1. Symphoniekonzert - Staatskapelle Dresden

Transcription

1. Symphoniekonzert - Staatskapelle Dresden
1. Symphoniekonzert
S ai so n 2 01 3
2 014
Christian Thielemann Dirigent
Thomas Hampson Bariton
o r ts w e c h s e l .
1. Symphoniekonzert
Sa is o n 2 01 3
2 01 4
Christian Thielemann Dirigent
Thomas Hampson Bariton
Besuchen Sie den Ort, an dem Automobilbau zu
einer perfekten Komposition wird: die Gläserne
Manufaktur von Volkswagen in Dresden.
w w w.g l a e s e r n e m a n u fa k t u r . d e
PA R T N E R D E R
S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
sonntag 1.9.13 11 Uhr
sonntag 8 .9.13 2 0 Uhr
M ontag 9.9.13 2 0 Uhr
|
S emperoper D resden
1. Symphoniekonzert
Christian Thielemann
Dirigent
Thomas Hampson
Bariton
PROGR A MM
Hanns Eisler
(18 9 8 -19 6 2)
»Ernste Gesänge«
für Bariton und Streichorchester
nach Texten von Friedrich Hölderlin,
Berthold Viertel, Giacomo Leopardi,
Helmut Richter und Stephan Hermlin
Vorspiel und Spruch (Friedrich Hölderlin)
1. Asyl (Hölderlin-Fragment)
2. Traurigkeit (Berthold Viertel)
3. Verzweiflung (Giacomo Leopardi)
4. An die Hoffnung (Hölderlin-Fragment)
5. XX. Parteitag (nach einem Gedicht von Helmut Richter)
6. Komm ins Offene, Freund! (Hölderlin-Fragment)
7. Epilog (Stephan Hermlin)
Zum 50. Jahrestag der Dresdner Uraufführung
P a u se
Auftakt mit Eisler und Bruckner
»Wer die Zukunft haben will, muß die Vergangenheit bewältigen«, betonte
Hanns Eisler, und so sind seine »Ernsten Gesänge« von der Erinnerung,
aber auch von der Hoffnung auf künftiges Glück bestimmt. 50 Jahre nach
der Dresdner Uraufführung, zum Auftakt der Kapellsaison 2013/2014,
widmen sich Chefdirigent Christian Thielemann und Weltklassebariton Tho­
mas Hampson diesem letzten Werk des Komponisten, das nicht zufällig im
Titel an Brahms gemahnt. Eine typisch Bruckner’sche Auseinandersetzung
mit der Vergangenheit ist in dessen großartiger Fünfter in Partitur gegossen: in Anton Bruckners »kontrapunktischem Meisterstück«.
Anton Bruckner
(18 2 4 -18 9 6)
Symphonie Nr. 5 B-Dur
1. Introduction. Adagio – Allegro
2. Adagio. Sehr langsam
3. Scherzo. Molto vivace (Schnell) – Trio. Im gleichen Tempo
4. Finale. Adagio – Allegro moderato
DA S KO N Z E R T W I R D M I TG E S C H N I T T E N U N D A M 10 . S E P T E M B E R U M 2 0 . 0 5 U H R
AU F M D R F I G A R O U N D M D R K L A S S I K G E S E N D E T.
a m 8 . u nd 9. S EP T E M B ER AU F Z EI CH nU N G D U R CH U N I T EL f ü r DV D u nd Fernsehen
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2
3
ges a ngste x te a b seite 2 0
1. SYMPHONIEKONZERT
Christian Thielemann
C hefdirigent der
S ä chsischen S t a a tsk a pelle D resden
B
rahms- und Bruckner-Zyklus, Wagner-Geburtstagskonzerte, Tourneen nach Asien, in die USA und durch Europa, die Osterfestspiele
Salzburg, Operndirigate von »Lohengrin«, »Manon Lescaut« und
dem »Rosenkavalier« – in der vergangenen Saison trat Christian
Thie­lemann unter weltweiter Aufmerksamkeit als Chefdirigent an
die Spitze der Sächsischen Staatskapelle Dresden. Zuvor leitete er von 2004 bis
2011 als Generalmusikdirektor die Münchner Philharmoniker, von 1997 bis
2004 hatte er das gleiche Amt bereits in seiner Heimatstadt an der Deutschen
Oper Berlin inne, an der er 1978 als Korrepetitor seine Karriere begann. Enga­
gements in Gelsenkirchen, Karlsruhe und Hannover schlossen sich an, ehe er
1985 Erster Kapellmeister an der Düsseldorfer Rheinoper und 1988 jüngster
Generalmusikdirektor Deutschlands in Nürnberg wurde. Neben seiner Dresdner
Chefposition übernahm Thielemann 2013 die künstlerische Leitung der Osterfestspiele Salzburg, deren Residenzorchester seither die Staatskapelle ist.
Konzert und Oper miteinander zu verbinden, schätzt Christian Thiele­
mann sehr, und so widmet er sich am Pult der Kapelle in dieser Spielzeit dem
großen Musikerjubilar des Jahres 2014, Richard Strauss, in den Symphoniekonzerten, einem Sonderkonzert und einem Aufführungsabend, aber auch in
Opern-Neuproduktionen der »Elektra« und »Arabella«. Für Thielemanns Interpretation der Strauss’schen »Frau ohne Schatten« bei den Salzburger Festspielen 2011 hatte ihn die »Opernwelt« zum »Dirigenten des Jahres« gewählt.
Eine enge Zusammenarbeit verbindet Christian Thielemann mit den
Berliner und Wiener Philharmonikern sowie mit den Bayreuther Festspielen, die
er seit seinem Debüt im Sommer 2000 (»Meistersinger«) alljährlich durch maßstabsetzende Interpretationen geprägt hat; seit 2010 ist er auch musikalischer
Berater auf dem »Grünen Hügel«. Im Rahmen seiner vielfältigen Konzerttätigkeit dirigierte er u.a. die großen Orchester in Amsterdam, London, New York,
Chicago und Philadelphia, ebenso gastierte er in Israel, Japan und China.
Christian Thielemanns Diskografie als Exklusiv-Künstler der UNITEL
ist umfangreich. Mit den Wiener Philharmonikern spielte er sämtliche Beet­hoven-Symphonien auf CD und DVD ein. Sein Brahms-Zyklus mit der Staats­
kapelle erscheint ebenfalls auf CD und DVD. Christian Thielemann ist Eh­
ren­m itglied der Royal Academy of Music in London, zudem wurde ihm die
Ehrendoktorwürde der Hochschule für Musik »Franz Liszt« Weimar und der
Katholischen Universität Leuven (Belgien) verliehen.
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1. SYMPHONIEKONZERT
Thomas Hampson Bariton
V
on der »New York Times« für seinen »unermüdlichen Wissensdrang« gelobt, kann Thomas Hampson auf eine einzigartige Karriere als weltweit gefragter Opern- und Konzertsänger und nicht
zuletzt als herausragender »Botschafter des Liedes« blicken. Der
US-amerikanische Bariton ist Stammgast auf den wichtigsten
Bühnen von Berlin bis London, von Wien bis New York und arbeitet mit den
angesehensten Pianisten, Dirigenten und Orchestern unserer Zeit. Zweimal
schon war er bei der Sächsischen Staatskapelle zu Gast: 2009 und 2011 in
den Frauenkirchen-Konzerten zur Adventszeit unter Christoph Eschenbach
und unter Christian Thielemann. Am Beginn dieser Saison tritt der Ausnahmekünstler nicht allein in der Semperoper mit der Staatskapelle auf, er
begleitet Christian Thielemann und die Dresdner Musiker zwischen den
hiesigen Konzerten auch auf eine Europatournee, in deren Rahmen er in der
Kölner Philharmonie und beim Lucerne Festival zu erleben ist. Eine weitere
Zusammenarbeit Hampsons mit der Staatskapelle und ihrem Chefdirigenten
folgt bei den Osterfestspielen Salzburg 2014, bei denen er an der Seite von
Renée Fleming den Mandryka in der Strauss’schen »Arabella« singt.
Thomas Hampsons stilistische Spannweite spiegelt sich in mehr als
150 Alben wider, von denen viele mit Preisen wie dem Grammy, dem Grand
Prix du Disque oder dem ECHO Klassik bedacht wurden. Breite Anerkennung
genießt der Sänger für seine sorgfältig erforschten Konzertprogramme, aber
ebenso für seine leidenschaftliche Lehrtätigkeit und die von ihm ins Leben
gerufenen Institutionen. So setzt er sich mit der 2003 gegründeten »Hampsong Foundation« durch das Medium der Liedkunst für interkulturellen Dialog und Verständigung ein, das von ihm initiierte Projekt »Song of America«
dient der Erforschung und Förderung des amerikanischen Liedes. Fest mit
seinem Namen verknüpft ist auch die Lied-Akademie des Festivals Heidelberger Frühling, die Hampson mitbegründete und künstlerisch leitet.
Dem in Spokane im US-Bundesstaat Washington aufgewachsenen
Künstler wurden für seine Verdienste um die Musik unzählige Auszeichnungen zuteil, u.a. verliehen ihm das San Francisco Conservatory und die
Manhattan School of Music die Ehrendoktorwürde, er ist Ehrenmitglied der
Londoner Royal Academy of Music und trägt den Titel eines Kammersängers
der Wiener Staatsoper. 2004 erhielt Hampson das österreichische Ehrenkreuz für Kunst und Wissenschaft, 2010 ehrte ihn die Library of Congress
mit dem Living Legend Award, zuletzt wurde er in die Hall of Fame des
britischen »Gramophone Magazine« aufgenommen.
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1. SYMPHONIEKONZERT
»künftigen glückes gewiss«?
Eislers »Ernste Gesänge«
Hanns Eisler
* 6 . J u li 18 9 8 in L eipzig
† 6 . S eptember 19 6 2 in O st B erlin
Zum 50. Jahrestag der Uraufführung
»Ernste Gesänge«
für Bariton und Streichorchester
Vorspiel und Spruch (Friedrich Hölderlin)
1. Asyl (Hölderlin-Fragment)
2. Traurigkeit (Berthold Viertel)
3. Verzweiflung (Giacomo Leopardi)
4. An die Hoffnung (Hölderlin-Fragment)
5. XX. Parteitag (nach einem Gedicht von Helmut Richter)
6. Komm ins Offene, Freund! (Hölderlin-Fragment)
7. Epilog (Stephan Hermlin)
E ntsteh u ng
Ur au ff ü hr u ng
zwischen Frühjahr 1961 und
13. August 1962 unter Einbeziehung älterer Klavierlieder, die
Eisler für den Zyklus orchestrierte; auch nahm er bei der Komposition einzelner Stücke Anleihen an
eigene Filmmusiken.
