Jugendliche und junge Erwachsene aus

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Jugendliche und junge Erwachsene aus
11
Vorbildlich!
Schriftenreihe
der Ausländerbeauftragten
des Landes
Niedersachsen
Niedersachsen
Jugendliche und junge Erwachsene
aus Zuwandererfamilien
Foto: Hoppenrath
Impressum
Februar 2007
Herausgeberin und Redaktionsanschrift (ViSdP)
Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport (MI)
– Ausländerbeauftragte –
Postfach 2 21
30002 Hannover
Verantwortlich: Marianne Winkler
E-Mail: [email protected]
Internet: www.auslaenderbeauftragte.niedersachsen.de
Titelfoto
sputnike <jungeKultur> im CJD Nienburg/SWK
Redaktion
Anett Schweitzer, Marianne Winkler
Produktion
Anette Hoppenrath, Marianne Winkler
Gestaltung
set-up design.print.media, Hannover
Druck
Landesvermessung und Geobasisinformation Niedersachsen (LGN), Hannover
Erscheinungsweise
unregelmäßig
Nachdruck nur mit Genehmigung der Herausgeberin (wird gern erteilt).
Alle Rechte vorbehalten.
© Die Ausländerbeauftragte des Landes Niedersachsen.
Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht in jedem Fall
die Meinung der Herausgeberin und der Redaktion wieder.
Gedruckt auf chlorfrei gebleichtem Material.
ISSN 0340-3718
Vorbildlich!
Jugendliche und junge Erwachsene
aus Zuwandererfamilien
Inhalt
Grußwort
Marianne Winkler
5
Geleitwort des Niedersächsischen Ministerpräsidenten
Christian Wulff
7
Jugendberufshilfe und Migration –
die zentralen Arbeitsbereiche der LAG JAW
Dimitra Atiselli
Von Barrieren und Karrierechancen
Anett Schweitzer
8
9
Die Übung „Ich – Ich nicht“
Oliver Trisch
11
„Es macht Spaß, etwas Neues dazuzulernen“
Stephanie Billib
13
Vorbilder aus Schule und Hochschule
Abdel-Latif Arouna
Katharina Ditte
Angelina Frank
Linda Moreschi
15
16
17
18
„Wer etwas wirklich erreichen möchte, schafft es auch“ 19
Mirjana Ilić
Vorbilder in der Ausbildung und im Beruf
Andrej Karri
Olga Zimmermann
Murat Sünnetci
Sevgi Ayes
Bilal Zeyno
Bedriye Özden
Samiullah Achmed
Naciye Çelebi-Bekta¸s
21
22
23
24
25
26
27
28
Durch ehrenamtliches Engagement
zu mehr Selbstbewusstsein
Thomas Böhme
Vorbilder im Ehrenamt
Gül¸sen Özçelikli
Rasim ¸Sengül
Melda Ate¸s
Von Träumen und harter Arbeit
Marina Kormbaki
Vorbilder im Bereich Kunst, Kultur und Medien
Juri Schmidt
Seyhan Derin
Natella Santadze
Alexander Brunner
Fatma Mohamed-Taha
„Sport erleichtert die Integration“
Oliver Trisch
Vorbilder im Sport
Artur Stark
Lasher Kurun
Viktor Reimchen
29
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33
36
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39
40
41
43
44
45
Schlusswort der Niedersächsischen Ministerin
für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit
Mechthild Ross-Luttmann
46
Kontaktadressen
50
Verzeichnis der Referent/innen, Moderator/innen
und Journalistinnen
51
von Marianne Winkler
Foto: Max
Grußwort
Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Jugendliche,
ich begrüße Sie zu der Tagung „Vorbildlich! – Jugendliche und junge Erwachsene aus Zuwandererfamilien“,
die mit einer HipHop-Präsentation
durch die Gruppe „New Limits“ eröffnet wurde. Durch die gelungene
sportlich-tänzerische Darbietung
konnten Sie bereits einen ersten Einblick in vorbildliche Fähigkeiten von
Jugendlichen mit Migrationshintergrund bekommen. Vielen Dank an
die jungen Damen um Dilek Boztüy
aus Bad Pyrmont, die gerade Beachtliches geleistet haben und gegen
Mittag noch einmal auftreten werden. Für den Nachmittag kann ich mit
der Breakdance-Gruppe von „sputnike <junge Kultur> im CJD Nienburg“ einen weiteren tänzerischen
Höhepunkt ankündigen. Die jungen
Männer werden Sie mit ihrer sportlich-akrobatischen Darbietung sicher
beeindrucken.
Sehr geehrte Damen und Herren,
für die Tagung „Vorbildlich! Jugendliche und junge Erwachsene aus Zuwandererfamilien“ sind Anmeldungen in so großer Anzahl eingegangen, dass wir gut und gerne zwei
Veranstaltungen hätten durchführen
können, was aber leider nicht möglich war. Ich bin sehr froh über die
überwältigende Resonanz, weil mir
das Thema dieser Tagung ein besonderes Anliegen ist.
Ihnen, die Sie selbst einen so genannten Migrationshintergrund haben oder als Lehrkräfte an Schulen,
als Sozialpädagogen in der Integrationsarbeit oder als Multiplikatoren
in verwandten Bereichen tätig sind,
berichte ich nichts Neues, wenn ich
darauf hinweise, dass in den Diskussionen über Jugendliche und junge
Erwachsene aus Zuwandererfamilien
die Wahrnehmung von Problemen
und Defiziten überwiegt.
Sicher, es gibt diejenigen – und ihr
Anteil ist im Vergleich zu denen ohne
Migrationshintergrund auf jeden Fall
zu hoch –,
• die in der Schule wenig erfolgreich sind,
• die keinen Ausbildungsplatz finden,
• die kaum eine Lebensperspektive
für sich entwickeln können,
• die der Unterstützung und der
Förderung bedürfen.
Doch daneben gibt es auch die anderen,
• die sich durchbeißen durch das Dickicht der Einwanderungsgesellschaft,
• die sich von Vorurteilen, die ihnen
möglicherweise entgegenschlagen, nicht beirren lassen,
• die erfolgreich ihren Weg gehen –
und dabei nicht einmal auffallen.
Sie möchten wir mit der heutigen
Veranstaltung ein wenig ins Licht rücken,
• um unsere auf Defizite fixierten
Blicke in eine andere Richtung zu
lenken und unsere Augen für Ressourcen und Kompetenzen zu öffnen,
• um Jugendlichen mit Migrationshintergrund durch die Berichte
von Vorbildern Mut zu machen.
Der DJ und in der internationalen
Musikszene bekannte Musikproduzent aus Hannover mit türkischem
Hintergrund Mousse T. – der eigentlich Mustafa Gündogdu heißt – sagte
in einem Interview in der ZEIT vom
4. Mai 2006: „Wenn ich Deutschland wäre, würde ich mir die Erfolge
der Einwanderer an die Brust heften“. In dem Beitrag heißt es weiter:
„Die deutsche Öffentlichkeit hat bisher versäumt, beeindruckende Aufsteigergeschichten gebührend zu
feiern und ihrem Selbstbild einzu-
verleiben. In Ländern, die mit Einwanderung mehr Erfahrung haben,
wie etwa die Vereinigten Staaten,
Kanada oder Australien, werden solche Erfolgsgeschichten an die große
Glocke gehängt. Aufsteiger unter
den Migranten werden als Vorbilder
gepriesen.“ Hier haben wir einiges
nachzuholen.
Wenn wir erst einmal einen Blick
für die Wahrnehmung erfolgreicher
Migrantinnen und Migranten entwickelt haben, werden sie uns auch in
Deutschland jeden Tag begegnen.
Im Oktober 2006 war in der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung unter der Überschrift „Frischer Wind für
das NIW“ zu lesen, dass das Niedersächsische Institut für Wirtschaftsforschung mit Professor Revilla Diez
einen neuen Leiter bekommen hat,
der als Sohn spanischer Arbeitsmigranten in den sechziger Jahren im
Kleinkindalter nach Deutschland gekommen ist. Anfang November war
der preisgekrönte Kinofilm „Gegen
die Wand“ des türkischen Filmemachers Fatih Akin mit der bekannten
Schauspielerin Sibel Kekilli im Fernsehen zu sehen und im Schauspielhaus
Hannover stand eine Lesung mit dem
aus Russland stammenden Schriftsteller Wladimir Kaminer auf dem Programm. An den niedersächsischen
Universitäten werden immer mehr
Stellen mit Wissenschaftlern mit Migrationshintergrund besetzt – kürzlich
habe ich einen Vortrag von Frau Dr.
Ayca Polat gehört – einer Dozentin
der Universität Oldenburg.
Achten Sie einmal bewusst darauf,
wo und wie oft Ihnen erfolgreiche
Menschen mit Migrationshintergrund
begegnen!
Wir haben uns bemüht, für das
recht junge Publikum der heutigen
Veranstaltung die „richtigen“ Vorbilder zu finden und ebenfalls junge Menschen aus Zuwandererfamilien eingeladen, die demzufolge noch
kein Institut für Wirtschaftsforschung
leiten können – jedenfalls im Moment
noch nicht.
Die Auswahl habe ich zusammen
mit meiner Kollegin Dimitra Atiselli
von der Landesarbeitsgemeinschaft
der Jugendsozialarbeit getroffen.
Ohne die ausgesprochen produktive
Kooperation mit der LAG JAW hätte
sich diese Tagungsidee wahrscheinlich
nicht realisieren lassen. Deshalb geht
mein Dank an die Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter der Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendsozialarbeit.
Darüber hinaus danke ich auch dem
Niedersächsischen Sozialministerium
für seine Beteiligung an dieser Veranstaltung.
Zurück zu den Vorbildern – genauer gesagt zu den „richtigen“ Vorbildern:
Auf die Prominenten haben wir
ebenso verzichtet wie auf die absolut
hoch begabten Überflieger, die schon
in der Grundschule auf Grund herausragender Leistungen eine Klasse locker überspringen und diese Übung
am Gymnasium gekonnt fortsetzen.
Doch auch sie gibt es übrigens, wobei
hoch begabte Migrantenkinder noch
häufiger als Kinder ohne Migrationshintergrund das Schicksal erleiden, als
Begabte nicht erkannt und mitunter
fälschlicherweise als verhaltensauffällig eingestuft zu werden. Aber das
nur als Zwischenbemerkung.
Wir haben Vorbilder ausgewählt,
denen andere Jugendliche mit Ehrgeiz und Zielstrebigkeit – unterstützt
durch Förderung von wem auch immer – nacheifern können, ohne dass
die Messlatte in nebulösen Höhen
verschwindet.
Wir haben Vorbilder ausgewählt,
deren Kompetenzen sich in verschiedenen Bereichen entfalten –
• in der Schule bzw. Hochschule,
• in der Ausbildung bzw. im Beruf,
• im ehrenamtlichen Engagement,
• im Bereich Kunst, Kultur und Medien sowie
• im Sport.
Wir haben Vorbilder ausgewählt, die
bereit sind, aktiv an dieser Tagung
mitzuwirken, die bereit sind, sich auf
die Methode des biografischen Erzählens einzulassen und auf diese Weise
Einblicke in ihren bisherigen Lebensweg gewähren.
Die meisten von ihnen haben auf
meinen Wunsch hin bereits ein kurzes
Lebensbild in schriftlicher Form verfasst. Sie haben nach der Angabe ihrer persönlichen Daten ihren Werdegang daraufhin reflektiert, was für
ihren bisherigen Erfolg entscheidend
war, wo mögliche Stolpersteine lagen, was sie anderen jungen Menschen mit Migrationshintergrund
„empfehlen“, was sie sich wünschen.
Wir haben Vorbilder ausgewählt,
die in der Schülervertretung mitarbeiten, die mit Bravour ihre Examensprüfungen bestehen, die mitunter nach einem etwas längeren Weg
doch noch den für sie richtigen Ausbildungsplatz gefunden haben, die
in ihrer Freizeit einheimische oder
zugewanderte Menschen ehrenamtlich unterstützen, die beruflich einen
künstlerischen Weg gehen oder die
hobbymäßig Theater spielen, die sich
in ihrer Freizeit sportlich engagieren
und in diesem Bereich später möglicherweise berufliche Ambitionen entwickeln werden.
Es sind 24 vorbildliche Jugendliche
und junge Erwachsene aus Zuwandererfamilien, denen ich herzlich dafür danke, dass sie bei der heutigen
Tagung den wichtigsten Part übernehmen. Ich freue mich sehr darüber,
dass Sie hier sind.
Ich danke außerdem allen Referenten bzw. Moderatorinnen und
Moderatoren für ihr Mitwirken an
der heutigen Tagung, den Journalistinnen für die zugesagten Berichte
aus den Arbeitsgruppen, Anett
Schweitzer für die Redaktion der Tagungsdokumentation und allen weiteren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Kolleginnen und Kollegen, die
sich heute ganz besonders einbringen.
Wenn ich eingangs erwähnte, dass
in der Diskussion über Jugendliche
und junge Erwachsene aus Zuwandererfamilien meistens die Wahrnehmung von Problemen und Defiziten überwiegt, freue ich mich heute
umso mehr, dass sowohl auf NDR 1
als auch in der HAZ und vom Hannoverschen Lokalfernsehen h1 über die
Tagung bzw. die jungen Vorbilder
und somit über gelungene Beispiele
von Integration berichtet werden
wird.
Sehr geehrte Damen und Herren, Ihnen danke ich für Ihr Interesse an der
Tagung „Vorbildlich! Jugendliche und
junge Erwachsene aus Zuwandererfamilien“.
Ich wünsche Ihnen einen informativen Vortrag, eine ebenso bewegungs- wie erkenntnisreiche Übung,
spannende Gespräche in den Arbeitsgruppen und zwischendurch und nebenbei die eine oder andere interessante und nette Begegnung.
Geleitwort
des Niedersächsischen
Ministerpräsidenten
Christian Wulff
Foto: Nds. Staatskanzlei
Liebe Mitwirkende,
liebe Teilnehmerinnen und Teilnehmer,
meine sehr geehrten Damen und Herren,
in Niedersachsen leben Menschen aus
195 Nationen. Zuwanderer und die
ihnen nachfolgenden Generationen
sind aus unserem Alltag – aus unseren Schulen und Kindergärten, aus
den Firmen, den Sportvereinen oder
den Musikschulen – nicht mehr wegzudenken: Ohne sie wäre unser Land
ärmer. Sie bereichern unser Leben mit
ihrem Engagement, ihren Talenten
und Traditionen. Die überwiegende
Mehrheit der Migrantinnen und Migranten ist gut integriert. Sie haben
ihren Platz in unserer Gesellschaft gefunden.
Daneben gibt es allerdings auch
diejenigen, die unserer Unterstützung bedürfen und von denen wir
persönliche Integrationsanstrengungen nachdrücklich einfordern müssen. Die aktuelle politische Diskussion
richtet sich im Wesentlichen auf die
Bereiche, in denen gehandelt werden
muss. Sie wird deshalb von den notwendigen Aspekten des Forderns und
Förderns dominiert. Positive Integrationsverläufe geraten dabei mitunter
etwas aus dem Blick. Dies gilt insbesondere für die Medienberichterstattung.
Doch natürlich wissen wir, dass es
viele in Niedersachsen lebende Menschen mit Migrationshintergrund
gibt, die vorbildlich integriert sind.
Ich freue mich deshalb sehr, dass die
Ausländerbeauftragte der Landesregierung mit der Tagung „Vorbildlich!“ einen etwas anderen Blick auf
das Thema Integration richtet. In den
Arbeitsgruppen werden heute Jugendliche und junge Erwachsene aus
Zuwandererfamilien zu Wort kommen. Sie werden von eigenen Anstrengungen berichten und von Menschen, die ihnen auf ihrem bisherigen
Lebensweg unterstützend zur Seite
gestanden haben. Sie engagieren sich
erfolgreich in der Schule, in der Ausbildung, in den Bereichen Sport oder
Tanz und Theater – wie zum Beispiel
die Jugendlichen von „sputnike <junge Kultur> im CJD Nienburg“. Andere
haben das bürgerschaftliche Engagement für sich als bereichernde Tätigkeit entdeckt – wie zum Beispiel die
Jugendlichen türkischer Herkunft,
die sich im Projekt „gEMiDe“ ehrenamtlich engagieren und auch einheimische Mitmenschen unterstützen.
„gEMiDe“ ist ein Modellprojekt zur
Förderung des gesellschaftlichen Engagements von MigrantInnen und
eingebürgerten Deutschen.
Durch die Tagung „Vorbildlich!“
werden die Qualitäten und Kompetenzen der als Vorbilder eingeladenen jungen Menschen aus Zuwandererfamilien sichtbar. Ich wünsche
mir viele weitere Veranstaltungen
dieser Art – oder Projekte, durch die
erfolgreiche Zuwanderer stärker ins
Licht gerückt werden, damit sie auf
andere als Vorbilder wirken können.
Wenn Sie dazu Ideen haben, dann
lassen Sie mich das wissen.
Den Organisatorinnen der Veranstaltung „Vorbildlich!“ danke ich
dafür, dass sie dem einen oder anderen Vorurteil die erfolgreichen Lebensläufe von Migranten und Spätaussiedlern sowie ihrer Nachkommen
entgegensetzen.
Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus Zuwandererfamilien,
die im Mittelpunkt der Tagung „Vorbildlich!“ stehen, sind die besten Beispiele dafür, dass Integration gelingen kann. Ihre Anstrengungen und
ihre Zielstrebigkeit in Schule, Beruf
oder Freizeit sind es, die anderen Mut
machen können, sich den Herausforderungen der Integration zu stellen.
Dafür spreche ich den eingeladenen
Vorbildern – stellvertretend für viele
andere Zugewanderte mit erfolgreichen Integrationsverläufen – meinen Dank und meine Anerkennung
aus.
Jugendberufshilfe und Migration – die zentralen Arbeitsbereiche der LAG JAW
Foto: LAG JAW
Dimitra Atiselli
Die Landesarbeitsgemeinschaft der
Jugendsozialarbeit in Niedersachsen
(LAG JAW) ist ein Zusammenschluss
verschiedener freier Träger, die sozialpädagogische und berufsbezogene
Hilfen zur Integration und Verselbstständigung Jugendlicher und junger
Erwachsener in Ausbildung, Beruf
und Gesellschaft anbieten. Sie hat dabei immer die gesamte Lebenssituation der jungen Menschen im Blick und
umfasst und verbindet Leistungen
unterschiedlicher Art. Dabei ist sie in
erster Linie Teil der Jugendhilfe gemäß § 13 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII).
Die Jugendsozialarbeit unterstützt
und fördert zugewanderte Jugendliche mit eigenständigen Integrationshilfen sowie mit Angeboten der Jugendberufshilfe, der schulbezogenen
und geschlechtsspezifischen Jugendsozialarbeit und des Jugendwohnens.
Im Folgenden werden insbesondere
die Arbeitsbereiche Jugendberufshilfe und Migration beschrieben.
Jugendberufshilfe und
Jugendberufshilfe-Programme
Die Jugendberufshilfe ist ein Handlungsfeld der Jugendsozialarbeit an
der Schnittstelle von Jugendhilfe, Bildungs- und Sozialpolitik (Bildungsarbeit) und Arbeitsmarktförderung. Sie
ist eine Verbindung aus sozial-, schulund berufspädagogischen Ansätzen
und Methoden zur ganzheitlichen
Förderung und zur beruflichen Qualifizierung. Sie wendet sich an alle jungen Menschen, die Schwierigkeiten
beim Zugang zu Ausbildung und Erwerbsarbeit haben.
Die Jugendberufshilfe ist dabei
auf die Kooperation mit allen für die
Ausbildung und Beschäftigung relevanten Akteuren angewiesen. Sie
agiert in sozialräumlich vernetzten
Strukturen und bildet einen traditionellen Schwerpunkt der Landesregierung innerhalb der niedersächsischen
Jugendsozialarbeit.
In den vergangenen Jahren ist
das Konzept des Pro-Aktiv-Jugendprogramms zur Förderung der beruflichen Eingliederung benachteiligter
junger Menschen in Niedersachsen
entwickelt und umgesetzt worden.
Die LAG JAW wurde vom Niedersächsischen Ministerium für Soziales,
Frauen, Familie und Gesundheit beauftragt, die dazu gehörenden 45
Pro-Aktiv-Centren und die über 100
Jugendwerkstätten im Land themenbezogen zu begleiten und bei ihrer
Weiterentwicklung zu unterstützen.
Bis Ende 2006 haben insgesamt
44 niedersächsische Kommunen ein
Pro-Aktiv-Center eingerichtet, so dass
in Niedersachsen ein flächendeckendes Angebot für benachteiligte junge
Menschen zur Verfügung steht. Bei
der Umsetzung des Pro-Aktiv-Konzeptes spielen die Jugendwerkstätten eine wesentliche Rolle. Sie unterstützen die Eingliederungsaktivitäten
der Pro-Aktiv-Centren, indem sie eine
Brückenfunktion zur Eingliederung
in Ausbildung und Beschäftigung
oder weiterführende Qualifizierung
wahrnehmen. Das Angebot der Jugendwerkstätten wird genau auf die
Bedürfnisse der in den Pro-Aktiv-Centren betreuten jungen Menschen ausgerichtet. Ziel ist es, jeder und jedem
Einzelnen eine erreichbare berufliche
Perspektive zu eröffnen. Die jungen
Menschen erhalten somit die Chance
zu lernen, zu arbeiten und für die Zukunft leistungsfähig zu werden.
Schwerpunkt Migration
in der LAG JAW
Nicht nur im Pro-Aktiv-Jugendprogramm bildet der Bereich Migration
einen Schwerpunkt der Arbeit der
LAG JAW. Insgesamt ein Drittel aller
Jugendlichen, die von den Projekten
der Landesregierung beraten, begleitet und qualifiziert werden, sind junge Menschen mit Migrationshintergrund.
Die aus dem Migrationshintergrund junger Menschen resultierenden besonderen Potenziale, wie
Zweisprachigkeit, erhöhte Flexibilität
und Mobilität sowie Erfahrungen in
interkulturellen Kontexten, sind wichtige Ressourcen im Integrationsprozess. Diese gilt es zu erkennen und
für die Gesellschaft positiv nutzbar
zu machen. Oft aber werden jugendliche Migrantinnen und Migranten
ausschließlich als ein sozialpolitisches
Problem wahrgenommen. Dabei
wird meist übersehen, dass es bereits
zahlreiche Integrationskarrieren in
Niedersachsen gibt. Sie müssen nur
deutlicher herausgestellt werden. Besonders für die jungen Migrantinnen
und Migranten ist es wichtig, Vorbilder aus den eigenen Reihen und
damit auch eine positive Orientierung
für die eigene berufliche Zukunft zu
haben.
Die Zielsetzung des Arbeitsbereichs Migration im Rahmen des ProAktiv-Jugendprogramms beruht auf
diesem Wissen und setzt den Schwerpunkt auf die Information und Qualifizierung von Fachkräften. Die LAG
JAW sichert den Erfahrungsaustausch, bietet Fachberatung, informiert, stellt Arbeitsmaterialien zur
Verfügung und gibt Impulse für die
Weiterentwicklung von Konzepten
und in der Beratungsarbeit.
