zeitreisen - Gymnasium Ebingen
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HITLER TÖTEN & GANDHI RETTEN? ZEITREISEN: SIND SIE MÖGLICH UND DÜRFTE MAN SIE NUTZEN, UM DIE WELTGESCHICHTE ZU VERÄNDERN? Wissenschaftliche Dokumentation vorgelegt von Kevin Bay Seminarkurs 2009/2010 Stammklasse 12c Fachlehrer: Studienrat Michael Boss Studienrat Stefanie E. Doldinger Fachberater: Studiendirektor Günter Schmidt Gymnasium Ebingen 15. April 2010 GLIEDERUNG: 1. Sind Zeitreisen möglich?................................................................................................................................... 4 1.1. Die vierte Dimension Zeit ...................................................................................................................... 4 1.2. Zeitreise in die Zukunft .......................................................................................................................... 4 1.2.1. Einsteins Gedankenexperiment: Die Lichtuhr und der Zug ............................................... 5 1.3. Zeitreise in die Vergangenheit ............................................................................................................. 7 1.3.1. Die String-Theorie nach Gott ...................................................................................................... 7 1.3.2. Paradoxien und ihre Lösung......................................................................................................... 9 1.3.2.1. Das Großmutter-Paradoxon ............................................................................................ 9 1.3.2.2. Der Zeitreisen-Tourismus ................................................................................................. 11 1.3.3. Die Chaos-Theorie ........................................................................................................................... 11 2. Die Frage nach der Verantwortung ............................................................................................................... 12 2.1. Hans Jonas und das Prinzip Verantwortung ................................................................................... 12 2.1.1. Die Zeit als Adaption zur Natur .................................................................................................. 12 2.1.2. Das Prinzip Verantwortung .......................................................................................................... 13 2.2. Jeremy Bentham und der Utilitarismus ............................................................................................ 15 2.2.1. Hitler und das höchste Ziel im größtmöglichen Glück der größtmöglichen Zahl .... 16 3. Konklusion.............................................................................................................................................................. 18 2 LITERATURVERZEICHNIS Drude, Paul (Hrsg.): Annalen der Physik. Vierte Folge, Bd. 17, Heft 1, Leipzig 1905 Gott, Richard J.: Zeitreisen in Einsteins Universum, Reinbek 2002 Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt am Main 1984 Landau, Rumer: Was ist die Relativitätstheorie, Leipzig 1972 Lorenz, Edward N.: Deterministic Nonperiodic Flow. In: Journal of the Atmospheric Sciences, Vol. 20, No. 2, 130-141, 1963 Mill, John Stuart: Utilitarianism, 1863 Pieper, Annemarie: Einführung in die Ethik, 5. Auflage, Tübingen 2003 Vaas, Rüdiger: Tunnel durch Raum und Zeit, Stuttgart 2005 Vaas, Rüdiger: Der Mord am eigenen Ahnen. In: Bild der Wissenschaft, 07/1998, S. 72-75 Wells, H.G.: Die Zeitmaschine, eine Erfindung, Zürich, Diogenes, 1974 INTERNETQUELLEN http://www.akademieforum.de/grenzfragen/open/Grundlagen/Mu_Chaos/frame.htm am 19.02.2010 12:15 VERSICHERUNG Ich versichere, dass ich die vorgelegte Facharbeit ohne fremde Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Ich bestätigte ausdrücklich, Zitate und Quellangaben mit größter Sorgfalt und Redlichkeit in der vorgeschriebenen Art und Weise kenntlich gemacht zu haben. Die genutzten Internettexte habe ich alle auf beiliegender CD ordnungsgemäß gespeichert. _____________________ Ort/Datum _______________________ Unterschrift 3 1. SIND ZEITREISEN MÖGLICH? Zeitreisen lösen bereits seit Jahrhunderten eine Faszination bei Menschen aus, die sich in unzähligen literarischen Werken und Filmen wiederfindet. Mit dem Aufkommen der modernen Physik wurde das als Hirngespinst abgestempelte Phänomen dank Einsteins Spezieller Relativitätstheorie wieder aktueller den je. Neue Untersuchungen wurden angestellt. Das bisherige Ergebnis verblüfft und nimmt dem Thema Zeitreisen den Anstrich von Fantasie und Willkür, denn: Zeitreisen sind nicht gänzlich unmöglich. 