»Meiner Frau Steffy gewidmet«
6. September 1963 in Dresden im
Großen Haus der Staatstheater
durch die Staatskapelle Dresden
unter Leitung von Otmar Suitner
mit dem Bariton Günther Leib.
Ein Mitschnitt dieses Konzertes
liegt bei Berlin Classics (»Hans
Eisler Dokumente«) und bei
RCA (Reihe »Musik in Deutsch­land 1950-2000«) auf CD vor.
B esetz u ng
V erl ag
Bariton solo, Streicher
Breitkopf & Härtel, Leipzig /
Deutscher Verlag für Musik, Leipzig
W idm u ng
Dau er
ca. 15 Minuten
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D
ie »Ernsten Gesänge« für Bariton und Streichorchester sind
Hanns Eislers letzte Komposition. Eisler begann die Arbeit an
den »Gesängen« im Frühjahr 1961 und beendete sie am 13. August 1962. Er verstarb kurz nach der Fertigstellung, was dazu
beitrug, diesen Zyklus als Vermächtnis anzusehen. Eine Bilanz
seines Schaffens bietet der Zyklus deshalb, weil Eisler Kompositionen aus
ganz verschiedenen Schaffensphasen zitiert bzw. zusammenführt. Zeitlich erstreckt sich die Arbeit eigentlich nicht nur über ein Jahr, sondern
beinahe über ein Vierteljahrhundert (auf dem Autograf der »Ernsten Gesänge« findet sich die Datierung: »Mexico City, Berlin 1939-1962.« Ob die
Jahreszahl 1939 allerdings tatsächlich den Kompositionsbeginn markiert
oder vielmehr den inhaltlichen Bezug des Zyklus zu Eislers Exilsituation
in den 1930er und 1940er Jahren herstellen soll, ist vor dem Hintergrund
der konkreten kompositorischen Gestaltung fraglich.) Gewidmet sind die
»Gesänge« seiner Frau Steffy.
Es ist eine sehr persönliche Komposition, weil Eisler hier als Komponist eine Art Fazit formuliert. Auch ohne unmittelbaren Rückschluss auf seine biografische Situation ist das retrospektive Moment der »Ernsten Gesänge« augenscheinlich. Besonders eindringlich greift Eisler Arbeiten aus dem
amerikanischen Exil auf, in dem er sich intensiv mit Friedrich Hölderlin
auseinandersetzte. Noch am Tag der Fertigstellung der »Gesänge« schrieb
er seiner Exfrau Lou und ihrem neuen Partner Ernst Fischer: »Ich habe nach
langer Mühe eben eine kleine Arbeit fertig gemacht. Es sind ›Sieben ernste
Gesänge‹, (Bariton mit Orchester. Ihr kennt das letzte Stück daraus, die ›Nänie‹, die Ihr anlässlich der Becher Feier gehört habt.) mit einem Vorspruch.
Ich glaube, dass es mir gelungen ist. Die Uraufführung ist in Dresden, anlässlich meines 65[.] Geburtstages.« (Mit »Becher Feier« war die offizielle
Feier zum 70. Geburtstag von Johannes R. Becher gemeint, der 1958 verstorben war.) Auf der Rückseite des Briefes notierte Eisler den Hölderlin-Text
zum »Vorspruch« seiner »Ernsten Gesänge«: »Viele versuchten umsonst, das
1. SYMPHONIEKONZERT
Freudigste freudig zu sagen, hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer
sich aus.« Aus dieser kurzen Notiz tritt die Melancholie hervor, die Eisler am
Ende seines Lebens in sich trug.
Entgegen der Planung erklang dies letzte Werk nicht zu Eislers
Geburtstag, sondern zu seinem ersten Todestag. Die Uraufführung fand
fast auf den Tag genau vor 50 Jahren am 6. September 1963 in Dresden im
Großen Haus der Staatstheater durch die Staatskapelle Dresden unter ihrem
damaligen Generalmusikdirektor Otmar Suitner statt. Der Solist der Uraufführung war der Bariton Günther Leib, in dieser Zeit festes Ensemblemitglied der Dresdner Staatstheater.
Hanns Eisler und die DDR
Als Eisler 1949 nach Ostberlin zog, hatte er bereits 15 Jahre Exil hinter
sich. Die Entscheidung für die DDR war dabei keine leichte gewesen. Kurz
nach seiner Ausweisung aus den USA, in denen er die letzten zehn Jahre
seines Exils verbracht hatte, äußerte er 1948 in einem Interview in der
»Täglichen Rundschau« seine Unentschiedenheit, an welchem Ort er zukünftig leben werde: »... in welche[r] Stadt, Berlin oder Wien oder beide[n]
zusammen.« Bald nach seiner Ankunft in Berlin erhielt er mehrere Kompositionsaufträge, was ihm den Start in der DDR erleichterte. Dennoch hatte
er bei grundsätzlichem Zuspruch bis zum Schluss ein ambivalentes Verhältnis zur DDR. Für die Komposition der DDR-Hymne erhielt er, wie der
Dichter Johannes R. Becher, 1950 den Nationalpreis 1. Klasse. Sein Libretto
zur geplanten, aber nie komponierten Oper »Johann Faustus« wurde von
R E chte S eite :
H a nns E isler in den späten 19 5 0 er Ja hren
Der Lebensweg Eislers, der immer österreichischer Staatsbürger blieb, war geprägt durch Kaiserreich, Weimarer Republik, die Flucht aus Nazi-Deutschland
und USA-Exil, durch die DDR und die deutsch-deutsche Nachkriegsgeschichte.
So spannungsreich und von Brüchen durchzogen wie diese Stationen ist das
Schaffen, das der scharfsinnige Pionier der politischen Musik und kritische
Kommunist hinterließ. Eine ganze Reihe seiner Werke erklang bis heute bei
der Staatskapelle Dresden, u.a. die »Kleine Sinfonie« (unter Otmar Suitner),
die »Fünf Orchesterstücke« (unter Herbert Blomstedt) und als Uraufführung:
die »Ernsten Gesänge«. Die 1962 an ihn gerichtete Anfrage der Dresdner Oper
nach einem neuen Bühnenwerk war, so Eisler, »gewiß eine Ehre für mich«, aufgrund anderer Verpflichtungen konnte er den Auftrag jedoch nicht annehmen.
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1. SYMPHONIEKONZERT
den Staatsrepräsentanten hingegen
»Als ich darauf kam, daß die Poli­
heftig kritisiert und zum Gegentik sich so für die Musik interesstand einer der grundsätzlichsten
siert, habe ich mich als Musiker
kulturpolitischen Kontroversen in
für Poli­t ik interessiert. Ich habe
der DDR um die Frage nach dem
das mal umgedreht. […] Wenn
Stellenwert von Kunst. Der Fall
man mich als ›politischen MusiEisler wurde in den sogenannten
ker‹ bezeichnet, so ist das ein Eh»Mittwochsdiskussionen« in der
renname für mich. Ich versuche,
Akademie der Künste verhandelt,
mit den Mitteln der Musik etwas
wobei Eisler ein respektloser Umpolitische Intelligenz in die Mengang mit dem deutschen Kulturerbe
schen hineinzubringen. Ich weiß,
vorgeworfen wurde. Tatsächlich
daß das viele Leute nicht mögen,
ging es jedoch um Eislers Haltung
aber dann müssen sie sich eben
gegenüber dem sozialistischen
ändern. Vielleicht auch durch die
Staat – einer Haltung, der, typisch
Mittel der Musik.«
für den Komponisten, bei einem
positiven Grundtenor dennoch auch
Hanns Eisler im Interview, 1961
kritische Töne beigemischt waren.
Ungeachtet aller Konflikte, die Eisler mit dem Staat ausgetragen
hatte, war er am Beginn der 1960er Jahre nach außen ein wichtiger Repräsentant der DDR. Dass die Reaktionen der Presse auf die »Ernsten Gesänge«
ausnahmslos positiv ausfielen, verwundert also nicht. Die »Sächsischen
Neuesten Nachrichten« lassen schon in der Überschrift »Bedeutende EislerUraufführung« keinen Zweifel offen. Betont wird in den Kritiken, dass Eisler
sich die Dresdner Staatskapelle und Günter Leib ausdrücklich als Interpreten
gewünscht hatte. Das »Sächsische Tageblatt« kommentierte im Hinblick auf
die Interpretation: »Man hätte sich keine besseren Interpreten wünschen können.« Auch die »Union Dresden« unterstrich die Authentizität der Aufführung.
»Lange Mühe« an einer »kleinen Arbeit«
Der Briefwechsel zwischen dem Dresdner Staatstheater und Eisler zeigt, dass
sich der Komponist sehr für die Aufführung engagierte. Erwähnenswert aber
ist auch, dass Eisler und der Solist Leib interpretatorische Fragen kontrovers
diskutierten. Etwas anders als in den Kritiken zu lesen, war die Zusammenarbeit zwischen dem Bariton und Eisler, bei wechselseitigem Respekt vor dem
künstlerischen Können, gar nicht so einhellig. Eisler riet dem engagierten
Sänger mit der vollen Baritonstimme, er solle, um den nötigen Abstand zu gewinnen, die Stücke singen, »als wenn Sie’s aus dem Baedeker vorlesen«. Resultat der gemeinsamen Vorbereitungen ist eine Notiz im Vorwort der Noten,
dass der Sänger seinen Part »referieren« solle. Dem sängerischen Anspruch,
»mit Gefühl« zu interpretieren, wirkte Eisler vehement entgegen. Gerade weil
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S olist u nd D irigent der Ur au ff ü hr u ng von eislers » G es ä ngen « :
G ü nther L eib u nd Otm a r S u itner
die »Ernsten Gesänge« traurig sind, soll, so Eisler, der Inhalt nicht vom Inter­
preten erdrückt werden, sondern Raum lassen, damit der Hörer die Trauer
nicht nur mitempfindet, sondern reflektiert.
Im Gespräch mit dem Dramaturgen Hans Bunge betonte Eisler die
Mühe, die diese Komposition ihm machte: »Es kostete mich ein Jahr, um
sieben kleine Stücke in Ordnung zu bringen. Ja, das ist ganz einfach. Das
ist: Besinnung – Überlegung – Depression – Aufschwung – und wieder Besinnung.« Eisler verglich das Ergebnis seiner Bemühungen mit dem »Ablauf
einer Empfindung oder eines menschlichen Verhaltens. Das muß halt so
gemacht werden, sonst ist es nicht gut. Man kann nicht immer optimistische
Lieder schreiben. Das wäre erstens furchtbar langweilig, und zweitens
stimmt es auch nicht. Man muß eben in den konkreten Situationen das Auf
und Ab beschreiben, besingen und referieren«.