Die im Niedersächsischen Jahr der
Jugend 2006 in Kooperation mit dem
Büro der Ausländerbeauftragten des
Landes Niedersachsen sowie dem Niedersächsischen Ministerium für Soziales, Frauen, Familie und Gesundheit
veranstaltete Tagung „Vorbildlich! Jugendliche und junge Erwachsene aus
Zuwandererfamilien“ ist dafür ein
Beispiel.
Von Barrieren und Karrierechancen
Anett Schweitzer
Dem Motto der Tagung entsprechend
kann auch der Werdegang Cemalettin Özers als „vorbildlich“ bezeichnet werden: Mit fünf Jahren aus der
Türkei nach Werther in NRW eingereist, absolvierte er nach dem qualifizierten Hauptschulabschluss eine Ausbildung zum Elektroinstallateur, legte
das Fachabitur ab und beendete sein
Ingenieurstudium in der Regelstudienzeit mit dem Prädikat „sehr gut“.
Im Mai 1998 gründeten er und sein
Partner Fuat Atasoy ein Institut zur
beruflichen Qualifizierung von Migrant/innen. Die MOZAIK gemeinnützige Gesellschaft für interkulturelle
Bildungs- und Beratungsangebote
mbH hat bereits zahlreiche innovative
Ideen und interkulturelle Projekte erfolgreich umgesetzt und dafür bundesweite Auszeichnungen erhalten.
Basierend auf seiner mehrjährigen
Erfahrung entwickelten Özer und seine Mitarbeiter/innen ein Konzept,
das sich an unterschiedliche Zielgruppen richtet und dabei verschiedene
Angebote kombiniert. Einen Schwerpunkt bilden die Existenzgründungsund Unternehmensberatung für
kleine und mittelständige Zuwandererbetriebe. Darüber hinaus bietet
die MOZAIK gGmbH interkulturelle
Kurse, interkulturelles Management
sowie Unterstützung in Ausbildungsfragen an. Das zweite Tätigkeitsfeld der Consulting-Firma liegt in
der Integrationsarbeit – besonders
für arbeitslose Migrant/innen. Das
Spektrum reicht von Qualifizierungsmaßnahmen, Bewerbungscoaching,
Karriereberatung bis hin zur Vermittlung in Ausbildung und Arbeit.
Als Good-Practice-Beispiel hierfür führt Özer eine Qualifizierungsmaßnahme zur EDV-Bürokraft für arbeitslose Mädchen und Frauen unter
25 Jahren aus zugewanderten Familien an. Diese wurde zwischen 1999
und 2003 fünfmal durchgeführt.
Voraussetzung für die Teilnahme an
den sieben- bzw. neunmonatigen
Kursen war mindestens ein Hauptschulabschluss. Zu den Lerninhalten
gehörten neben der EDV-Schulung
unter anderem Deutschunterricht,
Büroorganisation, Rechnungswesen
sowie Zehn-Finger-Schreibtraining.
Darüber hinaus erhielten die Teilnehmerinnen sozialpädagogische Begleitung und ein Bewerbercoaching.
Insgesamt nahmen 104 Frauen aus
15 Herkunftsländern an der Qualifizierungsmaßnahme teil, von denen
61 danach einen Arbeits- bzw. Ausbildungsplatz fanden oder eine weiterführende Schule besuchten.
Die Gründe für den Erfolg sieht
Cemalettin Özer vor allem im Einsatz eines interkulturellen Konzepts und in der heterogenen Zusammensetzung der Gruppen mit
Teilnehmerinnen unterschiedlicher
Sozialisation sowie verschiedener
Herkunftsländer und Schulabschlüsse. Somit liegt der kleinste gemeinsame Nenner auf der Verständigungssprache Deutsch. Des Weiteren sei
es wichtig, für diese Kurse Lehrer/innen und Dozent/innen mit interkulturellen Kompetenzen – wie Kenntnis
der Migrationshintergründe, Mehrsprachigkeit und besondere Sensibilität – zu gewinnen. Das berufliche
Integrationskonzept muss auf den individuellen Potenzialen der Teilnehmerinnen – wie Sprach- und Kulturkenntnissen – aufbauen und nicht auf
den bereits bekannten Defiziten, was
meist nur zur Demotivation führe.
Besonders positive Wirkung zeigt die
Arbeit mit konkreten Vorbildern als
Unterstützungselement.
Barrieren gibt es nach Einschätzung Özers sowohl auf Seiten der
Migrant/innen selbst als auch in der
Mehrheitsgesellschaft. Hauptgrund
für die meist schlechteren Schulabschlüsse und damit geringeren Chancen seien die Sprachdefizite. Hier
mangele es grundsätzlich an geeigneten Schulkonzepten, die auf die
Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund
ausgerichtet sind. Ein weiteres Hindernis liege in der verstärkten Nutzung von muttersprachlichen Medi-
en. Diese seien weder inhaltlich noch
sprachlich gut gemacht; außerdem
fehle darin oft der direkte gesellschaftliche Kontext, wie kommunale
und regionale Informationen. Aber
auch in den deutschen Medien gebe
es wenig geeignete Formate für Migrant/innen.
Die größten Hindernisse für Jugendliche und junge Erwachsene mit
Migrationshintergrund sieht Cemalettin Özer in den aufenthalts- und arbeitsrechtlichen Bestimmungen, aber
auch in den ungenügenden migrantenspezifischen Bildungsangeboten. Es fehle an interkulturellen Gesamtkonzepten von Kommunen und
Schulen sowie an der interkulturellen
Kompetenz der dortigen Berater/innen, Lehrer/innen und Personalverantwortlichen.
Trotzdem gebe es sowohl national
als auch international ganz konkrete
Karrierechancen für junge Menschen
mit Migrationshintergrund. Diese
liegen beispielsweise in der Globalisierung und der damit verbundenen
Mehrsprachigkeit. Auch die EU-Osterweiterung biete viele Möglichkeiten
– zum Beispiel für zweisprachige Aussiedler/innen.
National werden die beruflichen
Aussichten für junge Migrant/innen
vor allem durch die demographische
Entwicklung bestimmt. In Deutschland leben 15,4 Millionen Menschen
mit Migrationshintergrund, die in nahezu allen Bereichen an Bedeutung
gewinnen: Sie sind Wähler, Kunden
für Produkte und Dienstleistungen,
aber auch potenzielle Fachkräfte im
derzeitigen Strukturwandel von der
Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft. Nicht zuletzt sind Migranten
selbst Arbeitgeber. Bereits jetzt gibt
es ungefähr 280.000 Zuwandererunternehmen mit ca. einer Million Mitarbeiter/innen. Sie stellen inzwischen
einen eigenen Wirtschaftsfaktor mit
weiterem Bedarf an zwei- bzw. mehrsprachigem Personal sowie ein Reservoir für die duale Berufsausbildung
dar.
Um Jugendlichen und jungen
Erwachsenen mit Migrationshintergrund bessere Karriere- und Zukunftschancen zu bieten, bedarf es
interkultureller Ansätze und Konzepte in allen gesellschaftlichen Bereichen: „Interkulturelle Kompetenz
ist keine neuartige Qualifikation oder
Fähigkeit, sondern eine Kombination sozialer, kognitiver und kommunikativer Kompetenzen gepaart mit
Wissen und Reflexion über die eigene
und andere Kultur/en“, so Özer. Als
zukunftsorientierte Leitansätze empfiehlt er:
vorheben der spezifischen Potenziale
• verbesserte Teilnehmer/innenorientierung bei Angeboten
2. Interkulturelle Öffnung aller
staatlichen, regionalen und kommunalen Handlungsfelder
• wie Verwaltungen, Kammern,
Unternehmen, Beratungs- und
Bildungseinrichtungen
• in der Personalentwicklung/Erhöhung des Fachpersonals mit
Migrationshintergrund
• verstärkte Förderung von Projekten für den interkulturellen
Dialog von Zuwanderern und
„Einheimischen“
3. Interkulturelle Gremien
• stärkere Partizipation von Migrant/innen und interkulturellen
Expert/innen in fachlichen und
politischen Gremien
• inhaltliche und personelle Verankerung von Migration und
interkultureller Kompetenz als
Querschnittsthema
4. Implementierung des Potenzialansatzes
• Förderung interkultureller Potenziale bei Bewerbungen
• Aktivierung von Selbsthilfepotenzialen von Jugendlichen und
Eltern (u. a. mit Hilfe von Pat/innen, Vorbildern)
• verstärkte Öffentlichkeitsarbeit
bei Good-Practice-Beispielen
1. Einsatz interkultureller Konzepte
in Bildungseinrichtungen
• für Zugewanderte und „Einheimische“
• verstärkter Einsatz von Fachkräften mit interkultureller
Kompetenz
• Perspektivwechsel: Kompetenzstatt Defizitorientierung! Her-
Foto: MOZAIK
5. Interkulturelle Fort- und Weiterbildung
• u. a. für Lehrer/innen, Ausbilder/
innen, Berater/innen und Personalverantwortliche
• durchgängige sowie berufsorientierte Sprachförderung und
Einsatz von Lehrer/innen mit
Kompetenz für „Deutsch als
Zweitsprache“ (DaZ)
10
Mit der Umsetzung dieser Leitsätze
wäre auf dem Weg zur Integration
Jugendlicher und junger Erwachsener
mit Migrationshintergrund viel erreicht. Die Barrieren in Schule, Ausbildung und Beruf sowie allen anderen
gesellschaftlich relevanten Bereichen
würden abgeflacht und die Karrierechancen demzufolge größer, ist
sich Cemalettin Özer sicher.
Die Übung „Ich – Ich nicht“
Foto: Hoppenrath
Oliver Trisch
„Ich – Ich nicht“ ist der Titel einer
Übung zum gegenseitigen Kennen
lernen und zur Thematisierung von
Gruppenzugehörigkeiten.
Die Übung setzte bei der Tagung
„Vorbildlich! Jugendliche und junge
Erwachsene aus Zuwandererfamilien“
200 Teilnehmerinnen und Teilnehmer
in Bewegung: Tische und Stühle wurden an den Rand des Vortragssaales
gestellt, es wurde je ein Schild mit
der Aufschrift „Ich“ bzw. „Ich nicht“
angefertigt und links bzw. rechts des
Raumes angebracht. Die in der Mitte der frei geräumten Fläche versammelten Tagungsgäste ordneten sich
als Antwort auf vom Übungsleiter
gestellten Fragen jeweils dem Schild
„Ich“ oder „Ich nicht“ zu, das heißt,
sie suchten die entsprechende Raumhälfte auf. Die Fragen waren im Vorfeld der Veranstaltung hinsichtlich
der Zielgruppe und bestimmter Auswertungsaspekte zusammengestellt
worden. Sie lauteten:
1. Wer ist Einzelkind?
2. Wessen Eltern leben zusammen?
3. Wer lebt in der Stadt in der er/sie
geboren ist?
4. Wer spricht mehr als drei Sprachen so, dass er/sie sich verständigen kann?
5. Wer hat schon einmal auf einem
Pferd gesessen?
6. Wer beschäftigt sich beruflich mit
dem Thema Migration?
7. Wer besucht regelmäßig ein
Gotteshaus?
8. Wer hat einen deutschen Pass?
9. Wer spielt gerne Fußball?
10.Wer hat gute Freunde, die einer
anderen Religion angehören?
11.Wer hat in seinem Bekanntenkreis
oder seiner Familie Menschen die
lesbisch, schwul oder bisexuell
sind?
12.Wer ist gerade verliebt?
13.Wer fühlt sich in irgendeiner Weise behindert?
14.Wer war schon mal Klassensprecher/in?
15.(Wer hat hier mal gelogen?)
Die Fragen mussten durch entsprechende Zuordnung klar beantwortet
werden. Die Möglichkeit, sich zwischen den beiden Polen „Ich“ und
„Ich nicht“ zu platzieren, war ausgeschlossen. Allerdings: Fragen, bei
denen sich jemand unwohl fühlte,
durften im „Notfall“ auch mal falsch
beantwortet werden. Nach den einzelnen Fragen war es wichtig, die sich
immer wieder neu bildenden Gruppen eine kurze Zeit bestehen zu lassen und die Teilnehmenden von Zeit
zu Zeit aufzufordern, sich zu vergegenwärtigen, wer jeweils in ihrer
11
Foto: Hoppenrath
12
Zum Abschluss gab es einige sehr
gute Rückmeldungen von Seiten der
Teilnehmenden, wie etwa: „In der Regel werden solche Dinge leider nicht
gefragt“ (z. B. die Frage nach den
Sprachkompetenzen) oder „Es ist ein
gutes Gefühl zu erkennen, dass man
bei bestimmten Dingen doch nicht alleine steht.“
Foto: Nitsch
Gruppe ist, wer gegenüber steht und
wie sich dies jeweils anfühlt.
Die Übung „Ich – Ich nicht“
möchte verdeutlichen, wie viele verschiedene Gruppen innerhalb einer
Gruppe bestehen. Dazu ist es nötig,
den Blick aus unterschiedlichen Perspektiven auf eine vermeintlich homogene Gruppe zu richten. Je nachdem, mit welcher Fragestellung
gearbeitet, mit welcher Brille geschaut wird, werden neue Gemeinsamkeiten und andere Differenzen
sichtbar. Die Vielfalt innerhalb von
Gruppen sowie die verschiedenen
Zugehörigkeiten einer Person werden im Alltag, in Diskursen und in
gesellschaftlich vorherrschenden Erklärungsmustern oft ausgeblendet.
Vielfach sind es aber gerade diese Zugehörigkeiten, die dem Einzelnen viel
bedeuten und eng mit der eigenen
Identität verknüpft sind. Die Übung
dient außerdem dazu, Kompetenzen
herauszuarbeiten, die sonst eher unsichtbar bleiben.
Am Ende bekamen die Teilnehmenden selbst die Möglichkeit, den
anderen Fragen zu stellen, wurden
dabei aber darauf hingewiesen, diese
vorsichtig und sensibel für die Gruppe auszuwählen.
Trotz der enormen Beteiligung
von nahezu allen 200 Tagungsgästen
war die Übungsphase von guter und
konzentrierter Stimmung gekennzeichnet. Die Auswertung im Plenum
war anregend und beinhaltete alle
Aspekte, die die Übung aufzeigen
wollte. Unterstützend dafür wurden
folgende Fragen gestellt:
• Wie war es alleine auf einer Seite
zu stehen?
• Wie war es auf der Seite mit vielen anderen?
• Was ist euch aufgefallen?
• Was hat euch überrascht?
• Wie war es selber Fragen zu stellen?
• Hatten die Fragen alle gleich viel
Bedeutung für euer Leben?
„Es macht Spaß, etwas Neues dazuzulernen“
Claudia Schanz, Referentin im Niedersächsischen Kultusministerium, stellt
vier junge Vorbilder aus dem Bereich
Schule und Hochschule vor: Katharina Ditte, Abdel-Latif Arouna, Angelina Frank und Linda Moreschi. Sie
schildern zunächst kurz ihren persönlichen Werdegang.
Angelina und Linda sind angehende Lehrerinnen und stehen kurz
vor bzw. nach dem Abschluss ihres
Studiums. Beide strahlen Selbstsicherheit aus und man spürt, dass sie sich
in der Wahl ihrer Lebenswege bestätigt fühlen, zufrieden mit ihrem Platz
im Leben sind. Katharina und AbdelLatif besuchen jeweils den gymnasialen Zweig einer Gesamtschule und
werden dabei vom START-Programm
der Hertie-Stiftung unterstützt. Katharina ist eher zurückhaltend und
erinnert sich an die Unsicherheit,
die sie zeitweilig über ihre Identität empfunden hat. Abdel-Latif gewinnt die Zuhörer sofort mit seiner
offenen Art. Lebhaft schildert er die
schwierigen Schritte, die er benötigte, um ein sinnvolles Lebensziel für
sich zu erkennen. – Nach diesem ersten Eindruck bekommen die Zuhörer
die Gelegenheit, sich mit Angelina,
Linda, Katharina oder Abdel-Latif im
kleineren Kreis intensiver zu unterhalten.
Abdel-Latif hat zahlreiche Zuhörer
um sich geschart und berichtet von
negativen Erfahrungen, die er immer wieder aufgrund seiner Hautfarbe machte und von der rebellischen
Aufsässigkeit, mit der er darauf reagierte. Die komplizierte Situation in
seiner Familie war für ihn nicht leicht
und es brauchte viel Selbstdisziplin und Energie für Abdel-Latif, um
sich aus diesem Kreis von Rebellion
und Ablehnung herauszukämpfen. Er
stellt bildhaft dar, wie enttäuschend
es war, auch von anderen Jugendlichen mit Migrationshintergrund
ausgegrenzt zu werden, von denen er
Verständnis und Hilfe erwartet. Erst
seit er selbst die Initiative ergriffen
Foto: Nitsch
Stephanie Billib
und an sich gearbeitet hat, ist jeder
Kontakt leichter.
Katharina erzählt vor allem von
dem Jahr in Japan, das für sie eine
große Hilfe war, ihre Identität zu begreifen. Die Erfahrung einer vollkommen anderen Kultur hat dazu
beigetragen, dass Katharina die verschiedenen Bereiche ihrer Herkunft
nicht als konkurrierend und sich ausschließend auffasst, sondern als sich
ergänzende Teile ihrer Persönlichkeit. Neben dem Auslandaufenthalt
empfindet sie auch das Konzept der
Gesamtschule mit seiner guten Betreuung der einzelnen Schüler als
wichtige Hilfe für ihre Entwicklung.
Angelina wirkt gelassen, als sie erzählt, wie die Familie schon lange Zeit
vor der Einreise nach Deutschland ihr
Leben darauf ausgerichtet hatte. Wie
das „gelobte Land“ sei Deutschland
auch seither immer wieder empfunden worden. Die bewusste Ausrichtung auf ein deutsches Leben neben der Weltoffenheit der Eltern hat
ihre Integration vielleicht erleichtert,
überlegt sie. Vermehrte ablehnende Haltung mit Hinweis auf ihre Herkunft hat Angelina dazu gebracht, ihren Berufswunsch zu ändern und das
Lehramtsstudium mit dem Schwer-
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Vorbilder
aus Schule und
Hochschule:
Foto: Nitsch
14
punkt Grundschule zu wählen. Damit
folgt sie nun ihrem eigenen früheren
Vorbild, ihrer Grundschullehrerin.
Aus Lindas Schilderungen ist zu
erkennen, dass sie sich bereits während ihres Politik- und Geschichtsstudiums intensiv mit ihrer eigenen
Herkunft auseinandergesetzt hat.
Als prägend empfindet sie die Begabung ihrer Mutter für Sprachen und
deren Belesenheit, die dazu führte,
dass Linda bereits früh regelmäßig
in die Bücherei ging und viel gelesen hat. Sie scheint ihre Studienfächer aufgrund der eigenen Situation
sehr bewusst gewählt zu haben und
konnte den Studienwunsch trotz des
anfänglichen Widerstands der Eltern
durchsetzen. Inzwischen hat Linda
sich entschieden, als Lehrerin andere
Menschen mit den Erfahrungen verschiedener Kulturen zu unterstützen
und zu fördern. Sie strahlt das unerschütterliche Bewusstsein aus, dass
die Vielfältigkeit ihrer Familie durchaus positiv ist und sogar ein Vorteil
sein kann.
Bei allen vier Vorbildern wird
deutlich, dass ein stabiles familiäres
Umfeld wichtig ist, um eine eigene
Identität zu entwickeln, die auch für
andere eine prägende Ausstrahlung
hat.
Im abschließenden Plenum wird
durch die Zuhörer zusammengetragen, was jeder einzelne für sich von
diesen Vorbildern lernen und mitnehmen kann. Vielen sind die Bedeutung
der eigenen Sprache und die Wichtigkeit interkultureller Bildung bewusst geworden. Auch die Erfahrung,
dass man mit bestimmten Problemen
nicht allein ist, wird deutlich. Die vier
jungen Leute strahlen Mut aus und
zeigen, dass mit einem festen Willen
sehr viel erreicht werden kann. Aber
dies betrifft nicht nur die Integration der Zuwanderer, sondern in gleichem Maße die übrige Bevölkerung.
Schließlich bleibt der Wunsch, dass
mehr junge Menschen mit Migrationshintergrund dies erkennen und
ihre Chancen nutzen.
Ich wurde am 2. März 1990 in Lomé,
Togo (Westafrika) geboren und lebte
zunächst mit meiner Mutter und ihrer
Großfamilie in einem Dorf in Ghana
an der Grenze zu Togo. Dort sprach
man Kokoli, so zu sagen meine Muttersprache. Mit zweieinhalb Jahren
kam ich zu meinem Vater, zu dem ich
bis dahin keinen Kontakt hatte. Er
lebte mit seiner Großfamilie in Songo bei Lomé in Togo, wo die Sprache Hausa gesprochen wurde, meine
„Vatersprache“. 1993 ging mein Vater
zum Studium nach Deutschland, heiratete später eine deutsche Frau und
holte mich 1995 nach. Ich wurde wieder mit einer neuen „Familiensprache“ konfrontiert und musste nun
deutsch lernen.
Ich besuchte den Kindergarten,
die Grundschule, die Orientierungsstufe und absolviere zurzeit den
gymnasialen Zweig der KGS StuhrBrinkum. Mein Vater und seine Frau
haben sich vor einigen Jahren getrennt. Seitdem lebe ich bei meiner
Stiefmutter, die inzwischen auch meine Pflegemutter ist. Zu meinem Vater
habe ich regelmäßig Kontakt, zu meiner leiblichen Mutter nur sehr selten.
In meiner Kindheit hatte ich viele
traumatische Erlebnisse, die mich sehr
prägten. Aus den negativen Erfahrungen habe ich aber auch viel gelernt und eine Kraft entwickelt, die
mich positiv stimmt und stark macht.
Ohne die Hilfe meiner Stief- und Pflegemutter hätte ich aber niemals die
Chance gehabt, hier in Deutschland
das zu werden, was ich jetzt bin. Sie
war die Person, die mir die nötige Sicherheit gegeben hat und alles andere, was ich für meine Entwicklung
brauchte.
Nachdem ich meine psychischen
und familiären Konflikte bewältigt
hatte, unter denen ich bis zu meinem
14. Lebensjahr litt, war ich in der
Lage, mich endlich ganz auf das Lernen zu konzentrieren. Ich habe in den
letzten drei Jahren so viel gearbeitet, wie nie zuvor in meinem Leben,
was dazu beitrug, dass ich inzwischen
konstant gute Leistungen erbringe.
Durch Wettbewerbe im sozialpolitischen Bereich sowie soziales Engagement in der Schule habe ich meinen Wirkungskreis vergrößert. Meine
Foto: Arouna
Abdel-Latif Arouna
Abdel (rechts) mit Freunden
in der Schule
Motivation stieg mit meinem Wissen.
Als mich meine Deutschlehrerin auf
das START-Programm der Hertie-Stiftung für begabte Zuwandererschüler
aufmerksam machte, bewarb ich mich
und war erfolgreich. Jetzt erhalte ich
ein Stipendium, das mich in meinem
Bestreben wieder ein Stück weiter
bringt.
