6. Symphoniekonzert - Staatskapelle Dresden

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6. Symphoniekonzert - Staatskapelle Dresden
6. Symphoniekonzert
S a i s on 2012 20 13
Christian Thielemann Dirigent
Maurizio Pollini Klavier
o r ts w e c h s e l .
6. Symphoniekonzert
Saison 2012 2013
Christian Thielemann Dirigent
Maurizio Pollini Klavier
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einer perfekten Komposition wird: die Gläserne
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w w w.g l a e s e r n e m a n u fa k t u r . d e
PA R T N E R D E R
S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
F reitag 2 5 .1.13 2 0 Uhr
s a mstag 2 6 .1.13 19 Uhr
Sonntag 27.1.13 11 Uhr
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S emperoper D resden
PROGR A MM
6. Symphoniekonzert
Ferruccio Busoni
Brahms-Zyklus II
Lustspiel-Ouvertüre op. 38
Allegro molto – Un poco misuratamente – Tranquillo – Tempo I
Christian Thielemann
Dirigent
Maurizio Pollini
Klavier
Thielemann und Pollini
Im Juni 2011 begeisterten Maurizio Pollini, Christian Thielemann und
die Sächsische Staatskapelle das Publikum in der Semper­oper bereits mit
ihrer Inter­pre­t ation des ersten Klavierkonzerts von Johannes Brahms,
für die gemeinsame Einspielung bei der Deutschen Grammophon wurde
ihnen 2012 der begehrte »ECHO Klassik« verliehen. Nun folgt im Rahmen des von Christian Thielemann geleiteten Brahms-Zyklus auch das
zweite Klavierkonzert, dazu die zweite Symphonie – denen mit Ferruccio
Busonis »Lustspiel-Ouvertüre« ein ebenso heiteres wie historisch tiefgründiges Orchesterstück vorangestellt ist.
Johannes Brahms
(18 6 6 -19 2 4)
(18 3 3 -18 9 7 )
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2
B-Dur op. 83
1. Allegro non troppo
2. Allegro appassionato
3. Andante
4. Allegretto grazioso
P a u se
Johannes Brahms
Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 73
1. Allegro non troppo
2. Adagio non troppo – L’ istesso tempo, ma grazioso
3. Allegretto grazioso (Quasi Andantino) –
Presto, ma non assai – Tempo primo
4. Allegro con spirito
M AU R I Z I O P O L L I N I S I G N I E R T A M 2 5 . JA N UA R I N D E R KO N Z E R T PAU S E
I M O B E R E N R U N D F OY E R D E R S E M P E R O P E R C D S .
M I T S C H N I T T D U R C H M D R F I G A R O, S E N D E T E R M I N : 2 9. JA N UA R 2 013 , 2 0 . 0 5 U H R
D E R G E S A MT E B R A H M S - Z Y K LU S W I R D VO N U N I T E L AU F G E Z E I C H N E T.
DA S Z W E I T E K L AV I E R KO N Z E R T M I T M AU R I Z I O P O L L I N I E R S C H E I N T
W I E DA S E R S T E B E I D E R D E U T S C H E N G R A M M O P H O N AU F C D U N D DV D.
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im O pernkeller der S emperoper
2
3
6. SYMPHONIEKONZERT
Maurizio Pollini Klavier
V
on einer »atemberaubenden« Interpretation und »zutiefst poe­
tischen Augenblicken« schwärmten die Dresdner Neuesten
Nachrichten nach den Auftritten Maurizio Pollinis mit Chris­
tian Thielemann und der Sächsischen Staatkapelle in der Semperoper im Juni 2011. »Nichts ist bei ihm vordergründig oder
nur effektvoll. Er versteht sich als Diener am Werk«, bilanzierte Der Neue
Merker das Dresden-Gastspiel Pollinis, bei dem sich der große italienische
Pianist derselben Partitur widmete, mit der er 1976 auch sein Debüt bei
der Sächsischen Staatskapelle gegeben hatte: Brahms’ erstem Klavierkonzert. Mehrfach gastierte Maurizio Pollini bei der Staatskapelle zur Zeit des
»Eisernen Vorhangs«, dazu brachte er 1980 und 1981 im Pariser Théâtre
des Champs-Elysées mit der Kapelle unter Kurt Sanderling und Herbert
Blomstedt beide Brahms-Konzerte sowie das Klavierkonzert von Schumann
innerhalb weniger Monate zur Aufführung. Bei seinem vorerst letzten Kapellauftritt standen 1986 Beethovens erstes und drittes Klavierkonzert im
Kulturpalast auf dem Programm.
Maurizio Pollinis weltumspannende Karriere, die 1960 mit seinem
Gewinn des Warschauer Chopin-Wettbewerbs ihren Anfang nahm, führte
ihn in alle bedeutenden Konzertsäle des Musiklebens und ließ ihn mit sämtlichen namhaften Orchestern und Dirigenten zusammenarbeiten. 1995 stellte er bei den Salzburger Festspielen erstmals das »Progetto Pollini« vor, ein
Konzertprojekt, das er anschließend in ähnlicher Form in New York, Paris,
Tokio, Rom oder auch in Wien wiederholte und in dessen Rahmen Werke
verschiedenster Besetzungen und Epochen aufeinandertreffen: Kompositionen von Monteverdi bis Schönberg, von Schubert bis Sciarrino. Maurizio
Pollini, der jüngst seinen 71. Geburtstag feierte, spielte zyklische Gesamtaufführungen der Beethoven-Sonaten in mehreren der großen Metropolen
diesseits und jenseits des Atlantiks, u.a. in seiner Geburtsstadt Mailand,
seine Aufnahmen der Musik von Schönberg, Berg, Webern, Nono, Manzoni,
Boulez oder Stockhausen genießen Referenzstatus.
Die von Maurizio Pollini, Christian Thielemann und der Sächsi­
schen Staatskapelle vorgelegte Einspielung des Brahms’schen Klavierkonzerts Nr. 1 wurde 2012 von der Jury des »ECHO Klassik« in der Kategorie
»Konzerteinspielung des Jahres« prämiert, ebenso erhielt Maurizio Pollini
in den vergangenen Jahrzehnten Auszeichnungen und Preise wie den Grammy Award (2007), den Ernst von Siemens Musikpreis (1966), den Ehrenring
der Wiener Philharmoniker (1987) oder den Praemium Imperiale (2010).