1.1 Die vierte Dimension: Zeit In der allgemeinen Vorstellung unserer heutigen Zeit hat jeder Gegenstand drei Dimensionen. Er besitzt eine Länge, eine Breite und eine Höhe. Für das Gedankenexperiment der Zeitreise ist dies jedoch nicht ausreichend. Um dies zu veranschaulichen, nehme man eine Einladung für eine Party in New York. Um zu dieser Party erscheinen zu können, ist es notwendig die Straße, die Hausnummer, sowie das Stockwerk zu kennen. Um rechtzeitig zu erscheinen, fehlt allerdings eine weitere Angabe: Die Uhrzeit. Ein abstrahierteres Beispiel kann in Form eines einfachen Würfels herbeigezogen werden. Der Würfel besitzt die drei bekannten Dimensionen Länge, Breite und Höhe. Sollte die zeitliche Komponente fehlen, stellt sich die Frage: Existiert der Würfel überhaupt? Ähnlich hat es H.G. Wells in seinem Roman „Die Zeitmaschine“ 1 formuliert. Denn in diesem wird eine Person gefragt, ob eine Linie mit der Dicke 0 existieren könne. 2 Die Frage wird verneint. Genauso verhält es sich mit der Zeit. Ein Gegenstand ohne Zeitdimension bzw. –angabe existiert nicht. Füge ich dem Würfel als Beispiel die Zeitdimension 05. Januar 2010 hinzu so existiert der Würfel zu dieser Angabe. 3 Bedenkt man diesem Aspekt bei der Betrachtung von Zeitreisen wird die Notwendigkeit einer vierten Dimension deutlich. 1.2 Die Zeitreise in die Zukunft Die Zeitreise in die Zukunft ist eine Handlung, die möglich und bereits geschehen ist. 1 H.G. Wells: Die Zeitmaschine, eine Erfindung, Zürich, Diogenes, 1974 2 ebd. 3 vgl. Gott, Richard J.: Zeitreisen in Einsteins Universum, Reinbek 2002, S. 14 f. 4 1.2.1 Einsteins Gedankenexperiment: Die Lichtuhr und der Zug Um die Zeitreise in die Zukunft zu erklären, wird ein Gedankenexperiment von Einstein herangezogen. In diesem Experiment wird eine einfache Lichtuhr konstruiert, indem zwei gegenüberliegende Spiegel angebracht werden. Zwischen diesen beiden Spiegeln wandert ein Lichtstrahl. Jedes Mal wenn der Lichtstrahl einen Spiegel trifft, „tickt“ die Uhr einmal. Mit dem Wissen, dass die Lichtgeschwindigkeit, die niemals überschritten werden kann, 300.000 km/s beträgt, kann festgestellt werden, dass die Uhr eine Strecke von einem Fuß innerhalb einer Nanosekunde zurücklegt. Stellt man die Spiegel in Folge dessen in einem Abstand von drei Fuß auf, so tickt die Uhr alle drei Nanosekunden. Nun wird im Zug, der mit 80 % der Lichtgeschwindigkeit fährt, ein weiteres Spiegelpaar installiert. Am Bahnsteig steht ein Schaffner, der in den Zug und auf die Spiegel sehen kann, während neben ihm ebenfalls eine solche Lichtuhr angebracht ist. Diese Uhr tickt alle drei Nanosekunden, da das Licht für die Strecke von drei Fuß drei Nanosekunden benötigt. Wenn der Schaffner hingegen die Spiegel im Zug beobachtet, stellt er folgendes fest: Der Lichtstrahl, der zwischen den beiden Spiegeln wandert, als der Zug an ihm vorbei fährt, beschreibt einen Zick-Zack-Kurs. 4 Denn während er an ihm vorbeifährt, ändert sich auch die Position des Spiegelpaares (vgl. Abb. 1). Während der Abb. 1: Ein Zugwaggon, der sich mit 80 % der Lichtgeschwindigkeit bewegt 4 vgl. Landau, Rumer: Was ist die Relativitätstheorie, Leipzig 1972, S. 39 5 Schaffner verfolgt, wie sich der Lichtstrahl vom unteren Spiegel zum oberen bewegt, sieht der Schaffner den Lichtstrahl diagonal nach oben rechts laufen. Dies geschieht, da sich der obere Spiegel zu dem Zeitpunkt, als der Lichtstrahl ihn trifft, rechts von der Stelle befindet, an der er war, als der Lichtstrahl seinen Weg begann. 5 Dieser Weg setzt sich auch nach unten fort. Derweil der Lichtstrahl zum unteren Spiegel wandert, bewegt sich dieser Spiegel ebenfalls mit. Daher verläuft der Strahl nach unten rechts. In Abb. 1 ist deutlich zu sehen, dass der Weg, den das Licht im Vergleich zur unbeschleunigten Lichtuhr des Schaffners nimmt, länger ist. Er ist nämlich anstatt drei Fuß, fünf Fuß lang ist. Die Lichtuhr des Schaffners tickt in 15 Sekunden fünf Mal, da seine Uhr nur den Weg von drei Fuß überwinden muss. Beobachtet er jedoch den Zug, so hört er die Lichtuhr im Zug nur drei Mal ticken. An dieser Stelle kommt die Spezielle Relativitätstheorie ins Spiel. Einstein beschreibt in seinem zweiten Postulat der Speziellen Relativitätstheorie: „Jeder Lichtstrahl bewegt sich im "ruhenden" Koordinatensystem mit der bestimmten Geschwindigkeit V, unabhängig davon, ob dieser Lichtstrahl von einem ruhenden oder bewegten Körper emittiert ist.“ 6 Dies bedeutet, dass die Lichtgeschwindigkeit im Vakuum konstant ist, unabhängig von der Quelle, dem Bezugssystem oder dem Beobachter. Nach diesem Postulat von Einstein ist die Lichtgeschwindigkeit konstant. 