positionen pdf - GDV Positionen
Transcription
positionen pdf - GDV Positionen
#1_2016 ZUKUNFT Warum die Welt von morgen anders aussieht als erwartet TELEMATIK DAS MAGAZIN DER DEUTSCHEN VERSICHERER Wer besonnen Auto fährt, spart an der Kfz-Prämie. Lohnt das? MEHR LEISTUNG Versicherer erstatten nicht nur Schäden. Wie die Branche ihren Kunden in allen Lebenslagen beisteht - und mit einem kleinen Stecker Autofahren sicherer macht WIE WIR KOMPLIZIERTES EINFACH MACHEN Nachrichten ............................................................................ 04 TITEL Assistance: Versicherungen helfen nicht nur mit Geld. Ob Pannenhilfe nach einem Unfall, ärztliche Betreuung auf einer Reise oder kostenloser Schlüsseldienst: Die Zahl solcher „Assistance“ genannten Leistungen wächst rasch – noch schneller allerdings die Nachfrage ................................................................................. 08 Abgeschleppt: Unterwegs in Berlin mit Pannenhelfer Vasco Werner von der „Silbernen Flotte“................................................................ 10 Tendenz steigend: Wie Robert SchmidtThomé in Passaus Altstadt Barockbauten vor dem nächsten Hochwasser schützt ...... 15 Positionen # 1 _ 2 0 1 6 EDITORIAL Liebe Leserinnen, liebe Leser, als 1956 auf der Polizeiausstellung in Essen die Notrufsäule als „eiserner Schutzmann“ präsentiert wurde, hatten die wenigsten deutschen Haushalte ihr eigenes Telefon. Auch deshalb schien die Idee, an den Straßen Notrufsäulen aufzustellen, logisch. Und so gab es bald flächendeckend 30.000 hellgrüne Säulen. Heute fährt in fast jedem Fahrzeug ein Handy mit. Doch damit wird die Notrufsäule keineswegs überflüssig. Sie braucht nur ein Update. Ich freue mich, dass wir Ihnen mit Erscheinen dieser Ausgabe den Unfallmeldedienst vorstellen können – quasi die Notrufsäule 4.0 in Form eines Steckers für die 12-Volt-Buchse in Ihrem Auto. Der Stecker ist Ihre Schnittstelle zu unserem Unfallmeldedienst. Und dieser Service verbindet gleich mehrere Eigenschaften, die uns als Versicherer auszeichnen: Längst spannen wir weit mehr als nur ein finanzielles Sicherheitsnetz. Wir haben uns zu Dienstleistern entwickelt, die als erster Ansprechpartner für unsere Kunden in kleinen und großen Notlagen direkt Hilfe organisieren. Welch breites Spektrum diese Assistance-Leistungen haben, lesen Sie in der Titelgeschichte: von der Hilfe bei der Autopanne über die spezialisierte Betreuung von Schwerverletzten bis hin zur Schadenprävention. Der Unfallmeldedienst zeigt beispielhaft, welche Chancen uns die digitale Vernetzung bietet. Wir nutzen ihre Werkzeuge, um Ihr Leben sicherer zu machen. Ob Smart Home, autonomes Fahren oder Industrie 4.0: Wir Versicherer können Ihnen noch mehr Dienste und Leistungen anbieten als bisher. Für Sie als Kunden wird es bequemer und einfacher. Wir Versicherer leisten im Hintergrund zusammen mit einem großen Netz von Partnern die komplexe Logistik dahinter. Unser Bestreben ist, das Komplizierte für Sie einfach zu machen – und gerade in den wirklich kniffligen Momenten für Sie da zu sein. Daran arbeiten wir jeden Tag. ALEXANDER ERDLAND, Präsident des GDV Anruf genügt: Unsere Infografik zeigt, wo und wie die Assistance der Assekuranz überall aktiv wird ............................................................... 16 So schnell kommt Hilfe: Der neue Unfallmeldestecker der deutschen Versicherer alarmiert sofort die Notrufzentrale ...............18 Verortet: Sind die Erwerbstätigen in der Versicherungswirtschaft eher selbstständig oder angestellt? Kommt darauf an, wo sie wohnen .......................................... 21 ERFINDEN Insolvenzanfechtung: Wer sich kulant zeigt bei Rechnungen, muss das Jahre später oftmals büßen – falls der Geschäftspartner nämlich pleitegeht ........................................................... 22 Pro und Contra: Ist die „Deutschland-Rente“ die bessere private Altersvorsorge? ............. 25 »ALS JUNGER MENSCH HABE ICH AN VIELEM GEZWEIFELT, NICHT ZULETZT AN MIR SELBST. HEUTE SAGE ICH: ES KOMMT, WIE ES KOMMT.« GÜNTHER ANTON KRABBENHÖFT, 70, früher Koch, heute Stilikone 02 / 03 SCHÜTZEN Angst vor Einbrechern: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Daran wird alle Elektronik nichts ändern, sagt Stefan Fischbach, Deutschland-Chef des Schlossherstellers Assa Abloy. Das Interview ........................................ 26 Um den Globus: In Kenia versichern sich bislang nur wenige Menschen. Und wenn, dann gern übers Handy .............................................. 29 Telematiktarife: Immer mehr deutsche Versicherer bieten günstigere Tarife für Autofahrer, die ihre Fahrweise elektronisch überwachen lassen ..........................................................38 Solvency II: Das neue Aufsichtswerk der Branche fängt an zu greifen .................................. 42 Kolumne: Chinas Wirtschaft mag wanken, aber sie fällt nicht, schreibt Klaus Wiener ... 46 08 I n h a lt REGELN Hilfe im Notfall: Wer auf einer Reise verunglückt und einen Schutzbrief hat, wird von seinem Versicherer nach Hause geholt – und das ist nur eine der vielen AssistanceLeistungen der deutschen Assekuranz. Versicherung fährt mit: Neue Telematiktarife einiger deutscher Versicherer belohnen rücksichtsvolles Fahrverhalten. Wir zeigen, wie das technisch funktioniert und für wen sie sich lohnen. 38 Zahlen bitte: Wie sich die Assekuranz in einem schwierigen Umfeld behauptet .........47 Die schönste Versicherungssache der Welt: Ein echter Tyrannosaurus Rex ........................... 48 35 Generationen im Gespräch: Die deutschlandweit bekannte Stilikone Günther Anton Krabbenhöft (70) und Jannik Sührig (29) erzählen, was sie von der Zukunft erwarten. Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Du lebst 7 Jahre länger, als du denkst – die Serie zur laufenden Initiative der deutschen Versicherer übers Älterwerden: Diesmal wagt „Positionen“ einen Blick in die Zukunft. Und lässt sich erzählen, wie anders als erwartet sich die persönliche Zukunft häufig entwickelt – zum Glück! ...30 IHR NEUER KOLLEGE? Positionen # 1 _ 2 0 1 6 N ac h R i c h t e N Die Roboter kommen und werden dem Menschen immer ähnlicher – ohne Risiko sind sie deshalb längst nicht. Der Mann mag keine Roboter. Mit einem Eishockey schläger haut er dem Roboter Atlas einen Karton aus den Armen, anschließend schubst er den 1,75 Meter großen und 80 Kilo schweren Androiden, sodass der in die Knie geht und dann der Länge nach hinschlägt. Mehr als 14 Millionen Mal ist das Video bereits geklickt worden. Nicht wegen der rüden Um gangsformen, sondern wegen der eindrucks vollen Fähigkeiten des Roboters, sich nach dem Schubser umgehend wieder aufzurappeln – mit einer Motorik, die der eines Menschen auf fast schon unheimliche Weise ähnelt. Das Video der GoogleTochter Boston Dynamics wirft ein Schlaglicht auf den Stand der Roboterent wicklung, der auch im April auf der Hannover Messe zu besichtigen sein wird. Auf der weltgrößten Industrie schau präsentieren führende Hersteller wie Fanuc, Güdel und Kuka die neuesten Modelle einer Robotergeneration, mit der eine neue Ära der Automatisierung in den Werkhallen begonnen hat. Nach Schätzungen der International Fede ration of Robotics (IFR) werden bis 2018 rund 1,3 Millionen Industrieroboter in den Fabriken der Welt arbeiten. Die aktuellen IFRStatistiken weisen für 2014 einen Rekordzuwachs von 43 Prozent im Vergleich zum Vorjahr auf. Spitzenreiter bei der Automatisierung ist derzeit Südkorea. Mit 292 Robotern pro 10.000 Arbeitnehmer liegt Deutschland hinter Japan auf dem dritten Rang. „Der RoboterBoom markiert einen wich tigen Meilenstein für die Verwirklichung der vierten industriellen Revolution“, sagt IFRPräsident Joe Gemma. Denn Roboter sind keine klobigen Ungetüme mehr, programmiert auf die immer gleichen Arbeitsabläufe. Künftig arbeiten Mensch und Maschine nicht durch Zäune getrennt, sondern Seite an Seite. Als flexibel einsetzbare Partner in der Produktion stellen sich die Roboter schnell auf wechselnde Anforderungen ein. Sie erkennen, wie Menschen Bauteile in der Produktion zusammensetzen, und können die Vorgänge dann selbstständig nachbilden. Dank moderner Sensorik weichen die kollaborativen Automaten ihren menschlichen Kollegen so aus, dass Verletzungen vermieden werden. Neue Sicherheitsricht linien helfen den Unternehmen bei der Risikoanalyse. Und mit justierbaren Sicherheitsfunktionen lassen sich Position und Kraft der Roboter sowie die Geschwindigkeit der Gelenke passgenau einstellen. Und sollte doch etwas schiefgehen, greift die Maschinenversicherung – tatsäch lich die immer noch zuständig, ist, auch für diese moder nen Roboter. »DER ROBOTER-BOOM MARKIERT EINEN MEILENSTEIN.« JOE GEMMA, PRÄSIDENT DES ROBOTIKVERBANDS IFR Hannover Messe 25.–29.4. 2016 Gestatten, der neue Kollege: Atlas-Roboter von Boston Dynamics. 04 / 05 DIE GLOBAL STÄRKSTEN MARKEN Das deutsche Rentensystem ist zwar gerecht und praktikabel, aber wenig zukunftstauglich. Ohne signifikante Reformen werde es zusammenbrechen, warnt der aktuelle „Melbourne Mercer Global Pension Index“, der Rentensysteme in 25 Staaten weltweit vergleicht. Zwei Auswege schlagen die Studienautoren vor: mehr private Vorsorge und einen späteren Wechsel in die Rente. In vielen Ländern verabschieden sich die Menschen früh vom Arbeitsmarkt. In Polen und Frankreich etwa arbeitet nicht einmal die Hälfte der Menschen nach ihrem 55. Geburtstag – was die Rentensysteme stark belastet. Als Gegenentwurf zeigt Schweden, was möglich ist: Der Anteil der arbeitenden Menschen über 55 Jahren dort liegt bei 77,3 Prozent. Zum Vergleich: Deutschland kommt auf etwa 66 Prozent, leicht steigend. „Mehr als 70 Prozent sind überall erreichbar“, heißt es in der Studie, „das würde die Nachhaltigkeit vieler Rentensysteme verbessern.“ Fast alle Systeme stehen vor ähnlichen Herausforderungen durch mehr alten Menschen und einer steigenden Staatsverschuldung, kombiniert mit ökonomischen Unsicherheiten in einer Niedrigzinsphase. Auch deshalb sehen die Studienautoren des Australian Centre for Financial Studies „einen globalen Trend, die Eigenverantwortung in den Vordergrund zu rücken“. 2016 2015 Versicherungsname Land 1 2 3 4 1 2 5 4 Allianz AXA China Life Insurance Ping An Deutschland Frankreich China China 5 6 7 8 9 10 11 12 3 7 11 8 9 14 6 12 Generali Nippon Life Allstate Zurich MetLife Dai-Ichi Life Prudential Aviva Italien Japan USA Schweiz USA Japan Großbritannien Großbritannien MUSTER-SCHÜLER Die Assekuranz ist deutschlandweit Vorreiter beim Nutzen von Datenanalysen. 62 % der Versicherer ziehen konkreten Nutzen aus Datenanalysen. 49 % der Versicherer nutzen Datenanalysen, um den Kontakt zu ihren Kunden zu stärken. Computer denken anders. Wenn sie riesige Datenmengen auswerten, erkennen sie Muster. Wie diese Muster zu deuten und zu nutzen sind, das ist wiederum Aufgabe der Menschen. Hier ist Können gefragt, und das kann die deutsche Versicherungswirtschaft vorweisen. Der Report „Mit Daten Werte schaffen“ der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG und Bitkom Research sieht die Assekuranz als „Vorreiter“, gemeinsam mit Autobau und Logistik. Bereits 62 Prozent der Versicherer zögen konkreten Nutzen aus Datenanalysen, heißt es im Report, und 21 Prozent nutzten dabei bereits fortgeschrittene Analysemethoden. „Lediglich bei der Analyse von Kundendaten sind die Versicherungen noch zurückhaltend“, sagt KPMG-Partner Frank Ellenbürger: Nur 49 Prozent nutzten Datenanalysen, um den Kontakt zu ihren Kunden zu stärken. Hier sieht Ellenbürger noch Potenzial, nicht zuletzt durch „individuellere Produktgestaltung mithilfe von beispielsweise Telematik-Daten sowie die mobile Echtzeit-Interaktion mit Kunden“. N aC h R i C h t E N DIE ZUKUNFT WIRD ARBEITSAM Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Wie lässt sich das deutsche Rentensystem retten? Mit privater Vorsorge und längerer Lebensarbeitszeit. Eine starke Marke zieht Kunden an und bindet sie – das gilt ebenso für die Mitarbeiter. Marken strahlen nach außen und nach innen, als Essenz des Unternehmens. Glaubwürdigkeit und Fairness sind dabei zwei der zentralen Faktoren, die in der Versicherungsbranche über den Wert einer Marke bestimmen. Diesen „Wert“ auch für die Assekuranz in Dollar umzurechnen ist eine Aufgabe, der sich die britischen Marktforscher bei Brand Finance seit zwei Jahrzehnten widmen. Unter den weltweit 50 Versicherern mit dem höchsten Markenwert tauchen gleich vier deutsche Unternehmen auf, und eines davon besetzt 2016, wie schon im Vorjahr, die Spitze: die Allianz mit 20,26 Milliarden Dollar. Die anderen deutschen Versicherer in den Top 50 sind Munich Re auf Platz 23, Ergo auf Rang 31 und Hannover Re, der auf den 48. Platz aufgestiegen ist. DIE ARBEIT FÄLLT NICHT WEG, SIE WIRD NUR ANDERS vom Arbeitgeberverband der Versicherer über Automatisierung – und warum die Assekuranz spannende Karrieren ermöglicht. MICHAEL NIEBLER Neu im Vorstand der R+V: Personalchefin Julia Merkel Positionen # 1 _ 2 0 1 6 N AC H R I C H T E N FRAUEN IN DER SPITZE Wer im Finanzsektor nach Frauen in Spitzenpositionen sucht, wird eher bei der Assekuranz als bei den Banken fündig. In den Vorständen der 60 größten Versicherer betrug Ende 2014 der Frauenanteil 8,5 Prozent und hat sich damit binnen fünf Jahren verdreifacht, während die Quote bei den Finanzinstituten nur 6,7 Prozent beträgt. In den Aufsichtsräten ist der Frauenanteil deutlich höher