renée Fleming und Thomas Hampson
ChrisTiAn ThielemAnn
sÄChsisChe sTAATskApelle DresDen
12.— 21. April
Christian Thielemann und die Sächsische Staatskapelle Dresden bilden seit
2013 das künstlerische Zentrum der Osterfestspiele Salzburg. Nach ihrem
fulminanten Einstand im Vorjahr stehen nun die nächsten Highlights vor der
Tür. Richard Strauss, dessen 150. Geburtstag in 2014 gefeiert wird, ist der
Hauptpunkt des Programms. Zwei Weltstars der Opernbühne sind erstmals gemeinsam in Strauss’ Oper »Arabella« auf der Bühne zu erleben: Renée Fleming
und Thomas Hampson.
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© Decca/A. Eccles
OPER
sTrAUss • ArABellA
Renée
Fleming
renée Fleming und Thomas hampson
erstmals gemeinsam in den hauptrollen
musikalische leitung: Christian Thielemann
regie: Florentine klepper
Bühne: martina segna
kostüme: Anna sofie Tuma
mit hanna-elisabeth müller, Albert Dohmen,
Gabriela Beňačková, Daniela Fally
sächsische staatskapelle Dresden
© D. Acosta
koproduktion mit der semperoper Dresden
Thomas
Hampson
ORCHESTER- und CHORKONZERTE
mozArT • rihm • sTrAUss
Christian Thielemann • Christoph eschenbach
maurizio pollini • Anja harteros • Gautier Capuçon
Chen reiss • Christa mayer
steve Davislim • Georg zeppenfeld
Chor des Bayerischen rundfunks
sächsische staatskapelle Dresden
© M. Creutziger
A
m 12. April 2014 wird Christian Thielemann den Taktstock zum
Auftakt seiner zweiten Saison als Künstlerischer Leiter der Oster­
festspiele Salzburg heben. Mit der Premiere von »Arabella«, in
der Regie von Florentine Klepper, erfolgt zugleich die Premiere
einer Spitzenkonstellation in den Hauptrollen: Renée Fleming in der Titelrolle und Thomas Hampson als Mandryka. Auch die Besetzung der weiteren
Rollen ist erstklassig: Albert Dohmen als Graf Waldner, Gabriela Beňačková
als Gräfin Adelaide, Hanna-Elisabeth Müller als Zdenka, Daniela Fally als
Fiakermilli und Jane Henschel als Kartenaufschlägerin.
Richard Strauss steht auch im Zentrum des Konzertprogramms,
das seine Werke mit jenen von Mozart und von Wolfgang Rihm verbindet.
Eine ganz besondere Uraufführung erwartet das Publikum: Strauss’ »Letzte
Lieder«, die sein allerletztes Werk mit einschließen – das Klavierlied »Malven«, das Wolfgang Rihm erstmals orchestriert hat. Die Sopranistin Anja
Harteros wird diese Fassung unter Leitung Christian Thielemanns aus der
Taufe heben. Mit Thielemann gemeinsam musiziert auch Maurizio Pollini,
der Mozarts C-Dur-Klavierkonzert KV 467 interpretieren wird; Strauss’
»Also sprach Zarathustra« rundet dieses Programm ab. Mit dem Chorkon­zert unter Christian Thielemanns Leitung und mit dem Chor des Bayeri­
schen Rundfunks gedenken die Osterfestspiele Salzburg des 25. Todestags
ihres Gründers Herbert von Karajan. Mozarts Requiem steht auf dem Programm, zusammen mit Strauss’ »Metamorphosen« und Rihms »Ernstem Gesang«. Christoph Eschenbach ist als Dirigent und Kammermusiker zu Gast.
Er dirigiert ein Orchesterkonzert mit Strauss’ »Don Juan« und »Don Quixote« (Solist: Gautier Capuçon). Christoph Eschenbach teilt sich mit Christian
Thielemann schließlich die Leitung eines Strauss- und Mozart-Programms
im Konzert für Salzburg mit Thomas Hampson als Stargast. Im Kammer­
konzert ist Christoph Eschenbach als Pianist zu erleben.
12. / 21. April
Christian
Thielemann
Karten
Tel. +43/662/80 45-361
[email protected]
elektra
www.osterfestspiele-salzburg.at
Brief von Richard Strauss
an Ernst von Schuch nach der
Dresdner »Elektra«-Uraufführung
Berlin, 6. Februar 1909
Mein lieber u. einziger Schuch!
Endlich komme ich ein bischen zum Ausschnaufen u. der erste freie Atemzug soll nochmals einen innigen Dank Ihnen bringen, für Alles was Sie
!!!
[an E – lek
– Der Himmel lohne Ihnen alle Aufopferung u. allen Fleiß; für Ihr Genie u. Ihr
Können brauche ich Ihnen nicht danken, das trägt seinen Lohn in sich. Jedenfalls war es eines der schönsten u. reinsten künstlerischen Erlebnisse meines
Lebens, wenn nicht das Allerschönste, das ich Ihnen verdanke. Meine Worte
fließen spröde u. können mit den Empfindungen nicht Stand halten. An dem
impulsiven Ausbruch meiner Frau nach der 2.ten Aufführung können Sie ungefähr das Maß unserer Bewunderung u. Dankbarkeit erkennen!
Da ich Ihren ausgezeichneten Darstellern Allen persönlich zu danken Gelegenheit hatte, möchte ich Sie nur bitten, Ihrem herrlichen Orches­
ter, das solche Wundertaten von Schönheit von sich gegeben, ein solch
enormes Maß von Ausdauer, Aufopferung u. Selbstlosigkeit bewiesen hat,
nochmals den Ausdruck meiner wärmsten Bewunderung u. innigsten Dankbarkeit freundlichst zu übermitteln. –
Unsere hiesige »Elektra«2 kann erst am 15.ten sein: werde ich die
Freude haben, Sie u. den Grafen3 dabei zu haben? Vielleicht kommen Sie
selbst schon am 14.ten zu einer Sitzung (wegen des Opernpreisausschreibens, wo Sie doch hoffentlich mitmachen!) u. Nachmittags Skat herüber?
Levin4 ist schrecklich traurig, daß er seine Reise um 10 Tage verschieben mußte: er reist circa am 17. Februar u. hofft, da er bis Mitte März
in Italien bleibt, bestimmt, daß Sie, wenn Sie schon nicht gleich mitkommen
können, doch sicher Ende Februar oder Anfang März mit Ihrem Töchter-
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r i c h a r d s t r au ss (l i n k s) u n d E r n s t vo n s c h u c h (1910)
tra ge – t an]1
lein5 nachkommen! Richten Sie sich eben ein: Sie sind ein Idiot, wenn Sie
4 Kapellmeister in Dresden haben u. jetzt sich nicht die verdiente Erholung
gönnen. Nehmen Sie sich an mir ein Beispiel! Warum müssen Sie denn Hofconcerte dirigieren: dafür genügt doch in Dresden der Beleuchter oder der
Kassierer bei dem Musikverständniß seiner katholischen Majestät! –
Also machen Sie Levin die Freude u. kommen Sie wenigstens nach:
er hat mich eigens gebeten, noch besonders in Sie zu dringen. Sie haben
doch in der Elektrapartitur alle meine Wünsche erfüllt: nun bleiben Sie auch
weiterhin etwas gehorsam, zu Ihrem Besten! –
Also los – von Dresden! Auf Wiedersehen am 14.ten in Berlin! Tausend Grüße (auch an Ihre liebe Familie) Ihr
Dr Richard Strauss.
1
Anspielung auf den Gesang der fünften Magd am Beginn der »Elektra«
2
ie Berliner Erstaufführung am 15. Februar 1909, Strauss war seit 1908
d
Generalmusikdirektor der Berliner Hofoper
3
raf Nikolaus von Seebach, Generaldirektor der Königlichen musikalischen Kapelle
G
und des Königlichen Hoftheaters in Dresden
4
Willy Levin, Widmungsträger der »Elektra«
5
Liesel von Schuch, später Sängerin an der Hof- und Staatsoper Dresden
elektra
C h r i s t i a n T h i e l e m a n n u n d d i e S äc h s i s c h e S ta at s k a p e l l e
im Orchestergr aben der Semperoper
52
53
elektra
Waltraud Meier Mezzosopran
K ly t ä m n e s t r a
I
hr triumphaler Erfolg 1983 als Kundry im »Parsifal« der Bayreuther
Festspiele bildete den Auftakt von Waltraud Meiers Weltkarriere, die
sie seither an die renommiertesten Bühnen führte, vom Londoner
Covent Garden und der Opéra National de Paris bis zur New Yorker
Metropolitan Opera, von der Mailänder Scala bis zur Wiener und der
Bayerischen Staatsoper – und vielfach zurück auf den »Grünen Hügel« in
Bayreuth, auf dem sie nach ihrem dortigen Wechsel ins dramatische Sopranfach auch als Isolde und Sieglinde Maßstäbe setzte. Nicht ohne Grund
gilt die als Kundry, Isolde, Ortrud, Venus und Sieglinde weltweit gefeierte
Sängerin als eine der bedeutendsten Wagner-Interpretinnen unserer Zeit.
Ebenso sorgte sie als Beethovens Leonore oder Strauss’ Klytämnestra für
Aufsehen, nicht zu vergessen das italienische und französische Fach, in
dem die gebürtige Würzburgerin hoch geschätzt ist: als Eboli, Amneris,
Didon und Santuzza sowie als Carmen, die sie in der Saison 2004/2005
auch an der Dresdner Semperoper verkörperte. Beständig auf der Suche
nach künstlerischen Herausforderungen, war Waltraud Meier in der Spielzeit 2003/2004 ausschließlich als Liedinterpretin und Konzertsängerin zu
hören. Die mit vielen Preisen und Auszeichnungen geehrte Künstlerin ist
Kammersängerin der Wiener und der Bayerischen Staatsoper.
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Evelyn Herlitzius Sopran
Elektr a
M
it der Dresdner Semperoper verknüpft ist der künstlerische
Werdegang von Evelyn Herlitzius. Nach ihrem Studium
in Hamburg und ersten Engagements in Saarbrücken und
Karlsruhe war die Sopranistin von 1997 bis 2000 Ensemblemitglied der Semperoper, an der sie sich viele große
Partien ihres Faches erarbeitete. Von Dresden aus entfaltete sie auch ihre
internationale Karriere. Sie gastierte u.a. an den Staatsopern in Wien, Berlin, München und Stuttgart, an der Mailänder Scala, der Nederlandse Opera
Amsterdam und bei den Wiener und Berliner Philharmonikern. Bei den
Bayreuther Festspielen verkörperte die aus Osnabrück stammende Sängerin
die Brünnhilde (»Ring des Nibelungen«) und später die Kundry (»Parsifal«)
und Ortrud (»Lohengrin«). Unter Christian Thielemann trat sie 2011 mit den
Wiener Philharmonikern bei den Salzburger Festspielen auf und sang die
Färberin in Strauss’ »Frau ohne Schatten«, 2013 übernahm sie die Elektra
unter Esa-Pekka Salonen in d’Aix-en-Provence. An der Semperoper debütierte sie 1997 als Leonore (»Fidelio«), es folgten bis heute zahlreiche Partien, darunter die Titelrollen in »Jenůfa«, »Turandot« und »Salome«. Evelyn
Herlitzius ist Trägerin des Christel-Goltz-Preises der Semperoper (1999)
und des Deutschen Theaterpreises »Der Faust« (2006).
elektra
Anne Schwanewilms Sopran
Chrysothemis
I
hr Auftritt überzeugte durch »stimmliche Finesse und Würde«, ihr
Gesang ist »warm und wahrhaftig«, geprägt von »fokussiertem Klang
und tiefer Empfindung«, schwärmte der Kritiker der New York Times
jüngst über Anne Schwanewilms nach ihrem umjubelten Debüt an
der New Yorker MET: als Kaiserin in Strauss’ »Frau ohne Schatten«.
In Gelsenkirchen geboren, wird die Sängerin in den großen Strauss- und
Wagner-Partien ihres Faches international gefeiert, u.a. gastierte sie als
Ariadne unter Sir Colin Davis am Londoner Royal Opera House, als Chrysothemis an der Mailänder Scala, als Arabella an der Wiener Staatsoper,
als Elisabeth (»Tannhäuser«) an der Bayerischen Staatsoper sowie als
Danae an der Semperoper, an der man sie überdies als Mozarts Contessa
d’Almaviva (»Figaro«), als Wagners Elsa (»Lohengrin«) und Elisabeth, als
Desdemona (»Otello«), Marschallin (»Rosenkavalier«), Leonore oder Marie (Bergs »Wozzeck«) erleben konnte. Auf dem Konzert- und Liedpodium
weltweit gefragt, trat Anne Schwanewilms im Wiener Musikverein, in der
Wigmore Hall in London und im Concertgebouw in Amsterdam auf, ebenso
in der New Yorker Avery Fisher Hall oder dem John F. Kennedy Center for
the Performing Arts in Washington. 2002 wurde die Sopranistin von der
Zeitschrift Opernwelt zur »Sängerin des Jahres« gekürt.