Für mich bedeutet Schule, mein
Wissen gemeinsam mit meinen Freunden zu teilen und zu vermehren.
Schule kann Spaß machen, ist aber
oft auch stressig; doch dafür gibt
es keine Langeweile. Meine Hobbys
– Sport, Musik, Tanz – und mein soziales Engagement – Big Band, Schülervertretung, Wettbewerbe usw. – sind
schöne Aktivitäten, die Spaß machen.
Meine Willenskraft und meinen Mut
einzusetzen, um meine Talente zu
entwickeln, das ist mein Weg. Wobei mein Wille, etwas zu schaffen, die
treibende Energie war und ist, mich
in Deutschland zu integrieren.
Für junge Leute habe ich folgende
Empfehlung: Verliert in schwierigen
Lebenssituationen nicht den Mut
und die Lust am Lernen. Arbeitet immer weiter an eurem Ziel. Nutzt alle
Chancen, die euch geboten werden
und eignet euch Wissen an, wo immer es möglich ist. Gebt niemals auf!
Mein persönlicher Wunsch ist es,
mein Ziel geradlinig zu erreichen und
mein Wissen weitergeben zu können, damit auch andere eine Chance
haben. Vor allem wünsche ich mir jedoch eine bessere politische und wirtschaftliche Lage in meinem Heimatland Togo.
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Katharina Ditte
Ich besuche seit 1998 die Integrierte
Gesamtschule Franzsches Feld. Diese
Schule hat einen sehr guten Ruf – und
ich habe großes Glück, denn den Lehrern liegt viel an der individuellen
Entwicklung der Schüler. In der Ganztagsschule stehen außerdem spezielle
Stunden für das Erledigen von Hausaufgaben unter der Aufsicht von Lehrern zur Verfügung. Dadurch konnte
ich, ungeachtet von finanziellen Mitteln oder Kenntnissen meiner Eltern,
meine Fähigkeiten weiterentwickeln.
Meine Eltern haben mir immer genügend Liebe gegeben und Vertrauen geschenkt, mir aber auch Verantwortung für mich selbst übertragen.
Dabei haben sie mich nie überfordert und immer versucht, mich so gut
wie möglich zu unterstützen. Meine
Schwester hat mich jederzeit an ihren Erfahrungen teilhaben lassen und
meine intellektuelle Entwicklung gelenkt.
Seit Oktober 2006 bin ich Stipendiatin der Hertie-Stiftung. Das STARTStipendium richtet sich an Kinder und
Jugendliche aus Zuwandererfamilien und beinhaltet neben einem monatlichen Bildungsgeld auch ideelle Förderung in Form von Seminaren
und Fortbildungen. Ich hatte bereits
mehrere Gelegenheiten, von den Angeboten zu profitieren. So habe ich
zum Beispiel an einer Rhetorik- und
einer Computerschulung teilgenommen sowie an einem Assessment-Center-Training. Meine Ausbildung ist mir
sehr wichtig, da dies der einzige Weg
für mich ist, sozial aufzusteigen. Aber
auch für die Entwicklung meiner Persönlichkeit ist die Aneignung von
Wissen von großer Bedeutung. Die
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Foto: Ditte
geboren am 29. Oktober 1986 in
Nikolaew, Ukraine, seit 1992 in
Deutschland
Kenntnis und Auseinandersetzung
mit Literatur kann mir zum Beispiel
Anregungen geben, mit Problemen
im persönlichen Umfeld umzugehen
oder in Diskussionen zu argumentieren. Außerdem macht es Spaß, Neues
dazuzulernen und keinen Tag ungenutzt verstreichen zu lassen.
Durch meine ehrenamtliche Arbeit
bei der Jugendaustauschorganisation „AFS Interkulturelle Begegnungen e. V.“ sowie durch die Teilnahme
an Wettbewerben und Seminaren
(z. B. Economic Summer Camp) hatte
ich die Möglichkeit, mit unterschiedlichen Menschen zusammenzukommen, Wissen zu sammeln und mich
weiterzuentwickeln. Auch mein Austauschjahr in Japan wurde mir vom
AFS e. V. und von der Mercator-Stiftung, die mich mit einem Teilstipendium unterstützte, ermöglicht. Der
Zufall spielte dabei aber keine unerhebliche Rolle. Zum einen hatte ich
über Jahre hinweg, ohne es zu wissen, genau die Summe gespart, die
trotz des Stipendiums für das Programm noch nötig war. Zum anderen begünstigte die Möglichkeit, in
der Schule Japanisch zu lernen, meine Entscheidung für dieses Land. Am
Ende war es eine großartige Erfahrung, die mich nachhaltig geprägt
hat und für die ich heute sehr dankbar bin.
Die Beschäftigungen im Bereich
Kunst, Kultur oder Sport können
sehr bedeutsam für eine erfolgreiche Integration sein, da sie nicht von
Herkunft oder Sprachvermögen abhängen. Während meines Aufenthaltes in Japan war mir der japanische
Schwertkampf (Iaido und Kendo) sehr
wichtig, obwohl ich ihn erst während
meines Austauschjahres kennen gelernt hatte und in Deutschland eher
unsportlich war. Er hat mich von Anfang bis zum Ende meines Austauschjahres begleitet, mir Kraft gegeben
und mir eines der wichtigsten Erfolgserlebnisse verschafft. Dank Unterstützung meiner Freunde und durch tägliches Training konnte ich den 1. Dan
im Kendo bereits nach acht Monaten
in Japan erreichen.
Meine Erfahrung hat mir gezeigt, dass der größte Gewinn aus
den schwierigsten Lebensabschnitten
kommt.
Eine „Empfehlung“, die ich anderen jungen Menschen mit Migrationshintergrund geben kann, ist: Glaubt
an euch selbst und verfolgt konsequent eure Ziele. Lasst euch nicht unterkriegen und hört nie auf, an euch
selbst zu arbeiten.
Mein Wunsch ist es, niemals die
Menschen enttäuschen zu müssen,
die an mich glauben.
Angelina Frank
Ich bin im September 1987 mit meinen Eltern und meiner Schwester als
so genannte Russlanddeutsche aus
der Sowjetunion in die Bundesrepublik eingewandert. Einen Sprachkurs
oder eine Sprachschule habe ich (wie
damals üblich) nicht besucht. Stattdessen schickten mich meine Eltern
in den normalen Schulunterricht, von
wo aus ich anschließend immer in
den Hort gegangen bin. So habe ich
sehr schnell Deutsch gelernt, weil ich
gleich von vornherein „ins kalte Wasser geworfen“ worden bin.
Meine Grundschullehrerin hatte sehr viel Verständnis für meinen
Migrationshintergrund. Das war gerade in den ersten Jahren in Deutschland eine sehr wichtige Erfahrung für
mich, die mir zeigte, dass ich willkommen bin. Von da an wollte ich auch
Lehrerin werden. Allerdings habe
ich diesen Wunsch im Laufe meiner
Schulzeit wieder verworfen. Nach
dem Abitur hatte ich vor, eine Ausbildung als Mediendesignerin zu absolvieren. Da diese Branche jedoch sehr
überlaufen ist, musste ich lange auf
einen Platz warten. Das war eine harte Erfahrung. In dieser Zeit habe ich
viele Jobs gemacht und mich weiterhin parallel um Ausbildungsstellen
(auch in anderen Branchen) bemüht.
Eines Tages erzählte mir eine Freundin, dass sie sich für einen Studienplatz zum Lehramt beworben habe.
Das erinnerte mich an meinen Berufs-
Foto: Hoppenrath
geboren am 20. Mai 1980 in Almaty,
Kasachstan
wunsch aus der Grundschulzeit. Da
ich nichts zu verlieren hatte, probierte ich das Gleiche. Und es hat wider
Erwarten geklappt! Mittlerweile verfüge ich auch über Praxiserfahrung
und weiß, dass ich genau das Richtige
tue, dass dies mein Traumberuf ist.
Meine Eltern haben mich nach ihren Möglichkeiten immer gefördert
und mir geholfen, wo sie konnten. Ich
habe mich von ihnen nie im Stich gelassen gefühlt. Meine ältere Schwester besuchte vor mir das Gymnasium, und mein Schwager hat ebenfalls
studiert. Dadurch wurden diese Bildungswege auch für mich zu etwas
Erreichbarem, das in meiner Alltagswelt einen festen Platz hat. Studieren zu dürfen ist für mich ein großes
Privileg und eine Herausforderung
zugleich (auch in Anbetracht der eingeführten Studiengebühren). Manchmal kann ich es selbst kaum fassen,
dass ich mittlerweile fast 20 Jahre in
Deutschland lebe und wie gut es mir
geht. Ich bin glücklich und sehr dankbar für mein Leben und dafür, dass
ich hier leben darf!!!
Wenn ich trotzdem mal das Gefühl habe, mir wächst alles über den
Kopf, erinnere ich mich daran, dass
es mir auch schlechter gehen könnte.
Wir sollten öfter dankbar sein und
man sollte sich häufiger im Leben
Ziele setzen und diese verfolgen. Nur
so erreicht man etwas.
Ich wünsche allen jungen Menschen, dass sie solchen Menschen begegnen wie meiner Grundschullehrerin.
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Foto: Hoppenrath (2)
Linda Moreschi
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Ich wurde am 8. Juli 1977 in Prag geboren. Meine Mutter stammt aus der
Tschechischen Republik, mein Vater
aus Italien. Er arbeitete seit 1964 bei
VW in Wolfsburg. Meine Eltern hatten 1976 in Prag geheiratet; zwei Jahre später folgten meine Mutter und
ich ihm nach Wolfsburg. Dort besuchte ich später auch die Schule bis
zum Abitur. 1997 begann ich an der
TU Braunschweig ein Magisterstudium in den Fächern Politikwissenschaften, Soziologie und Geschichte. Das Thema meiner Magisterarbeit
lautet: „Die Integrationspolitik der
Stadt Wolfsburg – zwischen Sonderfall und integrationspolitischem Paradigma“.
Nach dem Studium arbeitete ich
zunächst als freie Mitarbeiterin im
Stadtmuseum Wolfsburg und später
als Projektleiterin der Ausstellung
„A CASA A WOLFSBURG – BI WATANI FI WOLFSBURG – ZU HAUSE IN
WOLFSBURG“ für das Ausländerreferat der Stadt Wolfsburg in Kooperation mit der Niedersächsischen Landeszentrale für politische Bildung.
Im Anschluss daran entschloss ich
mich, noch ein Lehramtsstudium in
den Fächern Politik und Geschichte zu
absolvieren. Die Examensprüfungen
habe ich gerade abgeschlossen.*
Bisher hatte ich in meinem Leben
immer das Glück, Menschen zu treffen, die mich auf verschiedene Art
unterstützten. Diese Menschen haben glücklicherweise meine Fähigkeiten erkannt, mich motiviert und
mir weitergeholfen. Mit dieser Kraft
„im Rücken“ sowie meinen erworbenen Qualifikationen ist es mir nun
möglich, meinen Weg selbst bestimmt zu gehen. In besonderer Weise sind vor allem meine Lehrer auf
der Heinrich-Nordhoff-Gesamtschule eine große Unterstützung gewesen, aber auch die Schulform war sehr
förderlich für meinen Lebens- bzw.
Lernweg. Das diskursive Miteinander
der SchülerInnen und LehrerInnen
sowie die kontinuierliche Unterstützung durch meine Lehrer haben damals das Bewusstsein in mir geweckt,
unbedingt studieren zu wollen –
auch wenn dies nicht den Vorstellungen meiner Eltern entsprach. Sie
wünschten sich für mich eine „solidere“ Ausbildung bei Volkswagen. In
einer Stadt, in der viele ItalienerInnen
und ihre Familien Arbeit und damals
noch Sicherheit durch den Arbeitgeber Volkswagen fanden, konnten es
meine Eltern zunächst nicht verstehen, dass ich Politik und Geschichte
studieren wollte. Doch ich setzte mich
durch, und sie respektierten letzten
Endes meine Entscheidung.
Es war nicht immer einfach, zwischen den Kulturen, in denen ich
lebte und die meine Erziehung und
Entwicklung prägten, eine Brücke zuschlagen. Zu Hause hieß Italien: italienisch sprechen, italienisch essen und
italienische Erziehung, die ich immer
als strenger erlebt habe, als die meiner deutschen Mitschüler. Auch in der
Schule war ich die Italienerin, aber in
Deutschland und auf einer deutschen
Schule. In den Schulferien war ich
dann für wenige Wochen die „Italienerin aus Deutschland“, die in ihrem
Geburtsland der Tschechischen Republik die Familie besucht.
Inzwischen haben mir Schule, Studium und Beruf die Möglichkeit gegeben, mich selbst zu verwirklichen.
In Zukunft will ich als Lehrerin auch
andere Jugendliche und junge Erwachsene gerade aus Zuwandererfamilien auf ihrem Weg unterstützen.
Die Multikulturalität und die vielfältige Sprachkompetenz in meiner
Familie empfinde ich als besondere Fähigkeit und einen wunderbaren
Schatz. Diesen gilt es bei allen Jugendlichen und jungen Erwachsenen
mit Migrationshintergrund zu finden
und zu heben. Dann können sich die
besonderen Qualifikationen entfalten, die uns auszeichnen.
Neben kompetenten Schatzsuchern bedarf es einer viel stärkeren
Präsenz positiver Beispiele junger
Menschen mit Migrationshintergrund, die es sozusagen „geschafft“
haben. Aus eigener Erfahrung kann
ich sagen, dass es nicht immer einfach
ist, [s]einen Weg mit unterschiedlichen Kulturen und über die Hürden der Kulturen hinweg zu gehen.
Ich hätte mir solche Vorbilder gewünscht.
*Die Redaktion gratuliert zum Examen mit der Note 1,5.
„Wer etwas wirklich erreichen möchte,
schafft es auch“
Mirjana Ilić
Junge Zuwanderer haben es auf dem
ohnehin hart umkämpften Ausbildungsmarkt oft doppelt schwer. Doch
ein Migrationshintergrund verurteilt
nicht von vornherein zum Scheitern.
Die Vorbilder aus dem Bereich „Ausbildung und Beruf“ haben gezeigt,
dass dies auch ein Vorteil und Ansporn sein kann. Unter der Moderation von Gerhard Wienken von der
Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendsozialarbeit in Niedersachsen erzählten acht junge Erwachsene über
ihren mitunter steinigen Weg bis zur
Ausbildung und dem späteren Beruf.
Eines hatten alle gemeinsam: Wenige von ihnen hatten echte Vorbilder,
aber alle haben – in verschiedener
Form – Unterstützung erhalten.
Andrej Karri war bereits 16, als
er mit seiner Familie aus Kasachstan
in die Bundesrepublik übersiedelte.
Das Schulsystem war ihm vollkommen
fremd, auch mit der Sprache haperte
es. Er wiederholte die neunte Klasse
und lernte parallel dazu Deutsch. Danach entschied er sich für ein Studium
bei der Polizei in Niedersachsen. Sein
Vorbild war ein Onkel in Kasachstan,
der ebenfalls Polizist ist. Er arbeite
gern mit Menschen und seine Russischkenntnisse seien schon oft von
Vorteil gewesen, berichtet Andrej
Karri. Obwohl es anfangs schwer für
ihn war, hat er seine Ziele mit Hilfe
seines Ehrgeizes, seiner Deutschlehrerin und seiner Eltern erreicht.
Seine Kollegin Olga Zimmermann
hatte es da etwas einfacher. Sie kam
im Alter von elf Jahren mit ihrer Familie aus Tadschikistan nach Deutschland und sprach bereits durch das
Elternhaus deutsch. Nach dem erweiterten Realschulabschluss machte
sie eine Ausbildung zur Bauzeichnerin, arbeitete einige Jahre in diesem
Beruf. Danach kam sie auf gleichem
Wege zur Polizei wie Andrej. Für sie
war es wichtig, sich nicht nur in die
Gesellschaft von Spätaussiedlern zurückzuziehen. Für zugewanderte Jugendliche wünscht sie sich mehr Förderprogramme und Projekte.
Der große Traum vom Profisportler erfüllte sich für Murat Sünnetci
aus Melle nicht. Nach einem Unfall
kann der Sohn türkischer Gastarbeiter keine schwere körperliche Tätigkeit mehr verrichten. Nach dem
Hauptschulabschluss jobbte er, machte verschiedene Praktika. Schließlich
fand er mit der Unterstützung von
Kristina Möller von der kommunalen
Arbeitsvermittlung „MaßArbeit“ eine
Festeinstellung bei „Starbucks“. Die
Arbeit gefällt dem aufgeweckten 22Jährigen; doch damit begnügt er sich
nicht. Er möchte sich zum Schichtführer hocharbeiten und später Assistent
der Filialleitung werden. Sein Optimismus hat ihm über schlechte Zeiten
hinweggeholfen.
Auch Sevgi Ayes hat sich ihren eigentlich Berufswunsch – Kosmetikerin
– nicht erfüllen können. Nach dem erweiterten Hauptschulabschluss suchte
die junge Frau türkischer Herkunft
jahrelang nach einem Ausbildungsplatz. Mit Hilfe von Monika Thölking
von „MaßArbeit“ in Melle fand sie
eine Ausbildungsstelle zur Friseurin.
Der Beruf sagt der 22-Jährigen zu.
Sie ist sehr ehrgeizig und möchte „so
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gut wie möglich sein“. Ohne Unterstützung von außen hätte sie es nicht
geschafft, sagt sie. Ihr starker Wille
habe zum Erfolg beigetragen. Aufgrund ihrer herausragenden Leistungen wird ihre Ausbildungsdauer verkürzt werden.
Bilal Zeyno ließ sich von Rückschlägen ebenso wenig aufhalten,
wie die anderen Vorbilder. Der gebürtige Wilhelmshavener türkischer
Abstammung suchte nach dem Realschulabschluss und zwei Berufsbildenden Schulen lange Zeit erfolglos
nach einem Ausbildungsplatz im Informatik-Bereich. Dass so viele Absagen kamen, führt der 22-Jährige
auf seine mittelmäßigen Noten, aber
auch auf seine ausländische Herkunft
zurück. Schließlich fand er eine Ausbildungsstelle als Einzelhandelskaufmann in einem Rasiererfachbetrieb
und ist froh darüber. Bei seiner Suche
war er meist auf sich alleine gestellt
und hat sich dennoch nicht entmutigen lassen. Jungen Menschen mit
Migrationshintergrund legte er ans
Herz, an sich zu glauben und zielstrebig zu sein.
Ganz andere Voraussetzungen
hatte die 27-jährige Bedriye Özden.
Sie ist in der Süd-Ost-Türkei geboren und hat dort nur fünf Jahre lang
eine Schule besucht. Die Eltern flüchteten vor politischer Verfolgung nach
Deutschland. Bedriye reiste nach,
als sie 15 Jahre alt war. Nach einem
Sprachkurs war es ihr möglich, den
Realschulabschluss zu schaffen. Bei
der schwierigen Suche nach einem
Ausbildungsplatz in ihrem Traumberuf Krankenschwester halfen ihr neben ihrer Familie vor allem die Mitarbeiter von Migra-RABaZ in Celle.
Diese Anlaufstelle für langzeitarbeitslose Jugendliche mit Migrationshintergrund habe sie sehr unterstützt,
als sie nicht mehr weiterwusste.
Schließlich fand sie eine Ausbildungsstelle im Celler Krankenhaus, wo ihre
Türkisch- und Kurdischkenntnisse oft
von Nutzen sind. An die Anwesenden
appellierte sie, die Möglichkeiten zu
nutzen, die gegeben sind und niemals aufzugeben. Wer etwas wirklich
erreichen möchte, schaffe es auch.
„Wenn du bleiben willst, musst du
die Sprache können und Arbeit haben“, sagt Samiullah Achmed. Er kam
1999 aus Pakistan nach Deutschland,
wo sein Vater als anerkannter Flüchtling lebte. In Pakistan hatte Samiullah die zehnte Klasse abgeschlossen
20
und war mit 17 Jahren zu alt für die
deutsche Hauptschule. Nach einem
Deutschkurs fing er ein Berufsvorbereitungsjahr an, wechselte aber
schnell ins Berufsgrundbildungsjahr
Metalltechnik – aufgrund hervorragender Leistungen. Danach erhielt er
prompt einen Ausbildungsplatz zum
Kfz-Mechaniker. Während der gesamten Zeit betreute ihn die Regionale
Arbeitsstelle zur beruflichen Wiedereingliederung junger Menschen in
Niedersachsen (RAN). Samiullah
wurde als einziger Azubi von seinem
Ausbildungsbetrieb übernommen.
Er versteht sich ausgezeichnet mit
den Kollegen. Nebenher fungiert er
als Peerworker bei der RAN und unterstützt ehrenamtlich junge Migranten. Er spricht bemerkenswert gut
deutsch und fasst am Ende zusammen: „Ich fühle mich hier sehr wohl.
Wo man sich wohlfühlt, ist man zu
Hause“.
Auf ihrem Berufsweg hart hochgearbeitet hat sich Naciye ÇelebiBekta¸s. Die Kurdin kam mit elf Jahren
nach Deutschland und musste aufgrund fehlender Deutschkenntnisse
die fünfte Klasse wiederholen. Nach
dem Hauptschulabschluss wurde Naciye Friseurin und arbeitete fünf Jahre in diesem Beruf. Später studierte
sie an der Hamburger Hochschule für
Wirtschaft und Politik, an der man
auch ohne Abitur studieren kann,
und schloss ihr Studium als DiplomSozialökonomin in weniger als der
Regelstudienzeit ab. Ihre Eltern motivierten sie immer wieder, vor allem
ihre Mutter. Naciye Çelebi-Bekta¸s
stieg nach dem Studium als Sozialarbeiterin in einer Beratungsstelle für
Zuwanderer ein und machte sich bald
selbstständig. „Ich finde es wichtig,
als Frau mein eigenes Geld zu verdienen“, betonte die 28-Jährige. Gleichzeitig verlangte sie nach mehr Vorbildern. Ihre seien Politikerinnen
kurdischer Herkunft gewesen.
Die vorbildlichen Referentinnen
und Referenten haben den anwesenden jungen Zuwanderern durch ihre
beeindruckenden Lebensgeschichten
gezeigt, dass die Erfüllung des Berufswunsches kein Traum bleiben
muss. Unterstützung von außen, Ehrgeiz, ein unerschütterlicher Glaube
an sich selbst und nicht zuletzt gute
Deutschkenntnisse und Noten sind
die Mischung, die zum beruflichen Erfolg führen.
Vorbilder
in der Ausbildung
und im Beruf:
Andrej Karri
Ich bin am 24. Februar 1997 mit meiner Familie nach Deutschland eingereist. Die ersten beiden Monate habe
ich einen Intensiv-Sprachkurs besucht
und bin danach in Berlin auf die Gesamtschule in die 9. und 10. Klasse gegangen. Dort erhielten Spätaussiedler zusätzlichen Unterricht in Deutsch
bzw. Englisch. Dieses intensive Lernen
der deutschen Sprache hat mir sehr
geholfen, meine weitere schulische
und berufliche Laufbahn zu meistern:
Von 1999 bis 2002 habe ich in Berlin
das Abitur gemacht und war danach
in Hagenow-Land als Mörserschütze bei der Bundeswehr. Im Anschluss
daran begann ich ein Studium bei der
Polizei in Niedersachsen, das ich in
diesem Jahr abgeschlossen habe. Am
1. Oktober 2006 wurde ich in die Verfügungseinheit der Polizeiinspektion
Garbsen versetzt. Meine Eltern leben und arbeiten noch immer in Berlin; meine Schwester ist inzwischen in
München.