und liegt sowohl bei Banken und Sparkassen als auch bei Versicherern knapp unter 20 Prozent – mit steigender Tendenz, wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung berechnet hat. DIE LAST DER PENSIONEN Bund und Ländern fehlt es an Geld, um Staatsdiener nach deren Wechsel in den Ruhestand zu bezahlen. Die Ratingagentur Moody’s spricht von einer „größeren finanziellen Herausforderung“. Allein der Bund muss 528 Mrd. Euro an Pensionsund Beihilfeverpflichtungen abdecken, hat dafür aber nur 2% der Verpflichtungen, das sind 10,3 Milliarden Euro, als Rücklage. Wie meistern Angestellte die digitale Herr Niebler, jeder vierte Arbeitsplatz Transformation ihrer Arbeitsprozesse? in Westeuropas Assekuranz werde bis 2026 gestrichen, vor allem im InnenMN: Die berufliche Weiterbildung hat dienst würden Stellen wegfallen, so in der Versicherungswirtschaft einen lautet eine schockierende Prognose besonders hohen Stellenwert. Die der Unternehmensberatung McKinsey. Unternehmen investieren viel Geld in Macht Ihnen dieses Szenario Angst? die Qualifizierung ihrer Mitarbeiter. Nach unseren aktuellsten Zahlen bilMICHAEL NIEBLER: Dieses Horrorgedet sich jeder Innendienstmitarbeiter mälde deckt sich nicht mit meiner durchschnittlich 58 Stunden pro Jahr Einschätzung. Im Innendienst zählen weiter – das sind 25 Stunden mehr als wir in Deutschland seit 2009 nahezu in der deutschen Gesamtwirtschaft. konstant rund 160.000 Angestellte. Hier sind wir Vorreiter! Was sich seitdem geänWie sieht es beim Außendert hat, ist die Struktur dienst aus? Verdrängen der Belegschaft. Einfache Online-Angebote die perTätigkeiten fallen durch sönliche Beratung? Automatisierung und Digitalisierung weg – dieser MN: Junge Deutsche wollen Trend wird sicher anhaleher digital als persönlich ten. Parallel werden die mit Versicherern kommuAufgaben für Spezialisten nizieren, das besagen zuoftmals ausgebaut – auch mindest diverse Studien. Michael Niebler ist das wird so weitergehen. Aber das eine schließt das Geschäftsführendes Die Versicherer beschäfandere nicht aus. NatürVorstandsmitglied tigen derzeit insgesamt lich soll jeder Kunde die vom Arbeitgeberverband der Versiche210.000 Angestellte. Wie gewünschte Police so abrungsunternehmen in viele davon bleiben in zehn schließen und einen SchaDeutschland (AGV) Jahren übrig? den so regulieren können, wie er das will. Aber es liegt auf der MN: Laut McKinsey wären es nicht einHand, dass der Kunde oftmals seinen mal 160.000. Ich rechne hingegen mit Schaden zunächst per Mail melden 180.000 bis 190.000 Beschäftigten. und bei Problemen gern persönlichen Das entspricht einem jährlichen PerKontakt zu einem Sachbearbeiter aufsonalabbau von durchschnittlich ein nehmen möchte. Kunden werden die bis eineinhalb Prozent. Mehr ArbeitsKommunikation selbst steuern – die plätze gehen nicht verloren, davon bin Assekuranz muss deshalb auf allen ich überzeugt. Wegen ansprechbar sein. Entschei Was bedeutet das für die verbleibendend wird sein, den direkten Zugang den Mitarbeiter? Bahnt sich für sie zum Kunden zu behalten. eine massive Umstrukturierung ihrer Mit welchen Argumenten würden Sie Arbeitsprozesse und -umgebung an? junge Menschen heute von einem Job MN: Die Hierarchien wurden ja schon bei einem Versicherer überzeugen? flacher, aber da kann man sicher noch mehr machen. Die klassische FühMN: Mit der Vielfalt, die wir bieten. rung ist in vielen Bereichen auf dem In kaum einer anderen Branche sind Rückzug, die Vernetzung auf dem so viele Berufe zu Hause wie in der Vormarsch. In etwa der Hälfte der Assekuranz. Und wer bei der Arbeit Versicherungsunternehmen können ein gewisses Maß an persönlicher die Mitarbeiter bereits im Homeoffice Freiheit schätzt und individuelle Förarbeiten. derung sucht, der ist bei uns richtig. 06 / 07 GRAPH ZAHL WAS BLEIBT 5 MRD. DOLLAR Im August 2015 explodierte ein Lagerhaus im Hafen von Tianjin. Der Schaden ist immens. DAS DESASTER Mehr als fünf Milliarden Dollar Schaden: Wie eine explodierende Halle in einer chinesischen Stadt die Versicherungswirtschaft herausfordert. Die Feuerwehrleute richten ihre Wasserkanonen auf die brennende Halle – und plötzlich fliegt alles in die Luft. Häuser stehen in Flammen, Autos brennen aus, noch drei Kilometer entfernt bersten die Fenster. Mehr als 100 Menschen sterben, der Hafen der chinesischen Hafenstadt Tianjin sieht am Morgen nach dem 12. August 2015 aus, als wäre ein Krieg ausgebrochen – ein chemischer Krieg. Wie sich herausstellte, waren im explodierten Lagerhaus giftige Chemikalien gelagert, allein 700 Tonnen hochgiftiges Natriumcyanid. Die Chemikalien werden von der Luft fortgetragen oder sickern in den Boden ein. Auch deshalb lässt sich der Schaden bestenfalls schätzen. Genau das hat der Internationale Transportversicherungsverband IUMI getan: Tianjin wird die Assekuranz mehr als 5 Milliarden Dollar kosten. Asienweit ist das der höchste je von Menschen verursachte Schaden. Türkei ....................................................................... 104,8 Niederlande ...........................................................95,7 Österreich ............................................................... 91,6 Spanien .................................................................... 89,5 Italien ......................................................................... 79,7 Frankreich ............................................................... 67,7 Dänemark ............................................................... 66,4 Tschechische Republik ....................................63,8 Belgien ..................................................................... 60,9 Australien ............................................................... 58,0 Deutschland ......................................................... 50,0 USA ............................................................................ 44,8 Kanada ...................................................................... 42,9 Japan ......................................................................... 40,4 Großbritannien ................................................... 38,3 Mexiko ...................................................................... 28,4 Das Niveau sinkt Verhältnis staatlicher Renten zu Löhnen 2060 im Vergleich zu 2013 (Veränderung in Prozentpunkten) Luxemburg ............................................................. +2, 1 Belgien ...................................................................... -0,7 Niederlande ............................................................ -1,7 Irland ........................................................................... -1,8 Litauen ........................................................................ -2, 1 Großbritannien ..................................................... -2,5 Tschechische Republik .....................................-3,3 Österreich .............................................................. -4, 1 Malta ........................................................................... -4,2 Dänemark ................................................................. -7,4 Deutschland ........................................................... -7,4 Italien ......................................................................... -8, 1 Finnland .................................................................... -8,3 Frankreich .............................................................. -12,4 Schweden ............................................................... -15,8 Spanien .................................................................... -19,9 Quelle: OECD; Europäische Kommission Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Höhe der staatlichen Nettorente von Normalverdienern anteilig zum früheren Nettolohn (in Prozent) N AC H R I C H T E N Uns Deutschen geht es gut, deshalb blicken wir bei internationalen Vergleichstabellen gern nach oben, wo die Besten stehen. Wer sich jedoch im OECD-Rentenreport anschaut, wie viel Prozent vom Lohn später als Rente ausgezahlt wird, sucht Deutschland dort vergeblich. Selbst dieser bescheidene Anteil wird noch sinken, wie die Europäische Kommission errechnet hat. TITEL Positionen # 1 _ 2 0 1 6 ASSISTANCE STABILE SEITENLAGE Ob unterwegs oder zu Hause: Wenn irgendwo etwas schiefgeht, sorgt die Assistance der Versicherer mit ihren Leistungen dafür, dass es weitergeht. TEXT: HENNING ENGELAGE 08 / 09 ls sie wieder zu sich kommt, weiß Astrid Kuhn nicht wo sie ist. Nur dass sie kaum Luft kriegt. Dann packt sie der Schmerz. Und die Erinnerung: Eben noch war sie am Edersee entlanggefahren, mit gemütlichen 80 Stundenkilometern auf ihrer Honda CGF 600 durch den hessischen Spätsommer. Bis ein Baumarkt-Lastwagen aus dem Gegenverkehr direkt in ihre Spur wechselte und sie selbst 50 Meter durch die Luft flog. Als sie das zweite Mal wach wird, liegt Astrid Kuhn (Name geändert) auf der Intensivstation. Dass sie überhaupt überlebt hat, nennt sie heute „wahnsinniges Glück“, auch wenn ihr zerfetzter Unterschenkel in einer siebenstündigen Notoperation amputiert werden musste. Nach drei Wochen wird Kuhn entlassen, trotz anhaltender Schmerzen im Knie. Ihr Anwalt schließt sich kurz mit dem gegnerischen Kfz-Haftpflichtversicherer, der wiederum schaltet einen Reha-Dienstleister ein. Dessen Auftrag: die Patientin so weit und so schnell wie möglich zurück in ein möglichst beschwerdefreies Leben zu begleiten. Solche Dienstleister sind nicht die einzigen Helfer, die von Versicherern beauftragt werden, um ihren Kunden zu helfen. Die Palette ist bunt und reichhaltig, sie umfasst Tausende von Dienstleistungen. Die Assekuranz sorgt für Klempner, Handwerker, Putz- und Abschleppdienste oder organisiert Krankentransporte in einem Spezialabteil im Jumbojet (siehe auch die Infografik auf Seite 16/17). Und wenn es wie bei Astrid Kuhn › nötig und sinnvoll ist, beauftragt der Ver- TiTel 10 / 11 sicherer durch das Reha-Management einen persönlichen Lotsen durch das Gesundheitssystem. Hilfe ist mehr als das Zahlen einer Entschädigungssumme. Das haben die Versicherer erkannt – und sie setzen diese Erkenntnis konsequent um. Viele Policen bei Auslandsreise-, Unfall-, Hausrat-, Wohngebäude- oder KfzVersicherungen bieten heute als Zusatzbausteine sogenannte Assistance-Dienstleistungen an – „Assistance“ wird dabei französisch ausgesprochen. Dann wird ein Mietwagen organisiert, der Kammerjäger gerufen oder ein Arzttermin im Ausland vereinbart – bezahlt von der eigenen Versicherung. Deshalb sind es meist die Versicherten selbst, die zusätzliche Leistungen aus ihrem Vertrag einfordern. Dafür genügt der Griff zum Telefon. Sieben Millionen Anrufe gehen jährlich in den ServiceCentern der Assisteure ein. Weil der Wagen auf der Autobahn liegen geblieben ist, ein Rohrbruch die Wohnung unter Wasser gesetzt oder der Safari-Jeep sich überschlagen hat – die gebrochenen Knochen mögen doch bitte in Deutschland behandelt werden. Im Schnitt klingelt das Telefon bei den Assisteuren alle fünf Sekunden. Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Ein Anruf, und Hilfe kommt Etwa bei Sebastian Braeuer. Der 32-Jährige arbeitet im Schichtdienst in Neuss bei der Deutschen Assistance, dem Dienstleister der öffentlichen Versicherer. Sein Gebiet: Auslandsreisekrankenversicherung. Die Anrufer sind meist aufgewühlt, weil sie vielleicht selbst schwer erkrankt sind oder die Gattin einen lebensbedrohlichen Unfall hatte. „Man muss sehr feinfühlig in den Gesprächen sein“, erzählt Braeuer. Gleichzeitig muss er strukturiert nachfragen, um vom Menschen am anderen Ende der Leitung alle wichtigen Informationen zu erhalten: Wo ist der Versicherte? Wie geht es ihm? Was soll der Assisteur tun? Bei wem ist der Versicherungsnehmer überhaupt versichert? Diese Informationen tippt er schon während des Gesprächs in die Computermaske ein. „Wir müssen aufpassen, dass wir alle wichtigen Informationen vom Anrufer bekommen.“ Für die Anrufer ist Braeuer „die Versicherung“, auch wenn die Assistance-Dienstleister meist als unabhängige Gesellschaften organisiert sind. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie nur für einen oder mehrere Versicherer tätig sind. „Hier übernehmen wir für den Versicherer die komplette Außenkommunikation“, sagt Braeuer. Wenn er den Hörer auflegt, fängt der zweite Teil seiner Arbeit an: Ärzte müssen nach Befunden befragt, Dienstleister oder Fluggesellschaften kontaktiert und Angehörige informiert werden. „Ich glaube, die meisten Menschen können sich gar nicht vorstellen, was für ein Aufwand hinter solchen Leistungen steckt“, sagt Braeuer. Im Idealfall bekommen die Versicherten davon gar nichts mit, weil alles reibungslos läuft. Das Resultat für die Assekuranz: ein guter Ruf als Helfer im Schadenfall, der schnell und unbürokratisch agiert. Und das allein im Jahr 2014 rund 2,3 Millionen Mal. › 1 Million »UND JETZT SCHIEBEN!« Schutzbrief für Autofahrer M ühsames Röcheln. Und noch mal, bis das Röcheln erstirbt. Leichte Diagnose für Vasco Werner: Der Motor des betagten Opel Astra springt nicht mehr an, weil der Anlasser kaputt ist. Werner klemmt sich hinters Steuer und macht den Besitzern Beine: „Und jetzt schieben!