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Frank van Aken Tenor
Aegisth
D
as Publikum der Dresdner Semperoper begeisterte Frank van
Aken gerade erst in der Titelrolle von Wagners »Tristan«. Der
Tenor, der in Utrecht und am Opernstudio des Königlichen
Konservatoriums in Den Haag studierte, war von 1997 bis
2000 festes Ensemblemitglied der Deutschen Oper am Rhein
Düsseldorf-Duisburg, 2006 schloss er sich dem Ensemble der Oper Frankfurt an (bis 2012). An diesem Haus stand er u.a. als Tannhäuser, Parsifal,
Hermann (Tschaikowskys »Pique Dame«) und Luigi (Puccinis »Tabarro«)
auf der Bühne, daneben feierte er besondere Erfolge auch als Einsiedel in
Karl Amadeus Hartmanns »Simplicius Simplicissimus« sowie als Siegmund
in der »Walküre«. 2007 gab der niederländische Künstler als Tannhäuser
seinen Einstand bei den Bayreuther Festspielen und debütierte in dieser
Rolle 2010 an der Wiener Staatsoper, 2011 sang er den Tristan an seinem
Stammhaus in Frankfurt, an der New Yorker MET gastierte er 2012 als Siegmund. Im italienischen Repertoire profilierte er sich als Otello an der Oper
Graz und dann in Frankfurt. In wenigen Wochen wird Frank van Aken die
Titelpartie in den konzertanten Aufführungen von Richard Strauss’ musikdramatischem Erstling »Guntram« in der Semperoper singen, gefolgt von
Auftritten als Siegmund am Gran Teatre del Liceu in Barcelona.
elektra
René Pape Bass
Orest
A
ls eine der herausragenden Sängerpersönlichkeiten der internationalen Musikszene ist René Pape gern gesehener Gast der
bedeutenden Opernhäuser, Orchester und Festivals. In Dresden geboren, sang er in der Elbestadt im berühmten Kreuzchor
und studierte an der Dresdner Musikhochschule. Seit 1988
ist er festes Ensemblemitglied der Berliner Staatsoper, an der er die gro­
ßen Basspartien übernimmt, darunter Méphistophélès (Gounods »Faust«),
Philipp II. (»Don Carlo«), Rocco (»Fidelio«), Gurnemanz (»Parsifal«), König
Heinrich (»Lohengrin«) und König Marke (»Tristan«). In weiteren Neuinszenierungen verkörperte er an diesem Haus den Figaro, Don Giovanni, Boris
Godunow, Gremin (»Eugen Onegin«) und Wotan (»Rheingold« und »Walküre«), jeweils unter der musikalischen Leitung von Daniel Barenboim. Einladungen führten René Pape an die New Yorker MET und die Lyric Opera of
Chicago, an die Mailänder Scala, die Wiener und die Bayerische Staatsoper,
die Semperoper oder auch zu den Bayreuther und Salzburger Festspielen.
Neben seinen Opernverpflichtungen widmet sich der Bass einer intensiven
Konzerttätigkeit. Er ist mehrfacher Grammy- und ECHO-Klassik-Preisträger,
u.a. erhielt er 2009 den ECHO für sein mit der Sächsischen Staatskapelle
aufgenommenes Solo-Album »Gods, Kings & Demons«.
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Peter Lobert Bass
Der Pfleger des Orest
N
ach seinem Medizinstudium an der Berliner Charité absolvierte Peter Lobert sein Gesangsstudium in Dresden, sein
erstes Festengagement erhielt er am Badischen Staatstheater
in Karlsruhe. Diesem Haus gehörte er von 2002 bis 2007 an,
ehe er in das Ensemble der Semperoper wechselte. Zu sei­­nem dortigen Repertoire zählen der Commendatore (»Don Giovanni«),
Osmin (»Entführung aus dem Serail«), Colline (»Bohème«), Titurel (»Parsifal«), Timur (»Turandot«) sowie George Benton (Heggies »Dead Man
Walking«). Mit letzterer Partie war der Bass auch am Theater an der Wien
zu hören, als Fafner (»Rheingold«) trat er an der Deutschen Oper am Rhein,
als Monterone (»Rigoletto«) an der Komischen Oper Berlin auf. In der Rolle
des Osmin debütierte Peter Lobert 2008 an der Staatsoper Stuttgart, seinen
Einstand bei den Salzburger Festspielen gab er 2011 in Janáčeks »Die Sache
Makro­pulos«. Große Erfolge feierte er 2012 am Teatro dell’Opera in Rom als
Sarastro und 2013 an der Pariser Opéra Bastille als Fafner im »Siegfried«,
an der Bayerischen Staatsoper, an der er ab der kommenden Spielzeit ein
neues Engagement antritt, sang er den Antonio (»Figaro«). Auf der Bühne
der Semperoper ist er in Kürze u.a. als Benoît in der »Bohème« sowie in den
Strauss-Opern »Salome«, »Ariadne« und »Guntram« zu erleben.
elektra
Romy Petrick Sopran
Die Vertr aute
A
ls Amelia in der Uraufführung von Manfred Trojahns »La grande magia« gab Romy Petrick 2008 ihr Debüt an der Dresdner
Semperoper, an der sie seit der Spielzeit 2009/2010 im Solis­
tenensemble singt. Zu ihren Partien an diesem Haus gehören
Gretel, Blonde (»Entführung aus dem Serail«), der Waldvogel (»Siegfried«), Musetta (»Bohème«) und Adele (»Fledermaus«), ebenso
Nanetta (»Falstaff«), Fiakermilli (»Arabella«) und Susanna (»Figaro«). Die
Sopranistin gastierte als Blonde am Badischen Staatstheater Karlsruhe
sowie am Deutschen Nationaltheater Weimar, 2011 verkörperte sie die Hermione in der Uraufführung von Trojahns »Orest« an der Nederlandse Opera
Amsterdam, eine Rolle, die sie 2013 auch in der Deutschen Erstaufführung
am Niedersächsischen Staatstheater in Hannover übernahm. Ihre sängeri­
sche Ausbildung erhielt die gebürtige Bautznerin an der Dresdner Musikhochschule, daneben studierte sie Musikwissenschaft und Philosophie an
der TU Dresden und promovierte 2010 über die Dresdner Musikgeschichte.
Ein erstes Festengagement verband die Künstlerin von 2006 bis 2008 mit
den Landesbühnen Sachsen. Als Konzertsängerin war Romy Petrick u.a.
in Bachs Weihnachtsoratorium im Berliner Konzerthaus und in Mozarts
c-Moll-Messe in der Dresdner Frauenkirche zu hören.
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Ute Selbig Sopran
Die Schlepptr ägerin
D
ie gebürtige Dresdnerin Ute Selbig, die ihr Gesangsstudium
in ihrer Heimatstadt absolvierte, ist langjähriges Ensemblemitglied der Semperoper. Darüber hinaus gastierte sie an den
drei großen Berliner Opernhäusern, an den Staatsopern in
München, Hannover und Nürnberg, an der Deutschen Oper am
Rhein, am Grand Théâtre de Genève, am Opernhaus in Zürich oder auch an
den Opern in San Diego, Seattle und Vancouver. 1999 an der Semperoper
zur Kammersängerin ernannt, umfasst ihr Repertoire an ihrer Stammbühne Partien wie die Contessa d’Almaviva, Donna Elvira, Fiordiligi, Angelica,
Agathe, Micaëla, Pamina, Despina, Freia und Eva. In Konzerten und Oratorienaufführungen trat Ute Selbig mit den wichtigen Partien ihres Fachs
bei den führenden Orchestern auf, darunter New York Philharmonic, das
Chicago und das Seattle Symphony Orchestra, das Orchestre de la Suisse
Romande, das Orchestre National de France, das Gewandhausorchester
Leipzig sowie die Sächsische Staatskapelle und die Dresdner Philharmonie.
Wichtige künstlerische Impulse erhielt die Sopranistin, die 1993 als erste
Künstlerin mit dem Christel-Goltz-Preis der Semperoper ausgezeichnet
wurde, durch ihre Arbeit u.a. mit Sir Colin Davis, Giuseppe Sinopoli,
Kent Nagano, Franz Welser-Möst und Peter Schreier.
elektra
Simeon Esper Tenor
Ein Junger Diener
S
owohl in den USA als auch in Europa ist der amerikanische
Tenor Simeon Esper ein gefragter Gast. Er war als Pedrillo (»Entführung aus dem Serail«) an der Deutschen Oper am
Rhein und in Weills »Sieben Todsünden« am Theater an der
Wien zu Gast, als Junger Seemann/Hirte (»Tristan«) stand er
an der Seattle Opera, als Wirt (»Rosenkavalier«) an der San Diego Opera
auf der Bühne. In der Rolle des Spoletta (»Tosca«) gab er sein Debüt an
der Opéra National de Paris, an der Oper Köln konnte man ihn als Valzacchi (»Rosenkavalier«), an der Pariser Opéra Comique als Mr. Upfold (Brittens »Albert Herring«) und am Pariser Théâtre des Champs-Élysées als
Billy in Weills »Mahagonny Songspiel« hören. Simeon Espers Repertoire
umfasst ferner Partien wie den Steuermann (»Fliegender Holländer«),
David (»Meistersinger von Nürnberg«), Loge (»Rheingold«), Vašek (»Verkaufte Braut«) und Beppe (»Pagliacci«). An der Dresdner Semperoper,
an der er seit der Spielzeit 2011/2012 als Ensemblemitglied engagiert
ist, stehen in dieser Saison noch Auftritte u.a. als Oronte (»Alcina«) und
Steuermann (»Fliegender Holländer«), in der »Zauberflöte« und in Jaromír
Weinbergers »Schwanda, der Dudelsackpfeifer« sowie in den Neuproduk­
tionen von »King Arthur« und »Carmen« auf seinem Terminplan.
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Matthias Henneberg Bariton
e i n A lt e r D i e n e r
S
eine ersten Erfahrungen auf der Opernbühne sammelte Matthias Henneberg im Kinderchor in der Dresdner Inszenierung von
Henzes »Der junge Lord« an der Semperoper. Nach seinem Studium in Weimar begann er seine künstlerische Arbeit zunächst als
Mitglied im Opernstudio der Semperoper, 1985 wurde er in das
Dresdner Solistenensemble aufgenommen. 2009 durch das Sächsische
Ministerium für Wissenschaft und Kunst zum Kammersänger ernannt,
verkörperte er unzählige Figuren auf dem Dresdner Podium, vom Heerrufer (»Lohengrin«) über Moralès (»Carmen«) bis Schaunard (»Bohème«),
von Kurwenal (»Tristan«) über Sharpless (»Madama Butterfly«) und Swal­
low (»Peter Grimes«) bis zu Owen Hart in Jake Heggies »Dead Man Walking«. Seine solistischen Aktivitäten in Konzert und Oper sowie bei Rundfunk-, Fernseh- und CD-Produktionen führten Matthias Henneberg mit
herausragenden Dirigentenpersönlichkeiten wie Sir Colin Davis, Giuseppe
Sinopoli, Christoph von Dohnányi, Myung-Whun Chung, Jun Märkl und
Christian Thielemann zusammen. Als Opern-, Lied- und Oratoriensänger
trat er u.a. in Griechenland, Spanien, Belgien, Russland, Bulgarien, Österreich, Tschechien und in der Schweiz auf. 2011 wurde er an der Hochschule
für Musik Carl Maria von Weber in Dresden zum Professor berufen.
elektra
Nadine Secunde Sopran
die Aufseherin
G
eboren in Cleveland (Ohio), trat Nadine Secunde ihr erstes
Engagement am Hessischen Staatstheater in Wiesbaden an.
1985 ging sie als Ensemblemitglied an die Oper Köln, an der
sie in der Titelrolle von Janáčeks »Katja Kabanowa« debütier­
te und ihren internationalen Durchbruch feierte. Sie trat als
Strauss’sche Arabella an der Bayerischen Staatsoper und als Katja Kabanowa an der Hamburgischen Staatsoper auf, gastierte an der Wiener Staats­
oper und am Opernhaus Zürich. Wolfgang Wagner engagierte sie als Elsa für
den »Lohengrin« der Bayreuther Festspiele, bei denen sie auch die Sieglinde
im legendären Kupfer-»Ring« unter der Leitung von Daniel Barenboim sang.
In München konnte man sie u.a. als Elisabeth und in der Uraufführung von
Henzes »Venus und Adonis« hören, in Wien gab sie die Elsa, Sieglinde und
Chrysothemis, unter Christian Thielemann übernahm sie die Elsa in Venedig, die Marschallin in Bologna und die Chrysothemis in San Francisco.
Später verzeichnete sie vor allem in den Partien der Brünnhilde, Isolde und
Elektra große Erfolge, mittlerweile hat sie sich auf das Charakterfach spezialisiert und unterrichtet als Gesangspädagogin. Kürzlich gab sie gemein-­
sam mit Wolfgang Brendel und Siegfried Jerusalem Meisterkurse an der
IVC Wagner Academy in ’s-Hertogenbosch in den Niederlanden.
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Constance Heller Mezzosopran
Die erste M agd
S
eit der Saison 2012/2013 gehört Constance Heller, die am Salzburger Mozarteum studierte, dem Ensemble des Mecklenburgischen Staatstheaters in Schwerin an. An diesem Haus ist sie
derzeit als Sister Helen Prejean in einer Neuinszenierung von
Jake Heggies »Dead Man Walking« zu erleben, zuvor begeisterte
sie im Schweriner »Figaro« als Cherubino, in »Eugen Onegin« steht sie als
Olga auf der Bühne, dazu war sie als Erda in einer Operngala und als Alt­
solistin in Beethovens Neunter zu hören. Nach ihrem letztjährigen Debüt bei
den Schlossfestspielen Schwerin als Orlofsky wird sie dort in diesem Jahr
die Fenena in »Nabucco« verkörpern. Constance Heller gab 2006 in Donizettis »Maria Stuarda« ihren Einstand an der Berliner Staatsoper, Auftritte in
der »Zauberflöte«, »Elektra«, »Parsifal« und Prokofjews »Der Spieler« ließen
sie regelmäßig an die renommierte Bühne zurückkehren, auch ging sie mit
der Lindenoper auf eine Japan-Tournee (Schönbergs »Moses und Aron«).