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6. SYMPHONIEKONZERT
Christian Thielemann
C hefdirigent der
S ä chsischen S t a a tsk a pelle D resden
E
r ist »angekommen« in Dresden: Seit Beginn dieser Saison leitet
Christian Thielemann als Chefdirigent die Sächsische Staatskapelle. Ein »neues Mekka der Musikfreunde«, befand die FAZ nach
den umjubelten Antrittskonzerten Thielemanns, in denen er die
Musiker auf die »Höhe ihres ruhmreichen Wunderharfenklanges«
führte. Seine berufliche Laufbahn begann Christian Thielemann 1978 als
Korrepetitor an der Deutschen Oper Berlin. Nach Stationen in Gelsenkirchen,
Karlsruhe und Hannover trat er 1985 das Amt des Ersten Kapellmeisters an
der Düsseldorfer Rheinoper an, ehe er 1988 jüngster Generalmusikdirektor
Deutschlands in Nürnberg wurde. 1997 kehrte er in derselben Position für
sieben Jahre in seine Heimatstadt an die Deutsche Oper Berlin zurück, von
2004 bis 2011 wirkte er als GMD der Münchner Philharmoniker.
Als einer der gefragtesten Dirigenten der Gegenwart pflegt Christian
Thielemann ein breites Repertoire, das von Bach bis zu Henze und Gubaidulina reicht. Eine enge Zusammenarbeit verbindet ihn mit den Berliner und
den Wiener Philharmonikern sowie mit den Bayreuther Festspielen. Seit seinem Bayreuth-Debüt im Sommer 2000 (»Meistersinger«) hat er den »Grünen
Hügel« alljährlich durch Maßstab setzende Interpretationen geprägt; seit
2010 ist er auch musikalischer Berater der Bayreuther Festspiele. Im Rahmen
seiner vielfältigen Konzerttätigkeit dirigierte Christian Thielemann u.a. die
großen Orchester in Amsterdam, London, New York, Chicago und Philadelphia, ebenso gastierte er in Israel, Japan und China. Für die von ihm geleitete
Strauss’sche »Frau ohne Schatten« bei den Salzburger Festspielen 2011 wurde
er in der Fachzeitschrift »Opernwelt« zum »Dirigenten des Jahres« gewählt.
Die Diskografie Christian Thielemanns als Exklusiv-Künstler der UNITEL
ist umfangreich. Mit den Wiener Philharmonikern spielte er alle BeethovenSympho­nien auf CD und DVD ein. Aus der Reihe seiner gemeinsamen CD- und
DVD-Aufnahmen mit der Staatskapelle wurde die Einspielung von Brahms’
Klavierkonzert Nr. 1 mit Maurizio Pollini als Solist, erschienen bei der Deutschen Gram­mophon, mit dem »ECHO Klassik 2012« ausgezeichnet.
Ab diesem Jahr übernimmt Christian Thielemann die Künstlerische
Leitung der Osterfestspiele Salzburg, deren Orchester die Sächsische Staatskapelle sein wird. Er ist Ehrenmitglied der Royal Academy of Music in London,
zudem wurde ihm die Ehrendoktorwürde der Hochschule für Musik »Franz
Liszt« Weimar und der Katholischen Universität Leuven (Belgien) verliehen.
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6. SYMPHONIEKONZERT
Ferruccio Busoni
* 1. April 18 6 6 in E mpoli ( Tosk a n a )
† 2 7. J u li 19 2 4 in B erlin
»… von einem beinahe
Mozartschen Style«
Ferruccio Busonis
»Lustspiel-Ouvertüre«
F
Lustspiel-Ouvertüre op. 38
Allegro molto – Un poco misuratamente – Tranquillo – Tempo I
entsta nden
B esetz u ng
im Juli 1897 in Berlin,
Umarbeitung wahrscheinlich
im Sommer 1904 in Berlin
Piccolo, 2 Flöten, 2 Oboen,
2 Klarinetten, 2 Fagotte,
4 Hörner, 2 Trompeten,
Pauken, Schlagzeug, Streicher
gewidmet
dem österreichischen Dirigenten
Wilhelm Gericke (1845-1925)
V erl ag
Breitkopf & Härtel,
Wiesbaden/Leipzig
u r au fgef ü hrt
am 8. Oktober 1897 (erste Fassung)
bzw. am 11. Januar 1907 (revidierte
Fassung) in Berlin (jeweils durch
die Berliner Philharmoniker, Dirigent: Ferruccio Busoni)
8
9
Dau er
ca. 8 Minuten
erruccio Busoni, Sohn eines italienischen Klarinettisten und einer
deutsch-italienischen Pianistin und Komponistin, war nicht nur
der bedeutendste Klaviervirtuose seiner Zeit und zudem ein inspirierender Lehrer, sondern auch – als kühn experimentier­en­der
Komponist und Bearbeiter, als visionärer Musiktheoretiker und
als mutig für alles Neue eintretender Dirigent – einer der Väter der modernen Musik. Vom Klavier aus erschloss sich das Wunderkind, das mit sieben
Jahren zu komponieren und zu konzertieren begann, allmählich, aber mit
bewundernswerter Konsequenz, alle anderen Bereiche der Musik, insbesondere die Welt des Orchesters und der Bühne. Schon der Zehnjährige
versuchte sich 1876 an einer »Ouverture per Grande Orchestra« in E-Dur,
die Fragment blieb. Zwei geistliche Werke (die Motette »Gott erbarme sich
unser« für Chor und Orchester, 1880, und ein Requiem für Soli, Chor und
Orches­ter, 1881), anschließend zwei umfangreiche weltliche Kantaten
(»Primavera, Estate, Autunno, Inverno« für Soli, Männerchor und Orches­
ter, 1882, und »Il Sabato del Villaggio« für Soli, Chor und Orchester, 1882)
waren die erstaunlichen und handwerklich immer sicherer werdenden
Schritte zu Busonis erstem gedrucktem reinem Orchesterwerk. Es handelt
sich um die fünfteilige, 1883 entstandene, aber erst 1888 erschienene Symphonische Suite op. 25.
Die Suite ist verwurzelt in der Tradition Mendelssohns, Schumanns
sowie Brahms’, der 1883/1884 zu den engagierten Förderern des jungen
Busoni gehörte, zugleich zeigt sie schon viele Vorzüge von Busonis Orches­
tersprache, die sich danach immer mehr verfeinerte und höchst individuelle Züge annahm: vor allem die durchsichtige, manchmal geradezu luftigtransparente Instrumentation, die abgegriffene Routine ebenso meidet wie
6. SYMPHONIEKONZERT
instrumentale Klischees und hohles Pathos. Busoni zielt stattdessen auf
stilis­t ische Vielseitigkeit, auf das oft ironisch gebrochene Spiel mit älteren
Vorbildern vom Barock bis in die unmittelbare Gegenwart. Dabei geht es
ihm niemals um plumpe und epigonale Imitation, vielmehr um schöpferische und auch kritische Anverwandlung in seine eigene Klang- und Formenwelt, die nicht nur zwischen dem deutschsprachigen und romanischen
Kulturkreis, sondern auch zwischen den Zeiten steht. Dies gilt ebenso für
die beiden folgenden Orchesterwerke Busonis, das Symphonische Tongedicht op. 32a (1893) sowie die Zweite Orchestersuite op. 34a (»Geharnischte
Suite«, 1895), die weitere Einflüsse aufsaugt, beispielsweise von der zeitgenössischen Musik eines Richard Strauss, dem Busoni später in kritischer
Bewunderung ge­genüberstand.
