Porträt Das Opfer von einst wehrt sich jetzt

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Porträt Das Opfer von einst wehrt sich jetzt
23.01.2015
Porträt
Das Opfer von einst wehrt sich jetzt
Kripobeamter Oliver Pohl erklärt, wie Kinder sich gegen Bedrohung schützen können
Als Kind wurde Oliver Pohl in Jever überfallen. Jetzt erklärt der Kripobeamte Kindern, wie sie sich gegen Bedrohungen und Gewalt schützen können.
Karsten Krogmann
Hat 14 Kampfsportarten erlernt: Kriminalhauptkommissar Oliver Pohl, Einsatztrainer beim Landeskriminalamt Schleswig-Holstein
Bild: Karsten Krogmann
Jever/Kiel Sie waren zu viert oder zu fünft, so genau weiß er das nicht mehr, auf jeden Fall waren sie älter als er, größer, stärker. Sie packten ihn und
zerrten ihn in diesen Garagenhof, irgendwo in Jever, irgendwann in den Siebzigern. Sie: das war eine Bande, er: das war nur ein kleiner dicklicher Junge,
acht Jahre alt. Der dickliche Junge hatte fürchterliche Angst, „lasst mich gehen“, flehte er, „ich verrate euch nicht“, er weinte.
Er weiß nicht mehr, was sie zu ihm sagten oder was sie von ihm wollten. Er weiß nur: Dieses Gefühl der Hilflosigkeit wollte er nie wieder erleben.
In Schlagweite
„Bleiben Sie da mal stehen“, sagt Oliver Pohl. Er streckt seine 191 Zentimeter durch, ballt die Fäuste, geht in Angriffsstellung, kaum zwei Meter vor
einem. „Na“, ruft er, böser Blick, „bin ich jetzt gefährlich?“
In seinen Selbstbehauptungsseminaren fragt er das auch immer die Seminarteilnehmer.
Ja, antworten die Seminarteilnehmer dann fast immer, natürlich sind Sie gefährlich: weil Sie groß sind. Durchtrainiert. Ihre Fäuste ballen.
„Falsch“, Oliver Pohl lächelt, „jetzt bin ich nicht gefährlich!“ Sein Fuß schnellt nach vorn, er bleibt in der Luft hängen. „Sehen Sie es? Meine längste Waffe
kann Sie nicht erreichen!“
Er geht einen Schritt nach vorn, in Trittweite, in Schlagweite. „Und? Bin ich jetzt gefährlich?“
Das, sagt Oliver Pohl, ist die erste Frage: Ab wann wird es eigentlich gefährlich?
In Jever ging ein kleiner dicklicher Junge, sein Name war Oliver, zum Judo-Unterricht. Er wollte beim nächsten Mal besser vorbereitet sein.
Ein grauer Bürowürfel am Stadtrand von Kiel, eine Nebenstelle des Landeskriminalamtes Schleswig-Holstein, dritter Stock, Zimmer 11:
Kriminalhauptkommissar Oliver Pohl, 44 Jahre alt. An der Schranktür hängt der SEK-Kampfanzug, Pistolentasche. In zwei Stunden muss er zum
Schießtraining, Großkaliber; der kleine dickliche Junge aus Jever arbeitet heute als Einsatztrainer bei der Polizei.
Na klar, möchte man rufen: der Garagenhof in Jever! Judo! Ausdauertraining am Klettergerüst der Realschule am Dannhalm! Die Ausbildung beim
Bundesgrenzschutz! Und jetzt jagt der kleine dickliche Junge von einst als großer schlanker Polizist die bösen Buben. Aber so einfach ist das dann doch
nicht.
Denn das, sagt Oliver Pohl, ist die zweite Frage: Wie schaffe ich es, im entscheidenden Moment richtig zu handeln?
August 1992, ein Hubschrauber sinkt auf Rostock-Lichtenhagen herab. Unten steht ein brennendes Haus. Oliver Pohl ist 21 Jahre alt, er hat eine
Tochter, Merle-Marie, sie ist vier Wochen alt. Menschen werfen Brandsätze auf andere Menschen. Steine. Worte. Die Polizei ist hilflos. Und Oliver
Pohl, der durchtrainierte Bundesgrenzschützer, denkt an seine Tochter und spürt: Ich könnte sterben. Mitten in Deutschland.