7 Übertragen auf das Beispiel: Das Licht im Zug läuft von einem Spiegel zum anderen mit der gleichen Geschwindigkeit, wie bei der Lichtuhr des Schaffners. Somit fällt die Lichtgeschwindigkeit als Begründung für den längeren Zeitintervall heraus. Der Schaffner beobachtet, dass die Zeitintervalle zwischen jedem Ticken der Uhr in dem Zug länger sind, als die Zeitintervalle der eigenen Lichtuhr. Von der Position des Schaffners sieht es also so aus, als ob die Zeit in dem Zug langsamer verläuft, als bei ihm auf dem Bahnsteig. Ersetzt man nun das Ticken der Uhr durch Herzschläge, würde das Herz des Zugreisenden aus der Sicht des Schaffners langsamer schlagen (in dem Fall nur 3x in 15 Sekunden) wohingegen sein eigenes 5x in 15 Sekunden schlagen würde. Da das Herz langsamer schlägt, altert der Reisende aus 5 vgl. Gott, Richard J.: Zeitreisen in Einsteins Universum, Reinbek 2002, S. 59f. 6 Drude, Paul (Hrsg.): Annalen der Physik. Vierte Folge, Bd. 17, Heft 1, Leipzig 1905, S. 895 7 Vgl. Gott, Richard J.: Zeitreisen in Einsteins Universum, Reinbek 2002, S. 56f. 6 der Perspektive des Schaffners auch langsamer. So würde für 5 Jahre, die der Schaffner erlebt nur 3 Jahre für den Reisenden im Zug vergehen. Der Zugfahrer reist somit in die Zukunft! 8 Dieser Effekt, Zeitdilatation im Fachjargon genannt, verstärkt sich, je mehr sich der Zug der Lichtgeschwindigkeit annähert. Dies ist damit zu begründen, da die Spiegel eine weitere Distanz zurück legen, je schneller der Zug fährt. Würde der Zug mit 99,995 % der Lichtgeschwindigkeit fahren, so würde die Uhr des Reisenden nur ein Hundertstel so schnell ticken, wie die Uhr des Schaffners. 9 1000 Jahre auf der Erde wären für den Reisenden im Zug somit nur 10 Jahre. Würde ein solcher Reisender, 18 Jahre alt, im Jahr 2010 in einen solchen Zug steigen und 10 Jahre lang mit 99,995 % der Lichtgeschwindigkeit fahren, würde er im Jahr 3010 wieder herauskommen, während er selbst erst 28 Jahre alt wäre. Diese Vorstellung entspricht nicht dem klassischen Gedanken einer Zeitreise, in der dem Klischee entsprechend eine große Maschine existiert, die einen sodann vorwärts oder rückwärts durch die Zeit befördert. Nichtsdestotrotz handelt es sich um eine Zeitreise. Zeitreisen in die Zukunft sind also möglich und bereits geschehen. Der am weitesten in die Zukunft gereiste Mensch ist der russische Kosmonaut Sergej Awdejew. Er verbrachte in seinem Leben insgesamt 748 Tage im Weltall. Seine Geschwindigkeit auf der MIR betrug zwar nur 0,00254 % der Lichtgeschwindigkeit, dennoch reiste er im Verhältnis zur Erde um eine Fünfzigstel Sekunde in die Zukunft. 10 1.3 Zeitreisen in die Vergangenheit Die Zeitreise in die Vergangenheit ist im Gegensatz zur möglichen Zeitreise in die Zukunft ein sehr viel komplexeres und theoretischeres Thema. Es gibt viele unterschiedliche Theorien und Ansätze, von der bis zum heutigen Tag keine bewiesen wurde. Im Folgenden ist es nicht möglich, auf alle Theorien einzugehen, daher wird nur eine Theorie erläutert. 8 vgl. Gott, Richard J.: Zeitreisen in Einsteins Universum, Reinbek 2002, S. 59f. 9 ebd., S. 62 10 vgl. Vaas, Rüdiger: Tunnel durch Raum und Zeit, Stuttgart 2005, S. 182 7 1.3.1 Die String-Theorie nach Gott Richard J. Gott fand eine Theorie, mit der es möglich sein soll, in die Vergangenheit zu reisen. Zu diesem Zweck zieht er die sogenannte String-Theorie heran. Ein String (engl. „Faden“) stellt demnach eine Art extrem langen Faden aus extrem dichtem Material dar. Ein String hat kein Ende und ist somit unendlich. Laut der geltenden Theorie haben diese Strings zumeist eine geringere Dicke als ein Atomkern. Ihre Masse hingegen beträgt zehn Millionen Milliarden Tonnen pro Zentimeter (10 000 000 000 000 000 t/cm). Ausgehend von der Krümmung von Raum und Zeit durch besonders große Massen nach Einstein, wird eine Krümmung der Raumzeit durch die Strings angenommen. Physiker fanden zusätzlich heraus, dass die Raumzeit um einen String konisch gekrümmt Abb. 2: Papiermodel der String-Theorie. Durch die Gravitation der Strings wird der Raum um die Strings konisch gekrümmt. Es ergibt sich eine Abkürzung über Bahn 1 (grün), welche kürzer ist, als würde man den direkten Weg über Bahn 2 (blau) nehmen würde. werden würde. 11 Gott stellte nun folgende Hypothese auf: Er nahm zwei unendlich lange Strings und ordnete sie parallel zueinander in absoluter Ruhe an. Die Raumzeit krümmt sich nun an den jeweiligen Strings (vgl. Abb. 2). Dadurch ergeben sich nun zwei mögliche Routen, die das Licht nehmen kann. Es gibt den direkten Weg zwischen zwei Punkten (in diesem Beispiel Bahn 2). Daneben gibt es, bedingt durch die Krümmung der beiden Strings, einen Weg (Bahn 1), der scheinbar nicht der direkteste ist, sondern an einem der beiden Strings vorbeiführt. Jedoch verhält es sich durch die Raumkrüm11 vgl. Gott, Richard J.: Zeitreisen in Einsteins Universum, Reinbek 2002, S. 114ff. 8 mung des Strings so, dass diese Strecke ein wenig kürzer ist, als die direkte Bahn. Dies ist der entscheidende Punkt an Gotts Theorie. Würde man nun am Punkt A einen Lichtstrahl auf der direkten Bahn losschicken und im gleichen Moment mit annähernder Lichtgeschwindigkeit die kürzere Bahn fliegen, wäre man demnach vor dem Lichtstrahl an Punkt B angelangt. In diesem Fall würde man seinen eigenen Aufbruch von der Erde sehen, wenn der Lichtstrahl am Punkt B ebenfalls angekommen ist. Man sieht sich an diesem Punkt quasi selbst in der Vergangenheit. 