Dem ältesten aber bin ich ein fremdes Kind geblieben
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Dem ältesten aber bin ich ein fremdes Kind geblieben
164 Kießling, Wolfgang: Absturz in den kalten Krieg – Rudolf und Leo Zuckermanns Leben zwischen nazistischer Verfolgung, Emigration und stalinistischer Maßregelung, Heft zur DDR-Geschichte, Berlin 1999, S.18. 165 Romeyk, H.: Landé, S. 11. 166 Er wurde im September 1942 nach Auschwitz deportiert und ermordet. 167 Aufzeichnungen von Bettina Lande Tergeist, Ermont, Juli 2000. Ulrike Schrader „Dem ältesten aber bin ich ein fremdes Kind geblieben …“ Neuigkeiten über den Maler Alfred Jacob Schüler, den Bruder der Dichterin Else Lasker-Schüler Bekannt ist, dass die Dichterin Else LaskerSchüler (1869–1945), das „Nesthäkchen“ der Elberfelder jüdischen Familie Schüler, ihre Eltern über alles liebte. Den Vater Aron (1825–1897) verklärte sie vor allem in ihrer Prosa zum ewig streichespielenden und junggebliebenen, weißhaarigen Schelm, die melancholische Mutter Jeanette, geb. Kissing (1838–1890) darüber hinaus in zahlreichen Gedichten zum eigentlichen dichterischen Genie der Familie. Unter ihren fünf älteren Geschwistern waren es vor allem der jüngste der drei Brüder, Paul Carl (1861–1882) und die zweite der Schwestern, die fünf Jahre ältere Anna (1863–1912), zu denen sie ein besonders inniges Verhältnis hatte. Paul widmete sie z.B. die beiden mit Bewunderung und Zuneigung gezeichneten Prosaskizzen „Die Eisenbahn“ und „Die Eichhörnchen“ sowie das Gedicht „Du, mein.“, das einem Gebet gleichkommt. Der frühe Tod Paul Schülers, der eine geplante Konversion zum Katholizismus verhinderte,1 hat für die damals Dreizehnjährige vermutlich einen ersten lebensgeschichtlichen Bruch bedeutet – sie sollte ihr 1899 geborenes Kind später nach dem Bruder nennen und diesem über alles geliebten, ebenfalls früh, 1927 gestorbenen Sohn ein Grabmal setzen, das dem ihres Bruders auf dem Elberfelder jüdischen Friedhof an der Weißenburgstraße fast zum Verwechseln ähnlich ist.2 Zu ihrer Schwester Anna, die wie sie in Berlin lebte, pflegte Else Lasker-Schüler ein schwesterlich-vertrautes Verhältnis. Die beiden jungen Ehefrauen und Mütter halfen sich gegenseitig, wenn die Kinder beaufsichtigt werden mussten, bei Umzügen, in Krankheitsfällen und bei akuten finanziellen Problemen.3 Auch nach Annas Tod 1912 fühlte sich Else dem Schwager, dem Opernsänger Franz Lindwurm- Alfred Schüler (1858-1938). – Foto: Stadtbibliothek Wuppertal. 93 „Zwei Segelboote“, Aquarell und Guache von Alfred Schüler, 1920. – Hamburger Kunsthalle, Bildarchiv Preußischer Kulturbesitz. – Foto: Elke Walford. Lindner (1857–1937) eng verbunden und versuchte, ihn zu unterstützen, wo sie konnte. Die Beziehungen zum zweitältesten Bruder Maximilian Moritz (1859–1907)4 und zu Martha Theresia (1862–1920), die nach 1902 mit ihrer Tochter Alice nach Chicago auswanderte und dort auch starb, waren vermutlich nicht sehr intensiv, aber doch nicht so schlecht, dass Lasker-Schüler sich darüber kritisch geäußert hätte. Im Gegenteil: Alle diese vier Geschwister und dazu die geliebten Eltern bildeten für Else Lasker-Schülers zahlreiche poetische Kindheitserinnerungen den personellen Rahmen, gleichsam