Ballett Intern 1/2007 - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik
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Ballett Intern 1/2007 - Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik
BALLETT INTERN Herausgeber: Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik e. V. – Heft 76/30. Jg. – Nr. 1/Januar 2007 – ISSN 1864-1172 Umstürzler und Versöhnender – 19 77 BA LL 20 07 E 30 T T Ja IN hr T e – ER N Maurice Béjart 80 Jahre Liebe Leser, ein gesundes und erfolgreiches neues Jahr voller Ideen wünschen wir Ihnen. Und natürlich hoffen wir wie immer, dass auch BALLETT INTERN inspirierend wirkt, ob für den (Tanz)-Unterricht, für den nächsten Theaterbesuch oder als Anregung, ein hier angesprochenes Thema persönlich zu vertiefen. Zu letzterem könnte dieses Heft vermutlich besonders anregen, denn wir stellen in der vorliegenden Ausgabe verschiedene Institutionen vor allem im deutschsprachigen, aber auch im europäischen Raum vor, die sich auf unterschiedlichste Art für den Tanz engagieren. Rückblickend kann man sagen, dass im Jahr 2006 eine Bündelung der Kräfte begonnen hat. Nicht nur mit der Gründung der Ständigen Konferenz Tanz (SKT) und dem ersten Treffen des Beirats Tanz im »Rat für darstellende Kunst und Tanz«, sondern auch durch Veranstaltungen im Rahmen des »Tanzplan Deutschland«. Es bewegt sich einiges – und das ist gut so. Anlässlich seines 80. Geburtstages würdigt BALLETT INTERN – innen und außen – natürlich den Jahrhundert-Choreographen und Tanzpreis-Träger Maurice Béjart. Und noch jemand feierte Geburtstag: Dick O’Swanborn, der den meisten von Ihnen persönlich bekannt sein dürfte. Bis zum nächsten Heft, das in diesem Jahr ausnahmsweise noch vor der Tanzpreis-Verleihung erscheinen wird, grüßen Sie herzlich Ulrich Roehm und Dagmar Fischer BALLETT INTERN ist die Mitgliederzeitschrift des Deutschen Berufsverbandes für Tanzpädagogik e. V. (DBfT) und liegt der Zeitschrift »tanzjournal« fünf Mal als Supplement bei. Beide Zeitschriften gehen den Mitgliedern des Verbandes kostenlos zu. Nichtmitglieder können BALLETT INTERN abonnieren: Deutschland € 7,50, europäisches Ausland € 12,00 (jeweils inkl. Porto/Versand) je Ausgabe. ISSN 1864–1172 Redaktion dieser Ausgabe: Ulrich Roehm (verantwortl.), Dagmar Fischer ([email protected]) Autoren dieser Ausgabe: Volkmar Draeger (Berlin), Dagmar Fischer (Hamburg), Michael Freundt (Berlin), Klaus Geitel (Berlin), Silvia Kargl (Wien), Frank-Manuel Peter (Köln), Angela Rannow (Dresden), Ulrich Roehm (Essen), Ira Werbowsky (Wien), Gabriele Wittmann (Hamburg) Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion oder des Herausgebers wieder. Der Nachdruck, auch auszugsweise, ist ohne ausdrückliche Genehmigung der Redaktion nicht gestattet. Für unverlangt eingesandte Manuskripte und für Terminangaben wird keine Gewähr übernommen. Die Redaktion behält sich das Recht vor, Leserbriefe zu kürzen. Manuskripte gehen in das Eigentum der Redaktion über. Titelbild: Eine Choreographie von Maurice Béjart, entnommen aus dem Bildband »Béjart tanzt das XX. Jahrhundert« vom Fotografen und Bruder Alain Béjart, Antwerpen 1978 Herausgeber: Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik e. V., (DBfT) Hollestraße 1, D–45127 Essen Tel.: +49(0)201 – 22 88 83 Fax: +49(0)201 – 22 64 44 Internet: www.dbft.de – www.ballett-intern.de Bankverbindung: Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik e. V., Nationalbank Essen, Konto-Nr. 111627, BLZ 360 200 30 IBAN IBAN DE 95 3602 0030 0000 1116 27 BIC NBAGDE3E Druck: Jütte-Messedruck Leipzig GmbH Ostwaldstraße 4 – 4329 Leipzig Gestaltung: Ulrich Roehm, Frank Münschke dwb Realisation: Klartext Medienwerkstatt GmbH 45327 Essen, Bullmannaue 11 – www.klartext-medienwerkstatt.de +49(0)201 – 9222 535 (Frank Münschke) Anzeigen und Beilagen: Gültige Preisliste: 1/05 Nächste Ausgabe: Heft 2/2007 erscheint Anfang April 2007 Redaktionsschluss: 10. März 2007 Anzeigenschluss: 15. März 2007 Annahmeschluss Beilagen:20. März 2007 BALLETT Heft 1/2007 INTERN Umstürzler und Versöhnender Maurice Béjart wurde 80 Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 Von Klaus Geitel Zwischen Fest und Arbeitstreffen Der Deutsche Kulturrat feierte seinen 25. Geburtstag in Berlin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 Von Dagmar Fischer 20th World Congress on Dance Research Athen, Oktober 2006 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 Von Ulrich Roehm Vorsicht: Fusion! »Zeit des Tanzes« beim Österreichischen Kulturrat . . . . . . . 11 Von Silvia Kargl und Ira Werbowsky Vom Abenteuer der Drehung Wiesenthal-Symposium, Oktober 2006 . . . . . . . . . . . . . . 12 Von Frank-Manuel Peter »M. for Marcia« Hommage an Marcia Haydée auf DVD. . . . . . . . . . . . . . . 14 Keine neue Krankenversicherung Aber was ist eigentlich die BBTK? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Von Dagmar Fischer In liebendem Gedenken mit frischen Spuren in Dresden Zum 120. Geburtstag von Mary Wigman . . . . . . . . . . . . . 16 Von Angela Rannow Zwischen Curaçao, Holland und Japan Dick O’Swanborn zum 65. Geburtstag . . . . . . . . . . . . . . . 18 Von Dagmar Fischer »… Eigenbrötelei, Engstirnigkeit und Eitelkeit …« Verhinderte Bündelung der Kräfte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Von Dagmar Fischer Beirat Tanz Neugründung im Deutschen Kulturrat . . . . . . . . . . . . . . . . 20 Von Gabriele Wittmann Schmerz kennt keine Nationalität Impressionen von der 16. euro-scene Leipzig . . . . . . . . . . 21 Von Volkmar Draeger »Bewegungsmelder« Das deutsche Zentrum des ITI tagte in Leipzig . . . . . . . . . . 22 Von Michael Freundt Engagement für den Tanz, regional und international 30 Jahre Ballettfreunde Hamburg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 Von Dagmar Fischer Kurz und bündig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Seminarhinweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 Liebe Leser, haben auch Sie Erfahrungen gemacht mit neuen Schülern/ Tanzinteressierten, die aufgrund der Fernsehreihe „You can dance“ mit Tanzunterricht beginnen wollen und mit falschen Erwartungen und Vorstellungen über einen bestimmten Tanzstil in Ihre Schule kamen? Bitte schreiben Sie uns unter: [email protected] Ballett Intern 1/2007 Umstürzler und Versöhnender Maurice Béjart wurde 80 Jahre von Klaus Geitel »Ich mag Béjart gern, seine Freundlichkeit, seinen herzlichen Humor, seine Generosität«. So begann ich 1970 das Vorwort zur Sammlung meiner Béjart-Kritiken aus den vorangegangenen neun Jahren, die damals als schmales Bändchen erschienen. Eigentlich wäre diesem Ausspruch der Freundschaft und Bewunderung nichts Grundsätzliches hinzuzufügen. Aber nun sind weitere fünfunddreißig Jahre vergangen, Béjart, der anscheinend ewig junge, beging am 1. Januar des James-Bond-Jahres 007 seinen achtzigsten Geburtstag, und da will ich in alter Anhänglichkeit an sein dahinsprühendes Leben und sein nicht weniger sprühendes Werk natürlich zumindest in Gedanken bei ihm sein. Berlin hat sich mit Vorliebe immer wieder französische Künstler, die daheim noch nicht den ganz großen Durchbruch zum Ruhm erzielt hatten, herausgepickt und ihrer Karriere auf die Sprünge geholfen. Der erste war im abgelaufenen Jahrhundert der Filmregisseur René Clair, der »Unter den Dächern von Paris« gedreht hatte, aber zu Haus damit nicht so reüssierte wie unter den Dächern der Berliner Kinos. Später pickte Friedrich Luft, die »Stimme der Kritik«, in einem winzigen Pariser Theaterchen den Mimen Marcel Marceau auf, ließ ihn nach Berlin einladen und startete damit unversehens Marceaus Weltkarriere. Maurice Béjart ging es nicht anders. Am 25. September 1957 gastierte er mit seinem winzigen »Ballet-Théâtre de Paris« im Rahmen der Festwochen in einem kleinen Saal der Kongresshalle und machte derart Furore, dass man ihn und seine Truppe mit weit geöffneten Armen alsbald aufs Neue empfing. Dann aber gleich für vier Wochen und mit vier verschiedenen Programmen im großen Steglitzer Titania Palast. Nie wieder hat B Berlin eine andere Ballettcompagnie derart beherbergt und zu einem vergleichbaren Gastspiel empfangen, das in diesem Falle die Freie Volksbühne ausrichtete. Berlin und die Welt gierten nach Neuem. Damit knauserte Maurice Béjart nie. Er war Umstürzler und Versöhnender immer zugleich. Er verschränkte virtuos die Stile: die Klassik mit der Moderne, die neueste Musik mit der traditionellen. Er war jung, und er vertraute der Jugend. Er genoss ihre Abenteuerlust und machte sie zu der seinen. Er sprengte den herkömmlichen Theaterraum auf und zog in riesige Hallen, Arenen, den Zirkus. Er saugte dort ein ganz neues Publikum an und gemeindete es der allgemeinen Tanzbewunderung ein. Er gründete Tanzschulen fernöstlich philosophischen Zuschnitts. Er beförderte mit seinem Engagement an das Théâtre Royal de la Monnaie in die belgische Hauptstadt, wie es Sir Frederick Ashton so hübsch ausdrückte, »Brüssel zum ersten Mal auf die kulturelle Landkarte Europas«. Aus Brüssel hat, nach 27 Jahren des Welterfolgs, erst Gerard Mortier Béjart, diesen Rivalen im Geiste vertrieben. Béjart konnte das im Grunde ganz gleichgültig sein. Er gründete seine Truppe neu in Lausanne und ließ sie weitertanzen wie zuvor. Doch er war in Lausanne unversehens ins Abseits geraten. Allerorten versuchte man, in seine Schuhe zu treten. Es fiel ihm aber allmählich schwerer, mit sich selbst und seinem künstlerischen Anspruch Schritt zu halten. Es war selbst für ihn nicht mehr so leicht wie zuvor, Béjart zu ein. Aber war das überhaupt je leicht gewesen? Manchmal säte er nicht mehr mit leichter Hand Neuheit am laufenden Band. Er begnügte sich mit choreographischem Ackern, der verdammten Fleißarbeit, die eine Truppe in Schwung C hält, und man rieb ihm den zögerlichen Abbau an innovatorischen Kräften gern hohnvoll unter die Nase. Dabei hatte er keine Sekunde lang diese Vorhaltungen der Missgunst, der Undankbarkeit verdient. Diese Ungerechtigkeit dürfte ihn am Ende denn doch gekränkt haben. Ein einziges Mal nur habe ich ihn wirklich wütend erlebt. Das war, als er vom Millionen-Dollar-Betrag erfuhr, den der Nachlass Rudolf Nurejews auf den Auktionen erzielt hatte. Er selbst, versicherte er, besäße nach lebenslanger unermüdlicher Arbeit so gut wie nichts: eine kleine Wohnung, einen Tisch, ein paar Stühle, ein Bett. Das wäre alles. Es hat ihn aber nicht gehindert, ein Meisterwerk nach dem andern zu schaffen, junge Künstler, junge Künstlerinnen, leuchtend in ihrem frischen Talent, nachdrücklich herauszustellen. Liest man die Liste der Mitglieder seiner Compagnien, findet man aus dem Staunen kaum noch heraus. Alles begann mit dem »Sacre«. Oder auch nicht. Denn da war ja schon die »Sonate à trois« gewesen, diese faszinierende choreographische Umdichtung zu Bartók-Musik von Sartres »Huis Clos«, in ihrer Ausweglosigkeit und Atemlosigkeit, ohne Aussicht auf Erlösung, gefangen. Da war natürlich die »Symphonie pour un homme seul« zu konkreter Musik mit dem unvergesslichen Bild des am Hängeseil verzweifelt in die Freiheit D F G E H I flüchtenden Tänzers. Nach diesem exemplarischen Aufgalopp ins Herz des Neuen, des Aufrührerischen, des erbarmungslos Ruppigen, kam erst Strawinsky mit dem »Sacre« zu Wort. Bald kannte es jeder. Jeder bewunderte es. Selten schien eine Choreographie derart zeitlos und dennoch zuhöchst aktuell. Sie wurde der Ankergrund Béjarts für alles Kommende. Zunächst einmal die Gründung des »Balletts des Zwanzigsten Jahrhunderts« in Brüssel. Tatsächlich schien im Nachhinein mit dem Auftritt Béjarts auf der Tanzbühne das 20. Jahrhundert erst richtig und mit explosiver Anschaulichkeit begonnen zu haben. Béjart verbrüderte sich nachdrücklich der ganzen Welt – und dies nicht nur im Schlusssatz seiner Choreographie zu Beethovens 9. Sinfonie. Er nahm die Ängste und Sorgen der Zeit ebenso ernst wie ihre Triumphe. Er installierte sich als gezielt politisch denkender Choreograph. Aber dies nicht auf immer und ewig und um jeden Preis. Dazu gab es viel zu viel Unterschiedliches, das ihn verlockte. Zunächst einmal die Technik des klassischen Tanzes. Er stieg in den Ballettsaal, um beim täglichen Excercice, das er nun seiner Compagnie selber gab, seine choreographische Kurzatmigkeit zu bekämpfen, weit geschwungene Tanzlinien zu entwickeln und zu lernen, sie zu benutzen. Das Ergebnis kam »Ohne Blumen und Kränze« daher: als bewundernde Hommage an Marius Petipa zu immer wieder abbrechender Tschaikowsky-Musik. Natürlich wurde ausgiebig Richard Wagner gehuldigt, nicht nur im »Tannhäuser«-Bacchanal, auch in den Wesendonck-Liedern, deren Melodie eine Kette weiß gewandeter Tänzerinnen und Tänzer in die Düsternis des bürgerlichen Salons zeichnete. Es kam in »Bakhti« die Überrumpelung durch Indien und alsbald auch durch den fernen Osten. Béjart wuchs sich aus zum choreographierenden Weltgewissen. Und so wundert es im Grunde J auch nicht, dass er sein Erbe in japanische Hände legte. Sie werden es treu zu bewahren verstehen. In vielen schriftstellerischen, poetischen Deklarationen hat Béjart seine Ziele in Buchform dargestellt, sie deutlich zu machen versucht. Am genialsten freilich immerfort auf der Bühne. Auf ihr installierte er vor aller Augen und Sinnen das »Abenteuer Béjart«. Abschätzig hätte man diesen Béjart auch als einen »Karl May des Tanzes« geißeln können. Das aber hinderte ihn nicht, aus dem wohlerworbenen