12 Begibt man sich nun in die höhere Physik ist es unter bestimmten Bedingungen möglich, die Reise über eine ähnliche Abkürzung zurück zu nehmen. Dies hätte den Effekt zur Folge, dass man die tatsächliche Zeitreise unternimmt. Der Zeitreisende würde sodann kurz vor dem Aufbruch seines jüngeren Ichs ankommen können, ihm die Hand schütteln und ihm „viel Spaß auf der Reise“ wünschen. Die genaue physikalische Begründung für diese zweite Hälfte würde jedoch den Rahmen dieser Facharbeit und darüber hinaus den Rahmen meiner Fachkompetenz sprengen. Wichtig ist der Punkt, dass man durch das Überholen des Lichts auf einem kürzeren Weg Zeitreisen in die Vergangenheit theoretisch möglich machen könnte. 1.3.2 Paradoxien und ihre Lösung 1.3.2.1 Das Großmutter-Paradoxon und die Viele-Welten-Theorie Das bekannteste Paradoxon, welches Zeitreisen zu bieten haben, ist sicherlich das GroßmutterParadoxon. Dieses Paradoxon beruht auf einer einfachen Annahme: „Ich reise in die Vergangenheit und zwar in jene Zeit, als mein Vater noch nicht geboren wurde. Dort suche ich meinen Großmutter auf und erschieße sie, sodass mein Vater nie geboren werden kann und sodass ich nie geboren werden kann und es mich nicht mehr geben dürfte.“ Was würde passieren, sollte dies je geschehen? Im ersten Moment erscheint dieses Paradoxon unlösbar, weswegen es eben jene Bezeichnung erhalten hat. Doch es gibt mehrere Lösungsansätze, die dieses Paradoxon zu lösen vermögen. Eine davon, die „Viele-Welten-Theorie“, soll nun näher beleuchtet werden. Um diese Theorie anzuwenden muss man sich in die Quantenmechanik begeben. Diese zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelte Theorie dient dazu, das Verhalten von Molekülen und Atomen zu erklären. Bedeutsam hierfür wird die Heisenbergsche Unschärferelation. Diese besagt, dass es nicht 12 ebd. , S. 115ff. 9 möglich ist, den Ort und die Geschwindigkeit eines Teilchens mit beliebiger Genauigkeit festzustellen. 13 Daher müssen sich die Quantenmechanik und –gleichungen mit Wahrscheinlichkeiten begnügen. Die Physiker rechnen daher aus, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist, ein Teilchen an einem bestimmten Ort anzutreffen. Bedeutend für das Großmutter-Paradoxon wird nun die Annahme einiger Physiker, die besagt: „Für jeden Ort, an dem [man] das Teilchen antreffen könnte[…], gibt es eine Parallelwelt, in der wir das Teilchen auch tatsächlich entdecken.“ 14 Somit würde es bspw. bei einer einfachen „Ja/Nein“-Situation, wie einem Münzwurf, zwei Welten geben. Eine, in der die Münze bei „Kopf“ landet und eine bei der sie auf „Zahl“ landet. Dieser Theorie zufolge hat jede Entscheidung eine oder mehrere Parallelwelten oder auch „Alternative Realitäten“, die entstehen, zur Folge. Dies gilt für jeden Moment, in dem irgendwo eine Entscheidung getroffen wird. Eine passende Veranschaulichung hierfür ist die Vorstellung eines Bahngleises (s. Abb. 3). Der Zeit- Abb. 3: Das Gleismodell mit Gleis 1 und dem „Heimatgleis“ des Zeitreisenden und das veränderte Gleis 2 mit totem Großmutter und Zeitreisendem. reisende fährt auf Gleis 1 in seiner aktuellen Welt. Wenn er nun bei seiner Zeitreise seine Großmutter erschießt, teilen sich die Gleise. Der Zeitreisende fährt nun auf Gleis 2 weiter, welches nun 13 vgl. Gott, Richard J.: Zeitreisen in Einsteins Universum, Reinbek 2002, S. 22f. 14 ebd. S. 23 10 parallel zu Gleis 1 verläuft. Gleis 1 und somit die urspüngliche Welt bleibt dabei unangetastet, dort wird er und sein Vater weiterhin geboren. Einzig und allein auf Gleis 2/Welt 2 wird er nun nie geboren werden. Das Paradoxon wäre gelöst. 1.3.2.2 Der Zeitreisen-Tourismus Neben den Paradoxa, die mit dem Thema Zeitreisen automatisch einhergehen, sollte die Idee des „Zeitreisen-Tourismus“ ebenfalls kurz angerissen werden. Denn dieses Gedankenexperiment, erdacht von Stephen Hawking, verbietet Zeitreisen in die Vergangenheit grundsätzlich. Mit einem Beispiel lässt sich die Problematik erkennen: Man stelle sich vor, die Zeitreise in die Vergangenheit werde im Jahr 2120 entdeckt. Es ist darauf hin jedermann möglich, in die Vergangenheit zu reisen. Nun nimmt man bspw. an, dass bis zum Jahr 2320 insgesamt 50.000 Menschen in die Vergangenheit gereist sind. Da amerikanische Geschichte besonders interessant zu sein scheint, haben sich 3.000 Menschen über diese Zeitspanne von 200 Jahren entschlossen zum 11. September 2001 nach New York zu reisen. Denn egal wann sich die Zeitreisenden in die Maschine gesetzt haben, ob 2121 oder 2289, alle 3000 Menschen kommen an diesem Tag in New York heraus. Dies ist der essentielle Punt von Hawking, die er mit folgender Frage ausdrückt: „Müsste es hier nicht von Zeitreisenden wimmeln, wenn es möglich wäre in die Vergangenheit zu reisen?