die Wächter ihres Paradieses.5 Darin stört – zu ihrem Kummer – nur eine Figur: die des ältesten Bruders. So schreibt sie: Dem ältesten aber bin ich ein fremdes Kind geblieben, er war viel älter als ich, und da er sich selten im Elternhause aufhielt, gelang es mir nicht, ihn zwischen uns auf eine Schnur zu 94 reihen. Ich phantasierte mit Hilfe meines Märchenbuchs vom verirrten Königssohn, denn seine Bruderschaft gestaltete sich mir in jedem Jahr schleierhafter und mysteriöser. Bis er mich einmal bei seiner Ankunft zu Hause zwischen Portieren hervorzog, hinter denen ich mich, von seinem faszinierenden Wesen behext, versteckt hatte und mir einen Schlag wegen meiner Unhöflichkeit ins Gesicht gab. „Zum Andenken“. Die Ursache gänzlicher Entfremdung zwischen ihm und mir, zwischen Schwester und Bruder, der Eltern gleichgeliebten Kindern.6 Mit welcher Leidenschaft und Selbstlosigkeit allerdings die Schwester Jahrzehnte später für ihren verarmten, in Hamburg lebenden Bruder Fürsprache bei der Hamburger Stadtprominenz leisten sollte, bezeugen die Briefe, die sich im Hamburger Staatsarchiv fanden.7 Im Mai 1930 traf sie ihn sogar persönlich in Hamburg und schrieb am 25.11.1930 an Baro- nin Selma von der Heydt über diese Begegnung: Auch traf ich vor ungefähr einem halben Jahr meinen ältesten noch einzig lebenden Bruder Alfred in Hamburg – den Maler. Ich hatte ihn seit Kind nicht gesehen. Es ging ihm bitter schlecht. Das Museum in Hamburg hat ihm nun einige große Aquarelle abgekauft, das erhebt ihn wieder.8 Diese Hilfeleistung für Alfred Schüler durch den Kauf der Bilder war auf die dringende Bitte Else Lasker-Schülers hin geschehen. In den Hamburger Senatsakten, „betreffend Maler Alfred Schüler 1930“, befindet sich ein Brief von Edgar von SchmidtPauli, Berlin, an den Hamburger Bürgermeister Dr. Petersen vom 30.8.1930: Die Dichterin Else Lasker-Schüler, zurzeit in Kolberg/ Pommern, hat sich hilfeflehend für ihren 71 Jahre alten Bruder, den Maler Alfred Schüler-Kissing, Hamburg, Andreasstraße 20, an mich gewandt. Er lebt schon, wie sie mir schreibt, seit einem halben Leben in Hamburg und sie fand ihn einsam und fast verhungert vor. Er soll die goldene Medaille des Pariser Salons erhalten haben und im goldenen Buch von Berlin stehen. Sein Sohn ist im Krieg gestorben, von seiner Frau ist er geschieden. Er soll auch chemische Erfindungen gemacht haben, über die die Hamburger Presse geschrieben hat.9 Und in einer weiteren Notiz, einer Zusammenfassung eines Briefes des Direktors der Hamburger Kunsthalle, Professor Dr. Pauli, vom 8.11.1930 steht: Herr Alfred Schüler, der Bruder der Schriftstellerin Else Lasker-Schüler, wohnhaft Hamburg 39, Andreasstraße 20 V, ist ein begabter, intelligenter und sympathischer alter Herr von 72 Jahren. Er lebt in äußerster Armut und wurde in den letzten zwei Jahrzehnten von vielem Unglück verfolgt. Eine interessante und sehr wertvolle Erfindung von elastischem Email ist für ihn ohne Frucht geblieben, da er inzwischen total verarmte und in die Hände eines ungetreuen Geschäftsmannes geriet.10 Im Zusammenhang mit den Recherchen für das Buch „Niemand hat mich wiedererkannt …“11 konnten nach und nach mehr Details über diesen Bruder herausgefunden