»Sei du, Gesang, mein freundlich Asyl«
Die »Ernsten Gesänge« bestehen aus einem »Vorspruch« und sieben sich
anschließenden Gesängen. Der Titel des Zyklus nimmt Bezug auf die »Vier
ernsten Gesänge« op. 121 von Johannes Brahms, die 1896, ein Jahr vor
dessen Tod, fertiggestellt wurden (und zu denen es entstehungsgeschichtlich und inhaltlich einige Parallelen gibt). Die Autoren der Eisler’schen
1. SYMPHONIEKONZERT
Liedtexte sind so vielfältig wie das
»Eisler ist gleichzeitig intellektuelWerk selbst. Darunter sind Friedler Schönberg-Schüler, volksnaher
rich Hölderlin (1770-1843), von dem
Arbeiterchordirigent, schlagfertiger
Eisler gleich vier Texte vertonte,
Bühnenmusiker, flexibler FilmBerthold Viertel (1885-1953), Giamusikkomponist und der Autor
como Leopardi (1798-1837), Helmut
antifaschistischer Agitation. […]
Richter (* 1933) und Stephan Herm­
Entscheidend blieb für Eisler, mit
lin (1915-1997). Bertolt Brecht, desavancierten musikalischen Verfahsen Texte Eisler zeitlebens und in
ren umzugehen und gleichzeitig für
zahlreichen Werken in Musik setzte,
ein Publikum verständlich zu sein.
ist nicht dabei. Die »Ernsten GesänDie von Eisler vertonten politischen
ge« sind zugleich Komposition und
Gehalte, häufig ein Drängen auf
Zusammenstellung, da Eisler in weiVeränderung und das Ausbrechen
ten Teilen auf vorhandene Liedkomaus gesellschaftlichen Zwängen,
positionen zurückgreift. Fünf der
waren für ihn nur in einer zeitgeLieder lagen bereits als Klavierlied
nössischen musikalischen Sprache
vor; Eisler überarbeitete sie geringdenkbar. […] Seine eigene Zerrisfügig und nahm eine durchgehende
senheit spiegelt die WidersprüchOrchestrierung vor.
lichkeit des 20. Jahrhunderts, seine
Ein wichtiger Teil des
Haltung die der ihn umgebenden
Zyklus sind die »Hölderlin-Fragparadoxen Welt.«
mente«, von denen Eisler »An die
Hoffnung« als Klavierlied bereits
Friederike Wißmann in ihrer 2012
1943 im amerikanischen Exil geerschienenen Eisler-Biografie
schrieben hatte; »Asyl« und »Komm
ins Offene, Freund!« gehen auf Filmmusiken zurück, die in den 1940er Jahren in den USA entstanden sind (»Asyl« auf »The Woman on the Beach« von
1947, »Komm ins Offene, Freund!« auf »So Well Remembered« von 1946);
»Vorspiel und Spruch« hat Eisler 1961 neu verfasst. Die Vertonungen der
beiden Texte von Berthold Viertel und Giacomo Leopardi beruhen wiede­­r­u m auf früheren Klavierliedern; komponiert wurden diese 1955 (»Traurigkeit«, 1953 als »Chanson allemande«) bzw. 1953 (»Verzweiflung«, damals
»Faustus’ Verzweiflung«). Das Lied »XX. Parteitag«, das jüngste des Zyklus,
nach einem Gedicht von Helmut Richter hat Eisler selbst betitelt. Die Enthüllungen bei diesem Parteitag der KPdSU über Stalins Verbrechen waren für
den Kommunisten Eisler ein harter Schlag. Er war wohl der einzige Komponist der DDR, der sich auf künstlerischer Ebene mit dem gravierenden Einschnitt auseinandersetzte, den dieser Parteitag für die sozialistischen Länder bedeutete. Interpretiert wurden die »Ernsten Gesänge« von dem EislerExperten Günter Mayer als Mahnung des Komponisten, eine menschliche
Ausrichtung des Kommunismus nicht aus den Augen zu verlieren. Ob Eisler,
wie es im letzten der »Gesänge« heißt, des »künftigen Glückes gewiß« war
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oder ob dieses Glück, wie Mayer vermutete, durch die dreimalige Wiederholung des »gewiß« sich selbst in Frage stellt, hat der Komponist wohl bewusst
offen gelassen.
Der Zyklus
Seine ästhetische Überzeugung hat Eisler in einer Vorbemerkung zu den
»Ernsten Gesängen« unmissverständlich formuliert: »Der Sänger möge sich
bemühen, durchweg freundlich, höflich und leicht zu singen. Es kommt
nicht auf sein Innenleben an, sondern er möge sich bemühen, den Hörern
die Inhalte eher zu referieren als auszudrücken. Dabei muß künstliche Kälte, falsche Objektivität, Ausdruckslosigkeit vermieden werden, denn auf den
Sänger kommt es schließlich an.«
Die »Ernsten Gesänge« beginnen, auch dies ist sprechend, mit
einem Streichquartett. Der Anfang »Vorspiel und Spruch« aber ist kein
Statement, sondern er setzt eine verhaltene Atmosphäre, die eher Fragen stellt denn eine Überzeugung konstatiert. Das folgende »Hölderlin-
Stationen von Hanns Eisler
1898
Hans Eisler wird in Leipzig geboren, 1901 siedelt die Familie
nach Wien über.
1916
Teilnahme in einem ungarischen Regiment am Ersten Weltkrieg.
1919 Er lernt Schönberg in Wien kennen und wird sein Schüler.
1925 Eisler geht nach Berlin.
1928
E isler schreibt für die kommunistische Zeitung »Die Rote
Fahne« und komponiert Arbeiterlieder, von 1930 an arbeitet
er mit Brecht zusammen.
1933
Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten
Beginn des Exils für den Juden Eisler (mit wechselnden
Aufenthalten in Europa, der Sowjetunion und den USA).
1938
E isler lässt sich in den USA nieder (mit Zwischenaufenthalt in
Mexiko); in Hollywood komponiert er vor allem für den Film.
1948
Trotz Einspruchs von Einstein, Chaplin, Strawinsky u.a. muss
Eisler die USA wegen »kommunistischer Umtriebe« verlassen.
1949 Eisler zieht in die DDR, in der er die Bekanntschaft mit Johan­
nes R. Becher macht und die Nationalhymne komponiert.
1962 Am 6. September stirbt Eisler an einem Herzanfall in Berlin.
1. SYMPHONIEKONZERT
Fragment« mit dem Titel »Asyl« spiegelt Eislers Suche nach einer geistigen
Heimat wider, die von zahlreichen und fundamentalen Erschütterungen
geprägt war. Zudem spielt die konkrete Erfahrung des Exilanten hinein,
der Heimatlosigkeit als existenzielles Lebensgefühl kennengelernt hatte.
Mit der Wiederholung des Hölderlin’schen Verses »Sei du, Gesang, mein
freundlich Asyl« bezieht sich Eisler zugleich auf eine andere Hymne Höl­
derlins (»Andenken«), in der dieser formulierte: »Was bleibet aber, stiften
die Dichter« – und damit das reflektierende Kunstschaffen höher stellte
als das politisch alltägliche Geschehen.
»Ohne Sentimentalität«
Das zweite Stück »Traurigkeit« auf den Text des österreichischen Dichters Berthold Viertel zählt zu den schönsten der Eisler’schen »Gesänge«.
Eisler erkannte die Gefahr, in der Melodie zu schwelgen. Deshalb soll
das Lied – wieder entgegen dem Textinhalt – nicht bekümmert, sondern
»freundlich-leicht« vorgetragen werden. So persönlich der Komponist durch
die »Ernsten Gesänge« spricht, so darf dieses nicht verwechselt werden mit
Sentimentalität. Eislers Lieder reflektieren nicht einen spontanen Gemütszustand, sondern haben den Anspruch, Trauer als etwas Überindividuelles
erfahrbar zu machen. »Traurigkeit« ist eine Adresse an den »Mensch[en] der
besseren Zeiten« und zugleich Reaktion auf den historischen Kontext (»die
Jahresdaten meiner Traurigkeiten«).
Das dritte Lied »Verzweiflung« ist die Vertonung eines Textes des italie­n ischen Dichters Giacomo Leopardi. Besonders eindrücklich gerät in diesem Stück die Kontrastierung des bewegten Hauptteils mit der Schlusswendung des Liedes auf den Text »beruhige dich«. Das mit »treibend« überschriebene, ja fast gehetzte Nachspiel macht als eine Art dramaturgischer Kontrapunkt deutlich, dass die angeratene Beruhigung angesichts des im Gedicht
beschriebenen »Schmutz[es]« der Welt gar nicht leicht zu erreichen ist.
Zentral ist die Vertonung des Hölderlin-Gedichts »An die Hoffnung«,
das Eisler zur Grundlage des vierten Stücks nimmt. Es ist eine Ode, in der die
»gütiggeschäftige« Hoffnung gesucht wird. Fast atemlos klingt die triolisch
vertonte Frage »Wo bist du?«. Wie nötig die Hoffnung für den Menschen ist,
verdeutlicht Eisler sowohl im Text wie durch die musikalische Faktur; denn,
so heißt es im Text, ohne Hoffnung »schlummert das schaudernde Herz«.
Mit dem fünften Stück »XX. Parteitag« verlässt Eisler die Ebene der
poetischen Abstraktion, um sein unmittelbares politisches Umfeld einzubeziehen. Eisler schrieb das Lied am 12. Juni 1962. In der Komposition ist der
letzte Vers »Leben, ohne Angst zu haben« unterstrichen, und auch hier kann
man sich kaum des Eindrucks erwehren, der Komponist adressiere das Publikum unmittelbar: »Wird sich nun der Traum erfüllen derer, die ihr Leben
16
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Da s P rogr a mm der D resdner Ur au ff ü hr u ng der » E rnsten G es ä nge«
Im September 1961 wandte sich Otmar Suitner an Hanns Eisler, da er plante,
die folgende Dresdner Konzertsaison mit einem Werk des Komponisten zu
eröffnen. Eisler schlug zunächst die »Deutsche Symphonie« vor. Auf das Programm rückten schließlich die »Ernsten Gesänge«, deren Uraufführung Eisler
der Kapelle und Suitner übertrug. Über den Entstehungsprozess des Zyklus,
der im Laufe des Jahres 1962 von anfänglich vier (»Vier ernste Gesänge«) auf
fünf und zuletzt auf sieben Gesänge samt »Vorspiel und Spruch« anwuchs,
berichtete Eisler in seiner Korrespondenz mit Suitner und der Dresdner Inten­
danz. Eine Uraufführung der fünfsätzigen Fassung mit Günther Leib als Solisten wurde zwischenzeitlich auf den 15. Mai 1963 angesetzt.
1. SYMPHONIEKONZERT
gaben für das kaum erträumte Glück«. Bei allem Engagement wird dieses
Lied, ganz anders als Eislers Agitprop-Lieder, »leise, ohne Sentimentalität«
vorgetragen. Auch die wiederholten Streicher-Achtel, gespielt »col legno«,
also perkussiv mit dem Holz des Bogens, verhindern nachgerade, dass die
Gesangslinie auf den Text »Ich halte dich in meinem Arm umfangen« den
Hörer umgarnt.