“ Denn selbst wenn es Zeitreisenden möglich wäre, sich zu verstecken, ist es nicht unwahrscheinlich, dass sich nicht einer mal „verplappert“ oder offenbart hat und zwar über den gesamten Verlauf der Menschheitsgeschichte? Da Hawking keinen Anhaltspunkt dafür findet, dass es irgendwo von Zeitreisenden wimmelt, geht er schlicht davon aus, dass es nie möglich sein wird wenigstens in Massen in die Vergangenheit zu reisen. 15 1.3.3 Die Chaos-Theorie Mit der Betrachtung von möglichen und nahezu unmöglichen Theorien der Zeitreise drängt sich die sogenannte „Chaos-Theorie“ nahezu auf. Die Grundlagen der Chaos-Theorie existierte schon einige Jahre zuvor, bekannt wurde sie letztendlich jedoch durch Edward N. Lorenz, der ebenfalls den Begriff des „Schmetterlingeffekts“ bzw. „Butterfly effect“ prägte. Lorenz arbeitete in den 60er Jahren an einem Computermodell, welches ihm erlaubte, das Wetter vorherzusagen. Nach Jahren der harten Arbeit und unzähligen Formeln, die er dem Computer einverleibt hatte, war das Gerät einsatzbereit. Er musste jedoch schon bald feststellen, dass winzigste Änderungen in den Startvariablen das gesamte Ergebnis komplett veränderten und es so beinahe 15 vgl. Vaas, Rüdiger: Der Mord am eigenen Ahnen. In: Bild der Wissenschaft, 07/1998, S. 72-75 11 unvorhersehbar machten. Die Größenordnung einer solchen Veränderung ist vergleichbar mit dem Flügelschlag eines Schmetterlings. 16 17 Diese Theorie gilt ebenfalls für Zeitreisen. Sobald eine Zeitreise in die Vergangenheit geglückt ist, hat der Zeitreisende die Macht, die Geschichte durch sein Eingreifen zu verändern. Selbst wenn er nicht vor hat, die Geschichte zu verändern, so hat er dies, der Chaos-Theorie entsprechend, nur durch seine Anwesenheit bereits getan. Besonders oft wird dies in Literatur und Film aufgegriffen, wo durch minimale Handlungen der Verlauf der gesamten Geschichte verändert wird. An dieser Stelle tritt der naturwissenschaftliche Aspekt in den Hintergrund: Die Frage nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit von Zeitreisen wurde geklärt, doch nun drängt sich die Frage auf: Darf man die Weltgeschichte verändern insbesondere dann, wenn nach der Chaos-Theorie mein Handeln unvorhersehbare Konsequenzen hat? 2. DIE FRAGE NACH DER VERANTWORTUNG Durch die theoretische Natur von Zeitreisen ist es nicht ohne Weiteres möglich, konkrete ethische Abhandlungen zu diesem Thema zu finden. Hier ist es vielmehr von Nöten, bereits bestehende Theorien und ethische Ansichten zu adaptieren und auf den Fall der Zeitreisen zu übertragen. Im Folgenden werden hierzu zwei Ethiken herangezogen: das Prinzip Verantwortung und der Utilitarismus. 2.1 Hans Jonas und das Prinzip Verantwortung Hans Jonas war der erste Ethiker, der sich mit den Konsequenzen des technischen Fortschritts der Menschheit auseinander gesetzt hat. In seinem Hauptwerk „Das Prinzip Verantwortung“ beleuchtet er unsere Zivilisation in neuem Licht und kommt zu neuen verbindlichen Regeln, die im Folgenden auf die Zeitreise und die Zeit an sich adaptiert werden können. 2.1.1 Die Zeit als Adaption zur Natur Jonas führt zu Beginn seines Werkes die neue Dimension der Verantwortung anhand der Natur als Beispiel ein. Der Mensch hat durch den technischen Fortschritt Macht über die Natur erhalten, da er im Stande ist, sie zu verändern. Gleichzeitig erkennt Jonas darin „die kritische Verletzlichkeit der 16 vgl. Lorenz, Edward N.: Deterministic Nonperiodic Flow. In: Journal of the Atmospheric Sciences, Vol. 20, No. 2, 130-141, 1963 17 vgl. http://www.akademieforum.de/grenzfragen/open/Grundlagen/Mu_Chaos/frame.htm 19.02.2010 12:15 12 Natur durch die technische Intervention des Menschen – eine Verletzlichkeit, die nicht vermutet war, bevor sie sich in schon angerichtetem Schaden zu erkennen gab.“ 18 Der Mensch ist demnach außerstande, die fragile Struktur der Natur zu erkennen, bevor er ihr geschadet hat. Durch die Technologie, die ihm zur Veränderung der Natur zur Verfügung steht, blendet er die Gefahr für die Natur aus. Die Verpflichtung, die Natur nicht zu schädigen, ist für den Menschen eine undefinierte. „Ist es einfach die Klugheit, die gebietet, nicht die Gans zu schlachten, die die goldenen Eier legt, oder gar den Ast abzusägen, auf dem man sitzt?