Busonis »Lustspiel-Ouvertüre«:
Musikgeschichte von Bach bis Verdi
Die »Lustspiel-Ouvertüre« op. 38 ist das erste Orchesterwerk Busonis, in
dem er ganz zu seinem eigenen Stil gefunden hat. Am 11. Juli 1897 vermeldete Busoni an seine Frau Gerda, die er zusammen mit den Söhnen Benvenuto und Raffaello in den Harz zum Urlaub geschickt hatte, um in Ruhe
komponieren zu können: »Heute Nacht erlebte ich das merkwürdige, daß ich
mich nach 12 hinsetzte und bis zum Morgen an einer ›Ouverture‹ schrieb,
die ich in einem Zug angefangen und beendet habe. Natürlich ist Nichts
vollkommen, und dieses Stück wird noch durchgearbeitet werden müssen.
Allein es ist nicht schlecht, sehr fließend, von einem beinahe Mozartschen
Style … Diese Leistung hat mir Freude gemacht, und auch Du wirst gewiß
darüber zufrieden sein …« Und am 19. Juli 1897 berichtete er: »Meine
Ouvertüre habe ich die ganze Woche durchgedacht – morgen hoffe ich die
Skizze ausgeführt zu haben …«
Das Werk wurde am 8. Oktober 1897 in der Berliner Singakademie
mit den Berliner Philharmonikern unter der Leitung des Komponisten mit
mäßigem Erfolg uraufgeführt. Wie so oft, war der dem eigenen Schaffen
gegenüber hyperkritische Busoni nicht zufrieden und arbeitete die Partitur
1904 grundlegend um – die ursprüngliche Fassung mit dem Titel »Ouvertüre
zu einer komischen Oper« ging weitgehend verloren. Als »Lustspiel-Ouvertüre« op. 38 erschien das revidierte Orchesterstück noch im selben Jahr bei
Breitkopf & Härtel in Leipzig im Druck. Veröffentlicht wurde es bezeichnenderweise unter dem Übertitel »Zwei heitere Ouvertüren für Orchester«
zusammen mit der Ouvertüre zu Mozarts »Die Entführung aus dem Serail«,
die Busoni mit einem effektvollen Konzertschluss versehen hatte. Gewidmet
ist die »Lustspiel-Ouvertüre« dem österreichischen Dirigenten Wilhelm Gericke, einem Schüler von Otto Dessoff in Wien, der dort und in Boston lange
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K L AV I E R V I R T U O S E , KO M P O N I S T, D I R I G E N T, B E A R B E I T E R , L E H R E R ,
S chriftsteller u nd M U S I K T H E O R E T I K E R : F E R R U CC I O B U S O N I (U M 19 0 9)
Zweimal weilte Busoni als Pianist bei der Königlichen musikalischen Kapelle in Dresden: Am 28. Februar 1896 spielte er als Solist Webers Konzertstück op. 79 und Liszts »Rhapsodie espagnole«, am 18. Ja­nuar 1901
Liszts Klavierkonzert Nr. 2 und die »Paganini-Varia­t io­nen« von Brahms.
Die Dresdner Oper ist auch der Ort, an dem postum Busonis musik­t heatra­
lisches Hauptwerk seine Uraufführung erlebte: Am 21. Mai 1925 diri­gierte
Generalmusikdirektor Fritz Busch die Premiere des »Doktor Faust«.
6. SYMPHONIEKONZERT
erfolgreich wirkte und dabei auch mit Busoni zusammenarbeitete. Die neue
Version wurde im Rahmen der zwölf Orchesterkonzerte mit den Berliner Philharmonikern, die Busoni zwischen 1902 und 1909 zur Propagierung neuer
Werke organisierte, finanzierte und leitete, aus der Taufe gehoben, und zwar
im zehnten Konzert am 11. Januar 1907. Seitdem gehört das Stück zu den
erfolgreicheren des Komponisten. Es wurde z.B. am 13. und 14. Februar 1922
in Zürich unter der Leitung des mit Busoni befreundeten Schweizer Komponisten und Dirigenten Volkmar Andreae gespielt und liegt heute in mehreren
CD-Aufnahmen vor.
Was die klar gegliederte, aber zugleich fantasievoll abgewandelte
Sonatenhauptsatzform und die luzide Instrumentation angeht, steht Busoni
in der Tradition von Mendelssohns Konzertouvertüren. Allerdings verzichtete er als erklärter Gegner der Programmmusik (die er für eine Verirrung
und Einengung hielt, die der Musik »wie eine Schiene … angeschnürt« sei)
darauf, ein bestimmtes Lustspiel oder eine komische Oper zu nennen, auf
die sich die Ouvertüre bezieht. Entscheidend ist vielmehr die Idee und der
Geist einer heiteren Oper, die nach seinen ästhetischen Vorstellungen mit
»Tanz und Maskenspiel und Spuk« zu tun hat, was er in seinen Opern »Die
Brautwahl«, »Arlecchino« und »Turandot« auf ingeniöse Weise realisierte.
Dazu griff er nicht nur auf Mozart, den er immer verehrte, sondern eben
auch auf Mendelssohn, auf die bisweilen burlesk-verspielte Kontrapunktik
seines anderen Idols Bach, auf das unwiderstehliche Brio seines großen
Landsmanns Rossini und ganz besonders auf die geistreich-funkelnde Komödiantik des späten Verdi zurück. Dessen letzte Oper »Falstaff« (1890) be­eindruckte ihn so tief, dass Busoni 1894 einen Brief an den Grandseigneur
der italienischen Musik entwarf, aber nicht abschickte. Dort heißt es am
Ende: »Schließlich rief der Falstaff in mir eine derartige Revolution des
Geistes und des Gefühls hervor, daß ich von da an mit vollem Recht eine
Epoche meines künstlerischen Lebens datieren kann.«
So ist in dieser knapp acht Minuten dauernden Ouvertüre die Musikgeschichte von Bach bis Verdi präsent – und doch ist die Tonsprache Busonis unverwechselbar, die mit aufreizender Diatonik in C-Dur beginnt und
sich dann zu frechen Modulationen und schneidend-dissonanter Chromatik
wendet, ohne ihren Charme einzubüßen. Stimmigkeit und Knappheit der
musikalischen Proportionen sowie eine in dieser Zeit eher seltene Kunst der
differenzierten, niemals dick aufgetragenen oder hyperexpressiven Orches­
trierung, die nach unverbrauchten Klängen sucht und die Instrumente, vor
allem die Holz- und Blechbläser und das Schlagzeug, in ungewohnten Lagen
oder Kombinationen einsetzt, sind weitere Eigenheiten dieser Partitur, deren Vernachlässigung im heutigen Musikleben zu beklagen ist.