werden, der für Kenner und Kennerinnen Else Lasker-Schülers vor allem deshalb mysteriös ist, weil seine Biografie weitgehend unerschlossen ist – bis jetzt noch nicht einmal sein Todesdatum bekannt war,12 obwohl er als Kunstmaler einige Werke hinterlassen hat und in Paris 1898 sogar mit der „Mention honorable“ ausgezeichnet wurde.13 Auch über die Zeit seines Studiums, vor allem an der Münchener Akademie, müsste noch mehr herauszufinden sein. Einen kleinen Hinweis auf die Münchener Zeit gibt ein Brief Else Lasker-Schülers vom 17.5.1911 aus München an Karl Kraus: Lieber Dalai-Lama, hier ist eine Baronesse kerngesund im Irrenhaus, die frühere Braut meines Bruders. Ich muß sie erst erlösen. Ihr Vormund glaubt es selbst nicht, daß sie irr sei.14 Im „Täglichen Anzeiger für Berg und Mark“ vom 24.9.1886 wird ein Ölbild („altes Mütterchen in der bekannten bergischen Tracht“) von Alfred Schüler beschrieben, das in der Kunsthandlung Löwenstein an der Wallstraße ausgestellt war, und der Elberfelder Dichter Otto Hausmann (1837-1916) würdigte den Maler in der Monatsschrift des Bergischen Geschichtsvereins und erwähnt darin einen „Studienkopf einer alten Frau“, der sich damals im Besitz des Bergischen Geschichtsvereins befunden habe.15 In den im Hamburger Staatsarchiv befindlichen Senatsakten für die Kunstpflege existiert ein Brief Else LaskerSchülers, der Portraits des kleinen Sohn(es) des ehem. Botschafters von Richthofen und des ehemaligen Vizepräsidenten der Bürgerschaft: Johannes Halben erwähnt.16 Das Lexikon von Singer erwähnt einen Besuch bei den Ursulinerinnen.17 Keines dieser namentlich nachgewiesenen Bilder konnte bislang gefunden werden, nur zwei Aquarelle, beides Motive mit Segelschiffen, sind im Bestand der Hamburger Kunsthalle erhalten.18 Mit großer, freundlicher Hilfe von Herrn Jürgen Sielemann, Mitarbeiter des Hamburger Staatsarchivs und aktives Mitglied des Hamburgischen Vereins für jüdische Genealogie, konnten einige Informationen zusammengetragen werden, die über das hinausgehen, was in dem oben genannten neueren Buch über ElseLasker-Schüler bereits publiziert ist. Zum ersten Mal meldete sich Alfred Schüler am 26.7.1899 in Neuengamme Nr. 87 bei Herm. Stahlbecheck zum vorübergehenden 95 Aufenthalt an.19 Ein zweiter Vermerk vom 28.2.1900 besagt, dass der p. Schüler (…) anfangs October 1899 ohne Abmeldung verzogen sei. Weitere Eintragungen auf dieser Meldekarte, deren Kartei bis 1925 geführt wurde, gibt es nicht.20 Im Hamburger Adressbuch von 1902 ist der „Kunstmaler“ Alfred Schüler zum ersten Mal erwähnt, und zwar mit der Adresse Rothenbaumchaussee 1. 1903 und 1904 ist dieselbe Adresse angegeben, zusätzlich aber noch eine „Wohnung“ in der Hudtwalckerstraße 22. In späteren Jahrgängen tauchen auch die Adressen Andreasstraße 20 (1926, 1927, 1931) auf, die Adresse, die auch Else Lasker-Schüler in ihrem Brief von 1930 nennt und die offensichtlich die Firmen- bzw. Atelieradresse war. Die zweite, 1932 von der Schwester angegebene Adresse, Sierichstraße 168 bei Friedrichson, konnte in den entsprechenden Adressbüchern nicht verifiziert werden. Am 1.6.1897 hatte Alfred Schüler die am 27.9.1859 in Hamburg geborene Jüdin Louise Goldzieher geheiratet.21 Ob er mit seiner