Weitere Gastspiele führten sie u.a. an die Scala, zur Ruhrtriennale, in das
Festspielhaus Baden-Baden, an die Semperoper und an die Deutsche Oper
Berlin. Neben den Mezzo-Hosenrollen und zahlreichen Wagner-Partien
erstreckt sich ihr Repertoire von Figuren wie Paulina, Ulrica, Amneris und
Dalila bis zu den großen Werken des Oratorien- und Konzertfachs.
elektra
Gala El Hadidi Mezzosopran
Die z weite M agd
D
ie in Kairo geborene Gala El Hadidi studierte Philosophie, Englisch und Vergleichende Literatur in der ägyptischen Hauptstadt sowie Musikwissenschaft an der Yale University (USA).
Stipendien ermöglichten ihr weitere musikalische Studien bei
der Internationalen Bachakademie Stuttgart und an der Savonlinna Musikakademie in Finnland. 2010 gewann sie den Förderpreis der
Metropolitan Opera National Council Auditions, 2011 wurde sie beim angesehenen Gesangswettbewerb Stella Maris mit zwei der drei großen JuryPreise ausgezeichnet, was ein Gastengagement an der Wiener Staatsoper
zur Folge hatte. Nachdem sie bereits mit 18 Jahren festes Ensemblemitglied
der Oper Kairo war, wurde Gala El Hadidi 2010 in das Junge Ensemble der
Dresdner Semperoper engagiert und gehört seit der Saison 2012/2013 zum
festen Solistenensemble des Hauses. Zu ihren Partien an der Semperoper
zählen die Rosina (»Barbiere di Siviglia«) und Dorina (Domenico Sarros
»Dorina e Nibbio«), die Titelpartie in »Prinz Bussel«, Cherubino, Flora
Bervoix (»Traviata«), Maddalena (»Rigoletto«) oder auch die Dritte Dame
in der »Zauberflöte«. Noch in dieser Spielzeit ist die Sängerin u.a. als Rosina sowie in der Titelpartie der neuinszenierten »Carmen« auf dem Dresd­ner Opernpodium zu sehen und zu hören.
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Christa Mayer Mezzosopran
Die drit te M agd
I
n Sulzbach-Rosenberg in der Oberpfalz geboren, studierte Chris­t a
Mayer an der Bayerischen Singakademie und an der Münchner Mu­
sikhochschule. Seit 2001 ist die Preisträgerin des renommierten
ARD-Musikwettbewerbs Ensemblemitglied der Semperoper. Gastverpflichtungen führten sie an die Hamburgische und die Bayerische
Staatsoper, an die Opernhäuser in Berlin, Venedig, Florenz und Sevilla oder
auch zum Rheingau und zum Schleswig-Holstein Musik Festival. 2007 war
sie im Fura-dels-Baus-»Ring« in Valencia unter der Leitung von Zubin Mehta zu erleben, 2013 gastierte sie unter Jonathan Nott als Erda beim Lucerne
Festival in der konzertanten Gesamtaufführung des Wagner’schen »Ring«
der Bamberger Symphoniker. Mehrfach trat die Sängerin unter Kapellchef
Christian Thielemann auf: In Bayreuth sang sie unter ihm die Erda, Waltraute und Mary, in diesem Jahr wird sie ihn und die Sächsische Staatskapelle zu den Osterfestspielen Salzburg begleiten und als Solistin in Mozarts
Requiem ihr dortiges Festivaldebüt geben. Dem Dresdner Opernpublikum
präsentiert sie sich in dieser Saison über ihre Auftritte in der Neuproduktion der »Elektra« hinaus u.a. auch als Bradamante in Händels »Alcina«, als
Mary im »Fliegenden Holländer« sowie in Strauss’ »Guntram«. 2004 wurde
ihr der Christel-Goltz-Preis der Semperoper verliehen.
elektra
Rachel Willis-Sørensen Sopran
die vierte M agd
I
nnerhalb kürzester Zeit hat sich Rachel Willis-Sørensen einen exzellenten Namen in der internationalen Opernszene gemacht. 2010 gewann sie die Metropolitan Opera National Council Auditions, 2011 den
in Wien ausgetragenen Hans Gabor Belvedere Gesangswettbewerb.
Seit der Spielzeit 2012/2013 Ensemblemitglied der Semperoper, stellte
sich die Sopranistin als Elettra und Donna Anna dem Dresdner Publikum
vor und gab ihr Rollendebüt als Vitellia (»Clemenza di Tito«). In dieser Saison singt sie an der Semperoper die Mimì (»Bohème«) sowie die Fiordiligi
in der neuen »Così fan tutte«, als Hanna Glawari war sie in der »Lustigen
Witwe«, als Diemut ist sie in Strauss’ »Feuersnot« zu erleben. Dazu wird sie
in den Symphoniekonzerten der Sächsischen Staatskapelle unter MyungWhun Chung, dem Ersten Gastdirigenten des Orchesters, als Solistin in
Mahlers »Auferstehungssymphonie« zu hören sein. Rachel Willis-Sørensen,
die ihre Ausbildung u.a. an der Brigham Young University (Utah) und am
Opernstudio der Houston Grand Opera erhielt, war unter Antonio Pappano
als Contessa d’Almaviva und als Gutrune (»Götterdämmerung«) am Royal
Opera House in London zu Gast, in Saint Louis glänzte sie als Fiordiligi.
2012 feierte sie ihren Einstand bei Los Angeles Philharmonic unter Leonard
Slatkin in der Hollywood Bowl in Beethovens Neunter.
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Nadja Mchantaf Sopran
die fünfte M agd
E
iner langjährigen Tanzausbildung, die sie mehrfach Norddeutsche Meisterin im Turniertanz werden ließ, schloss sich Nadja
Mchantafs Gesangsstudium in Leipzig an. Noch während dieses
Studiums gastierte sie an der Oper Leipzig, im Gewandhaus und
beim Bachfest Leipzig. Zu den gesungenen Partien in dieser Zeit
zählen Lisette (Puccinis »Rondine«), Ljusja (Schostakowitschs »Moskau,
Tscherjomuschki«) und Gretel. Direkt nach dem Examen trat die Sängerin
aus dem schleswig-holsteinischen Husum ihr Engagement im Jungen Ensemble der Semperoper an und brillierte 2010 in der Titelpartie von Henzes
»Gisela!« in der Dresdner Uraufführung, seit 2011 ist sie Mitglied des festen
Ensembles dieses Hauses. In der Elbestadt übernimmt Nadja Mchantaf Rollen wie Musetta, Micaëla, Pamina, Servilia (»Clemenza di Tito«), Gretel, Valencienne (»Lustige Witwe«), Lucilla (Hasses »Tutore«) sowie die Morgana in
Händels »Alcina«, mit der sie auch in Stuttgart zu Gast war. In der Dresd­ner Neuinszenierung von »Moskau, Tscherjomuschki« verkörpert sie die
Lidotschka, im »King Arthur« spielt sie die Rolle der Matilda und singt u.a.
die Venus. Kommende Engagements Nadja Mchantafs sind Auftritte in der
Dresdner Frauenkirche unter Ludwig Güttler in Bachs Matthäuspassion und
bei den Erfurter DomStufen-Festspielen in einer »Jedermann«-Oper.
elektra
Sächsischer
Staatsopernchor
Dresden
Chordirek tor
P a b l o a ss a n t e
D
er Dresdner Opernchor wurde am 8. Oktober 1817 durch königliches Dekret von Friedrich August dem Gerechten gegrün­det. Die Erlassung dieses Dekrets war vor allem ein Verdienst
Carl Maria von Webers, der als neu engagierter Hofkapellmeister 1817 den Auftrag erhalten hatte, neben der traditionsreichen italienischen Oper am Königlichen Hoftheater in Dresden auch ein
deutsches »Opern-Departement« aufzubauen. Weber forderte die Einrichtung eines »stehenden Theaterchors«, der den gestiegenen Anforderungen
des dafür neu zu schaffenden Opernrepertoires gewachsen sein würde.
In der Folgezeit entwickelte sich das Ensemble zu einem erstrangigen und gefragten Klangkörper. Über die Jahrhunderte hinweg
pflegten hervorragende Künstlerpersönlichkeiten wie der Gesangspäda­
goge Johann Miksch, der Wagner-Freund Christian Wilhelm Fischer und
dessen Sohn Carl August Wilhelm Fischer, Karl Maria Pembaur, Ernst
Hintze, Hans-Dieter Pflüger und Matthias Brauer ein bis heute spezielles,
diesem Staatsopernchor zugehörendes Klangideal, das besonders auch
durch die rege Konzerttätigkeit des Chores beeinflusst wurde. Homogenität des Klangs, klangliche Noblesse und kultivierter Pianogesang bei
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gleichzeitiger Klangdichte und -fülle sind wesentliche Attribute, die für
den Sächsischen Staats­opernchor Dresden stehen.
Künstlerisch umsichtig und traditionsbewusst geleitet, zählt der
Staatsopernchor heute zu den besten Opernchören Europas. Chordirek­tor
der Sächsischen Staatsoper Dresden ist seit 2009 Pablo Assante. Regelmäßig
konzertiert das Ensemble mit der Sächsischen Staatskapelle Dresden; bedeutende Dirigenten wie Giuseppe Sinopoli, Sir Colin Davis, Herbert Blomstedt,
Zubin Mehta, Fabio Luisi, Daniele Gatti, Bernard Haitink und Christian
Thielemann haben mit dem Chor zusammengearbeitet. Zuletzt in den Kapellkonzerten zu erleben waren die Sängerinnen und Sänger vor wenigen
Wochen in den Silvesterkonzerten und zuvor in den Geburtstagskonzerten zu
Ehren Richard Wagners, jeweils unter der Leitung von Christian Thielemann.
Opern- und Konzertreisen sowie eine kontinuierliche Präsenz bei
Festspielen und in Rundfunk und Fernsehen brachten dem Dresdner Staatsopernchor weltweite Beachtung ein. Tourneen führten den Chor u.a. nach
Russland, Italien, Österreich, Spanien, Frankreich sowie nach Japan. Eine
Vielzahl von CD- und DVD-Produktionen – nicht zuletzt mit der Staatskapelle Dresden – zeugen von der außerordentlichen Qualität des Ensembles.
elektra
A n n i e K r u l l (E l e k t r a ) u n d C a r l P e r r o n (O r e s t )
i n d e r D r e s d n e r U r au f f ü h r u n g (19 0 9)
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elektra
Libretto
ER S TE MAGD
Elektra
Tragödie in einem Aufzuge
von Hugo von Hofmannsthal
Musik von Richard Strauss
© 1987 Fürstner Musikverlag GmbH, Mainz
(für die Gebiete Deutschland, Danzig, Italien, Portugal
und die Nachfolgestaaten der UdSSR außer Estland, Lettland und Litauen)
Immer, wenn die Sonne tief steht,
liegt sie und stöhnt.
DRITTE MAGD
Da gingen wir zu zweit
und kamen ihr zu nah –
ER S TE MAGD
sie hält’s nicht aus,
wenn man sie ansieht.
Vorhang auf
DRITTE MAGD
Der innere Hof, begrenzt von der Rückseite des Palastes und niedrigen
Gebäuden, in denen die Diener wohnen. Dienerinnen am Ziehbrunnen,
links vorn. Aufseherin unter ihnen.
Ja, wir kamen ihr
zu nah. Da fauchte sie wie eine Katze
uns an. »Fort, Fliegen!«, schrie sie, »fort!«
ER S TE MAGD
VIERTE MAGD
ihr Wassergefäß aufhebend
Wo bleibt Elektra?
»Schmeißfliegen, fort!«
Z W EITE MAGD
»Sitzt nicht auf meinen Wunden!«
und schlug nach uns mit einem Strohwisch.
DRITTE MAGD
Ist doch ihre Stunde,
die Stunde, wo sie um den Vater heult,
daß alle Wände schallen.
VIERTE MAGD
»Schmeißfliegen, fort!«
Elektra kommt aus der [!] schon dunkelnden Hausflur gelaufen. Alle drehen sich
nach ihr um. Elektra springt zurück wie ein Tier in seinen Schlupfwinkel,
den einen Arm vor dem Gesicht.
ER S TE MAGD
DRITTE MAGD
»Ihr sollt das Süße nicht
abweiden von der Qual. Ihr sollt nicht schmatzen
nach meiner Krämpfe Schaum.«
Habt ihr gesehn, wie sie uns ansah?
VIERTE MAGD
Z W EITE MAGD
Giftig,
wie eine wilde Katze.
»Geht ab, verkriecht euch«,
schrie sie uns nach: »Eßt Fettes, und eßt Süßes,
und geht zu Bett mit euren Männern«, schrie sie,
und die –
DRITTE MAGD
Neulich lag sie da
und stöhnte …
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DRITTE MAGD
Ich war nicht faul –
elektra
VIERTE MAGD
die gab ihr Antwort!
seufzend
Hast du
den Herrn nie sie schlagen sehn?