“ 19 Dieser Aspekt der Natur wird an dieser Stelle so genau beschrieben, da er sich 1:1 für die Zeit im Rahmen einer Zeitreise adaptieren lässt. Denn durch die Möglichkeit einer Zeitreise, erhält der Mensch die Fähigkeit, die Zeit und damit den gesamten Verlauf der Geschichte zu verändern. Im Angesicht der Chaos-Theorie stellt sich die Frage: Kann der Mensch die Verletzlichkeit der Zeit erst erkennen, wenn der Schaden bereits angerichtet ist? Diese Frage kann in diesem Kontext mit „Ja“ beantwortet werden. Da jede kleine Veränderung den Verlauf der Weltgeschichte dramatisch verändern kann, ist der Mensch nicht in der Lage, den Schaden abzusehen, bevor er bereits geschehen ist. Jonas beschreibt dazu passend: „Die Kluft zwischen Kraft des […]Wissens und Macht des Tuns, erzeugt ein neues ethisches Problem.“ 20 – das Problem der Verantwortung. 2.1.2 Das Prinzip Verantwortung Die Möglichkeit die Zeit zu verändern, bringt die Frage nach der Verantwortung. Darf man die Zeit verändern? Darf man das Wissen bzw. die Technologie einsetzen um die Geschichte zu verändern? In Anlehnung an Kant definiert Jonas auf diese Frage einen eindeutigen Imperativ: „Handle so, dass die Wirkungen deiner Handlung verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“ 21 Der Fortbestand der menschlichen Rasse muss gewährleistet sein, sollte man die Weltgeschichte bei einer Zeitreise verändern wollen. Jonas wird in dieser Hinsicht noch genauer: „[…] dass wir aber nicht das Recht haben, das Nichtsein zukünftiger Generationen wegen des Seins der jetzigen zu wählen oder auch nur zu wagen“ 22 18 Jonas, Hans: Das Prinzip Verantwortung. Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation, Frankfurt 1984, S. 26 19 ebd. S. 27 20 ebd. S. 28 21 ebd. S. 36 13 Jede Aktion, die demnach das „Nichtsein zukünftiger Generationen“ bedroht, müssen nach Jonas dringendst unterlassen werden. Soweit die Theorie der Verantwortung. Übertragt man dies nun auf den Zeitreisenden ergeben sich interessante moralische Entscheidungen: Jede Handlung, die den Fortbestand der Menschheit in ihrer Echtheit gewährleistet, ist demnach zulässig. Welche Verantwortung geht daraus hervor? Ein Zeitreisender, der sich der Möglichkeit des Tyrannenmordes gegenüber sieht, wird in eine verquere Situation gebracht. Denn legt man Jonas und nichts als Jonas an die Situation an, folgt aus der Verantwortung der Menschheit gegenüber eine eindeutige Pflicht: Die des Mordes an einem Tyrannen, hier im Beispiel an Adolf Hitler. Dies resultiert aus Jonas‘ Imperativ, da die „Permanenz echten menschlichen Lebens“ durch den Rassenwahn und den Genozid beträchtlicher Gefahr ausgesetzt wurde. Der Mord an Millionen von Juden, Homosexuellen, Sinti und Roma und anderen politisch Verfolgten ist eine eindeutige Gefahr und Beeinträchtigung der „Permanenz echten menschlichen Lebens“. Da dies aber ausdrücklich zu gewährleisten ist, hat der Zeitreisende die Verantwortung, dies durch den Mord an Hitler zu verhindern. Hier ergeht die Verantwortung der Zeit gegenüber nicht darin, die Weltgeschichte nicht zu verändern, sondern laut Jonas aktiv anzugreifen. Jedoch kann diese Einstellung unter Einbeziehung anderer Theorien und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen nicht stehen gelassen werden. Mit dem Wissen der Chaos-Theorie kann geschlussfolgert werden, dass der Zeitreisende die Folgen seines Handels in keinster Weise absehen kann. Die somit vermeintlich verpflichtende Tat des Tyrannenmordes könnte zu einer Art Russisch Roulette werden. Denn woher will der Zeitreisende wissen, dass sein Mord nicht den Aufstieg eines anderen Nationalsozialisten zur Konsequenz hat? Damit könnte sich der gesamte Kriegsverlauf drehen und womöglich einen Sieg der Nationalsozialisten zum Ergebnis haben. Es ist somit unklar, ob die gut gemeinte Tat nicht viel größere Gefahr für das Überleben der Menschheit birgt. Man muss bei dieser Idee nicht mal bis zum Sieg der Nationalsozialisten gehen. Man nehme an, der Krieg würde durch eine andere Person als Hitler länger dauern. Den Deutschen könnte es in dieser Zeit gelingen, die Atombombe zeitgleich mit dem Amerikanern zu bauen. Ein nuklearer Krieg wäre die Folge und am Ende womöglich ein atomarer Winter, der die Auslöschung der Menschheit zur Folge hätte. Im Angesicht dieser und anderer möglichen Konsequenzen kann ein Eingreifen in die Weltgeschichte nicht gerechtfertigt werden, da Jonas‘ Imperativ in keinster Weise gewährleistet sein könnte. Der Mord widerspricht somit der Verantwortung, die der Zeitreisende hat und das 22 ebd. S. 36 14 Eingreifen in die Geschichte, selbst das Reisen in die Zeit an sich, dürfte nach Jonas nicht getätigt werden. Möchte man an dieser Stelle zusätzlich die Betrachtung für eine Zeitreise in die Zukunft heranziehen, kommt man zum selben Ergebnis. Die Konsequenzen einer Zeitreise in die Zukunft kann noch weniger abgesehen werden, als eine in die Vergangenheit, da niemand weiß, was in der Zukunft geschieht. Der Zeitreisende könnte unwissend alles verändern und zum Ende der Welt führen. Es ist keinerlei Sicherheit zu prognostizieren und daher nach Jonas ebenfalls nicht gestattet. Abschließend wäre somit rein nach Jonas eine Reise in die Vergangenheit zulässig, womöglich gar sogar zwingend, wenn damit das menschliche Leben erhalten wird. Im größeren Kontext unter Einbeziehung weiterer Theorien jedoch wird die Zeitreise durch die Ungewissheit ihrer Konsequenzen nach Jonas strengstens untersagt und zwar in beide Richtungen. 