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J oachim D r a heim
13
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Johannes Brahms
* 7. M a i 18 3 3 in H a mb u rg
† 3 . April 18 9 7 in W ien
Brahms-Zyklus II
Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2
B-Dur op. 83
1. Allegro non troppo
2. Allegro appassionato
3. Andante
4. Allegretto grazioso
14
entsta nden
B esetz u ng
erste Skizzen vermutlich 1878
in Pörtschach am Wörthersee
(Kärnten), Ausarbeitung im Sommer 1881 in Pressbaum bei Wien
Klavier solo, 2 Flöten (mit Piccolo),
2 Oboen, 2 Klarinetten, 2 Fagotte,
4 Hörner, 2 Trompeten, Pauken,
Streicher
G ewidmet
V erl ag
Eduard Marxsen, dem »theuren
Freunde und Lehrer« (1806-1887)
Breitkopf & Härtel,
Wiesbaden/Leipzig
u r au fgef ü hrt
Dau er
am 9. November 1881 in Budapest (Solist: Johannes Brahms,
Königlich-Ungarische Hofkapelle,
Dirigent: Alexander Erkel)
ca. 49 Minuten
15
»Symphonie mit
obligatem Klavier«
Johannes Brahms’
Klavierkonzert Nr. 2
»E
in zweites soll schon anders lauten«, äußerte Johannes Brahms
nach dem spektakulären Misserfolg seines ersten Klavierkonzerts, das im Januar 1859 im Königlichen Hoftheater zu Hannover mit ihm als Solisten uraufgeführt worden war und um dessen
Form er lange gerungen hatte. Erst 20 Jahre später allerdings
begann er mit der Arbeit an einem zweiten Klavierkonzert: 1878 skizzierte
er während des Sommerurlaubs ein Konzert in B-Dur, das er 1881 nach
der Rückkehr von seiner ersten Italienreise ausarbeitete und abschloss.
Bei der Uraufführung, die im November 1881 im Budapester Redoutensaal stattfand, übernahm der Komponist wiederum selbst den Solopart.
Vorausgegangen war im Oktober auf Einladung Hans von Bülows eine
Voraufführung in Meiningen, bei der Brahms das Werk »in Ruhe und ohne
die unbehagliche Aussicht auf ein Konzert spielen und probieren« konnte.
Nach längerer Überlegung widmete er das Klavierkonzert seinem ehemaligen Musiklehrer Eduard Marxsen.
Warum dauerte es 20 Jahre, bis sich Brahms ein zweites Mal der
Gattung zuwandte? Nach dem Vorbild der späten Klavierkonzerte Ludwig
van Beethovens, vor allem des fünften in Es-Dur, strebte Brahms in seinen
Konzerten eine enge Verknüpfung von Soloinstrument und Orchester an:
Einerseits sollte das Orchester nicht mehr einfach nur »begleiten«, sondern
strukturell in das musikalische Geschehen eingebunden sein; andererseits
sollte der Solopart entsprechend vom artistischen Selbstzweck der Virtuosenkonzerte des 19. Jahrhunderts befreit und – trotz höchstem pianistischen
Anspruch – in den Dienst des Werkganzen gestellt werden. Mit anderen
Worten: Brahms beabsichtigte eine Synthese von konzertantem und symphonischen Stil. Und er sah es als erforderlich an, nach dem noch »unvollkommenen« Versuch des ersten Klavierkonzerts erst einmal im Bereich der
Symphonik seine Erfahrungen zu sammeln, bevor er sich erneut mit einem
Konzert auseinandersetzte.
6. SYMPHONIEKONZERT
Im B-Dur-Klavierkonzert erweiterte er dann die überlieferte dreisätzige
Konzertform durch ein an zweiter Stelle eingeschobenes Scherzo zur symphonischen Viersätzigkeit (wobei langsamer Satz und Scherzo vertauscht
sind). Aber auch die einzelnen Sätze weichen in vielerlei Hinsicht von der
Gattungsnorm ab. So beginnt der erste Satz nicht mit der obligatorischen
Orchestereinleitung, sondern mit einem prologartigen Dialog, einem kurzen
»Gespräch« zwischen Orchester und Klavier, das angestimmt wird vom lyrischen Ruf des Solohorns und wichtige Gedanken des Werkes vorformuliert.
Erst danach leitet der Pianist mit einer vorgezogenen Kadenz in die Orchesterexposition über, in der die beiden Hauptthemen des Satzes vorgestellt
werden: das erste eine emphatische Fortführung des anfänglichen Hornmotivs, das zweite eine melancholisch beschwingte Streicherepisode. Schon in
der folgenden Soloexposition, vor allem aber im weiteren Verlauf werden die
beiden Gedanken vielfältig variiert, miteinander verknüpft und im Charakter
umgedeutet – eine permanente Entwicklung.
Energischer Einschub: das Scherzo
» B r a hms a m F lü gel«,
G em ä lde von W illy von B ecker ath (1911)
16
17
Der zweite Satz (Allegro appassionato) entspricht mit seinem 3/4-Takt und
dem dreiteiligen Formschema äußerlich dem traditionellen Scherzotyp.
Daneben lassen sich aber auch in ihm Elemente eines Sonatensatzes ausmachen, mit einem unwirschen Hauptthema und einem lyrischeren, wehmütig
verhaltenen Seitengedanken. Das Trio bringt keine Beruhigung, intensiviert vielmehr das Geschehen durch den Wechsel von Moll zu energischem
Dur – und wird damit zur veritablen Durchführung. Auf den wiederholten
Einwand, dieser Satz könne auch weggelassen werden, betonte Brahms
nachdrücklich dessen Bedeutung: zwischen dem »simplen« Kopfsatz und
dem Andante brauche er etwas Kräftiges, Leidenschaftliches!
Das Andante, der dritte Satz, führt mit dem »Gesang« des Violoncellos – nach dem Hornsolo zum Auftakt des Werkes – ein weiteres Soloinstrument ein. Ruhevoll, in beinahe religiöser Stimmung, breitet sich die
weit gespannte Melodie aus. In einem rhapsodischen Mittelteil übernimmt
die Klarinette die Melodieführung, im Klavierpart erklingen ausdrucksvolle
Umspielungen – eine Musik von kammermusikalischem Charme. Erst am
Ende finden Klavier und Violoncello zueinander. Brahms griff die Cello­
melodie übrigens später noch einmal auf: in seinem Lied »Immer leiser
wird mein Schlummer« op. 105 Nr. 2.