An sechster Stelle steht das versöhnliche Lied »Komm ins Offene,
Freund!«. Die zugrundeliegende Hölderlin-Elegie ist ein Resümee des
künstlerischen Tuns: »Denn nicht Mächtiges ist unser Singen, aber zum
Leben gehört es«. Das Stück schließt mit den schlichten, bilanzierenden
Worten: »Wir, so gut es gelang, haben das Unsre getan«. Auch wenn der
Text von Zweifeln zeugt, ist hier doch in einer parallelen Ausrichtung von
Text und Musik ein verhaltener Optimismus erkennbar.
Am Ende des Zyklus steht ein »Epilog«, der auf Worten von Stephan
Hermlin basiert. Hermlin schrieb den Text unter dem Titel »Nänie auf den
Tod eines Dichters« 1961 anlässlich des posthumen 70. Geburtstags von
Johannes R. Becher. Das Lied enthält nicht nur den Verweis auf Eislers
künstlerisches Umfeld, es birgt auch verschiedene Selbstzitate, darunter
einige Takte aus seiner Filmmusik zu »None but the Lonely Heart« (1944).
Die »Gesänge« enden mit einem ausführlichen Nachspiel nach der Zeile
»künftigen Glückes gewiß«.
Widerspruch zur Einheitlichkeit
Sowohl auf der Ebene des Textes als auch musikalisch stellen die »Ernsten
Gesänge« die ganze Bandbreite von Eislers Stilistik aus. Frei-atonale Passagen wie im »Vorspruch« und tonale Anteile, etwa im »XX. Parteitag«, stehen
sich in einem Zyklus gegenüber. »Ich liebe Widersprüche«, kommentierte
Eisler das Werk. »Und der Widerspruch ist gewiß auch in meiner letzten Arbeit – zwischen den ›Ernsten Gesängen‹ und der jetzigen Situation. Aber ich
glaube, wir müssen über die Vergangenheit nachdenken. Wer die Zukunft
haben will, muß die Vergangenheit bewältigen. Er muß sich reinigen von
der Vergangenheit, um klar und sauber in die Zukunft zu blicken.«
Eisler meint damit nicht nur eine politische Haltung, sondern er
bezieht sich mit diesen Sätzen auch auf sein künstlerisches Vorgehen. Im
Zyklus korrespondieren somit ganz verschiedene Schaffensperioden. In den
Rezensionen und auch im Dresdner Programmheft zur Uraufführung aber
wird nicht die Heterogenität, sondern die Einheitlichkeit des Zyklus betont –
trotz der großen Zeitspanne der Entstehung der Lieder. So heißt es in den
»Sächsischen Neuesten Nachrichten«: »Obwohl die Niederschrift der Lieder
sich über fast zwei Jahrzehnte erstreckt […] – also von der Emigration bis
in die Gegenwart unserer Republik – ist der ganze Zyklus von bewunderns-
18
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»Aber ich glaube, es ist die Ehrwerter Einheitlichkeit und zeigt die
lichkeit des Künstlers, diese Dinge
Entwicklungslinie zu einem Alterszu benennen, die wir jetzt schwer
stil von höchster Konzentration und
durch­erlebt haben. Das ist nicht imSparsamkeit der Mittel.«
mer angenehm. Es wäre mir viel lieHier klingt es fast so, als
ber gewesen, einen feschen Marsch
wolle die Presse vor dem Hinterzu schreiben, den ich auch […] oft
grund einer staatlich verordneten
geschrieben habe. Aber diesmal will
Ästhetik Eisler vor sich selbst beich keine feschen Märsche schreischützen. Die Kulturbürokraten
ben, sondern ernste Gesänge.«
hatten den von Eisler geschätzten
Widerspruch offensichtlich nicht
Hanns Eisler, 1962
im Programm. Auffallend ist nun,
dass Eislers »Ernste Gesänge« auch
im »Sächsischen Tageblatt«, wohl um den Vorwurf des Disparaten vorauseilend zu unterbinden, als Quasi-Klassiker gelobt werden: »Hanns Eisler ist
einer der Großen des deutschen Liedes. Und er ist einer der wenigen, die es
wagen dürfen, Hölderlin zu vertonen. Aus den Jahren der Emigration kennen wir einzigartige Vertonungen Hölderlinscher Gedichte. Eislers Musik
erschlägt die Worte nicht, deckt sie nicht zu, sondern stützt sie, ohne nur zu
untermalen. Es ist eine Einheit von Wort und Ton, wie wir sie sonst nur von
Franz Schubert kennen.«
Die »Ernsten Gesänge« bedeuten eine ganz andere Ausrichtung,
als Eisler sie am Beginn der 1950er Jahre in den »Neuen Deutschen Volksliedern« verfolgt hatte. Sie sind weniger programmatisch, und sie bergen
eher ein persönliches Statement denn eine staatsmännische Stellungnahme.
Im Unterschied zu Eislers Konzept der neuen Einfachheit erscheint der an
seine Arbeiterlieder erinnernde Marschtypus etwa im »XX. Parteitag« nicht
als Appell, sondern als fernes Zitat. Und noch im letzten Lied stehen eine
erinnerte oder vielleicht ersehnte Idylle und deren Abbruch unmittelbar
nebeneinander. Die »Ernsten Gesänge« schließen nicht mit dem von Eisler
oft verwendeten Fortesforzato-Schlussakkord, sondern mit einem PizzicatoAkkord im Pianissimo. Es ist dies kein Ausrufezeichen, sondern ein fragiler
Schlusspunkt.
Fr i e d e r i k e W i ß m a n n
Die Autorin ist Professorin an der KONSuni in Wien (Konservatorium Wien Privat­
universität) und wirkte als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hanns-EislerGesamtausgabe mit. Im vergangenen Jahr erschien mit ihrer Biografie »Hanns
Eisler. Komponist, Weltbürger, Revolutionär« in der »Edition Elke Heidenreich«
des C. Bertelsmann Verlags eines der Standardwerke über den Komponisten.
1. SYMPHONIEKONZERT
Hanns Eisler
»Ernste Gesänge«
2. Traurigkeit
(B erthold V iertel)
Wer traurig sein will, wird vielleicht mich lesen,
und er wird denken zwischen den Zeilen:
Ja, traurig ist auch dieser Mensch gewesen,
aber kann meine Traurigkeit die seine heilen?
Du solltest dich über die Gründe fragen der Traurigkeit,
du Mensch, du Mensch der besseren Zeiten.
Die meine wird dir die Geschichte sagen,
die Jahresdaten meiner Traurigkeiten.
Vorspiel und Spruch
(F riedrich H ö lderlin)
3. Verzweiflung
(G i acomo L eopa rdi)
Viele versuchten umsonst, das Freudigste freudig zu sagen,
hier spricht endlich es mir, hier in der Trauer sich aus.
1. Asyl
(H ö lderlin - fr agment )
In seiner Fülle ruht der Herbsttag nun,
geläutert ist die Traub, und der Hain ist rot vom Obst,
wenn schon der holden Blüten
manche der Erde zum Danke fielen.
Und rings im Feld, wo ich den Pfad hinaus,
den stillen, wandle, ist den Zufriedenen ihr Gut gereift,
und viel der frohen Mühe
gewähret der Reichtum ihnen.
Und leuchtest du, o Goldenes, auch mir,
und wehst auch du mir wieder, Lüftchen,
als segnest du eine Freude mir,
wie einst, und irrst, und irrst.
Beglückt, wer am sicheren Herd in rühmlicher Heimat lebt.
Nichts gibt’s, was würdig wäre deiner Bemühungen,
und keinen Seufzer verdient die Erde.
Schmerz und Langeweile sind unser Los
und Schmutz die Welt,
nichts andres, beruhige dich.
4. An die Hoffnung
(H ö lderlin - fr agment )
O Hoffnung! Holde! Gütiggeschäftige!
Die du das Haus der Trauernden nicht verschmähst
und gerne dienend zwischen den Sterblichen waltest:
Wo bist du?
Wenig lebt’ ich; doch atmet kalt mein Abend schon.
Und stille, den Schatten gleich, bin ich schon hier;
und schon gesangslos schlummert das schaudernde Herz.
5. XX. Parteitag
(N ach einem G edicht von H elm u t R ichter )
Doch heute laß mich still den trauten Pfad zum Haine gehn,
dem golden die Wipfel schmückt sein sterbend Laub,
und kränzt auch mir die Stirne, ihr Erinnerungen.
Und daß mir auch, wie andern, eine bleibende Stätte sei,
sei du, Gesang, mein freundlich Asyl.
20
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Ich halte dich in meinem Arm umfangen.
Wie ein Saatkorn ist die Hoffnung aufgegangen.
Wird sich nun der Traum erfüllen derer, die ihr Leben gaben
für das kaum erträumte Glück:
Leben, ohne Angst zu haben.
1. SYMPHONIEKONZERT
2 . S eptember 2 013
Köln, Philharmonie
3 . S eptember 2 013
6. Komm ins Offene, Freund!
Braunschweig, Staatstheater
(H ö lderlin - F r agment )
5 . & 6 . S eptember 2 013
Komm ins Offene, Freund! Zwar glänzt ein Weniges heute
nur herunter, und eng schließt der Himmel uns ein.
Trüb ist’s heut, es schlummern die Gäng’ und die Gassen.
Es scheint, als sei es in der bleiernen Zeit.
Denn nicht Mächtiges ist unser Singen,
aber zum Leben gehört es.
Kommen doch auch der Schwalben immer einige doch,
ehe der Sommer im Land.
Möge der Zimmermann vom Gipfel des Dach’s den
Spruch tun:
Wir, so gut es gelang, haben das Unsre getan.
Lucerne Festival, KKL Luzern
Europa-Tournee
Christian Thielemann Dirigent
Johan Botha Tenor
Thomas Hampson Bariton
7. Epilog
(S teph a n H ermlin)
Nahe schon ist der Herbst, nah ist im Fall der Frucht das
Verklingen des Lieds,
dort, wo der Wald erdröhnt tief vom Stürzen der Toten und
den Stürmen,
die südwärts ziehn.
Denn bestimmt ist’s, daß groß auf sich Verdunkelndes Schlaf
kommt,
schattender Hauch, groß wie das Sehnen nach Stille,
wenn nach des Lichtes Glanz der heftige Tag verstummt.
Ihm auch kündigt sich an hellerer Zeiten Bild,
und was lange schon herrlich verheißen ist,
wehet auch durch die Stille und macht sie schön.