2.2 Jeremy Bentham und der Utilitarismus Eine weitere Theorie, die für die Frage nach der Legitimität von Zeitreisen in Betracht gezogen werden kann, ist die des „Utilitarismus“, begründet durch Jeremy Bentham (1748-1832) und weiterentwickelt von John Stuart Mill (1806-1873). Der Utilitarismus (vom lat. „utile“=nützlich) soll dem Zweck dienen, Handlungen auf empirischrationaler Basis moralisch zu beurteilen. Der für diese Bestimmung abgeleitete Satz, der den Utilitarismus begründet, lautet: „Das höchste Ziel ist im größtmöglichen Glück der größtmöglichen Zahl zu finden.“ 23 Mit diesem Leitsatz ist es möglich, das Nutzenprinzip als Moralprinzip zu formulieren: „Eine Handlung ist dann moralisch, wenn sie die nützlichsten Folgen für alle Betroffenen hat, d.h. wenn die Folgen einer Handlung darin bestehen, dass sie ein Maximum an Freude und ein Minimum an Leid hervorbringt.“ 24 Unter Annahme dieser ethischen Theorie wäre einem Zeitreisenden auf den ersten Blick die Möglichkeit gegeben, seine Handlungen, die zur Veränderung der Weltgeschichte führen würden, zu bewerten und moralisch einzuordnen. Dem Utilitarismus folgend ist es auf beinahe mathematische Art und Weise möglich, eine Entscheidung zu fällen. Um zu einer solchen zu gelangen bzw. die Entscheidung als moralisch „gut“ bewerten zu können, muss eine Abwägung des zu erwartenden Nutzens durchgeführt werden. Hierzu prognostiziert man die Folgen der Handlung und unterteilt 23 Pieper, Annemarie: Einführung in die Ethik, 5. Auflage, Tübingen 2003, S. 271 24 ebd., S. 271 15 diese in „erwartete Freude“ und „erwartetes Leid“ ein. Mit diesen beiden Kategorien werden sodann Kriterien wie Intensität, Dauer, Gewissheit oder Ungewissheit, Nähe oder Ferne und ihr Ausmaß an die Entscheidung angelegt. Am Ende addiert man jeweils alle Werte in der Kategorie „erwartete Freude“ und „erwartetes Leid“ und vergleicht sie miteinander. Überwiegt die „erwartete Freude“ so ist die Entscheidung bzw. Handlung nach dem Utilitarismus als gut und moralisch begründet einzuschätzen. 25 Eine Unterscheidung und somit eine Weiterentwicklung des Utilitarismus hat John Stuart Mill vorgenommen. Im Gegensatz zu Bentham, der rein quantitativ den Nutzen entscheidet, unterscheidet Mill zwischen höherrangigen geistig-seelischen und niedrigeren körperlich-sinnlichen Freuden. Nach Mill ist daher die Befriedigung der höheren Bedürfnisse wichtiger, als die der niederen. 26 „Es ist besser, ein unzufriedener Mensch zu sein, als ein zufriedengestelltes Schwein; besser ein unzufriedener Sokrates als ein zufriedener Narr. Und wenn der Narr oder das Schwein anderer Ansicht sind, dann deshalb, weil sie nur die eine Seite der Angelegenheit kennen.“ 27 2.2.1 Hitler und das höchste Ziel im größtmöglichen Glück der größtmöglichen Zahl Ein Zeitreisender, der sich in der Vergangenheit befindet, könnte sich die Frage stellen: „Darf ich als Zeitreisender in die Weltgeschichte eingreifen um diese zu verändern.“ Obwohl dieser Fall höchst theoretisch ist und so nie eintreffen wird, kann diese Frage mit dem Utilitarismus begründet werden. Demnach wäre ein Eingriff in die Weltgeschichte gut, wenn der Nutzen dieser Aktion einen besonders großen Effekt hat, also das „größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl“ erreicht werden könnte. Ein Beispiel der Weltgeschichte, welches für den Utilitarismus geradezu prädestiniert ist, finden wir im 2. Weltkrieg. Durch den Aufstieg Adolf Hitlers und dem daraus folgenden Holocaust sind mehrere Millionen Menschen ums Leben gekommen. Wäre ein Zeitreisender, der nach den Regeln des Utilitarismus handelt, dazu berechtigt, Hitler zu töten um das Leben all dieser anderen Menschen zu retten? 