DRITTE MAGD
»Ja, wenn du hungrig bist«, gab ich zur Antwort,
»so ißt du auch!« Da sprang sie auf und schoß
gräßliche Blicke, reckte ihre Finger
wie Krallen gegen uns und schrie: »Ich füttre
mir einen Geier auf im Leib!«
Z W EITE MAGD
FÜNFTE MAGD
ganz jung, mit zitternder, erregter Stimme
Ich will
vor ihr mich niederwerfen und die Füße
ihr küssen. Ist sie nicht ein Königskind
und duldet solche Schmach? Ich will die Füße
ihr salben und mit meinem Haar sie trocknen.
Und du?
DIE AUF S EHERIN
DRITTE MAGD
»Drum hockst du immerfort«, gab ich
zurück, »wo Aasgeruch dich hält, und scharrst
nach einer alten Leiche.«
Z W EITE MAGD
Und was sagte
sie da?
stößt sie
Hinein mit dir!
FÜNFTE MAGD
Es gibt nichts auf der Welt,
das königlicher ist als sie. Sie liegt
in Lumpen auf der Schwelle, aber Niemand,
Niemand ist hier im Haus, der ihren Blick
aushält.
DRITTE MAGD
Sie heulte nur und warf sich
in ihren Winkel.
DIE AUF S EHERIN
stößt sie in die offene niedere Tür links vorn
Hinein!
ER S TE MAGD
Daß die Königin
solch einen Dämon frei in Haus und Hof
sein Wesen treiben läßt.
Z W EITE MAGD
Das eigne Kind!
ER S TE MAGD
Wär’ sie mein Kind, ich hielte, ich – bei Gott! –
sie unter Schloß und Riegel!
VIERTE MAGD
Sind sie dir
nicht hart genug mit ihr? Setzt man ihr nicht
den Napf mit Essen zu den Hunden?
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FÜNFTE MAGD
in die Tür geklemmt
Ihr alle seid nicht wert,
die Luft zu atmen, die sie atmet! O
könnt’ ich euch alle, euch, erhängt am Halse,
in einer Scheuer Dunkel hängen sehn
um dessen willen, was ihr an Elektra
getan.
DIE AUF S EHERIN
schlägt die Tür zu
Hört ihr das? Wir, an Elektra,
die ihren Napf von unserm Tische stieß,
als man mit uns sie essen hieß, die ausspie
vor uns und Hündinnen uns nannte.
elektra
ER S TE MAGD
Was?
Sie sagte: keinen Hund kann man erniedern,
wozu man uns hat abgerichtet: daß wir
mit Wasser und mit immer frischem Wasser
das ewige Blut des Mordes von der Diele
abspülen –
DRITTE MAGD
»und die Schmach«, so sagte sie,
»die Schmach, die sich bei Tag und Nacht erneut,
in Winkel fegen.«
ER S TE MAGD
»Unser Leib«, so schreit sie,
»starrt von dem Unrat, dem wir dienstbar sind.«
Die Mägde tragen die Gefäße ins Haus links.
DIE AUF S EHERIN
(die ihnen die Tür aufgemacht hat)
Und wenn sie uns mit unsern Kindern sieht,
so schreit sie: »Nichts kann so verflucht sein, nichts,
als Kinder, die wir hündisch auf der Treppe
im Blute glitschend hier in diesem Hause
empfangen und geboren haben.« Sagt sie
das oder nicht?
e r s t e , z w e i t e , d r i t t e u n d v i e r t e M ag d
im Abgehen
Ja, ja!
DIE AUF S EHERIN
Sagt sie das oder nicht?
e r s t e , z w e i t e , d r i t t e u n d v i e r t e M ag d
alle schon drinnen
Ja, ja.
f ü n f t e m ag d
innen
Sie schlagen mich.
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Die Aufseherin geht hinein, die Tür fällt zu.
Elektra tritt aus dem Hause.
ELEKTRA
Allein! Weh, ganz allein. Der Vater fort,
hinabgescheucht in seine kalten Klüfte …
gegen den Boden
Agamemnon! Agamemnon!
Wo bist du, Vater? Hast du nicht die Kraft,
dein Angesicht herauf zu mir zu schleppen?
leise
Es ist die Stunde, unsre Stunde ist’s,
die Stunde, wo sie dich geschlachtet haben,
dein Weib und der mit ihr in einem Bette,
in deinem königlichen Bette schläft.
Sie schlugen dich im Bade tot, dein Blut
rann über deine Augen, und das Bad
dampfte von deinem Blut. Da nahm er dich,
der Feige, bei den Schultern, zerrte dich
hinaus aus dem Gemach, den Kopf voraus,
die Beine schleifend hinterher: Dein Auge,
das starre, offne, sah herein ins Haus.
So kommst du wieder, setzest Fuß vor Fuß
und stehst auf einmal da, die beiden Augen
weit offen, und ein königlicher Reif
von Purpur ist um deine Stirn, der speist sich
aus des Hauptes offner Wunde.
Agamemnon! Vater!
Ich will dich sehn, laß mich heute nicht allein!
Nur so wie gestern, wie ein Schatten, dort
im Mauerwinkel zeig dich deinem Kind!
Vater! Agamemnon, dein Tag wird kommen.
Von den Sternen
stürzt alle Zeit herab, so wird das Blut
aus hundert Kehlen stürzen auf dein Grab!
So wie aus umgeworfnen Krügen wird’s
aus den gebundnen Mördern fließen,
und in einem Schwall, in einem
geschwollnen Bach wird ihres Lebens Leben
aus ihnen stürzen –
in feierlichem Pathos
und wir schlachten dir
elektra
die Rosse, die im Hause sind, wir treiben
sie vor dem Grab zusammen, und sie ahnen
den Tod und wiehern in die Todesluft
und sterben. Und wir schlachten dir die Hunde,
die dir die Füße leckten,
die mit dir gejagt, denen du
die Bissen hinwarfst, darum muß ihr Blut
hinab, um dir zu Dienst zu sein, und wir, wir,
dein Blut, dein Sohn Orest und deine Töchter,
wir drei, wenn Alles dies vollbracht und
Purpurgezelte aufgerichtet sind vom Dunst
des Blutes, den die Sonne nach sich zieht,
dann tanzen wir, dein Blut, rings um dein Grab:
in begeistertem Pathos
und über Leichen hin werd’ ich das Knie
hochheben Schritt für Schritt, und die mich werden
so tanzen sehn, ja, die meinen Schatten
von weitem nur so werden tanzen sehn,
die werden sagen: einem großen König
wird hier ein großes Prunkfest angestellt
von seinem Fleisch und Blut, und glücklich ist,
wer Kinder hat, die um sein hohes Grab
so königliche Siegestänze tanzen.
Agamemnon! Agamemnon!
CHRY S OTHEMI S
die jüngere Schwester, steht in der Haustür
Elektra!
ELEKTRA
fährt zusammen und starrt zuerst,
wie aus einem Traum erwachend, auf Chrysothemis
Ah, das Gesicht!
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Chrysothemis hebt, wie
abwehrend, die Hände.
ELEKTRA
Was hebst du die Hände?
So hob der Vater seine beiden Hände,
da fuhr das Beil hinab und spaltete
sein Fleisch. Was willst du? Tochter meiner
Mutter, Tochter Klytämnestras?
CHRY S OTHEMI S
leise
Sie haben etwas Fürchterlichtes vor.
ELEKTRA
Die beiden Weiber?
CHRY S OTHEMI S
Wer?
ELEKTRA
Nun, meine Mutter
und jenes andre Weib, die Memme, ei,
Aegisth, der tapfre Meuchelmörder, er,
der Heldentaten nur im Bett vollführt.
Was haben sie denn vor?
CHRY S OTHEMI S
Sie werfen dich
in einen Turm, wo du von Sonn’ und Mond
das Licht nicht sehen wirst.
Elektra lacht.
CHRY S OTHEMI S
CHRY S OTHEMI S
steht an die Tür gedrückt
Ist mein Gesicht dir so verhaßt?
Sie tun’s, ich weiß es,
ich hab’s gehört.
ELEKTRA
ELEKTRA
heftig
Was willst du? Rede, sprich, ergieße dich,
dann geh und laß mich!
Wie hast denn du
es hören können?
elektra
CHRY S OTHEMI S
leise
An der Tür, Elektra.
ELEKTRA
ausbrechend
Mach keine Türen auf in diesem Haus!
Gepreßter Atem, pfui! und Röcheln von Erwürgten,
nichts andres gibt’s in diesen Mauern,
mach keine Türen auf! Schleich nicht herum,
sitz an der Tür wie ich und wünsch den Tod
und das Gericht herbei auf sie und ihn.
CHRY S OTHEMI S
Ich kann nicht sitzen und ins Dunkel starren,
wie du. Ich hab’s wie Feuer in der Brust,
es treibt mich immerfort herum im Haus;
in keiner Kammer leidet’s mich, ich muß
von einer Schwelle auf die andre, ach!
treppauf, treppab, mir ist, als rief’ es mich,
und komm ich hin, so stiert ein leeres Zimmer
mich an. Ich habe solche Angst, mir zittern
die Knie bei Tag und Nacht, mir ist die Kehle
wie zugeschnürt, ich kann nicht einmal weinen,
wie Stein ist alles! Schwester, hab Erbarmen!
ELEKTRA
Mit wem?
CHRY S OTHEMI S
Du bist es, die mit Eisenklammern
mich an den Boden schmiedet. Wärst nicht du,
sie ließen uns hinaus. Wär nicht dein Haß,
dein schlafloses, unbändiges Gemüt,
vor dem sie zittern, ah, so ließen sie
uns ja heraus aus diesem Kerker, Schwester!
leidenschaftlich
Ich will heraus! Ich will nicht jede Nacht
bis an den Tod hier schlafen! Eh’ ich sterbe,
will ich auch leben!
äußerst lebhaft und feurig
Kinder will ich haben,
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bevor mein Leib verwelkt, und wär’s ein Bauer,
dem sie mich geben, Kinder will ich ihm
gebären und mit meinem Leib sie wärmen
in kalten Nächten, wenn der Sturm die Hütte
zusammenschüttelt!
Hörst du mich an? Sprich zu mir, Schwester!
ELEKTRA
Armes Geschöpf!
CHRY S OTHEMI S
stets äußerst erregt
Hab Mitleid mit dir selber und mit mir!
Wem frommt denn solche Qual?
Der Vater, der ist tot. Der Bruder kommt nicht heim.
Immer sitzen wir auf der Stange
wie angehängte Vögel, wenden links
und rechts den Kopf und niemand kommt, kein Bruder,
kein Bote von dem Bruder, nicht der Bote
von einem Boten, nichts. Mit Messern
gräbt Tag um Tag in dein und mein Gesicht
sein Mal, und draußen geht die Sonne auf
und ab, und Frauen, die ich schlank gekannt hab’,
sind schwer von Segen, müh’n sich zum Brunnen,
heben kaum die Eimer, und auf einmal
sind sie entbunden ihrer Last, kommen
zum Brunnen wieder und aus ihnen selber
quillt süßer Trank, und säugend hängt ein Leben
an ihnen, und die Kinder werden groß. –
Nein, ich bin
ein Weib und will ein Weiberschicksal!
Viel lieber tot, als leben und nicht leben.
Sie bricht in heftiges Weinen aus.
ELEKTRA
Was heulst du? Fort, hinein! Dort ist dein Platz!
Es geht ein Lärm los.
höhnisch
Stellen sie vielleicht
für dich die Hochzeit an? Ich hör sie laufen.
Das ganze Haus ist auf. Sie kreißen, oder
elektra
sie morden! Wenn es an Leichen mangelt,
drauf zu schlafen, müssen sie doch morden!
CHRY S OTHEMI S
Geh fort, verkriech dich! daß sie dich nicht sieht.
Stell dich ihr heut’ nicht in den Weg: sie schickt
Tod aus jedem Blick. Sie hat geträumt.
Der Lärm von vielen Kommenden drinnen, allmählich näher
Geh fort von hier. Sie kommen durch die Gänge.
Sie kommen hier vorbei. Sie hat geträumt. Sie hat geträumt,
ich weiß nicht, was, ich hab’ es
von den Mägden gehört:
sie sagen, daß sie von Orest, von Orest geträumt hat,
daß sie geschrien hat aus ihrem Schlaf,
wie einer schreit, den man erwürgt.
Fackeln und Gestalten erfüllen den Gang links von der Tür.
CHRY S OTHEMI S
Sie kommen schon, sie treibt die Mägde alle
mit Fackeln vor sich her. Sie schleppen Tiere
und Opfermesser. Schwester, wenn sie zittert,
ist sie am schrecklichsten.
dringend
Geh ihr nur heut,
nur diese Stunde geh aus ihrem Weg!
die dunkelviolett gekleidet ist, und auf einen elfenbeinern,
mit Edelsteinen geschmückten Stab. Eine gelbe Gestalt,
mit zurückgekämmtem schwarzem Haar, einer Egypterin ähnlich,
mit glattem Gesicht, einer aufgerichteten Schlange gleichend,
trägt ihr die Schleppe. Die Königin ist über und über bedeckt
mit Edelsteinen und Talismanen. Die Arme sind voll von Reifen,
ihre Finger starren von Ringen. Die Lider ihrer Augen scheinen
übermäßig groß, und es scheint ihr eine furchtbare
Anstrengung zu kosten, sie offen zu halten.
Elektra richtet sich hoch auf.
KLYTÄMNE S TRA
öffnet jäh die Augen, zitternd vor Zorn tritt sie ans Fenster
und zeigt mit dem Stock auf Elektra
Was willst du? Seht doch, dort! So seht doch das!
Wie es sich aufbäumt mit geblähtem Hals
und nach mir züngelt! Und das laß ich frei
in meinem Hause laufen!
schwer atmend
Wenn sie mich mit ihren Blicken töten könnte!