R epertoire :
Anton Bruckner
Symphonie Nr. 5 B-Dur
Hanns Eisler
»Ernste Gesänge« für Bariton und Orchester
Hans Werner Henze
»Fraternité«, Air pour l’orchestre (1999)
Richard Wagner
Auszüge aus »Rienzi«, »Der fliegende Holländer«,
»Tannhäuser« und »Lohengrin«
»Eine Faust-Ouvertüre«
Neues wächst aber fort, so wie die Zeit es will.
Die ist des Darbens müd. Ihn aber ruft es weit.
Was auch ohne ihn blüht, preist er, künftigen Glückes gewiß.
PA R T N E R D E R
S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
Abdruck mit freundlicher Genehmigung des
Deutschen Verlags für Musik, Leipzig
22
23
Anton Bruckner
* 4 . S eptember 18 2 4 in Ansfelden (O ber ö sterreich)
† 11. O ktober 18 9 6 in W ien
Symphonie Nr. 5 B-Dur
1. Introduction. Adagio – Allegro
2. Adagio. Sehr langsam
3. Scherzo. Molto vivace (Schnell) – Trio. Im gleichen Tempo
4. Finale. Adagio – Allegro moderato
E ntsteh u ng
Ur au ff ü hr u ng
14. Februar 1875 bis 16. Mai 1876,
Durchsicht und Umarbeitung
1877 einschließlich Einfügung der
Stimme der Basstuba, Abschluss
der Revision am 4. Januar 1878,
kleinere Änderungen zwischen
1878 und 1887
Karl Anton Franz von Stremayer,
k.k. Minister für Cultus und Unter­
richt
9. April 1894 in Graz im Theater
am Stadtpark durch das Orchester
der vereinigten Grazer Bühnen
unter Franz Schalk in einer von
ihm erarbeiteten Fassung;
originale Fassung am 23. Oktober 1935 in München durch die
Münchner Philharmoniker unter
Siegmund von Hausegger; erste
Aufführung durch die damalige
Dresdner Hofkapelle am 8. Februar 1907 unter Ernst von Schuch
B esetz u ng
V erl ag
2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten,
2 Fagotte, 4 Hörner, 3 Trompeten,
3 Posaunen, Tuba, Pauken,
Streicher
Musikwissenschaftlicher Verlag,
Wien
W idm u ng
Dau er
ca. 75 Minuten
24
25
»Kontrapunktisches
Meisterstück«
Bruckners fünfte
P
lötzlich ist er da. Wie aus dem Nichts taucht er auf, ein Choral,
nach bald 200 Takten im Finale von Anton Bruckners Fünfter.
Die ersten Steigerungswellen des Satzes sind verebbt, noch gewaltigere Entwicklungen werden folgen – inmitten aber, wie ein
Atemschöpfen, eine Insel der inneren Einkehr, steht dieser Choral.
Strahlend, schlicht, berückend, wie aus Stein gemeißelt, mehrfach intoniert
von den Blechbläsern und eingeleitet von den Streichern. Es herrscht die
sprichwörtliche »Ruhe vor dem Sturm« – und zugleich ist man Zeuge eines
jener faszinierenden Momente in der Bruckner’schen Symphonik, die dem
Hörer den Atem verschlagen können. Die Zeit scheint still zu stehen, es ist, als
träte die Musik aus sich heraus, auf eine andere, höhere Ebene, in eine andere
Welt und Zeitrechnung. Man darf annehmen, dass es gerade Stellen wie diese
waren, die Johannes Brahms zu dem berühmten Urteil veranlassten, dass
man zu den Werken seines scheinbar so unbedarft dreinkomponierenden
Wiener Kontrahenten nichts sagen könne. »Bruckner liegt jenseits«, ließ der
Norddeutsche verlauten, ȟber seine Sachen kann man nicht hin und her,
kann man gar nicht reden.«
Zweifellos gibt es auch in den übrigen Symphonien Bruckners Cho­
räle oder Anklänge an diese Sphäre: im letzten Satz der Dritten etwa, in dem
sich Choral und Polka überlagern, im Adagio und im unvollendeten Finale
der Neunten oder auch in den Anfangssätzen der frühen »Annullierten«.
Wohl in keiner dieser Symphonien aber übernehmen die Choralgebilde
eine derart prominente und für die musikalische Architektur so tragende
Rolle wie in dieser Fünften. Deren Finale-Choral ist nicht ohne längere
symphonische »Vorgeschichte«: Bereits in der langsamen Einleitung am
Beginn dieser Symphonie tritt ein mächtiger choralartiger Blechbläsersatz
entgegen, der mit Bruckner’schem Nachdruck davon kündet, was die Fünfte
in ihrem weiteren Fortgang einlösen wird. Überhaupt ist der Anfang des
ersten Satzes voller bedeutsamer Anspielungen: Mit ihrem gleichmäßigen,
gedämpften Puls der tiefen Streicher haben die allerersten Takte nicht zu
1. SYMPHONIEKONZERT
Messe oder Streichquartett war es die Symphonie, die, spätestens seit den
Zeiten Haydns, schier unendliche Ausdrucksmöglichkeiten zur Verfügung
stellte; in ihr konnte Bruckner das weite Spektrum an Stilen und Techniken
ausschreiten und erkunden, die die Musik des 18. und 19. Jahrhunderts auf
allen Gebieten angehäuft hatte. Und so gehören neben dem Choral auch
Charaktere wie der Ländler, Anleihen an Jagdmusik oder Ausflüge ins »Phantastische« zum Ausdrucksrepertoire Bruckners, in seinen Symphonien begegnet man dem großen »Ton« ebenso wie der kammermusikalischen Verdichtung, dem instrumentalen Gesang ebenso wie dem geballten Orchesterklang.
Das Sakrale tritt dem Tanz, spätromantische Pracht moderner Klangarchitektur gegenüber. Gustav Mahler, der Bruckner als Lehrer an der Universität
erlebte, fand für sein eigenes Schaffen den viel zitierten Ausspruch von der
symphonischen »Welt« – eine Formel, die man, unter anderen Voraussetzun­
gen, ganz sicher auch auf Bruckners Symphonik übertragen darf.
Bruckners Aufstieg
T r a dition a list u nd V ision ä r : Anton B r u ckner , u m 18 8 0
Unrecht Erinnerungen an die Eröffnung von Mozarts Requiem geweckt.
Ebenso lassen sich die kurz darauf mit voller Wucht des Orchesters einsetzenden, »hochfahrenden« Gesten als jahrhundertealte musikalische Figuren
von sakraler, himmelgerichteter Symbolik deuten.
Man muss die Fünfte deswegen nicht als »Glaubenssymphonie«
betiteln, als »Choralsymphonie« oder »Katholische«, wie es in der BrucknerLiteratur geschah. Verständlich aber werden Benennungen wie diese allemal:
als Versuche, dem gewaltigen Werk beizukommen, es im wahrsten Sinne des
Wortes »begreifbar« zu machen. Die Fünfte verdeutlicht einmal mehr, was
Bruckner eine Symphonie bedeutete, ja warum er sich Mitte der 1860er Jahre,
als damaliger Dom- und Stadtpfarrorganist in Linz, überhaupt in das Abenteuer des symphonischen Komponierens gestürzt haben mag: Weit mehr als
26
27
In Partitur gesetzt wurde Bruckners Fünfte in einer wahren Hochphase
seines Komponierens, fast nahtlos reihten sich in den 1870er Jahren seine
zweite und dritte, dazu die vierte und fünfte Symphonie aneinander, samt
anschließender Revisionsphase, in der alles bis dahin Komponierte auf den
Prüfstand gestellt, hinterfragt und fleißigst »aktualisiert« wurde und nebenbei das große Streichquintett Gestalt annahm. Was seine Karriereaussichten
und Lebensbedingungen anbelangt, nahm Bruckner seine Situation allerdings als äußerst bedrückend wahr, in seinen Briefen stößt man auf verbitterte Klagen: »In meinem ganzen Leben hätte man mich nicht nach Wien
gebracht, wenn ich das geahnt hätte«, umschrieb er seine Lage. »Ein Leichtes wäre es meinen Feinden, mich aus dem Conservatorium zu verdrängen.
Es wundert mich, daß dieß nicht schon geschehen ist. […] Mein Leben hat
alle Freude und Lust verloren – umsonst, und um nichts.«
Trotz aller Beschwerden aber zeigten sich gerade in den Entstehungsjahren der Fünften, 1875/1876, einige Lichtblicke am Horizont:
Richard Wagners Aufenthalt in Wien ließ Bruckner innerlich wieder näher
an den verehrten »Bayreuther Meister« heranrücken, das öffentliche Lob
des Musikdramatikers für Bruckners dritte Symphonie entschädigte offensichtlich für so manches. Auch glichen neue Einnahmequellen an der
Hofkapelle frühere finanzielle Einbußen weitgehend aus. Als Meilenstein in
Bruckners gesellschaftlichem Aufstieg erwies sich indessen seine (anfangs
unbesoldete) Bestellung zum Lektor für Harmonielehre und Kontrapunkt an
der Wiener Universität – eine Position, um die er lange hartnäckig gekämpft
hatte, gegen alle Widerstände und Vorbehalte. Aufgrund einiger taktischer
Fehler in seiner Bewerbung hatte eine Zusage Jahre auf sich warten lassen;
1. SYMPHONIEKONZERT
besonders die Tatsache, dass der einflussreiche Wiener Kritiker Eduard
Hanslick, seines Zeichens Professor für Musikgeschichte und Ästhetik, seine Zustimmung zu einem Kollegen Bruckner geben musste, erwies sich als
hinderlich. Hanslick, der den Kirchenmusikkomponisten Bruckner noch mit
Wohlwollen und Unterstützung begleitet hatte, war längst ein gefürchteter
Gegner geworden. Bruckners Ehrgeiz und aufreizende Geduld waren jedoch
nicht zu unterschätzen. Er besaß wieder einmal den längeren Atem – und
konnte im Sommersemester 1876 seine erste Vorlesung an der von ihm hoch
geschätzen Wiener Universität halten.
Die Universität und die Folgen
Die Bedeutung, die der universitäre Wirkungskreis für Bruckners Selbstverständnis und nicht zuletzt für seinen Stand in der Öffentlichkeit besaß,
dürfte kaum zu überschätzen sein. Den Schilderungen seiner Schüler zufolge entfaltete er, entgegen allen Vorurteilen und Unkenrufen, in seinen
Lesungen einen anspruchsvollen, gewissenhaft auf seine Hörer abgestimmten Unterricht – ein viel besuchter, mit seiner Persönlichkeit »gewürzter«
Kursus über musiktheoretische Belange. Bruckner wusste, wovon er sprach:
Nicht umsonst hatte er sich in jungen Jahren bei dem berühmten Theoretiker Simon Sechter einer langwierigen, mühevollen Ausbildung im musikalischen »Handwerk« unterzogen, um gewappnet zu sein für den Komponis­
tenalltag. In dieser mehrjährigen Lehrzeit dürfte kaum eine satztechnische
Konstellation unbesprochen geblieben sein, ein- bis vierfacher Kontrapunkt,
Kanon und Fuge in allen Varianten inklusive.