Frau auch Kinder hatte, kann anhand der Dokumente im Hamburger Archiv ebensowenig nachgewiesen werden wie eine Scheidung. Allenfalls lässt sich feststellen – wiederum anhand der Adressbücher – dass Louise Schüler, „Frau A. Schüler“, zuweilen als Haushaltsvorstand (Sierichstraße 40) und ihr Mann mit anderen Adressen eingetragen sind (1929 bis 1931: Frau A. Schüler: Sierichstraße 40, Alfred Schüler, Kunstmaler, Andreasstraße 20, Wohnung: Hudtwalckerstraße 22). Denkbar ist, dass das Ehepaar zumindest zeitweise getrennt gelebt hat. Am 26.1.1917 meldete Schüler unter dem Namen „Alfred Jacques Schüler“ ein Gewerbe als „Fabrikant“ an – womöglich ist damit seine Tätigkeit als „Erfinder“ gemeint, denn in den Bemerkungen des „Gewerbeanmeldungsscheins“ ist notiert: Inhaber eines Emaillierwerkes. Noch am 2.5.1929 (Schüler war bereits 70 Jahre alt!) meldete er nochmals ein Gewerbe an, offensichtlich getrieben durch akute Geldnot: Eingetragen wurde das Gewerbe: Beurteilung des Charakters auf Grund von Handschriften sowie der Kopf- und Gesichtsformen.22 Das zumindest vorläufig letzte gefundene Dokument zur Biografie des ältesten Bruders 96 Else Laskers-Schülers ist seine Todesbescheinigung. Aus ihr geht hervor, dass der „Kunstmaler“ Alfred Schüler, wohnhaft Hudtwalckerstraße 22, im Universitäts-Krankenhaus Eppendorf am 3. Juli 1938 um 23.30 Uhr an Anämie, Greisentum und Herzschwäche im Alter von fast 80 Jahren gestorben ist.23 Da es keinen Hinweis auf die Zugehörigkeit zu einer jüdischen Gemeinde gibt, Alfred Schüler also entweder konvertiert, aus der jüdischen Gemeinschaft ausgetreten ist oder sich einfach gar nicht bei der Gemeinde angemeldet hat, ist es unwahrscheinlich, dass er auf einem jüdischen Friedhof in Hamburg beerdigt wurde und deshalb womöglich noch ein Grab zu finden wäre. Louise Schüler, geb. Goldzieher, die spätestens seit Alfreds Tod in der Hudtwalckerstraße 22 lebte, wurde, obwohl irgendwann zum Protestantismus übergetreten, mit Schreiben vom 17. Mai 1940 Zwangsmitglied der „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“, hatte die entsprechenden Sonderabgaben zu entrichten und alle anderen judenfeindlichen Diskriminie- Die Zeichnung Alfred Schülers stellt die Pflegerin seiner Schwester Anna Lindwurm-Lindner dar, 1912 – Foto: Stadtbibliothek Wuppertal. rungen zu ertragen, die das nationalsozialistische Regime für die ihm verhasste Minderheit erfand. Zwei mit zittriger Hand geschriebene Briefe von ihr mit der Bitte um Erlassung der zusätzlichen Zahlungen sind im Hamburger Archiv erhalten. Am 24. März 1943 wurde sie aus dem „Judenhaus“ Beneckestraße 6 nach Theresienstadt deportiert und ist dort oder in einem Vernichtungslager, 84jährig, umgekommen. Von den sechs Geschwistern der Familie Schüler haben der älteste Bruder und die jüngste Schwester am längsten gelebt – Alfred wurde fast 80 Jahre alt, Else fast 76. Seit 1920, nachdem die Schwester Martha Theresia gestorben war, waren sie die einzigen noch lebenden und auch die einzigen, die die Zeit des Nationalsozialismus noch erlebten. Beide waren künstlerisch begabt – wobei die Schwester sich vermutlich kaum auf ein künstlerisches Gespräch eingelassen hätte – zu sehr unterschied sich ihre Auffassung