O Götter, warum liegt ihr so auf mir?
Warum verwüstet ihr mich so? Warum
muß meine Kraft in mir gelähmt sein? Warum
bin ich lebendigen Leibes wie ein wüstes
Gefild und diese Nessel wächst aus mir
heraus, und ich hab’ nicht die Kraft zu jäten?
Warum geschieht mir das, ihr ew’gen Götter?
ELEKTRA
Ich habe eine Lust, mit meiner Mutter
zu reden, wie noch nie!
CHRY S OTHEMI S
Ich will’s nicht hören!
stürzt ab durch die Hoftür
An den grell erleuchteten Fenstern klirrt und schlürft ein
hastiger Zug vorüber: es ist ein Zerren, ein Schleppen von Tieren,
ein gedämpftes Keifen, ein schnell ersticktes Aufschrein,
das Niedersausen einer Peitsche, ein Aufraffen, ein Weitertaumeln.
In dem breiten Fenster erscheint Klytämnestra. Ihr fahles,
gedunsenes Gesicht, in dem grellen Licht der Fackeln, erscheint noch bleicher
über dem scharlachroten Gewand. Sie stützt sich auf eine Vertraute,
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ELEKTRA
ruhig
Die Götter! Bist doch selber eine Göttin,
bist, was sie sind!
KLYTÄMNE S TRA
zu ihren Begleiterinnen
Habt ihr gehört? Habt ihr
verstanden, was sie redet?
DIE VERTRAUTE
Daß auch du
vom Stamm der Götter bist.
elektra
DIE S CHLEPPTRÄGERIN
zischend
Sie meint es tückisch.
Klytämnestras schwere Augenlider fallen zu.
KLYTÄMNE S TRA
weich
Das klingt mir so bekannt. Und nur als hätt’ ich’s
vergessen, lang und lang. Sie kennt mich gut.
Doch weiß man nie, was sie im Schilde führt.
Die Vertraute und die Schleppträgerin flüstern miteinander.
ELEKTRA
nähert sich langsam Klytämnestra
Du bist nicht mehr du selber. Das Gewürm
hängt immerfort um dich! Was sie ins Ohr
dir zischen, trennt dein Denken fort und fort
entzwei, so gehst du hin im Taumel, immer
bist du, als wie im Traum.
KLYTÄMNE S TRA
Ich will hinunter.
Laßt, laßt, ich will mit ihr reden.
Sie geht vom Fenster weg und erscheint mit ihren Begleiterinnen in der Tür.
Von der Türschwelle aus, etwas weicher
Sie ist heute
nicht widerlich. Sie redet wie ein Arzt.
DIE VERTRAUTE
flüsternd
Sie redet
nicht, wie sie’s meint.
DIE S CHLEPPTRÄGERIN
Ein jedes Wort ist Falschheit.
KLYTÄMNE S TRA
E r n e s t i n e S c h u m a n n - H e i n k a l s K ly tä m n e s t r a (L i n k s)
u n d A n n i e K r u l l a l s E l e k t r a i n d e r U r au f f ü h r u n g (19 0 9)
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auffahrend
Ich will Nichts hören! Was aus euch herauskommt,
ist nur der Atem des Aegisth.
elektra
Und wenn ich nachts euch wecke, redet ihr
nicht jede etwas andres? Schreist nicht du,
daß meine Augenlider angeschwollen
und meine Leber krank ist? Und winselst
nicht du in’s and’re Ohr, daß du Dämonen
gesehen hast mit langen spitzen Schnäbeln,
die mir das Blut aussaugen? Zeigst du nicht
die Spuren mir an meinem Fleisch, und folg’ ich
dir nicht und schlachte, schlachte, schlachte Opfer
um Opfer? Zerrt ihr mich mit euren Reden
und Gegenreden nicht zu Tod? Ich will nicht
mehr hören: Das ist wahr, und das ist Lüge.
dumpf
Was die Wahrheit ist, das bringt
kein Mensch heraus. Wenn sie
zu mir redet,
immer schwer atmend
was mich zu hören freut,
so will ich horchen, auf was sie redet.
Wenn einer etwas Angenehmes sagt,
heftig
und wär’ es meine Tochter, wär’ es die da,
will ich von meiner Seele alle Hüllen
abstreifen und das Fächeln sanfter Luft,
von wo es kommen mag, einlassen, wie
die Kranken tun, wenn sie der kühlen Luft,
am Teiche sitzend, abends ihre Beulen
und all ihr Eiterndes der kühlen Luft
preisgeben, abends … und nichts andres denken,
als Linderung zu schaffen.
Laßt mich allein mit ihr!
Ungeduldig weist sie mit dem Stock die Vertraute und die Schleppträgerin
ins Haus. Diese verschwinden zögernd in der Tür. Auch die Fackeln
verschwinden, und nur aus dem Innern des Hauses fällt ein schwacher
Schein durch den Flur auf den Hof und streift hie und da die Gestalten
der beiden Frauen. Klytämnestra kommt herab.
KLYTÄMNE S TRA
leise
Ich habe keine guten Nächte. Weißt du
kein Mittel gegen Träume?
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ELEKTRA
näher rückend
Träumst du, Mutter?
KLYTÄMNE S TRA
Wer älter wird, der träumt. Allein, es läßt sich
vertreiben. Es gibt Bräuche.
Es muß für Alles richtge Bräuche geben.
Darum bin ich so
behängt mit Steinen, denn es wohnt in jedem
ganz sicher eine Kraft. Man muß nur wissen,
wie man sie nützen kann. Wenn du nur wolltest,
du könntest etwas sagen, was mir nützt.
ELEKTRA
Ich, Mutter, ich?
KLYTÄMNE S TRA
ausbrechend
Ja, du? Denn du bist klug.
In deinem Kopf ist alles stark.
Du könntest vieles sagen, was mir nützt.
Wenn auch ein Wort nichts weiter ist! Was ist denn
ein Hauch? Und doch kriecht zwischen Tag und Nacht,
wenn ich mit offnen Augen lieg’, ein Etwas
hin über mich. Es ist kein Wort, es ist
kein Schmerz, es drückt mich nicht, es würgt mich nicht.
Nichts ist es, nicht einmal ein Alp, und dennoch,
es ist so fürchterlich, daß meine Seele
sich wünscht, erhängt zu sein, und jedes Glied
in mir schreit nach dem Tod, und dabei leb’ ich
und bin nicht einmal krank: Du siehst mich doch:
seh’ ich wie eine Kranke? Kann man denn
vergehn, lebend, wie ein faules Aas?
Kann man zerfallen, wenn man gar nicht krank ist?
zerfallen wachen Sinnes, wie ein Kleid,
zerfressen von den Motten? Und dann schlaf’ ich
und träume, träume, daß sich mir das Mark
in den Knochen löst, und taumle wieder auf,
und nicht der zehnte Teil der Wasseruhr
ist abgelaufen, und was unter’m Vorhang
hereingrinst, ist noch nicht der fahle Morgen,
elektra
nein, immer noch die Fackel vor der Tür,
die gräßlich zuckt, wie ein Lebendiges
und meinen Schlaf belauert.
Diese Träume müssen
ein Ende … haben … Wer sie immer schickt,
ein jeder Dämon läßt von uns, sobald
das rechte Blut geflossen ist.
ELEKTRA
Wunderbare Bräuche,
und sehr genau zu üben.
KLYTÄMNE S TRA
heftig
Rede doch!
ELEKTRA
ELEKTRA
Ein jeder!
Kannst du mich nicht erraten?
KLYTÄMNE S TRA
KLYTÄMNE S TRA
wild
Und müßt’ ich jedes Tier, das kriecht und fliegt,
zur Ader lassen und im Dampf des Blutes
aufsteh’n und schlafen gehn, wie die Völker
des letzten Thule in blutroten Nebel:
ich will nicht länger träumen.
Nein, darum frag’ ich.
Elektra gleichsam feierlich beschwörend
Den Namen sag’ des Opfertiers!
ELEKTRA
Ein Weib!
ELEKTRA
KLYTÄMNE S TRA
Wenn das rechte
Blutopfer unter’m Beile fällt, dann träumst du
nicht länger!
Von meinen Dienerinnen eine, sag’,
ein Kind, ein jungfräuliches Weib? Ein Weib,
das schon erkannt vom Manne?
KLYTÄMNE S TRA
ELEKTRA
sehr hastig
Also wüßtest du, mit welchem
geweihten Tier? –
ruhig
Ja! erkannt,
das ist’s.
ELEKTRA
KLYTÄMNE S TRA
geheimnisvoll lächelnd
Mit einem ungeweihten.
dringend
Und wie das Opfer? Und welche Stunde?
Und wo?
KLYTÄMNE S TRA
Das drin gebunden liegt?
ELEKTRA
ELEKTRA
ruhig
An jedem Ort, zu jeder Stunde
des Tags und der Nacht.
Nein, es läuft frei.
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KLYTÄMNE S TRA
KLYTÄMNE S TRA
Und was für Bräuche?
Die Bräuche sag’!
Wie brächt’ ich’s dar? Ich selber muß –
elektra
ELEKTRA
KLYTÄMNE S TRA
Nein, diesmal
gehst du nicht auf die Jagd mit Netz und mit Beil.
Wer sagt das?
ELEKTRA
KLYTÄMNE S TRA
Wer denn? Wer brächt’ es dar?
Mutter,
du zitterst ja!
ELEKTRA
KLYTÄMNE S TRA
Ein Mann.
Wer fürchtet sich
vor einem Schwachsinnigen.
KLYTÄMNE S TRA
Aegisth?
ELEKTRA
Wie?
ELEKTRA
lacht
Ich sagte doch, ein Mann!
KLYTÄMNE S TRA
KLYTÄMNE S TRA
Es heißt,
er stammelt, liegt im Hofe bei den Hunden
und weiß nicht Mensch und Tier zu unterscheiden.
Wer? gib mir Antwort.
Vom Hause jemand? Oder muß ein Fremder
herbei?
Das Kind war ganz gesund.
ELEKTRA
ELEKTRA
KLYTÄMNE S TRA
zu Boden stierend, wie abwesend
Ja, ja, ein Fremder, aber freilich
ist er vom Haus.
Es heißt, sie gaben
ihm schlechte Wohnung und Tiere
des Hofes zur Gesellschaft.
KLYTÄMNE S TRA
ELEKTRA
Gib mir nicht Rätsel auf.
Elektra, hör’ mich an. Ich freue mich,
daß ich dich heut’ einmal nicht störrisch finde …
Ah!
ELEKTRA
leise
Läßt du den Bruder nicht nach Hause, Mutter?
KLYTÄMNE S TRA
mit gesenkten Augenlidern
Ich schickte
viel Gold und wieder Gold, sie sollten ihn
gut halten wie ein Königskind.
KLYTÄMNE S TRA
ELEKTRA
Von ihm zu reden hab’ ich dir verboten.
Du lügst!
Du schicktest Gold, damit sie ihn erwürgen.
ELEKTRA
So hast du Furcht vor ihm?
KLYTÄMNE S TRA
Wer sagt dir das?
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elektra
ELEKTRA
ELEKTRA
Ich seh’s an deinen Augen.
Allein an deinem Zittern seh’ ich auch,
daß er noch lebt, daß du bei Tag und Nacht
an nichts denkst als an ihn. Daß dir das Herz
verdorrt vor Grauen, weil du weißt: er kommt.
Hinab die Treppen durch Gewölbe hin,
Gewölbe und Gewölbe geht die Jagd.
Und ich, ich, ich, ich, ich, die ihn dir geschickt,
ich bin wie ein Hund an deiner Ferse,
willst du in eine Höhle, spring ich dich
von seitwärts an. So treiben wir dich fort,
bis eine Mauer Alles sperrt, und dort
im tiefsten Dunkel, doch ich seh ihn wohl,
ein Schatten, und doch Glieder und das Weiße
von einem Auge doch, da sitzt der Vater,
er achtet’s nicht, und doch muß es geschehn,
zu seinen Füßen drücken wir dich hin.
Du möchtest schreien, doch die Luft erwürgt
den ungebornen Schrei, und läßt ihn lautlos
zu Boden fallen, wie von Sinnen hältst du
den Nacken hin, fühlst schon die Schärfe zucken
bis an den Sitz des Lebens, doch er hält
den Schlag zurück, die Bräuche sind noch nicht erfüllt.
Alles schweigt, du hörst dein eignes Herz
an deinen Rippen schlagen: Diese Zeit
– sie dehnt sich vor dir wie ein finstrer Schlund
von Jahren – diese Zeit ist dir gegeben
zu ahnen, wie es Scheiternden zu Mute ist,
wenn ihr vergebliches Geschrei die Schwärze
der Wolken und des Todes zerfrißt, diese Zeit
ist dir gegeben, alle zu beneiden,
die angeschmiedet sind an Kerkermauern,
die auf dem Grund von Brunnen nach dem Tod
als wie nach Erlösung schrei’n – denn du,
du liegst in deinem Selbst so eingekerkert,
als wär’s der glühnde Bauch von einem Tier
von Erz – und so wie jetzt kannst du nicht schrein!
Da steh’ ich
vor dir, und nun liest du mit starrem Aug’
das ungeheure Wort, das mir in mein
Gesicht geschrieben ist:
erhängt ist dir die Seele in der selbstgedrehten Schlinge, sausend fällt das Beil,
und ich steh’ da und seh’ dich endlich sterben!
Dann träumst du nicht mehr, dann brauche ich
KLYTÄMNE S TRA
Was kümmert mich, wer außer Haus ist.