“ Das Auto bockt kurz auf, dann brüllt der Motor los. „Jetzt direkt in die Werkstatt fahren – und bloß nicht den Motor zwischendrin ausstellen“, gibt Werner den Eheleuten noch mit auf den Weg. Routine für Werner. Seit zwei Jahren rollt der 33-Jährige mit seinem Wagen des Abschleppdiensts Rudolph auf Berliner Straßen. Er gehört zu den bundesweit 3100 Unfall- und Pannenhelfern, die im Dienst von Assistance Partner unterwegs sind – einem Joint Venture von mehreren Notrufdienstleistern der Assekuranz. Das Markenzeichen der 1750 Fahrzeuge ist ihre silberne Außenhaut mit dem neonorangefarbenen „A“. In der „silbernen Flotte“ der Assistance Partner sind 490 Abschleppunternehmen unterwegs, und sie sind keineswegs die einzigen. Andere Versicherer setzen auf ein eigenes Netz an Dienstleistern und beauftragen die Abschleppunternehmen direkt. So oder so: Wenn ein Autofahrer anruft, kommt umgehend Hilfe – meist innerhalb einer Stunde. Pannenhilfe ist zumindest ein Teil des Schutzbriefs, den bundesweit 26,7 Millionen Autofahrer als Zusatzbaustein zu ihrer Kfz-Versicherung abgeschlossen haben. Für die Helfer heißt das: Dauerbereitschaft. Werner muss jetzt nach Kreuzberg, wieder will ein Wagen nicht anspringen, ein Mini in einer Tiefgarage. Nach 20 Minuten ist Werner vor Ort und schließt einen Startbooster an, prompt regt sich der Motor. Die Ursache für den Blackout ist schnell gefunden: Das Standlicht war an. Nicht immer kann Werner helfen. Am Vortag war er zu einem Unfall gerufen worden. Ein alter Honda war so schwer beschädigt, dass keine Werkstatt etwas hätte retten können. Werner versuchte, die Besitzer aufzuheitern: „Ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht“, setzte er an. „Die gute: Es regnet nicht. Die schlechte: Ihr Auto ist Schrott.“ Die letzte Fahrt des Hondas führte auf dem Plateau von Werners Abschleppwagen zum Verwerter. Vor allem in der Urlaubszeit reiht sich Einsatz an Einsatz. „Und jeder ist anders“, sagt Werner. Im Jahr 2014 haben die Assisteure für die deutschen Kfz-Versicherer fast 700.000-mal Fahrzeuge abgeschleppt oder Pannenhilfe geleistet. 77.000-mal organisierten sie einen Mietwagen, rund 30.000-mal wurden Fahrzeuge und Personen über längere Distanzen zurücktransportiert. An diesem Tag bleibt der große Stress aus. Bis seine Schicht um 15.30 Uhr endet, fährt Vasco Werner vier Einsätze – weniger als sonst. Kein Tag, an den sich Werner lange erinnern wird – anders als die Menschen, denen er geholfen hat. Tagesgeschäft: Hier räumt Vasco Werner einen abgebrannten Pkw von der Straße. Vasco Werner, Pannenhelfer TiTel › Positionen # 1 _ 2 0 1 6 »ICH HABE EINE GUTE UN D EINE SCHLECH TE NACHRICHT. D IE GUTE: ES REGNET NIC HT. DIE SCHLECHT E: IHR AUTO IST SCHR OTT.« TiTel Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Am häufigsten rufen Autofahrer an. „Der Kfz-Schutzbrief ist mittlerweile eine bekannte Zusatzleistung bei vielen Kfz-Versicherern“, sagt Olaf Lietzau, zuständiger Abteilungsdirektor bei den VGH Versicherungen. 26,7 Millionen Versicherte in Deutschland haben solch einen Schutzbrief abgeschlossen. „Die Kunden schätzen vor allem, dass sie bei einer Panne oder einem Unfall mit einem Anruf direkt Hilfe von ihrem Versicherer bekommen.“ Im Schnitt rund 2400-mal am Tag werden die Kfz-Assisteure aktiv – egal ob es sich um Starthilfe vom Pannendienst oder einen Rücktransport handelt, falls der Camper in Italien schlappmacht. Alles vom Schutzbrief abgedeckt – ebenso wie vieles andere. Gestrandete Autofahrer erhalten kostenlos einen Mietwagen oder können im Hotel übernachten. Damit bei Pannen fern der Heimat Auto und Fahrer schnell zurückkehren, haben die Versicherer ein europaweites Netzwerk von rund 7000 Abschleppfirmen aufgebaut. Bei schweren Erkrankungen oder Unfällen im Ausland sorgen die Assisteure für den Rücktransport der Versicherten – auch wenn sie dort nicht mit dem Auto unterwegs waren. Etwa 150 Millionen Euro geben allein die deutschen Versicherer jährlich für Kfz-Assistance-Leistungen aus. In diesem Jahr wird der Service um den Unfallmeldestecker (siehe Seite 18) erweitert. Der Stecker im Auto und die passende heruntergeladene App auf dem Handy sorgen bei einem Crash dafür, dass über eine Notrufzentrale sofort Kontakt aufgenommen wird – und der Rettungswagen die exakte Position kennt, damit er bei Bedarf unverzüglich losfahren kann. Unfall während der Reise? Assis‑ teure sorgen für den Rücktransport in die Heimat. Assisteure übernehmen das Putzen Auch Unfallversicherer bieten immer mehr Assistance-Leistungen an. Dazu gehört etwa der Einkaufsservice, falls jemand wegen eines gebrochenen Beines nicht mehr in den Supermarkt gehen kann, oder die Begleitung zum Arzt oder auf Behördengänge. Oder die Unterbringung des Hundes in einer Hundepension, während Herrchen oder Frauchen im Krankenhaus liegt. Für ältere Menschen sei entscheidend, dass sie den Alltag zu Hause E in der Zeit unmittelbar nach eiE RICHTIG N H O » nem Unfall bewältigen können, SE ICH sagt Michael Girke, der bei der HILFE SÄS HT IM EIC Allianz die Unfall-RisikoverTZT VIELL E J L.« sicherung verantwortet. Also ROLLSTUH übernehmen Assisteure das hn, Astrid Ku Einkaufen oder das Reinigen der er Wohnung. Unfallopf 12 / 13 Fürs eigene Zuhause sind komplett neue Schutzbriefe denkbar, die digitale Vernetzung macht es möglich. Da kommuniziert die Heizung mit dem gekippten Fenster, oder intelligente Sensoren erkennen Wasserrohrbrüche – und spielen diese Informationen direkt aufs Smartphone. So können vielleicht bald Einbrecher erkannt werden, während die Bewohner unterwegs sind. „Das revolutioniert die Wohngebäudeversicherung“, sagt Alain Zweibrucker, der bei der Axa den Bereich Schaden und Unfall im Privatkundengeschäft leitet. Die Grenzen der Versicherbarkeit werden verschoben: Kunden werden aktiv »DIE MEIST vor Schäden bewahrt. EN MENSCHE Davon profitieren beide Seiten: N KÖNNEN Der Kunde vermeidet den Ärger, SICH GAR sich wegen eines WasserrohrNICHT VO R S T E L L bruchs neue Möbel kaufen zu EN, WAS F ÜR EIN AUFW müssen – und der Versicherer AND HINT E muss den verhinderten SchaR D ASSISTANC EN E-LEISTUN den gar nicht erst bezahlen. Mit GEN solchen Angeboten setzen die STECKT.« Versicherer eine Tradition fort: Sebastian Braeuer, „Vorsorge ist besser als Nachsorge Assisteur – das ist eine eherne Regel unseres Geschäfts“, sagt GDV-Präsident Alexander Erdland. Von der Präventionsarbeit der Assekuranz hat wohl jeder Deutsche schon profitiert – selbst wenn er gar keinen Versicherungsvertrag hat. Zum Beispiel von der Forschung der Versicherer für mehr Verkehrssicherheit. Die Einführung der Gurtpflicht in Deutschland war auch dem Engagement der Versicherer zu verdanken, ebenso die Verpflichtung der Autohersteller, das AntiSchleudersystem ESP serienmäßig einzubauen, und der Trend, an Kreuzungen vermehrt Pfeil› Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Aktiv vor Schaden geschützt TiTel In der Hausrat- und Wohngebäudeversicherung gibt es ebenso maßgeschneiderte Zusatzleistungen. Mit einem Wohngebäudeschutzbrief organisiert ein Assisteur direkt den Schlüsseldienst, wenn die Tür ins Schloss gefallen ist. Ein weiterer Vorteil für Kunden: Ihnen bleibt die böse Überraschung eines überteuerten Zuschlags erspart. Der gerufene Schlüsseldienst ist zumeist ein fester Vertragspartner des Assisteurs – und hat zuvor einen Pauschalvertrag abgeschlossen. Und die Rechnung übernimmt am Ende die Versicherung. Wer einen Schutzbrief abgeschlossen hat, profitiert überdies von der Erfahrung der Assisteure. So kommt gleich der richtige Dienstleister ins Haus – egal ob ein Wespennest entfernt werden soll oder die Heizung defekt ist. TiTel Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Fast 13 Meter hoch stand das Wasser 2013 stellenweise in Passaus Altstadt, das überstand auch die Barockkapelle nicht ohne Schäden. Prävention schützt am besten vor Schäden R obert Schmidt-Thomé starrt die Wand an. Der Putz ist ab, der frühere Glanz der barocken Kapelle lässt sich im Moment nur erahnen. Noch immer wird das Gotteshaus, der prunkvollste Teil eines Passauer Kinderheims, saniert. Schmidt-Thomé ist auf Details fixiert: Wird hier möglichst wasserfester Putz verarbeitet? Sind das mineralische Farben, die bei Feuchtigkeit nicht abblättern? Schmidt-Thomés Mission ist Prävention. Er hilft dem Besitzer des Kinderheims, einer gemeinnützigen Stiftung, die Kapelle bei zukünftigen Hochwassern besser zu schützen. „Der primäre Aspekt ist: Wie kann ich den Schaden möglichst gering halten?“, erzählt Schmidt-Thomé, der bei der Versicherungskammer Bayern als Risikomanager arbeitet. Denn Versicherung und Prävention gehen immer Hand in Hand. Ohne Bemühungen, Schäden zu verhindern, wäre Versicherung heute nicht möglich. Vor zwei Jahren stand das Wasser in der denkmalgeschützten Kapelle meterhoch. Sie wurde 1751 an einem der hochwassergefährdetsten Orte Deutschlands errichtet, in der Altstadt von Passau. Das Hochwasser 2013 brachte der bayerischen Stadt Pegelstände von bis zu 12,89 Meter. Und die nächste Flut kommt bestimmt. Also berät Schmidt-Thomé die Stiftung, wie sie zu einem Hochwasserschutzkonzept für das Kinderheim kommt. Wen kann man ansprechen, was sind die ersten Schritte? Wie können Schäden minimiert werden, wenn das Hochwasser nicht zwölf, sondern vielleicht nur drei Meter hoch am Kinderheim steht? Als gelernter Geologe kann Schmidt-Thomé gut einschätzen, wie der Druck bei höheren Pegelständen das Grundwasser in das Gebäude drückt, selbst wenn die Flut von außen gar nicht mehr hereinkommt. „Dann bleibt der Schmutz draußen, und die Schäden durch das Grundwasser sind geringer.“ Viele Versicherer bieten eine individuelle Präventionsberatung zu Naturgefahren an, stellen außerdem Informationen zur Verfügung, wie Hochwasserschäden etwa schon beim Hausbau vermieden werden können. Eine denkmalgeschützte Kapelle im Hochrisikogebiet ist allerdings eine besondere Herausforderung. Die Arbeit hat gerade erst begonnen. Doch allen ist klar: Wenn die Kapelle weiterhin im barocken Glanz erstrahlen soll, führt an Robert SchmidtSchadenprävention kein Weg vorbei. Thomé, Präventions- »DER PRIMÄRE ASPEKT IST: WIE KANN ICH DEN SCHADEN MÖGLICHST GERING HALTEN?« experte ampeln für Linksabbieger aufzustellen. Ob besser gesicherte Steckdosen, zertifizierte Fahrradschlösser, Brandschutz für Unternehmen oder die Förderung von Rauchmeldern: In all dem steckt Präventionsarbeit der Versicherer drin. Aktiv werden, um Schlimmeres zu verhindern – für die Betroffenen ist das mit Geld gar nicht aufzuwiegen. „Absolut“, sagt Astrid Kuhn, „ohne Herrn Jakobs säße ich jetzt vielleicht im Rollstuhl.“ Friedhelm Jakobs ist Fallmanager in Diensten von Reha Assist, einem von mehreren unabhängigen Reha-Management-Dienstleistern. Er wird nach dem Motorradunfall von der Kfz-Versicherung des Unfallgegners beauftragt. Jacobs vermittelt Kuhn an eine Kölner Spezialklinik, deren Ärzte ein völlig kaputtes Kniegelenk diagnostizieren, eigentlich nicht mehr zu retten. Viele Patienten verbringen ihr Leben nach einer solchen Amputation größtenteils im Rollstuhl. Kuhn versucht, ihr Kniegelenk zu retten. Operation vor Weihnachten 2012, erste Reha, Wundschmerzen, Nachoperation im Juli 2013, zweite Reha. Reha-Dienstleister Jakobs stellt Kuhn bei einem der besten Prothesenbauer Deutschlands vor, vermittelt ambulante Therapien bei Top-Physiotherapeuten. Und Kuhn kämpft sich durch die Reha. Eine Win-win-Situation: Je besser es Kuhn langfristig geht, je früher sie wieder ihre Arbeit aufnehmen kann und auf je weniger Hilfe sie in Zukunft angewiesen sein wird, desto weniger zahlt die Versicherung langfristig. Die Kfz-Haftpflicht muss alle Behandlungen übernehmen und zahlt auch für alle Einschränkungen und Einbußen durch lange Ausfallzeiten am Arbeitsplatz einen finanziellen Ausgleich. Bliebe Astrid Kuhn erwerbsunfähig, müsste der Versicherer jahrzehntelang für den Verdienstausfall zahlen. Eine Frage der Lebensqualität Nach Schätzungen von Branchenkennern geben die Kfz-Haftpflichtversicherer rund 3000 bis 4000 Fälle jährlich an die Reha-Dienstleister. Welche Fälle, das entscheidet der Versicherer. Anders als die Assistance-Leistungen ist das Reha-Management oft keine Vertragsleistung für Versicherte. Auch manche Unfallversicherer und Berufsunfähigkeitsversicherer setzen mittlerweile auf die unabhängigen Reha-Dienstleister, um Ausfallzeiten zu verkürzen, Behandlungserfolge zu verbessern und die Betreuung zu optimieren. Wie viel Lebensqualität für Unfallopfer durch den Einsatz der Reha-Manager gewonnen werden kann, lässt sich schwer in Zahlen messen. Wohl aber in Lebensqualität. Astrid Kuhn ist im Alltag kaum mehr auf Hilfe angewiesen und arbeitet wieder als Sachbearbeiterin. Die passgenaue Prothese trägt sie bis zu 14 Stunden am Tag, im Sommer auch selbstbewusst mit kurzer Hose. Auto kann sie mithilfe einer Automatikschaltung wieder fahren. Und Motorrad? „Klar“, sagt Kuhn, „als Sozius.