Durchaus verbreitet ist die Ansicht, dass sich Bruckners akademi­
sche Ambitionen auch auf sein Komponieren auswirkten. Diese Vermutung
hat einiges für sich, und man mag sich lebhaft ausmalen, wie sich die Ansprüche des Komponisten an sein Schaffen, ohnehin längst an der Grenze
zur Selbstpeinigung angelangt, mit der Berufung an die Universität und
gewiss schon im Vorfeld nochmals erhöhten. Die tiefgreifenden Revisionen,
die er in dieser Zeit an seiner Zweiten, Dritten und Vierten vornahm, sind
Zeugnis seines unbändigen Willens nach Perfektion und musiktheoretischer
»Korrektheit«. Als Bruckner Jahre später auf sein Schaffen zurückblickte,
legte er, ganz in diesem Sinne, großen Wert auf die Feststellung, dass seine
Werke »auf wissenschaftlicher-contrapunctischer Grundlage beruhen«.
Was Bruckner darunter verstand, dürfte er allerdings selten so
radi­kal und kompromisslos in die Tat umgesetzt haben wie in seiner »phantastischen« Fünften: seinem »kontrapunktischen Meisterstück«, das von
Anfang an augenscheinlich richtig »auf Kurs« gebracht war und von den
Bruckner’schen Überarbeitungsschüben weitgehend verschont blieb, nur in
einer Fassung überliefert ist. Offen, ja unverhohlen herausgestellt und prä-
28
29
D ie Alte W iener Universität im 1. B ezirk , 1911
(he u te S itz der ö sterreichischen Ak a demie der W issensch a ften),
B lick R ich T u ng B äckerstr a sse u nd Lu geck
Überaus herzlich, respekt- und vertrauensvoll, beinahe väterlich muss Bruckners Umgang mit den Studenten, seinen »Gaudeamus«, an der Universität
gewesen sein. Ein Auftreten, das offenbar immer auch mit einem gehörigen
Unterhaltungswert verbunden war: Regelmäßig pflegte Bruckner im »akademischen Viertel« vor seinen Veranstaltungen über Neuigkeiten aus seinem
Leben, von seinen Werken, aktuellen Aufführungen oder Kritiken zu berichten.
Nicht wenige schätzten diese vergnügliche »Hetz«, die Bruckners Popularität in
der akademischen Jugend nochmals beförderte. Gustav Mahler zählte zu den
Besuchern der Vorlesungen am Montagabend, aber auch viele »fachfremde«
Studenten. Entsprechend seiner Hörerschaft beschränkte sich Bruckners
Unterricht, im Gegensatz zum Konservatorium, auf die Grundzüge seiner an
Sechter geschulten theoretischen Auffassungen. Fast zwei Jahrzehnte lehrte
er an der Universität, bis ihn sein Gesundheitszustand im November 1894 zur
Aufgabe seiner Tätigkeit zwang.
1. SYMPHONIEKONZERT
gend für ihre strenge, ausgesprochen herbe klangliche Fassade ist, weit mehr
als sonst, der ausgiebige Gebrauch altehrwürdiger satztechnischer Verfahren: In ihrem »polyphonen Styl« und ihrem »ausserordentlichen Reichthum
kontrapunktischer Kunst«, wie es der Bruckner-Schüler Josef Schalk formulierte, hat die Fünfte geradezu etwas ungeschminkt Lehrbuchhaftes an sich
(mit dem man sich als Universitätslehrer bestens sehen und vor allem hören
lassen konnte).
»Zurück in die Zukunft«
Kontr a p u nktst u dien des j u ngen B r u ckner , 18 5 9/18 6 0
Bei dem als Autorität auf seinem Gebiet geachteten Musiktheoretiker Simon
Sechter, bei dem schon Franz Schubert in seinen letzten Lebensjahren »in die
Lehre« zu gehen beabsichtigte, absolvierte Anton Bruckner zur Vorbereitung
auf seine kompositorische Laufbahn ab Juli 1855 ein sechsjähriges Studium in
Fundamentalbasstheorie, Harmonielehre, Kontrapunkt und Kirchenstil. Von
Linz aus bearbeitete er den streng gegliederten Ausbildungsstoff im brieflichen
Austausch mit Sechter, mehrfach reiste er auch für längere Studienaufenthalte
zu seinem verehrten Lehrer nach Wien. Bruckners Kontrapunktaufzeichnungen
verraten den Fleiß und die Disziplin, mit der er systematisch und unermüdlich
eine satztechnische Aufgabe nach der anderen löste. Als Sechter starb, trat
Bruckner 1868 dessen Nachfolge als Professor am Wiener Konservatorium
der Gesellschaft der Musikfreunde an. Sechters Schriften blieben Bruckners
Grundlage auch in seiner eigenen Lehre am Konservatorium und später an
der Wiener Universität, die ihm 1891 das ersehnte Ehrendoktorat verlieh.
30
31
Dieser Eindruck wird noch verstärkt durch den betont »klassischen«, »vorbildlichen« Aufbau der Symphonie. Eine Art Symmetrie durchzieht die
Fünfte: Während Bruckner dem ersten und dem letzten Satz langsame Einleitungen vorausschickte und auf diesem Wege aufeinander bezog, baute
er die beiden mittleren Sätze, Adagio und Scherzo, auf einer identischen
Begleitschicht auf – und verknüpfte sie so trotz ihrer Gegensätzlichkeit
ebenfalls zu einem Satzpaar. Eine solche Konzeption ist bei Bruckner ohne
Vergleich. Regelrecht vorgeführt werden diese Zusammenhänge dem Hörer
in der Einleitung des Finales, in der die Hauptgedanken der früheren Sätze
nochmals aufgerufen, herbeizitiert werden, um im »Gänsemarsch« erneut in
das Scheinwerferlicht der symphonischen Bühne zu treten. Dies alles deutet
darauf, dass Bruckner in der Fünften mehr noch als je zuvor darauf zielte,
eine Partitur durch Verweise und Bezüge in ihrem Inneren zu konzentrieren – ganz so wie der ewige Rivale Brahms auf oftmals verborgenen, aber
doch spürbaren Beziehungsreichtum setzte, was Bruckner ein ums andere
Mal imponiert haben dürfte.
Bruckners Verfahren, den Schwerpunkt einer Symphonie im Finale
zu errichten, blieb auch und gerade in der Fünften gültig – allerdings in ganz
individueller Ausprägung. Als »Motor« des Geschehens entpuppen sich in
diesem Satz die immer ausgefeilteren, in mehreren Etappen und mit aller
Macht ausgebreiteten Fugentechniken, die ihre historischen Vorbilder, zuallererst Mozarts »Jupiter-Symphonie«, noch von Ferne anklingen lassen. Sie
dienen bei Bruckner unmissverständlich einem Ziel: den Schlusssatz nach
dem tiefgründigen Adagio und dem energiegeladenen Scherzo zum alles
übertrumpfenden Höhepunkt der Symphonie zu erheben. Es ist, als seien in
diesem Finale alle Krisenmomente, alle verwirrende Vielfalt, alle unbeantworteten Fragen des Daseins noch einmal unter eine Gewissheit gezwungen,
die es doch geben müsse. Und so bleibt es dem Choral vorbehalten, kraftvoll
und in mehrfacher Wiederholung den Schluss der Fünften »zu zementieren« –
Bruckner, der einstige Sängerknabe von St. Florian, der begnadete Organist
und Schöpfer zahlloser Kirchenwerke, trug das Wort »Choral« eigens in seine
Partitur, über die Schlusstakte der Fünften, ein.
1. SYMPHONIEKONZERT
Proben mit Bruckner
Es sollte Jahre dauern, bis Bruckners Fünfte in ihrer Originalgestalt auf dem
Konzertpodium erklang. Im April oder Mai 1878 scheint zunächst Franz Liszt
die Symphonie vor Publikum auf dem Klavier gespielt zu haben. Gut zehn Jahre später kam es zur öffentlichen Aufführung einer Fassung für zwei Klaviere,
wobei Bruckner den beiden Interpreten, Josef Schalk und Franz Zottmann, im
Vorfeld durch sein angeblich »unausstehliches« Verhalten offenbar gehörige
Schwierigkeiten bereitete; er sträubte sich gegen die Aufführung und bestand
darauf, dass »vorher ein mehrere wochenlanges gründliches Studium vorhergegangen ist – und zwar ein Studium in meiner Gegenwart«. Dies war im
veranschlagten Zeitraum – was das Fass zum Überlaufen brachte – nicht mehr
zu realisieren, die Aufführung musste verschoben werden, ohne dass sich die
Wogen zwischen Bruckner und Josef Schalk auf die Schnelle geglättet hätten
(ein ausführlicher Zeitzeugenbericht ab S. 34 in diesem Heft). Im Orches­
tergewand erlebte die Symphonie ihre Premiere dann sieben Jahre darauf,
im April 1894, bald zwei Jahrzehnte nach ihrer ersten Fertigstellung: Franz
Schalk, der jüngere Bruder Josef Schalks, dirigierte in Graz eine Version, die
allerdings beträchtliche Abweichungen gegenüber der Bruckner’schen Fassung aufwies. Der Komponist, der krankheitsbedingt dem Ereignis nicht beiwohnen konnte, wusste von vielen der Änderungen, auch Kürzungen, nichts.
Zugestimmt hatte er jedoch der Verstärkung des Schluss-Chorals durch ein
Ensemble von elf erhöht platzierten Blechbläsern.