Am wichtigsten für meine Integration in Deutschland war das eigene Interesse, alles für mich Neue
hier kennen zu lernen und möglichst
schnell gute schulische Ergebnisse
zu erzielen. Dabei war mir vor allem
meine Deutschlehrerin, Frau Nina
Sohr, eine große Hilfe. Aber auch
meine Eltern haben mich immer unterstützt, insbesondere bei der Entscheidung, zum Studium nach Niedersachsen zu gehen.
Der Weg in Deutschland war nie
einfach. Es gab immer Schwierigkeiten, sowohl im privaten als auch
im schulischen Leben – die Sprache
musste erst erlernt und ein Freundeskreis aufgebaut werden. Am wichtigsten war für mich dabei das eigene
Engagement. Man muss sich immer
über das aktuelle und das zukünftige
Leben Gedanken machen. Deutschland bietet unbegrenzte Möglich-
Foto: Hoppenrath
geboren am 9. Dezember 1980 in Bolschaja Wladimirowka, Kasachstan
keiten, sich eine „schöne“ Zukunft
aufzubauen und dies sollte man immer als Hauptziel im Kopf haben. Es
ist nirgendwo auf der Welt einfach. –
Außerdem sollte man sich nicht alles zu sehr zum Herzen nehmen. Mein
Motto lautet: Man muss auch noch
Spaß am Leben haben!
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Foto: Zimmermann
Olga Zimmermann
geboren am 21. Dezember 1978 in
Duschanbe, Region Tadschikistan,
Russland
Wir – meine Eltern, meine zwei Brüder, meine Großmutter und ich – sind
am 19. März 1989 auf Grund der
deutschen Herkunft meiner Familie nach Hannover eingereist. Meine Kindheit sowie mein Schul- und
Ausbildungsweg sind im Großen und
Ganzen ohne Schwierigkeiten verlaufen, man könnte sagen „sehr glatt“.
Entscheidend für meine persönliche
Entwicklung, war die insgesamt sehr
klassische und eher strenge Erziehung durch meine Eltern und meine
Oma. Meinen Geschwistern und mir
wurden immer Grenzen und Richtlinien aufgezeigt, an die wir uns zu
halten hatten, was ich damals nicht
immer als gerecht empfand. Rückblickend gesehen war es jedoch das Beste, was mir passieren konnte.
Von Vorteil für meine Integration in Deutschland war sicherlich, dass
meine ganze Familie bei der Einreise
in die Bundesrepublik keine Sprachschwierigkeiten hatte, da meine Brüder und ich schon in Russland zweisprachig aufgewachsen sind. Somit
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waren Sprachkurse oder andere Förderprogramme nicht notwendig.
Rückschläge und ernsthafte Schwierigkeiten aufgrund meiner Integrationsgeschichte kann ich in meinem
bisherigen Lebensweg nicht verzeichnen. Es ist eher so, dass ich in meinem
jetzigen Dienst Vorteile durch meine
Russischkenntnisse habe.
Das einzige Mal, dass in meinem
Leben etwas nicht „nach Plan“ lief,
war die Kündigung in meinem ersten
Beruf. Ich hatte zunächst eine Ausbildung als Bauzeichnerin absolviert
und arbeitete in einem Architektenbüro. Mein Arbeitgeber musste mich
jedoch nach ca. zwei Jahren entlassen, weil die Auftragslage so schlecht
war. Es gab aber kaum andere Stellen
für Bauzeichner und auch alle anderen Bewerbungen, die ich geschrieben hatte, kamen zurück. So entschloss ich mich, bei der Polizei einen
neuen Berufsweg einzuschlagen. Ich
habe sehr gerne als Bauzeichnerin gearbeitet und bin mir sicher, dass ich
immer noch in diesem Beruf arbeiten würde, wenn mir nicht gekündigt
worden wäre. Im Nachhinein erweist
sich dies aber als ein glücklicher Zufall! Heute empfinde ich einen gewissen Stolz, das Studium zur Polizeikommissarin an der Fachhochschule
für Verwaltung und Rechtspflege bestanden zu haben, obwohl ich beim
Lernen sehr oft am Verzweifeln war
und nicht immer daran glaubte, es
wirklich zu schaffen. Jetzt bin ich sehr
zufrieden, meinen Traumberuf gefunden zu haben und genieße auch ein
wenig die soziale Sicherheit als Beamtin.
Neuzuwanderern empfehle ich,
unbedingt Deutsch zu lernen. Das Beherrschen der Landessprache ist das
Wichtigste auf dem Schul- und Berufsweg. Auch die Gewinnung deutscher Freunde und Kollegen ist von
großer Bedeutung. Man sollte sich
nicht nur unter seine „Landsleute“
verkriechen.
Außerdem ist es wichtig, immer
ein bestimmtes Ziel vor Augen zu
haben, das man im Leben erreichen
möchte. Damit dies gelingt, wünsche
ich mir mehr und bessere Förderprogramme, Sprachkurse und Präventionsprojekte für Kinder und Jugendliche aus Zuwandererfamilien.
Murat Sünnetci
geboren am 9. Dezember 1984 in
Dortmund, Deutschland
beit bei Starbucks läuft sehr gut und
macht Spaß. Es gefällt mir, ständig
mit Menschen in Kontakt zu sein. Inzwischen habe ich mich so gut eingearbeitet, dass ich zum Schichtleiter
aufsteigen möchte und mich danach
gern zum Assistenten der Geschäftsleitung weiterqualifizieren würde.
Der größte Rückschlag in meinem
Leben war der Unfall. Trotzdem darf
man niemals aufgeben. Mein Motto
lautet: „Wenn eine Tür zugeht, dann
öffnet sich auch irgendwo wieder
eine“.
Foto: Thölking
Seit dem 1. Juni 2006 arbeite ich als
Barista (im Servicebereich) der Starbucks Coffee Deutschland GmbH in
Osnabrück. Damit habe ich nach langem Suchen meinen Traumberuf gefunden. Der Weg dorthin war alles
andere als leicht.
Ich bin der älteste von vier Geschwistern. Meine Eltern kamen Anfang der 1980er Jahre aus der Türkei
in die Bundesrepublik, um ihre wirtschaftliche Situation zu verbessern.
Inzwischen ist mein Vater arbeitslos.
Auch meine Schwester findet trotz
abgeschlossener Ausbildung zur Verkäuferin keine Arbeit. Die beiden jüngeren Geschwister gehen noch zur
Schule. Momentan bin ich der Alleinverdiener und muss viel Verantwortung für die Familie tragen.
Eigentlich wollte ich Profisportler werden, konnte mich aber lange nicht entscheiden, ob als Fußball- oder als Tischtennisspieler. Diese
Gedanken erübrigten sich nach einem
schweren Unfall im Jahre 2002. Seitdem ist meine Lunge nicht mehr voll
funktionsfähig, und ich darf mich
körperlich nicht allzu sehr anstrengen.
Ich begann zunächst eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann,
die ich jedoch abbrach, weil ich damit nicht zurechtkam. Eigentlich wollte ich lieber gleich „richtig“ arbeiten
und Geld verdienen, möglichst ohne
Ausbildung. So übernahm ich zahlreiche Helfertätigkeiten bei verschiedenen Zeitarbeitsfirmen, die ich jedoch meistens nach relativ kurzer Zeit
wegen gesundheitlicher Probleme
wieder beenden musste.
Ab Mai 2005 wurde ich von Frau
Möller von der MaßArbeit Außenstelle in Melle betreut. Wir überlegten
erst einmal gemeinsam, was überhaupt für mich in Frage kommt. Denn
nach meinem Unfall gibt es nicht
mehr viele Bereiche, in denen ich arbeiten kann. Trotzdem habe ich nie
aufgegeben und immer wieder versucht, mich zu motivieren. Die Ar-
23
Meine Großeltern kamen in den
1970er Jahren mit meinem Vater und
seinen fünf Brüdern aus der Türkei in
die Bundesrepublik, um sich eine bessere Lebensgrundlage zu schaffen.
Sie kehrten zehn Jahre später mit ihrem jüngsten Sohn wieder in ihre Heimatstadt Samsun im Schwarzmeergebiet zurück. Die anderen Söhne,
unter ihnen mein Vater, blieben in
Deutschland – meinem Geburtsland.
Ich kam am 6. Oktober 1984 in Itzehoe zur Welt.
Von 1991 bis 2002 besuchte ich
verschiedene Schulen im Meller Raum
und beendete die Allgemeinbildende
Schule mit dem Sekundarabschluss.
Anschließend ging ich von 2002 bis
2004 auf die Berufsfachschule Wirtschaft und schaffte dort den Realschulabschluss. Danach bekam ich
lange Zeit keine Lehrstelle. Am liebsten wäre ich Kosmetikerin geworden, was leider nicht klappte. Aber
Frau Thölking von der Beschäftigungsinitiative MaßArbeit in Melle
half mir, zunächst ein Praktikum und
ab 1. August 2005 sogar einen Ausbildungsplatz als Friseurin zu finden.
Die Arbeit macht mir viel Spaß. Mein
Ausbilder sagt, ich sei sehr begabt.
Er möchte, dass ich auf Grund meiner
guten Leistungen die Ausbildungszeit
um ein halbes Jahr verkürze.
Seit mein Vater unsere Familie verlassen hat, halten meine Mutter, meine Geschwister und ich noch mehr
zusammen. Wir tragen gemeinsam
zum Lebensunterhalt bei. Mein älterer Bruder Mohammed ist 25 und
hat gerade bei einer Meller Firma einen unbefristeten Arbeitsvertrag als
Holzmechaniker bekommen. Muhammer hat trotz guter Noten erst nach
zweijähriger deprimierender Suche
einen Ausbildungsplatz zum Industriemechaniker gefunden. Seyban,
meine jüngste Schwester, ist zehn
und geht zur Schule. Ich versuche so
gut es geht, ihr bei den Hausaufgaben zu helfen.
Meine Mutter wuchs in der Türkei auf und wurde als Mädchen von
ihrer Familie nicht in ihrer persönlichen und schulischen Entwicklung
unterstützt, eher behindert. Sie ist
24
Foto: Thölking
Sevgi Ayes
Analphabetin und wurde jung verheiratet. Deshalb hat sie bei uns immer
großen Wert auf eine gute Ausbildung gelegt. Zurzeit absolviert sie einen Deutschkurs, der sie hoffentlich
weiter bringen wird. Ich bin sehr stolz
auf meine Mutter. Sie ist ein sehr
kluger und selbstständiger Mensch
und für mich ein großes Vorbild. –
Auf Grund ihrer und meiner eigenen
Erfahrungen hat das Lernen einen
hohen Stellenwert für mich, prägte
mein Bedürfnis, mich beruflich und
auch persönlich weiterzuentwickeln.
Ich wünsche mir, selbstständig und
stark zu sein.
Anderen jungen Leuten mit ähnlichen Erfahrungen kann ich nur empfehlen, sich Hilfe und Unterstützung
zu suchen und diese in jedem Fall anzunehmen. Man muss trotz aller Widerstände und Rückschläge weitermachen und darf sich nicht „hängen
lassen“.
Bilal Zeyno
Meine Eltern sind vor 40 Jahren als
Gastarbeiter in die Bundesrepublik
gekommen, haben jedoch – wie viele
Einwanderer dieser Generation – nie
richtig Deutsch gelernt. Auf Grund
ihrer mangelnden Sprachkenntnisse
waren sie nicht in der Lage, mir bei
schulischen Problemen Hilfestellung
zu leisten und wussten auch nichts
von den Möglichkeiten wie Nachhilfe oder ähnlichem. Sie versuchten
aber, mich und meine fünf Geschwister durch Motivation zum Lernen zu
bewegen. Dies fiel mir nicht immer
leicht. Aus dieser Situation heraus bin
ich es gewohnt, meinen Weg eigenständig zu bestreiten.
In der Grundschule nahm ich – wie
die anderen Schülerinnen und Schüler
mit Migrationshintergrund auch – am
Förderunterricht teil, der jedoch in
der Orientierungsstufe nicht fortgesetzt wurde. Später bekam ich durch
den Kurs „Textverarbeitung“ die
Möglichkeit, mit dem Computer zu
arbeiten. Diese Erfahrung weckte in
mir das Interesse an Technik. An der
BBS wählte ich deshalb Fächerkombinationen, in denen ich mein diesbezügliches Wissen vertiefen konnte.
Nach Abschluss der schulischen
Laufbahn gestaltete sich meine Suche
nach einem Ausbildungsplatz recht
problematisch. Ich gehe davon aus,
dass meine ausländische Herkunft
und meine nur durchschnittlichen
Leistungen dazu beigetragen haben.
Glücklicherweise ließ sich mit Hilfe der GAQ (Pro-Aktiv-Center) letztendlich ein Betrieb finden, der mir
eine Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann im Rasiererfachbetrieb ermöglicht. Damit gewinne ich sowohl
wirtschaftliche als auch technische
Kenntnisse. Durch die Ausbildung befinde ich mich nun in einer Phase des
beruflichen Fortschritts.
Jungen Menschen mit Migrationshintergrund rate ich, sich von Rückschlägen nicht negativ beeinflussen
zu lassen. Entmutigung legt einem
nur noch einen weiteren Stein in den
Foto: Zeyno
geboren am 29. Juli 1984 in Wilhelmshaven, Deutschland
Weg. Vor allem ist auf die schulische
Ausbildung und Qualifikation zu achten, möchte man in den erwünschten
Beruf einsteigen. Zentral ist auch die
Stabilisierung des sozialen Umfelds,
denn nur durch psychische Ausgeglichenheit lässt sich beruflicher Erfolg
verwirklichen.
Ich wünsche mir mehr Zielstrebigkeit und Ehrgeiz von Jugendlichen
mit Migrationshintergrund und weniger vorurteilsbehaftetes Handeln und
Denken von jedermann.
GAQ = Gesellschaft für Arbeitsvermittlung und Qualifizierungsförderung
25
Foto: Hoppenrath
Von links: Andrej Karri,
Bedriye Özden und Bilal Zeyno
Bedriye Özden
Ich bin am 25. Mai 1979 in Besiri, Türkei geboren. Mein Bruder und ich
sind im Oktober 1994 nach Deutschland eingereist und leben in Celle.
Die Grundschule habe ich in der
Türkei besucht. Nach meiner Einreise habe ich in Celle zunächst die
Förderklasse der Neustädter-Hauptschule, dann die Berufsschule sowie
die Berufsfachschule besucht, die ich
mit dem Realschulabschluss beendete. Von 1996 bis 1999 absolvierte ich
sechs verschiedene Praktika – unter
anderem als Erzieherin in einer Kita,
als Altenpflegerin und Arzthelferin,
aber auch als Raumgestalterin und
Floristin.
Im August 2001 begann ich meine
dreijährige Ausbildung im Allgemeinen Krankenhaus Celle, wo ich seit
September 2004 als Krankenschwester in der Unfallchirurgischen Abteilung arbeite. Meine privaten Interessen sind Musik hören, kochen und
Fahrrad fahren. Außerdem lese ich
gern Literatur zu den Themen Migration und Gesundheit.
Wir sind mit zehn Geschwistern
eine große Familie. Meine Eltern wa-
26
ren in der Türkei überwiegend in der
Landwirtschaft tätig. Ich aber wollte schon immer Krankenschwester
werden. Dieses Ziel habe ich nun am
Ende eines langen Weges erreicht.
In diesem Prozess habe ich neben
meiner Familie von der ehemaligen
Migra-RABaZ-Stelle (jetzt PACE) in
der Arbeiterwohlfahrt in Celle sehr
viel menschliche und fachkompetente
Unterstützung erhalten. Die Hilfestellung war nicht nur auf die Suche nach
einem Ausbildungsplatz beschränkt,
sondern hielt auch während und nach
meiner Ausbildung an. Mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dort konnte ich über schulische und berufliche
Dinge und vieles mehr sprechen. Sie
hören einem zu und helfen, wo es nötig ist.
Beratungsstellen wie zum Beispiel
RABaZ, Migra-RABaZ, PACE sind genau das Richtige für Jugendliche, die
etwas schaffen wollen und dabei Hilfe brauchen. Mein Wunsch wäre, dass
es solche Angebote – besonders für
Jugendliche wie mich, die erst relativ spät nach Deutschland gekommen
sind und mehr Unterstützung brauchen – in allen Städten gibt.
RABaZ = Regionale Arbeits- und Bildungsangebote für die Zukunft langzeitarbeitsloser Jugendlicher
Migra-RABaZ = s. o., speziell für Migrantinnen und Migranten
RAN = Regionale Arbeitsstelle zur
beruflichen Eingliederung junger
Menschen in Niedersachsen
PACE = Pro-Aktiv-Centren
Samiullah Ahmed
laufen“ anhört. Der Zusammenhalt
der Familie und Verwandtschaft ist
hier anders als in Pakistan. Ich bzw.
wir als Familie waren sehr auf uns gestellt und mussten uns durchkämpfen. Deshalb hatte ich schon frühzeitig viel Verantwortung für die
Familie. Aber letztlich habe ich immer Unterstützer gefunden und mir
auch die Unterstützung geholt, die
ich brauchte.
Ich bin der Meinung, dass da, wo
ich wohne, auch meine Heimat, mein
Zuhause ist. Aus diesem Grunde muss
ich mich hier in Deutschland einlassen
und mitmachen.
Mein Wunsch ist, dass meine Familie glücklich ist und wir hier vernünftig leben können.
RAN = Regionale Arbeitsstelle zur
beruflichen Eingliederung junger
Menschen in Niedersachsen
Foto: LCV Oldenburg
Ich wurde am 22. März 1982 in Gurjat, Pakistan geboren und bin der
Zweitälteste von fünf Geschwistern.
In Pakistan habe ich die Government
High School besucht und mit dem Sekundarabschluss nach Klasse 10 beendet.
Wir gehören der Religionsgemeinschaft der Ahmady an, die in Pakistan
nicht geduldet wird. Deshalb ist mein
Vater bereits Anfang der neunziger
Jahre nach Deutschland geflohen, wo
er als Flüchtling anerkannt wurde. Im
November 1999 sind wir – meine Mutter und meine Geschwister – im Rahmen der Familienzusammenführung
nach Deutschland gekommen. Damals
war ich 17 Jahre alt und sprach kein
Wort Deutsch. Über Herrn Beermann
von der RAN-Stelle im Landkreis
Vechta bin ich in einen Sprachkurs gekommen. Wir haben dann auch gemeinsam die weiteren Schritte für
meine berufliche Integration besprochen und geklärt: Zunächst war ich
im Berufsgrundbildungsjahr Metalltechnik an der Berufsschule in Lohne. Dort habe ich den Abschluss zwar
nicht geschafft, mich aber trotzdem
um Ausbildungsplätze als Kfz-Mechaniker und als Metallbauer beworben.
Ich habe nur fünf Bewerbungen geschrieben, hatte drei Vorstellungsgespräche und war am Ende erfolgreich.
Nach einem Praktikum beim Autohaus Anders konnte ich dort im August 2001 meine Ausbildung beginnen. Im Januar 2005 habe ich diese
dann erfolgreich abgeschlossen und
konnte als einziger Lehrling in der Firma bleiben.
Die RAN-Stelle und Herr Beermann waren in den vergangenen
Jahren immer Ansprechpartner für
mich. Ich konnte mit allen Fragen und
Problemen dort hingehen, und wir
haben versucht, diese zu lösen. Auch
in der Firma bin ich immer gut angenommen worden und habe in allen
Situationen die Unterstützung meines
Chefs, meines Meisters und der Kollegen erfahren.
Weiterhin wichtig ist für mich
unsere Religionsgemeinschaft der
Ahmady, wo ich Halt und Unterstützung finde.
Die ersten Jahre in Deutschland
waren nicht immer einfach für mich,
auch wenn es sich bisher so „glatt ge-
Von links: Hauke Anders vom gleichnamigen Autohaus in Vechta,
Samiullah Ahmed und Ansgar Beermann vom „Projekt RAN“ des Vechtaer
Caritas-Sozialwerks.
27
Foto: Hoppenrath (2)
Naciye Çelebi-Bektaş
28
Vielfalt und Anderssein sind positive Ressourcen. Eigenschaften wie
Mehrsprachigkeit oder Multikulturalität können im Integrationsprozess
vorteilhaft sein und in der „neuen
Heimat“ auf unterschiedliche Weise
genutzt werden: zum besseren Verständnis der Migranten und als positiver Baustein für eine multikulturelle
Gesellschaft.
Ich bin als Kurdin in der Türkei
aufgewachsen und mit elf Jahren im
Rahmen der Familienzusammenführung zu meinem Vater eingereist.
Er war bereits in den sechziger Jahren als Gastarbeiter in die Bundesrepublik gekommen und hat viele
Jahre seines Lebens einen Beitrag
zum wirtschaftlichen Aufschwung in
Deutschland geleistet.
Die Grundschule absolvierte ich in
der Türkei und wurde hier zunächst in
eine „Ausländerklasse“ an der Hauptschule eingeschult. Der Unterricht
war zweisprachig. Dies gefiel mir
persönlich sehr gut, aber mit einem
Hauptschulabschluss hatte man damals wie heute keine große Berufswahl. So entschied ich mich für einen
handwerklichen Beruf und wurde Friseurin. Bei dieser Entscheidung dachte ich auch immer ein wenig daran,
mich im Falle einer Rückkehr in die
Türkei dort beruflich leichter selbstständig machen zu können. Denn so
richtig habe ich mich damals mit meiner „neuen Heimat“ Deutschland
nicht identifiziert und mich hier auch
nicht so schnell heimisch gefühlt. Wir
haben immer so gelebt, als würden
wir jederzeit die Rückreise antreten
und unsere Koffer quasi erst nach
mehreren Jahren ausgepackt.
Ich habe mich in meinen jungen
Jahren in politischen Kreisen bewegt
und beobachtete die Frauen in der
Politik sehr genau. Sie faszinierten
mich bereits damals, spielten eine
große Vorbildrolle und lenkten mein
Leben in eine gewisse Richtung. Mir
wurde klar, dass der Beruf der Friseurin meinen persönlichen Erwartungen
nicht mehr entsprach und ich suchte
nach Möglichkeiten, mich beruflich
umzuorientieren. Über den zweiten Bildungsweg bekam ich dann die
Chance, an der Hochschule für Wirtschaft und Politik in Hamburg das
Fach Sozialökonomie zu studieren.
Mit dem neuen Beruf legte ich die
Schere zur Seite und nahm gewissermaßen den Stift in die Hand. Für mich
begann eine anstrengende, aber
auch positive Zeit. Ich entdeckte neue
Welten und war bereit, mich in diese
hinein zu begeben. Durch das Studium erwarb ich nicht nur das Diplom,
sondern auch eine Portion Selbstbewusstsein.