“ Positionen # 1 _ 2 0 1 6 DER PUTZ IST AB TiTel 14 / 15 st “ nt i e ka n i s t a n c e b s e s ? i W ff „A rung i egr völke B r de der Be bei 22% 21% 20% 11% 201 1 2 201 201 3 201 23% 01 4 2 5 ANRUF GENÜGT, HILFE KOMMT! Wie, wann und wo die Assistance der Versicherer aktiv ist – eine Übersicht INFOGRAFIK: MARTIN BURGDORF CALLCENTER Wenn etwas passiert ist: einfach anrufen! Die Assistance-Dienstleister der Versicherer kümmern sich um alles Weitere. Ankommende Anrufe1 6,9 Mio. Ausgehende Anrufe1 3,8 Mio. Wie w einze ichtig s lne A ind de ssist n ance Versich -Leis e tung rten en? 93 % 77 % 50 % Hilfe im Notf all Orga n Scha isation d er denb eseit i gung ein p ersö n li Ansp rech cher part ner 2,3 Mio. Fälle bearbeiten deutsche Assisteure pro Jahr 1 180 Mio. Euro setzten die Assisteure der Versicherer 2014 für die Organisation ihrer Leistung zirka um1 Quellen: Alle Zahlen aus „Assistance Barometer 2015“ bis auf: 1 „Assistance-Statistik 2014“ 2 „Schutzbriefversicherung Gesamtstatistik 2014“ 16 / 17 HAUSRAT UND WOHNGEBÄUDE Schutzbriefe helfen, wenn es in der Wohnung klemmt: Dann kommt der Klempner, der Schlüssel- oder Rohrreinigungsdienst. Wenn etwas mit der Elektronik oder der Heizung nicht stimmt, wird ein Elektro- bzw. Heizungsinstallateur beauftragt. Kammerjäger kümmern sich um Schaben, Ratten, Mäuse oder Motten in der Wohnung und um Hornissen-, Wespen- und Bienennester in der Nähe. REISE UND GESUNDHEIT Schutzbriefe bei Reisen ins In- und Ausland decken auch medizinische Leistungen ab: Transport ins nächste Krankenhaus, Rücktransport (bei Bedarf in einem Spezialabteil im Flugzeug), Vermittlung von Arztterminen, Beratung zu geeigneten Therapien, Nennung von Medizinern, Kliniken und Reha-Einrichtungen. 175.800 Leistungen vermittelten die Assisteure im vergangenen Jahr im Bereich Hausratund Wohngebäude. 1 300.000 TiTel Fälle wurden 2014 insgesamt bearbeitet.1 UNFALL Welche Assistance-Leistungen sind Ihnen im Krankheitsfall wichtig? Pflegeberatung 85 % fachliche Beratung chronisch Kranker 83 % Pflegemanager für Versicherte 81 % Pflegemanager für Angehörige 77 % administrative Beratung 68 % Gesundheitsmanager für Versicherte und Angehörige jeweils 64 % Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Zum Service der Assiteure nach Unfällen gehört es einzukaufen, falls jemand das etwa wegen eines gebrochenen Beines nicht mehr kann. Für ältere Menschen kann die Begleitung zum Arzt oder bei Behördengängen ein hilfreiches Angebot sein. Wenn bei einem Krankenhausaufenthalt der Hund allein zu Hause wäre, wird ein Platz in einer Hundepension organisiert. Assisteure bieten nach Unfällen Angebote zur Pflege an, lassen die Wohnung putzen und übernehmen das Waschen, Trocknen und Bügeln der Wäsche. AUTO Wie wichtig ist Ihnen die Autounfall- und Pannenhilfe? 80 % sagen: wichtig/sehr wichtig Wie wichtig ist Ihnen die komplette Schadenabwicklung nach einem Autounfall? 74 % sagen: wichtig/sehr wichtig 873.000 Fälle2 wurden 201 4 in Deutschland Rücktransport insgesamt bearbeitet. Davon waren: 30.000 26,7 Millionen Versicherte in Deutschland haben einen Kfz-Schutzbrief abgeschlossen. Zu den rund eine Million Leistungen, die jährlich abgerufen werden, zählen die Starthilfe vom Pannendienst, der Transport in die Werkstatt und der Rücktransport von Wagen und Personen aus dem Ausland. Wer einen Schutzbrief abgeschlossen hat, bekommt auch einen Mietwagen zur Verfügung gestellt. Mietwagen 77.000 Abschleppen 488.000 Pannenhilfe 199.000 NOTFALLMELDER IM EINSATZ Ein unscheinbarer Stecker im Zigarettenanzünder hilft Leben retten: Die Versicherer haben einen Unfallmeldedienst für Autos entwickelt. Jetzt ist das System startklar. Positionen # 1 _ 2 0 1 6 TiTel TEXT: HENNING ENGELAGE N ormalerweise sitzen CrashtestDummys am Steuer des knallgelb lackierten 5er BMW. Dieses Mal gibt es nur einen Passagier: einen schwarzen Stecker für den Zigarettenanzünder, geformt wie eine kleine Raumkapsel. Kurzer Countdown, dann beschleunigt der BMW und knallt gegen die Wand. Jürgen Redlich steht hinter der Schutzwand aus Panzerglas und nickt: Wagen kaputt, Stecker heil. Und auf dem Laptop hat der Crash eine schöne Datenkurve hinterlassen. Redlich hat über anderthalb Jahre für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) ein Projekt geleitet, das helfen wird, Leben auf Deutschlands Straßen zu retten. Nach einem Autounfall entscheiden oft Sekunden über Leben oder Tod. Und der unscheinbare Stecker sorgt künftig dafür, dass Hilfe wirklich schnellstmöglich unterwegs ist. Vor allem auf dem Land: 2014 starben auf den deutschen Landstraßen PETER SLAWIK, 1172 Menschen, die per VORSITZENDER DES FACHPkw unterwegs waren; AUSSCHUSSES KRAFTFAHRT15.971 verletzten sich VERSICHERUNG IM GDV schwer. Wer außerhalb von Ortschaften gegen den Baum prallte, musste bislang hoffen, schnell von anderen Autofahrern entdeckt zu werden. Das ändert sich mit dem Stecker: Bei einem Unfall aktiviert er – per App – das Smartphone, das automatisch die aktuellen Positionsdaten und die Schwere des Crashs an eine Notrufzentrale sendet. Zugleich wird eine Sprachverbindung mit einem Mitarbeiter in der Zentrale hergestellt: Wie geht es dem Fahrer? Wie viele Verletzte gibt es? Größter Vorteil des Systems: Anders als das ab 2018 für Neuwagen vorgeschriebene Not- »RETTUNGSKRÄFTE WERDEN DEUTLICH SCHNELLER AM UNFALLORT SEIN.« Wie eine winzige Raumkapsel sieht der Meldestecker aus. Er gehört allerdings in die Buchse des Zigaretten anzünders. Check Der Stecker kontrolliert ständig, ob sich das Auto normal bewegt. 18 / 19 rufsystem eCall lässt sich dieser Unfallmeldedienst quasi in jedem Auto nachrüsten. Einzige Voraussetzung im Auto: ein 12-Volt-Anschluss – gern für den Zigarettenanzünder genutzt. In dem System steckt die Erfahrung einer mehrjährigen Entwicklungszeit. Die Versicherer und der Projektpartner Bosch mussten die Formel finden, damit der Stecker jeden Unfall wahrnimmt – aber nicht bereits auslöst, wenn das Auto nur kräftig beim Einparken über den Bordstein fährt. Die Suche nach der Formel Im Stecker misst ein dreiaxialer Beschleunigungssensor, wie stark beschleunigt oder gebremst wird – die sogenannten g-Kräfte. „Wenn ein Sportwagen stark bremst, treten maximal 1,5 g auf“, erklärt Ingenieur Redlich, das entspricht dem Anderthalbfachen des Körpergewichts. Bei schweren Unfällen sind die Kräfte viel höher. „Spitzen von bis zu 80 g über wenige Millisekunden kann der Mensch sogar ohne schwerste Verletzungen überleben“, sagt Redlich. Solche Unfälle zu erkennen, war nicht das Problem. Länger dauerte es › Alarm Bei Bedarf leitet die Notrufzentrale sofort Rettungs maßnahmen ein. „Ich bin verletzt!“ Unfalldaten werden ver schlüsselt an die Not rufzentrale gesendet. „Wie kann ich Ihnen helfen?“ Positionen # 1 _ 2 0 1 6 TiTel Der Stecker meldet einen Unfall an die App im Smartphone. TiTel Positionen # 1 _ 2 0 1 6 die Formel zu finden, um einen leichten Auffahrunfall vom Bordsteinholperer zu unterscheiden. 380 Kombinationen von Fahrzeugen, Unfallkonstellationen und Algorithmen wurden simuliert, 19 reale Crashtests durchgeführt – immer hielt der Stecker. Danach folgte der Feldversuch über mehrere Monate auf den Straßen. Auch diesen Test hat der Unfallmeldedienst bestanden. Neben dem Stecker braucht es nur noch ein Smartphone, damit ein Notruf abgesetzt werden kann. Software-Riese IBM half bei der Entwicklung der App und der Übertragung der Notrufe per mobiler Datenverbindung. Maßgabe: Der Unfallmeldedienst soll mit möglichst wenig Daten auskommen. Bei einem Unfall werden nur Daten an die Notrufzentrale gesendet, die für die Organisation der Hilfeleistung erforderlich sind – zur Not passen alle Informationen in eine SMS. Gleichzeitig wird über das Telefon die Sprachverbindung aufgebaut. Die Notrufe landen dann in Hamburg, bei der GDV Dienstleistungs-GmbH & Co KG. Hier kommen auch alle Anrufe von den Notrufsäulen an den deutschen Autobahnen an – insgesamt mehr als 100.000 pro Jahr. Das neue Service-Angebot hilft nicht nur bei Unfällen, sondern auch bei Pannen aus der Bredouille: Den Abschleppdienst zu rufen ist nur noch ein Touch auf dem Smartphone entfernt. Bei einem leichten Unfall wird der Fahrer automatisch mit einem Service-Center verbunden und kann einen Abschleppwagen anfordern. Der Kfz-Versicherer organisiert Hilfe – und kann gleichzeitig den Unfall aufnehmen. Vertrieben wird der Unfallmeldestecker über die einzelnen Versicherungsunternehmen. 112 Die Rettungsleitstelle erhält alle nötigen Informationen für die Nothelfer. Dann krachte es: Steckertesterin Sabine Kellermann. »DAS IST KEIN SCHERZANRUF« Glück im Unglück hatte SABINE KELLERMANN, die den Stecker getestet hat. Bei Ihnen hat es im Probebetrieb gekracht. Was ist passiert? SSBIINE NEEENEERSIIN: Ich war auf dem Weg zur Arbeit. Leider hat die Dame vor mir gemeint, sie müsste an der Ampel etwas stärker bremsen. Da bin ich ihr mit meinem Nissan Micra hinten raufgerutscht. Und der Unfallmeldedienst? S N: Mein Handy hat direkt nach dem Crash sofort das Service-Center angerufen. Die Frau am Telefon hat mich gefragt, ob jemand verletzt sei. Und auch, ob es wirklich einen Unfall gegeben habe. Das war ja im Januar, also noch im Probebetrieb. Ich habe gesagt, dass das kein Scherzanruf sei. Aber zum Glück gab es nur einen kleinen Blechschaden. Die Notrufzentrale musste also keinen Krankenwagen rufen. Und zwei Stunden später hat mich dann mein Versicherer direkt angerufen, um den Schaden aufzunehmen. Hatten Sie nach diesem Unfall noch einmal „das Vergnügen“? S N: Bis jetzt hat sich der Stecker nicht mehr gemeldet – auch nicht bei unebener Fahrbahn. Musste er auch nicht. Wird der Stecker also weiter bei Ihnen mitfahren? S N: Ja, auf jeden Fall. Das gibt eine gewisse Sicherheit, dass im Ernstfall sofort der Rettungswagen kommt. Oberklasse-Autos haben so etwas ja teilweise schon eingebaut. Es ist super, dass es das jetzt auch für das kleine Budget gibt. 20 / 21 VERORTET Versicherungsmitarbeiter sind ihren Kunden überall zu Diensten. Ob sie dabei selbstständig oder angestellt sind, unterscheidet sich regional stark. DEUTSCHLAND 529.010 295.580 233.430 ERWERBSTÄTIGE GESAMT ABHÄNGIG BESCHÄFTIGTE SELBSTSTÄNDIGE VERSICHERUNGSVERMITTLER UND -BERATER Quelle: GDV; AGV/BA; DIHK, Stand Dezember 2015 Positionen # 1 _ 2 0 1 6 TiTel K aum gegründet, zählte die Bundesrepublik Deutschland mal durch und kam auf 12.972 5.460 ziemlich genau 54.200. So 7.512 viele Menschen beschäftigte DIE DEUTSCHLANDKARTE die Versicherungsbranche setzt vierteljährlich 6.947 damals. Und heute? Ist diese wichtige Zahlen aus der 2.320 Zahl gewachsen auf fast 4.627 Versicherungslandschaft SCHLESWIG300.000 Mitarbeiter – das prägnant ins Bild. HOLSTEIN 24.720 allerdings ist gerade 20.650 mal etwas mehr als die 4.070 4.294 MECKLENBURGhalbe Wahrheit. Denn 3.100 VORPOMMERN zu den Angestellten 1.194 in der Assekuranz, 17.965 Maklerbetrieben oder HAMBURG 10.880 Servicegesellschaften 7.085 42.659 BREMEN 10.876 kommen noch mehr 23.580 2.810 19.079 9.694 als 230.000 Versi8.066 3.030 cherungsvermittler 6.664 119.551 und -berater, die BERLIN 76.090 43.461 selbstständig agieNIEDERSACHSEN BRANDENBURG ren. Im Osten, im Südwesten und im SACHSEN-ANHALT 22.417 Norden Deutsch8.500 10.664 13.917 NORDRHEINlands stellen die 2.970 WESTFALEN 45.564 Selbstständigen 7.694 28.080 sogar die Mehr17.484 heit: In BrandenSACHSEN burg sind es zum 19.899 THÜRINGEN Beispiel fast 75 Pro8.130 11.769 zent, in Schleswig-HolHESSEN stein 57 Prozent. Weniger ins Gewicht fallen die selbstständigen VermittRHEINLAND-PFALZ ler und Berater in Hamburg 107.242 62.990 und Bremen: In den beiden SAAR44.252 LAND Stadtstaaten beträgt ihr Anteil nur 16 beziehungs6.558 66.988 3.750 weise 27 Prozent. Auch in 33.240 2.808 Nordrhein-Westfalen und 33.748 BAYERN Bayern dominieren die Festangestellten (mit 64 Prozent und 59 Prozent) – alles Städte und Regionen, in BADEN-WÜRTTEMBERG denen große Versicherungsunternehmen ansässig sind, die viele Mitarbeiter fest angestellt haben. GELD ZURÜCK TROTZ LEISTUNG Zahlungsaufschub zu gewähren ist fair. Rutscht der Kunde später in die Pleite, kann das aber teuer werden: Wenn nämlich der Insolvenzverwalter den längst erhaltenen Rechnungsbetrag zurückfordert. Dagegen können sich betroffene Unternehmen schützen. TEXT: ELKE SPANNER A bsurd. Silke Stüwe mochte es kaum glauben, als sie das Schreiben in den Händen hielt. Der Baustoffgroßhändler Mega, für den sie als Forderungsmanagerin arbeitet, sollte 92.000 Euro an den Insolvenzverwalter eines Kunden überweisen, den er fast zehn Jahre zuvor mit Lacken und Farben beliefert hatte. Damals war Winter, der Handwerker hatte einen finanziellen Engpass, also hatte Mega ihm aus Kulanz Ratenzahlung gewährt. Das frühere Entgegenkommen sollte dem Händler nun zum Verhängnis werden: Der Insolvenzverwalter wertete es als Indiz, dass Mega schon damals von einer drohenden Zahlungsunfähigkeit gewusst habe – und forderte das Geld im Wege einer Insolvenzanfechtung zurück. Die ist in Paragraf 133 der Insolvenzordnung vorgesehen. „Viele Mittelständler empfinden das als Teilenteignung“, sagt Managerin Stüwe. „Sie müssen Geld herausgeben, für das sie ihre Gegenleistung ordnungsgemäß und mangelfrei erbracht hatten.