Ruhm immer wieder in Neuland aufzubrechen: ein choreographischer Wanderer zwischen allen Welten, dem Tanz, dem Leben, der Versöhnung, der Jugend zunutze. Dafür sei ihm ein für allemal nachdrücklich gedankt. ■ Ballett Intern 1/2007 1) 1@ 1# 1! Ein Blick in das künstlerische Leben Maurice Béjarts: 1 Michèle Seigneuret und Maurice Béjart in »Le Teck lors de la création«, Marseille 1956 2 Maurice Béjart 3 Marcía Haydée und John Neumeier in »Les Chaises«, Théâtre de la Monnaie, Brüssel 1984 4 Michèle Seigneuret und Maurice Béjart in »Chapeaux«, Théâtre des Champs-Elysées 1957 5 Jean Vilar und Maurice Béjart, Festival von Avignon, 1968 6 Maurice Béjart und Michèle Seigneuret in »Pulcinella«, 1957 7 Yann Le Gac und Maurice Béjart in »Casta Diva à l’IRCAM«, 1980 8 Maurice Béjart 9 Maurice Béjart und Maïa Plissetskaïa vor einer Probe 10 »Sonate à trois«, in der Produktion des Essener Theater von 1957 tanzen Michèle SIgneuret, Tania Bari und Maurice Béjart 11 Sylvie Guillem probt mit Maurice Béjart »Arépo« in der Rotunde der Parser Oper, 1986 12 Maurice Béjart und Rita Pœlvoorde in »Je t’aime, tu danses«, 1973 13 Maurice Béjart in »Molières imaginaire« Alle Fotographien wurden dem Band: Colette Masson (Foto) und Gérard Mannoni (Text): »Maurice Bejart«, Paris 1991, entnommen. Ballett Intern 1/2007 Zwischen Fest und Arbeitstreffen Der Deutsche Kulturrat feierte seinen 25. Geburtstag in Berlin von Dagmar Fischer Stellen Sie sich vor, Sie sind eine Tänzerin der freien Szene in Hamburg und wollen einen Antrag auf Förderung für Ihr nächstes Projekt stellen....Wo und wie geht so etwas? Sie könnten das Handbuch »Im Labyrinth der Kulturzuständigkeit« zur Hand nehmen (herausgegeben vom Deutschen Kulturrat), unter den Ländern bei Hamburg nachschlagen und unter der Kulturbehörde auch das Referat Freies Theater finden, an das Sie sich wenden müssten. Oder: Stellen Sie sich vor, Sie sind ein Tanzpädagoge aus Hessen und beschäftigen sich gerade mit der Frage, warum die Grundschulkinder in ihrem Kurs nicht in der Lage sind, jene kurze Geschichte zu lesen, die Sie im Unterricht mit ihnen tanzen wollen... Lauter Analphabeten? Sie könnten das Buch »Kulturelle Bildung in der Bildungsreformdiskussion« zur Hand nehmen und dort zum Beispiel den Text »Neue Leser braucht das Land?« studieren (herausgegeben vom Deutschen Kulturrat) – und im schlimmsten Fall auf eine Bildergeschichte ausweichen. Natürlich gibt es nicht für jedes Problem eine Lösung aus Büchern, aber jede Menge Anregungen, Möglichkeiten zur Horizonterweiterung halten die Publikationen des Deutschen Kulturrates auf jeden Fall bereit. Und dass es rund doppelt so viele Veröffentlichungen wie Jahre der Existenz des Deutschen Kulturrates sind, macht den Ersten Vorsitzenden, Prof. Dr. Max Fuchs (Foto), offensichtlich stolz, denn er hebt die Tatsache in seiner Eröffnungsrede gleich hervor. Die »Geburtstagsfeier« möchte er ansonsten eher als ein Arbeitstreffen verstanden wissen – denn der Deutsche Kulturrat ist ein »überaus fleißiger Verband«, der besagte rund 50 Stellungnahmen während seines 25-jährigen Bestehens erarbeitet hat. Zur Vorgeschichte: Zu Beginn der siebziger Jahre war die soziale Lage von Künstlern Gegenstand einer wissenschaftlichen Untersuchung. Die Ergebnisse dieser Untersuchung machten offensichtlich, dass die Politik einen Partner in der Kultur brauchte. Die Gründung des Deutschen Kulturrates im Jahr 1981 war eine folgerichtige Konsequenz dieser Feststellung. In den 25 Jahren seiner Existenz ist der Kulturrat inzwischen zu einer wichtigen Stimme geworden, weil er nicht die Stimme eines Einzelnen, sondern die Stimmen von Tausenden in der Kultur tätigen Menschen vertritt. Es wird allerdings nur gebündelt, was sich auch bündeln lässt, so Prof. Dr. Andreas Wiesand, der als Gründer und Generalsekretär des Deutschen Kulturrates bis 1993 im Amt war. In einer solchen Äußerung klingt auch mit, dass durchaus eine Skepsis die damals neue Idee und die »Gründerjahre« begleitete, denn die Verbände sind und waren sich nicht einig. Doch Gerhart R. Baum, Bundesminister a. D., riet und rät noch heute eindringlich, das Trennende hintan zu setzen, weil es doch im Grunde in Deutschland relativ Wenige sind, die sich für Kultur einsetzen. Er sieht eine wichtige Aufgabe des Kulturrates darin, »den Politikern bei der Entscheidungsfindung zu helfen, also die kulturrelevanten Elemente etwa in der Steuerpolitik sichtbar zu machen oder beim Urheberrecht, das sind ganz komplizierte Rechtsmaterien, und da bringt der Kulturrat nicht nur das Interesse, sondern auch den Sachverstand ein, der notwendig ist, um nicht über die Interessen der Kultur hinweg zu gehen.« Der Deutsche Kulturrat als Kommunikator, denn dem kommunikativen Charakter der Kultur ist es zu verdanken, dass sie sich neben den anderen politischen Bereichen, die mit höherer Priorität behandelt werden, überhaupt und allen Widerständen zum Trotz behaupten kann. Staatsminister Bernd Neumann (Foto), Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien bei der Bundeskanzlerin, hielt auf dem festlichen Arbeitstreffen die Jubiläumsrede. Darin stellt er Deutschland als europäische Kulturnation heraus, wobei man bei dem Wort Kultur natürlich in erster Linie das Reich der Künste vor Augen hat, aber eigentlich gehe es um jegliche Lebensäußerungen jenseits der Profitgier. Für das Jahr 2007 wird der Kultur-Haushalt um 3,4 % steigen, zu dieser Kultur gehört natürlich die Filmwirtschaft ebenso so wie ein Haus zur Literaturgeschichte oder die Deutsche Welle als Auslandssender und »unverzichtbarem Medium für die Vermittlung des Bildes Deutschlands in der Welt,« aber auch »für den Dialog der Kulturen, den wir (...) führen müssen,« wie Neumann betonte. Die beabsichtigten Verkäufe aus Museumsbeständen sind für einen Kultur-Staatsminister ebenso Thema wie die Sanierung der Staatsoper Unter den Linden, an der sich der Bund mit bis zu 50 Mio Euro beteiligen wird, weil die Stadt Berlin es nicht alleine schafft. Doch die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen von Künstlern liegt ihm nicht weniger am Herzen wie das eher unspektakuläre Thema der kulturellen Bildung. Hierzu Neumann wörtlich: »Die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur prägt Persönlichkeit und Identität. Sie hat wesentlichen Einfluss auf die individuelle Entwicklung, auf die Entwicklung der Sinne, die Ausprägung von kreativen Fertigkeiten, den emotionalen Ausdruck, die soziale Kompetenz. Ich denke, dass wir hier heute und in den nächsten Jahren einiges tun müssen, um zu neuen Formen der Vermittlung, neuen Kooperationen zwischen Kultur- und Bildungseinrichtungen, aber auch mit den Medien zu kommen.« Viel Beifall erntete sein Resumee: »Kulturförderung ist keine Subvention, sondern eine Investition in die Zukunft.« In diesem Sinne will und wird sich Bernd Neumann dafür einsetzen, dass Kultur als Staatsziel in das Grundgesetz aufgenommen wird. Auch wenn das keine bessere Ausstattung an der Basis bewirken wird, so hat es doch eine Signalwirkung. Ballett Intern 1/2007 erklärte den »Diskurs zum Prinzip«, als Erster Vorsitzender des Deutschen Kulturrats legt er jedoch Wert darauf, dass diese Debatten ergebnisorientiert und nicht mit offenem Ende geführt werden – »denn wir wollen ja Politik machen«, so Max Fuchs. Mit der Verleihung des Kulturgroschens 2006 für besondere Verdienste um die Kulturförderung wurde zum doch noch feierlichen Ende des 25. Geburtstages Daniel Barenboim (Foto) geehrt, Generalmusikdirektor der Deutschen Staatsoper Berlin; er wollte nicht überheblich sein, befand jedoch in seiner Dankesrede, dass er einen Groschen durchaus verdient habe. Über seine Passion philosophierte er: »Man denkt, dass die Musik nur eine Waffe ist, um die Welt, ihre Sorgen und die Probleme zu vergessen, dadurch dass man sich träumerisch in einem Stück Musik verstecken kann. Ich finde das absolut richtig, aber ich finde, die Musik ist auch ein Instrument, mit dem man so viel über die Welt und über sich selbst lernen kann.« Musik ist Sich-Ausdrücken und zuhören, Aktivität und Kontemplation zugleich. Ein besseres Schlusswort hätte man nicht finden können, als Daniel Barenboims Gegenüberstellung, der behauptete, ein Künstler sei das Gegenteil eines Politiker, denn »ein guter Politiker muss lernen, ein Künstler des Kompromisses zu sein, und ein Künstler muss lernen, kompromisslos zu sein«. ■ Deutscher Kulturrat e.V. Chausseestraße 103 10115 Berlin Telefon 030-24 72 80 14 Fax 030-24 72 12 45 www.kulturrat.de Gitta Connemann (Vorsitzende der Enquète-Kommission »Kultur in Deutschland«) mit Hans Herdlein (Vorsitzender der Genossenschaft deutscher Bühnen-Angehöriger – rechts) und Ulrich Roehm (Vorsitzender des Deutschen Berufsverbandes für Tanzpädagogik e.V.) (Archiv GdBA) Ballett Intern 1/2007 (alle Porträtfotos: Stefanie Ernst) Das Schlagwort von der »Kultur als Lebensmittel« führten einige Politiker im Munde. Andere outeten sich als regelrechte Fans des Deutschen Kulturrats, denn die »Bündelung der sehr unterschiedlichen Interessen von Künstlern, Kunstverwertern, Kunstorganisatoren und des Kunsthandels durch den Deutschen Kulturrat ist ein Segen«, so der Kulturpolitische Sprecher der FDP, Hans-Joachim Otto. Als Vereinigung zur Durchsetzung kultureller Interessen sei er eine unverzichtbare Instanz. Einig sind sich im Grunde alle darüber, dass die Beschäftigung mit Kultur für einen Karrieresprung in der Politik eher hinderlich ist, viele Politikerkollegen interessierten sich gar nicht für Kultur, halten sie eventuell sogar für verzichtbar. Nicht so Gregor Gysi, er fordert, »der Zweck der Politik muss ein Mehr an Kultur sein; wenn sie das nicht erreicht, ist sie nicht zivilisiert«. Prof. Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, findet den Deutschen Kulturrat deshalb wichtig, »weil die Künstler alles wunderbare Individualisten sind, aber die Politik nimmt in der Regel nur Gremien ernst und jemanden, der für diese Künstler spricht.« Und das erledigt der Deutsche Kulturrat; mit seinen 210 Mitgliederverbänden ist er inzwischen eine Bastion geworden, wie sich Gründungsmitglied Dr. Karla Fohrbeck ausdrückte. Für die Politiker Ansprechpartner, der die gesamte Breite der Kultur wahrnimmt, und für die Künstler Interessensmakler, der gehbare Mittelwege sucht, ist der Deutsche Kulturrat eine nicht mehr wegzudenkende Größe in der deutschen Kulturlandschaft. Auch wenn immer wieder kleine Seitenhiebe auf die sintflutartigen Presseerklärungen fielen, die Geschäftsführer Olaf Zimmermann herausgibt und die nicht wenige Empfängerbüros offensichtlich als Überschwemmung wahrnehmen – die Kehrseite dieser Informationsflut ist die große Präsenz des Deutschen Kulturrats. Und das scheint ja nach wie vor angebracht angesichts des Eingeständnisses vieler Politiker, dass in den Parteien die Kultur eine eher untergeordnete Rolle spielt. Eine, die seit Jahren dagegen hält, ist Gitta Connemann (Foto), Vorsitzende der Enquète Kommission »Kultur in Deutschland«. Anregungen, die sicherlich kontrovers diskutiert werden sollen und müssen, lieferte Bundestagspräsident Dr. Norbert Lammert (Foto) mit seinen Statements, zur multikulturellen Gesellschaft einerseits und dem (fehlenden) Mut, gerade innerhalb dieser Gesellschaft eine eigene Haltung und die Bereitschaft zur Stellungnahme zu finden, selbst wenn der die Gemüter erhitzende Begriff der »Leitkultur« dazu gehört. Prof. Dr. Max Fuchs 20th World Congress on Dance Research Promotion of Diversity – Athen, 25. bis 29. Oktober 2006 von Ulrich Roehm Neben vielen anderen jährlichen Aktivitäten lud der »Conseil International de la Danse/ UNESCO« – CID – im Oktober des vergangenen Jahres zum 20. Male zu seinem »World Congress« ein. »CID« ist vielen bekannt, sehr vielen unbekannt! Der »Conseil International de la Danse/ UNESCO« in Paris ist die »offizielle Dachorganisation« der »United Nations for Education, Science and Culture«, eine Organisation in der Gesamtorganisation der UNO (United Nations Organisation) für alle Formen des Tanzes weltweit. Gegründet 1973 in Paris im Rahmen der UNESCO als »non-profit, non-governmental organisation«. Ihr Aufgabenbereich soll die internationale, nationale, aber auch regionale/lokale Kommunikation der verschiedensten Tanzorganisationen sein, eingeschlossen ebenfalls die individuelle Mitarbeit bzw. Mitgliedschaft von aktiven Persönlichkeiten der Welt des Tanzes. Damit repräsentiert der »CID« im Idealfalle weltweit als weitreichendste Organisation alle Sparten des Tanzes! Seine Aufgabe hat absolut neutralen Charakter, er wird finanz-neutral nur aus den Mitgliederbeiträgen finanziert. Es dürfen keinerlei wirtschaftliche Aktivitäten mit eventuellem Profit durch geführt werden, in diesem Sinne keine Festivals, Workshops, Wettbewerbe o.