Inzwischen beschäftige ich mich
sowohl ehrenamtlich als auch hauptberuflich mit den Themen Migration und Integration sowie mit Frauenthemen allgemein. Die aus meinen
früheren Lebensumständen resultierende Benachteiligung wurde für
mich zum entscheidendem Beweggrund, mich beruflich weiter zu entwickeln. Natürlich darf ich dabei die
Rolle einiger Vorbilder und die Motivation durch meine Familie nicht unerwähnt lassen.
Heute lautet mein Motto: „Leben
ist Vielfalt, Vielfalt ist Leben.“
Durch ehrenamtliches Engagement zu mehr Selbstbewusstsein
Thomas Böhme
Als Vorbilder für die Arbeitsgruppe
„ehrenamtliche Engagement“ waren Melda Ate¸s, Gül¸sen Özçelikli und
Rasim ¸Sengül eingeladen worden.
Sie berichteten anhand der eigenen
Lebenswege, wie sie zur freiwilligen
Mitarbeit in verschiedenen Projekten
fanden.
Alle drei wiesen darauf hin, dass
zunächst die Begegnung mit anderen Zugewanderten in der eigenen
Muttersprache dabei geholfen hat,
Angebote zum Erlernen der deutschen Sprache wahrzunehmen. Dort
fanden sie dann Kontakt zu anderen
Menschen, die ihnen bei der Integration in die für sie fremde Gesellschaft die nötigen Hilfestellungen
gaben. Aber auch Eltern und Lehrer
waren wichtige Bezugspersonen, die
einen positiven Einfluss ausübten.
Die gewonnene deutsche Sprachkompetenz ermöglichte es den ReferentInnen, ihre Kontakte über die eigenen Landsleute hinaus auszubauen.
Damit erschlossen sich ihnen neue
mitmenschliche Beziehungen, die zur
Beschäftigung mit anderen Themenfeldern führten. Das positive Erleben
von Integrationsangeboten trug bei
allen drei Vorbildern wesentlich dazu
bei, sich selbst auf diesem Gebiet ehrenamtlich zu engagieren. So begann
Melda Ate¸s im „Rucksack-Projekt“
mitzuarbeiten. Die wesentlichen Zielsetzungen dieses Programms sind die
Förderung der Mehrsprachigkeit bei
Migrantenkindern, die Stärkung der
Elternkompetenz sowie des Selbstwertgefühls der zugewanderten
Mütter und deren Kinder durch das
eigene Lernen und die Übernahme
von Aufgaben.
Gül¸sen Özçelikli und Rasim ¸Sengül arbeiten ehrenamtlich im Projekt
gEMiDe in Hannover. Die Abkürzung
steht für „gesellschaftliches Engagement von Migrantinnen, Migranten
und eingebürgerten Deutschen durch
ehrenamtliche Tätigkeit“ – gEMiDe
bildet eine Schnittstelle zwischen an
ehrenamtlicher Tätigkeit interessierten Migrantinnen und Migranten und
bedürftigen, einsamen oder einfach
aufgeschlossenen Einheimischen. Einige der zugewanderten Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter, wie die Ehrenamtlichen bei gEMiDe genannt
werden, erlebten so, dass zum Beispiel ein deutscher Haushalt nicht so
sehr viel anders aussieht als der ihrige. Sie genießen es, nicht mehr in erster Linie als „AusländerIn“, sondern
vielmehr als Mensch, der etwas tut,
beurteilt zu werden.
Sowohl Gül¸sen Özçelikli als auch
Rasim ¸Sengül haben für ihre ehrenamtliche Mitarbeit an Weiterbildungsmaßnahmen teilgenommen.
Die dort gewonnenen Fähigkeiten
geben sie nun an andere MigrantInnen und Einheimische weiter. Die
Wertschätzung und Anerkennung,
die sie dabei erfahren, trägt immer
wieder zur Fortsetzung des freiwilligen Engagements bei. Außerdem bemühen sich beide, in ihrem persönlichen Umfeld weitere Mitmenschen
zur Aufnahme einer ehrenamtlichen
Tätigkeit zu bewegen.
In der Diskussion mit den Teilnehmern wurde Rasim – der jüngste
unter den Vorbildern – gefragt, wie
seine Alterskameraden auf die ehrenamtliche Tätigkeit reagieren, schließlich sei es nicht alltäglich, dass sich
Heranwachsende wie er für ältere
Menschen engagieren. Rasim erwi-
derte, Freunde und Bekannte würden sein Engagement auf jeden Fall
verstehen und ihn gelegentlich sogar
dabei unterstützen. Darüber hinaus
helfe es ihm auch persönlich, sich auf
die Arbeitswelt vorzubereiten. Denn
so könne er Qualifikationen erlangen, die ihm auf seinem weiteren beruflichen Weg sicher von Nutzen sein
werden.
Abschließend wurde aus dem
Kreis der DiskussionsteilnehmerInnen
der Wunsch geäußert, dass in den
Schulen mehr über freiwilliges Engagement informiert wird. Es sei schade, dass so wenig über die tollen
Projekte, wie sie die drei Referenten
durchführen, bekannt sei. Bestimmt
würden sich auch mehr (ältere) Schülerinnen und Schüler an solchen Initiativen beteiligen, wenn sie davon
Kenntnis hätten.
Vorbilder im Ehrenamt:
29
Gülşen Özçelikli
am 27. August 1979 in Sivas, Türkei
geboren
Ich habe drei Söhne: Die Zwillinge
kamen am 23. November 1996 in
Istanbul, Türkei zur Welt, der jüngste am 27. August 2004 in Hannover,
Deutschland. Als ich im Januar 1998
ganz allein mit meinen beiden kleinen Söhnen zu meinem Mann nach
Deutschland kam, war ich noch sehr
jung und in der Kindererziehung völlig unerfahren. Auch sonst hatte ich
hier anfangs große Probleme. Alles war neu für mich: das Land, die
Umgebung, die Mentalität der Menschen und natürlich die Sprache. Mein
Mann und meine Schwiegereltern
wollten nicht, dass ich Deutsch lerne.
Erst nachdem ich mich von
meinem Mann getrennt hatte, lernte
ich andere Leute kennen, die meine
Freunde wurden. Ich begann, alleine mit meinen Kindern zu leben und
brachte sie auch in den Kindergarten.
Dort konnte ich mich aber mit den Erzieherinnen und den anderen Eltern
kaum verständigen, da ich nicht richtig Deutsch sprach.
Foto: gEMiDe (2)
Gül¸sen Özçelikli (Mitte)
mit Freundinnen
30
Eines Tages erzählte mir eine
Freundin von einem Internetkurs,
den ich dann besuchte. Während des
Kurses lernte ich Hülya Feise kennen.
Sie erzählte mir von gEMiDe und den
Aktivitäten des Projekts. Unter anderem gab es dort auch einen Deutschkurs, an dem ich teilnahm und damit
meine Deutschkenntnisse wesentlich
verbesserte.
Nach einiger Zeit habe ich begonnen, selbst bei gEMiDe mitzuarbeiten. Als erstes betreute ich eine deutsche Frau, die 15 Jahre älter war als
ich. Sie hatte nach der Trennung von
ihrem Mann Schwierigkeiten, sich in
ihrer neuen Situation zurechtzufinden. Wohnung, Freundeskreis und finanzielle Unterstützung – alles musste neu geregelt werden. Ich besuchte
auch einen deutschen Mann im Altersheim. Er war körperlich schwer
behindert. Ich habe mich mit ihm
unterhalten, kleine Spiele gespielt
und ihn nach draußen zum Spazieren gehen gebracht. Er ist leider nach
einiger Zeit gestorben. Dann habe
ich noch eine alte deutsche Frau im
Altersheim besucht, die nach einem
Autounfall im Rollstuhl sitzen musste. Sie konnte nur leise und langsam
sprechen. Mit ihr bin ich meistens
nach draußen gegangen, weil es niemanden gab, der sie besuchte und
die Pflegekräfte meist keine Zeit hatten, mit ihr raus zu gehen.
Die ehrenamtliche Arbeit hat mir
sehr geholfen, mich persönlich weiter
zu entwickeln. Bevor ich gEMiDe kennen lernte, hatte ich überhaupt kein
Selbstbewusstsein. Inzwischen geht
es mir viel besser und die ehrenamtliche Arbeit macht mir großen Spaß.
Man kann dabei sogar berufliche
Wege finden. So habe ich bei ProJudo e. V. zunächst ehrenamtlich und
später auf Honorarbasis mit deutschen und muslimischen Mädchen zusammen Sport gemacht. Dadurch bekam ich wiederum die Chance, beim
LandesSportBund eine Übungsleiterinnen-C-Ausbildung zu absolvieren
als erste Grundlage zur Sporttrainerin.
Rasim Şengül
geboren am 23. Juli 1988 in
Hannover, Deutschland
Mein größtes Vorbild ist meine Mutter. Sie kam 1974 mit ihren Eltern in
die Bundesrepublik; 1986 heiratete sie meinen Vater. Bis Anfang der
90er Jahre hat sie zusammen mit anderen türkischen Frauen in verschiedenen Fabriken gearbeitet, meistens
an einer Stanzmaschine. Außer zum
Arbeiten und zum Einkaufen ist sie
nicht viel raus gekommen und konnte
auch nicht gut Deutsch. Sie war sehr
schüchtern und hatte wenig Selbstbewusstsein. Außerdem war sie ein
wenig dick und fürchtete, die Leute
könnten sich über sie lustig machen.
Eines Tages klingelte es an der Tür
und Hülya Feise von gEMiDe kam zu
Besuch. Wir kannten sie vorher nicht.
Sie hat mit meinen Eltern zusammen
gesessen und Tee getrunken. Dabei
haben sie sich unterhalten. Hülya erzählte von gEMiDe und fragte, ob
meine Mutter ehrenamtlich mitarbeiten wolle. Anfangs war mein Vater
aus traditionellen Gründen dagegen.
Doch Hülya, die selbst in der Türkei
nach den dortigen Gepflogenheiten
aufgewachsen ist, überzeugte meinen Vater, dass die Mitarbeit bei gEMiDe nicht gegen die Tradition verstoße.
Bald darauf begann meine Mutter
ihre ehrenamtliche Tätigkeit. Sie besuchte regelmäßig eine ältere Dame,
die keine Verwandten hat und gab
dieser Frau wieder neuen Lebensmut.
Meine Mutter fing an, sich zu verändern, selbstbewusster zu werden. Sie
hat abgenommen, spricht und versteht wesentlich besser Deutsch und
hat sogar angefangen, deutsche Bücher zu lesen. Sie kann sich jetzt viel
besser mit den Menschen unterhalten und ihre Erfahrungen an andere
Frauen weitergeben. Inzwischen ist
sie sogar Gruppenleiterin bei gEMiDe
geworden.
Auch bei uns zu Hause hat sich einiges geändert. Meine Eltern reden
jetzt mehr miteinander, und wir haben regelmäßig Familientreffen, bei
denen wir alle Probleme, die wir zum
Beispiel in der Schule oder mit unseren Freundinnen und Freunden haben, gemeinsam besprechen.
Durch das Engagement meiner
Mutter begann ich ebenfalls, ehrenamtlich zu arbeiten. Wenn gEMiDe
Veranstaltungen durchführt, helfe
ich bei den Vorbereitungen und beim
Abbau. Ich habe auch ehrenamtlich
Computer-Grundlagen-Kurse gegeben, um älteren Frauen beizubringen,
wie man mit dem Computer umgeht,
Briefe schreibt usw. Manchmal unternehmen mein Bruder und ich auch
Spaziergänge mit einsamen älteren
Deutschen, die im Rollstuhl sitzen
müssen.
Durch diese Aufgaben hat sich
mein Selbstbewusstsein verbessert.
In der Schule habe ich freiwillig an
einem Streitschlichter-Projekt teilgenommen und gelernt, wie man ohne
Gewalt Konflikte unter Schülern lösen kann. Dieses Wissen kann ich
auch außerhalb der Schule anwenden
und mir dadurch eine respektierte
Stellung in meinem Bekanntenkreis
sichern. Nach dem Streitschlichter-
Projekt machte ich im Bethlehem-Keller-Treff einen Jugendgruppenleiterschein.
Ich kann allen Jugendlichen nur
raten, sich eine ehrenamtliche Arbeit
zu suchen, weil man dadurch Lebenserfahrung und Menschenkenntnis
sammelt. Außerdem bin ich sicher,
dass man durch den Nachweis ehrenamtlichen Engagements auch bessere
Chancen hat, einen Praktikums- oder
Ausbildungsplatz zu finden.
31
Foto: LAG Soziale Brennpunkte Nds. e. V.
Melda Ateş
32
Ich wurde am 18. Juli 1970 in Ödemis–
Izmir, Türkei geboren, wo ich bis 1987
das Gymnasium besuchte. Zur gleichen Zeit lernte ich meinen Ehemann
kennen. Ein Jahr später bin ich durch
Familienzusammenführung zu ihm
nach Deutschland gekommen.
Es gibt vor allem drei Gründe, die
sich positiv auf meine Entwicklung
hier auswirkten: Den stärksten Halt
im Leben geben mir meine Lebensfreude und mein Ehrgeiz. Zudem haben mich meine Eltern immer gefördert und unterstützt. Und dann ist
da noch meine beste Freundin Yildiz
Demirer, die ebenfalls in Deutschland lebt. Sie ist ein ganz besonderer
Mensch und immer für mich da, wenn
ich sie brauche. Ich nenne sie manchmal meine „Ersatzmutter“. Mit ihrer
Unterstützung habe ich hier sehr viel
geschafft.
Yildiz ist Sozialarbeiterin. Sie koordiniert das „Rucksack-Projekt“, das
Eltern mit Migrationshintergrund Unterstützung bei der Kindererziehung
bietet. Daher war es auch kein Zufall,
dass sie mich fragte, ob ich dort als Elternbegleiterin mitarbeiten möchte.
Nachdem ich mich etwas näher informiert hatte, war ich überzeugt, wie
wichtig und sinnvoll das Projekt ist.
Denn die Kinder sind unsere Zukunft.
Deshalb sagte ich zu, im „RucksackProgramm“ mitzuarbeiten.
Bereits 15 Minuten pro Tag genügen, um Eltern in ihrer Erziehungsrolle zu stärken und den Kindern spielerisch und mit Spaß das Lernen zu
erleichtern. So versuchen wir, bereits
im Kindergartenalter das Erlernen ihrer Muttersprache und der deutschen
Sprache zu fördern. Außerdem geben
wir den Eltern Anleitungen und Arbeitsmaterialien mit nach Hause.
Ich selbst habe in Deutschland
keine Schwierigkeiten gehabt, außer
dass ich erst mit 18 Jahren die deutsche Sprache erlernen musste. Eine
gute Schulbildung ist für mich sehr
wichtig. Denn man lernt dort nicht
nur Lesen und Schreiben, sondern für
das Leben überhaupt – wie beispielsweise über das gegenwärtige Weltgeschehen oder über andere Länder
und Kulturen sowie das Verhalten
gegenüber seinen Mitmenschen und
Freunden. Mit einem Schulabschluss
gibt es verschiedene Wege: Natürlich
wäre danach ein Studium sehr gut.
Da dies aber nicht alle schaffen, muss
man andere Möglichkeiten suchen
und nutzen, zum Beispiel eine Ausbildung. Damit ergeben sich auch bessere Aufstiegsmöglichkeiten. Ich kann
nur sagen, dass man alle Chancen
nutzen sollte, die einem offen stehen. Dies trifft meiner Meinung nach
besonders für Frauen zu. Nur so können sie unabhängig und selbstständig
auf eigenen Beinen stehen und ihr
Leben gestalten, wie sie es möchten.
Meine wichtigste Empfehlung an
andere Menschen mit Migrationshintergrund ist, niemals aufzugeben
und auch nicht aufzuhören zu fragen,
wenn man nicht weiterkommt. Man
darf die Hoffnung, die einem Stabilität gibt, nicht verlieren und muss
weiter auf der Suche nach einem Ausbildungs- oder Arbeitsplatz bleiben.
Dabei ist es besonders wichtig, die
Augen und Ohren auch für neue Dinge offen zu halten; denn es gibt immer einen Weg, sich weiter zu entwickeln.
Außerdem würde ich mir wünschen, dass Zuwandererfamilien die
Chancen, die man ihnen wie mit dem
„Rucksack-Programm“ bietet, besser nutzen. Nur so können die Kinder
bereits im Kindergarten und später
in der Schule die Förderung erhalten,
die es ihnen ermöglicht, im Leben Erfolg zu haben. Ich finde es sehr wichtig, dass die Eltern den ersten Schritt
machen und ihren Kindern mehr
Möglichkeiten bieten, sich zu entfalten – auch wenn sie selbst in Deutschland meist bei Null anfangen mussten.
Von Träumen
und harter Arbeit
Mit leuchtenden Augen erzählt Natella Santadze, wie sie vor sechs Jahren von einem Casting des Nienburger Musical-Theaters „sputnike
<jungeKultur> im CJD Nienburg“ gehört hatte und prompt dort zum Vorsprechen erschien. Seitdem ist Natella festes Ensemblemitglied und nicht
nur das: Im aktuellen Stück „Go go
to America“ spielt sie die Hauptrolle.
„Ich mag es einfach, mich als Mensch
zu präsentieren und auf der Bühne
zu stehen“, erklärt die 20-Jährige ihre
Motivation. Zu ihrer derzeitigen Rolle
hat Natella ein besonderes Verhältnis: „Im Prinzip ist es meine eigene
Geschichte, deswegen kann ich die
Rolle glaubwürdig rüberbringen.“
Das Musical „Go go to America“ handelt von Rivalitäten zwischen ehemals
befreundeten Gruppen Deutscher
und Russlanddeutscher. In Nationalitäten gespalten, liefern sich die Jugendlichen im Stück einen erbitterten
Kampf um die Platzierungen in einem
Band-Casting. Schließlich finden die
Mädchen und Jungen doch wieder
zueinander. „Die Botschaft des Musicals lautet, dass alle Menschen gleich
sind, und das möchte ich auch vermitteln“, bekräftigt Natella.
Über hundert gefeierte Aufführungen vor tausenden Zuschauern
haben die jungen Laienschauspieler
von „sputnike“ bereits hinter sich. Da
ist die Frage der Moderatorin Dimitra Atiselli, ob für die Jugendlichen
Foto: sputnike/SWK
Marina Kormbaki
der ihnen entgegengebrachte Ruhm
noch etwas Besonderes ist, nahe liegend. „Daran haben wir uns mittlerweile gewöhnt. Früher hatten wir vor
jedem Auftritt großes Lampenfieber
und weiche Knie. Heute freuen wir
uns einfach, wenn wir auf der Bühne sind“, sagt Natella und ihre Kollegin Fatma Mohamed-Taha stimmt
ihr zu: „Unser Erfolg ist für uns nichts
Besonderes mehr, aber wir sind sehr
stolz.“ Auch die Tatsache, dass Fatma
von tausenden Postkarten lächelt, die
die Ausländerbeauftragte des Landes
Niedersachsen hat drucken lassen,
macht die 17-Jährige nicht nervös.
Zum Ensemble ist sie über ihre Zwillingsschwester gekommen. „Ich bin
vor vier Jahren mal zu einer Probe
mitgegangen und fand das gleich so
toll, dass ich in das Projekt eingestiegen bin“, so Fatma. Vorher hatte sie
nur getanzt, aber die Kombination
von Tanz und Gesang hat ihr auf Anhieb großen Spaß gemacht.
Über seine Schwester hat auch
Alexander Brunner zu „sputnike“ gefunden. „Eigentlich hatte ich nie Lust
auf tanzen und schauspielern“, sagt
Alexander. „Aber meine Schwester,
die schon bei ,sputnike’ war, hat mich
immer dazu gezwungen, mit ihr zu
üben“, fährt er fort. Die Aufnahme in
die junge Musical-Gruppe war nicht
schwierig: „Männliche Darsteller sind
sehr gefragt“, stellt Alexander fest
und lächelt verschmitzt unter sei-
33
ner weißen Schirmmütze. In „Go go
to America“ spielt er die männliche
Hauptrolle und damit auch eine Liebesszene mit Natella. „In Wirklichkeit
sind wir aber kein Paar“, stellt Natella klar.
Die Anfänge von „sputnike“ reichen schon zehn Jahre zurück. Hans
Klusmann-Burmeister, der Leiter von
„sputnike“, stellte damals als Mitarbeiter im Jugendmigrationsdienst
massive Vorurteile gegenüber Russlanddeutschen fest. „Diese Situation wollte ich auf die Bühne bringen. Ich wollte den Einheimischen
die Augen für die Lebenssituation
der Migranten öffnen“, erklärt Klusmann-Burmeister. Nachdem er sich
erfolgreich um finanzielle Unterstützung bemüht hatte, begann er mit
der Arbeit an dem ersten Stück. „Das
Musical ‚On the road’ war ein Riesenerfolg, die Funktion der jungen
Migranten bei ‚sputnike’ war damals
schon klar: „Als Botschafter sind sie
Vorbilder für Jugendliche“, so der Leiter. Bei jungen Russlanddeutschen
kämen die Aufführungen besonders
gut an, sagt Klusmann-Burmeister
und Natella pflichtet ihm bei: „Viele
Jugendliche kommen zum ersten Mal
ins Theater, sitzen mit verschränkten
Armen da und denken sich: ‚Theater,
so ein Blödsinn!’ Aber nach der Show
gehen sie raus und sagen sich: ‚Hey,
toll, dass ich dazu gezwungen wurde!’ Es ist schön zu sehen, dass wir
die jungen Leute erreichen.“
Der Unterstützung ihrer Eltern
können sich Natella, Fatma und Alexander gewiss sein. „Meine Mutter hat
mir immer die freie Wahl gelassen.
Ich habe viel Zeit in den Kampfsport
investiert, war sogar norddeutscher
Meister im Ringen – meine Mutter
hat immer zu mir gehalten. Problematisch wird es nur, wenn die Ausbildung unter dem vielen Touren für
‚sputnike’ leidet“, erzählt Alexander. „Unsere Eltern und Verwandten freuen sich jedes Mal, wenn sie
uns auf der Bühne sehen, auch wenn
sie schon etliche Male dabei waren“,
lacht Fatma. Aber nicht alle Eltern
sind so tolerant: „Viele Eltern setzen das Engagement ihrer Kinder
bei ‚sputnike’ leider als Druckmittel
ein, zum Beispiel in Bezug auf schulische Leistungen. Dabei ist das das
34
Foto: Hoppenrath
Die „New Limits“
Schlimmste, was sie tun können, zumal die Jugendlichen bei ‚sputnike’
soziale Schlüsselkompetenzen erlernen, die ihnen keine Schule beibringen kann“, meint Klusmann-Burmeister.
Das Ensemble von „sputnike“
setzt sich hauptsächlich aus Russlanddeutschen und Deutschen zusammen.
Die Rollenverteilungen werden jedoch unabhängig von der Herkunft
der Schauspieler vorgenommen:
Deutsche spielen Russlanddeutsche,
Russlanddeutsche spielen wiederum Deutsche. „Die Herkunft der
Schauspieler ist nicht entscheidend.