Den Abschluss des Konzerts bildet ein ungarisch eingefärbtes
Finalrondo, dessen heiter gelöster Tonfall sogleich mit einem punktierten
Hauptthema im Klavier eingeführt wird. Später folgt eine elegische
Kantilene der Holzbläser, die das Klavier mit einem spielerisch in sich
kreisenden dritten Thema beantwortet. Mit einer Fülle von Varianten und
6. SYMPHONIEKONZERT
Wertsteigerung
+ Musikfreude pur ein Leben lang
C H R I S T I A N T H I E L E M A N N U N D M AU R I Z I O P O L L I N I n ach der au ff ü hr u ng
von B R A H M S’ E R S T E M K L AV I E R KO N Z E R T I N D E R S E M P E R O P E R ( 2 011)
Abspaltungen wird das Material kunstvoll verarbeitet und verdichtet. Das
transparente Miteinander von Solist und Orchester gipfelt schließlich in
einer brillanten Stretta-Coda.
»… ein ganz ein kleines Klavierkonzert«
Als »Symphonie mit obligatem Klavier« bezeichnete der Wiener Kritikerpapst und Brahms-Freund Eduard Hanslick das B-Dur-Konzert ebenso
zutreffend wie irreführend. Denn selbstverständlich gibt der anspruchsvolle Solopart – wenngleich immer eingebunden in den musikalischen Zusammenhang – dem Solisten auch ausreichend Raum zur »konzertanten«
Entfaltung. Keine Frage: Was bei seinem ersten Klavierkonzert noch zu
einer künstlerischen Lebenskrise wurde, das löste Brahms im zweiten mit
abgeklärter Meisterschaft und Souveränität. In diesem Werk gelang ihm,
wie keinem anderen Komponisten des 19. Jahrhunderts, die angestrebte
Synthese der instrumentalen Gattungen – und er muss sich dessen bewusst gewesen sein. So war sicherlich Koketterie mit im Spiel, als er das
alle bisherigen Ausmaße sprengende Werk gegenüber einer guten Freundin als »ein ganz ein kleines Klavierkonzert« bezeichnete, »mit einem ganz
einem kleinen zarten Scherzo …«
18
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6. SYMPHONIEKONZERT
Johannes Brahms
* 7. M a i 18 3 3 in H a mb u rg
† 3 . April 18 9 7 in W ien
W
Brahms-Zyklus II
Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 73
1. Allegro non troppo
2. Adagio non troppo – L’ istesso tempo, ma grazioso
3. Allegretto grazioso (Quasi Andantino) –
Presto, ma non assai – Tempo primo
4. Allegro con spirito
entsta nden
B esetz u ng
im Sommer 1877 in Pörtschach
am Wörthersee (Kärnten),
Fertigstellung im September und
Oktober 1877 in Lichtenthal bei
Baden-Baden
2 Flöten, 2 Oboen, 2 Klarinetten,
2 Fagotte, 4 Hörner, 2 Trompeten,
3 Posaunen, Tuba, Pauken,
Streicher
V erl ag
u r au fgef ü hrt
am 30. Dezember 1877 in Wien
(Wiener Philharmoniker,
Dirigent: Hans Richter)
Breitkopf & Härtel,
Wiesbaden/Leipzig
Dau er
ca. 40 Minuten
20
21
Heiter bis wolkig
Johannes Brahms’
Symphonie Nr. 2
enn Johannes Brahms mit Blick auf sein viersätziges,
symphonisch erdachtes Klavierkonzert Nr. 2 von »ein paar
kleinen Klavierstücken« sprach oder anmerkte, er habe
»ein ganz ein kleines Klavierkonzert« komponiert, dann
waren dies Äußerungen von typisch Brahms’schem Format. Augenzwinkernde Bescheidenheit, die Lust an der Irreführung und
eine gehörige Portion Selbstironie vermischen sich in solchen Kommentaren, die man getrost als Indiz für Brahms’ Zufriedenheit mit einer Partitur werten kann – soweit »Zufriedenheit« für einen derart selbstkritischen
Komponisten wie ihn, der die Musik gerne einmal zu einer »Angelegenheit
auf Leben und Tod« erhob, überhaupt möglich war. Brahms ließ sich ungern in die Karten schauen, stattdessen liebte er es ganz offensichtlich,
sein Umfeld gepflegt hinters Licht zu führen, sich auf skeptische Distanz
zur eigenen Musik zu begeben und mit einer gewissen norddeutschen
»Schnoddrigkeit« und Herbheit der Welt zu begegnen. Was keinesfalls
heißt, dass er sich in seinen Briefen nicht auch sehr persönlich erklären,
tiefe Einblicke gewähren konnte. Überaus belesen und vielseitig gebildet,
war Brahms ein brillanter Rhetoriker, der wie mit den Noten auch mit dem
Wort umzugehen verstand – eine Fähigkeit, die ihn mitunter dazu veranlasste, jede Verschleierungstaktik und vornehme Zurückhaltung aufzugeben, um drastisch, leidenschaftlich, bisweilen lesenswert unsachlich den
eigenen Standpunkt zu verkünden und zu vertreten. Die Symphonischen
Dichtungen Franz Liszts nannte er bloß »das Zeug«, sie waren ihm »entsetzlich«, wie »Lärm«, gar wie die »Pest«, und auch Anton Bruckner wird
gewusst haben, warum er sich mehrfach mit leiser Verzweiflung über das
Auftreten seines Rivalen Brahms beschwerte, der offenbar kaum mit seiner
Meinung über ihn hinter dem Berg hielt. Kompromisse einzugehen, vor
allem in Belangen der Kunst, war Brahms’ Sache sicher nicht.
Keine Frage, nicht nur seine Musik, auch Brahms’ Persönlichkeit
lässt sich aus der historischen Rückschau kaum fassen und noch schwerer
beschreiben. An ihm kann man sich sprichwörtlich die Zähne ausbeißen. »Ich
6. SYMPHONIEKONZERT
müßte bekennen daß ich nebenbei ein schwer melancholischer Mensch bin,
daß schwarze Fittiche beständig über uns rauschen«, notierte er, und diese
überraschend offene Selbstbeschreibung stimmt durchaus überein mit dem,
was man den Schilderungen seiner Umgebung entnehmen kann. Sei Brahms
recht gut gelaunt, spottete Joseph Hellmesberger, der damalige Konzertmeis­
ter der Wiener Philharmoniker, dann singe er »Das Grab ist meine Freude«.
Mitunter schroff und kühl muss der »Hamburger Jung« seinen Mitmenschen
begegnet sein, wortkarg und verschlossen. Ebenso legendär wie Brahms’
Schwermut aber waren seine Heiterkeit und sein spezieller Humor, seine
Geselligkeit in vertrauter Runde sowie die sensible Art, mit der er Frauen
gegenübertrat, was nicht zuletzt die tiefe Verbundenheit zwischen ihm und
Clara Schumann belegt.