ä. Das heißt, der »CID« ist unabhängig von jedem Regierungs-Einfluss, politischer Ideologie, ökonomischem Interesse; er steht in keiner Verbindung zu speziellen Tanz-(Ausbildungs-)Schulen, Tanzcompagnien, Tanzstilen oder anderen Organisationen. Basierend auf den Prinzipien der UNO und der UNESCO, ist der »CID« offen für alle Bereiche des Tanzes ohne Rücksicht auf Nationalität, Rasse, Geschlecht, Religion, sozialen Status oder politischer Einstellung – oder was ansonsten einschränkend wirken könnte. Das bedeutet eine absolute Gleichbehandlung und Gleichberechtigung für alle existierenden Formen und Sparten dessen, was weltweit mit dem Tanz in Verbindung gebracht werden kann. In diesem Sinne berät der »Conseil International de la Danse« auch die UNESCO in allen Fragen des Tanzes. Die weltweite Mitgliedschaft rekrutiert sich zur Zeit aus etwa 300 Institutionen (Organisationen, Verbänden, Schulen, Tanzcompagnien, Wettbewerben, Theatern, Tanz-Zeitschriften etc.) sowie etwa 1.800 persönlichen Mitgliedern (Choreographen, Tanzpädagogen, Tanzhistorikern, Tanzmedizinern usw.), etwa 100 Universitätsprofessoren und 100 »Doctor’s Degree«-Tanzpersönlichkeiten – aus insgesamt 140 Nationen. Das untenstehende Schema wird erleichtern, den Aufbau der UNESCO und des »CID« zu verstehen. Eine der Aktivitäten des »CID« dürfte überall bekannt sein: Der 1982 weltweit ins Leben gerufene »DANCE DAY« oder »DAY OF DANCE«, jeweils am 29. April des Jahres in Erinnerung an den Reformator Jean Georges Noverre, um Politiker, Kulturverantwortliche, aber auch das große Publikum in besonderem Maße auf die Existenz, auf die Attraktivität des Tanzes aufmerksam zu machen, Bewusstsein und Interesse für den Tanz zu wecken. Es existiert eine große »virtual library« aus Publikationen von »CID«-Mitgliedern, ferner werden weltweit etwa 30 Tanz-Zeitschriften von »CID«-Mitgliedern herausgegeben. Sicher ist es, zumindest für uns in Deutschland, von Interesse, dass Kurt Jooss 1973 der GründungsPräsident des »CID« war. Ihm folgten im Laufe der Jahre Prof. Bengt Häger, Milorad Miskovitch und Mario Bois sowie seit 1999 Prof. Alkis Raftis Der »20th World Congress on Dance Research« – diese Jubiläumsveranstaltung des »CID« ist der Präsidentschaft Prof. Raftis zu verdanken, durch die äußerst effektive Personalunion seiner Position als Direktor des großen Folklore-Tanzensembles sowie des »Dora Stratou Theaters« in Athen. Ballett Intern 1/2007 Dora Stratou war Mitte des vergangenen Jahrhunderts in Athen eine dem griechischen Tanz zugeneigte Patrizier-Persönlichkeit mit Familienverbindung in hohe Regierungspositionen und glücklicherweise mit dem nötigen Reichtum ausgestattet. Man kann sie vielleicht als eine spezielle Mischung aus Diaghilev, Moissejev1 und Masowze2 bezeichnen. Sie wollte den griechischen Tanz vor der Vergessenheit bewahren, bereiste intensiv forschend viele Landesteile und Inseln Griechenlands und konnte 1954 das »Dora Stratou Theatre« und das Tanz-Ensemble gründen. Man baute ihr im schönen Park des Philopappou Hügels gegenüber des Akropolis Hügels ein herrliches Freilicht-Theater mit ca. 900 Plätzen. Und seit nunmehr 53 Jahren kommen etwa 75 Tänzer, dazu Musiker und Sänger von April/Mai bis September aus ihren heimischen Dörfern nach Athen und zeigen dort täglich ihre auch heute noch originalen Tänze. »Moissejev« – Dora Stratou kombinierte, choreographierte aus den Originalen keine effekthascherischen Bühnentänze für Tourneen wie Moissejev und Masowze, aber sie trug zum Erhalt der Vielfalt des griechischen Tanzes bei, auf ihre Art. Dies allerdings ist bedauerlicherweise ausschließlich in Athen zu sehen, es gibt keine internationalen Tourneen, wie bei den anderen erwähnten Folklore-Ensembles. Prof. Raftis steht bei seiner Arbeit für den »CID« das Verwaltungsgebäude des »Dora Stratou Theatre« zur Verfügung, mit sieben Mitarbeitern, Computern, einem kleinen Vortrags-Saal, einer Bibliothek – und der Besucher kann sein Staunen und seine Bewunderung kaum ausdrücken – beim Anblick eines Fundus von etwa 2.500 (zweitausendfünfhundert!) originalen, handgefertigten wunderbaren Tanz-Kostümen mit Schmuck und Kopfbedeckungen, Schuhen aus allen Teilen Griechenlands, die für die Aufführungen des »Dora Stratou Ensembles« zur Verfügung stehen! So gab es bei dem »20th World Congress of Dance Research« im Oktober 2006 nur eines zu bedauern: Die TanzSaison des »Dora Stratou Ensembles« hatte im September ge endet. Nun trafen sich Delegierte, Tanzwissenschaftler, Tanzpädagogen, Tänzer usw. für fast eine Woche im noch sommerlich-sonnigen Oktober in Athen. Um mit Schiller zu sprechen: »Wer nennt die Völker, kennt die Namen, die gastlich hier zusammen kamen ...« Nun, im Zeitalter der Computer, der durchorganisierten »Organisation«, kann uns Prof. Alkis Raftis die Frage Schillers natürlich spielend beantworten: Es wurde wieder einmal ein historischer »CID«-Rekord verzeichnet mit 702 Teilnehmern aus 64 Ländern und aus fünf Kon- Ballett Intern 1/2007 tinenten. Ebenso beeindruckend sind die weiteren Zahlen dieses Kongresses: 55 tanzwissenschaftliche Papiere, 76 Lectures/Vorträge, 50 Demonstrations-Unterrichtseinheiten (classes), 85 Darbietungen von ca. zehn Minuten während der abendlichen Aufführungen im Melina Mercouri Theater, 33 Video-Darbietungen, 29 Aussteller, 13 Universitätsprofessoren aus sieben Ländern kamen zu einem »Scientific Committee« zusammen. Dank des ehrenamtlichen Einsatzes von 21 »CID«-Mitgliedern und Helfern konnte diese große Veranstaltung reibungslos be- GEBOTEN BALLETTSCHULE in Düsseldorf zum 31.12.07 Vollausstattung: • Ballettsaal 100 qm + • Ballettsaal • seriöser Kundenstamm: 80 qm durchschnittlich 150 Teilnehmer von 4-18 Jahren und Erwachsene • Kostümfundus • Ausbildung berufsvorbereitend, klassisch nach Waganowa Bewerbungen von Ballettpädagogen/innen unter Chiffre: 1-2007-1 bis zum 30.05.07 an den: Deutschen Berufsverband für Tanzpädagogik e.V., Hollestr. 1g, 45427 Essen 10 wältigt werden und ablaufen. Und »die Moral von der G`schicht«: Wie immer bei solchen Großveranstaltungen passt das Wort aus Goethes »Faust«, Vorspiel auf dem Theater: »Wer vieles bringt, wird jedem etwas bringen ...!« Sicher, schon vor Jahrtausenden wurde dem Tanz im sogenannten Ursprungsland des Tanzes, in Griechenland, mit der so schönen Bezeichnung »Die Kunst der Göttin Terpsichore« eine Verbindung zum Göttlichen gegeben, also eine von Göttern dem Menschen gegebene, ästhetische Kunst! Wie Terpsichore den künstlerischen Wert bei vielen der 85 »Performances«, den 50 »classes« usw. des Kongresses heute gesehen hätte ...? Da schweigt des »Sängers Höflichkeit« und überlässt dieses diplomatisch Terpsichore dem »Urteil des Paris«. Doch muss man sich in diesem Fall der Aussage von Prof. Raftis anschließen: Der »CID« und seine Kongresse sind vorurteilsfrei offen für JEDEN aus der Welt des Tanzes! Und wer sich nicht für eine Mitarbeit entscheiden kann, der überlässt das Feld halt jenen, die teilnehmen ... und er bereichert den Kongress durch seine Abwesenheit bedauerlicherweise auch nicht. Es wäre ganz sicher wünschenswert, wenn sich aus unseren deutschen Tanzlanden einige qualifizierte Persönlichkeiten – ob Prof., Dr. »oder Magister gar«, oder auch ohne jedweden Titel – (ich denke da an deutsche oder internationale Folklore-Ensembles, Jazz-Dance-Gruppen, oder wie wär`s mit unserer Initiative »Tanz in Schulen«, Didaktik des Klassischen Tanzes, insbesondere auch TaMeD u.v.a.m.) bereit fänden, mit ihren Beiträgen beim »21st WORLD DANCE CONGRESS« zur Hebung des Niveaus beim Kongress beizutragen, der vom 12. bis 16. September 2007 wiederum im derzeitigen Zentrum des »CID« in Athen stattfinden wird – und dann auch noch während der Saison des »Dora Stratou Tanzensembles«. Informationen unter: www.cid-unesco.org ■ 1 Moissejev hieß ein russisches Tanzensemble, das wirkungsvolle FolkloreSpektakel zeigte 2 Masowze kommt von Masowien, einem Landstrich in Polen. Das polnische Tanzensemble unter diesem Namen ist sehr erfolgreich seit den sechziger Jahren in Europa auf Tournee. Ballett Intern 1/2007 Vorsicht: Fusion! »Zeit des Tanzes« beim Österreichischen Tanzrat von Silvia Kargl Der österreichische Tanzrat (ÖTR) unter der Leitung seines engagierten Präsidenten Karl Musil lud am 2. Dezember 2006 Tanzpädagogen, Studiobetreiber, Vertreter von Ballettschulen, Theaterschaffende, Journalisten, Tänzer und last but not least Tanzfans zu einem Aktionstag für den Tanz in die Ballettschule der Wiener Staatsoper. Ein erfreuliches Ergebnis gleich zu Beginn: Die Veranstaltung war gut besucht, der Saal voll mit Interessenten aus verschiedenen Tanzsparten. Die Begrüßung erfolgte durch die Ehrenpräsidentin des ÖTR, Marika Lichter, Musicalstar und in Österreich nicht zuletzt durch zahlreiche Auftritte im Fernsehen bekannt, und Gyula Harangozó, Direktor des Balletts der Wiener Staatsoper und Volksoper. Karl Musil moderierte die Referate, Podiums- und Publikumsgespräche einfühlsam. Zu Beginn erläuterte Martin Puttke die Tanzsituation in Deutschland: Anhand akribisch recherchierter Zahlen konnte er nachweisen, wie viele Tänzerstellen in Deutschland in den letzten Jahren abgebaut wurden. Er warnte vor Begriffen, die Politiker scheinbar wertungsfrei in den Raum stellen, die in letzter Konsequenz jedoch die Existenz des Tanzes in Deutschland bedrohen. Als Beispiel sei hier auf den Begriff der »Fusion« hingewiesen, der u. a. in Berlin viele Tänzerstellen kostete; gleichzeitig verwies Martin Puttke auf den künstlerischen Erfolg des Staatsballetts Berlin. Welche Auswirkungen die Fusion der beiden Wiener Ballett-Compagnien von Staats- und Volksoper hat, wurde in der anschließenden Diskussion nicht angesprochen. Bleibt zu hoffen, dass Martin Puttkes Appell an die österreichische Tanzszene, sich zu einer über Einzelinteressen stehenden Gemeinschaft zusammenzuschließen, um sich gegenüber Politikern und in der Öffentlichkeit besser behaupten zu können, nicht unerhört verhallt. Im Anschluss referierten die Kritikerin und Tanzwissenschaftlerin Andrea Amort und der freie Choreograph Bernd Bienert über Wechselwirkungen zwischen Tanz und Medien. Während Bernd Bienert die Befindlichkeiten eines Tanzschaffenden gegenüber der Kritik nicht ohne humorvolle Seitenhiebe erläuterte, berichtete Andrea Amort von der Geschichte der Tanzkritik in Österreich und von der derzeit besonders schwierigen Situation, dem Tanz in den Tageszeitungen den gebührenden Platz einzuräumen. Eine Mitarbeiterin der Salzburger Nachrichten verwies auf eine Umfrage bei den Lesern des Kulturteils dieser Zeitung, wonach der Tanz mit Abstand an letzter Stelle beim Leserinteresse landete. Nach der Mittagspause wurde die bekannte österreichische Kulturmoderatorin Barbara Rett zur Situation des Tanzes befragt, aufgrund ihrer persönlichen Initiative setzte sie wiederholt Tanzbeiträge im Fernsehen durch, und auch als Tänzerin fand sie in der erfolgreichen »Dancing-Stars«-Serie des ORF viel Publikumszuspruch. Barbara Rett bestätigte den zuvor gewonnenen Eindruck, dass die Berichterstattung über Tanz immer schwieriger wird. Erste Tendenzen für eine umfassende Programmreform beim österreichischen Fernsehen im Frühjahr 2007 lassen erkennen, dass die Kulturberichterstattung grundlegend reformiert und neu ausgerichtet wird. Auch dieses Faktum sollte die österreichische Tanzszene zu einem verstärkten Engagement in der Öffentlichkeit bewegen. Der nächste Schwerpunkt galt der Situation an den BallettschuBallett Intern 1/2007 len. Gertraud Maar berichtete über den Tanz in privaten Studios und wies darauf hin, dass in der österreichischen Gesetzgebung weder der Tänzerberuf verankert ist noch eine einheitliche anerkannte Ausbildung für Ballettlehrer vorgeschrieben wird. Nach wie vor genügt ein Gewerbeschein zur Eröffnung eines Tanzstudios. Jolantha Seyfried, geschäftsführende Leiterin der Ballettschule der Wiener Staatsoper, und Ilse Öhlinger, Direktorin des mit der Ballettschule kooperierenden Gymnasiums in Wien, berichteten über die Berufsausbildung im Tanz. Große Probleme bereiten der mangelnde Zuspruch von Jungen und das Erlernen von Disziplin, deren Bedeutung auch den Eltern oft nicht wichtig genug erscheint. Ebenso sprachen Nikolaus Selimov, Abteilungsvorstand für Ballett und Tanzpädagogik an den Konservatoriums-Musikschulen, über die Attraktivität und die Bedeutung eines vielseitig ausgerichteten Tanzunterrichts, der letztendlich jeder Berufsaufbildung zu Gute kommen sollte. Martin Puttke regte daraufhin eine Diskussion an, ob es für Jugendliche psychisch belastend und somit schädlich sein könnte, von Anfang ihrer Tanzausbildung an damit konfrontiert zu sein, diesen angestrebten Beruf eventuell nie ausüben zu können. Eine wissenschaftliche Untersuchung zu diesem Thema könnte hilfreich sein, um darüber fundierte Erkenntnisse zu bekommen. Ein Lichtblick: an zwei Wiener Volksschulklassen wird anstelle der Turnstunde Tanz unterrichtet. Dr. Rolf Fröhlich, auf Tanz und Sport spezialisierter Chirurg, referierte über Tanz und Medizin. Das Wissen um die körperlichen Voraussetzungen für Tanz findet in Österreich nach wie vor wenig Beachtung. Ingeburg Tichy-Luger, Präsidentin des Ballettclubs der Wiener Staats- und Volksoper, widmete ihren Beitrag dem Thema »Tanz und Sponsoren«. Ihren Erfahrungen zufolge ist das Engagement von in der Öffentlichkeit bekannten »Stars« für Sponsoren attraktiv, selbst wenn diese nicht aus der Tanzszene kommen. ■ Das Symposium »Zeit des Tanzes« brachte ein vielfältiges und sehr dicht gepacktes Programm, da das Thema weit gestreut war, um möglichst viele Aspekte rund um den Tanz einzubeziehen. Quo vadis, Tanz? Am Nachmittag ließ Prof. Robert Herzl mit seinem flammenden Appell für den vielseitigen Einsatz von Tänzern aufhorchen. Selbst laut Eigendiagnose »mit zwei linken Füßen gesegnet«, aber dennoch mit der Problematik der Compagnien vertraut, war und ist er als Direktor am Musiktheater immer bestrebt, das Interesse des Publikums für die Kunstsparte Tanz zu entfachen. Aus seiner langjährigen Erfahrung berichtend, gab er zu bedenken, dass sehr oft leider die Sparte Ballett zuerst dem Sparstift zum Opfer falle, da ja vielerorts die Meinung herrsche, dass sich Chor/Statisterie und Sänger ohnedies auf der Bühne bewegen. Damit wird »dem Ballett der Ast abgesägt«, aber oftmals tun die Ensembles ihr Übriges dazu, indem sie sich weigern, z. B. in theatereigenen Musicalproduktionen aufzutreten, anstatt dies als künstlerische Bereicherung zu sehen. So sägen sie sich den Ast selber ab, auf dem sie sitzen – und berauben sich damit selbst ihrer Existenz. Viele Zuschauer hingegen fänden erst über Balletteinlagen in Oper und Operette bzw. Musicalaufführungen ihren Zugang zum Tanz und werden so über diesen Umweg zu begeisterten Ballettgehern. Sie besuchen dann mit viel Enthusiasmus auch reine Ballettabende, um »ihre« Tänzer zu bewundern. Den Abschluss des Tages bildete das Statement von Ulrich Roehm, der in sehr persönlichen und pointierten Worten die Thematik aus seiner Sicht beleuchtete und noch einmal die VortragsHighlights des Tages Revue passieren ließ. Ira Werbowsky 11 Vom Abenteuer der Drehung Das Wiesenthal-Symposium in Gauting am 25./26. Oktober 2006 von Frank-Manuel Peter Um die Wiesenthal-Forschung war es still geworden seit dem Erscheinen des kleinen Katalogs »Die neue Körpersprache« 1985 und – im selben Jubiläumsjahr – des prächtigen Bild- und Dokumentenbandes, den der Hofmannsthal-Kenner L. M. Fiedler zusammen mit Grete Wiesenthals Sohn Martin Lang publiziert hat. Obwohl dieses Buch Vorarbeiten von Gunhild Oberzaucher-Schüller nutzen konnte, war das Fehlen der Tanzwissenschaftlerin im Herausgeberteam unverzeihlich. 