25 vgl. ebd. S. 271 26 vg. ebd. S. 271 f. 27 Mill, John Stuart: Utilitarianism, 1863, S. 18 16 Die Antwort ist schlicht: Ja. Es geht sogar soweit, dass der Zeitreisende verpflichtet wäre, diese Handlung vorzunehmen, da sie den Leitsatz des Utilitarismus direkt treffen würde. Denn durch den Mord an Adolf Hitler entsteht ein Maximum an Freude (in Form der vielen nicht getöteten Menschen) und ein Minimum an Leid (Ermordung Hitlers). An diesem Beispiel kann man sogar die beiden feinen Unterschiede nach Bentham und Mill anlegen. In einer Abwägung von Kriterien wie Intensität, Dauer und Reinheit kann die Ermordung gerechtfertigt werden. Anzweifelbar ist das Kriterium der Folgenträchtigkeit. Denn der kausale Zusammenhang zwischen dem Mord an Hitler und somit der Vermeidung des 3. Reiches ist schnell geschlossen. Doch unter Einbeziehung der Chaos-Theorie stellt sich die gleiche Frage, wie bereits bei Jonas: „Ist es vollkommen auszuschließen, dass sich nach Hitlers Mord nicht ein anderer stattdessen an die Macht schwingt und Deutschland in den Krieg ziehen lässt?“ Es ist unvorhersehbar ob man mit der vermeintlich guten Tat am Ende in der Nutzenabwägung ein noch größeres Leid hervorgerufen hätte. In der kumulierten Rechnung nach Bentham würde dieser Punkt jedoch von der erwarteten Freude übertrumpft werden. Die Chance über 6 Millionen Menschen zu retten, wiegt dem Utilitarismus nach stärker als die mögliche Gefahr. Das Leid, dass von Adolf Hitler hervorgerufen wurde, ist in einem Nutzenkalkül kaum zu übertreffen. Daher würde dies am Ende der Rechnung auf jeden Fall für den Tyrannenmord und somit für den Eingriff in die Weltgeschichte plädieren. Auch nach Mill und dessen zusätzlicher Abwägung von niederen und höheren Freuden und Beweggründen könnte der Mord an Adolf Hitler in jeder Hinsicht als höherer Grund angesehen werden und somit ebenfalls zu dieser Schlussfolgerung führen. Eine Betrachtung der Zeitreise in die Zukunft kommt hier, wie bei Jonas, zu einem schnellen Ergebnis: Stellt man ein Nutzenkalkül einer solchen Reise auf, kann man nur wenige Punkte finden, da niemand die Zukunft kennt. Es ist zu schließen, dass es keine Argumente gibt, warum man solch eine Reise tätigen sollte. Jedenfalls keine solchen, die in eindeutiger Freude resultieren würde. Abschließend zum Utilitarismus kann gesagt werden, dass dieser Eingriffe in der Weltgeschichte grundsätzlich neutral gegenüber steht. Denn vor jeder Entscheidung muss ein Nutzenkalkül gezogen werden, welches die Handlung legitimiert oder nicht. Die Entscheidung läge somit an der subjektiven Einschätzung der Kriterien des Zeitreisenden. Im Falle des Tyrannenmords an Hitler wäre das Kalkül von Freude geprägt und daher zulässig. Im Falle der Zukunftsreise gibt es keine Weltgeschichte, kein durchführbares Nutzenkalkül und somit keine Rechtfertigung eine solche Reise dem Utilitarismus entsprechend durchzuführen. 17 3. KONKLUSION „Hitler töten und Gandhi retten?“ – Diese doch sehr abstrus klingende Frage ist nach der vorangegangenen Betrachtung der Möglichkeiten nicht so unrealistisch, wie sie zu Beginn erschien. Die Zeitreise in die Zukunft ist wissenschaftlich belegt und vorstellbar. Schwieriger sieht es bei der Zeitreise in die Vergangenheit aus, die nach verschiedenen Theorien unter gewissen Bedingungen möglich sein könnte. Doch keine dieser Theorien ist bis zum heutigen Tage bewiesen und so grübeln die Forscher weiter über Möglichkeiten dieser Zeitreise. Lässt man den naturwissenschaftlichen Aspekt jedoch hinter sich, offenbaren sich ganz andere Probleme. Legt man verschiedene ethische Betrachtungsweisen an, ist die Reise in die Vergangenheit mal mehr mal weniger legitim, die in die Zukunft jedoch von allen Positionen aus nicht zu rechtfertigen. Nach Hans Jonas und seinem Prinzip Verantwortung ist die Zeitreise zu unterlassen, da sie unter Einbeziehung der Chaos-Theorie eine zu große Gefahr bildet, am Ende die Menschheit auszurotten. Nur wenn man Jonas alleinstehend nimmt, könnte eine Rechtfertigung erzielt werden. Anders sieht es beim Utilitarismus des Jeremy Bentham und Stuart Mill aus. Diese setzen ein Nutzenkalkül an und berechnen rational die Freude und das Leid. Würde man solch eine Rechnung anlegen, dürfte man in die Vergangenheit (und nur in diese) reisen – wenn man einen triftigen Grund hätte. Ein solcher wäre mit dem Tyrannenmord an Hitler gegeben. Ob Gandhi gerettet werden sollte, lässt sich nicht ohne weiteres sagen, da sein Leid- und Freudenkalkül nicht so leicht zu berechnen ist, wie jenes von Hitler. Resümierend steht der Utilitarismus mit dem Nutzenkalkül auf einer sehr neutralen Position, was die Zulässigkeit von Zeitreisen in die Vergangenheit betrifft. Reisen in die Zukunft sind unzulässig, da sie nicht in ein Nutzenkalkül gefasst werden können. Im Verlauf dieser Arbeit konnte gezeigt werden, dass Zeitreisen weniger Hirngespinst sind, als so mancher denkt. Doch auch schon davor lösten diese Gedankenspiele Faszination bei den Menschen aus, was sich bis heute in Literatur und Film zeigt. Zeitreisen – eine Utopie, die die Menschen bis heute zum Nachdenken anregt. 18