Ich lebe hier und bin die Herrin. Diener
hab’ ich genug, die Tore zu bewachen,
und wenn ich will: laß ich bei Tag und Nacht
vor meiner Kammer drei Bewaffnete
mit offenen Augen sitzen.
Und aus dir
bring’ ich so oder so das rechte Wort
schon an den Tag. Du hast dich schon verraten,
daß du das rechte Opfer weißt und auch
die Bräuche, die mir nützen. Sagst du’s nicht
im Freien, wirst du’s an der Kette sagen.
Sagst du’s nicht satt, so sagst du’s hungernd. Träume
sind etwas, das man los wird. Wer dran leidet
und nicht das Mittel findet, sich zu heilen,
ist nur ein Narr. Ich finde mir heraus,
wer bluten muß, damit ich wieder schlafe.
ELEKTRA
mit einem Sprung aus dem Dunkel auf Klytämnestra zu,
immer näher an ihr, immer furchtbarer anwachsend
Was bluten muß? Dein eigenes Genick,
wenn dich der Jäger abgefangen hat.
Ich hör ihn durch die Zimmer gehn, ich hör ihn
den Vorhang von dem Bette heben: Wer schlachtet
ein Opfertier im Schlaf? Er jagt dich auf,
schreiend entfliehst du. Aber er, er ist hinterdrein,
er treibt dich durch das Haus! Willst du nach rechts,
da steht das Bett! nach links, da schäumt das Bad
wie Blut, das Dunkel und die Fackeln werfen
schwarzrote Todesnetze über dich.
Klytämnestra, von sprachlosem Grauen geschüttelt
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elektra
nicht mehr zu träumen, und wer dann noch lebt,
der jauchzt und kann sich seines Lebens freun!
Sie stehen einander, Elektra in wilder Trunkenheit, Klytämnestra, gräßlich
atmend vor Angst, Aug’ in Aug’. In diesem Augenblick erhellt sich der Hausflur.
Die Vertraute kommt hergelaufen. Sie flüstert Klytämnestra etwas ins Ohr.
Diese scheint erst nicht recht zu verstehen. Allmählich kommt sie zu sich.
Sie winkt: »Lichter!« Es laufen Dienerinnen mit Fackeln heraus und stellen sich
hinter Klytämnestra. Sie winkt: »Mehr Lichter!« Nun verändern sich ihre Züge
allmählich, und die Spannung weicht einem bösen Triumph. Es kommen immer
mehr Dienerinnen heraus, stellen sich hinter Klytämnestra, sodaß der Hof voll
von Licht wird und rotgelber Schein um die Mauern flutet. Klytämnestra läßt sich
die Botschaft abermals zuflüstern und verliert dabei Elektra keinen Augenblick
aus dem Auge. Ganz bis an den Hals sich sättigend mit wilder Freude streckt
Klytämnestra die beiden Hände drohend gegen Elektra. Dann hebt ihr die
Vertraute den Stock auf und, auf beide sich stützend, eilig, gierig, an den Stufen
ihr Gewand aufraffend, läuft sie ins Haus. Die Dienerinnen mit den Lichtern,
wie gejagt, hinter ihr drein.
ELEKTRA
Was sagen sie ihr denn? Sie freut sich ja!
Mein Kopf! Mir fällt nichts ein! Worüber freut sich
das Weib?
Chrysothemis kommt laufend zur Hoftür herein,
laut heulend wie ein verwundetes Tier.
CHRY S OTHEMI S
schreiend
Orest!
Orest ist tot!
CHRY S OTHEMI S
Ich kam hinaus, da wußten sie’s schon! Alle
standen herum und alle wußten es schon,
nur wir nicht.
ELEKTRA
dumpf
Niemand weiß es.
CHRY S OTHEMI S
Alle wissen’s.
ELEKTRA
Niemand kann’s wissen, denn es ist nicht wahr.
Chrysothemis wirft sich verzweifelt auf den Boden.
ELEKTRA
Chrysothemis emporreißend
Es ist nicht wahr! Es ist nicht wahr, ich sag’ dir doch,
es ist nicht wahr!
CHRY S OTHEMI S
Die Fremden standen an der Wand, die Fremden,
die hergeschickt sind, es zu melden: zwei,
ein Alter und ein Junger. Allen hatten
sie’s schon erzählt, im Kreise standen Alle
um sie herum, und Alle,
mit Anstrengung
Alle, wußten es schon.
ELEKTRA
ELEKTRA
winkt ihr ab, wie von Sinnen
Sei still!
mit höchster Kraft
Es ist nicht wahr!
CHRY S OTHEMI S
CHRY S OTHEMI S
Orest ist tot!
Elektra bewegt die Lippen.
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An uns denkt Niemand. Tot, Elektra, tot!
Gestorben in der Fremde! Tot!
Gestorben dort in fremdem Land.
Von seinen Pferden erschlagen und geschleift.
sinkt vor der Schwelle des Hauses an Elektras Seite
in wilder Verzweiflung hin
elektra
EIN J UNGER DIENER
CHRY S OTHEMI S
kommt eilig aus dem Haus, stolpert über die
vor der Schwelle Liegende hinweg
Platz da! Wer lungert so vor einer Tür?
Ah! konnt’ mir’s denken! Heda, Stallung! he!
Was, Elektra?
ELEKTRA
leise
Am besten heut’, am besten diese Nacht.
EIN ALTER DIENER
finsteren Gesichts, zeigt sich an der Hoftür
Was soll’s im Stall?
CHRY S OTHEMI S
Was, Schwester?
EIN J UNGER DIENER
ELEKTRA
Gesattelt
soll werden, und so rasch als möglich! hörst du?
Ein Gaul, ein Maultier oder meinetwegen
auch eine Kuh, nur rasch!
Was? Das Werk, das nun auf uns
gefallen ist,
sehr schmerzlich
weil er nicht kommen kann.
EIN ALTER DIENER
CHRY S OTHEMI S
Für wen?
angstvoll steigernd
Was für ein Werk?
EIN J UNGER DIENER
Für den,
der dir’s befiehlt. Da glotzt er! Rasch, für mich!
Sofort, für mich! Trab, trab! Weil ich hinaus muß
auf’s Feld, den Herren holen, weil ich ihm
Botschaft zu bringen habe, große Botschaft,
wichtig genug, um eine eurer Mähren
im Abgehen
zu Tod zu reiten.
leise, schaudernd
Schwester, sprichst du von der Mutter?
Auch der Alte verschwindet.
ELEKTRA
ELEKTRA
Nun müssen du und ich
hingehn und das Weib und ihren Mann
erschlagen.
CHRY S OTHEMI S
CHRY S OTHEMI S
wild
Von ihr, und auch von ihm. Ganz ohne Zögern
muß es geschehn.
Schweig still. Zu sprechen ist nichts.
Nichts gibt es zu bedenken, als nur: wie?
wie wir es tun.
verwundert fragend
Elektra?
CHRY S OTHEMI S
ELEKTRA
vor sich hin, leise und sehr energisch
Nun muß es hier von uns geschehn.
Ich?
ELEKTRA
alles in fliegender Hast
Wir, wir beide müssen’s tun.
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ELEKTRA
Ja, du und ich. Wer sonst?
elektra
CHRY S OTHEMI S
CHRY S OTHEMI S
entsetzt
Wir? Wir beide sollen hingehn? Wir, wir zwei
mit unsern beiden Händen?
abwehrend
Elektra!
ELEKTRA
Es schläft Niemand in ihrem Vorgemach.
Du! Du!
Denn du bist stark!
dicht bei Chrysothemis
Wie stark du bist! Dich haben
die jungfräulichen Nächte stark gemacht.
Überall ist so viel Kraft in dir.
Sehnen hast du wie ein Füllen.
Schlank sind deine Füße.
Wie schlank und biegsam –
leicht umschling ich sie –
deine Hüften sind.
Du windest dich durch jeden Spalt, du hebst dich
durch’s Fenster! Laß mich deine Arme fühlen,
wie kühl und stark sie sind! Wie du mich abwehrst,
fühl’ ich, was das für Arme sind! Du könntest
erdrücken, was du an dich ziehst. Du könntest
mich oder einen Mann in deinen Armen ersticken,
überall ist so viel Kraft in dir.
Sie strömt wie kühles,
verhaltnes Wasser aus dem Fels. Sie flutet
mit deinen Haaren auf die starken Schultern herab!
Ich spüre durch die Kühle deiner Haut
das warme Blut hindurch, mit meiner Wange
spür’ ich den Flaum auf deinen jungen Armen:
Du bist voller Kraft, du bist schön,
du bist wie eine Frucht an der Reife Tag.
CHRY S OTHEMI S
CHRY S OTHEMI S
Im Schlaf sie morden!
Laß mich!
ELEKTRA
Dafür laß
du mich nur sorgen.
geheimnisvoll
Das Beil, das Beil, womit der Vater –
CHRY S OTHEMI S
Du?
Entsetzliche, du hast es?
ELEKTRA
Für den Bruder
bewahrt’ ich es. Nun müssen wir es schwingen.
CHRY S OTHEMI S
Du? Diese Arme den Aegisth erschlagen?
ELEKTRA
wild
Erst sie, dann ihn, erst ihn, dann sie, gleichviel.
CHRY S OTHEMI S
Ich fürchte mich.
ELEKTRA
100
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ELEKTRA
ELEKTRA
Wer schläft, ist ein gebundnes Opfer. Schliefen
sie nicht zusamm’, könnt’ ich’s allein vollbringen.
So aber mußt du mit.
Nein, ich halte dich!
Mit meinen traurigen, verdorrten Armen
umschling ich deinen Leib, wie du dich sträubst,
ziehst du den Knoten nur noch fester, ranken
elektra
will ich mich rings um dich, versenken
meine Wurzeln in dich und mit meinem Willen
dir impfen das Blut.
CHRY S OTHEMI S
Laß mich!
Sie flüchtet ein paar Schritte.
ELEKTRA
wild ihr nach, faßt sie am Gewand
Nein, ich laß dich nicht.
CHRY S OTHEMI S
Elektra, hör’ mich!
Du bist so klug, hilf uns aus diesem Haus.
Hilf uns ins’ Freie! Elektra, hilf uns, hilf uns in’s Freie …
ELEKTRA
Von jetzt an will ich deine Schwester sein,
so wie ich niemals deine Schwester war!
Getreu will ich mit dir in deiner Kammer sitzen
und warten auf den Bräutigam. Für ihn
will ich dich salben, und in’s duftige Bad
sollst du mir tauchen wie der junge Schwan
und deinen Kopf an meiner Brust verbergen,
bevor er dich, die durch den Schleier glüht
wie eine Fackel, in das Hochzeitsbett
mit starken Armen zieht.
CHRY S OTHEMI S
schließt die Augen
Nicht, Schwester, nicht.
Sprich nicht ein solches Wort in diesem Haus.
ELEKTRA
O ja! Weit mehr als Schwester bin ich dir
von diesem Tage an: ich diene dir
wie eine Sklavin. Wenn du liegst in Weh’n,
sitz ich an deinem Bette Tag und Nacht,
wehr’ dir die Fliegen, schöpfe kühles Wasser,
und wenn auf einmal auf dem nackten Schoß
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103
A n n e S C h wa n e w i l m s (C h r y s ot h e m i s , l i n k s) u n d
E v e ly n H e r l i t z i u s (E l e k t r a ) i n d e r n e u e n D r e s d n e r » E l e k t r a «,
d i e a m 19. Ja n ua r 2 014 u n t e r C h r i s t i a n T h i e l e m a n n s
musik alischer Leitung ihre Premiere erlebte
elektra
dir ein Lebendiges liegt, erschreckend fast,
so heb’ ich’s empor, so hoch, damit
sein Lächeln hoch von oben in die tiefsten,
geheimsten Klüfte deiner Seele fällt
und dort das letzte, eisig Gräßliche
vor dieser Sonne schmilzt, und du’s in hellen
Tränen ausweinen kannst.
ELEKTRA
faßt sie wieder
Schwör’, du kommst
heut Nacht, wenn alles still ist, an den Fuß
der Treppe!
CHRY S OTHEMI S
Laß mich!
CHRY S OTHEMI S
O bring’ mich fort!
Ich sterb’ in diesem Haus!
ELEKTRA
an den Knieen der Chrysothemis
Dein Mund ist schön,
wenn er sich einmal auftut, um zu zürnen!
Aus deinem reinen, starken Mund muß furchtbar
ein Schrei hervorsprüh’n, furchtbar wie der Schrei
der Todesgöttin, wenn man unter dir
so daliegt, wie nun ich.
CHRY S OTHEMI S
Was redest du?
ELEKTRA
hält sie am Gewand
Mädchen, sträub’ dich nicht!
Es bleibt kein Tropfen Blut am Leibe haften!
Schnell schlüpfst du aus dem blutigen Gewand
mit reinem Leib in’s hochzeitliche Hemd.
CHRY S OTHEMI S
Laß mich!
ELEKTRA
immer dringender
Sei nicht zu feige! Was du jetzt
an Schaudern überwindest, wird vergolten
mit Wonneschaudern Nacht für Nacht.
ELEKTRA
aufstehend
Denn eh’ du diesem Haus
und mir entkommst, mußt du es tun!
CHRY S OTHEMI S
Chrysothemis will reden,
Elektra hält ihr den Mund zu.
Sag, daß du kommen wirst!
Ich kann nicht!
ELEKTRA
CHRY S OTHEMI S
ELEKTRA
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Ich kann nicht!