21 Jahre hat es gedauert, bis nun ein erstes tanz wissenschaftliches Symposium über den Wiesenthal-Stil eine neue Chance bot, sich mit dem Wirken der einst berühmten Wiener Schwestern auseinander zu setzen. Es spricht für die Bedeutung der so Gewürdigten, dass man nicht zwingend in Wien, ja nicht einmal in Österreich tagte: Das Theaterforum Gauting und die Choreographin Susanne Mundorf mit ihrer Wiesenthal-Projektgruppe waren die Partner der Theaterwissenschaftlerin Gabriele Brandstetter (FU Berlin), die in ihrer Einführung anhand von Tanztechnikdemonstrationen dezidiert auf die Neuerungen und Besonderheiten des Wiesenthal-Stils aufmerksam machte. »Die weitausladenden oder gekreuzten, gegeneinander gesetzten Schwünge, die spiralförmigen Drehungen, die verschobene Körperachse, bieten sich in geradezu idealer Weise für überraschende choreographische Muster und Auflösungen an.« (S. Mundorf). Man muss hierbei viel an der Balance arbeiten, so eine der befragten Tänzerinnen. Nach diesen Demonstrationen waren in der Abendvorstellung die gezeigten Elemente des Wiesenthal-Stils gut erkennbar. Aber sind dies schon alle? Auch in der ständigen Variation steckt letztlich nur eine erschöpfende Wiederholung. Ist Robert Schumanns »Carnaval« nicht doch zu lang für den Wiesenthal-Stil? Vielleicht sind die schönen jugendstiligen Tanzkleider (Waltraud Pirker) mitschuldig daran, die man auch hier sah – anstelle der zu den Charakteren aus der Commedia dell’Arte passenden Kostüme. Grete Wiesenthal choreographierte einst einige Stücke aus dem »Carnaval«, die aber leider nicht mehr erhalten sind. »Es existiert keinerlei Notation, fast kein Filmmaterial, keine wirklich verwertbaren Aufzeichnungen; weder von Technik, noch von Tänzen«, warnt Mundorf denn auch im Programmheft. Sie hatte einst Wiesenthal-Unterricht bei deren Schülerin Maria Josefa Schaffgotsch und konsultierte u.a. Vilma Koska, Erika Kniza und Hedi Richter. Wie nahe mag solche Tradierung des noch im hohen Alter von Grete Wiesenthal gelehrten Stils wohl an der Tanztechnik der Schwestern in ihrer wichtigsten, jugendlichen Schaffensperiode 1908–1910 sein? Wenn es darum geht, das Publikum hierfür zu begeistern, stellt Brit Rodemund als Gast das ganze Ensemble zwangsläufig in den Schatten (nur das fortgeworfene Plastikglas in »Wein, Weib und Gesang« riss den Zuschauer unschön scheppernd aus der Illusion der Vollkommenheit und wäre in einem professionellen Theaterbetrieb in den Gassen aufgefangen und mit echtem Glas-Klirren akustisch untermalt worden). Alle Mitglieder der Compagnie begannen in Ballettschulen, und die hochgesteckten Haare sind ihnen wohl schwer abzugewöhnen, da kann das Programmheft noch so deutlich »Und die Satyrn ließen ihr Haar wie rasend im Winde fliegen« zitieren. Plötzlich aber offene Haare und stilistische Abwechslung; man freut sich versehentlich, dass offenbar doch noch andere stilistische Elemente überlebt haben, die man auf einigen Fotos von Grete (mit offenen Haaren) zu ahnen glaubte. Doch dann ist es tanztechnisch zu neu für die Wiesenthals. Trotz der Feststellung, dass die Spiraldrehungen nicht nur nach oben ins Unendliche, sondern auch zur Erde streben: am Boden liegend, wie hier zuweilen, hat Grete Wiesenthal bestimmt nicht getanzt. Und es wird klar, dass trotz Programmhefthinweis auf den Ersten Weltkrieg jetzt bei Schostakowitsch-Musik von 1960 stilistisch zum großen Teil wesentlich Moderneres vorgeführt wird als der gelegentlich eingeflochtene Wiesenthal-Stil. Das »Walzer-Inferno, ›der große Die vier tanzenden Schwestern, wohl 1908 auf einem Tennisplatz. (Wiesenthal-Sammlung im Deutschen Tanzarchiv Köln) 12 Ballett Intern 1/2007 »Die Wiener (Wiesenthal-)Verwandten machten den lieben langen Tag Musik. Die sechs Töchter spielten abwechselnd Geige und Klavier, auch Cello und Klarinette. Die knappe Zeit, die ihnen neben dem Musizieren blieb, füllten sie mit Tanzen aus. Das niedrige Haus in Hietzing widerhallte von der Musik, vom Geschrei und Gesang der Mädchen. Das Haus war am Verfallen, sie lebten zu zehnt in drei Zimmern, die sechs Mädchen, die Eltern, Franzl – der einzige Sohn, er fiel im Krieg – und Marie die alte Dienstmagd, die schon vor dreißig Jahren alt war, über ihre schmerzenden Beine klagte und für die Familie kochte, unten im Keller, in der feuchten und dunklen Küche. Hinter dem Haus erstreckte sich lang und schmal ein Garten mit einem Reneklodenbaum darin, zwei alten Nußbäumen, an denen nur noch kümmerliche kleine Nüsse gediehen. … Unter die Nußbäume war ein Tisch mit Bänken drumherum gestellt, hier hauste die vielköpfige Familie vom Frühling bis in den späten Herbst hinein. Hier stand den ganzen Tag der Vater Franz, der Maler, mit wehendem Haar, um den Hals eine Künstlerschleife, auf der langen und roten Kaspernase die Brille, in den Händen Pinsel und Palette, sorgenvoll die begonnene Leinwand auf der Staffelei betrachtend und zugleich dem Geigen- und Klavierspiel aus den offenen Fenstern des Kinderzimmers lauschend. ›Falsch, grundfalsch!‹ rief er wenn Trude oder Márta danebengriff. Gleichzeitig erzog er die sechs Mädchen, malte seine Bilder und zankte mit Marie, der Dienstmagd, und mit Róza, seiner Frau, die sich in der Küche zu schaffen machte. So vergingen Frühjahr und Sommer im Hietzinger Haus; so verging das Leben. Das Leben verging ohne Geld; mit Geld befaßte man sich in dem Hietzinger Haus eher nur ausnahmsweise. Die kleinen Nebenausgaben, die Kosten für Einkleidung, Erziehung und Ernährung von sieben Kindern, der Preis der Farbtuben, Pinsel und Leinwände und was sonst noch nötig war im Leben, Arzt und Medizin, Kleider und Bücher, Miete und Ferien, alles blieb dem Zufall überlassen. einem gnädigen Schicksal. Die Musik und die ›Kunst‹ ließen keine Zeit zum Geldverdienen. (…) Sie lebten wahrhaftig wie die Vögel. Lebten unglaublich bescheiden, zwitscherten in ihrer Hietzinger Wohnung und warteten auf das Glück. Zuweilen flog das eine oder andere Mädchen aus, um draußen sein Glück zu machen; es heiratete oder folgte – im Walzerschritt – eine Zeitlang dem Takt einer plötzlich erwachten Leidenschaft. War dann die Ehe oder der Walzer zu Ende, kehrten sie nach Hietzing zurück. Marie, so zeitlos alt wie die Frauengestalten in der Bibel, stellte ein hochklappbares Bett ins Klavierzimmer oder auf die geschlossene Veranda. Die Ausreißerin nahm ihren Platz unter dem brüchigen Dach des Hauses ein, unermüdlich musizierten die Mädchen und malte der Onkel. Als Ganzes war diese Famlie samt der Staffelei, dem verstimmten Klavier, den hochklappbaren Betten, der jugendfrischen und eleganten Armut, der schwebenden Lebensart so ziemlich das Beste, was Wien zu bieten hatte. Der alte Franz und die sechs Mädchen waren wenigstens und in dem Maße Wien wie der Stephansdom oder der Stock im Eisen. Wien wäre ohne sie nicht denkbar gewesen. Schnitzler und Hofmannsthal kamen zu ihnen in den Hietzinger Garten, Altenberg schrieb den Mädchen Liebesbriefe, die er dann vorsorglich zurück erbat, an die Zeitungen verkaufte und in seinen Büchern veröffentlichte. Drei Mädchen gingen zum Ballett und tanzten in die Welt hinaus, natürlich im Walzerschritt.« Krieg‹«, das Ellen Steinmüller hier in z. T. eigener Choreographie tanzte, hätte sich gut für eine Stilanalyse im Symposium geeignet. Der laute Beifall zeigte, dass diese Ästhetik dem überaus zahlreich erschienenen Publikum näher stand als der etwas folkloristische Weintretetanz von 1930 und selbst als Charles Weidmans (von Karin Hermes getreu nach der Notation einstudiertes) Brahmswalzer-Spätwerk von 1967, bei welchem stellenweise leider auch ein kitschiger amerikanischer Zuckerguss konserviert ist. Eine konkrete Erkenntnis aus dem Gezeigten sollte unbedingt Auswirkungen haben: All jene Tanzabteilungen an den Hochschulen und diejenigen staatlich anerkannten Ausbildungsinstitute, die ihren Unterricht im modernen Fach frühestens bei Martha Graham beginnen lassen, müssen zukünftig nicht nur Duncan, Laban und Wigman einbeziehen, sondern auch WiesenthalStunden ins Curriculum aufnehmen. Susanne Mundorf hat hier eine Farbe aufgefrischt, die schon am Verblassen war, der aber ein keineswegs nur tanzhistorisch wichtiger Platz im Spektrum gebührt. Der zweite Tag bot fünf Vorträge und eine Lesung. Für Andrea Amort, die kurzfristig abgesagt hatte und über die Anfänge der Wiesenthal-Schwestern im Theater und Kabarett »Fledermaus« berichten wollte, sprang spontan die Choreologin Karin Hermes ein. Sie sprach über Kinetographie und Rekonstruktion bei Wiesenthal und vor allem bei Gertrud Bodenwiesers »Dämon Maschine« und lobte diejenigen heutigen Choreographen, die wie Angelin Preljocaj einen Teil des Budgets für die Notation einer neuen Choreographie einplanen. Nach ihrer Auffassung ist jede Aufführung eines Stückes eine Interpretation, also auch die Uraufführung, womit sie von der landläufigen Meinung abweicht, die Uraufführung (unter Leitung des Choreographen) zeige das Die komplette Familie Wiesenthal, ca. 1904/1905 im Garten ihrer Hietzinger Villa, wie (ein paar Jahre später) von Sándor Márai beschrieben: v.l.n.r.: Gertrud, Vater Franz, Elsa, Bruder Franz, Marta, Mutter Rosa, Hilde, Grete, Berta. (Wiesenthal-Sammlung im Deutschen Tanzarchiv Köln) (aus: »Bekenntnisse eines Bürgers« von Sándor Márai, Neuauflage bei Piper 2000) Ballett Intern 1/2007 13 eigentliche Werk, und von Interpretation könne man erst in der (nachfolgenden) Abweichung vom Werk sprechen. Die beste Einstimmung in das Familienidyll der Wiesenthals lieferte eine Lesung (Susanne Mundorf) des sechsten Kapitels aus den »Bekenntnissen eines Bürgers« von Sándor Márai (1934/2000) (siehe auch Kasten auf Seite 13). Anschließend spürte Thomas Betz kenntnisreich »Elementen und Funktionen der Legende vom Künstler« in Grete Wiesenthals autobiographischen Werken (1919/1947 und 1951) nach und setzte sie in den schönsten Kontrast zu anderen Publikationen wie »Rita Carlotta, aus dem Leben einer Tänzerin« von 1919 oder »Gaby Deslys. Der Roman einer Tänzerin« (1920). Leonhard Fiedler zitierte aus dem immer noch nicht vollständig veröffentlichten Briefwechsel zwischen Hugo von Hofmannsthal und Grete Wiesenthal und verwies u.a. auf den moralischen Druck, mit welchem der arrivierte Hofmannsthal sich für die junge Tänzerin bei Max Reinhardt oder Serge de Diaghilev einsetzte. Die berechtigte Frage, in welchem Werk der Ballets Russes Grete Wiesenthal denn nun im Frühjahr 1913 beinahe getanzt hätte, ob sie vielleicht gar für die Auserwählte im Sacre vorgesehen gewesen war, blieb seitens der Hofmannsthal-Forschung unbeantwortet. Weiß denn die Diaghilev-Forschung auch nichts darüber? Nach der Pause brillierte Gunhild Oberzaucher-Schüller mit einem tabellarisch gefassten analytischen Vergleich zum Thema »Tänzerin« im Wien der Jahre um 1910: Zwischen (a) der Ballett-Tänzerin in der Institution Oper (jener »Ballerine« aus dem literarischen Debüt Arthur Schnitzlers) am Beispiel der Cecilia Cerri, (b) der Variété-Tänzerin (jener »himmlischen Tänzerin« Hugo von Hofmannsthals) am Beispiel von La belle Otéro, und (c) der freien Tänzerin (jener »Tänzerin!