Wichtiger ist das Verfolgen eines
gemeinsamen Interesses“, sagt Klusmann-Burmeister.
Juri Schmidt hat über Umwege
sein künstlerisches Interesse entdeckt.
„Während meiner Zeit auf der Realschule habe ich mich sehr für Technik begeistert. Deswegen habe ich im
Anschluss daran eine Ausbildung zum
Kommunikationselektroniker absolviert“, berichtet Juri. Schon bald wurde dem 26-Jährigen, der damals bereits einen Großteil seiner Freizeit der
Fotografie widmete, jedoch klar, dass
dieser Beruf nicht der richtige für ihn
ist. Juri holte die Fachhochschulreife nach und bewarb sich in der Fachhochschule Hannover für das Studienfach Kommunikationsdesign. Beim
dritten Anlauf wurde seine Mappe
akzeptiert und Juri konnte nun seine
Vorliebe für das Fotografieren professionell ausleben, beispielsweise bei
einer Fotoreportage über das Osterfest der russisch-orthodoxen Gemeinde in Hamburg. „Irgendwann hat mir
aber das Fotografieren nicht mehr
gereicht, Ton und Bewegung fehlten
mir, da begann ich, Filme zu drehen“,
schildert Juri seine künstlerische Entwicklung. „Mittlerweile mache ich so
ziemlich alles, was mit visuellen Medien zu tun hat“, fährt Juri fort. Der Erfolg gibt seiner Entscheidung, kreativ
zu arbeiten, Recht: Von 40 Entwürfen
für die Schiffgestaltung der Maschseeflotte gewann sein Entwurf den
ersten Preis.
Juris Antriebsmotor war stets der
Glaube, dass es Arbeit gibt, die Spaß
machen kann. „Ich habe in Deutschland die unterschiedlichsten Jobs gemacht, ich weiß, wie lang ein Achtstundentag sein kann. Deswegen
versuche ich meine Vision von einem
Beruf zu verwirklichen, mit dem ich
mich voll und ganz identifizieren
kann.“
Auch die Filmemacherin Seyhan
Derin hat sich ihren Traum erfüllt.
Schon im Kindesalter hatte sie ihre
Vorliebe für Filme entdeckt. Ihr Vater,
der als Gastarbeiter nach Deutschland gekommen war, hat seinen Teil
zum Aufkommen dieser Leidenschaft
beigetragen. „Mein Vater hat sonntags immer Filmvorführungen für türkische Bekannte organisiert. So war
ich schon mit fünf Jahren im Kino“,
erzählt Seyhan. Wegen ihres Interesses an der Schauspielerei vermittelte sie ein Grundschullehrer als Kinderdarstellerin an das saarländische
Staatstheater und den saarländischen
Rundfunk. Lange Zeit war das Schauspielern nur ein Hobby für Seyhan.
„Wie alle türkischen Eltern wollten
auch meine, dass ich Medizin oder
sammeln, ohne sich von Rückschlägen beirren zu lassen“, sagt sie. Vorbilder, von denen man lernen kann,
sind dabei wichtig. „Früher hatte ich
niemanden gehabt, mit dem ich mich
austauschen konnte. Ich war die einzige Türkin im Theater, die einzige
Türkin auf dem Gymnasium. Erst später habe ich Menschen kennen gelernt, die Ähnliches erlebt haben wie
ich“, erzählt Seyhan. Sie will Jugendlichen Mut machen. „Junge Menschen sollen sich von Lehrern oder
Eltern nichts ausreden lassen, es gibt
immer Wege. Und auch wenn sie mal
lang sind, sind sie doch spannend“, so
die Filmemacherin. Juri, der viele Bemühungen unternommen hatte, bevor er an der Fachhochschule angenommen wurde, gibt ihr Recht.
Nach seinen Zukunftsplänen gefragt, sagt Alexander, dass er derzeit
nach einem Ausbildungsplatz zum
Veranstaltungstechniker sucht. „Mein
Traum ist es aber, Schauspieler zu
werden“, fügt er an. „Und warum bewirbst du dich nicht?“, fragt Seyhan
ihn. Alexander entgegnet, jemand
habe ihm erzählt, dass er für die
Aufnahme an einer Schauspielschule das Abitur benötigt, was er nicht
hat. „Das stimmt nicht. Zum Vorsprechen brauchst du kein Abitur, son-
dern Talent“, erwidert Seyhan. Fatma
verfolgt ihren Traum. Sie möchte als
Tänzerin und Choreographin arbeiten. Die nötigen Kontakte dafür hat
sie bereits geknüpft: „Bekannte raten
mir, zu ihnen in die USA zu kommen“,
sagt Fatma. Natella, die eine Ausbildung zur Erzieherin macht, hat beschlossen, ihr künstlerisches Interesse
weiterhin in ihrer Freizeit auszuleben. „Ich kann mir gut vorstellen, mit
Jugendlichen Projekte wie ‚sputnike’
durchzuführen.“
Damit sich die Besucher des Workshops ein Bild von „sputnike“ machen können, zeigen die Darsteller
eine Filmsequenz. Spätestens jetzt
wird deutlich, dass die Laienschauspieler alles andere als laienhaft sind.
Die Erfüllung von Träumen ist aufs
engste mit harter Arbeit verbunden,
davon zeugt der Filmausschnitt. Das
Wichtigste jedoch, darin sind sich die
eingeladenen Vorbilder einig, ist der
Glaube an die eigenen Fähigkeiten.
Vorbilder
im Bereich Kunst,
Kultur und Medien:
Foto: Schmidt
Jura studiere“, schmunzelt die 27Jährige. Wäre da nicht ein Besuch in
der Kasseler Kunstausstellung documenta gewesen, hätte Seyhan wohl
tatsächlich das Jurastudium angetreten. „Bei dieser Ausstellung wurde mir aber schlagartig klar, dass es
mein eigentlicher Wunsch ist, zum
Film zu gehen“, so Seyhan. Ihre Ausbildung absolvierte sie an der renommierten Filmhochschule München.
Für ihren ersten Film engagierte Seyhan ihre Familie. Das lag nahe, da der
Film eine Dokumentation derselben
ist. „Eigentlich sollte der Film 30 Minuten lang sein, aber da meine Familie so komplex ist, sind es schließlich
anderthalb Stunden geworden“, sagt
Seyhan. Den interessierten Workshop-Teilnehmern zeigt Seyhan einen
Ausschnitt aus „Die Tochter meiner
Mutter“.
Inhaltlich befassen sich viele Filme
Seyhans mit Migrations-Biografien.
„Ich würde gerne mehr Spiel- und
Dokumentarfilme drehen, aber leider
kann ich nicht ausschließlich davon leben“, bedauert Seyhan. Den Großteil
ihres Lebensunterhalts bestreitet sie
durch die Mitarbeit an Fernsehserien.
Die jungen Zuhörer im Raum horchen auf und fragen nach den Serien.
Als Seyhan „Gute Zeiten – Schlechte
Zeiten“ erwähnt, schauen sie Seyhan
mit großen Augen an. Die ersten Autogramm-Wünsche werden geäußert.
Auf Dimitra Atisellis Frage, was sie
Jugendlichen empfiehlt, die sich für
Tanz und Musik interessieren, antwortet Natella: „Es ist wichtig, dass
sie in einem Verein sind, in dem sie
sich entfalten können.“ Energisch
stellt sie im selben Atemzug fest:
„Ein Verein, in dem Jugendliche verschiedener Nationalitäten zusammenkommen und ein gemeinsames
Ziel verfolgen, ist doch die beste Integrationsarbeit.“ Juri hält es für
sehr wichtig, dass Jugendliche die
Initiative ergreifen und ihren Interessen nachgehen. „Sie sollten bloß
nicht aufgeben, auch wenn es nicht
gleich beim ersten Mal klappt.“ Seyhan stimmt ihm zu. „Man sollte sich
klarmachen, was man wirklich will
und auf diesem Gebiet Erfahrungen
35
Juri Schmidt
Foto: Schmidt
geboren am 12. April 1980 in Uljanowsk, Russland
Als wir im Februar 1994 nach
Deutschland kamen, zogen wir in einen Ort, in dem meine Mutter bereits Freunde und Bekannte hatte.
Dadurch hatten wir das große Glück,
von unseren deutschen Freunden in
vielen Dingen Unterstützung zu erhalten. Ich wurde gleich mit den einheimischen Jugendlichen bekannt gemacht, ging mit ihnen in die Schule
und hatte die Möglichkeit, fast täglich etwas mit ihnen zu unternehmen.
Parallel dazu waren mein Bruder und
ich im Sportverein aktiv. Zwei bis
drei mal die Woche haben wir Judo,
Leichtathletik und Kraftsport trainiert. All dies beschleunigte das Erlernen der deutschen Sprache. Innerhalb von einem bis anderthalb Jahren
konnte ich ganz gut Deutsch sprechen und verstehen.
Ausschlaggebend für die erfolgreiche Integration waren mein eigener Integrationswunsch und der
Wunsch, mich selbst zu verwirklichen.
Meine beruflichen Interessen galten zunächst der Technik. Während
der Ausbildung zum Kommunikationselektroniker entdeckte ich meine
kreative Seite. Parallel zu dieser Ausbildung brachte ich mir die Grundlagen der Gestaltung, Malerei, Fotografie und des Films bei. Nach dem
Abschluss der Ausbildung setzte ich
den kreativen Weg fort, traf mich
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mit Fachleuten aus der Branche und
sprach mit ihnen über meine Arbeit.
Mein Antrieb war und ist der Glaube
daran, eine Arbeit ausüben zu können, die mir Freude macht und meine
Neugier befriedigt. Wichtig bei allem,
was ich tue, ist, mein Herz mit einbringen zu können. Gegenüber sich
selbst und anderen offen und unvoreingenommen zu sein, war schon seit
meiner Kindheit für mich wichtig. Die
Überzeugung, in jeder Situation von
einander zu lernen, gestaltet mein
Leben so gut wie stressfrei.
In der Allgemeinbildenden Schule habe ich mich wunderbar mit den
Lehrern verstanden, weil ich das russische Schulsystem und seine Disziplin noch miterlebt habe. Deshalb
waren mir bestimmte Respekt-Verhaltensmuster gegenüber Erwachsenen schon vertraut. Ich mochte meine
Lehrer einfach und wollte von ihnen
etwas lernen.
In der Familie hatte ich immer
Rückhalt und Unterstützung. Die
Beziehung zu meinen Eltern ist offenherzig. Selbstständiges Denken, Handeln und Verantwortung
zu übernehmen wurde in der Familie geprägt. Die künstlerischen und
sozialen Seiten in mir hat überwiegend meine Mutter geprägt, während mein Vater die sportlichen und
organisatorischen Aspekte förderte.
Personifizierte Vorbilder wie Hollywoodschauspieler, Musiker und andere bekannte Persönlichkeiten hatte
ich bis zum Alter von 16 - 17 Jahren,
stellte aber fest, dass ich sie eigentlich nicht brauche.
Mein Lebensweg erscheint mir
wie eine wellenförmige Linie, die von
der Struktur einer Melodie ähnelt.
Ich nehme diese Musik mit allen Sinnen wahr und assoziiere meine Handlungen mit einem Tanz zu dieser Musik. Natürlich gab es Rückschläge und
Erfolge in meinem Leben, aber ich
empfinde jede Erfahrung als liebenswert.
Das Studium gibt mir die Möglichkeit, mich auf die Selbstständigkeit
gründlich vorzubereiten. Ich bin sehr
froh, dass ich einen Studienplatz in
den Fächern Multimedia, Kommunikationsdesign und Fotografie an der
FH Hannover bekommen habe. Hier
habe ich das Gefühl, mich frei entfalten zu können, und das genieße
ich sehr. Meine Empfehlung an junge Menschen ist, an sich zu glauben
und aktiv zu sein. Wenn du an dich
selbst glaubst, glauben auch die anderen an dich – dann kannst du alles
Erdenkliche erreichen und dich selbst
verwirklichen. Ein glücklicher Mensch
ist aus meiner Sicht jemand, der seine
Ideen verwirklichen kann.
Seyhan Derin
Ich wurde am 14. Juni 1967 in Caycuma, einem türkischen Dorf geboren.
Mein Vater war zu dieser Zeit beim
Militär und meine Mutter ist wegen
der Geburtsurkunde nicht extra in
die Stadt gefahren. Als auffiel, dass
ich noch nicht gemeldet bin, war ich
bereits zwei Jahre alt. Meine Familie wollte keine Strafe riskieren und
hat so getan, als ob ich neu geboren
wäre. Deshalb ist mein offizielles Geburtsdatum der 1. Juli 1969.
1972 bin ich mit meiner Mutter
und meinen drei Geschwistern ins
Saarland gekommen, wo mein Vater
als Gastarbeiter im Bergbau tätig war.
Für meinen Lebensweg war ein
Grundschullehrer von Bedeutung, der
uns die verschiedenen Künste, besonders das Theater, nahe gebracht hat.
Er vermittelte mich als Kinderdarstellerin an das Staatstheater und an den
Saarländischen Rundfunk, wodurch
ich schon sehr früh mit dem Film in
Berührung kam. Überhaupt hatte ich
viele Lehrer, die an mich glaubten,
auch wenn ich selbst an mir zweifelte.
Mein Vater organisierte früher
einmal pro Woche eine Filmvorführung, wodurch ich häufig ins Kino
kam. Da meine Eltern und viele der
anderen türkischen Erwachsenen
nur schlecht Deutsch konnten, musste ich oft dolmetschen, was bei mir
zu einem ausgeprägten Organisationstalent führte. Hinzu kam, dass
wir mehrere Geschwister waren und
viele Nachbarskinder hatten, mit denen wir oft zusammen spielten und
unserer Kreativität freien Lauf lassen
konnten.
Als ich 15 Jahre (inoffiziell) alt
war, wollten meine Eltern mich und
meine jüngere Schwester zurück in
die Türkei schicken. Das haben wir
verhindert, indem wir gegen sie vor
Gericht gegangen sind und den Fall
gewonnen haben. Danach wurden
wir vom Jugendamt in einem Inter-
men, zu denen ich auch die Drehbücher schreibe, über Dokumentarfilme
bis hin zu Serien für das Fernsehen.
Anderen jungen Leuten mit Migrationhintergrund kann ich nur raten
herauszufinden, wofür sie sich wirklich interessieren und sich dabei von
niemandem irritieren zu lassen. Wichtig ist, seine Vorlieben zu leben – also
wenn man Filme machen möchte,
sollte man oft ins Kino gehen, Geschichten schreiben, filmen. Keinesfalls darf man sich von der eigenen
Herkunft abschrecken lassen – nach
dem Motto: „Meine Eltern waren Arbeiter, also muss ich auch Arbeiter
werden!“. Wir können alles erreichen
im Leben, wenn wir uns nur stark genug dafür einsetzen.
Das Wichtigste ist jedoch, nie die
Lebensfreude und den Lebensgenuss
zu verlieren – ohne dies macht alles
keinen Sinn.
Foto: Hoppenrath
nat untergebracht. Auch dort wurde
unsere kreativ-künstlerische Seite gefördert.
Beruflich gesehen mag mein Weg
geradlinig erscheinen, weil alles auf
das Ziel, Filme zu machen, hinauslief:
Grundschule, Gymnasium, Abitur,
Studium an der Filmhochschule München, Spielfilmregie, Regisseurin,
Autorin. Genauer betrachtet gab es
aber viele Jahre, in denen ich sehr um
die Projekte kämpfen und ausharren
musste, was auch heute noch zutrifft.
Doch das gehört zum Künstler-Dasein. Die Schule besucht und studiert
zu haben, ist für mich wichtig, weil
ich dadurch auf spielerische Weise
fundiertes Wissen vermittelt bekam.
Außerdem reagieren die meisten offener, wenn sie hören, dass ich auf einer der besten Filmhochschulen war.
Heute mache ich als Regisseurin
alles Mögliche – von eigenen Spielfil-
37
Natella Santadze
Der glücklichste Zufall für meine Integration war sicher, dass ich 1994 mit
meiner Familie nach Nienburg gekommen bin. Für andere Menschen
mögen es andere Orte sein, für mich
ist es Nienburg, weil es hier „sputnike <jungeKultur> im CJD“ gibt. Ich
glaube, so etwas ist einzigartig in
Deutschland.
Aber auch meiner ersten Klassenlehrerin habe ich sehr viel zu verdanken. Sie war Deutschlehrerin und hat
sich in ihrer privaten Zeit sehr intensiv
um mich und einen anderen Jungen,
der zeitgleich mit mir in Deutschland
ankam, gekümmert. Es waren ganz
viele Dinge, die sie mit uns unternommen hat, zum Beispiel gemeinsam
schwimmen gehen (sogar den Eintritt
hat sie damals für uns bezahlt). An einen Ausflug erinnere ich mich noch
ganz genau: Wir sind zu einer Burg
mit einem Burggraben und einem
Museum gefahren. Bei allem, was sie
mit uns machte, ging es darum, dass
wir so schnell wie möglich die deutsche Sprache lernen. Ich war damals
sieben oder acht Jahre alt. Sie hat Bilderbücher besorgt. Dort waren dann
ein Auto oder Obst abgebildet und
darunter stand das deutsche Wort dafür. Dank ihrer Hilfe habe ich in nur
drei Monaten Deutsch gelernt.
Natürlich gab es auch Rückschläge, Schwierigkeiten und Umwege!
Sehr schlimm war die Erfahrung, NUR
auf Grund meiner Herkunft ausgeschlossen zu werden. Das hat schon
sehr weh getan! Meine erste Reaktion war dann Resignation, Verzweiflung und Trauer. Nicht angenommen
zu werden, war eines meiner bittersten Erlebnisse. Dies führte bei mir zu
einer richtigen Trotzphase, so nach
dem Motto: „Dann eben nicht! Wenn
38
Foto: sputnike/SWK (2)
geboren am 1. März 1986 im Kaukasus, Russland
‚die’ nichts von mir wollen, mich nicht
mögen …“. Zum Glück habe ich dann
„sputnike <jungeKultur> im CJD Nienburg“ kennen gelernt. Dadurch
erkannte ich: „Na gut, es gibt eben
solche und solche!“. Es war zu diesem Zeitpunkt sehr wichtig für mich,
diese Erfahrung zu machen. Das hat
mir Kraft gegeben und geholfen,
mein Selbstbewusstsein zu entwickeln. Es ist so viel, was ich bei „sputnike“ gelernt habe. Unabhängig vom
Theaterbetrieb gibt es viele andere Dinge, die mir in meiner jetzigen
Ausbildung zur Erzieherin sehr helfen, zum Beispiel Improvisation und
Flexibilität oder spontan kreativ zu
sein. Aber auch selbstständig handeln
und meine eigene Geschichte erzählen zu können, Ausdrucksformen dafür zu finden. Mittlerweile bin ich in
meiner Ausstrahlung sicherer geworden. Es macht mir sogar Spaß, über
meine Herkunft zu erzählen. Durch
„sputnike“ habe ich viele Stilmittel
gefunden, um dies auch umsetzen zu
können. Die Menschen schenken mir
dann auch ihre Aufmerksamkeit.
Vorbilder habe ich nicht. Ich hatte
immer meinen Kopf und weiß, dass
ich mir selbst immer neue Ziele stecken muss und nicht aufgeben darf,
wenn ich diese nicht gleich erreiche.
Darum möchte ich mein eigenes Vorbild sein.
Anderen jungen Menschen mit
ähnlichen Erfahrungen wie meinen
möchte ich sagen: „Gute Menschen
gibt es doch!!!“ Ich hatte natürlich
Glück, aber man darf auf keinen Fall
aufgeben. Wenn sich irgendwo eine
Tür schließt, öffnet sich auch irgendwo wieder eine.
Ich würde mir wünschen, dass es
ganz, ganz viele Projekte wie „sputnike <jungeKultur> im CJD Nienburg“
gibt, wo junge Menschen einfach zusammen kommen können und wo es
egal ist, ob ich aus der Türkei, Russland oder sonst wo herkomme. Auch
die Hautfarbe, Religion oder Sprache
dürfen keine Rolle spielen. Wenn ich
mich verständigen will und gemeinsame Ziele habe, verstehe ich mich
auch. Ich fühle mich dadurch reich,
so viele verschiedene Menschen,
Sprachen, Kulturen zu kennen. Wir
könnten noch viel, viel mehr erreichen, wenn alle so denken und auch
danach handeln würden.
Alexander Brunner
geboren am 19. Juni 1988 in Prokopjewsk, Russland; 1995 nach
Deutschland eingereist
Die wichtigsten Bezugspersonen in
meinem Leben sind meine Mutter,
mein Trainer im Ringen und das Team
von „sputnike <junge Kultur> im CJD
Nienburg“. Dabei war die Begegnung
mit „sputnike“ eher ein Zufall. Man
könnte sogar sagen, dass ich von meiner Schwester „gezwungen“ wurde,
einmal mitzugehen. Heute bin ich ihr
dafür sehr dankbar, denn ich habe
dort tanzen, singen und schauspielern gelernt und auch erfahren, was
ein Team ist und dass man alles schaffen kann, wenn man zusammenhält!
– Wir haben gemeinsam ein Musical
inszeniert. Das ist eine sehr komplexe
Arbeit. Die Leute von „sputnike <junge Kultur> im CJD Nienburg“ haben
mir echten Teamgeist vorgelebt, mir
gezeigt, was möglich ist, wenn wir
alle „Hand in Hand“ arbeiten. Darüber haben wir mit unserem Musiker sogar einen Song gemacht, der
„Reich mir die Hand“ heißt.
Natürlich gab es zwischendurch
Schwierigkeiten. Aber was klappt
schon sofort und ohne Probleme? Ich
glaube, das Leben ist nie ein gerader
Weg. Wichtig ist nur, dass die Rückschläge einen nicht dauerhaft demotivieren, sondern man einen anderen
Weg findet. Das muss nicht unbedingt ein Umweg sein, sondern eben
nur ein „anderer Weg“, verglichen
mit einem Fluss, den man überqueren
will: Wenn die Brücke, die ich nehmen will, kaputt ist, muss ich eben
den Fluss weiter entlang gehen, bis
die nächste kommt!
Das größte Problem ist wohl, dass
es ganz viele junge Menschen gibt,
die mittlerweile keine Perspektive haben. Von allen Seiten hören wir, ihr
müsst euch anstrengen, einen Beruf
finden usw. Aber gibt es denn tatsächlich noch für alle eine berufliche
Zukunft?! Wenn sich unsere Lebensperspektive jedoch „nur“ mit dem
beruflichen Werdegang verknüpft,
verlieren wir (wenn wir zunächst keinen Job finden) schnell den Glauben an uns. Das heißt, man muss
sich neue Perspektiven schaffen, das
Selbstwertgefühl durch andere Tätigkeiten aufbauen, zum Beispiel als
Trainer arbeiten oder Jugendgrup-
penleiter werden. Dann bekommt
man auch wieder ein gutes Gefühl
und den Mut, den man braucht, um
seinen Weg zu gehen.