“ In diesem Fall konnte Mega die Zahlung abwenden: Die Forderung verjährte im Laufe der Verhandlungen. Grundsätzlich aber ist die Insolvenzanfechtung für Unternehmen ein großes Risiko, und das nicht nur in der Baubranche. Sie sind ständig der Gefahr ausgesetzt, Geld zurückzahlen zu müssen, das längst ver- bucht und oft auch schon ausgegeben ist – und zwar bis zu zehn Jahre rückwirkend. So lange währt die Frist, innerhalb derer ein Insolvenzverwalter eine Zahlung anfechten kann. „Dieses Risiko ist kaum kalkulierbar“, sagt Werner Münch, Head of Business Regulations Germany bei der Atradius-Kreditversicherung. Die Versicherer haben deshalb Policen entwickelt, die vor dem Risiko schützen. Seit 2014 sind Anbieter wie EulerHermes und Atradius mit Policen auf dem Markt, die in der Regel zusätzlich zu einer Warenkreditversicherung, zum Teil aber auch als eigenständige Versicherung abgeschlossen werden können. „Die Nachfrage ist sehr groß“, sagt Münch. Was an den wachsenden Begehrlichkeiten der Insolvenzverwalter liegt. Und dann wird es teuer Allein bei der eingetragenen Genossenschaft Mega, einem Mittelständler mit bundesweit rund 1400 Mitarbeitern, gehen jedes Jahr rund 20 Insolvenzanfechtungen ein. Der Verband der Insolvenzverwalter Deutschlands (VID) hat kürzlich 3068 Insolvenzverfahren ausgewertet, die 2012 und 2013 abgeschlossen wurden. In zwölf Prozent der Verfahren, so das Ergebnis, wurde eine Insolvenzanfechtung erfolgreich durchgesetzt. Das ist jeder achte Fall. Durchschnittlich verlangten die Verwalter von einem Unter› Positionen # 1 _ 2 0 1 6 ErfindEn 22 / 23 Aufs Dach steigen: Alle paar Wochen geht beim Baustoffgroßhändler Mega eine neue Insolvenzanfechtung ein. Meist geht es dabei um fünf- oder sogar sechsstellige Beträge. ERFINDEN Genossenschaft für Handwerker: Großhändler Mega bietet an deutschlandweit mehr als 100 Standorten ein Vollsortiment für das Maler-, Bodenleger- und Stuckateurhandwerk. nehmen 38.760 Euro zurück. Mittlerweile ist die Anzahl der Anfechtungen weiter angestiegen, nicht zuletzt wegen einer verschärften Rechtsprechung: Der Bundesgerichtshof hat im sogenannten Nikolaus-Urteil vom 6. Dezember 2012 die Anwendung erheblich ausgeweitet. Er hat eine Ratenzahlung oder die Stundung einer Forderung bereits als Hinweis auf eine drohende Insolvenz gewertet. Seither suchen Insolvenzverwalter in den Unternehmen gezielt nach Geschäftspartnern, die sich auf solche Zahlungsmodalitäten eingelassen haben, und fordern von diesen alte Rechnungsbeträge zurück. Das kann durchaus sinnvoll sein, denn die Grundidee der Insolvenzanfechtung ist an sich gerecht. Durch das Instrumentarium soll ver- mieden werden, dass sich einzelne Gläubiger eines Pleiteunternehmens auf Kosten der anderen bereichern, wenn sie nämlich in Kenntnis der finanziellen Probleme schnell noch ihr Geld aus der Insolvenzmasse abziehen, sodass die übrigen Gläubiger leer ausgehen. Nach Ansicht von Fachleuten wird die Insolvenzanfechtung inzwischen aber gezielt zulasten von Lieferanten und Geschäftspartnern eingesetzt, die nichts Unlauteres getan haben. „Ratenzahlung und Tilgung sind in der Wirtschaft verkehrsübliche Praktiken“, sagt Jörg Pohlücke, Referent Haftpflichtund Kreditversicherung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). „Es ist praxisfremd, allein das als Indiz für eine Zahlungsunfähigkeit zu werten.“ Mag sein, aber eben Gesetzeslage. Deshalb sind Anfechtungsversicherungen so gefragt. Sie greifen in Fällen, die über eine klassische Kreditversicherung nicht geschützt sind. Die deckt zwar alle unbezahlten Forderungen, nicht jedoch längst geleistete Zahlungen, die das Kreditlimit übersteigen. „Das kann für Unternehmen schnell zu hohen Verlusten führen oder im schlimmsten Fall sogar zur Existenzbedrohung werden“, sagt Jonas Müller, Head of Product Development von EulerHermes. Zumal die Forderung auch noch verzinst wird – dadurch besteht für Insolvenzverwalter sogar ein Anreiz, die lange Anfechtungsfrist möglichst auszuschöpfen. Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Die Frist wird kürzer »DAS FÜHLT SICH FAST AN WIE EINE ENTEIGNUNG: GELD HERAUSGEBEN, OBWOHL WIR DIE LEISTUNG ERBRACHT HABEN.« SILKE STÜWE, FORDERUNGSMANAGERIN BEI MEGA Inzwischen hat die Bundesregierung erkannt, dass der Schutz von insolventen Unternehmen einerseits und ihren früheren Lieferanten andererseits ins Ungleichgewicht geraten ist. Sie plant, die Insolvenzanfechtung einzuschränken. Nach dem aktuellen Entwurf der Reform, der derzeit noch im Gesetzgebungsverfahren ist, wird die Anfechtungsfrist von zehn auf vier Jahre verkürzt. „Das sehnen wir herbei“, sagt Mega-Forderungsmanagerin Stüwe. Der GDV geht allerdings davon aus, dass das Problem durch die Reform zwar entschärft, nicht aber beseitigt wird. Auch Jonas Müller von EulerHermes warnt davor, das unternehmerische Risiko zu unterschätzen, das nach einer Verkürzung bestehen bleibt. „Die meisten Insolvenzanfechtungen erfolgen schon jetzt nach zwei bis vier Jahren“, sagt Müller. „Und diese Gefahr wird es weiterhin geben.“ Vor allem für exportorientierte Unternehmen bleibt das Risiko hoch. Denn die meisten anderen europäischen Länder kennen ebenfalls eine Insolvenzanfechtung, mit manchmal durchaus langen Fristen. Es sei deshalb gefährlich, sagt Atradius-Experte Münch, „nur auf die deutsche Gesetzgebung zu achten und sich in Sicherheit zu wähnen“. 24 / 25 PRO& CONTRA Vater Staat übernimmt die kapitalgedeckte Altersvorsorge, gesetzliche Rentenkassen verwalten und investieren die eingehenden Gelder, die direkt vom Arbeitgeber überwiesen werden. So will es die „Deutschland-Rente“. Wie gut ist die Idee? Es besteht Handlungsbedarf: Obwohl das Niveau der gesetzlichen Rente deutlich sinkt, hat nur jeder zweite Beschäftigte eine Anwartschaft auf betriebliche Altersvorsorge erworben, in kleinen Firmen sogar nur jeder vierte. Riester-Produkte zur privaten Vorsorge nimmt nicht einmal die Hälfte der Berechtigten in Anspruch, von Beziehern geringer Einkommen sind es sogar noch weniger. Mit anderen Worten: Unserem Land droht in absehbarer Zeit eine erhebliche Zunahme der Altersarmut und den öffentlichen Haushalten eine entsprechende Zunahme der Sozialtransfers. Es wäre aber völlig falsch, als Antwort einfach mehr Geld in die bestehenden Förderwege zu pumpen. Bei einer Familie mit zwei Kindern und entsprechendem Einkommen zahlt der Staat schon heute bis zu 93 Prozent des Beitrags einer Riester-Rente. Zudem werden Freibeträge und Zulagen vielfach nicht ausgeschöpft. Das Problem liegt also nicht in der Höhe der staatlichen Förderung. Die Gründe sind andere: erstens die Verunsicherung der Bürgerinnen und Bürger angesichts der Komplexität und der hohen Kosten vieler Produkte der betrieblichen und privaten Altersvorsorge. Zweitens herrscht gerade in jungen Jahren eine gewisse Trägheit, sich mit Altersvorsorge zu befassen. Wir brauchen also ein einfaches, kostengünstiges und transparentes Standardprodukt – und zwar von einem Anbieter, dem die Verbraucher keine Profitinteressen unterstellen. Der Staat genießt dieses Vertrauen. Das Angebot muss außerdem so gestaltet sein, dass nicht die Annahme, sondern die Ablehnung eine aktive Entscheidung erfordert. Erfahrungen aus dem Ausland zeigen, dass bei einem solchen Prinzip der Verbreitungsgrad der betrieblichen Altersvorsorge deutlich – auf bis zu 90 Prozent – zunimmt. TAREK AL-WAZIR, Stellvertretender Ministerpräsident und Wirtschaftsminister von Hessen CONTRA Es ist wichtig, dass sich die Politik damit beschäftigt, wie die kapitalgedeckte Altersvorsorge vorangebracht werden kann. Denn gerade bei kleineren Unternehmen und in Branchen mit unterdurchschnittlichen Löhnen oder hoher Fluktuation sorgen noch zu wenige Arbeitnehmer für das Alter vor. Die Deutschland-Rente aber liefert keine überzeugende Lösung. Neben ordnungspolitischen Fragen und dem Risiko, dass die Einrichtung – gerade in Krisenzeiten – der politischen Einflussnahme unterliegt, gibt es auch keine empirischen Belege, dass ein Staatsfonds Kapital besser anlegt als privatwirtschaftliche Einrichtungen. Zudem würde die Deutschland-Rente mit ihren zahlreichen Sonderregeln die Komplexität aus Arbeitgebersicht erhöhen und – mit ihrer Ausgestaltung als reine Beitragszusage – auch Fragen der Sicherheit aus Arbeitnehmersicht aufwerfen. So ist unter anderem unklar, wer die Risiken von Wertschwankungen trägt oder was passiert, wenn der Fonds sich kurz vor Rentenbeginn stark negativ entwickeln sollte. Aussichtsreicher ist es, die bestehenden Instrumente zu stärken. Millionen Arbeitnehmer nutzen die Direktversicherung als einfache und effiziente Form der Vorsorge, häufig unterstützt von ihrem Arbeitgeber. Zielführend für eine weitere Verbreitung wäre es, für Arbeitnehmer mit niedrigen Einkommen weitere Anreize durch eine höhere Förderung zu schaffen. Auch die Riester-Rente sollte nach fast 15 Jahren weiterentwickelt und vereinfacht werden (Stichwort: Zulageverfahren). Immerhin haben wir mit den beiden Instrumenten Direktversicherung und Riester bereits eine große Wegstrecke bei der Verbreitung der kapitalgedeckten Altersvorsorge zurückgelegt. ANDREAS WIMMER, Vorstand Firmenkunden der Allianz Lebensversicherungs-AG Positionen # 1 _ 2 0 1 6 PRO ERFINDEN BRAUCHEN WIR DIE DEUTSCHLANDRENTE? »ABSOLUTE SICHERHEIT GIBT ES NICHT« Nach dem Einbruch zahlt die Versicherung. Aber so weit muss es nicht kommen, und dafür sorgt Assa Abloy mit Sicherheitsschlössern und Zutrittskontrollen. Deutschland-Chef STEFAN FISCHBACH über Schutz, Panzerknacker und übertriebenes Sicherheitsdenken. INTERVIEW: HEIMO FISCHER Ikon oder Yale, diese Marken haben Klang. Weniger bekannt ist das Unternehmen dahinter, der schwedische Konzern Assa Abloy. Das Deutschlandgeschäft wird vom schwäbischen Albstadt aus geführt, und zwar sehr dezent. Denn den Sitz eines Herstellers für Sicherheitstechnik stellt man sich irgendwie anders vor. Lichtschranken oder Fingerabdruckscanner sucht der Besucher vergebens, wenn er durch die Empfangshalle schreitet und sich in das Büro des Deutschland-Chefs begibt. Und auch Stefan Fischbach selbst ist überhaupt kein verschlossener Typ. Herr Fischbach, Ihr Eigenheim sieht bestimmt aus wie eine Festung, oder? ISEFFAN FIISHHFSHH: Unsinn! Wer will denn in einer Festung leben? Ich habe einige gute Produkte von uns verbaut. Aber darüber sollte man am besten gar nicht reden. Sicherheit ist ein sensibles Thema. Gilt das auch für Ihre Kunden? IFH: Ja. Zu unseren Kunden zählen viele große Unternehmen, für die Sicherheit wichtig ist, zum Beispiel Wasserwerke oder Stromversorger. Die wollen nicht, dass jeder bei ihnen ein- und ausgehen kann. Ebenso wenig möchten sie, dass jeder weiß, wie sie sich absichern. Diskretion ist wichtig bei uns. Dürfen Iie uns denn verraten, wie Iie die Iicherheit Ihrer Produkte testen? IFH: Das passiert in mehreren Stufen. In Berlin zum Beispiel arbeiten drei Leute von uns, wir nennen sie „die Panzerknacker“. Sie sitzen in einem Raum zwischen Schraubstöcken und Bohrmaschinen und suchen die Schwachstellen in jedem Produkt, das neu auf den Markt kommen soll. Wo lernt man Ichlösser knacken? IFH: Ganz unterschiedlich. Es gibt zum Beispiel Vereine, die Wettbewerbe im Schlösserknacken veranstalten. Ein ungewöhnliches Hobby ... IFH: Stimmt. Und einige dieser Sportler haben ihr ausgefallenes Hobby zum Beruf gemacht. Von ihnen können wir viel lernen. Das ist wichtig, denn unsere Kunden verlangen größtmög- »BEI UNS ARBEITEN DREI LEUTE, WIR NENNEN SIE ›DIE PANZERKNACKER‹. SIE SITZEN ZWISCHEN SCHRAUBSTÖCKEN UND BOHRMASCHINEN UND SUCHEN DIE SCHWACHSTELLEN IN JEDEM NEUEN PRODUKT.« STEFAN FISCHBACH, DEUTSCHLAND-CHEF VON ASSA ABLOY liche Sicherheit – und kontrollieren das auch. Vor Kurzem haben wir einen Auftrag bekommen von einer sehr bekannten deutschen Firma, die ihre gesamte Infrastruktur neu ausrichtet. Deren IT-Sicherheitsabteilung prüft jeden einzelnen unserer Arbeitsschritte. In modernen Zutrittskontrollsystemen steckt ja jede Menge Elektronik. Mit der Iie sich ja auskennen müssen. Daher nachgefragtH: Revolutioniert die Elektronik Ihre Hranche? IFH: Die Elektronik wird auf jeden Fall wichtiger. Es gibt Hotels, die senden ihren Gästen nach der Buchung einen Code aufs Handy, mit dem sie ins Zimmer kommen können. Einchecken entfällt. Oder nehmen Sie unsere multifunktionale Türverriegelung für Mehrfamilienhäuser. Da ist nachts oft die Haustür verriegelt. Kommen spät Gäste, mussten die Bewohner bislang mit dem Schlüssel runterlaufen und aufmachen. Jetzt können sie von oben per Knopfdruck entriegeln und wieder schließen. Wie wirkt sich der Elektroniktrend auf Ihre Entwicklungskosten aus? IFH: Assa Abloy gibt fast drei Prozent des Umsatzes von jährlich 6,5 Milliarden Euro für neue Produkte aus. In Deutschland, Österreich und der Schweiz sind es sogar fast sechs Prozent. Die Entwicklung einer elektromechanischen Schließanlage kostet 26 / 27 Positionen # 1 _ 2 0 1 6 vier bis fünf Millionen Euro. Wir machen fast ein Drittel unseres Umsatzes mit Produkten, die nicht älter als drei Jahre sind. Zum Glück ist unser Konzern finanziell stark genug. Kleine Mittelständler haben es schwer, da mitzuhalten. Garantieren moderne Lösungen endlich absolute Sicherheit gegen Einbrecher? SSF: Nein. Absolute Sicherheit gibt es nicht, trotz aller Elektronik. Die regelt ja nur den Zutrittsprozess. Den entscheidenden Schutz bietet nach wie vor ein Schloss aus Metall. Das wird auch in Zukunft so bleiben – in Unternehmen und in Wohngebäuden. Dann haben auch Sie privat eine Hausratversicherung? SSF: Ja, natürlich. Zwar können Sie mit hochwertigen Schlössern und Zutrittskontrollen den Aufwand für Einbrecher erhöhen, aber mit der entsprechenden Zeit und den notwendigen Mitteln kommen sie überall rein. Deshalb halte ich nichts von übertriebenem Sicherheitsdenken. Für private Eingangstüren empfehle ich ein hochwertiges, geprüftes Schloss mit gutem Zylinder. Ein einziges Schloss soll reichen? SSF: Wenn es von uns kommt schon. Einige unserer Schlösser werden sogar in bombensicheren Türen verbaut. Die gibt es etwa in Botschaften oder Kernkraftwerken. Einmal haben wir › Schützen Hochwertige Schlösser sorgen für hochwertigen Schutz: Stefan Fischbach, Deutschland-Chef des schwedischen Konzerns Assa Abloy. Schützen STEFAN FISCHBACH Es geht um Sicherheit Positionen # 4 _ 2 0 1 5 › zu Testzwecken so eine bombensichere Tür sprengen lassen. Ergebnis: Die Tür war weg und unser Schloss funktionierte immer noch. Im Ernstfall wäre der Weg also trotz Ihres guten Schlosses frei gewesen? SSF: Wie gesagt: Absolute Sicherheit gibt es nicht. Das muss man akzeptieren. Wir haben bei uns einen Slogan: „Unlock your life – öffne Dein Leben.