« Peter Altenbergs) am Beispiel Grete Wiesenthals. In Kategorien wie »Äußeres Erscheinungsbild«, »Ausbildung/Technik«, »Ästhetik/Anspruch«, »Stück« und »Selbstverständnis« und anhand von ca. 25 Unterkategorien zeigte sie prägnant die Unterschiede auf, welche insbesondere das Neue und den Anspruch der freien Tänzerin – Grete Wiesenthal – ausmachten. Nur wenige Aspekte wie etwa die Austauschbarkeit der Musik bei der »Ballerine« oder die Verneinung der Interaktion zwischen Tänzerin und Publikum bei der freien Tänzerin wirkten in der ansonsten erfrischenden, inhaltsreichen Kürze der Tabelle zu pauschal. Anschließend widmete sich Katja Schneider einem Vergleich der Neuerungen des Wiesenthal’schen freien Tanzes mit der aufkommenden Tanzfotografie. Angeregt durch Max Lehrs, den Direktor des Dresdner Kupferstichkabinetts, hat Hugo Erfurth als offensichtlich Erster ab 1908 den Tanz im Atelier und bei künstlichem Licht aufgenommen, in der freien Bewegung und nicht in gestellten Posen. Eindrucksvolle Beispiele seiner Fotos, namentlich der Wiesenthal-Schwestern, sind erhalten geblieben und garantieren ihm den Ruhm eines »Vaters der Tanzfotografie«; Charlotte Rudolph ist seine namhafteste direkte Schülerin. In der Schlussdiskussion regte Gabriele Brandstetter eine vertiefende Wiesenthal-Forschung an und wünschte sich beispielsweise eine baldige wissenschaftliche Aufarbeitung des »GestenThemas«, wie es an zahlreichen Wiesenthal-Fotos bei den abgewinkelten Handhaltungen augenscheinlich wird und in der Malerei der Zeit etwa bei Hodler oder Kokoschka oder auf Fotos, die Egon Schiele zeigen, auffällt. Im Tanz möglicherweise ein bewusster Akzent, um dem »Abenteuer der Drehung« (so ein Vortragstitel von Grete Wiesenthal) eine äußere Begrenzung zu geben und sich nicht wie bei der Arabesque ins Unendliche zu verströmen (Gerhard Zacharias). ■ 14 »M. for Marcia« Hommage an Marcia Haydée, Meisterin des Tanzes »M. for Marcia« zeigt die Ballerina so, wie sie zu Weltruhm gelangte. Jean Christophe Blavier, u.a. bekannt für seine zahlreichen Videoproduktionen über das Stuttgarter Ballett, vereint in diesem 52-minütigen Film private und getanzte berührende Aufnahmen mit der Künstlerin, darunter Raritäten aus den 60er und 70er Jahren, wie etwa ein Ausflug Marcias mit John Cranko und Richard Cragun während einer USA Tour ’71, bis hin zu aktuellen, bislang unveröffentlichten Aufzeichnungen. Die Hommage beinhaltet bisher unveröffentlichte TanzstudioSzenen von John Crankos legendärem »Schwanensee« aus den frühen 60er Jahren. Mosaikartig entsteht so das Bild einer außergewöhnlichen Persönlichkeit, die zu den großen Tänzerinnen des vergangenen Jahrhunderts zählt. »Marcia zu begegnen, ist jemandem zu begegnen, der so viel bietet. Sie ist für mich meine Muse, meine Tochter. Sie ist jemand, die mich stark inspiriert hat, die mir hilft und viel gibt. M. ist Marcia, ist Maurice, ist Mutter Teresa; es steht für viele Dinge, M.« Maurice Béjart Ausschnitte aus »Schwanensee« & »Onegin« (John Cranko), »Sonntag« (Hans van Manen), »Die Kameliendame« & »Endsta tion Sehnsucht« (John Neumeier), »M. wie Callas« (Marcia Haydée, Ismael Ivo), »Boléro« & »Mère Teresa« (Maurice Béjart). Ballett Intern 1/2007 Tanz in Schulen In der Bildungsdiskussion rückt der Tanz als darstellende Kunst immer mehr ins öffentliche Interesse. Im Herbst 2005 gründeten Vertreter aus elf Bundesländern die »Bundes initiative Tanz in den Schulen,« um einen ersten Schritt zu einer Bestandsaufnahme zum Thema Tanz in Schulen zu machen. Die ersten Arbeitsergebnisse werden in einer Dokumentation veröffentlicht (»Tanz in Schulen«, K. Kieser Verlag). Die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Dr. Annette Schavan, schrieb das folgende Grußwort zur Veröffentlichung: Grußwort Tanz ist eine uralte menschliche Darstellungsmöglichkeit, eine in allen Kulturen der Welt vorhandene Form der körperlichen symbolischen Aneignung von Welt. Tanz bietet gerade Kindern und Jugendlichen viele Möglichkeiten, Bewegungsvielfalten zu erproben, Körperbewußtsein und Gestaltungs fähigkeiten zu entwickeln sowie soziale Kompetenzen zu erwerben. Auch mit dem Blick auf das interkulturelle Potential sollten die besonde ren Eigenschaften von Tanz stärker in unser Bildungswesen einbezogen werden. Persönlichkeitsbildung ist ohne kulturelle Bildung unvollkommen. Kulturelle Bildung fördert das Verständnis für kulturelle Ausdrucksweise ebenso wie das eigene künstlerische Handeln. Tanz taucht in Rahmenrichtlinien nahezu aller Schulstufen und formen auf und wird als eigenes Lernfeld mit verschiedenen Inhalten und Stilen oder Formen zumindest in Fächern wie Musik, Sport oder Darstellendes Spiel erwähnt. Die Möglichkeiten und Chancen kreativer Tanzerziehung in Schulen sollten noch stärker genutzt werden. Dafür spricht auch das außerordentliche Interesse, das von Künstlern, Tänzern und Choreographen getragene Initiativen in nahezu allen Ländern der Bundesrepublik bei Kindern und Jugendlichen ebenso wie bei Eltern und Lehrern finden. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat gern dazu beigetragen, im Rahmen von Fachtagungen alle Interessierten, die Akteure der verschiedenen Projekte hierzu erstmals bundesweit zusammenzubringen, um einen Überblick zu gewinnen und Schlußfolgerungen zu Fragen wie Inhalten und Zielen von Tanz in der Schule heute, zu Qualität und Standards sowie zu Konsequenzen für die Qualifizierung zu ziehen. Mit dieser Publikation liegt eine Bestandsaufnahme in bundeswei ter Perspektive vor, auf deren Grundlage nunmehr weiter diskutiert werden kann: zum Beispiel zur Rolle von Tänzern und Choreographen in der Schule oder zur Benotung und zum Regelunterricht, zur Weiterentwicklung der begonnenen Arbeit. Es ist sicherlich kein Zufall, daß dieses von meinem Ministerium geförderte Projekt zu einer Zeit stattfand, in der Tanz in Deutschland im Aufbruch befindlich zu sein scheint. Sollte unsere Förderung nicht nur zu einer ersten Vernetzung beigetragen haben, sondern auch die Aufmerksamkeit für Tanz in Schulen gestärkt haben – dann wäre ein neues Kapitel aufgeschlagen. Dr. Annette Schavan MdB Bundesministerium für Bildung und Forschung Ballett Intern 1/2007 Keine neue Krankenversicherung – aber was ist eigentlich die BBTK? von Dagmar Fischer BBTK ist die Abkürzung für Bundesdeutsche Ballett- und Tanztheaterdirektoren Konferenz. Gegründet wurde sie 1998 in Köln auf Initiative des Choreographen Marc Jonkers. Alle zwei Jahre wählt die BBTK einen Sprecher und ein siebenköpfiges Präsidium, das wiederum benennt den Geschäftsführer. Sprecher ist zur Zeit Prof. Martin Puttke, stellvertretender Sprecher Ivan Liška, und dem Präsidium gehören Prof. Birgit Keil, Prof. John Neumeier, Sabrina Sadowska, Mario Schröder, Dr. Christiane Theobald sowie Youri Vàmos an; Oliver Königsfeld ist Geschäftsführer. Alle 52 Mitglieder der BBTK werden auf den Internetseiten kurz vorgestellt, von ›A‹ wie Tarek Assam bis ›Z‹ wie Gregor Zöllig. Ein bis zwei Mal im Jahr findet ein Treffen, also die tatsächliche Konferenz statt, gezielt widmen sich Arbeitsgruppen folgenden Themen: »Strategie und Umsetzung«, »Presse- und Öffentlichkeitsarbeit«, »Choreographenrechte«, »Internationale Beziehungen« und »Beruflicher Status und Perspektiven nach der Tänzerlaufbahn«. Unter den postulierten Zielen dürfte das gemeinschaftliche Entgegenstellen und solidarische Protestieren gegen Spartenschließungen ein vorrangiges sein. Aber auch Starthilfen für junge Ballettdirektoren und Rechtsberatung bei Urheber- und Verwertungsfragen hat sie sich auf die Fahnen geschrieben. Laut einer Presseerklärung vom 4. Dezember 2006 fand die 17. Konferenz seit Bestehen der BBTK am 25. November 2006 in Essen statt. Die BBTK tagte im November in Essen, weil der Bühnenverein dort erstmalig den Deutschen Theaterpreis »Der Faust« verlieh. Die BBTK bewertete die Situation des Tanzes in den Tanz- und Ballettcompagnien in Deutschland als zum Teil kritisch. Neben Fragen der Stellung des Tanzes in Theatern sowie der Wahrnehmung und Anerkennung durch die Intendanten wurde die Situationen in Nürnberg, Augsburg, Hildesheim und Oldenburg/Bremen diskutiert. Etatverknappungen und Ensembleschließungen und der Umgang von Theaterleitern mit den Tanzspartenvertretern wurde als zum Teil äußerst heikel eingestuft. Auch die Kulturpolitik auf Landesebene soll stärker, fernab von wirtschaftlichen Gesichtspunkten, dem Grundsatz Rechnung tragen: Theater ist Bildungsauftrag! Prof. Martin Puttke, Ballettdirektor des aalto ballett theater essen und Sprecher der BBTK, sagte, Tanz brauche eine größere Autonomie und sollte autark sein, jedoch in den bestehende Theaterstrukturen! Es gehe nicht darum, eine vollkommene Herauslösung der Sparte Tanz aus den Theatern zu erreichen, was vielerorts von den Intendanten befürchtet werde. Tanz ist und bleibt eine eigenständige Kunstform – per se. Auch wies er erneut auf die zwingende Notwendigkeit der Qualitätssicherung im Bereich der Ballett-/Tanzpädagogik hin. Um eine hohe Leistungsfähigkeit und das künstlerische Vermögen der Tänzer zu sichern, ist es erforderlich, den Beruf des Ballett-/Tanzpädagogen als anerkannten und geschützten Beruf zu deklarieren und die Vergabe von Zertifikaten an strenge Voraussetzungen zu knüpfen. Die BBTK als Mitglied der »Ständigen Konferenz Tanz« dehnt ihren immer größer werdenden Einflussbereich auch durch die Beteiligung im »Rat für darstellende Kunst und Tanz« im Deutschen Kulturrat und der Beteiligung am Ausschuss für künstlerische Fragen des Deutschen Bühnenvereins aus. Weitere Information unter www.bbtk.de 15 In liebendem Gedenken mit frischen Spuren in Dresden Vor etwa einem Jahr machte sich die Mary-Wigman-Gesellschaft auf nach Dresden, um Mitstreiter für eine Wigman-Ehrung mit Vorträgen, Lecture-Performances, Workshops und abendlichen Veranstaltungen anlässlich des 120. Geburtstags der Grande Dame des Ausdruckstanzes in Deutschland zu gewinnen. In Elbflorenz erinnert man sich besonders gern, ausgiebig und innig, zumal, wenn sich die Gedanken um Künstler weben, deren Glanz weit über die Grenzen der Stadt hinaus erstrahlte. Mary Wigman wird hier also nicht nur geschätzt, sie wird geliebt. Tanz der lichten Königin. burtstags von Mary Wigman mehr als die ursprünglich beabsichtigten zwei Tanzbilder hören sollten. Die Berliner Visite gipfelte dann auch in einem herrlich temperamentvollen Interpretationsdiskurs zwischen dem Meister und der Pianistin Antje Ladstätter. Zwiesprache. In der Zwischenzeit begann meine Kollegin Prof. Ingrid Borchardt, mit unseren Palucca-Studentinnen Noriko Melchior und Susann Selke einen »Hexentanz« einzustudieren, während Susanne Linke in Berlin, Essen und Dresden Mareike Franz, Meisterschülerin der Palucca Schule, ihre Choreographie »Wandlung« übertrug. Huldigungstanz. Um die große Wigman-Ehrung in Dresden war es jedoch recht still geworden. Der Geist des Bösen. Erst im Sommer, nachdem wohl auch in anderen Städten die Flüsse nicht goldener als die elbigen am östlichen Rande der Republik geflossen waren, besann sich die Mary-Wigman-Gesellschaft der Stadt, in der Mary Wigman den Ausdruckstanz durchsetzte. Sei stille, mein Herz. Die Zeit drängte inzwischen, und man einigte sich schnell, die Tagung »Mary Wigman und die Folgen« in der Die Besucher konnten mit den schönsten Hoffnungen wieder abreisen, und in Dresden machte man sich an die Arbeit. Freue dich, mein Herz. Isolde Matkey programmierte den Tanzherbst 2006 mit Abenden zu Mary Wigman, mit Improvisation und neuen Werken von Choreographinnen. Mit Unterstützung der Palucca Schule Dresden gaben Ralf Stabel und ich unser Buch über Mary Wigmans Leipziger Jahre unter dem Titel »Mary Wigman. Eine Künstlerin in der Zeitenwende« mit leuchtend rotem, hexentanz-befriestem Hardcover neu heraus (siehe BALLETT INTERN 5/2006). Ich begann, einen Theaterabend zu Ehren Mary Wigmans vorzubereiten, in dessen Verlauf wir aus unserem Buch lesen wollten. Helle Schwingungen. Schon vorher hatten sich ganz unverhofft die »Schwaene« gemeldet. Kurt Schwaen (siehe BALLETT INTERN 5/2006) war mir als einer der bedeutendsten deutschen Komponisten (»König Midas«, Instrumentalwerke, Bühnen- und Filmmusiken, Lieder u. v. m) durchaus bekannt. Dass er 1942 Mary Wigmans Korrepetitor war und auch für sie komponiert hatte, erfuhr ich erst jetzt. Aus den wenigen Zeugnissen über Mary Wigmans Leipziger Zeit, die Bombenangriffe und Brände überstanden hatten, war das nicht ersichtlich. Schon beim Hören erster pianistischer Annäherungen an seine »Tanzbilder« in Vorbereitung eines Besuchs bei Kurt Schwaen und seiner Frau Dr. Ida Schwaen war ich überzeugt, dass wir im November anlässlich des 120. Ge- Palucca Schule im Zusammenhang mit dem Abend »Helle Schwingungen. Mary Wigman und die Tanzpläne von heute«. zu veranstalten. Aufschwung. Am 10. November 2006 schwang es dann hell in der »kleinen szene«, der früheren Wigman-Schule in der Bautzner Str. 107. Konrad Hirsch führte durchs Programm und zeigte Ausschnitte aus der DVD »Die deutsche Tanzmoderne. Dresden und der Ausdruckstanz«, Ralf Stabel und ich lasen aus unserem Buch »Mary Wigman. Eine Künstlerin in der Zeitenwende«, und Antje Ladstätter spielte vier »Tanzbilder« für Klavier von Kurt Schwaen, die das Publikum zum tänzerischen Fantasieren bewegten. »Wenn es zu der notwendigen Einheit von Tanz und Musik kommen soll, darf die Musik nichts enthalten, was der Tanz nicht ausdrücken kann, und der Tanz nichts ausdrücken, was in der Musik nicht enthalten ist.