Dir führt
kein Weg hinaus, als der. Ich laß’ dich nicht,
eh’ du mir Mund auf Mund es zugeschworen,
daß du es tun wirst.
Sieh,
ich lieg’ vor dir und küsse deine Füße.
CHRY S OTHEMI S
CHRY S OTHEMI S
windet sich los
Laß mich!
Ich kann nicht!
in’s Haustor entspringend
ELEKTRA
elektra
ELEKTRA
ELEKTRA
Sei verflucht!
mit wilder Entschlossenheit
Nun denn, allein!
Die da drinnen?
Du lügst. Weiß ich doch gut, der Herr ist nicht zu Haus.
Und sie, was sollte sie mit dir?
Sie fängt an der Wand des Hauses, seitwärts der
Türschwelle, eifrig zu graben an, lautlos wie ein Tier.
Sie hält mit Graben inne, sieht sich um, gräbt wieder.
Sie sieht sich von neuem um und lauscht. Sie gräbt weiter.
Orest steht in der Hoftür, von der letzten Helle
sich schwarz abhebend. Er tritt herein.
Elektra blickt auf ihn, er dreht sich langsam um,
so daß sein Blick auf sie fällt: Elektra fährt heftig auf.
ELEKTRA
zitternd
Was willst du, fremder Mensch? Was treibst du dich
zur dunklen Stunde hier herum, belauerst,
was andre tun!
Ich hab’ hier ein Geschäft. Was kümmert’s dich?
Laß mich in Ruh!
ORE S T
Ich muß hier warten.
ELEKTRA
Warten?
ORE S T
Ich und noch einer,
der mit mir ist, wir haben einen Auftrag
an die Frau.
Wir sind an sie geschickt,
weil wir bezeugen können, daß ihr Sohn
Orest gestorben ist vor unsern Augen,
denn ihn erschlugen seine eignen Pferde.
Ich war so alt wie er und sein Gefährte
bei Tag und Nacht.
ELEKTRA
Muß ich dich
noch sehn? Schleppst du dich hierher,
in meinen traurigen Winkel,
Herold des Unglücks! Kannst du nicht die Botschaft
austrompeten dort, wo sie sich freu’n!
Dein Aug’ da starrt mich an, und seins ist Gallert.
Dein Mund geht auf und zu, und seiner ist
mit Erde vollgefropft.
Du lebst, und er, der besser war als du,
und edler tausendmal, und tausendmal so wichtig,
daß er lebte, er ist hin!
ORE S T
Doch du bist
hier aus dem Haus? bist eine von den Mägden
dieses Hauses?
ELEKTRA
Ja, ich diene hier im Haus.
Du aber hast hier nichts zu schaffen. Freu dich
und geh!
ORE S T
Ich sagte dir: ich muß hier warten,
bis sie mich rufen.
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ORE S T
ruhig
Laß den Orest! Er freute sich zu sehr
an seinem Leben. Die Götter droben
vertragen nicht den allzuhellen Laut
der Lust. So mußte er denn sterben.
ELEKTRA
Doch ich! Doch ich! Da liegen und
zu wissen, daß das Kind nie wieder kommt,
nie wieder kommt.
Daß das Kind da drunten in den Klüften
elektra
des Grausens lungert, daß die da drinnen
leben und sich freuen,
daß dies Gezücht in seiner Höhle lebt
und ißt und trinkt und schläft –
und ich hier droben, wie nicht das Tier des Waldes
einsam und gräßlich lebt – ich hier droben allein!
Elektra! Elektra!
So seh’ ich sie? Ich seh’ sie wirklich, du?
So haben sie dich darben lassen, oder –
sie haben dich geschlagen?
ORE S T
Laß mein Kleid! Wühl nicht mit deinem Blick daran.
ORE S T
ELEKTRA
Wer bist denn du?
ORE S T
ELEKTRA
Was kümmert’s
dich, wer ich bin?
Was haben sie gemacht mit deinen Nächten?
Furchtbar sind deine Augen,
ELEKTRA
ORE S T
Du mußt verwandtes Blut zu denen sein,
die starben, Agamemnon und Orest.
Laß mich!
ORE S T
hohl sind deine Wangen!
ELEKTRA
Verwandt? Ich bin dies Blut! Ich bin das hündisch
vergossene Blut des Königs Agamemnon!
Elektra heiß’ ich.
ELEKTRA
Geh’ ins Haus,
drin hab’ ich eine Schwester, die bewahrt sich
für Freudenfeste auf!
ORE S T
Nein!
ORE S T
Elektra, hör mich!
ELEKTRA
Er leugnet’s ab.
Er bläst auf mich und nimmt mir meinen Namen.
ELEKTRA
Ich will nicht wissen, wer du bist,
ich will Niemand sehn.
ORE S T
Elektra!
ELEKTRA
Weil ich nicht Vater hab’,
ORE S T
Hör mich an, ich hab’ nicht Zeit.
Hör zu:
leise
Orestes lebt!
ORE S T
Elektra!
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Elektra wirft sich herum.
ELEKTRA
ORE S T
noch Bruder, bin ich der Spott der Buben!
Wenn du dich regst, verrätst du ihn.
elektra
ELEKTRA
So ist er frei? Wo ist er?
ORE S T
Er ist unversehrt
wie ich.
ELEKTRA
So rett’ ihn doch, bevor sie ihn
erwürgen.
ORE S T
Bei meines Vaters Leichnam, dazu kam ich her!
ELEKTRA
von seinen Ton getroffen
Wer bist denn du?
Der alte finstre Diener stürzt, gefolgt von drei andern Dienern,
aus dem Hof lautlos herein, wirft sich vor Orest nieder, küßt seine
Füße, die andern Orests Hände und den Saum seines Gewandes.
ELEKTRA
kaum ihrer mächtig
Wer bist du denn? Ich fürchte mich.
ORE S T
sanft
Die Hunde auf dem Hof erkennen mich,
und meine Schwester nicht?
ELEKTRA
aufschreiend
Orest!
ganz leise, bebend
Orest! Orest! Orest!
Es rührt sich Niemand. O laß deine Augen
mich sehn, Traumbild, mir geschenktes
Traumbild, schöner als alle Träume.
Hehres, unbegreifliches, erhabenes Gesicht,
o bleib bei mir! Lös’ nicht
in Luft dich auf, vergeh mir nicht, vergeh mir nicht,
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R e n é Pa p e (O r e s t ) u n d E v e ly n H e r l i t z i u s (E l e k t r a )
i n d e r D r e s d n e r » E l e k t r a « ( 2 014)
elektra
es sei denn, daß ich jetzt gleich
sterben muß und du dich anzeigst
und mich holen kommst: Dann sterb’ ich
seliger als ich gelebt. Orest! Orest! Orest!
Orest neigt sich zu Elektra, sie zu umarmen.
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den hohläugigen Haß als Bräutigam.
So bin ich eine Prophetin immerfort gewesen
und habe nichts hervorgebracht aus mir
und meinem Leib als Flüche und Verzweiflung.
Was schaust du ängstlich um dich? Sprich zu mir!
Sprich doch! Du zitterst ja am ganzen Leib?
ELEKTRA
ORE S T
heftig
Nein, du sollst mich nicht umarmen!
Tritt weg! Ich schäme mich vor dir. Ich weiß nicht,
wie du mich ansiehst.
Ich bin nur mehr der Leichnam deiner Schwester,
mein armes Kind. Ich weiß:
leise
Es schaudert dich
vor mir, und war doch eines Königs Tochter.
Ich glaube, ich war schön: wenn ich die Lampe
ausblies vor meinem Spiegel, fühlt ich es
mit keuschem Schauer. Ich fühlt’ es,
wie der dünne Strahl des Mondes
in meines Körpers weißer Nacktheit badete
so wie in einem Weiher. Und mein Haar
war solches Haar, vor dem die Männer zittern,
dies Haar, versträhnt, beschmutzt, erniedrigt.
Verstehst du’s, Bruder? Ich habe Alles,
was ich war, hingeben müssen. Meine Scham
hab’ ich geopfert, die Scham, die süßer
als Alles ist, die Scham, die wie der Silberdunst,
der milchige des Monds, um jedes Weib
herum ist und das Gräßliche von ihr
und ihrer Seele weghält. Verstehst du’s, Bruder?
Diese süßen Schauder hab’ ich dem Vater
opfern müssen. Meinst du,
wenn ich an meinem Leib mich freute, drangen
seine Seufzer, drang nicht sein Stöhnen
an mein Bette?
düster
Eifersüchtig sind
die Toten: und er schickte mir den Haß,
Laß zittern diesen Leib. Er ahnt,
welchen Weg ich ihn führe.
ELEKTRA
Du wirst es tun? Allein? Du armes Kind?
ORE S T
Die diese Tat mir auferlegt,
ELEKTRA
Du wirst es tun!
ORE S T
die Götter, werden da sein, mir zu helfen.
ELEKTRA
Der ist selig, der tun darf!
ORE S T
Ich will es tun,
ich will es eilig tun!
ELEKTRA
Die Tat ist wie ein Bette,
auf dem die Seele ausruht,
wie ein Bett von Balsam,
drauf die Seele ruhen kann,
die eine Wunde ist, ein Brand,
ein Eiter, eine Flamme!
ORE S T
Ich werde es tun! Ich werde es tun!
elektra
ELEKTRA
sehr schwungvoll
Der ist selig, der seine Tat zu tun kommt,
selig der, der ihn ersehnt,
selig, der ihn erschaut.
Selig, wer ihn erkennt,
selig, wer ihn berührt.
Selig, wer ihm das Beil aus der Erde gräbt,
selig, wer ihm die Fackel hält,
selig, selig, wer ihm öffnet die Tür.
Der Pfleger Orests steht in der Hoftür,
ein starker Greis mit blitzenden Augen.
Abermals ein furchtbares Warten. Von ferne tönt drinnen, gellend,
der Schrei Klytämnestras.
ELEKTRA
schreit auf wie ein Dämon
Triff noch einmal!
Von drinnen ein zweiter Schrei.
Elektra steht in der Tür, mit dem Rücken an die Tür gepreßt.
Aus dem Wohngebäude links kommen Chrysothemis und
eine Schar Dienerinnen heraus.
CHRY S OTHEMI S
Es muß etwas geschehen sein.
DER PFLEGER DE S ORE S T
hastig auf sie zu
Seid ihr von Sinnen, daß ihr euren Mund
nicht bändigt, wo ein Hauch, ein Laut, ein Nichts
uns und das Werk verderben kann.
zu Orest, in fliegender Eile
Sie wartet drinnen. Ihre Mägde suchen nach dir.
Es ist kein Mann im Haus. Orest!
Orest reckt sich auf, seinen Schauder bezwingend.
Die Tür des Hauses erhellt sich. Es erscheint eine Dienerin mit einer Fackel,
hinter ihr die Vertraute. Elektra ist zurückgesprungen, steht im Dunkel.
Die Vertraute verneigt sich gegen die beiden Fremden, winkt, ihr hinein zu folgen.
Die Dienerin befestigt die Fackel an einem eisernen Ring im Türpfosten.
Orest und der Pfleger gehen hinein. Orest schließt einen Augenblick
schwindelnd die Augen. Der Pfleger ist dicht hinter ihm, sie tauschen einen
schnellen Blick, die Tür schließt sich hinter ihnen.
Elektra allein, in entsetzlicher Spannung.
Sie läuft auf einem Strich vor der Tür hin und her, mit gesenktem Kopf,
wie das gefangene Tier im Käfig.
114
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ER S TE MAGD
Sie schreit
so aus dem Schlaf.
Z W EITE MAGD
Es müssen Männer drin sein.
Ich habe Männer gehen hören.
DRITTE MAGD
Alle
Türen sind verriegelt.
VIERTE MAGD
Es sind Mörder,
es sind Mörder im Haus!
ER S TE MAGD
schreit auf
Oh!
ELEKTRA
Z W EITE u n d DRITTE MAGD, s e c h s a n d e r e DIENERIN n EN
steht plötzlich still
Ich habe ihm das Beil nicht geben können!
Sie sind gegangen und ich habe ihm
das Beil nicht geben können. Es sind keine
Götter im Himmel!
Was ist?
ER S TE MAGD
Seht ihr denn nicht: dort in der Tür steht einer!
elektra
CHRY S OTHEMI S
ALLE
Das ist Elektra! Das ist ja Elektra!
Zurück! Zurück!
ER S TE , Z W EITE , DRITTE u n d VIERTE MAGD
Sie verschwinden im Hause links.
Aegisth tritt rechts durch die Hoftür auf.
Elektra! Elektra!
CHRY S OTHEMI S
AEGI S TH
Elektra,
warum sprichst du denn nicht?
an der Tür stehend bleibend
He, Lichter! Lichter!
Ist Niemand da, zu leuchten? Rührt sich keiner
von allen diesen Schuften? Kann das Volk
mir keine Zucht annehmen?
ER S TE UND Z W EITE MAGD
Warum spricht sie denn nicht!
VIERTE MAGD
allein
Ich will hinaus,
Männer holen!
läuft rechts hinaus
CHRY S OTHEMI S
Mach uns doch die Tür auf,
Elektra! Elektra!
s e c h s DIENERINNEN
Elektra, laß uns in’s Haus!
Elektra nimmt die Fackel von dem Ring,
läuft hinunter, ihm entgegen,
und verneigt sich vor ihm.
AEGI S TH
erschrickt vor der wirren Gestalt im zuckenden Licht,
weicht zurück
Was ist das für ein unheimliches Weib?
Ich hab’ verboten, daß ein unbekanntes
Gesicht mir in die Nähe kommt!
erkennt sie, zornig
Was, du?