“ Sür einen Schlosshersteller ein erstaunlicher Spruch. SSF: Was nützen fünf Schlösser an der Eingangstür, die Sie alle aufschließen müssen, um reinzukommen? Wo bleibt da die Lebensqualität? Wir sagen: Nur wer sich wohlfühlt, fühlt sich auch sicher. Deshalb wollen wir keine Geschäfte mit der Angst machen. In unserer Werbung werden Sie keine Männer mit Sturmmaske finden. Das ist nicht unser Stil – vielleicht auch, weil wir ein schwedischer Konzern sind. Da ist man zurückhaltender. Wenn jemand von Ihnen wissen will, wie er sein Haus vernünftig vor Einbrechern schützen kann, was raten Sie ihm? SSF: Wichtig ist, dass die Fenster gesichert sind – etwa durch einen Pilzkopfbeschlag, damit man sie nicht aufhebeln kann. Dazu ein abschließbarer Fenstergriff. S eit zehn Jahren leitet Stefan Fischbach die Geschäfte von Assa Abloy in Deutschland, in Österreich und in der Schweiz. Nach technischer Ausbildung und einem Master of Business Administration an der Pepperdine University in Kalifornien wurde Fischbach 1995 Vertriebsleiter für automatische Türsysteme beim deutschen Mittelständler Geze, wo er drei Jahre später in die Geschäftsführung aufstieg. 2005 wechselte Fischbach innerhalb der Branche zum schwedischen Konzern Assa Abloy, anfangs als Geschäftsführer Vertrieb und Marketing bei der Assa Abloy Sicherheitstechnik GmbH. Die mit den kleinen Schlüsseln, die man immer verliert? SSF: Manche Leute lassen diese Schlüssel sogar im Fenstergriff stecken. Dann reicht ein kleines Loch im Rahmen, um das Schloss zu öffnen. Deshalb haben wir jetzt auch Lösungen mit CodeTastatur fürs Fenster im Angebot. Da müssen Sie sich nur die Zahlenkombination merken. An der Eingangstür brauchen Sie dazu noch einen vernünftigen Schließzylinder mit Mehrpunktverriegelung. Was kostet das? SSF: Für 1500 bis 2000 Euro können Sie eine Menge machen. Wenn wertvolle Gemälde an der Wand hängen, sollten Sie ein bisschen mehr tun. Glauben Sie, die Menschen haben heute mehr Angst als früher – vor Einbrechern, Terroristen, Gewalttätern? SSF: Wer mehr besitzt, fürchtet eher, etwas zu verlieren. Mit dem steigenden Wohlstand wächst auch die Angst. Das merken wir in unserem weltweiten Geschäft, aber auch in ganz anderen Bereichen der Gesellschaft. Zum Beispiel an den Eltern, die ihre Kinder jeden Tag zur Schule fahren, damit ihnen bloß nichts passiert. Ich habe als Junge am ersten Schultag den Weg gezeigt bekommen, und dann bin ich allein los. Ist die wachsende Angst vor Wohnungseinbrüchen nicht berechtigt? SSF: Doch. Die Gesamtzahl der Einbrüche hat sich in Deutschland in den vergangenen 30 Jahren verdoppelt. Doch viele Menschen gehen von falschen Voraussetzungen aus. Sie denken zum Beispiel, dass nur nachts Gefahr besteht. Doch 40 Prozent der Wohnungseinbrüche finden tagsüber statt. Erfreulich ist, dass ein immer größerer Teil der Einbrüche misslingt. Scheiterten 2003 noch 30 Prozent der Einbrüche, waren es 2014 schon 40 Prozent. Nach Aussage der Polizei liegt das an der verbesserten Sicherheitstechnik. 28 / 29 UM DEN GLOBUS: KENIA Um die wachsende Mittelschicht in Kenia buhlen rund 50 Versicherer. Bislang haben überhaupt nur drei Prozent aller Kenianer eine Police abgeschlossen – auf dem Land wird das Konzept gerade erst populär. DIE ERNTE Wenn Stürme, eine Dürre oder auch Regenfluten die Maisernte ganz oder teilweise zerstören, kompensiert die sogenannte Crop Insurance den Verlust. Die kenianischen Farmer schließen sich dafür zusammen zu Saccos, Genossenschaften, die sich eine Versicherung gegen Ernteausfall teilen. Ein Problem gibt es dabei: Den lokalen Versicherungsanbietern – die häufig von gemeinnützigen Initiativen unterstützt werden – mangelt es oft an verlässlichen Erfahrungswerten, was für Schäden auf sie zukommen könnten. DAS AUTO Versichert muss jedes motorisierte Fahrzeug sein, das sich im Straßenverkehr bewegt – auch Sammeltaxis. Matatus zählen zu den billigsten und meistgenutzten Transportmitteln in Kenia, mehr als 3000 dieser Minibusse sind allein im Zentrum von Nairobi unterwegs. Die meisten Betreiber beschränken sich auf den minimalsten Schutz, die Teilkasko. Schon dafür muss der Betreiber eines neunsitzigen Minibusses jährlich umgerechnet knapp 700 Euro aufbringen – je größer das Matatu, desto höher die Prämie. Um die Kosten reinzubekommen, rasen die Fahrer mit oft hoffnungslos überladenen Rostlauben, was das Zeug hält; sie überholen trotz Gegenverkehr, drängeln Fußgänger von den Gehsteigen, fahren neben der Fahrbahn und halten sich auch sonst an kaum eine Verkehrsregel. ErfindEn DAS HANDY Das Prinzip „M-Pesa“, auf Deutsch: mobil bezahlen, hat sich durchgesetzt in Kenia, wo so ziemlich jeder Mensch ein Mobiltelefon hat und es auch intensiv nutzt. Geldbeträge werden per Handy überwiesen: ob für das Motorradtaxi, die Stromrechnung, den Sack Maismehl im Dorfladen oder die Versicherung. Kunden bekommen vom Versicherer eine Erinnerungs-SMS mit einer Zahlungsaufforderung für ihre Lebens-, Pensions- oder auch Real-Estate-Versicherung. In der SMS ist die Zahlungsnummer des jeweiligen Versicherers vermerkt. Wenn die Zahlung an die Nummer (jede Firma hat ihre eigene) übermittelt ist, erhält der Absender eine Zahlungsbestätigung. Fertig! Positionen # 1 _ 2 0 1 6 DIE GESUNDHEIT Jeder erwachsene Kenianer kann sich über das staatliche Gesundheitssystem, den National Hospital Insurance Fund (NHIF), krankenversichern. Abhängig vom Einkommen zahlen Angestellte umgerechnet zwischen 2,50 Euro und 14,50 Euro monatlich, Arbeitslose nur einen Bruchteil davon. Der NHIF garantiert allerdings kaum mehr als den Anspruch auf ein Bett im Krankenhaus, übernommen werden nur minimale Kosten bis zu umgerechnet 13 Euro am Tag. Kosten für Behandlung, Medikamente und Labortests müssen entweder privat versichert oder selbst aufgebracht werden. Auf dem Land wissen viele Menschen nicht, dass es den NHIF gibt, können ihn sich nicht leisten oder halten ihn für unnötig. Über die vom Staat finanzierten Hospitäler, die mitunter nicht einmal die Mindestanforderungen an Hygiene erfüllen, kursiert der Spruch: Du gehst mit einer Krankheit rein und wirst mit drei anderen entlassen. Viele Kranke harren daher lieber zu Hause aus. Neue Serie ZUKUNFT ERLEBEN „Du lebst sieben Jahre länger, als du denkst.“ Diese Botschaft trägt der GDV derzeit ins Land. Wir werden also mehr Zukunft erleben, als wir uns vorstellen können. Doch was erwartet uns? Wir wagen einen Ausblick. TEXT: GEORG DAHM • ILLUSTRATIONEN: LARS WUNDERLICH/PEACHBEACH Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Schützen W AUTO-MOBIL Das Auto fährt selbst, ist einfach sicherer. Das schenkt Zeit – um sich auf die Heimkehr vorzubereiten oder sich unterhalten zu lassen. ZIEL IN 15 MIN. ERREICHT IHR KÜHLSCHRANK BESTELLT JETZT PIZZA. ie sehr man danebenhauen kann, wenn man sich die Welt in 30 Jahren vorstellt, wissen wir spätestens seit dem 21. Oktober 2015, dem „Zurück in die Zukunft“-Tag. Benannt wurde er nach der Filmtrilogie mit Michael J. Fox als zeitreisendem Teenager, den es aus seinem kuscheligen 1985 drei Jahrzehnte in die Zukunft verschlägt – an eben diesen 21. Oktober 2015. Der Alltag in dieser Zukunft: Autos fliegen, Skateboards auch – und überall stehen Faxgeräte. Ein kleines Detail – und der größte Fehlgriff: Eine Welt, die per Fax kommuniziert statt über das Internet? In den 1980er-Jahren verwandelte sich das Internet gerade von einem Forschungsnetzwerk in ein öffentliches Medium. Was beispielhaft belegt, wie die kleinsten Dinge am Rand unserer Aufmerksamkeit zu den gewaltigsten Umbrüchen führen können. Das Internet wird uns in den nächsten 30 Jahren sicher erhalten bleiben – wiedererkennen werden wir es wohl kaum. Weil es längst in alle Poren unseres Daseins vorgedrungen sein wird. Was uns in einer Wohnung des Jahres 2046 auffallen würde: Man sieht keine Computer. Vielleicht fummelt sogar niemand mehr mit seinem Smartphone herum (wie auch immer das dann aussehen wird: Armband, Datenbrille, Knopf im Ohr oder alles zugleich). Der Raum wird der Computer sein, glaubt der visionäre Designer Mark 30 / 31 ROBOTER-OP Warum Menschen bei Operationen aufschneiden, wenn winzige Nanorobots das Problem von innen lösen können? Die Patienten müssen nicht einmal betäubt werden – sie können mit Virtual-RealityBrillen derweil in eine parallele Welt eintauchen. STAR WARS 27 Rolston, der in seinem Labor all das kombiniert, womit wir uns heute schon umgeben: 3-D-Kameras aus Spielkonsolen, Sprachsteuerung aus Smartphones, kompakte Videobeamer, ferngesteuerte Lampen und Hausgeräte. Das Ergebnis ist ein Raum, der mich erkennt, den ich mit Sprache und Gesten steuere anstatt über Apps, und der mir Informationen dahin projiziert, wo ich sie brauche: das Rezept auf den Küchentisch, den Wetterbericht an den Kleiderschrank, die Nachrichten neben den Badezimmerspiegel. Die Wohnung wird lernen, wie ihre Bewohner leben. Sie wird Live-Daten erfassen, Vorhersagen treffen und weitergeben: an Stromversorger, die in Echtzeit ihre Netze steuern, oder an den Pflegedienste, wenn der Senior verdächtig ruhig ist und auch die Kaffeemaschine gar nicht mehr anschaltet. Wobei der wahrscheinlich schon längst alarmiert sein wird aufgrund der schlechten Vitaldaten, übertragen von den immer am Körper getragenen Sensoren. Live-Daten sind das neue Öl Diese Zukunft hat bereits begonnen: In den USA ist Amazons Bluetooth-Box "Echo" ein Topseller. Das Gerät hat eine Spracherkennung, mit der man beim Kochen plaudernd einkaufen, sich Nachrichten vorlesen und Musik abspielen lassen kann. Sprache wird zum wichtigsten Interface. Nehmen wir dazu die ersten Gehversuche in Richtung Smart Home: mit dem Handy ein paar Lampen steuern und die Wetterstation im Ferienhaus checken. Spielkram. Noch. NANOROBOTS HABEN IHR EINSATZGEBIET ERREICHT. EINSATZ BEGINNEN. Für Aufsehen sorgte Google, als es Nest kaufte – das Start-up baut vernetzte Thermostate, die die Lebensgewohnheiten der Hausbewohner erkennen: Oh, die Bude ist warm, woher wusstest du, dass ich gleich da sein würde? Die Aufregung darüber, dass Google nun auch diese Daten sammelt, hat sich schnell gelegt. Wir machen längst Babyschritte einer Gesellschaft, die von Live-Daten getrieben wird. Durch jeden Smartphone-Benutzer, der mit seinen Bewegungsdaten die Stauwarnungen von Google Maps füttert. Jeden Netflix-Abonnenten, dessen Sehverhalten ausgewertet wird. Jeden Fitness-ArmbandNutzer, dessen aufgezeichnetes Lebensprotokoll seinen Arzt brennend interessieren würde. Heute warnen Kritiker: Bezahle nicht mit deinen Daten, mach dich nicht zum gläsernen Patienten! In 30 Jahren wird die Debatte eine andere sein. Denn Live-Daten sind nicht nur das neue Öl. Sie haben auch einen enormen gesellschaftlichen Wert. Was wäre, wenn je› „Du lebst sieben Jahre länger, als du denkst.“ Diese Botschaft trägt der GDV derzeit ins Land. Wie wir die „geschenkten“ Jahre gut leben und nutzen können, zeigen wir in dieser neuen „Positionen“-Serie. Schützen LIEFERDROHNE #250979L104, AUSWEICHMANÖVER EINLEITEN! Positionen # 1 _ 2 0 1 6 des Blutzuckermessgerät, jedes Fieberthermometer, jedes Asthmaspray vernetzt wäre und jede Messung in eine Datenbank einginge? Wir hätten ein nie da gewesenes Frühwarnsystem für heraufziehende Gesundheitsgefahren und Infektionswellen. Den Krebs besiegen? BAU DICH SELBST 3-D-Drucker können längst Werkzeuge, und Maschinen ausdrucken und bald auch Häuser. Der nächste Schritt: die neue Leber aus dem Drucker. WIE IM FLUG Auf Kurzstrecken reicht den Flugzeugen ein Elektromotor – so wie sie Drohnen benutzen (die in dieser Höhe natürlich auch künftig nichts zu suchen haben). Nervensystem. Motorisierte Exoskelette werden Gelähmten und Altersschwachen ein Leben außer Haus ermöglichen. Womit wir in dieser Geschichte endlich mal vor die Haustür kommen, und da sieht es nun wirklich ganz anders aus. Die Autos: elektrisch und ohne Fahrer. Wunschdenken? Klappt ja schon nicht mit Merkels Ziel von einer Million Elektroautos bis 2020? Aber es wird einen Knall geben, denn schon wieder kommen Akteure aus dem Nichts. Nicht nur Google arbeitet an selbstfahrenden Autos. Während das Taxigewerbe noch gegen den Fahrdienstvermittler Uber kämpft, kauft der an den US-Universitäten die Robotikexperten weg. Und der Elektroauto-Pionier Tesla ist zwar noch ein Newcomer - aber deutsche Autozulieferer arbeiten gern mit ihm, um zu lernen, wie man völlig anders denken kann. Also einsteigen und flüsterleise vom Roboter sich fahren lassen. Merken Sie was? Da ist gerade ein Berufsstand gestorben: jede Art von Fahrer, ob von Taxi, Lkw, Bahn oder Bus. Es gibt auch keine Briefträger und Paketboten mehr – da, schon wieder eine Amazon-Lieferdrohne im Anflug! Jetzt tauchen wir noch mal kurz in unsere unsichtbare Datenwelt ab, denn im Jahr 2046 ist nicht nur der Raum ein Computer, sondern auch die Stadt, und die weiß jetzt, wo Sie sind und wohin Sie wollen. Weil Sie wie alle anderen auch bei der Buchung Ihr Fahrziel angegeben haben, Heute regiert vielerorts die Angst: Wer seine Daten preisgebe, laufe Gefahr, als Mängelexemplar aussortiert zu werden. In 30 Jahren wird man sagen: Wer das nicht tut, leistet keinen Beitrag, Krankheiten zu