« (Kurt Schwaen, 1940) Noriko Melchior tanzte Holger Beys Annäherung an Mary Wigmans berühmten »Hexentanz« von 1926, und Mareike Franz durchlebte eine »Wandlung«, die einst Susanne Linke zu Franz Schuberts »Der Tod und das Mädchen« erfunden hatte. Im Anschluss sprachen der Rektor der Palucca Schule Jason Beechey, Ralf Stabel, Konrad Hirsch und ich über »Mary Wigman und die Tanzpläne von heute«. Schwingende Landschaft. Vom 11. bis 12. November 2006 tagte die Mary Wigman Gesellschaft unter dem Motto »Mary Wigman und die Folgen« Zum 120. Geburtstag Mary Wigmans Angela Rannow 16 Ballett Intern 1/2007 im großen neuen Saal der Palucca Schule. Hedwig Müller und Patricia Stöckemann resümierten eingangs die Entwicklung der Wigman-Forschung und die Geschichte der Mary-WigmanGesellschaft. Tanz der Erinnerung. Dabei zeigten sie auf, dass seit Beginn der Erforschung Mary Wigmans aufgrund veränderter sozialhistorischer bzw. politischer Kontexte immer wieder neue Zugänge zu Leben und Werk der Künstlerin möglich und nötig wurden. Zäsuren der WigmanRezeption bildeten Hedwig Müllers Publikation »Mary Wigman. Leben und Werk der großen Tänzerin« (1986), mit der die biografisch orientierte westdeutsche Tanzforschung einsetzte, Tagungen wie »Ausdruckstanz in Deutschland – Eine Inventur« vom 16. bis 19.9.1993 in Dresden und Ausstellungen wie »…Weltenfriede – Jugendglück. Vom Ausdruckstanz zum Olympischen Festspiel« (1993) sowie »Krokodil im Schwanensee« (2004) in der Akademie der Künste Berlin. In der Zeitschrift »Tanzdrama« setzte man sich jahrelang faktologisch exakt und entdeckungsfreudig mit dem Modernen Tanz einschließlich widerspenstiger Themen wie Rekonstruktion und Interpretation auseinander, als von Konrad Hirsch und Ralf Stabel, der auch Texte und Ideen beisteuerte). In Pfunds Molkerei wurde die Wigman-Gesellschaft mit süßen Amerikanern überrascht, die laut Gundel Eplinius neben der Pfund’schen Milch in größerer Stückzahl als Tänzer-Hauptnahrungsmittel dienten. Danach ging es vorbei an Stätten mittelalterlichen und barocken Tanzes durch die Gartenstadt Hellerau zum Festspielhaus, das heute als Europäisches Zentrum der Künste wieder auf dem Weg zu einem bedeutenden Ort avancierter Kunst und geistiger Reflexion in Europa ist. Vision. Zum Abschluss des Tages gab es dann hoch über der Elbe mit Blick auf das Blaue Wunder, Elbschlösser und Elbdampfer im Café-Restaurant ZAZA angeregte Gespräche zwischen den Tagungsteilnehmern und weitere Filmvorführungen mit Konrad Hirsch bei Martinsgans, Ratatouille und geistigen Getränken. Ähnlich kurzweilig ging es am Sonntag zu. Unter dem Titel »Retouchings« widmete sich Andrea Amort dem Leben und Werk der Tänzerin Hanna Berger. Hedwig Müller trug Susan Mannings Vortrag »Ausdruckstanz jenseits des Atlantik« vor. (von links nach rechts:) Brenda Dixon-Gottschild mit ihrem Mann Hellmut Gottschild Susanne Linke (Trägerin des Deutschen Tanzpreis 2007) probt »Wandlung« mit Mareike Franz Arila Siegert, Norbert Servos und Susanne Linke Mareike Franz probt »Wandlung« Aufnahmen während der Tagung der Mary Wigmann Gesellschaft in der Palucca Schule Dresden (Fotos: Gabi Gorgas) das alles andere als à la mode war. Leider fehlten Hinweise auf die ostdeutschen Ehrungen, so z. B. das Kolloquium und die Ausstellung »Sprache des Tanzes« der Akademie der Künste der DDR von 1986. Windsbraut. Auf der Suche nach Spuren Mary Wigmans in Leipzig erinnerte ich an die leidenschaftliche Tanzpädagogin Ilse Loesch, die 2006 verstarb. Leider konnte sie ihr viertes Buch nicht mehr vollenden, das vielleicht den Titel »Mit Leib und Seele spielen« getragen hätte. Mary Wigmans Spuren in Dresden sind so zahlreich wie tief; eine davon ist die Tradition der Improvisation. Sie wurde von Palucca weiterentwickelt und insbesondere von Hanne Wandtke, Peter Jarchow und einem Kreis ihnen seelenverwandter Tänzer und Musiker als spezifisches Dresdner Phänomen fortgesetzt. In der Palucca Schule Dresden bilden der Klassische und der Zeitgenössische Tanz sowie die Improvi sation auch gegenwärtig den Mittelpunkt der Tanzausbildung. all’improvisato. Am Nachmittag ging es dann auf Tanz-Stadt-Rundfahrt durch Dresden. Konrad Hirsch illustrierte seine Erläuterungen und Anekdoten an den einschlägigen Orten der Dresdner Tanzmoderne – Palucca Schule, Paluccas Haus in der Wiener Straße, Gret-Palucca-, Mary-Wigman- und Dore-Hoyer-Straße, BienertVilla, mit Ausschnitten aus dem Film »Ich will nicht hübsch und lieblich tanzen« und der DVD zur Dresdner Tanzmoderne (beide Ballett Intern 1/2007 Darauf folgte eine humorvolle Lecture-Demonstration Susanne Linkes zu »Prinzipien der Tanzkunst von Mary Wigman«, die sich bei weitem nicht auf das legendäre Vibrato oder drehende Monotonien beschränkte. Auch Hellmut Gottschild, assistiert von seiner Frau Brenda Dixon-Gottschild, ging es in seiner Lecture-Performance »Vom Berühren und berührt werden« eher um die kreative Fortführung dessen, was Mary Wigmans Ausbildung ermöglicht hatte: die Ideen des »Zero Moving«. In liebendem Gedenken. In der abschließenden Runde, kompetent und kurzweilig moderiert von Norbert Servos, erinnerten sich die ehemaligen Wigman-Schüler Susanne Linke, Katharine Sehnert, Irene Sieben und Hellmut Gottschild lebendig und frisch an ihre große Meisterin, ohne zu verleugnen, wie sehr sie von deren Lehren abgewichen sind. Rondena. In großem Schwung. Mary Wigmans Schwingungen erwiesen sich als noch immer hell, ihre Folgen frisch, ihre Anregungen in Bewegung. So sahen sich die Teilnehmer einig beglückt in Abschied und Dank. Doch noch längst ist nicht alles entdeckt, was es von ihr zu erfahren gäbe. Denn die Wigman war nicht nur charismatische Tänzerin, sie war auch eloquente Tagebuchschreiberin… Auf weitere Folgen ist also zu hoffen. Schluss(tanz). ■ 17 Zwischen Curaçao, Deutschland, Holland, und Japan Dick O’Swanborn zum 65. Geburtstag von Dagmar Fischer Niemand unter den zahlreichen Gastdozenten arbeitet länger mit dem Deutschen Berufsverband für Tanzpädagogik zusammen als er; kaum jemand hat als Seminarleiter mehr Tanzpädagogen mit Material und neuen Ideen im Bereich Jazztanz versorgt; und alle schätzen ihn, seine umsichtige, freundliche Art und den anspruchsvollen und abwechslungsreichen Unterricht. Dick O’ Swanborn – der international renommierte Lehrer für Jazztanz und Musical erreichte im Jahr 2006, jedenfalls formal, das sogenannte Rentenalter. Dagmar Fischer traf den bekannten Pädagogen NACH seiner Pensionierung und VOR einer neuen beruflichen Herausforderung. Die Zahl 65 hat in Deinem Fall mit Rentenalter nichts zu tun, oder? Dick O’Swanborn: Es ist natürlich schön, mit dieser Pension eine finanzielle Basis zu haben. Und mit den Jahren wird man auch etwas klüger und merkt, dass man nicht alle Angebote annehmen und jeden Workshop geben muss. Mit 65 hört man in Holland halt auf, wenn man einen Vertrag mit einer staatlichen Institution hat, dann ist das Berufsleben zu Ende, verlängern kann man nicht. Aber ich habe noch Gastverträge, für ein bestimmtes Projekt oder einen befristeten Zeitraum, an verschiedenen Hochschulen. Aber es gab eine offizielle Verabschiedung an der Hochschule in Tilburg, wo Du ja einige Jahrzehnte Studenten ausgebildet hast? DOS: Ja, und die war fantastisch. Ich hatte mich ja sehr gefürchtet davor. Mein Direktor hielt eine Rede, und er ist jemand, der normalerweise nur Gutes sagt, aber ich hatte ihn gebeten, auch etwas von meiner Mafia-Vergangenheit zu erzählen. Denn nach 37 gemeinsamen Jahren war ja nicht immer nur alles rosig, von meiner Seite nicht, aber auch von seiner Seite nicht. Mafia, in den Niederlanden... DOS: Nein, das betrifft eine Zeit, als es in der Organisation der Schule ein ziemliches Durcheinander gab. Der Stundenplan zum Beispiel ist üblicherweise von staatlicher Seite festgelegt für eine gewisse Zeit, den kann man nicht ständig ändern. Aber mein Direktor änderte meinen Stundenplan, ohne es mir zu sagen. Ich bin dann zu diesen neuen Zeiten nicht hingegangen, denn ich hatte immer das Gefühl, man muss einen gewissen gegenseitigen Respekt wahren, man kann dem anderen nicht einfach sagen: Du musst … Warst Du als Tänzer auch schon so selbstbewusst? DOS: Ich war unglaublich kritisch, mit mir selbst, aber auch mit meiner Umgebung. Aber so sind wir auch erzogen worden, zum Selber-Denken und Kritisch-Sein. Uns selbst gegenüber, aber auch gegenüber den Leuten, mit denen wir arbeiten. Allerdings war das damals noch nicht die Zeit zu sagen: »Wissen Sie, Herr Ballettmeister, ist es nicht besser, wenn wir mit dem rechten Bein anfangen?« Wo hast Du als Tänzer Dein erstes Engagement bekommen? DOS: Nach meinem Studium an der Tanzakademie in Rotterdam wurde ich ans Nationaltheater in Mannheim engagiert, mein erster Ballettmeister dort war Horst Müller; das war ein unglaublich kreativer, und auch ein sehr toleranter Mensch. Nach einem Jahr wollte ich trotzdem wechseln und ging nach Enschede, aber dort gefiel es mir nicht, und so bin ich wieder zurück nach Mannheim. Nach weiteren zwei Jahren ging ich nach Curaçao, auf die niederländischen Antillen*. Da habe ich dann als Tänzer und auch als Pädagoge gearbeitet. Auf der Tanzakademie in Rotterdam wurde ich zum Bühnentänzer und gleichzeitig zum Pädagogen ausgebildet, das war zwar freiwillig, aber ich hatte mich damals für diese Zweigleisigkeit entschieden, weil man mit diesem Diplom gleich in eine höhere Gehaltsstufe eingeordnet wird. Wie lange dauerte diese Ausbildung? DOS: Vier Jahre eigentlich, aber ich musste nur zweieinhalb Jahre studieren, ich hatte eine sehr gute Vorausbildung als Kind und Jugendlicher. Ich denke, dass ich kein wirklich toller Tänzer war. Ein guter Partner war ich, ja, das schon. Dann hast Du Dich schon relativ früh, mit Ende zwanzig, Richtung Pädagogik orientiert? DOS: Ja, allerdings kann man die Situation in Curaçao nicht vergleichen mit der in Deutschland. Ich hatte einen Vertrag mit einer privaten Ballettschule, und das Kulturzentrum von Curaçao suchte jemanden, der Ballett-Unterricht geben konnte. Und dann habe ich die lokale Bevölkerung einbezogen, die wiederum haben ihre eigene, reiche Tanzkultur mitgebracht, von der ich lernte, und damit habe ich auch weiter gearbeitet. Viele dieser Gruppen sind später in Hotels aufgetreten – das hat natürlich nichts mit künstlerischem Tanz zu tun, aber sehr viel mit der Kultur dieser Insel. Zurück in Europa, wie ging es da weiter? DOS: Ich habe zeitgleich an der Theaterschule in Amsterdam, an der Hochschule in Tilburg und am Königlichen Konservatorium in Den Haag angefangen. Denn in dieser Zeit, in den siebziger Jahren, bekam man nirgendwo für Jazztanz eine volle Stelle. In der Rangfolge war damals Klassischer Tanz wichtig, dann kam eine Weile nichts, dann rangierten Modern Dance und Folklore, und wieder eine ganze Weile nichts … und dann kam der Jazz. In Den Haag habe ich allerdings Charaktertanz unterrichtet, keinen Jazz, in Tilburg sowohl Charakter- als auch Jazztanz, und in Amsterdam nur Jazz. Ich weiß noch, dass meine erste Direktorin in Tilburg einmal zu mir sagte, als mein Unterricht wegen einer Probe ausfiel: »Weißt du Dick, das ist gar nicht schlimm, dass die Studenten eine Probe Deinem Unterricht vorziehen. Du musst Jazztanzunterricht betrachten wie Zeichnen in der Schule.« Foto: Lea Fischer Jazztanzlehrer mussten hart kämpfen für die Anerkennung dieser Stilrichtung, und inzwischen wird der Jazztanz schon wieder von HipHop verdrängt … DOS: Nun, viele Jazzlehrer nutzen HipHop-Formen in ihren Kombinationen. Ich glaube nicht, das HipHop den Jazz ganz Ballett Intern 1/2007 verdrängen wird, denn Jazz benutzt sehr viel Technik. Aber schön finde ich, dass viele Leute mit HipHop anfangen, aber dann wollen sie mehr, Jazz oder Ballett, denn sie merken: Da lerne ich springen, dabei werde ich besser, weil ich Technik lerne. Oft wollen sie einen tollen Sprung nachmachen, den sie irgendwo gesehen haben, aber merken dann, das geht gar nicht ohne Technik. Das ist eine tolle Entwicklung, so motiviert zu werden. Die Motivation durch Video-Clips halte ich allerdings für fatal, weil durch filmische Schnitttechnik und unzählige Tänzer ein völlig unrealistischer Eindruck von den Bewegungsabläufen entsteht. DOS: Ok, bei dieser Zap-Generation ist alles kurzlebiger geworden. Die Leute wollen schnell Erfolge sehen, und es wird immer schwieriger, sie über einen längeren Zeitraum beim Tanz zu halten. Oft tanzen sie ein halbes Jahr, dann wollen sie reiten und danach vielleicht Tennis spielen. Aber beim Tanz geht das nicht so schnell, Tanz ist eben nicht nur Beine oder Arme heben, es geht um den ganzen Körper – und es wird heute schwieriger, das klar zu machen, eben weil viele Menschen ungeduldig sind und schnell Erfolg haben wollen. Es gibt ja auch Lehrer, die darauf reagieren, indem sie auf sehr einfache Bewegungen ausweichen, und wenn man dann ein tolles Kostüm trägt, fühlt man sich gleich als Star. Trotzdem denke ich, dass man viele für den Tanz gewinnen kann. Früher waren Makarova, Baryshnikov und Fonteyn die Tanzstars, heute sind Madonna, Christina Aguilera oder 50 Cents die Stars, mit denen sich viele identifizieren wollen. Auch eine Madonna absolviert ja täglich ein hartes Training, aber das erzählt sie nicht ... DOS: Wenn Madonna zwei Tage nicht trainiert, merkt es keiner; wenn sie drei Tage nicht trainiert, merkt sie es; und wenn sie vier Tage nicht trainiert, merkt es die ganze Welt. Sie absolviert ein hartes Training, aber das Publikum merkt das nicht. Erst wenn die Zuschauer selbst tanzen, merken sie, wie schwierig das ist, und wenn sie das weiter machen, merken sie, dass es richtige Knochenarbeit ist. Einige verlieren dann die Lust, aber es sind auch Enthusiasten darunter und die bleiben dabei. Wie ist dieser Kontakt entstanden? DOS: Ich habe in den achtziger Jahren während der »Woche des Tanzes« an