Von der günstigen Aufnahme der Symphonie war Bruckner tief berührt, wie er Franz Schalk anvertraute: »Kaum darf ich einige Stunden heute
außer Bett zubringen, drängt es mich mit Sturmesgewalt, Ihnen mein Herz
zu öffnen, jenes Herz, welches mir so schwer zu schaffen macht, indem es
mir schon seit Ostern wieder den Athem versagte. Nehmen Sie meine tiefste
Bewunderung Ihrer außerordentlichen Kunst, und meinen unaussprechlichen Dank für so große, große Mühe entgegen!!! Wie schmerzlich ich diese
so große Freude, anwesend sein zu können, vermißte, kann ich nie beschreiben. Dem hiesigen Wagnerverein habe ichs bereits ans Herz gelegt, daß Sie
die 5te in Wien dirigiren sollten! [...] Einmal möchte ich sie auch hören.«
Bruckners Wunsch erfüllte sich nicht. Er teilte, zumindest was eine
orchestrale Aufführung der Fünften anbelangt, das Schicksal seines österreichischen Landsmannes Hanns Eisler, der die Uraufführung seiner bald
100 Jahre später entstandenen »Ernsten Gesänge« auf dem Konzertpodium
ebenfalls nicht mehr miterlebte (auch er hatte, wie Bruckner, jahrelang u.a.
als Professor für Komposition und Kontrapunkt gelehrt). Und noch etwas eint
diese beiden ansonsten so gegensätzlichen Komponisten und ihre Werke:
Ähnlich wie Eislers Liederzyklus ist auch Bruckners Fünfte ein eindrückliches, in Klang gegossenes Plädoyer für die Auseinandersetzung mit der
32
33
Vergangenheit, sie ist, auf ihre Weise, ein Dokument der Rückschau und
der Selbstvergewisserung, der stillen Zweifel, der Hoffnung und des Kraftschöpfens, sie ist Summe der Erfahrungen und Bilanz des Erreichten, aus ihr
spricht das Umkreisen von Identität und Heimat, das Festhalten an Grundordnungen und Überzeugungen, sie ist Erinnerung, Bekenntnis und kühne
Vision. Alles dies freilich nicht in einem politischen Sinne oder aus einem
gesellschaftlichen, aufklärerischen Ausdrucksbedürfnis heraus, umso mehr
aber unter kompositionstechnischen und eben auch unter persönlichen,
biografischen, in gewisser Hinsicht sogar weltanschaulich-religiösen Vorzeichen. Bruckners Blick zurück, in die (eigene) Vergangenheit, wird in der
Fünften zum Ausgangspunkt neuer, unkonventioneller Strategien des symphonischen Komponierens und führt gleichzeitig zu einem klanglichen Gefüge, aus dem, wer mag, sehr wohl eine Weltsicht, eine Aussage über das, was
die Welt in ihrem Innersten zusammenhält, heraushören kann. Bruckners
komplexer symphonischer »Kosmos« unterliegt einer Ordnung, oder besser:
beschwört diese Ordnung mit Vehemenz und Nachdruck.
Aufgaben des Künstlers
»... wir müssen über die Vergangenheit nachdenken. Wer die Zukunft haben will, muß die Vergangenheit bewältigen. Er muß sich reinigen von der
Vergangenheit, um klar und sauber in die Zukunft zu blicken«, heißt es bei
Eisler, der fortführte: »Vielleicht ist die Aufgabe eines Künstlers – und seine
Aufgabe ist eine sehr bescheidene, wenn wir die heutige Welt betrachten –:
die Vergangenheit echt und scharf zu sehen und sie (und dazu ist die Kunst
ja besonders geeignet) überzuleiten in eine Zukunft.« Keine Frage, Bruckners Fünfte resultierte weniger aus einer »Befreiung« vom Vergangenen als
aus einem Fortschreiben, Umdeuten und Neuschöpfen. So »traditionslastig«
das kompositorische Ergebnis im Falle dieser Fünften war, so ungewöhnlich, verwegen erdacht, vielschichtig und symbolträchtig war doch in ihr
zugleich die Lösung des Problems »Symphonie«. In seiner Antrittsvorlesung
an der Wiener Universität hatte es Bruckner zur selben Zeit in bemerkenswerte Worte gefasst: Man habe die alten Gesetze und Regeln der Musik eingehend zu studieren, die »musikalische Architektur« und ihre »vornehmen
Kapitel der Harmonielehre und des Kontrapunktes«, nicht nur »zur richtigen Würdigung und genauen Beurteilung eines Tonwerkes«, sondern auch
»zum eigenen Schaffen«. Denn nur das Beherrschen dieser historischen
Errungenschaften ermögliche es der neuen Generation an Künstlern, so
Bruckner, dass sie »eigene Gedanken musikalisch korrekt verwirklichen,
sie belebend machen«. Nicht die schlechtesten Ziele für einen Komponisten,
möchte man meinen.
To r s t e n B l a i c h
1. SYMPHONIEKONZERT
»Dann ruaf’ i d’Polizei
geg’n Sie z’Hülf!«
Anton Bruckner, die Fünfte
und eine Klavieraufführung
In Wien wusste Anton Bruckner einen engen Freundeskreis um sich, in dem
größtenteils Schüler von ihm versammelt waren. Zu seinen wichtigsten Vertrauten gehörten der Pianist Josef Schalk sowie dessen Bruder Franz Schalk,
der 1894 die Uraufführung der fünften Symphonie dirigierte und sich später
mit Richard Strauss das Direktorium der Wiener Staatsoper teilte. Schon
Jahre vor der orchestralen Premiere der Fünften setzte der ältere der beiden
Brüder, Josef Schalk, im April 1887 mit dem Pianisten Franz Zottmann die
Symphonie in einer eigenen Fassung für zwei Klaviere auf das Programm.
Friedrich Klose, ein Privatschüler Bruckners, erlebte die turbulenten Probenvorbereitungen mit und berichtete in seinen Lebenserinnerungen über die
Reaktion des Komponisten auf die geplante Aufführung:
J o s e f S c h a l k und Z o t t m a n n wollten ihn mit der öffentlichen Aufführung seiner » V . S y m p h o n i e « in der von ersterem verfertigten Bearbeitung für zwei Klaviere überraschen und bereiteten insgeheim das Konzert
vor. Nun befand sich gerade damals der Meister in einer Periode schlechter
Laune. Meine Tagebuch-Notizen, offenbar in der Aufwallung jugendlichen
Grimmes geschrieben, nennen B r u c k n e r ’ s Benehmen den Freunden
gegenüber »närrisch«, »rüppelhaft«, »unverschämt«. Diese seine Stimmung
war wohl auch der Grund, daß er, als S c h a l k ihn zu der erwähnten Veranstaltung einlud, vermeinend, ihm damit eine Freude zu bereiten, in Wut
geriet und erklärte, man hätte ihn erst um Erlaubnis fragen müssen; da dies
nicht geschehen, verbiete er die Aufführung.
Nun folgte eine Szene, die mir unvergeßlich bleiben wird. Es war bei
»Gause« im großen Speisesaal. B r u c k n e r und S c h a l k saßen an den
Langseiten des Tisches sich gegenüber, A d a l b e r t v o n G o l d ­s c h m i d t
und ich an den Schmalseiten. Als S c h a l k vorbrachte, Z o t t m a n n und
er hätten das Werk aufs sorgfältigste präpariert und sie glaubten, den Inten­
tionen des Autors gerecht geworden zu sein, erwiderte B r u c k n e r, davon
hätte er sich erst überzeugen müssen. Hierzu biete ihm immer noch die
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die B r ü der Josef u nd F r a nz S ch a lk , fotogr a fie von fr a nz gr a iner ,
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General­probe Gelegenheit, bemerkte S c h a l k . In der Generalprobe, versetzte B r u c k n e r, sei’s zu spät, es hätte bei der Vorbereitung geschehen
müssen, denn so im letzten Augenblick ließen sich seine Wünsche in Bezug
auf die richtige Auffassung des sehr schwierigen Werkes nicht mehr erfüllen. Das Konzert müsse verschoben und die erforderliche Anzahl von Proben unter seiner Anleitung abgehalten werden.
S c h a l k : Eine Verschiebung sei ausgeschlossen, das Plakat befinde sich im
Druck; und ob man den Bösendorfersaal an einem anderen Abend bekomme,
sei mehr als fraglich.
B r u c k n e r (eigensinnig): »Guat also, dann wird das Konzert abg’sagt!«
S c h a l k (gereizt, mit umschleierter Stimme): »Das, Herr Professor, können
Sie nach all den bereits erstandenen [!] Kosten, die bei einer Absage verloren
wären, nicht verlangen!«
B r u c k n e r (über den Tisch vorgebeugt, zornbebend): »I befehl’s Ihna!«
S c h a l k (ebenfalls vorgebeugt, zischend): »Das Konzert findet statt!«
B r u c k n e r (aus zugeschnürter Kehle und mit den Fingerknöcheln auf den
Tisch pochend): »Herr Schalk, dann ruaf’ i d’Polizei geg’n Sie z’Hülf!«
1. SYMPHONIEKONZERT
Wie zwei Hähne waren die Gegner auf einander losgefahren, für G o l d s c h m i d t und mich, die von jenen völlig vergessen schienen, ein gottvolles
Schauspiel. Nach dieser dramatischen Klimax flaute die Kampfeswut ab,
mehr und mehr beruhigten sich die Gemüter, und als S c h a l k in die Verschiebung des Konzertes einwilligte mit dem Versprechen, so viele Proben
anzusetzen, als B r u c k n e r für notwendig erachte, wurde der Waffenstillstand unterzeichnet.
Es war tatsächlich nur ein Waffenstillstand; denn in den Proben entbrannte von neuem der Kampf. Tagebuchnotizen, wie die folgenden, wissen
davon zu erzählen:
4. April 1887.»Probe der › F ü n f t e n ‹ . B r u c k n e r schindet S c h a l k
und Z o t t m a n n fürchterlich. Um 4 Uhr zweite Probe.
Abermals Schinderei.«
5. April.
»Um 10 ½ Uhr Probe bei Bösendorfer. B r u c k n e r will
noch drei Proben. Z o t t m a n n und S c h a l k , besonders
letzterer, der schon ganz krank ist, willigen nicht ein. Das
Konzert soll dann nicht stattfinden. Endlich einigt man sich,
indem man es abermals verlegt.«
14. April.»Probe der › F ü n f t e n ‹ . B r u c k n e r rückt wutentbrannt
an.«
15. April.»Probe. B r u c k n e r unausstehlich.«
16. April.
»B r u c k n e r verlangt Unmögliches. S c h a l k tritt energisch gegen ihn auf.«
Ich entsinne mich noch genau dieser unerquicklichen Auftritte. B r u c k n e r, beleidigt, daß man für die Veranstaltung nicht ausdrücklich seine
Einwilligung eingeholt, hatte sich mit dem Eigensinn des oberösterreichischen »Mostschädels« vorgenommen, alles schlecht zu finden, lediglich um
Recht zu behalten, daß ohne ihn eine Aufführung des Werkes in seinem
Sinn nicht zustande kommen könne. Die Partitur auf dem Schoß saß er in
der ersten Reihe und unterbrach unaufhörlich bald mit der Behauptung,
eine thematische Mittelstimme käme zu wenig heraus, oder, er höre diese
oder jene Figuration überhaupt nicht, bald mit der Erklärung, bei so verschwommenem Vortrag könne kein Mensch das kontrapunktische Gefüge
verstehen. Dabei vermochten ihm die Spieler bei den Fortestellen nie genug
zu tun, wenngleich sie sich fast die Finger blutig schlugen und am Ende
ihrer Kräfte waren. Das aber kümmerte B r u c k n e r nicht im geringsten;
immer wieder mußte wiederholt werden, wobei sich seine hämischen Bemerkungen hauptsächlich gegen den armen S c h a l k richteten, der als
Urheber des unerlaubten Konzertes der Hauptverbrecher war und darum
vorweg als Sündenbock herhalten mußte. Frug B r u c k n e r z.B., wer von
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den beiden Herren die melodische Umkehrung des Gesangsthemas zu spielen habe, und Z o t t m a n n sich meldete, dann begnügte sich der kritische
Meister mit dem Ersuchen um größere Deutlichkeit; lag aber unglückseligerweise die Stelle im Part des anderen, hagelte es boshafte Sticheleien wie
etwa: »Herr S c h a l k is halt allaweil der Zartfühlige, der die Nerven von
san Publikum schont«, oder: »der Herr Generalissimus spielt so vergeistigt,
daß ka Mensch mehr was hört«. – Es ist begreiflich, daß S c h a l k schließlich gegen ein solches Benehmen energisch Verwahrung einlegte, zumal
die Ausstellungen viel weniger sachlicher als chikanöser Art waren, wie ich,
der neben B r u c k n e r in der Partitur mitlas, mich überzeugen konnte. Er
wollte jede Stimme des kontrapunktischen Gewebes deutlich hören, und
was bei der Erfüllung dieses Wunsches herauskam, läßt sich denken: ein jeder plastischen Abtönung entbehrendes Getrommel der beiden Pianisten auf
den ächzenden Flügeln, ein sinnloses Geräusch, das sich wie eine Karikatur
des orchestralen Klangbildes des Originals ausnahm. Damit war natürlich
B r u c k n e r selbst nicht zufrieden und wollte noch mehr Proben. S c h a l k
und Z o t t m a n n aber ließen sich nicht mehr beirren; und so fand das
Konzert glücklich am 20. April 1887 statt.