Die Beschäftigung mit Kunst, Kultur und Sport ist meine Leidenschaft!
Dadurch wird meine Lebensbatterie
immer wieder neu aufgeladen. Anfangs habe ich bei „sputnike“ nur
dazu gelernt, sei es im fachlichen Bereich wie Gesang, Tanz oder Rollenspiel, aber auch auf der zwischenmenschlichen Ebene, in meinem
Verhalten während einer Diskussion
oder wie ich auf Menschen reagiere,
die nicht meine Sprache sprechen
bzw. ich nicht ihre. Mittlerweile unterrichte ich selbst eine BreakdanceGruppe und kann jetzt alles, was ich
gelernt habe, weitergeben. Das ist
sehr hilfreich, denn ich kann mich
sehr gut in meine zu betreuenden
Teilnehmer hinein versetzen, weil ich
es selbst ja schon erlebt habe. Einer
von den Jungs zum Beispiel verzweifelt immer, wenn etwas nicht sofort
klappt. Dieses Gefühl kenne ich von
mir selbst und kann es dem Jungen
dann auch so sagen. Er glaubt mir,
und wir suchen zusammen einen an-
deren Weg, machen mit neuem Mut
weiter. Ich gebe ihm Kraft – und das
wiederum gibt mir Kraft. Es ist ein
sehr schönes Gefühl, jemandem helfen zu können, ihm Kraft und Mut zu
geben!
Eine „Empfehlung“, die ich anderen jungen Leuten mit auf den Weg
geben möchte, ist: Behandelt jeden
gleich! Es gibt viele verschiedene
Menschen und jeder hat gute und
schlechte Eigenschaften. Wenn wir
uns gegenseitig akzeptieren, gibt es
weniger Streit. Habe Mut und Kraft,
deinen eigenen Weg zu gehen, auch
wenn er nicht immer gerade ist! Versuche, dich mit deinen Interessen und
Wünschen einzubringen, ob im Sport
oder im kulturellen Bereich, in der Politik oder in gesellschaftlichen Bereichen – nur so hast du auch die Möglichkeit, etwas zu bewegen und Dich
persönlich weiter zu entwickeln. Ich
glaube, alle Menschen lernen ihr ganzes Leben lang, was eine tolle Bereicherung ist!
Mein persönlicher Wunsch ist,
dass die Schauspielerei möglichst
mein Beruf wird. Das ist seit vielen
Jahren mein Traum!
39
Fatma Mohamed-Taha
geboren am 8. April 1989 in Bremen,
Deutschland
mussten uns mit unserer eigenen Geschichte auseinandersetzen, um diese
anderen Menschen näher bringen zu
können. Bei „sputnike“ sind einheimische und zugereiste Jugendliche.
Dadurch habe ich viel von anderen
Kulturen erfahren, zum Beispiel ein
anderes Umgehen mit Kummer oder
in Streitsituationen. Ich glaube, dies
ist sehr wichtig, um andere Menschen
zu verstehen. Inzwischen habe ich einen ganz anderen Zugang zu Menschen gefunden und viele neue, mir
jetzt sehr wichtige Freunde!
Durch das Tanzen habe ich eine
nette Choreografin kennen gelernt.
Sie will mich zukünftig unterstützen. Wenn ich es irgendwie schaffe,
möchte ich später anderen Menschen
das Tanzen beibringen und eigene
Choreografien entwickeln. Dies ist
ein sehr, sehr langer Weg, aber ich arbeite hart dafür, dass aus dem Tan-
zen als Hobby mein Beruf wird. Ich
kann jedem nur raten, sich ebenfalls
etwas zu suchen, für das man Interesse entwickelt. Und man sollte offen
auf andere Menschen zugehen, auch
wenn es mal Streit gibt. Nicht alle
Menschen sind gleich. Wenn ich einmal schlechte Erfahrungen gemacht
habe, muss dass beim nächsten Mal
nicht genauso sein. Außerdem ist die
Verschiedenheit der Menschen etwas
Schönes. Dadurch können wunderbar
bunte Bilder entstehen. Es wäre doch
schrecklich, wenn wir alle dasselbe essen oder anziehen würden, alle das
gleiche Auto fahren oder es nur eine
Lieblingsfarbe geben würde. Die Welt
wäre dann zum Beispiel nur rot!
Also formuliere deine eigenen
Ziele und Wünsche und bringe alle
Kraft dafür auf, damit sie Wirklichkeit werden. Auch wenn nicht alles
klappt, steh wieder auf!
Foto: sputnike/SWK (2)
Oft werde ich gefragt, wieso ich so
gut Deutsch spreche. Dabei bin ich
in Deutschland aufgewachsen. Ich
denke, die Frage hat damit zu tun,
dass ich eine dunkle Hautfarbe habe.
Trotzdem finde ich das merkwürdig, da es doch mittlerweile sehr
viele Menschen mit dunkler Hautfarbe gibt, die in Deutschland geboren
wurden. Selbst in der Fußballnationalmannschaft ist ja ein Spieler, der
keine helle Hautfarbe hat!
Meine Eltern sind 1983/84 während des Bürgerkrieges aus Eritrea geflüchtet, weil meine Mutter
schwanger war und ihre Kinder in
Frieden aufwachsen sollten. Der Familienzusammenhalt ist für mich sehr
wichtig. Dort habe ich mein Rückzugsgebiet. Besonders von den Erfahrungen meiner großen Schwester
konnte ich sehr viel lernen. Sie ist ein
Vorbild für mich, gibt mir Mut und
Tipps für meinen Lebensweg, findet
bei Problemen immer eine Lösung.
Bevor ich zu „sputnike <jungeKultur> im CJD Nienburg“ kam, habe ich
im Sportverein Turnen und Leichtathletik trainiert. Über das Turnen
bin ich mit dem Tanzen in Berührung
gekommen. Das Team von „sputnike“ ist wie eine richtige Familie. Wir
können über alles reden. Wenn wir
uns etwas für die Shows ausdenken,
geschieht dies immer gemeinsam.
Wir bekommen alle Hilfe und Unterstützung, die wir benötigen, um das
Ausgedachte auf der Bühne umzusetzen. Anfangs hatte ich eigentlich gar
keine Lust mitzumachen. Ich wollte
nur tanzen, aber irgendwie kam dann
alles zusammen: Wir haben tanzen,
singen, schauspielern gelernt und
40
„Sport erleichtert die Integration“
Foto: Stark
Oliver Trisch
Mitte vorn Artur Stark
Artur Stark, Ayse Darama, Lasher Kurun und Viktor Reimchen waren als
Vorbilder für den Bereich Sport eingeladen. Über die Form des biografischen Erzählens und einer anschließenden Frage- und Diskussionsrunde
sollte beantwortet werden, welche
Stolpersteine und welche unterstützende Faktoren sie auf ihrem Lebensweg begleitet haben und welche Rolle der Sport in ihrem Leben spielte
bzw. spielt.
Das erste Kurzreferat hielt Artur
Stark, zurzeit Student der Fahrzeuginformatik. Er berichtete ausführlich
von seiner Sportart Volleyball. Darüber hinaus sprach er über seinen
Glauben, der für ihn ebenfalls ein
sehr unterstützender Faktor im Leben
war und ist.
Den zweiten Input gab Ayse Darama, die sich in der Ausbildung zur Erzieherin befindet. Sie spielt ebenfalls
Volleyball. Zuvor hat sie längere Zeit
Fußball gespielt, musste aber verletzungsbedingt die Sportart wechseln.
Lasher Kurun, Schüler eines Wirtschaftgymnasiums war der dritte Referent. Er informierte über die Selbstverteidigungstechnik Ju-Jutsu, die er
trainiert. Im Mittelpunkt seines Berichts stand die positive Auswirkung
des Sports auf sein Selbstbewusstsein.
Als letzter berichtete Viktor Reimchen über Bodybuilding und über das
Fitnessstudio, das er gemeinsam mit
Freunden zusammen betreibt. Alle
Energie und Freizeit stecken sie in ihr
gemeinsames Projekt, für das Viktor
gerade eine Ausbildung zum Fitnesstrainer absolviert.
Die anschließende Diskussionsrunde befasste sich zu Beginn mit
der Frage nach den Auswirkungen
des Sports auf die Persönlichkeitsentwicklung und das damit verbundene
Verhalten gegenüber anderen Personen. Von Seiten der Bodybuilder
– in der AG war eine Gruppe des Fitnesscenters anwesend – und des JuJutsu-Vertreters wurde mehrfach der
Aspekt der Selbstsicherheit hervorgehoben, der in konkreten Situationen
dazu geführt hat, sich entweder argumentativ oder körperlich angemessener verteidigen zu können. Darüber hinaus wurde von allen betont,
dass Sport den Willen und die Fähigkeit, persönliche Ziele ausdauernd
verfolgen zu können, stärkt und über
das Erreichen selbst gesteckter Ziele
Selbstsicherheit und Selbstbewusstsein aufgebaut bzw. gefördert wird.
Ein weiterer Aspekt berührte den
Zusammenhang zwischen Identitätsbildung und Sport. Zum einen ging
es hier um die Frage nach Rollenbildern, zum anderen wurde auch nach
Sporttraditionen in verschiedenen
Ländern gefragt: Etwa, ob in einzelnen Ländern bestimmte Sportarten
vorherrschend sind und ob dies auch
im Zusammenhang mit der heutigen
Sportwahl steht. Von den anwesenden Mitgliedern des Fitnessstudios, die alle russische Aussiedler sind,
wurde betont, dass in Russland Kraftsport eine lange Tradition hat und
auch sehr angesehen ist. Dies sei der
Grund, weshalb viele Jungendliche
und junge Erwachsene mit russischem
41
Migrationshintergrund diese Sportart
wählten. Ähnliche Sporttraditionen
wurden auch in Bezug auf Tischtennis
festgestellt. Dabei ging es beispielsweise um die Nation China, die in diesem Bereich sehr viele Erfolge aufzuweisen hat. Jedoch gab es in diesem
Punkt keine abschließende Klärung,
da es nicht möglich war, die einzelnen
Sportarten ausschließlich bestimmten
Ländern, Gruppen und Eigenschaften
zuzuordnen.
Ein weiterer diskutierter Aspekt
befasste sich mit weiblichen und
männlichen Rollenbildern. Ayse Darama berichtete von ihren wegen Verletzung abgebrochenen Fußballaktivitäten. Obwohl sie ohne größere
familiäre Auseinandersetzungen Fußball spielen durfte, wurden ihr auch
andere Sportarten nahe gelegt, die
angeblich besser zu ihr passten. Ähnliches berichtete eine andere Teilnehmerin der AG. Inwieweit das Ausüben bestimmter Sportarten bewusst
zum Aufbrechen von weiblichen und
männlichen Rollenbildern genutzt
werden kann, blieb eine offene Frage.
Einig waren sich alle darin, was
Sport einem geben kann: Ein positives Selbstbild und starke Gemeinschaft. Sport erleichtert die Integration, er verbindet – sowohl Menschen
als auch Nationen.
Mit Blick auf die gesamte Tagung
„Vorbildlich!“ wurde zusammengefasst:
• „Man hat viele Menschen mit verschiedenen Integrationshintergründen kennen gelernt.“
• „Man konnte sehen, welche Gemeinsamkeiten man mit anderen
hat, zum Beispiel bei der Übung
ICH – ICH NICHT.“
• „Es konnten viele Erlebnisse und
Erfahrungen ausgetauscht werden.“
• „Ich habe gelernt, dass viele Menschen mit Migrationshintergrund
in Deutschland erfolgreich sind.“
Foto: sputnike/SWK
Es wurden mehr Informationen zur
Unterstützung von Migrantinnen und
Migranten gefordert und es wurde
der Wunsch formuliert: „Stärken statt
Defizite sehen!“ bei Jugendlichen
und jungen Erwachsenen aus Zuwandererfamilien.
42
Vorbilder im Sport:
Artur Stark
geboren am 24. Dezember 1982 in
Lenina, Kasachstan; im Oktober 1990
mit den Eltern nach Deutschland eingereist
Ich habe die Schule in Kasachstan nur
drei Monate besucht, dann sind wir
nach Deutschland übergesiedelt. Hier
bin ich in die erste Klasse gekommen,
musste diese wegen meiner sprachlichen Schwierigkeit jedoch wiederholen. Sonst verlief die Schule bei mir
bestens. Ich musste mich nicht sonderlich anstrengen und hätte nach
der sechsten Klasse aufs Gymnasium
gehen können, wusste aber nicht, ob
ich dies schaffe und habe meinen Erweiterten Realschulabschluss als einer
der Besten in der Klasse gemacht.
In der Schule habe ich mich meistens als Außenseiter gefühlt. Bis zur
dritten Klasse sind wir dreimal umgezogen. Dadurch musste ich immer
neue Freunde finden, was ich bedaure, da die alten Kontakte gänzlich
verloren gingen. Nach der 10. Klasse
durfte ich eine Ausbildung als Werkzeugmechaniker anfangen. Nachdem
ich meine Ausbildung beendet hatte,
begann ich ein Studium als Fahrzeuginformatiker. Anfangs hat es mir sehr
viel Spaß gemacht, doch das Hauptstudium liegt mir nicht so sehr, aber
jetzt bringe ich es zu Ende.
In der 5. Klasse habe ich mit dem
Sport begonnen. Ich trainiere eine
Jugendmannschaft und spiele selbst
aktiv Volleyball. Hier kann ich mich
körperlich verausgaben und fit bleiben. Ich kann mit Freunden lachen,
toben und mich „auspowern“. Durch
den Sport erlebe ich viele schöne Momente und habe sehr viel Spaß. Am
besten ist es, gegen andere Mannschaften zu spielen, dabei den eigenen Leistungsstand zu überprüfen
und zu verbessern. Wenn man lange
gemeinsam Sport treibt, bleiben die
Freundschaften erhalten und brechen
nicht so schnell auseinander, auch
wenn man später andere Freunde
und Wege findet.
Am meisten in meinem Leben
hat mich jedoch der Glaube geprägt,
nicht der Sport, nicht die Schule und
nicht das Studium. Durch den Glauben habe ich gelernt, wer ich bin und
welchen Stellenwert das Leben hat.
Foto: Stark
Ayse Darama und Artur Stark
Ich weiß jetzt, woher ich komme und
wohin ich gehe. Dieses Leben ist zu
kurz um es zu vergeuden. Man sollte
es zu jeder Zeit lebenswert gestalten.
Anderen helfen und ihnen einen besseren Weg aufzuzeigen, ist mir wichtig. Leider haben sehr viele Menschen
den Glauben verloren, nur wenige
finden in einer Gemeinde ein Zuhause und ihren Seelenfrieden.
Obwohl meine Oma an Gott
glaubte, gehörten wir in Russland
keiner Gemeinde an und auch in
Deutschland haben wir erst eine besucht, als ich zwölf war. Mit 16 Jahren
habe ich eine bewusste Entscheidung
für Jesus getroffen. Ich habe erkannt,
dass es nur einen Gott gibt und nur er
kann mir ein erfülltes Leben geben.
Als ich 17 war, habe ich mich taufen
lassen. Ich bin frei evangelisch. Der
Glaube hilft mir und gehört zur meiner Identität.
Allen zugewanderten Menschen
kann ich nur empfehlen, zunächst die
deutsche Sprache zu lernen, damit sie
die Regeln, Kultur, Tradition und die
Menschen in diesem Land verstehen
und ihre Bedürfnisse ausdrücken können. Ich empfehle auch, sich irgend-
wo zu engagieren, um anderen zu
helfen und auch selbst ein freudiges
und erfülltes Leben zu haben.
Ich wünsche allen, hier ein Zuhause zu finden. Das bedeutet nicht,
sich in ein „gemachtes Nest“ zu setzen, sondern dass man dieses Zuhause durch Worte und Taten selbst errichtet. Nur so kann man eine neue,
glückliche und sinnvolle Existenz in
diesem Land aufbauen.
43
Lasher Mahir Doud Kurun
Foto: LAG JAW
geboren am 5. August 1989
in Göttingen, Deutschland
Fulya und Lasher Kurun
Meine Eltern stammen aus der Türkei. Meine Mutter ist Türkin und mein
Vater Kurde. Deshalb habe ich sowohl
türkische als auch kurdische Vornamen. Meine Mutter wurde in Istanbul
geboren und ist als Kind mit ihren Eltern nach Deutschland eingewandert.
Mein Vater kam als Student nach Göttingen. Dort haben sich die beiden an
der Universität kennen gelernt.
Meine beiden Brüder und ich sind
Deutsche. Als Ältester musste ich oft
auf sie aufpassen. Seit meinem sechsten Lebensjahr mache ich Ju-Jutsu
und trainiere seit einigen Jahren die
Sechs- bis Zehnjährigen. Da ich durch
meine Brüder gewöhnt bin, mich um
Jüngere zu kümmern, fällt mir diese
Aufgabe nicht schwer. Ich mache dies
wirklich sehr gern.
Vor zwei Jahren habe ich begonnen, einmal pro Woche nachmittags
als Betreuer in unserer Grundschule
zu arbeiten. Dort biete ich ebenfalls
Ju-Jutsu-Training an. Der Schulleiter war anfangs etwas skeptisch, ob
es gut sei, in unserem BrennpunktStadtteil einen Kampfsport zu trainie-
44
ren. Nachdem ich ihm die fernöstliche
Philosophie und den Grundgedanken der Selbstbeherrschung und Verteidigung von Ju-Jutsu erklärt hatte und meine Lehrerin Frau Ruß für
mich sprach, bekam ich den Betreuer-Job. Hierbei kam mir zu Gute, dass
ich mich schon mit Kindern auskannte und an der vorherigen Schule ein
Schülerpraktikum absolviert hatte.
Dass ich türkisch und etwas kurdisch
kann, ist in diesem ehrenamtlichen
Job ebenfalls von Vorteil, denn an der
Erich-Kästner-Grundschule sind viele
Migrantenkinder. Da ich selbst einen
Migrationshintergrund habe, werde
ich von den anderen akzeptiert und
sogar oft als Vorbild gesehen. Ich bin
nie ein Musterschüler gewesen und
weiß wovon ich spreche. Die Schüler
können mich nicht für dumm verkaufen.
Manchmal kommt es vor, dass ich
von den Lehrern gebeten werde, bei
Elterngesprächen zu dolmetschen. All
diese Aufgaben machen mir sehr viel
Spaß und ich habe schon viel im Umgang mit Kindern gelernt. Diese Erfahrungen kann ich gut gebrauchen,
denn ich möchte eventuell Lehrer für
Philosophie, Mathe und Sport werden.
Auf der Realschule war ich zwei
Jahre Klassensprecher und habe 2006
meinen erweiterten Abschluss gemacht. Danach bin ich auf das Wirtschaftsgymnasium gegangen, habe
dort aber festgestellt, dass diese
Schule nichts für mich ist. Nun mache ich ein freiwilliges Praktikum und
werde ab Sommer 2007 auf einem
Regelgymnasium in die Oberstufe gehen.
Meiner Erfahrung nach gibt es
gute und schlechte Lehrer, beides
habe ich kennen gelernt. Die guten
haben mich stets motiviert, nach einer Niederlage weiter zu machen.
Hier möchte ich besonders meinen
Ju-Jutsu Trainer Lenner Scharwächter, Frau Ruß, unseren Direktor Herrn
Drykluft und meine Klassenlehrerin Frau Ehrental nennen. Außerdem
wurde ich immer von meiner Familie
unterstützt.
Mein Motto ist, sich selbst treu
und „sauber“ zu bleiben – auch wenn
das mitunter sehr schwer fällt.
Viktor Reimchen
geboren 1985 in Omsk, Russland,
1993 Einreise nach Deutschland
halb besitzen die Schule, der Beruf,
das Studium und auch die Freizeitbeschäftigung eine große Bedeutung:
Denn wenn man nichts mit sich anzufangen weiß, kommt man nur auf
dumme Gedanken und das schadet
der Zukunft. Jugendliche aus Zuwandererfamilien sollten sich mehr integrieren und nicht nur mit ihren
Landsleuten, sondern auch mit Einheimischen Kontakte knüpfen.
Mein Wunsch für die Zukunft ist
es, meine persönlichen Ziele zu verwirklichen und mit unserem Fitnessstudio vielen anderen Jugendlichen
zu helfen.
Foto: Hoppenrath
Meine Freunde und ich trainierten
oft in einem großen Fitnessstudio.
Bodybuilding und Kraftsport haben
uns schon immer begeistert. Unser
großer Traum war es, ein eigenes Fitnessstudio zu besitzen, um anderen
Menschen den Sport etwas näher zu
bringen.
Darüber hinaus wollten wir Jugendlichen ermöglichen, für wenig
Geld diese Sportart auszuüben, um
nicht auf die schiefe Bahn zu gelangen. Nach einiger Zeit und langem
Sparen ergab sich die Möglichkeit,
aus einem Insolvenzverfahren die
komplette Einrichtung für ein Fitnessstudio zu erwerben.
Nachdem wir die Geräte hatten, fanden wir auch eine passende
Räumlichkeit, die dann dementsprechend umgebaut wurde. Als die Renovierungsarbeiten, für die wir teilweise unseren Urlaub nahmen, nach
zwei Wochen fertig waren, konnten wir am 1. April 2006 unser Fitnessstudio eröffnen. Wir fingen
damals mit 15 Mitgliedern – darunter einige Freunde – an. Inzwischen
trainieren bei uns ca. 60 Mitglieder
verschiedener Nationalitäten und Altersstufen, denn unsere Türen stehen
allen offen.
Wir stecken unsere ganze Freizeit in das Fitnessstudio. Wenn alles
gut läuft, eröffnen wir in Zukunft ein
zweites Fitnessstudio in der Nähe von
Cloppenburg.
Wir sind als Verein organisiert,
der sich „No Limits“ nennt. Meine Freunde und ich stellen den Vorstand. Alexander macht zurzeit das
Abitur, Heinrich absolviert eine Ausbildung zum Konstruktionsmechaniker, Toni studiert Soziale Arbeit an
der Hochschule Vechta und ich mache
zurzeit eine Ausbildung als Fitnesstrainer in Dorsten. Unser Weg führte
nicht immer geradeaus. Es gab Höhen
und Tiefen, aber unser Traum war
ein eigenes Fitnessstudio, und diesen
Traum hatten wir immer vor Augen.
Für uns ist es sehr wichtig, wie
man seine Zukunft gestaltet. Des-
Viktor Reimchen (Mitte) und Freunde vom Fitnesscenter
45
Schlusswort der Niedersächsischen
Ministerin für Soziales, Frauen, Familie und
Gesundheit, Mechthild Ross-Luttmann
Sehr geehrte Frau Winkler,
liebe Jugendliche,
meine sehr verehrten Damen und Herren,
Wir haben heute gleich mehrfach
Grund zur Freude:
• weil 2006 das Jahr der Jugend ist,
• weil 2006 auch das Jahr der Integration ist,
• und weil wir heute viele gute Beispiele für die gelungene Integration von jungen Leuten kennen gelernt haben.