besiegen. Im Heilen von Krebs etwa, predigt der Onkologe David Agus, sind wir trotz aller Fortschritte erbärmlich schlecht – darum sollten wir alles daransetzen, ihn zu vermeiden und so früh wie möglich zu erkennen. Agus will alles, wirklich alles in der digitalen Patientenakte erfasst sehen im Interesse von Prognose, Behandlung und Forschung. Bis hin zur Genomanalyse, bis zur Live-Auswertung der Gen-Aktivität. Das klingt heute ambitioniert, wird aber in 30 Jahren kein Problem mehr sein für die künftigen Hochleistungsrechner. Der Traum von einer personalisierten Medizin, einer individuellen Behandlung auf Basis des genetischen Profils könnte doch noch wahr werden. Selbst der Traum, kaputte Organe neu IHR HAUS WIRD züchten zu können, könnte Realität werGEDRUCKT 66 % den. Hier kommt Unterstützung von unerwarteter Seite, der rasant voranschreitenden 3-D-Druck-Technik. Auch Arme und Beine werden sich ersetzen lassen – mit bionischen Prothesen, gesteuert vom 32 / 33 und verabschieden sich innerlich vom Job in der Entwicklungsabteilung. Konzern- und Start-upKultur werden verschmelzen, erst an den Rändern, dann immer tiefer. Ja, es wird feste Jobs geben. Routinemäßige Eingriffe ins Erbgut, die sich mit der revolutionären Technik CRISPR-Cas bereits abzeichnen, will man dann doch lieber den persönlich greifbaren Experten überlassen. Ebenso die Arbeit an Nanopartikeln, an mikroskopischen Medizinmaschinen, die man Patienten in die Blutbahn spritzt. Oder an künstlichen Mikroorganismen, mit denen die synthetische Biologie den Grundstein legt für organische Fabriken und Kraftwerke. Aber auch diese Experten werden zugreifen auf Just-in-time-Kräfte, akademische Zuarbeiter in einem BiohackerLabor irgendwo auf der Welt. › GUTEN MORGEN, WIE FÜHLEN SIE SICH HEUTE? IM KRANKENHAUS Ja, dieser Arzt ist ein Hologramm. Das spart Wege und damit Zeit. Und die Pflegekraft ist ein Roboter – ebenso wie das Kuscheltier, das Vitaldaten zur sofortigen Auswertung weiterleitet. Dann weiß der Holo-Doc, ob der Patient wirklich okay ist. Schützen Die Freiheit der Tagelöhner Positionen # 1 _ 2 0 1 6 werden Einzel- und Sammelfahrzeuge dahin gelenkt, wo sie gebraucht werden, über in Echtzeit geplante und gelenkte Verkehrsströme. Leere oder überfüllte Busse? Stau? Parkplatzsuche? Steinzeit. Und weil die Stadt weiß, wer wohin unterwegs ist, kann sie Ihnen auch sagen, was Sie dort erwartet. Wie voll es am Strand wird, auf dem Markt, im Restaurant. Wenn Sie da nicht eh schon online gebucht haben, was a) die Stadt auch schon weiß und b) in die automatische Personalplanung eingeht, die Kellner und Köche und Klappstuhlverkäufer bucht für Stunden oder Tage. Arbeiten im Takt der On-demand-Economy wird Alltag. Drei Stunden kellnern, im Coworking-Büro drei Wochen an einem Programmierprojekt mitarbeiten oder drei Monate an einem Hardware-Produkt, das dann nicht vom Band läuft, sondern überall auf der Welt aus dem 3-D-Drucker plumpsen kann. Besuchen Sie heute mal eine 3-D-Druckwerkstatt, sehen Sie sich auf den Crowdfunding-Plattformen Indiegogo oder Kickstarter um. Und jetzt denken Sie 30 Jahre in die Zukunft ALLES O.K. PULS TEMP. BLUT URBAN FARMING Es spart unnötige Transportwege, wenn Gemüse und Obst in der Stadt angebaut werden. In Hochhäusern müssen ja nicht unbedingt Menschen wohnen. Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Schützen Einige werden es als Tagelöhner fron empfinden, andere als ultima tive Freiheit der Lebensplanung. Was das bedeutet für eine sozi ale Gesellschaft – mit der Frage wird man in 30 Jahren hoffent lich ein bisschen weiter sein. Aber immerhin: Diesen Diskurs zu führen bleibt eine Aufgabe für Menschen – anders als viele Wissensberufe. Wer ge sehen hat, wie IBMs Supercompu ter Watson menschliche Champions in der Gameshow „Jeopardy“ aussticht, der ahnt, wie es brodelt in der lange belä chelten Forschung zur künstlichen Intelligenz. Warte, warte nur ein Weilchen, dann kommt Watson auch zu dir, in die Kanzleien und Kran kenhäuser. Es wird anfangen mit Standardver fahren, bei denen man dem Personal schon heu te Checklisten in die Hand gibt, um menschliche STABILE HÜLLE Mensch und Maschine verschmelzen: Exoskelette erlauben es etwa gelähmten Menschen, sich frei und ungehindert zu bewegen – und zu arbeiten. HEY, DAVID, DEIN EXO-FLEX2000-ANZUG HAT NUR NOCH 20 MINUTEN ENERGIE. AVATARMODUS AN. Schussligkeit einzudämmen. Und von da geht es weiter. Eintauchen in andere Welten Erinnern Sie sich an Ihre Nutzungsdaten bei Net flix, Spotify und Amazon? Sie liefern die Basis für die nächste Generation kultureller Massenware: computergenerierte Romane, Discohits, Dreh bücher. Wobei die meisten Filme nichts mehr zu tun haben werden mit dem Kino, das wir kennen. VirtualRealityKinos, in denen wir mit dem ganzen Körper in andere Welten eintauchen oder uns durch holografische Projektionen bewegen, werden heutige 3DFilme lächerlich erscheinen lassen. Nur aus Nostalgiegründen werden wir noch alte Filme auf einer planen Fläche sehen, zum Beispiel „Zurück in die Zukunft“. Und über die schlimmste Idee lachen, die zum Glück nie wahr geworden ist: die Krawatte mit zwei Knoten. Zwei Knoten! Kein Wunder, dass da niemand die Zeit hatte, das Internet zu erfinden. 34 / 35 »ICH HÄTTE KEIN WORT GEGLAUBT« Die Zukunft hatte sich GÜNTHER ANTON KRABBENHÖFT, 70, anders vorgestellt. „Positionen“ bat den deutschlandweit bekannten „Hipster-Opa von Berlin“ und JANNIK SÜHRIG, 29, zum Gespräch über Erwartungen und Enttäuschungen. INTERVIEW: MICHAEL PRELLBERG • FOTOS: HAGEN WOLF G ünther Anton Krabbenhöft fällt auf. Er trägt Weste, Hut und Fliege zu Lederstiefeln und steckt seine langen Beine in hochgekrempelte Jeans. Aus seinem Hut lugt vorwitzig eine blaue Feder. Das ist eben sein Look. Die Medien nennen ihn den „Hipster-Opa von Berlin“, weil Krabbenhöft bereits 70 Jahre alt ist (und tatsächlich zweifacher Großvater). Zum Interview im Kreuzberger Café „Kaffeebar“ erscheint er gemeinsam mit Jannik Sührig. Den 29-Jährigen hat er im Techno-Club „Berghain“ kennengelernt, beim Raven. Herr Krabbenhöft, wenn Ihnen jemand früher erzählt hätte, mit 70 Jahren sind Sie eine Stil-Ikone und werden nächtelang durchtanzen ... Günther Anton Krabbenhöft: ... dann hätte ich kein Wort geglaubt. Solch eine Zukunft lag für mich komplett außerhalb des Vorstellbaren. Wie haben Sie sich als junger Mann die Zukunft vorgestellt, mit fliegenden Autos und Städten auf dem Mond? GAK: Ich wollte der großen Liebe begegnen, wollte Frau und Kinder. Ansonsten hatte ich wenig konkrete Vorstellungen, die über „Ich möchte später mal ein Auto haben“ oder › »MIR SIND IMMER WIEDER MENSCHEN BEGEGNET, DIE MIR GEZEIGT HABEN, WOFÜR SIE BRENNEN. DAS HAT AUCH MEIN EIGENES FEUER WIEDER ENTFACHT.« GÜNTHER ANTON KRABBENHÖFT, Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Schützen 70, gelernter Koch, heute Stil-Ikone und Raver Besuchen Sie uns auf Facebook: www.facebook.com/ 7jahrelaenger „Ich möchte irgendwie gut leben“ hinausgingen. Ich bin ja gelernter Koch und habe recht jung geheiratet, schon mit 24 Jahren, und dann gab es schnell Nachwuchs. Also stand für die nächsten Jahre die Familie im Mittelpunkt. Bis dann irgendwann der Gedanke kam: War’s das jetzt oder geht’s weiter? Fühlten Sie sich damals festgefahren? GAK: Zum Glück selten. Das Schicksal hat immer so kleine Dinge bereitgehalten, die mich daran erinnert haben, dass mein Leben toll ist. Oft sind mir Menschen begegnet, die mir gezeigt haben, wofür sie brennen. Das hat auch mein Feuer wieder entfacht – und mich gelehrt, offen und neugierig zu bleiben. Neugierig auf Mode waren Sie offenbar früh ... GAK: Falsch. Ich bin nicht an Mode, sondern an Kleidung interessiert. Sie war schon immer meine Möglichkeit, mich nach außen abzugrenzen. Ich habe Secondhandläden durchstöbert und irgendwie mein eigenes Ding gemacht. Etwa eine alte Skihose aus den 20er-Jahren ausgegraben, dazu Wanderstiefel angezogen und oben – was weiß ich. Ich hatte immer so eine Vorstellung. Das ist viel belächelt worden, und es gab jede Menge ablehnende Kommentare. Sicherlich habe ich manchmal danebengelegen, aber das gehört ja dazu, wenn man experimentiert und versucht, sich zu finden. Damit habe ich irgendwie gelebt und weiß eigentlich erst heute, wie viel Stärke damals dazugehörte. Ernten Sie heute als gut angezogener 70-Jähriger andere Reaktionen als früher? GAK: Dazu muss ich sagen: Ich kleide mich heute anders als früher. Wenn man älter wird, kann man nur auf die klassische Herrenmode zurückgreifen, ohne albern zu wirken. Niemand wird Teil der Jugend, wenn er sich jugendlich anzieht – das kann nur lächerlich wirken. Was ich merke: Die Reaktionen auf mich ändern sich. Es ist mir früher nie passiert, dass mir so viele freundliche Blicke zugeworfen werden, dass Frauen und Männer den Daumen hochheben, dass ich angesprochen werde oder Komplimente kriege. Und dann sehe ich die ganzen jungen Menschen, die danach streben, bloß nicht aufzufallen ... Das heißt, Sie würden Ihren Begleiter gern mal in einen Herrenanzug stecken? Jannik Sührig: Bitte nicht! Anzug, das bin ich so gar nicht. GAK: Das weiß man erst, wenn man’s ausprobiert hat. Ich kenne viele junge Leute, die sich doch getraut haben und plötzlich sagen: Hey, sieht ja total scharf aus! Ein Anzug kann auch eine Haut sein, in die man hineinschlüpft und zu der man eine Attitüde entwickelt: Hey, wer bin ich denn? JS: Ich weiß, wer ich bin. In der falschen Kleidung spüre ich vor allem, wer ich nicht bin. Herr Krabbenhöft, sollten wir trotzdem »falsche Kleidung« wagen und so neue Rollen ausprobieren? GAK: Auf jeden Fall sollte man sich trauen dürfen, neue Rollen auszuprobieren. Das Spannende ist ja: Was passiert eigentlich, wenn ich Lust habe auf etwas Neues, was kommt von den Menschen zurück? Ebenfalls etwas Neues, etwas, was ich vorher noch nicht kannte. Je nachdem, wie ich angezogen bin, lerne ich unterschiedliche Menschen kennen – auch wenn ich das nicht für die anderen mache, sondern für mich. Wie jeder Mensch habe als Menschen Fortschritte machen, das sehe ich nicht. Der Charakter des Menschen gibt nicht wirklich Anlass zu viel Hoffnung. Deswegen wage ich zu bezweifeln, dass die Welt in 30 Jahren aufgrund des technologischen Fortschritts besser ist. Im Gegenteil: Ich glaube, wir machen eher einen gesellschaftlichen Rückschritt. Das klingt skeptisch. Herr Krabbenhöft, waren Sie als junger Mann optimistischer? GAK: Nein, ich habe mich auch immer gefragt, ob und wie es wohl weitergehen wird. Im Nachhinein war das eine tolle Situation, in den Aufbaujahren schien alles möglich, und es ging nur nach oben. Er herrschte eine andere Stimmung im Land, aber die war nicht immer identisch mit der eigenen Stimmung. Als junger Mensch habe ich an vielem gezweifelt, nicht zuletzt an mir selbst. Heute bin ich gelassener: Es kommt, wie es kommt. Wirklich aufhalten kann man nichts. Mit 70 Jahren tanzen Sie nächtelang durch. Wäre es nicht schön, wenn das dank des medizinischen Fortschritts ein paar Jahre länger ginge, als es jetzt möglich erscheint? GAK: Ich lebe heute. Ich will weder zurück noch in die Zukunft schauen, das bringt mich nicht weiter. Zumal mir die Zukunft ja auch eher begrenzt ist. Ja, ich möchte selbstbestimmt alt werden, mich bewegen und den Menschen begegnen können, der Rest wird sich finden. Wenn mich einer fragen würde: Was würdest du anders machen?, dem würde ich sagen: Es soll alles so bleiben. Denn was alles passiert ist in meinem Leben, hat mich zu dem gemacht, der ich bin. Was soll da anders sein? Wie ich jetzt bin, finde ich gut. »WENN WIR ZUM MOND FLIEGEN, NENNEN WIR DAS FORTSCHRITT. ABER ALS MENSCHEN MACHEN WIR EHER KEINE FORTSCHRITTE.