der Hochschule in Hannover eine Japanerin kennen gelernt. Sie hat mich immer wieder nach Japan eingeladen, wollte unbedingt, dass ich dort unterrichte. Lange dachte ich, das ist mir zu viel, aber vor fünf Jahren änderte ich meine Meinung und dachte, es wäre vielleicht doch nicht so schlecht. Was wirst Du dort vermitteln? DOS: Ich habe Angebote gemacht, und jede Gruppe konnte wählen: Musical-Repertoire, Funky-Jazz oder Mattox-Stil. Die Japaner sind ganz verrückt nach dem Mattox-Jazz. Aber ich möchte dieses Mal auch mehr von Japan sehen, jetzt mag ich Japan sehr. Die Leute haben dort viel mehr Respekt vor älteren Menschen, das ist mir noch nie so bewusst geworden wie in den letzten zwei Jahren, als ich da war. Schade ist natürlich, dass man wenig Kontakt bekommt, weil man die Sprache nicht spricht. Und die Japaner sprechen nur »little english«, im Unterricht werde ich daher einen Dolmetscher haben. Gibt es schon Pläne für die Zeit nach Japan? DOS: Es gibt noch viele Möglichkeiten, Tanz zu unterrichten. Ich würde gern mit einem Team, in dem jeder eine bestimmte Sparte unterrichtet, Workshops geben. So kann man an einem Wochenende ganz unterschiedliche Stilrichtungen anbieten, und die Leute lernen an zwei Tagen nicht nur eine Technik kennen. Ich selbst habe immer auch unterschiedliche Stile angeboten, im Warming-Up, ein Adagio, in der Kombination, und auch in der Musik, die ich mitbringe – die Leute bekommen ein großes Material-Paket. Das möchte ich demnächst lieber im Team machen, denn obwohl sich die Tanzszene verändert, in den Laienschulen hat sich das noch immer bewährt. ■ Das klingt nach frustrierender Arbeit für den Tanzpädagogen der Zukunft. DOS: Ich denke, dass der Tanzunterricht in der Zukunft mehr ein Energie-Speichern vom Pädagogen ist, der Schüler übernimmt die Energie des Lehrers. Und der Pädagoge muss wissen, was gerade im Trend ist, muss sich selbst ständig weiter entwickeln. In einem Clip sind so viele verschiedene Formen in drei Minuten, und das wollen die Leute auch. Wenn man noch Familie hat und soziale Verpflichtungen – das ist schon eine Mordsarbeit für einen Tanzpädagogen, das alles unter einen Hut zu kriegen. Aber Du bist gerade dabei, Dich einer neuen Herausforderung zu stellen? DOS: In den nächsten zehn Monaten werde ich in Japan unterrichten. Ich glaube, dass ich als Lehrer im Grunde einen roten Faden in meiner Arbeit habe: Ich bin ein Teachers’ Teacher, ein Pädagoge für Pädagogen. Und das werde ich in Japan auch sein, ich arbeite in Kulturzentren, dort unterrichte ich morgens die Pädagogen und abends die fortgeschrittenen Laien. Ich werde in 38 verschiedenen Städten arbeiten, jeweils zwei, drei Tage an einem Ort, manchmal auch nur einen Tag. Ballett Intern 1/2007 19 »... Eigenbrötelei, Engstirnigkeit und Eitelkeit...« Verhinderte Bündelung der Kräfte von Dagmar Fischer Jede Kunstsparte ist im Deutschen Kulturrat vertreten – nur der Tanz hat keine eigene Sektion, wie die Unterabteilungen dort heißen. Der Tanz teilt sich eine Sektion mit dem Theater und heißt in dieser Zuständigkeit »Rat für darstellende Kunst und Tanz«. Im Übrigen gibt es den Deutschen Musikrat, den Kunstrat, den Rat für Baukultur, den Rat für Soziokultur und kulturelle Bildung, die Deutsche Literaturkonferenz sowie die Sektion Design und die Sektion Film und Medien. Dass der Tanz weniger ernst genommen wird als die Literatur oder die Musik, ist nicht neu, aber deshalb nicht weniger bedauerlich. Die Bestrebungen, den Tanz gleichwertig neben die anderen Kunstsparten zu stellen, hat schon Tradition – das Scheitern dieser Bemühungen ebenso. Schon 1981, im Gründungsjahr des Deutschen Kulturrates, gab es den Versuch, einen eigenständigen Rat für Tanz zu bilden, doch die »Uneinigkeit der Tanzverbände« wusste dies zu verhindern. Immerhin wurde zehn Jahre später der »Arbeitskreis Tanz« im Deutschen Kulturrat gegründet, in dem sich die großen Tanzverbände zusammen schlossen. Doch 1996, als der Deutsche Bundesverband Tanz einen erneuten Anlauf nahm, eine eigene Sektion Tanz zu etablieren, scheiterte dieser neuerliche Vorstoß an einer einzigen Stimme. Und wieder vergingen Jahre, bis erneut Bewegung in die Strukturen kam: Im Jahr 2005 änderte der »Rat für Darstellende Künste« seinen Namen in »Rat für darstellende Kunst und Tanz« – man beachte die veränderte Kleinschreibung und den aufgegebenen Plural. Die jüngste Entwicklung lässt jedoch wieder hoffen: Der »Rat für darstellende Kunst und Tanz« berief im Juni 2006 einen »Beirat Tanz« ein, 18 Personen wurden eingeladen, allerdings steht noch nicht fest, wer dem Beirat kontinuierlich angehören wird. Aber immerhin konnten sich die Anwesenden darauf einigen, dass die Tanzlehre/Tanzpädagogik DAS Thema ist, das alle Tanzsparten betrifft und dem man sich dringend annehmen sollte. Noch 1996 beschrieb der Deutsche Berufsverband für Tanzpädagogik in einer Festschrift die verfahrene Situation: »...die Geschichte der Tanzverbände in Deutschland ist eine Geschichte des latent vorhandenen guten Willens, der immer wieder vor allem an Eigenbrötelei, Engstirnigkeit und Eitelkeit sowie an mangelnder fachlicher und organisatorischer Kompetenz einzelner scheiterte...« Doch zusammen mit der ebenfalls 2006 ins Leben gerufenen »Ständigen Konferenz Tanz« ist die jüngste hoffentlich eine allemal erfreuliche Entwicklung in Deutschland. ■ Beirat Tanz im Deutschen Kulturrat gegründet von Gabriele Wittmann In den acht Sektionen des Deutschen Kulturrates lief der Tanz bislang mit unter dem Dach der darstellenden Kunst. Um ihm eine mächtigere Stimme zu verleihen wurde nun der »Beirat Tanz« gegründet, der im November erstmalig tagte. Unter Federführung des Deutschen Berufsverbandes Tanz diskutierten in Köln fünfzehn Persönlichkeiten aus Universitäten und Hochschulen, Theater- und Bundesverbänden. Erste Schritte waren ein Informationspapier zur gegenwärtigen Struktur der Sparte in Deutschland und eine Debatte über verbindliche Ausbildungsstandards. Diskussionspunkt war unter anderem das gegenwärtige nationale Interesse an Schulprojekten im Tanz, das nicht in eine »Event«-Kultur münden dürfe. Vielmehr müsse ein Fundament geschaffen werden, das auf lange Sicht trägt. ■ FolkwangHochschule > Zeitgenössische Tanzausbildung | Choreographie | Tanzpädagogik | Tanzschrift > praxisnah | kreativ | fordernd | aufregend | sinnlich > Projekte 06/07: Pina Bausch | Rodolpho Leoni | Johannes Wieland | Susanne Linke | José Limón | Choreographisches Zentrum - PACT Zollverein | Junge Choreographen > Gastdozenten: Juan Kruz Diaz de Garaio Esnaola | Susan McGuire | Libby Nye | Janet Panetta | Meredith Monk > Aufnahmeprüfungen 2. – 5. Juli 2007 | Anmeldeschluss 1. April 2007 FolkwangHochschule Anmeldeformulare unter: www.folkwang-hochschule.de Folkwang Hochschule | Klemensborn 39 | 45239 Essen 20 Ballett Intern 1/2007 Schmerz kennt keine Nationalität Rollten vorjährige Festivalausgaben der Tanzavantgarde den Teppich aus, so rückte die 16. euro-scene Leipzig das Schauspiel in den Blick. Sie fragte nach dem Verhältnis zur Musik, nach Harmonien und Diskrepanzen innerhalb gesellschaftlicher Prozesse und wählte »Konsonanzen – Dissonanzen« als vieldeutiges Motto. Eingeladen waren an sechs Spieltagen in neun Spielstätten insgesamt 22 Vorstellungen mit zwölf Gastspielen aus dem Europa zwischen Belgien und Ungarn sowie aus der Türkei. Veranstaltungen des Internationalen Theaterinstituts Berlin, Filme und Diskussionen bot das Rahmenprogramm. Finanziert wurde die euro-scene aus Mitteln der Stadt Leipzig, des Freistaats Sachsen und der Kulturstiftung des Bundes. auf lethargische Kollegen, muss eine Geburt einleiten, einen vom Traktor Überfahrenen mit zerbröselndem Instrumentarium amputieren, den Rest Bein einfach abbrechen. Zum Comic gerät sein Vortrag, wie er einen von der Familie verstümmelten Trinker rettet, der später seine Frau umbringt. Langsam lernt er, der eigentlich auf die Kunstschule gehen wollte, nicht mehr mitzusterben, wenn ein Patient stirbt. Als mit Sergej, dem Neuen, das Spiel neu beginnt, ist Andrej Teil der abgestumpft wodkaseligen Medizinmafia geworden. Aus seinem dokumentarischen Bericht inmitten wortlos choreographierter Mannschaft speist sich das harsche Stück, das mit Rock, Russenrap, LiveAkkordeon Zäsuren schafft und den Zuschauer nach 75 Minuten betroffen zurücklässt. Interviews aus Magazinen und TV-Shows, dazu Werbeslogans und Schminkanleitungen, verwenden auch Birute Mar und Oskaras Korsunovas vom OKT, dem Vilnius City Theatre. In ihrer »Grimo Opera« (»Make up-Oper«) sind drei Mimen Sänger, Schauspielerin, Tänzerin, die ihr Gesicht hinter Schminkmasken verbergen, in den verschiedensten Extremtypen brillieren und, allen Schönheitstipps zum Trotz, als zerstörte, Hotel Pro Forma, Kopenhagen »Theremin« (Foto: Ralf Richard Strøbech, Kopenhagen) Hans-Werner Klohe, Berlin: »Hugo Wolf Projekt« (Foto: Björn Reißmann, Berlin) Den einzigen reinen Tanzbeitrag hatte sich Hauptpartner BMW in sein imposantes Objekt geholt. Im riesigen Foyer fand sich ein intimer Platz für Hans-Werner Klohes rundum einsehbares »Hugo Wolf Projekt«, das 75 Minuten lang auf silbrigem Podest mit eingesenktem Flügel Tanz und Musik in ein BeziehungsGeäder zwischen vier Personen verstrickt. Tänzerpaar, Pianistin und Sänger treffen sich in eindringlichen Bildern um Einsamkeit, Verquickung, Abstoßung und Ratlosigkeit, wie sie sich aus Wolf-Lied, Skrjabin-Miniatur und Stille ergeben. Das ungewöhnliche Zusammenwirken, bei dem die Tänzer singen, Pianistin und Sänger gleichwertig tanzen, besticht durch skulpturale Gruppierungen, effektvolle Raumwirkungen und hat sogar Platz für Humor. Zeitgenössischer Tanz und klassische Musik in respektvoller, feinfühlig freizügiger Partnerschaft. Wie vom anderen Pol dagegen »Dok.Tor« des renommierten Teatr.doc aus Moskau. Die Compagnie reflektiert radikal ihr gesellschaftliches Umfeld, ob Strafvollzug, Obdachlosigkeit, Überfall aufs Moskauer Musical Theater, Beslaner Geiseldrama. Für »Dok.Tor« fußt Autorin Elena Isajewa auf Gesprächen mit einem Dorfarzt, die Nachwuchsstar Wladimir Pankow zugespitzt inszeniert. Der junge Chirurg Andrej trifft in der Provinz verbitterte Wracks enden. Videos in jagendem Tempo zeigen grell visagierte Gesichter, denen die Spieler heulend, kreischend, brummelnd, fistelnd ihre Stimme leihen. Komponist Antanas Kucinskas hat die virtuose einstündige Lautperformance mit hintersinnigem Humor ausgetüftelt. Ausgeklügelte Ästhetik verknüpft Hotel Pro Forma aus Kopenhagen, Dänemarks wichtigste Experimentalgruppe, mit einem unglaublichen Lebensschicksal. »Theremin« berichtet in betörend schönen, genießerisch statischen Licht-Bildern über den Petersburger Cellisten und Physiker gleichen Namens, der in seinen 97 Erdenjahren das nach ihm benannte, erste elektronische Instrument erfand, nach Rückkehr aus den USA wegen angeblicher konterrevolutionärer Tätigkeit in einen Gulag geriet, nach erpresster Erfindung einer Abhör-Wanze den Stalin orden erhielt und in Moskau Forscherkarriere machte. Lakonisch lassen die Regisseure Kirsten Dehlholm und Willie Flindt eine Schauspielerin aus Zitaten Verwandter, Bekannter und Mitgefangener ein widersprüchliches Persönlichkeitspuzzle des Wissenschaftlers formen, vier Kinder sich im Theremin-Spiel üben, zum Höhepunkt seine Großnichte auf dem berührungslos durch Fingerbewegung zu vibrierendem Klingen gebrachten In- Impressionen von der 16. euro-scene Leipzig von Volkmar Draeger Ballett Intern 1/2007 21 »Bewegungsmelder« Das deutsche Zentrum des Internationalen Theaterinstituts tagte in Leipzig von Michael Freundt Charlotte Engelkes, Stockholm: »Miss Very Wagner« (Foto: Anna Diehl, Stockholm) strument exzellieren – auch mit Saint-Saens’ »Sterbendem Schwan« in tragischem Tremolo. Wie ein Gespenst schweigt sich ein alter Mann durch die frappierende EineinviertelstundenBegegnung von Kunst, Physik und Politik auf dem Theater. Politik spiegelt auf poetische Weise auch das 5. Sokak Tiyatrosu aus Istanbul. »Ashura«, inszeniert vom Leiterpaar Mustafa und Övül Avkiran dieses 1995 gegründeten Theaters der 5. Straße, ist jedoch eher ein szenisches Konzert mit sparsamem Einsatz von Gestik und Tanz. Flaschen, geleert in besseren Zeiten oder als ein Dennoch, bilden die einzige Dekoration unterm Laufkran einer alten Werkhalle als Kulisse im spannungsvollen Dauer-Zwielicht. Aus fernen Tiefen ziehen in dunkler Prozession neun Menschen einer ziellosen Wanderung entgegen. Von der Unter drückung, Verteufelung, Vertreibung des Anderen seit Beginn der Menschheitsgeschichte spricht über ihnen eine körperlose Stimme. Und vom Sinn des Worts Ashura: als Tag im islamischen Kalender, als Bußritual für einen schiitischen Imam, als Name für Noahs süße Suppe. Übertitelt erfährt man von ethnischen Säuberungen nach 1923 und dem Wandel in der türkischen Bevölkerungsstruktur. Traumschöne Schlaf- und Klagelieder, Hymnen und rituelle Gesänge in armenischer, griechischer, hebräischer, kurdischer, lasischer*, türkischer Sprache künden von Sehnsucht, Liebe, Flucht, Emigration und zeigen, dass Schmerz keine Nationalität hat. Das Rezept für den multikulturell beliebten Getreidebrei Ashura beschließt als Hoffnungszeichen diesen bewegendsten euro-scene-Beitrag. Eingebettet zwischen »Velma Superstar« aus Lausanne, der Festivaleröffnung in der Arena Leipzig, und Alain Platels »vsprs« als umjubeltem Finale wusste