von der eher traditionellen akademischen Landschafts- und Portraitmalerei des Bruders. Was aber auch immer zwischen Schwester und Bruder gestanden haben mag: Dass die Dichterin auch nicht den ältesten vergessen hat, beweist nicht nur ihre Großherzigkeit in den Jahren 1930 und 1932, sondern durchaus auch ihre Dichtung. Melancholisch erinnert sich Else Lasker-Schüler in dem 1942 erschienenen Gedicht Ueber glitzernden Kies:24 Könnt ich nach Haus … Die Lichte gehen aus, Erlischt ihr letzter Gruss. Wo soll ich hin? O Mutter mein, weißt du’s? Auch unser Garten ist gestorben. Es liegt ein grauer Nelkenstrauss Im Winkel wo im Elternhaus – Er hatte grosse Sorgfalt sich erworben. Umkraenzte das Willkommen an den Toren Und gab sich ganz in seiner Farbe aus. O liebe Mutter! … Versprühte Abendrot, Am Morgen weiche Sehnsucht aus _ Bevor die Welt in Schmach und Not. Ich habe keine Schwestern mehr; Und keine Brüder. Der Winter spielte mit dem Tode in den Nestern – Und Reif erstarrte alle Liebeslieder. Anmerkungen: 1 Bauschinger, Sigrid: Else Lasker-Schüler. Ihr Werk und ihre Zeit, Heidelberg 1980, S. 25. 2 Auch der zweite Sohn der Familie Schüler, Maximilian Moritz, hatte seinen Sohn „Paul“ genannt. Vielfach wurde das Foto aus dem Bestand der Stadtbibliothek Wuppertal, das Moritz mit seinem Sohn zeigt, als Moritz mit seinem Neffen Paul Lasker-Schüler identifiziert, z.B. in: Klüsener Erika/Pfäfflin, Friedrich: Else LaskerSchüler 1869–1945. Marbacher Magazin 71/ 1995 (Doppelheft), Marbach 1995, Abb. Nr. 13. Das Kind auf dem 1897 gemachten Bild ist aber etwa zwei Jahre alt und kann daher nicht Paul Lasker-Schüler sein, der erst 1899 geboren wurde. 3 Vgl. dazu die Briefe an Anna Lindwurm-Linder aus der Berliner Zeit vor allem bis 1907. 4 Mit freundlicher Hilfe von Herrn Peter Elsner, Stadtarchiv Wuppertal, konnte herausgefunden werden, dass Moritz in Godesberg gestorben und auf dem jüdischen Friedhof in Köln-Deutz beerdigt worden ist (Täglicher Anzeiger vom 14.1.1907, StAW). Der Grabstein existiert noch und ist gut erhalten. Vgl. Schrader, Ulrike: „Niemand hat mich wiedererkannt“. Else LaskerSchüler in Wuppertal, hrsg. vom Trägerverein Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal e.V., Wuppertal 2003, hier: S. 109. 5 Moritz kommt sogar einmal an entscheidender Stelle vor – wenn auch nur in Gestalt des typisch schwesterlichen Wunsches nach einem „großen Bruder“. Lasker-Schüler schreibt in einem Brief vom 6.10.1900 an Ludwig Jacobowski: Ich bin so schändlich und zwar öffentlich von Herrn Houben beleidigt worden, daß ich nur im Moment gewünscht habe, daß mein Bruder dagewesen wäre, der hätte ihn sicherlich geohrfeigt. (Lasker-Schüler, Else: Werke und Briefe. Kritische Ausgabe, hg. von Norbert Oellers, Heinz Rölleke und Itta Shedletzky, (hier: KA) Band 5, S. 21). Problematisch war wohl das Verhältnis zur Familie von Moritz Frau Anna, geb. Philipp. Am 5.1.1907, wenige Tage vor Moritz Tod, schrieb Lasker-Schüler an ihre Schwester, offensichtlich besorgt auch wegen finanzieller An- 97 6 7 8 9 10 11 12 13 gelegenheiten: Liebe Anna. Unter strengster Discretion – Du weißt also nichts davon: Ich schrieb heute an Anna Ph. Zunächst nach Elberfeld. Adressiert. Wenn nicht dort nachzusenden