Eine Partitur »mit Trauerrand«
Mehr noch als bei seinem zweiten, angeblich so »kleinen« Klavierkonzert
hatte Brahms einige Jahre zuvor schon seine Freunde und Bekannte mithilfe eines wahren Versteck- und Verwirrspiels aufs Glatteis geführt, als er
ihnen seine zweite Symphonie ankündigte, »das neue liebliche Ungeheuer«,
wie er sie, halb liebevoll, halb sarkastisch, betitelte. »Die neue Symphonie
ist so melancholisch«, betonte er gegenüber seinem Verleger Fritz Simrock
über die Zweite, »daß Sie es nicht aushalten. Ich habe noch nie so etwas
Trauriges, Molliges geschrieben: die Partitur muß mit Trauerrand erscheinen.« Ähnliches ließ Brahms den befreundeten Adolf Schubring wissen: »Du
hast noch nichts Weltschmerzlicheres gehört – ganz f-moll.« Um sich den
Charakter der Symphonie vorzustellen, sei nicht einmal eine Partitur vonnöten, man brauche sich, so Brahms lapidar, nur an das Klavier zu setzen,
»abwechselnd die Füßchen auf beiden Pedalen, und den f-Moll-Akkord eine
gute Zeitlang anzuschlagen, abwechselnd unten und oben, ff und pp – dann
kriegen Sie allmählich das deutlichste Bild von der ›neuen‹«, erklärte er seiner Vertrauten Elisabet von Herzogenberg. Ihr berichtete er scherzend auch
von den Probenvorbereitungen zur Wiener Uraufführung: »Hier spielen die
Musiker meine Neue mit Flor um den Arm, weil’s gar so lamentabel klingt;
sie wird auch mit Trauerrand gedruckt.«
Selbst Clara Schumann ging während des Kompositionsprozesses
davon aus, dass Brahms an einer »elegischen« Symphonie arbeite, was darauf deutet, dass sie entsprechend instruiert wurde. Doch als habe er seine
Leute nicht schon genug auf die falsche Fährte gelockt, machte sich Brahms
augenscheinlich einen Spaß daraus, neben all den düsteren Anspielungen
auch genau das Gegenteil zu behaupten und die zweite Symphonie als überaus »heiter und lieblich« zu rühmen. Sie sei eine »hübsche Symphonie«,
selbstredend eine »ganz unschuldige, heitere, kleine«, rundum: eine »zarte
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M el a ncholiker mit h u mor : J oh a nnes B r a hms (18 8 0 er Ja hre )
6. SYMPHONIEKONZERT
Liebenswürdigkeit«, gab er zu Protokoll. Sieht man einmal vom ironischen
Unterton ab, der (auch) in diesen Formulierungen mitschwingt, so liegen
die Umschreibungen durchaus auf der Linie dessen, was Publikum, Kritik
und Musiker von Anbeginn an aus der zweiten Symphonie heraushörten:
eine ausgesprochen helle, freundliche Symphonie, lebensbejahend, anmutig und leicht verständlich, wohlklingend und beseelt. Sie schien das volle
Kontrastprogramm zur introvertierten ersten Symphonie zu liefern, in der
sich Brahms an Beethoven abgearbeitet und mühsam von seinem Vorbild
befreit hatte. Viele Kommentatoren haben eine ausgeprägte Naturstimmung
in der Zweiten ausgemacht, was manch einen noch dazu verleitete, sie nach
ihrem Entstehungsort eine »Wörthersee-Symphonie« zu taufen. Tatsächlich
ging Brahms ab 1877, ab dem Kompositionsjahr dieser Symphonie, dazu
über, für seine sommerlichen Arbeitsaufenthalte vornehmlich Berg- und
Seenlandschaften des Alpenraums auszuwählen, in denen er als leidenschaftlicher Spaziergänger die Natur auf sich wirken ließ und schöpferische
Kräfte sammelte; bereits den Sommer 1873 hatte er in Tutzing am Starnberger See verbracht. Brahms logierte in Pörtschach am Wörthersee, in späteren Jahren in Mürzzuschlag in der Steiermark, in Hofstetten am Thuner
See oder auch in Bad Ischl im Salzkammergut. Im Falle der Zweiten stellte
er sogar selbst einen Bezug zwischen Musik und Naturszenerie her: »… der
Wörther See ist ein jungfräulicher Boden, da fliegen die Melodien, daß man
sich hüten muß, keine zu treten.« Eine wie immer ironisch gebrochene Bemerkung, gleichwohl lässt sich schwerlich bestreiten, dass die Themen der
Symphonie vielfach ausnehmend lyrisch und sanglich gehalten sind, was
unweigerlich die Vorstellung von Natur und Volkslied heraufbeschwört.
Hatte Brahms bald zwei Jahrzehnte mit seiner ersten Symphonie
gerungen, bis er sie 1876 endlich vollenden konnte, so scheint ihm anschließend die Zweite ungewöhnlich leicht von der Hand gegangen zu sein: Innerhalb nur weniger Monate nahm sie ihre fertige Gestalt an. Dass es Vorarbeiten in früheren Jahren gegeben hatte, ist wohl nicht auszuschließen,
konkrete Belege aber in Form von Skizzen oder brieflichen Mitteilungen
gibt es nicht. Entweder hatte Brahms den Erfolg der Ersten, die Genugtuung
über die lang ersehnte Bewältigung des Projektes »Symphonie« umgehend
in ein neues Werk umgemünzt, oder aber – was kaum überraschen würde – alle zurückreichenden Spuren der Zweiten waren von ihm sorgsam
beseitigt worden. So oder so aber bilden seine Erste und Zweite ein zusammengehöriges Werkpaar – es ist, als habe sich Brahms mit ihnen von zwei
Seiten der Idee der Symphonie genähert, zwei unterschiedliche Strategien
symphonischen Komponierens gesucht und gefunden: die Erste ausgerichtet am Beethoven’schen Modell »per aspera ad astra« (»Durch Nacht zum
Licht«) mit dem Finale als Ziel und Lösungspunkt aller Konflikte, die Zweite
umgekehrt mit dem Anfangssatz als dem gewichtigsten Satz, dessen Cha-
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I n P ö rtsch ach a m W ö rthersee legte J oh a nnes B r a hms den G r u ndstein
seiner zweiten S ymphonie u nd seines zweiten kl avierkonzerts
raktere in den folgenden Symphonieteilen entfaltet und ausgebreitet werden.