Wer heißt dich mir entgegentreten?
VIERTE MAGD
zurückkommend
Zurück!
Aegisth! Zurück in unsre Kammern, schnell!
Aegisth kommt durch den Hof. Wenn er uns findet,
ELEKTRA
Darf ich
nicht leuchten?
AEGI S TH
s e c h s DIENERINNEN ,
ER S TE , Z W EITE u n d DRITTE MAGD
Aegisth!
Nun, dich geht die Neuigkeit
ja doch vor allen an. Wo find’ ich
die fremden Männer, die das von Orest
uns melden?
VIERTE MAGD
und wenn im Hause was geschehen ist,
läßt er uns töten!
CHRY S OTHEMI S
ELEKTRA
Drinnen. Eine liebe Wirtin
fanden sie vor, und sie ergetzen sich
mit ihr.
Zurück!
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elektra
AEGI S TH
Und melden also wirklich, daß er
gestorben ist, und melden so, daß nicht
zu zweifeln ist?
dich störte, will nun endlich lernen, mich
im rechten Augenblick zurückzuziehen.
Aegisth geht in’s Haus. Stille. Lärm drinnen.
ELEKTRA
AEGI S TH
O Herr! Sie melden’s nicht
mit Worten bloß, nein, mit leibhaftigen Zeichen,
an denen auch kein Zweifel möglich ist.
erscheint an einem kleinen Fenster, reißt den Vorhang weg,
schreiend
Helft! Mörder! Helft dem Herren! Mörder, Mörder!
Sie morden mich!
Hört mich niemand? Hört
mich niemand?
Er wird weggezerrt.
AEGI S TH
Was hast du in der Stimme? Und was ist
in dich gefahren, daß du nach dem Mund
mir redest? Was taumelst du so hin
und her mit deinem Licht?
ELEKTRA
Es ist nichts anderes,
als daß ich endlich klug ward und zu denen
mich halte, die die Stärkeren sind. Erlaubst du,
daß ich voran dir leuchte?
AEGI S TH
etwas zaudernd
Bis zur Tür.
Was tanzest du? Gib Obacht!
ELEKTRA
indem sie ihn wie in einem unheimlichen Tanz umkreist,
sich plötzlich tief bückend
Hier! die Stufen,
daß du nicht fällst.
ELEKTRA
reckt sich auf
Agamemnon hört dich!
Noch einmal erscheint Aegisths Gesicht am Fenster.
AEGI S TH
Weh mir!
Er wird fortgerissen.
Elektra steht, furchtbar atmend, gegen das Haus gekehrt.
Die Frauen kommen von links herausgelaufen, Chrysothemis unter ihnen.
Wie besinnungslos laufen sie gegen die Hoftür, dort machen sie plötzlich Halt,
wenden sich.
CHRY S OTHEMI S
Elektra, Schwester! Komm mit uns! O komm
mit uns! Es ist der Bruder drin im Haus!
Es ist Orest, der es getan hat!
AEGI S TH
118
119
an der Haustür
Warum ist hier kein Licht?
Wer sind die dort?
Getümmel im Hause, Stimmengewirr, aus dem
sich ab und zu die Rufe des Chors: »Orest« bestimmter abheben.
(Stimmen hinter der Scene, im Hause: Frauen und Männer)
ELEKTRA
CHRY S OTHEMI S
Die sind’s, die in Person
dir aufzuwarten wünschen, Herr. Und ich,
die so oft durch freche, unbescheidne Näh’
Komm!
Er steht im Vorsaal, alle sind um ihn,
und küssen seine Füße.
elektra
Das Kampfgetöse, der tödliche Kampf zwischen den zu Orest haltenden Sklaven
und den Angehörigen des Aegisth, hat sich allmählich in die inneren Höfe
gezogen, mit denen die Hoftür rechts communiziert.
Alle, die
Aegisth von Herzen haßten, haben sich
geworfen auf die andern, überall,
in allen Höfen liegen Tote, alle,
die leben, sind mit Blut bespritzt und haben
selbst Wunden, und doch strahlen alle, alle
umarmen sich und jauchzen. Tausend Fackeln –
Draußen wachsender Lärm, der sich jedoch, wenn Elektra beginnt, mehr und
mehr nach den äußeren Höfen rechts und im Hintergrunde verzogen hat.
Die Frauen sind hinausgelaufen. Chrysothemis allein,
von draußen fällt Licht herein.
sind angezündet. Hörst du nicht? So hörst
du denn nicht?
begeistert
Sie fahren dahin wie die Schärfe des Schwerts
durch uns, die Götter,
CHRY S OTHEMI S
Allen sind die Gesichter verwandelt. Allen
schimmern die Augen und die alten Wangen
von Tränen! Alle weinen, hörst du’s nicht?
ELEKTRA
aber ihre
Herrlichkeit ist nicht zu viel für uns!
Ich habe Finsternis gesät und ernte
Lust über Lust.
CHRY S OTHEMI S
Gut sind die Götter, gut!
ELEKTRA
auf der Schwelle kauernd
Ob ich nicht höre? Ob ich die
Musik nicht höre? Sie kommt doch aus mir.
Die Tausende, die Fackeln tragen,
und deren Tritte, deren uferlose
Myriaden Tritte überall die Erde
dumpf dröhnen machen, alle warten
auf mich: ich weiß doch, daß sie alle warten,
weil ich den Reigen führen muß, und ich
kann nicht, der Ozean, der ungeheure,
der zwanzigfache Ozean begräbt
mir jedes Glied mit seiner Wucht, ich kann mich
nicht heben.
ELEKTRA
Ich war ein schwarzer Leichnam
unter Lebenden,
CHRY S OTHEMI S
Es fängt ein Leben für dich und mich und alle Menschen an.
ELEKTRA
und diese Stunde
bin ich das Feuer des Lebens, und meine Flamme
verbrennt die Finsternis der Welt.
CHRY S OTHEMI S
Die überschwänglich guten Götter sind’s, die das geben haben.
CHRY S OTHEMI S
fast schreiend vor Erregung
Hörst du denn nicht? Sie tragen ihn,
sie tragen ihn auf ihren Händen!
120
121
ELEKTRA
Mein Gesicht muß weißer sein
als das weißglüh’nde Gesicht des Monds.
ELEKTRA
CHRY S OTHEMI S
springt auf,
vor sich hin, ohne auf Chrysothemis zu achten
Wir
sind bei den Göttern, wir Vollbringenden.
Wer hat uns je geliebt?
elektra
ELEKTRA
Wenn einer auf mich sieht,
muß er den Tod empfangen oder muß
vergehn vor Lust.
CHRY S OTHEMI S
Wer hat uns je geliebt?
ELEKTRA
Seht ihr denn mein Gesicht?
Seht ihr das Licht, das von mir ausgeht?
CHRY S OTHEMI S
Nun ist der Bruder da und Liebe
fließt über uns wie Öl und Myrrhen. Liebe
ist alles, wer kann leben ohne Liebe?
ELEKTRA
feurig
Ai! Liebe tötet, aber keiner fährt dahin
und hat die Liebe nicht gekannt!
CHRY S OTHEMI S
Elektra,
ich muß bei meinem Bruder stehn!
Sie läuft hinaus.
Elektra schreitet von der Schwelle herunter.
Sie hat den Kopf zurückgeworfen wie eine Mänade. Sie wirft die Kniee,
sie reckt die Arme aus: es ist ein namenloser Tanz,
in welchem sie nach vorwärts schreitet.
CHRY S OTHEMI S
erscheint wieder an der Tür, hinter ihr Fackeln, Gedräng,
Gesichter von Männern und Frauen
Elektra!
ELEKTRA
bleibt stehen, sieht starr auf sie hin
Schweig und tanze! Alle müssen
herbei! Hier schließt euch an! Ich trage die Last
des Glückes, und ich tanze vor euch her.
122
123
E v e ly n H e r l i t z i u s i n d e r T i t e l r o l l e d e r » E l e k t r a «,
i m H i n t e r g r u n d A n n e S c h wa n e w i l m s a l s C h r y s ot h e m i s ( 2 014)
Wer glücklich ist, wie wir, dem ziemt nur eins:
schweigen und tanzen …
Sie tut noch einige Schritte des angespanntesten Triumphes
und stürzt zusammen. Chrysothemis zu ihr. Elektra liegt starr.
CHRY S OTHEMI S
läuft an die Tür des Hauses, schlägt daran
Orest! Orest!
Stille
Vorhang
elektra
Staatskapelle
li e
GET
EXCITED
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WATCH
MUSIC
„Es genügt nicht, dass man Musik nur hören kann. Man muss Musik auch sehen können“,
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124
elektra
I m p r e ss u m
P rem i ere
Sächsische
Staatskapelle Dresden
Künstlerische Leitung/
Orchesterdirektion
Sächsische Staatskapelle Dresden
Chefdirigent Christian Thielemann
Christian Thielemann
Chefdirigent
Spielzeit 2013 | 2014
Juliane Stansch
Persönliche Referentin
von Christian Thielemann
30. Mai 2014
H e r au s g e b e r
Sächsische Staatstheater –
Semperoper Dresden
© Januar 2014
R e da k t i o n
Dr. Torsten Blaich
G e s ta lt u n g u n d L ayo u t
schech.net
Strategie. Kommunikation. Design.
Druck
Tobias Niederschlag
Konzertdramaturg,
Künstlerische Planung
Dr. Torsten Blaich
Programmheftredaktion,
Konzerteinführungen
Matthias Claudi
PR und Marketing
Union Druckerei Dresden GmbH
Agnes Monreal
Assistentin des Orchesterdirektors
Anzeigenvertrieb
Sarah Niebergall
Orchesterdisponentin
EVENT MODULE DRESDEN GmbH
i.A. der Moderne Zeiten Medien GmbH
Telefon: 0351/25 00 670
e-Mail: [email protected]
www.kulturwerbung-dresden.de
B i l d n ac h w e i s
Historisches Archiv der Semperoper Dresden
(Titel, S. 3, 16, 19, 21, 29, 33, 40, 51, 72/73, 86);
Matthias Creutziger (S. 6, 9, 13, 14, 47, 52/53,
63, 67, 71, 103, 111, 123); Sammlung Stephan
Kohler (S. 23); SLUB Dresden/Deutsche Fotothek (S. 26); Richard-Strauss-Institut, Gar­
misch-Partenkirchen (S. 31); Notenbibliothek
der Semperoper Dresden (S. 39); DeutschSorbisches Volkstheater Bautzen/Burgtheater
Bautzen/Foto: Wolfgang Wittchen (S. 42/43);
Nomi Baumgartl (S. 54); Agentur (S. 55); Javier
del Real (S. 56); Barbara Aumüller (S. 57); Claudia Leopold (S. 58); Jochen Klenk (S. 59); Romy
Petrick (S. 60); Birgitt Kaiser (S. 61); Chuck Moses (S. 62); Peter Brechtel, Wiesbaden (S. 64);
Constance Heller (S. 65); Dada Lin (S. 66); Trevor Goldstein (S. 68); Nadja Mchantaf (S. 69).
T e x t n ac h w e i s
Das Interview mit Christian Thielemann erschien erstmals 2013 in einer Spezialausgabe
des Magazins »Zeit Reisen« zu den Osterfestspielen Salzburg 2014. Der Text von Micaela v.
Marcard ist ein Originalbeitrag für die Publikationen der Semperoper Dresden und erschien
vor wenigen Tagen im Programmheft zur Neuproduktion der »Elektra«, Saison 2013/2014; aus
diesem Heft übernommen ist auch die Inhalts-
126
Jan Nast
Orchesterdirektor
Matthias Gries
Orchesterinspizient
Agnes Thiel
Mathias Ludewig
Dieter Rettig
Notenbibliothek
www. s ta at s k a p e l l e - d r e s d e n . d e
T e x t n ac h w e i s (f o r t s e t z u n g)
angabe der Oper. Anette Unger schrieb ihren
Text als Originalbeitrag für das Programmheft
»Elektra« der Bayerischen Staatsoper in München,
Spielzeit 1997/1998. Der Brief von Richard Strauss
an Ernst von Schuch ist zitiert nach Gabriella Hanke Knaus: Richard Strauss – Ernst von Schuch,
Ein Briefwechsel, Berlin 1999. Die weiteren Zitate
von Strauss sind entnommen aus Ernst Krause:
Richard Strauss, Dokumente, Leipzig 1980.
Giuseppe Verdi
Simon Boccanegra
Christian Thielemann
Jan Philipp Gloger
Bühnenbild
Christof Hetzer
Kostüme
Karin Jud
Musikalische Leitung
Inszenierung
I n de n H a uptr o l l e n
Željko Lučić Simon Boccanegra
Kwangchul Youn Jacopo Fiesco
Markus Marquardt Paolo Albiani
Maria AgrestaAmelia
Ramón Vargas Gabriele Adorno
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Sächsische Staatskapelle Dresden
Mit freundlicher Unterstützung der Stiftung zur Förderung der Semperoper
Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht
werden konnten, werden wegen nachträglicher
Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus
urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.
Die Programmheftredaktion dankt: Micaela v.
Marcard, Anette Unger, Stephan Kohler, Bernd
Löchelt, Janine Schütz, Lina Schwartzenberger,
Dr. Ortrun Landmann, Stefan Ulrich, Tobias Nieder­schlag, Matthias Claudi, Matthias Creutziger, Miri­
am Bothe, Frank Eichfelder und Kathrin Knauer.
PA R T N E R D E R S E M P E R O P E R
PA R T N E R D E R
S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N