Als er wieder zu Hause ist, rutscht er in eine Sinnkrise. Er kündigt. Geht zur Abendschule. Arbeitet als Krankenpfleger. Und kehrt dann doch zurück, er
geht zur Kriminalpolizei. Inzwischen hat er fünf Kinder; Merle-Marie, die Älteste, ist 22, der Jüngste 4.
Aber etwas ist anders. „Rostock-Lichtenhagen hat mein Leben verändert“, sagt Pohl. Da war jetzt diese Unruhe. Muss nicht jeder irgendwie einen
Beitrag leisten, damit die Welt besser wird?
Er wurde Ausbilder. Er engagierte sich politisch, ging zu den Grünen. Er gab Selbstbehauptungskurse an der Volkshochschule. Er organisierte SpendenLäufe.
In seinem Kriminalhauptkommissarbüro hängt eine dreidimensionale Deutschlandkarte an der Wand. „Da“, zeigt Pohl, sein Finger startet in Kiel, „bin ich
langgelaufen.“ 2008 lief er in 16 Tagen durch 16 Bundesländer. 2012 lief er in drei Tagen von Kiel bis nach Jever zum Kindergarten Steinstraße, den
einst ein kleiner dicklicher Junge besuchte. Er übernahm eine Patenschaft für den Kindergarten. Und als Pate kehrt er jetzt zurück, um einen Vortrag für
Eltern zu geben: Wie kann sich Ihr Kind gegen Bedrohung wehren?
Noch eine Frage, sagt Pohl: Warum greift Sie jemand an?
In seinen Seminaren antworten die Seminarteilnehmer meistens: Weil er frustriert ist. Weil er Geld haben will. Oder Sex.
„Falsch“, sagt Oliver Pohl: „Weil er sich überlegen fühlt!“
Er zeigt ein Youtube-Video, eine Schlange greift ein Kaninchen an. Aber was macht das Kaninchen? Es sitzt nicht da wie ein Kaninchen vor der
Schlange. Es hüpft herum, schnappt nach der Schlange. Die Schlange flüchtet.
„Das Kaninchen durchbricht das Muster“, sagt Pohl.
Das heißt nicht, dass die Kinder zurückbeißen sollen. „Um Himmels Willen“, sagt Pohl, „nein! Selbstverteidigung ist vor allem die Beschäftigung im Kopf
mit Dingen, die passieren können. Und das Training, die richtige Handlung im entscheidenden Moment abrufen zu können.“
Ein Beispiel: Wenn ein Erwachsener ein Kind wegzerren will, kann sich das Kind fallen lassen.
Der kleine dickliche Junge hätte sich natürlich nicht fallen lassen können. „Aber“, sagt Pohl, „er hätte vielleicht das kleine AWB anwenden können:
ablenken, befreien, weglaufen. Er hätte sich den Schwächsten aus der Bande herauspicken können. Ihn vielleicht wegschubsen können. Losrennen. Wenn
die Bande ihn verfolgt, gewinnt der Schnellste. Aber wahrscheinlich tut sie es nicht.“
Eine Studie des Kriminologischen Instituts Hannover hat gezeigt, dass 85 Prozent aller Täter ihre Übergriffe bei Gegenwehr sofort stoppten.
Der richtige Moment
Letztlich, sagte Oliver Pohl, geht es um Selbstvertrauen. Der kleine dickliche Junge in Jever hatte es nicht, der große schlanke Polizist in Kiel hat es. Und
das versucht er weiterzugeben in Vorträgen und Seminaren, bundesweit.
„Ich muss los“, sagt Oliver Pohl in Kiel, „ich muss eine Schießprüfung abnehmen.“ Er schlüpft in seinen SEK-Anzug, er wird schmutzig werden, sie
schießen in Bewegung, Ernstfallsimulation. Er lächelt: „Eigentlich ist das ein Nicht-Schießtraining“, sagt er, „Es geht darum, im entscheidenden Moment
die richtige Handlung abzurufen. Und eben nicht zu schießen.“
Internetseite von Oliver Pohl <http://sicheres-kind.de/>
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