Werkpaare dieser und ähnlicher Art waren durchaus üblich, Beethovens
fünfte Symphonie und dessen Sechste, die »Pastorale«, bilden ein solches
prominentes Gegensatzpaar, ebenso bei Brahms die Klavierquartette op. 25
und op. 26 oder seine Akademische Festouvertüre op. 80 und die Tragische
Ouvertüre op. 81, die der Komponist unmittelbar aufeinander bezog: »Die
eine weint, die andre lacht.«
Dunkle Posaunenakkorde und Jubel-Finale
»Sie wird jedenfalls gehörig durchfallen«, prophezeite Brahms der Zweiten
vor der Uraufführung mit vorgespieltem Pessimismus, »die Leute werden
meinen, diesmal hätte ich mir’s leicht gemacht. Aber Ihnen rate ich, vorsichtig zu sein!«, mahnte er seinen Verleger Simrock. Vorsichtig zu sein dürfte
ein treffendes Stichwort sein, denn all die Bemerkungen über angebliche
Trauerränder, Weltschmerz und Mollcharakter wirken wie der viel zitierte
Wink mit dem Zaunpfahl, die dunklen, abgründigen Seiten gerade dieser
Symphonie nicht zu überhören: ihre Melancholie in der Heiterkeit. Die Zweite als bloße »Idylle« oder »Pastorale« zu verstehen, hieße sicherlich, wesentliche Facetten der Symphonie auszublenden.
Schon der Anfangssatz stellt dies unter Beweis. Nach dem so beschaulich anmutenden Auftakt und ersten energischen Kontrasten strebt
die Musik in fernere, beinahe »süßliche«, wehmütige Regionen – um sich
6. SYMPHONIEKONZERT
P rogr a mmzettel z u r E rstau ff ü hr u ng
der zweiten S ymphonie in den K a pellkonzerten
Nur wenige Wochen nach der Wiener Uraufführung erklang Brahms’ Zweite
erstmals bei der Dresdner Hofkapelle, die musikalische Leitung hatte Hofkapellmeister Franz Wüllner, ein Freund des Komponisten. In den Folgejahren war Brahms selbst als Solist und Dirigent bei der Hofkapelle zu Gast:
1882 übernahm er im Semperbau den Solopart in seinem zweiten Klavierkonzert, 1886 trat er abermals mit diesem Konzert solistisch auf und dirigierte
noch dazu seine vierte Symphonie. Bereits 1884 ernannte ihn der »Tonkünstler-Verein« der Dresdner Hofkapelle zum Ehrenmitglied, ein Ereignis, das
dem Norddeutschen in bester Erinnerung blieb: »Wie gern denke ich an den
schönen, künstlerisch so genußvollen, menschlich so behaglichen Abend
zurück«, schrieb er nach Dresden.
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schließlich im Zentrum des Satzes in kontrapunktischer Verästelung immer tiefer »einzugraben«. Vorboten dieser Entwicklung sind die dunklen
Posaunen- und Tubaakkorde, die früh am Werkbeginn für eine unüberhörbare Eintrübung sorgen. Auf die ausdrückliche Nachfrage eines Zeitgenossen, ob es dieser Blechbläsereinsätze samt grollender Pauke wirklich
bedurft hätte, musste Brahms zugestehen, dass er »sehr gewünscht und
versucht habe«, ohne sie auszukommen. »Aber ihr erster Eintritt, der gehört mir, und ihn und also auch die Posaunen kann ich nicht entbehren.«
Zusammengehalten werden die Fäden dieses Satzes – ein Beispiel für
Brahms’ kompositorische Ökonomie – durch einzelne zentrale thematische
Ideen: in erster Linie durch das »Pendelmotiv« (Ton abwärts, Ton aufwärts), mit dem die tiefen Streicher die Symphonie eröffnen und das sich
in vielfacher Einkleidung als Kernmotiv des Satzes wie weiter Teile der
Symphonie herausstellt.
Sehnsuchtsvoll, mit überirdisch schöner Melodik (»espressivo«)
hebt der langsame zweite Satz an, der in seinem Fortgang trotz Dur-Tonart
ein weites Ausdrucksspektrum zwischen gleißendem Licht und dramatischer Dunkelheit ausschreitet. Er ist ein Schwergewicht in der monumentalen Symphonik des 19. Jahrhunderts, ein Gebilde, das mit seiner Wucht
und Größe weit in Bruckner’sche Dimensio­nen vordringt. Von starken
Gegensätzen durchzogen ist der dritte Satz, dessen tänzerisches, graziöses
Menuettthema in immer neuartiger Gestalt und Beleuchtung erklingt, nicht
unähnlich einer Suite. Einige haben in dem Satz eine Folge von Ländler,
Galopp und Geschwindwalzer erkannt, mit der Brahms, der Schöpfer der
»Ungarischen Tänze«, seine hohe Kunst der Varia­t ion und seine Meisterschaft auf dem Gebiet des Tanzes demonstriert.
Das Finale wiederum ist ein wahrhaft »explosiver«, unberechenba­
rer Satz, ein »Kehraus-Finale« in bester Manier: Nach verhaltenem Anfang
bricht die Musik mit fast schon barockem Überschwang und rhythmischer
Energie heraus (»con spirito«), angesichts des strahlenden, »knalligen« Tonfalls könnte auch der späte Joseph Haydn Pate gestanden haben. Das Verfahren wiederholt sich mehrfach, immer wieder steuert der Satz, ausgehend von
verschatteter Zurücknahme, auf mitreißende Höhepunkte zu, des Öfteren in
plötzlichem Umschlagen der Stimmung. Selten dürfte Brahms die Zügel so
gelockert und scheinbar ungehemmt musikalischen Jubel in seiner Musik
zugelassen haben.
Die Uraufführung von Brahms’ Zweiter im Goldenen Saal des Wiener Musikvereins am 30. Dezember 1877 war den Pressestimmen zufolge
ein triumphales Ereignis, Hans Richter leitete die Wiener Philharmoniker.
Dass die Musiker an diesem Tag in Trauerflor aufgetreten wären, ist freilich nicht überliefert.