Ich persönlich freue mich, dass ich
es trotz meines vollen Terminkalenders geschafft habe, heute wenigstens noch zum Abschluss der Tagung
„Vorbildlich! Jugendliche und junge Erwachsene aus Zuwandererfamilien“ hier vorbeizukommen und ein
Grußwort an Sie richten zu dürfen.
Zunächst aber möchte ich Frau Erpenbeck und ihrem Team für die gute
Idee danken, die Themen „Jugend“
und „Integration“ zu verknüpfen.
In diesen Tagen wird viel über Integration und das Zusammenleben
verschiedener Kulturen diskutiert.
Diese Diskussion darf nicht einseitig verlaufen, indem über die negativen Seiten gesprochen wird: Sprachprobleme, Kopftuchstreitigkeiten,
Zwangsheiraten und Integrationsprobleme. Das ist zweifellos wichtig.
Aber genauso wichtig, wenn nicht
gar viel wichtiger, ist es, die andere
Seite der Medaille kennen zu lernen:
von den Jugendlichen zu hören, die
nach Deutschland gekommen sind,
gerne hier leben, Freunde haben, integriert sind; von den deutschen Jugendlichen zu hören, die Freunde im
anderen Land haben, begierig sind,
fremde Kulturen kennen zu lernen.
Wir wissen alle aus eigener Erfahrung, dass es vor allem die positiven
Beispiele sind, die uns motivieren.
Deswegen ist es so wichtig und so
gut, dass ihr alle heute hier gezeigt
habt, wie es gehen kann – wie man
sich zurecht findet und Erfolg hat in
der Schule, in der Berufsausbildung,
im Bereich von Kunst und Kultur, im
Ehrenamt und im Sport.
46
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Im Niedersächsischen Jahr der Jugend
2006 ging es darum, den Blick auf die
Bedürfnisse, Anliegen und Interessen
von Jugendlichen zu lenken. Dabei
wollten wir nicht nur über, sondern
auch mit den Jugendlichen sprechen.
Zum Beispiel beim vierten Niedersächsischen Jugendforum, das am
5. und 6. Mai im Landtag in Hannover
stattgefunden hat. Rund 100 Jugendliche im Alter zwischen 16 und 25 Jahren aus allen Teilen Niedersachsens
haben mit Politikerinnen und Politikern kritisch und konstruktiv darüber
diskutiert, was sie beschäftigt. Auf
der Tagesordnung standen Themen
wie Jugendarbeitslosigkeit, Bildung,
Studiengebühren und Möglichkeiten
des Engagements, aber auch Fragen
der Zuwanderung und Integration.
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer
des Forums haben dazu Forderungen
in der „Agenda Jugendperspektiven
für eine Gesellschaft mit Zukunft“
formuliert. Und ich war beeindruckt,
wie sensibel und zugleich offen die
Jugendlichen mit diesem Thema umgegangen sind. Das ist keineswegs
selbstverständlich, denn wir beobachten andererseits auch, dass bei vielen jungen Menschen Sorgen vorhanden sind, die mit der Integration von
Zuwanderern zu tun haben. Das sind
in aller Regel keine grundsätzlichen,
ideologischen Bedenken, sondern
praktische Alltagsfragen:
• Wie können wir in der Schule den
Unterrichtsstoff bearbeiten, wenn
viele Kinder nicht richtig deutsch
sprechen?
• Werde ich eine Arbeitsstelle finden, wenn ich mit vielen Jugendlichen, auch aus anderen Ländern,
konkurrieren muss?
• Was bedeutet es für unsere Gesellschaft, wenn viele Menschen
mit anderen Kulturmustern darin
leben, die schwer integrierbar erscheinen?
Diese Tendenz lässt sich auch in der
aktuellen Shell-Jugendstudie nachlesen. Zusammengenommen, so die
Foto: sputnike/SWK
Studie, führen diese Faktoren offensichtlich zu einer emotionalen Schließung „nach außen“, beziehungsweise
zu einer verengenden Besinnung auf
den eigenen Kulturkreis. Man fühlt
sich zu Hause, verstanden und sicher,
wenn man sich in seinem gewohnten
kulturellen Umfeld bewegt. Das gilt
genauso für die deutschen wie für die
eingewanderten Jugendlichen.
Es erfordert Mut und eine gewisse Anstrengung, sich aus seinem
kleinen, gewohnten Zirkel herauszubegeben und auf andere Menschen
zuzugehen. Ihr alle werdet aber
die Erfahrung gemacht haben, dass
sich dieser Schritt auf die anderen
zu lohnt. Wer den anderen kennen
lernt, macht neue Erfahrungen. Er
lernt viel Neues kennen an Ansichten
und Gewohnheiten. Er stellt aber oftmals auch fest, dass vieles auch in anderen Kulturkreisen gar nicht so sehr
anders ist, als man es aus seinem eigenen Umfeld vielleicht kennt.
Eine gelungene Integration ist
eng verknüpft mit der sozialen Entwicklung der Gesellschaft insgesamt,
sie hängt aber auch von der sozialen
Kompetenz der einzelnen Jugendlichen ab. Integration, die gelingen
soll, erfordert immer Offenheit von
beiden Seiten: von Seiten des aufnehmenden Landes und der aufnehmenden Gesellschaft, aber auch von
Seiten der Menschen, die in einem
neuen Land ihre Heimat finden wollen.
Was verstehen wir eigentlich
unter Integration?
Sinngemäß bedeutet Integration zunächst einmal die „Eingliederung in ein größeres Ganzes“. Dabei
unterscheiden sich die Wünsche und
Hoffnungen zugewanderter Jugendlicher oft nur in Nuancen von denen
ihrer deutschen Altersgefährten. Sie
wünschen sich eine gleichberechtigte
Teilhabe an allen Bereichen unserer
Gesellschaft. Sie wünschen sich Erfolg
in Schule und Ausbildung, um selbstbestimmt und unabhängig leben zu
können.
Voraussetzung für solche Erfolge ist jedoch immer die Beherrschung der deutschen Sprache. Wer
den Unterricht im wahrsten Sinne des
Wortes nicht versteht, wer dadurch
auch der Aufgabenstellung nicht folgen kann oder sich nur unzureichend
mit Deutschen verständigen kann,
wird mit ziemlicher Sicherheit in der
Schule scheitern oder zumindest weit
hinter seinen eigentlichen Fähigkeiten zurückbleiben.
Wenn wir uns die Statistik anschauen, so haben allein im Schuljahr
2005/2006 über 18 Prozent der jungen Menschen ausländischer Herkunft die Schule ohne einen Hauptschulabschluss verlassen. Diese Zahl
muss uns mit Besorgnis erfüllen, denn
damit ist oft ein Weg des Scheiterns
und der Misserfolge vorgezeichnet.
Ohne Schulabschluss haben die jungen Menschen auch kaum eine Chance auf eine Ausbildung. Ungelernte Kräfte werden aber auf unserem
spezialisierten und globalisierten
Arbeitsmarkt immer weniger benö-
tigt. Die jungen Menschen fallen sozusagen von der Schulbank direkt
in die Arbeitslosigkeit. Es liegt auf
der Hand, dass diese Entwicklung
auch von negativen Gefühlen begleitet wird. Bei vielen Jugendlichen mit
Migrationshintergrund ist der Eindruck verbreitet: „Die wollen uns
nicht“. Frustration, Wut und Enttäuschung sind dann Gefühle, die man
dem Gastland entgegenbringt.
Oft ist auch das Aufwachsen in
einem anderen Kulturkreis mit anderen Normen und Wertvorstellungen
ein Grund für Schwierigkeiten – zum
Beispiel im Hinblick auf die Rolle der
Frau. So können sich zahlreiche Probleme für beide Seiten ergeben. Die
Aufnahmegesellschaft vermisst eine
hinreichende Integrationsbereitschaft, die sich etwa im Erlernen der
Sprache zeigt. Die zugewanderten
Menschen andererseits vermissen
Chancen und Perspektiven. Das kann
so weit gehen, dass sie sich von gewaltbereiten religiösen Strömungen
oder von extremistischen politischen
Parolen angezogen fühlen.
Hier ist auch die Politik gefordert, die Weichen so zu stellen, dass
eine solche Entwicklung nicht eintritt.
Die Landesregierung hat deshalb das
Handlungsprogramm „Integration in
Niedersachsen“ erarbeitet, in dem die
laufenden Programme und Maßnahmen zusammengefasst sind. Nach der
Devise „fördern und fordern“ spricht
das Programm beide Seiten an: Zugewanderte genauso wie Einheimische. Denn damit ein harmonisches
Miteinander gelingen kann, müssen
beide Seiten aufeinander zu gehen.
Das Handlungsprogramm umfasst die
Bereiche Sprache, Bildung und gesellschaftliche Teilhabe. Darüber hinaus
geht es um die Förderung von Ausbildung und Arbeit, um familienstärkende Maßnahmen, Angebote zu
Prävention und Sicherheit sowie die
Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements.
Mein Kabinettskollege, Kultusminister Bernd Busemann, hat darüber
hinaus eine Reihe von Maßnahmen
zur besseren schulischen Integration
vorgelegt. Dazu gehört vor allem die
Sprachförderung, die bereits im Vorschulalter ansetzt. Sprachtests vor der
Einschulung und gegebenenfalls ver-
47
pflichtende Sprachförderkurse tragen
dazu bei, Defizite und Sprachbarrieren abzubauen. Gerade Kinder lernen
sehr schnell und sehr gut unsere Sprache, wenn sie noch relativ klein sind.
Ein weiteres Bündel von Maßnahmen dient der Profilierung der
Hauptschule, die zu Unrecht oft als
„Restschule“ abqualifiziert wird. Dabei geht es vor allem um einen erfolgreichen Übergang von der Schule
in den Beruf und eine Verbesserung
der Ausbildungsfähigkeit. Vergleichbare Ziele verfolgen auch die als
Schulversuch an mehreren Berufsbildenden Schulen eingeführten Berufseinstiegsklassen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Schwerpunkte bei der schulischen,
beruflichen und sozialen Integration
von Migranten setzt das Land Niedersachsen auch bei der Kooperation von Schule und Jugendhilfe. Ein
wichtiges Beispiel ist unter anderem
das „Integrations- und Präventionsprogramm PRINT“, das zwar am 31.
Dezember ausläuft, an das wir jedoch
mit dem neuen Programm PIK-AS in
ähnlicher Form anknüpfen werden.
PRINT ist ein Programm zur Integration zugewanderter Kinder und
Jugendlicher und zum Abbau von
Fremdenfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft. Das besondere an diesem
Programm ist die Bündelung präventiver Maßnahmen an so genannten
„sozialen Brennpunkten“, ergänzt
durch Nachmittagsangebote in den
Schulen.
Zukünftig wollen wir Erziehungsund Bildungspartnerschaften abschließen, in die außer der Schule
und der Jugendhilfe auch das Elternhaus eingebunden wird. Eltern verpflichten sich dann ausdrücklich, ihre
Kinder bei ihren Integrationsbemühungen voll zu unterstützen. Das ist
ein wichtiger Schritt zur Integration,
weil viele Eltern bislang oft nur unzureichend über die Arbeit der Schule
und der Jugendhilfe informiert sind
und diese daher als „fremd“ empfinden. Sie werden nun mit „ins Boot
geholt.“ Davon profitieren die Jugendlichen genauso wie ihre Eltern,
die dann ebenfalls besser Bescheid
wissen, wie die Bildungsstruktu-
48
ren in unserem Land aufgebaut sind
und welche Fähigkeiten und Kompetenzen ihrer Kinder erwartet und gefördert werden sollen.
Einen zusätzlichen Schwerpunkt
setzen wir künftig auch bei der Gesundheitsförderung.
An der Nahtstelle von Schule, Ausbildung und Beruf setzt die Jugendberufshilfe des Landes an. Denn wir
alle wissen, der beste Weg zur erfolgreichen gesellschaftlichen Integration
für Jugendliche – egal ob zugewandert oder einheimisch – besteht noch
immer darin, einen Ausbildungs- und
einen Arbeitsplatz zu erhalten. Ich
habe die Schwierigkeiten bei der Integration in den Arbeitsmarkt, besonders für Jugendliche mit Migrationshintergrund, bereits angesprochen.
Ohne Arbeit zu sein ist nicht nur eine
Frage des Geldes, sondern auch eine
Frage des Selbstwertgefühles. Ein
junger Mensch, der schon zu Beginn
seines Arbeitslebens das Gefühl hat,
unsere Gesellschaft braucht ihn nicht,
und der auch nach diversen Weiterbildungsprogrammen keine realistische
Perspektive für sich sieht, wird sich
kaum aktiv um Integration bemühen.
Das ist einer der Grundgedanken, die
hinter den vom Land geförderten 44
Pro-Aktiv-Centren und den über 100
Jugendwerkstätten steht, durch die
die Jugendberufshilfe in Niedersachsen eine besondere Qualität erhält.
Rund 30 % der von den Pro-AktivCentren erreichten jungen Menschen
haben einen Migrationshintergrund.
Bei der Jugendberufshilfe geht es
nicht darum, Beschäftigungsmaßnahmen zu entwickeln, um sich von
Jahr zu Jahr „weiterzuhangeln“, sondern es werden passgenaue Lösungen für die Betroffenen erarbeitet.
In diesem Zusammenhang möchte
ich auf ein Papier des Arbeitgeberverbandes BDA verweisen, in dem
dazu aufgefordert wird, das „Potential von Migrantenkindern zu entfalten.“ In dem Papier betont der BDA:
„Mehrsprachigkeit und Interkulturalität sind nicht Defizite, sondern ausgesprochene Stärken und Chancen
der Zuwandererkinder: Die Vielfalt
der Kulturen kann in der Globalisierung zu einem produktiven Wettbewerbsfaktor werden. Mitarbeiter mit
interkulturellen Kompetenzen werden wichtiger, wenn auch das wirt-
schaftliche Umfeld immer mehr diversifiziert.“ Die Arbeitgeber sprechen
in diesem Zusammenhang sogar von
den „Schlüsselkompetenzen der Zukunft.“ Das ist ein Gedanke, den wir
meines Erachtens in Zukunft verstärkt
fortentwickeln müssen, statt nur auf
die Defizite zu schauen.
In diesem Zusammenhang möchte
ich auch das Ehrenamt ansprechen.
Während des zurückliegenden Jahres
der Jugend haben wir gesehen, dass
sich viele Projekte in der Jugendarbeit besonders um einen integrativen
Ansatz bemühen. Das ist ein Aspekt,
der mir besonders am Herzen liegt,
weil hier ohne aufwendige staatliche Begleitung und ohne „erhobenen
Zeigefinger“, gleichaltrige, junge
Menschen zusammenarbeiten. Sie
treiben Sport zusammen, engagieren sich im kulturellen Bereich oder
unterstützen einander in besonderen
Lebenslagen. Das ist wirklich gelebte
Integration.
Im September durfte ich in Lüneburg zwei Jugendliche ehren, die als
Spätaussiedler nach Niedersachsen
gekommen sind. Diese beiden Jungs,
Timo Melenberg und Alexander Beier, bieten seit dem Jahr 2004 Mitternachtssport in Bleckede im Landkreis
Lüneburg an. Das PRINT-Projekt, von
dem ich vorhin berichtet habe, und
die Polizei Bleckede haben die beiden
Jungs unterstützt, so dass das nächtliche Sportangebot zweimal im Monat stattfinden kann. Ca. 20 bis 25
Jugendliche versammeln sich regelmäßig, um gemeinsam Fußball, Basketball oder andere Sportarten zu
betreiben. Ganz nebenbei lernen sie
dabei auch fair play und tun etwas
für ihre Gesundheit. Für die ländlich
geprägte Region Bleckede ist diese Sportveranstaltung ein wichtiger
Baustein im Freizeitangebot für Kinder und Jugendliche, der hervorragend angenommen wird. Timo und
Alexander wurden geehrt, weil sie
durch ihren persönlichen Hintergrund besonders guten Kontakt zu
Jugendlichen aus Spätaussiedlerfamilien finden konnten und sich durch
eine hohe Zuverlässigkeit, viel Selbstständigkeit und ein großes Verantwortungsbewusstsein ausgezeichnet
haben. Ich war sehr beeindruckt, wie
selbstbewusst und ganz selbstverständlich die beiden von ihrem Projekt erzählt haben.
Foto: sputnike/SWK
Solche jungen Leute, zu denen
auch ihr, liebe Jugendliche gehört,
brauchen wir in unserem Land. Leute, die nicht jammern, sondern handeln. Die nicht klagen, sondern sich
einsetzen und so die Welt vor Ort ein
kleines Stückchen verbessern.
Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Eigentlich brauche ich Ihnen nichts
über Integration zu erzählen, denn:
Sie leben und praktizieren sie bereits.
Das gilt besonders für die jungen und
jung gebliebenen Erwachsenen, die
berichtet haben wie sie, trotz aller
Widerstände, ihren „Weg gemacht
haben.“ Sie haben Schule und Ausbildung erfolgreich absolviert und
haben nun einen Arbeitsplatz oder
stehen zumindest kurz davor. Sie sind
im Kultur- und Sportbetrieb oder im
sozialen Bereich engagiert. Und ohne
die eine gegen die andere Gruppe
ausspielen zu wollen, muss ich sagen: So strebsam und engagiert sind
längst nicht alle einheimischen Jugendlichen. Zu Ihrem vorbildlichen
Einsatz möchte ich Ihnen heute sehr
herzlich gratulieren. Sie haben Tatkraft und Zielstrebigkeit unter Beweis
gestellt und gezeigt, was man errei-
chen kann, wenn man ein Ziel vor Augen hat. Das ist besonders wichtig für
andere junge Menschen mit Migrationshintergrund, weil sie erleben, dass
man es schaffen kann, wenn man sich
bemüht. Daher möchte ich Sie ausdrücklich auffordern, unbescheiden
zu sein. Gehen Sie nach draußen und
erzählen Sie anderen, was Sie erreicht
haben. Denn auch wir, die Vertreterinnen und Vertreter der Aufnahmegesellschaft, können von Ihnen etwas
lernen.
„Die Ausländer“, wie sie so oft in
Stammtischgesprächen beschworen
werden, gibt es nicht. In Niedersachsen leben mehr als 500.000 Ausländerinnen und Ausländer aus fast 200
Nationen. Das sind mehr als 500.000
unterschiedliche Schicksale, unterschiedliche Einstellungen und unterschiedliche Kompetenzen. Diese Vielfalt kann für unser Land eine
immense Bereicherung sein. Und ich
denke, das haben Sie mit der heutigen Veranstaltung eindrucksvoll bewiesen.
Für Ihre persönliche und berufliche Zukunft wünsche ich Ihnen allen
alles Gute und viel Erfolg. Bewahren
Sie Ihren Schwung und stecken Sie
uns und andere damit an!
49
Kontaktadressen
Landesarbeitsgemeinschaft
der Jugendsozialarbeit in Niedersachsen (LAG JAW)
Kopernikusstr. 3
30167 Hannover
Telefon 0511 12173-0
[email protected]
www.nord.jugendsozialarbeit.de
MOZAIK gemeinnützige Gesellschaft
für interkulturelle Bildungs- und Beratungsangebote mbH
Wilhelmstr. 5–7
33602 Bielefeld
Telefon 0521 96682-0
[email protected]
www.mozaik.de
Mozaik Consulting
Bewerber- und Jobbörse im Internet
Ansprechpartner:
Dipl.-Ing. Fuat Atasoy
Wilhelmstr. 5–7
33602 Bielefeld
Telefon 0521 96682-60
[email protected]
www.fachkraefte-interkulturell.de
Deutsches Institut
für Menschenrechte
Zimmerstraße 26/27
10969 Berlin
Telefon 030 259359-0
E-Mail-Kontaktformular
www.institut-fuer-menschenrechte.de
Anti-Bias-Werkstatt
Kinzigstr. 9
10247 Berlin Telefon 030 97002381
[email protected]
www.anti-bias-werkstatt.de
START-Niedersachsen
Schülerstipendien für begabte
Zuwanderer
Landeskoordinatorin Katrin Warnke
Landesschulbehörde,
Abteilung Osnabrück
Mühleneschweg 9
49090 Osnabrück
Telefon 0541 314307
[email protected]
www.start.ghst.de
AFS „American Field Service“
Interkulturelle Begegnungen e. V.
Postfach 50 01 42
22701 Hamburg
Telefon 040 399222-0
[email protected]
www.afs.de
50
MaßArbeit-kAöR
Außenstelle Melle
Haferstr. 37
49324 Melle
Telefon 05422 96257-0
[email protected]
www.maßarbeit.de
Caritas Sozialwerk Vechta
Projekt RAN
Neuer Markt 30
Telefon 04441 8707-646
[email protected]
www.caritas-sozialwerk.de
PACE (Pro-Aktiv-Center)
bei der AWO Celle
Heese 18
29225 Celle
Telefon 05441 902718
[email protected]
http://www.awo-celle.de
Gesellschaft für Arbeitsvermittlung
und Qualifizierungsförderung e. V.
Totenweg 1
26386 Wilhelmshaven
Telefon 04421 9810-13
[email protected]
www.wilhelmshaven.de/wirtschaft_
verkehr/869.htm
Projekt gEMiDe
Wilhelm-Bluhm-Str. 20
30451 Hannover
Telefon 0511 2135363
[email protected]
www.gemide.org
Projekt Rucksack
Landesarbeitsgemeinschaft Soziale
Brennpunkte
Stiftstraße 15
30159 Hannover
Telefon 0511 7010709
[email protected]
www.lag-nds.de
sputnike <jungeKultur>
im CJD Nienburg
Von-Philipsborn-Str. 2
31582 Nienburg/Weser
Telefon 05021 910257
[email protected]
www.sputnike.de
Verzeichnis
der Referent/innen
und Moderator/innen
Dimitra Atiselli
Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendsozialarbeit
in Niedersachsen (LAG JAW)
Thomas Böhme
Niedersächsische Staatskanzlei
Cemalettin Özer
MOZAIK gemeinnützige Gesellschaft für interkulturelle
Bildungs- und Beratungsangebote mbH, Bielefeld
Mechthild Ross-Luttmann
Niedersächsische Ministerin für Soziales, Frauen, Familie
und Gesundheit
Claudia Schanz
Niedersächsisches Kultusministerium
Oliver Trisch
Deutsches Institut für Menschenrechte /
Anti-Bias-Werkstatt, Berlin
Gerhard Wienken
Landesarbeitsgemeinschaft der Jugendsozialarbeit
in Niedersachsen (LAG JAW)
Marianne Winkler
Büro der Ausländerbeauftragten des Landes Niedersachsen
Christian Wulff
Ministerpräsident des Landes Niedersachsen
und der
Journalistinnen
Stephanie Billib
Mirjana Ilić
Marina Kormbaki
Anett Schweitzer
9
Familienprojekt Migration
Alles in Bewegung
Schriftenreihe
der Ausländerbeauftragten
des Landes
Niedersachsen
Niedersachsen
10
Schriftenreihe
der Ausländerbeauftragten
des Landes
Niedersachsen
Bezug
Niedersächsisches Ministerium
für Inneres und Sport (MI)
– Ausländerbeauftragte –
Postfach 2 21
30002 Hannover
auslaenderbeauftragte@
mi.niedersachsen.de
Niedersachsen
Integration vor Ort