oder zurück. Herrlicher ruhiger, liebenswürdiger Brief. Es muß Jemand in die Hand nehmen. Pass mal auf. – Dein Glück so. (…) Wie geht es Moritz bitte genau schreiben. (KA 5, S. 75f). aus: der Versöhnungstag (1925), in: KA 4.1., S. 100f. Sie sind vollständig erstmals abgedruckt in: „Niemand hat mich wiedererkannt …“, s. Anm. 4, S. 38f. Zitiert nach: Marbacher Magazin, a.a.O., S. 215. Staatsarchiv Hamburg (hier: StAH), Senatskommission für die Kunstpflege, Eb. 305. Ebd. s. Anm. 4. So auch nicht in einer der jüngeren Publikationen: Garweg, Udo: Wuppertaler Künstlerverzeichnis, hg. vom Von der Heydt-Museum Wuppertal, Wuppertal 2000 (S. 361). Dresslers Kunstjahrbuch, hg. von Oskar Dressler, 7. Jg., Rostock 1913, S. 870. Andere Erwähnungen finden sich in: Allgemeines Lexikon der Bildenden Künstler, begr. von Ulrich Thieme und Felix Becker, 30. Bd., Leipzig 1936; Allgemeines Künstler-Lexicon. Leben und Werke der berühmtesten Bildenden Künstler, hg. von Hans Wolfgang Singer, 4. Band, Frankfurt am Main 1920. 14 KA 5, S. 196. 15 Jahrgang 13 (1906), S. 87f. Beide Texte sind abgedruckt in: „Niemand hat mich wiedererkannt …“, a.a.O., S. 37. Ob es sich bei dem Bild um die Zeichnung handelt, die sich heute in der Stadtbibliothek befindet, ist wohl nicht zu klären. 16 Brief Else Lasker-Schülers vom 22.10.1930, abgedruckt in: „Niemand hat mich wiedererkannt …“, a.a.O., S. 38. 17 S. Anm. 13. 18 Abgedruckt in: „Niemand hat mich wiedererkannt …“, a.a.O., S. 36f. 19 StAH: 332–8 Meldewesen, A 30, Einwohnermeldekartei 1892–1925. 20 Das ist eigentlich ein Hinweis darauf, dass Schüler bis 1925 nicht mehr nach Hamburg zurückgekommen ist. Das ist aber nicht der Fall, wie Einsichten in die Hamburger Adressbücher ergeben. 21 StAH: Meldekarte der Mutter Marianne Goldzieher, geb. Meyer (4.2.1831 in Svendborg, Dänemark – 25.10.1907 in Hamburg), 332–9 Meldewesen, A 30, Einwohnermeldekartei 1892– 1925. 22 StAH: 376–4, Zentralgewerbekartei VIII Cc1. 23 StAH: 352–7 Gesundheitsbehörde, Todesbescheinigungen, 1938 3c, Nr. 914. 24 KA 1.1., Nr. 370. Sigrid Lekebusch Reformierte Stimmen aus dem Wuppertal zu den staatlichen und kirchlichen Neuordnungen 1918/19 Vor 75 Jahren etablierte sich das erste demokratische System in Deutschland. Die Ziele der jungen Republik, Bollwerk gegen die Revolution zu sein, zur Überwindung des Militarismus beizutragen, mit dem gleichen Wahlrecht den Abstand zwischen den sozialen Schichten zu verringern, hatten keine Chance, sie gingen in den mächtigen, immer lauter artikulierten Gruppeninteressen unter. Der ‚Rufmord‘, der sich in den Schlagworten „Verrat“, „Dolchstoßlegende“, „Versailles“ manifestierte, wurde von fast allen gesellschaftlichen 98 Gruppen mitgetragen. Die evangelische Kirche, deren Glieder dem national-konservativen Bürgertum zugerechnet werden müssen, teilte diese Einstellung weitgehend. Doch für sie verschärfte sich die Situation insoweit, als die Kirche mit dem Untergang der Monarchie obendrein ihre kirchliche Spitze verloren hatte, denn das Kaiserhaus und die Landesfürsten hatten bis 1918 außerdem die oberste Kirchengewalt (Summepiskopat) inne. Die historisch bedingte enge Verflechtung zwischen evangelischer Kirche und Staat zwang nun die Kirche,