Torsten B l a ich
6. SYMPHONIEKONZERT
6. Symphoniekonzert 2012 | 2013
Orchesterbesetzung
1. Violinen
Kai Vogler 1. Konzertmeister
Michael Eckoldt
Jörg Faßmann
Federico Kasik
Michael Frenzel
Brigitte Gabsch
Johanna Mittag
Birgit Jahn
Martina Groth
Wieland Heinze
Henrik Woll
Anja Krauß
Anselm Telle
Sae Shimabara
Franz Schubert
Renate Peuckert
2. Violinen
Reinhard Krauß Konzertmeister
Frank Other
Matthias Meißner
Annette Thiem
Stephan Drechsel
Jens Metzner
Olaf-Torsten Spies
Mechthild von Ryssel
Alexander Ernst
Emanuel Held
Holger Grohs
Kay Mitzscherling
Paige Kearl
Ting Hsuan Hu
Bratschen
Michael Neuhaus S olo
Andreas Schreiber
Anya Muminovich
Michael Horwath
Uwe Jahn
Ulrich Milatz
Ralf Dietze
Wolfgang Grabner
Zsuzsanna Schmidt-Antal
Susanne Neuhaus
Uta Scholl
Yuta Nishiyama*
Violoncelli
Simon Kalbhenn S olo
Tom Höhnerbach
Uwe Kroggel
Nikolaus Hanjohr-Popa*
Andreas Priebst
Bernward Gruner
Johann-Christoph Schulze
Jörg Hassenrück
Anke Heyn
Matthias Wilde
Hörner
Kontrabässe
Andreas Wylezol
Martin Knauer
Petr Popelka
Helmut Branny
Fred Weiche
Reimond Püschel
Thomas Grosche
Johannes Nalepa
Jochen Ubbelohde
Harald Heim
Miklós Takács
Klaus Gayer
S olo
Trompeten
Tobias Willner
Peter Lohse
Flöten
Nicolas Naudot S olo
Guido Ulfig
Frank van Nooy
Oboen
Tuba
S olo
Andreas Ottensamer*
Jan Seifert
Joachim Hans S olo
Joachim Huschke
Hans-Werner Liemen
S olo
Pauken
Klarinetten
Fagotte
S olo
Posaunen
Sabine Kittel S olo
Bernhard Kury
Jens-Jörg Becker
Sebastian Römisch
Volker Hanemann
S olo
Thomas Käppler
S olo
S olo
Schlagzeug
Jürgen May
Dirk Reinhold
* a ls G a st
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6. SYMPHONIEKONZERT
Vorschau
Lisa Batiashvili Violine
Paul Lewis Klavier
Franz Schubert
Sonate für Violine und Klavier A-Dur D 574
Franz Liszt
Kammermusik der Sächsischen Staatskapelle Dresden
Gegründet 1854 als Tonkünstler-Verein zu Dresden
Verantwortlich: Friedwart Christian Dittmann, Ulrike Scobel und Christoph Bechstein
5. Kammerabend
D ienstag 12 . 2 .13 2 0 Uhr
S emperoper D resden
»Schlaflos! Frage und Antwort« für Klavier solo S 203
»Unstern! Sinistre, disastro« für Klavier solo S 208
Franz Schubert
»Rondo brillant« für Violine und Klavier h-Moll D 895
Georg Philipp Telemann
Fantasia Nr. 4 D-Dur für Violine solo TWV 40:17
Ludwig van Beethoven
Sonate für Klavier und Violine G-Dur op. 96
25.2.13
Violin-Rezital
2 0 u hr
konzerts a a l der hochsch u le f ü r
m u sik C a rl m a ri a von weber dresden
der Capell-Virtuosin Lisa Batiashvili
Dresdner Kapellsolisten
Leitung: Helmut Branny
SemperBrass Dresden
Dirigent: Johannes Wulff-Woesten
Werke von Georg Philipp Telemann,
Johannes Brahms, Anton Bruckner,
Peter Tschaikowsky, Sergej Rachmaninow,
und Kazimierz Serocki, Uraufführungen
von Manfred Grafe und Rainer Lischka
sowie Musik und ein Ständchen zum 200. Geburtstag
von Richard Wagner
7. Symphoniekonzert
M ittwoch 13. 2 .13 2 0 Uhr
donnerstag 14 . 2 .13 2 0 Uhr
S emperoper D resden
Zum Gedenken an die Zerstörung
Dresdens am 13. Februar 1945
Christian Thielemann Dirigent
Genia Kühmeier Sopran
Christa Mayer Alt
Daniel Behle Tenor
Alastair Miles Bass
Sächsischer Staatsopernchor Dresden
Einstudierung: Pablo Assante
PA R T N E R D E R
S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
Wolfgang Amadeus Mozart
Requiem d-Moll KV 626,
Fassung von Franz Xaver Süßmayr
6. SYMPHONIEKONZERT
I mpress u m
Sächsische
Staatskapelle Dresden
Künstlerische Leitung/
Orchesterdirektion
Sächsische Staatskapelle Dresden
Chefdirigent Christian Thielemann
Spielzeit 2012|2013
Herausgegeben von der
Sächsischen Staatsoper Dresden
© Januar 2013
R eda ktion
Dr. Torsten Blaich
G esta lt u ng u nd L ayo u t
schech.net
Strategie. Kommunikation. Design.
Christian Thielemann
Chefdirigent
Katrin Schirrmeister
Persönliche Referentin von
Christian Thielemann
Jan Nast
Orchesterdirektor
Tobias Niederschlag
Konzertdramaturg,
Künstlerische Planung
Union Druckerei Dresden GmbH
Dr. Torsten Blaich
Programmheftredaktion,
Konzerteinführungen
Anzeigenvertrieb
Matthias Claudi
PR und Marketing
D r u ck
EVENT MODULE DRESDEN GmbH
i.A. der Moderne Zeiten Medien GmbH
Telefon: 0351/25 00 670
e-Mail: [email protected]
www.kulturwerbung-dresden.de
B ildn achweise
Mathias Bothor/Deutsche Grammophon (S. 5);
Matthias Creutziger (S. 6, 18); Hans Heinz Stuckenschmidt: Ferruccio Busoni. Zeittafel eines
Europäers, Zürich/Freiburg im Breisgau 1967
(S. 11); Christiane Jacobsen: Johannes Brahms.
Leben und Werk, Wiesbaden 1983 (S. 16, 25);
Hans A. Neunzig: Johannes Brahms, Reinbek
bei Hamburg 1984 (S. 23); Archiv der Sächsischen Staatsoper Dresden (S. 26).
T e x tn achweise
Die Einführungstexte von Dr. Joachim Draheim,
Tobias Niederschlag und Dr. Torsten Blaich sind
Originalbeiträge für die Publikationen der Sächsischen Staatskapelle Dresden.
Urheber, die nicht ermittelt oder erreicht
werden konnten, werden wegen nachträglicher
Rechtsabgeltung um Nachricht gebeten.
Private Bild- und Tonaufnahmen sind aus
urheberrechtlichen Gründen nicht gestattet.
Agnes Monreal
Assistentin des Orchesterdirektors
Sarah Niebergall
Orchesterdisponentin
Matthias Gries
Orchesterinspizient
HAPPY
NEW YEAR
D I E O P ER ET T E N G A L A AU S D R E S D E N
Staatskapelle Dresden · Christian Thielemann · Ingeborg Schöpf · Piotr Beczala
Agnes Thiel
Friederike Wendler
Mathias Ludewig
Dieter Rettig
Notenbibliothek
A B S O F O RT
VORBESTELLBAR
AUF
AB 4.1. ALS
CD & DOWNLOAD
& AB 18.1.
AUF DVD!
www. sta atsk a pelle - dresden . de
32
www.klassikakzente.de
PA R T N E R D E R
S TA AT S K A P E L L E D R E S D E N
4
MF