sich – neben Gastspielen auch der Stockholmer Soloperformerin Charlotte Engelkes und von Béla Pintér aus Budapest – das zauberhafte »Wasserkonzert für einen Wintergarten« der Compagnie Mélodie Théâtre aus der Normandie zu behaupten. Sechs seriöse Herrschaften musizieren in laubenüberdachtem Bassin auf Gläsern, Schläuchen, Glocken, Töpfen, Röhren, Luftpumpe, Tröte, Muschel so fröhlich drauflos, blubbernd, gurgelnd, sprühend, dass die Welt des Wassers eine volle Stunde lang zum verblüffend musikalischen Kosmos wird. Schuberts Lied von der »Forelle« erklingt stimmunterstützt auf französisch, zwitschernde Vögel staksen umher, der Klang von Orient, Samba, Flamenco markiert Stationen einer Bildungsreise, auf der man sich bestens amüsiert und doch keinen Schritt tun muss. So viel Einfallsreichtum gebührt die Goldene Palme, auch wenn Leipzig nicht Cannes ist. ■ *D ie lasische Sprache gehört zur südkaukasischen Sprachfamilie, sie ist weder mit dem Türkischen noch mit dem Griechischen verwandt 22 Das deutsche Zentrum des Internationalen Theaterinstituts (ITI) hielt auf Einladung des Festivals »euro-scene Leipzig« am 11. und 12. November 2006 seine Jahrestagung in Leipzig ab. Das ITI als Theaterorganisation der UNESCO (siehe auch Seite 8 in dieser Ausgabe) engagiert sich weltweit für den Schutz der kulturellen Vielfalt und für die Zusammenarbeit zwischen den Theaterkulturen. Das deutsche ITI-Zentrum mit Sitz in Berlin setzt mit eigenen Projekten maßgebliche Impulse im Weltverband. In der Jahresversammlung wurden die Arbeit der Fachkommissionen und Arbeitsgruppen ausgewertet sowie die nationalen und internationalen Projekte koordiniert. Für das herausragende Projekt des deutschen ITI, das Festival »Theater der Welt«, informierte der Kurator des nächsten Festivals 2008 in Halle, Torsten Maß, über den Stand der Vorbereitungen und die konzeptionelle Ausrichtung. Neben anderen Aktivitäten wurde auf der Mitgliederversammlung auch das Wirken für den Tanz herausgehoben, welches – auch aufgrund zahlreicher Mitglieder aus dem Tanzbereich, darunter der DBfT und die Gesellschaft für Tanzforschung, aber auch Künstler wie Susanne Linke, Irina Pauls und Dieter Heitkamp – zudem Aufmerksamkeit und Wirkung entfaltet. So wird seit vier Jahren die Publikation zur Tanzplattform Deutschland redaktionell betreut. Die Gründung des Netzwerks »Ständige Konferenz Tanz« wurde durch das ITI als neutraler Institution unterstützt und schließlich wurde mit der Projektreihe »Bewegungsmelder« ein Reihe interdisziplinärer künstlerischer Begegnungen, Foren und choreographischer Workshops initiiert. Mit zwei öffentlichen Veranstaltungen war das ITI im Rahmen des Festivals präsent. Zum Thema »Vom Gesamtkunstwerk zum entgrenzten Theater« diskutierten öffentlich Nike Wagner (Kunstfest Weimar), Barbara Mundel (Theater Freiburg i. Br.), Fabrizio Cassol (Gent) und Paul Koek (De VeenFabriek, Leiden) die Tendenzen zur verstärkten Durchdringung von Text, Körperausdruck und Musik und zur Aufhebung der klassischen Spartentrennungen im gegenwärtigen Theater. »Bewegungsmelder« war auch der Titel von Diskussionsrunden, zu denen das ITI in Leipzig Vertreter aus Technik, Wissenschaft und Politik mit Künstlern aus Deutschland und den USA eingeladen hatte. Die Mitgliederversammlung wählte einen neuen Vorstand. Ihm gehören an: Laura Bermann (Musikdramaturgin, Berlin), Stephanie Gräve (Dramaturgin, Bonn), Harald Müller (Verlagsleiter von Theater der Zeit, Berlin), Irina Pauls (Choreographin, Freiburg), Jürgen Schitthelm (Direktor der Schaubühne am Lehniner Platz Berlin), Bettina Sluzalek (Künstlerische Geschäftsführerin des Theaterhauses Stuttgart), Alexander Stillmark (Regisseur, Berlin) und Ann-Elisabeth Wolff (Festivalleiterin der euro-scene Leipzig). Der Präsident der deutschen ITI-Sektion, Manfred Beilharz (Intendant Staatstheater Wiesbaden), der auch dem Weltverband vorsteht, sowie der Vizepräsident Roberto Ciulli (Intendant Theater an der Ruhr, Mülheim) führen ihre Arbeit im Präsidium fort. Der zweite Vizepräsident Volker Ludwig kandidierte nicht mehr für eine neue Amtszeit. Als sein Nachfolger wurde Martin RoederZerndt, Intendant des Theaters Heilbronn, gewählt. ■ Ballett Intern 1/2007 Engagement für den Tanz, regional und international Seit 30 Jahren bereichern die Ballettfreunde Hamburg das Kulturleben der Hansestadt von Dagmar Fischer Klein anzufangen ist nichts besonders. Doch mit Geduld und Kontinuität zu wachsen und wirklich etwas zu bewegen, ist schon beachtlich. Die »Ballettfreunde Hamburg e.V.« konnten im Dezember 2006 ihr 30-jähriges Bestehen feiern. Und da John Neumeier untrennbar mit der Geburtsstunde der engagierten Gemeinschaft verbunden ist, fand das Jubiläum in der Ballettschule des Hamburg Ballett statt, und der Choreograph und Hamburger Ballettintendant erinnerte sich in launiger Weise in einer Rede an die Anfänge im Jahr 1976. Zu jener Zeit war John Neumeier erst drei Jahre in Hamburg, als vielversprechender Nachwuchschoreograph ganz mit seinen künstlerischen Aufgaben und dem Aufbau einer Compagnie beschäftigt. Um den privaten Neumeier-Haushalt kümmerte sich damals eine Edith Trockenbrodt – doch sie interessierte sich für mehr als nur die hauswirtschaftlichen Tagesgeschäfte des Künstlers. Anlässlich eines Gastspiels des Hamburg Ballett in Stuttgart traf sie Willy Wiermann, Tanzfan wie sie. Da es weitere Ballettenthusiasten in Norddeutschland gab, lag es nahe, sich zusammen zu schließen. Und als die nächste Gastspielreise nach Wien anstand, kamen sie auf die Idee, gemeinsam mit einer Gruppe Gleichgesinnter einen Bus zu mieten, um die Vorstellung auch dort miterleben zu können. Doch dafür brauchte Edith Trockenbrodt das »O.K.« ihres Arbeitgebers John Neumeier. Und so stellte sie sich eines Morgens ihm, den ganz andere Gedanken beschäftigten, auf dem Weg zum Frühstück so lange beharrlich in den Weg, bis Neumeier sein Einverständnis gab – nach eigenen Aussagen wollte er das Thema nur vom Tisch haben. »Ich konnte ja nicht ahnen, dass es Folgen haben und daraus dieser Verein entstehen würde!«, scherzte der Choreograph in seiner Jubiläums-Rede. Es wurde ein Verein daraus! Denn John Neumeiers Haushälterin hatte Willy Wiermann überzeugt, der die Gründung in Hamburg sogleich vorantrieb und auch den Vorsitz des eingetragenen Vereins übernahm, damals unter dem Namen »Kreis Hamburger Ballettfreunde e.V.«. Das Reisen wurde dem schnell wachsenden Kreis zur Passion, und John Neumeier verfolgte nach eigener Aussage mit Staunen, dass mehrere Reisen pro Jahr organisiert wurden, schon bald nicht mehr nur zu Gastspielen der »eigenen« Compagnie, sondern zu namhaften Ensembles in der ganzen Welt. Doch damit nicht genug, die Ballettfreunde engagierten sich ebenso regelmäßig für den Tänzernachwuchs. Und hier zeigte sich der Choreograph Neumeier anlässlich des Jubiläums einmal mehr als dankbarer Schulleiter, der alljährlich begabte Schüler für ein Stipendium vorschlägt – und die Ballettfreunde Hamburg tragen die Kosten für die Ausbildung zukünftiger Tänzer, die den Betrag von rund 8.000 Euro pro Jahr selbst nicht aufbringen könnten. Und genau diese Stipendiaten tanzten zum 30-jährigen Bestehen der Ballettfreunde Auszüge aus Neumeier-Werken für die zahlreich erschienenen Mitglieder im größten Saal des Ballettzentrums, unterstützt von weiteren Schülern der Schule aus nahezu jedem Ausbildungsjahr. Marjetta Schmitz-Esser, die vor drei Jahren Willy Wiermann ablöste und seither als Erste Vorsitzende den Verband leitet, erinnerte in ihrer Würdigung an diesen traditionsreichen Ballettsaal: »An dieser Stelle haben wir oft Interviews mit Tänzern, Ballettlehrern, Ballettmeistern und Choreographen geführt, und dabei Alltag, Praxis und Idee hinter dem Ballettgeschehen zum Vorschein gebracht und darüber zu diskutieren angeregt.« Und schließlich bestätigte Dr. Detlef Gottschalck, Staatsrat der Hamburger Kulturbehörde, dass die Aktivi täten der Ballettfreunde Hamburg, zu denen ja auch Vorträge, Künstlergespräche und vieles mehr gehören, wertschätzend von offizieller Seite wahrgenommen werden. ■ oben: Fee Lichtenberg als Julia und Alexandr Trusch als Romeo unten: Marjetta Schmitz-Esser vorne, die Erste Vorsitzende der Ballettfreunde Hamburg (Fotos: Karin Jährig) Ballett Intern 1/2007 23 und Die Europäische Gemeinschaft und die ersten Mitgliedsstaaten der EU begingen am 19. Dezember 2006 mit einer politischen Feierstunde in Brüssel ihren Beitritt zum UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen (2005). 21 Staaten haben das Übereinkommen bislang ratifiziert. Nach dem Beitritt der EU-Mitgliedstaaten am 18. Dezember 2006 fehlen nur noch wenige Ratifizierungen, damit das Übereinkommen – drei Monate nach Eingang der 30. Ratifizierungsurkunde bei der UNESCO – in Kraft treten kann. Dies wird mit hoher Wahrscheinlichkeit im Frühjahr 2007, während der deutschen EU-Ratspräsidentschaft, der Fall sein. Vom 26. bis 28. April 2007 veranstaltet die Deutsche UNESCOKommission im Rahmen der deutschen Ratspräsidentschaft die internationale Fachkonferenz „Kulturelle Vielfalt – Europas Reichtum. Das UNESCO-Übereinkommen mit Leben füllen“ in Essen, Kulturhauptstadt Europas Ruhr 2010, in Zusammenarbeit mit dem Kulturhauptstadtbüro Ruhr 2010. Die Konferenz ist international eine der ersten Veranstaltungen, die die Umsetzung des Übereinkommens thematisiert. Sie stellt das Leitbild Kulturelle Vielfalt zur Diskussion, mit Foren zu den Themenbereichen Film, Musik, Rolle der Zivilgesellschaft, urbaner, öffentlicher Raum, Nord-Süd-Kooperation, Medienpolitik und mit einem Forum U 40/Kulturelle Vielfalt 2030. Gäste und Referenten aus Europa, Nord- und Südamerika, Afrika, Asien und arabischen Ländern nehmen teil. Die Arbeitssprachen der Konferenz sind Deutsch, Englisch, Französisch. Die Konferenz wird gefördert durch die Kulturstiftung des Bundes, das Auswärtige Amt, die Landesregierung Nordrhein-Westfalen und die Europäische Kommission. Für alle Teilnehmer der Fachkonferenz besteht zudem die Möglichkeit am Abschlusstag dem 28. April die Gala zur Verleihung des Deutschen Tanzpreises 2007 im Aalto Theater Essen zu erleben. Pädagogische Wochenend-Seminare „Tänzerische Entdeckungsreise und Bewegungsabfolgen des Beckenbereiches auf der Basis der Pilates-Methode und darüber hinaus“ Dozentin: Apollonia Holzer (Wien/New York) Langenselbold: Samstag 10. März 2007, 11.00 – 17.30 Uhr Sonntag 11. März 2007, 11.00 – 17.30 Uhr Seminaradresse: Ballett im Schloss, U. Neuhaus Hüttengesässerstr. 20, 63505 Langenselbold Anmeldeschluß: 3. März 2007 Teilnahmegebühren: Mitglieder 75,00 € Nichtmitglieder 100,00 € Kreativer Kindertanz! Was ist das? Dozentin: Ulla Wenzel Essen: Sonntag 18. März 2007, 11.00–17.00 Uhr Seminaradresse: Studio M, G. Maier, Eisenbahnstraße 11, 45134 Essen Anmeldeschluß: 11. März 2007 Teilnahmegebühren: Mitglieder 65,00 € Nichtmitglieder 80,00 € Anmeldeformulare bitte anfordern beim: DEUTSCHER BERUFSVERBAND FÜR TANZPÄDAGOGIK e.V. Hollestraße 1, D-45127 Essen – Fon 0201-228883 Renommierte RAD®-Ballettschule in Süddeutschland sucht zum nächsten Schuljahr (Sept. 2007) erfahrene und registrierte Ballettlehrerin der Royal Academy of Dance® (bevorzugt mit Bühnenerfahrung) für ca. 20 Unterrichtsstunden pro Woche (Babyclass, Pre-Primary bis Grade 8 sowie Intermediate Foundation, Intermediate und Modern Jazz)! Gute Bezahlung sowie Unterstützung bei der Wohnungssuche! Ballettschule Prien am Chiemsee • Nicole Hadrawa-Sedlak Irschenerstraße 8a • 83233 Bernau • [email protected] 24 Ballett Intern 1/2007 Einladung Die Verleihung des Deutschen Tanzpreises 2007 zur Verleihung des und des 2007 Deutschen Tanzpreises und des Deutschen Tanzpreises Deutschen Tanzpreises »ZUKUNFT« 2007 »ZUKUNFT« 2007 Deutscher Berufsverband für Tanzpädagogik e.V. Die Veranstaltung ist eingebunden ist eingebunden in die Veranstaltung in die Veranstaltung der Deutschen der Deutschen UNESCO-Kommission UNESCO-Kommission »Kulturelle Vielfalt – Europas Reichtum. Das UNESCO-Übereinkommen mit Leben füllen« Fachkonferenz im Rahmen der Deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2007 26. April bis 28. April 2007 in Essen, Kulturhauptstadt Europa 2010 (Anmeldung bis zum 22. Januar 2007 unter www.unesco.de) sowie des 2. Symposiums »Politik für den Tanz« zur aktuellen Situation des Tanzes in Deutschland »Der künstlerische Tanz in der kulturellen Bildung und Wahrnehmung heute« Gemeinsame Veranstalter sind der Verein zur Förderung der Tanzkunst in Deutschland e.V., Essen und die Ständige Konferenz Tanz, Berlin. am Internationalen »Tag des Tanzes«, Sonntag, 29. April 2007, 10:30 Uhr im Rats-Saal des Rathauses der Stadt Essen Weitere Informationen für alle Veranstaltungen finden Sie in BALLETT INTERN April 2007 r Tanz fsverband fü ru e B e h c Béjart ts Der Deu ete Maurice n h ic e z . en .V e künstlerisch pädagogik n e d m u te s rdien 1994 für seine Ve n Tanzpreis e h c ts u e D m Tanz mit de ieß es: gründung h e B r e d In . aus d Balgraph un o e r o h C r, er e r und Leit »Als Tänz to ia it In ls r, a und lettdirekto Schulen in Brüssel s‹a usbildung a der ›Mudr z n a T s e ie d sanDakar sow dra Atelier‹ in Lau u ›R Laufe seiim projektes t r ja é B res urice ne hat Ma s durch sein singulä it fen sönlichke r e P nes Schaf r e in e kraft s des für Werk und rausragen e H lt e hunW in aller eres Jahr s n u z n ta en den Bühn tet.« is der t gele