B r u c k n e r hatte, umgeben von Freunden, in der letzten Reihe des
Bösendorfersaales Platz genommen. Seine Stimmung war äußerst gereizt;
auf Fragen gab er kaum Antwort. Unruhig ging sein Kopf hin und her, beim
Meister […] das Zeichen großer Nervosität. Während der Wiedergabe der
Symphonie saß er da wie auf der Lauer, dem Tiger gleich, der sprungbereit nur den günstigen Moment abwartet, sich auf sein Opfer zu stürzen.
Der Wille, die Aufführung schlecht zu finden, war offensichtlich. – Als der
letzte Ton verklungen war, erhob sich brausender Jubel. Die Interpreten
lenkten die Aufmerksamkeit auf den Autor. Alles wandte sich diesem zu.
Der aber, zornig um sich blickend, rührte sich nicht. Wir wollten ihn vor
das stürmisch applaudierende Publikum ziehen. Er teilte nach links und
rechts Püffe aus. Plötzlich, wie vom Zauberstab berührt, erleuchtete sich
sein Antlitz, Vom Sitz aufspringend eilte er, die Wogen der tosenden Menge
durchschneidend, nach vorne und verbeugte sich, die Hände über der Brust
gekreuzt, glückstrahlend unzählige Male. Und »Ende gut, alles gut«; nach
dem Konzert fand bei »Gause« eine kleine Feier statt, bei der die fröhlichste
Stimmung herrschte und der frohgelaunte Meister zum Schluß, wie mein
Tagebuch meldet, »feinen Wein spendierte«.
Aus:
Friedrich Klose: Meine Lehrjahre bei Bruckner. Erinnerungen und Betrachtungen, Regensburg 1927, S. 140-144 (Hervorhebungen im Original).
1. SYMPHONIEKONZERT
1. Symphoniekonzert 2013 | 2014
Orchesterbesetzung
1. Violinen
Roland Straumer 1.
Michael Eckoldt
Thomas Meining
Jörg Faßmann
Federico Kasik
Michael Frenzel
Volker Dietzsch
Johanna Mittag
Jörg Kettmann
Susanne Branny
Birgit Jahn
Martina Groth
Wieland Heinze
Anja Krauß
Annika Thiel
Roland Knauth
Bratschen
Konzertmeister
2. Violinen
Reinhard Krauß Konzertmeister
Frank Other
Annette Thiem
Stephan Drechsel
Jens Metzner
Ulrike Scobel
Olaf-Torsten Spies
Mechthild von Ryssel
Alexander Ernst
Emanuel Held
Kay Mitzscherling
Martin Fraustadt
Paige Kearl
Ting Hsuan Hu
Michael Neuhaus S olo
Stephan Pätzold
Anya Muminovich
Michael Horwath
Uwe Jahn
Ulrich Milatz
Ralf Dietze
Wolfgang Grabner
Juliane Böcking
Raimund Eckertz*
Florian Kapitza*
Birgit Weise*
Violoncelli
Norbert Anger Konzertmeister
Friedwart Christian Dittmann S olo
Tom Höhnerbach
Martin Jungnickel
Andreas Priebst
Bernward Gruner
Johann-Christoph Schulze
Jakob Andert
Anke Heyn
Titus Maack
Kontrabässe
Andreas Wylezol S olo
Petr Popelka
Torsten Hoppe
Helmut Branny
Christoph Bechstein
Fred Weiche
Reimond Püschel
Johannes Nalepa
Flöten
Sabine Kittel S olo
Bernhard Kury
Oboen
Bernd Schober S olo
Volker Hanemann
Klarinetten
Wolfram Große S olo
Dietmar Hedrich
Fagotte
Hörner
Erich Markwart S olo
Robert Langbein S olo
Harald Heim
Julius Rönnebeck
Klaus Gayer
Trompeten
Tobias Willner S olo
Viktor Spáth S olo
Peter Lohse
Gerd Graner
Posaunen
Uwe Voigt S olo
Jürgen Umbreit
Frank van Nooy
Tuba
Jens-Peter Erbe S olo
Pauken
Thomas Käppler S olo
Thomas Eberhardt S olo
Hannes Schirlitz
* a ls G a st
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1. SYMPHONIEKONZERT
Vorschau
Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle Dresden
Gegründet 1854 als Tonkünstler-Verein zu Dresden
Verantwortlich Friedwart Christian Dittmann, Ulrike Scobel und Christoph Bechstein
1. Aufführungsabend
M ontag 3 0 .9.13 2 0 Uhr
S emperoper D resden
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4. I N
Michail Jurowski Dirigent
Igor Levit Klavier
Tatjana Masurenko Viola
Evelina Dobračeva Sopran
Maxim Mikhailov Bass
Arvo Pärt
»Cantus in Memory of Benjamin Britten«
für Streichorchester und eine Glocke
Benjamin Britten
»Lachrymae« für Viola und Streichorchester op. 48a
»Young Apollo« für Klavier, Streichquartett und
Streichorchester op. 16
(Zum 100. Geburtstag des Komponisten)
Dmitri Schostakowitsch
Symphonie Nr. 14 g-Moll op. 135
für Sopran, Bass und Kammerorchester
2. Symphoniekonzert
S onntag 13.10 .13 11 Uhr
M ontag 14 .10 .13 2 0 Uhr
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D ienstag 15 .10 .13 2 0 Uhr
S emperoper D resden
Myung-Whun Chung Dirigent
Gustav Mahler
Symphonie Nr. 9 D-Dur
Kostenlose Einführungen jeweils 45 Minuten vor Beginn im Opernkeller der Semperoper
1. SYMPHONIEKONZERT
I mpress u m
Sächsische
Staatskapelle Dresden
Künstlerische Leitung/
Orchesterdirektion
Sächsische Staatskapelle Dresden
Chefdirigent Christian Thielemann
Spielzeit 2013|2014
H er au sgeber
Sächsische Staatstheater –
Semperoper Dresden
© August 2013
R eda ktion
Dr. Torsten Blaich
G esta lt u ng u nd L ayo u t
schech.net
Strategie. Kommunikation. Design.
D r u ck
Union Druckerei Dresden GmbH
Anzeigenvertrieb
EVENT MODULE DRESDEN GmbH
i.A. der Moderne Zeiten Medien GmbH
Telefon: 0351/25 00 670
e-Mail: [email protected]
www.kulturwerbung-dresden.de
B ildn achweis
Matthias Creutziger (S. 4); Dario Acosta (S. 6);
Albrecht Betz: Hanns Eisler. Musik einer Zeit,
die sich eben bildet, München 1976 (S. 11);
Jutta Landgraf (S. 13 links und rechts);
Historisches Archiv der Staatsoper Dresden (S. 17); Hans Conrad Fischer: Anton
Bruckner. Sein Leben, Salzburg 1974 (S. 26);
Österreichische Nationalbibliothek Wien:
L 25.572B (S. 29), Mus.Hs.24260 (S. 30) und
F18.Schalk.351/1 (S. 35).
Christian Thielemann
Chefdirigent
Juliane Stansch
Persönliche Referentin
von Christian Thielemann
Jan Nast
Orchesterdirektor
Tobias Niederschlag
Konzertdramaturg,
Künstlerische Planung
Dr. Torsten Blaich
Programmheftredaktion,
Konzerteinführungen
Matthias Claudi
PR und Marketing
Agnes Monreal
Assistentin des Orchesterdirektors
Sarah Niebergall
Orchesterdisponentin
Matthias Gries
Orchesterinspizient
Agnes Thiel
Mathias Ludewig
Dieter Rettig
Notenbibliothek
GET
EXCITED
AND
WATCH
MUSIC
„Es genügt nicht, dass man Musik nur hören kann. Man muss Musik auch sehen können“,
sagte schon Igor Strawinsky. Folgen Sie Strawinskys Empfehlung und begnügen Sie sich nicht
nur mit dem, was Sie hören: Erleben Sie die schönsten Konzerte von Christian Thielemann
und der Staatskapelle Dresden auf UNITEL CLASSICA, dem ersten Fernsehsender für
die Welt der Klassischen Musik – natürlich in High Definition und mit Surround Sound.
T e x tn achweis
Der Text von Prof. Dr. Friederike Wißmann ist
ein Originalbeitrag für dieses Programmheft.
Der Einführungstext von Dr. Torsten Blaich
erschien in leicht abgewandelter Form erstmals
im Programmheft der Berliner Philharmoniker
zu den Konzerten am 10./11./12. März 2011.
Die Zusammenstellung der Lebensstationen von
Hanns Eisler (S. 15) beruht auf der Chronik in
Axel Brüggemanns Artikel »Wie aus Erinnerung
Zukunft wird«, veröffentlicht im aktuellen Magazin »Glanz & Klang« der Sächsischen Staatskapelle Dresden (Nr. 1, Saison 2013 / 2014).
Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht
werden konnten, werden wegen nachträglicher
Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
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www.unitelclassica.com
AUCH ERHÄLTLICH AUF DVD UND BLU-RAY!
Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus
urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.
www. sta atsk a pelle - dresden . de
UNITEL CLASSICA empfangen Sie in Deutschland über T-Entertain,
Unitymedia, KabeIBW, NetCologne und Sky, in Österreich über UPC Austria
und Sky und in der Schweiz über Swisscom, UPC Cablecom und Swisscable.
PA R T N E R D E R
S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N