« JANNIK SÜHRIG, 29, arbeitet beim Start-up Allyouneed Fresh in Berlin Positionen # 1 _ 2 0 1 6 ich viele Facetten, und bei mir zeigen die sich in der Kleidung: Das bin ich. Wer sind Sie, wenn Sie in Clubs tanzen? GAK: Ich. Diese unbändige Form des Tanzens und die Energie und Kraft in solchen Clubs entspricht genau meinem Bedürfnis. Ich habe mir das jahrzehntelang versagt, weil ich immer die Schere im Kopf hatte, wenn ich da aufkreuze, sagen die anderen: Was will denn der Alte hier? Mit 40 oder 50 Jahren, da wollte ich los, mit dieser wilden Lust auf Bewegung – aber getraut habe ich mich nicht. Deshalb bin ich so froh, dass mich vor einem Jahr diese beiden jungen Frauen einluden, mit ins „Berghain“ zu kommen. Ich war plötzlich in diesem Kosmos gefangen. Alles huschte durcheinander und dann diese wummernden Bässe. Wie aufregend ist das denn? Und keiner guckt komisch, alle sind total freundlich. Und ich kann ausleben, was da in mir steckt. Wie werden Sie ausleben, was in Ihnen steckt, Herr Sührig? Anders gefragt: Wie neugierig sind Sie auf die Zukunft? JS: Sehr, aber ich frage mich, ob Neugierde überhaupt gewollt ist. Als junger Mensch werde ich ständig aufgefordert, mir feste Ziele zu setzen und die konsequent zu verfolgen. Aber je stärker ich mich festlege, um so weniger sehe ich mögliche Alternativen. Das wäre schade. Ich brauche Neugierde und Offenheit, um auf dem Weg in die Zukunft neue Richtungen einzuschlagen, von denen ich heute noch gar nichts weiß. Wenn Sie heute 30 Jahre in die Zukunft schauen, sehen Sie da fliegende Autos und Städte auf dem Mond? JS: Nein, ich sehe vor allem viele Fragezeichen. Viele gesellschaftliche Entwicklungen finde ich eher beängstigend. Für mich selbst hoffe ich, weiterhin dieselbe Wachheit zu haben wie heute und vor allem glücklich und zufrieden zu sein. Und das wird keine Frage des Geldes sein, denn darum geht es schon heute nicht. Auf uns warten technische und medizinische Fortschritte. Gibt das nicht Anlass zur Hoffnung? JS: Wenn wir Autobahnen bauen oder zum Mond fliegen, nennen wir das Fortschritt. Aber dass wir Schützen 36 / 37 [A UF FA H RA BS TA N [G D :8 M ET ER ES CH W IN ] DI GK EI T: 1 75 km /h [ AL KOH [ BREMSVERHALTEN: RISIKOFREUDIG ] OLP EG E L: 0 ,2 P R OM ILLE ] ] 38 / 39 Wer besonnen Auto fährt, kann bei der Kfz-Versicherung sparen. Das versprechen die neuen Telematiktarife. Für wen lohnt sich das? Und wie funktioniert das überhaupt? [ STRASSENLAGE: KRITISCH ] startete die Sparkassen DirektVersicherung (S-Direkt) 2014 den ersten Modellversuch. Inzwischen ziehen viele Anbieter nach, darunter Signal Iduna, VHV, Axa und Admiral Direkt. Allianz und HUK-Coburg wollen demnächst einsteigen. Zielgruppe sind vor allem Fahranfänger. Die Ansage: Es wird billiger, wenn du uns beweist, dass du vernünftig fährst. Nicht nachts durch die Alleen herunterheizen, vorausschauend bremsen und eher zärtlich beschleunigen. Registriert wird das Fahrverhalten per Smartphone oder über eine sogenannte Blackbox, die in den Motorraum integriert wird. Bei anderen Anbietern wie der VHV wird die Blackbox in die 12-Volt-Buchse im Fahrzeuginnenraum gestöpselt. › Positionen # 1 _ 2 0 1 6 ordcomputer und Assistenzsysteme können eine Menge: Sie geben für den Autofahrer Gas, bremsen, warnen vor Gefahren oder lassen eine LED blinken, wenn etwas mit dem Motor nicht stimmt. Das Auto „kennt“ seinen Fahrer, aber es behält alles für sich. Auf Wunsch fährt jetzt die Versicherung mit: Telematiktarife gewähren Kunden einen Prämiennachlass, wenn die ihr Fahrverhalten aufzeichnen und auswerten lassen. Umsichtige Fahrer werden belohnt, andere – so die Hoffnung – motiviert, sicherheitsbewusster zu fahren. Im Ausland sind solche „Pay how you drive“-Tarife schon länger Usus, in Deutschland Regeln TEXT: GEORG DAHM › Manche Systeme messen nur Faktoren wie Geschwindigkeit, Uhrzeit, Beschleunigungs- und Bremsverhalten, manche zeichnen auch Routen auf. Die Daten werden per Mobilfunk an einen unabhängigen oder zum Versicherer gehörenden Dienstleister übertragen, der daraus nach jeder Fahrt eine Note errechnet, den sogenannten Score. Dieser wird an den Kunden sowie seinen Versicherer geschickt. Der Kunde kann die Datenerfassung abschalten – riskiert dann aber, den Bonus zu verlieren. Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Regeln Das Interesse wächst „Telematiktarife scheinen nun auch Einzug in den deutschen Markt zu finden“, sagt Tibor Pataki, Leiter der Abteilung Kraftfahrtversicherung beim Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Die Axa hatte erst einmal die Entwicklung verfolgt, bevor sie im November 2015 einstieg. Und die VHV in Hannover hat jahrelang einen Pilotversuch gefahren, bevor sie im September 2015 ihren Tarif „Telematik Garant“ lancierte. „Diese Erfahrungswerte haben wir für die Tarifierung genutzt“, sagt Vorstand Per-Johan Horgby. Peter Slawik geht diesen Schritt noch nicht. „Bisher gibt es nur sehr wenige Schadenfälle von Fahrzeugen mit Telematikeinheiten“, sagt der Vorstand von Provinzial Rheinland. „Daher gibt es auch keine gesicherten Modelle, welches Fahrverhalten schadenträchtig ist oder nicht.“ Erst dann könne ein vernünftiger Tarif angeboten werden. Rund neun Millionen Schadenfälle werden jährlich von den Kraftfahrtversicherern bearbeitet. Sie fließen ein in die Schadenbedarfsstatistiken des GDV – ein Datenfundus, auf dem das Raster basiert, in das Versicherer heute schon ihre Kunden einordnen können. „Interessant wird sein“, sagt GDV-Ex- perte Pataki, „welche Auswirkungen die Telematik auf das bestehende Tarifierungssystem haben wird.“ Und mit welchen Methoden das Fahrverhalten ausgewertet wird. Die derzeit benutzten ScoreModelle beruhen auf Annahmen, etwa: Wer stark beschleunigt und heftig abbremst, verursacht mehr Unfälle. „Aber stimmen diese Annahmen?“, sagt Provinzial-Rheinland-Vorstand Slawik. Deshalb brauche er Daten. „Die Unfallprognose muss besser sein als bisher, sonst macht ein Telematiktarif doch keinen Sinn.“ Das sieht die R+V ähnlich, sie hält noch keine Lösung für ausgereift: „Die Telematik-Boxen zeichnen das Fahrverhalten kleinteilig auf, aber das System kann diese Daten nicht interpretieren“, resümierte Projektleiter Marc-Oliver Matthias nach einer Praxisstudie mit 1500 Teilnehmern. Die Allianz ist optimistischer: „Wir bewerten nicht jeden einzelnen Bremsvorgang, sondern schauen uns das gesamte Fahrverhalten an“, sagt Sprecherin Charlotte Gerling. Wer für einen über die Straße laufenden Hund stark bremst, brauche keine Angst zu haben, dass ihm das als aggressives Fahrverhalten ausgelegt wird. Wo sie eingeführt werden, scheinen „Pay how you drive“-Tarife einen positiven Effekt zu haben, die Unfallquote soll erkennbar gesunken sein. „Wir haben im Pilotversuch gesehen: Das Fahrverhalten ändert sich, und zwar deutlich“, sagt VHV-Vorstand Horgby. Trotzdem reagieren Datenschützer skeptisch. Sie fragen: Sind »MIT TELEMATIKTARIFEN ÄNDERT SICH DAS FAHRVERHALTEN, UND ZWAR DEUTLICH.« PER-JOHAN HORGBY, VORSTAND VHV die Daten ausreichend geschützt? Entstehen Bewegungsprofile? Können Strafermittler nach einem Unfall die Blackbox auswerten? Transparenz darüber, welche Daten erhoben und verarbeitet werden, die strikte Freiwilligkeit, wenn es darum geht, die Daten an den Versicherer weiterzugeben, und Datensicherheit sind Voraussetzungen dafür, die neuen Tarife anbieten zu können. Auch deshalb steht die Branche mit den Datenschutzbehörden im Austausch. Erst fahren, dann sparen Ein Anreiz für den Abschluss eines Telematiktarifs ist der mögliche finanzielle Vorteil. Wer eine solche Versicherung abschließt, kann auf einen deutlich niedrigeren Preis im Vergleich zu herkömmlichen Angeboten hoffen, die Differenz kann durchaus bis zu 40 Prozent betragen. Dieser Vorteil sei allerdings nicht immer gegeben, sagen Verbraucherschützer. Tatsächlich rechnet sich der Telematik-Bonus nicht immer – er muss schließlich erst durch verantwortungsvolles Fahren verdient werden. Kritiker wie der Verband Deutscher Versicherungsmakler sehen in den Telematiktarifen hingegen einen Angriff auf das Solidarprinzip: Je mehr Fahrern es gelänge, ihre Beiträge zu senken, desto mehr müssten die Versicherer den Umsatzausfall anderswo zurückholen. Die Assekuranz weist die Kritik zurück: „Dass der eine für den anderen mitbezahlen soll, weil das Risiko falsch eingeschätzt wurde, ist bei der KfzVersicherung nicht der Fall“, sagt HUKCoburg-Sprecher Holger Brendel. „Es gibt bereits jetzt schon viele Möglichkeiten, den Tarif an das eigene Risiko anzupassen.“ Abzuwarten bleibt, ob Telematik ein Randphänomen für junge Fahr- 40 / 4 1 UF [A M ER KS AM KE 4 :7 IT % ] Regeln Genau das wird auch vor dem Hintergrund der Einführung von E-Call wichtig. Dieses System, das von 2018 an EU-weit in jedem neuen Pkw-Modell verbaut sein muss, soll nach einem Unfall automatisch einen Notruf absetzen. Die dafür nötige Technik macht aber auch andere Service-Angebote möglich. Damit hier kein Datenmonopol der Autohersteller entsteht, engagiert sich der GDV in Brüssel für eine offene und standardisierte Schnittstelle zum Austausch von Kfz-Daten. Kunden sollen schließlich frei entscheiden können, ob und welchem Anbieter sie die Daten aus ihrem Auto zur Verfügung stellen wollen. Geheimnisse gibt es an Bord schließlich schon genug. l] ibe AH [F [ LU FTW IDE : AND RST 0,25 cw ] RG E C US RÄ HE :1 ez 2D Positionen # 1 _ 2 0 1 6 anfänger bleibt. Marktstudien liefern bislang kein eindeutiges Bild. Eine Hürde sind die Kosten: „Bei uns kostet die Telematik-Box sieben Euro pro Monat“, sagt VHV-Vorstand Horgby, „das lohnt sich ab einer Jahresprämie von rund 500 Euro.“ Andere Anbieter verzichten ganz auf teure Hardware und setzen auf das Smartphone. „Wir haben uns ganz bewusst gegen die permanente Aufzeichnung von Daten über eine Blackbox entschieden“, sagt Nadine Kast-Plath von der Axa. „Die Erhebung der Daten über das Smartphone räumt unseren Versicherten die Möglichkeit ein, frei zu entscheiden, ob und wann sie Fahrdaten teilen und wann nicht.“ HUK-Coburg-Sprecher Brendel dagegen sieht keine Alternative zur Blackbox: „Für wirklich verwertbare Daten muss die Technik fest verbaut sein.“ Auch VHV-Vorstand Horgby hält das Smartphone für ungeeignet und setzt stattdessen auf eine würfelförmige Blackbox, die nicht fest mit dem Auto verbunden ist – schon aus Sicherheitsgründen. Für jede dieser Telematik-Technologien gilt: Die Kunden müssen selbst darüber bestimmen können, wer ihre Daten erhält und wer nicht. RUHE BITTE! Solvency II, das neue Aufsichtsregime für die Assekuranz, ist zu Jahresbeginn scharfgeschaltet worden. Erste Auswirkungen werden bereits sichtbar, doch für hektische Betriebsamkeit besteht (noch) kein Anlass. TEXT: OLAF WITTROCK › Jetzt beginnt der Praxistest Jede Reise beginnt mit dem ersten Schritt, das ist Bernardinos Botschaft, dann erst folgt der zweite. Konkret heißt das: Gebt der neuen Ordnung erst einmal genügend Zeit, sich in der Praxis zu beweisen und zu bewähren. Dieses Signal Das „Gerippte“, so ist angekommen und hat in der Verwie die gerippten Äppelwoi-Gläser, sicherungsbranche einige aufgeregte nennen die FrankGemüter entspannt. furter den WestDie regulatorische Zeitenwende hafen Tower, in desfordert schließlich alle Beteiligten sen oberen Etagen die europäische Verheraus, und das auf ganz untersicherungsaufsicht schiedliche Weise. Die Versicherer Eiopa residiert. müssen sich mit neuen Antragsverfahren auseinandersetzen, neue Schlüsselfunktionen einführen und ihr Berichtswesen völlig neu gestalten. Im Grunde müssen alle Daten neu und anders aufbereitet werden, denn sie werden auch anders bewertet. Das zeigt sich besonders bei der Frage, wie viel Eigenkapital ein Unternehmen vorhalten muss. Bis 2015 orientierte sich der Gesetzgeber dabei weitgehend am Geschäftsvolumen der »SOLVENCY II IST EIN MEILEINSTEIN, FÜR DEN VERSICHERUNGSMARKT EBENSO WIE FÜR DEN VERBRAUCHERSCHUTZ. WAS ES ALLERDINGS NICHT IST: EIN ANLASS ZUR SELBSTZUFRIEDENHEIT.« GABRIEL BERNARDINO, EIOPA-VORSITZENDER Unternehmen, heute müssen sie viel umfassendere und am Risiko orientierte Eigenmittelvorschriften einhalten. Geschäfts-, Markt- und Kreditrisiken, die bislang kaum beachtet wurden, werden plötzlich wichtig. Die steigenden Ansprüche treffen die gesamte Versicherungsbranche in einer Phase, in der niedrige Zinsen ohnehin das Geschäft erschweren. Wer die Branche von außen beobachtet – als Investor oder Analyst, Kunde oder Journalist –, muss sich ebenfalls umgewöhnen. Womöglich erscheint im Licht von Solvency II ein Unternehmen als weniger solide, das bisher mit hervorragender Eigenkapitalausstattung glänzte, aber seine Risiken scheinbar nicht optimal im Griff hat. Es gibt einiges zu optimieren, denn die Aufsicht hat an gleich drei Regulierungssäulen derart viele Stellschrauben auf einmal angesetzt, dass es selbst Profis schwerfällt, das Regelwerk wenige Wochen nach dem Start bereits voll zu erfassen und zu bewerten. Neuland betreten Auch wenn die Zeit der Trockenübungen vorbei ist, erwartet niemand, dass vom Start weg alles perfekt funktioniert. „Wir müssen Solvency II die Chance geben, sich zu entfalten“, sagt Frank Grund, Exekutivdirektor der deutschen Ver› Positionen # 1 _ 2 0 1 6 M odern, robust, angemessen – das seien die Eigenschaften von Solvency II, wirbt die europäische Versicherungsaufsicht Eiopa. Das Regelwerk ist nach einem Jahrzehnt harter und zäher Verhandlungen Anfang 2016 in Kraft getreten. Endlich, möchte man hinzufügen. Tatsächlich klingt der Eiopa-Chef Gabriel Bernardino einigermaßen erleichtert, wenn er zum Start daran erinnert, welche Vorzüge sein Regime mit sich bringt: „Ohne den neuen risikoorientierten Ansatz würde die europäische Versicherungsaufsicht den internationalen Entwicklungen hinterherhinken.“ Solvency II sei ein Meilenstein, sagt Bernardino, für den Versicherungsmarkt ebenso wie für den Verbraucherschutz, „allerdings kein Anlass zur Selbstzufriedenheit“. Nun beginne für alle Beteiligten eine neue und womöglich noch längere Reise, hin zu einem konsistenten und konvergenten Regelwerk. REGELN 42 / 43 Positionen # 1 _ 2 0 1 6 Regeln Nachjustieren kann man später: Die CDUBundestagsabgeordnete Anja Karliczek ist froh, dass es mit Solvency II endlich losgegangen ist. sicherungsaufsicht bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin). „Es kommt nun darauf an, Theorie und Praxis zu verbinden.“ Für die Versicherungsunternehmen bedeutet das: Einige von ihnen werden vermutlich ein paar Anläufe brauchen, bis sie beispielsweise ihr Meldewesen so umgestrickt haben, dass die BaFin damit zufrieden ist. Immerhin betritt die BaFin bei der Technik der neuen quartalsweisen Meldeverfahren ebenso Neuland. Zugleich gibt Solvency II den Versicherern Zeit, neue Regeln umzusetzen. Beim Aufbau der Eigenkapitalpuffer, mit denen sich die Unternehmen gegen Extremereignisse absichern, erlauben Anpassungsklauseln einen Übergang innerhalb der kommenden 16 Jahre. Während einige Anbieter von Anfang an sämtliche Rückstellungen komplett nach den neuen Regeln bewerten, nutzen andere den Zeitpuffer bis zum Jahr 2032, um schrittweise weitere Eigenmittel aufzubauen. Dazu werden viele an der Kostenschraube drehen, andere Produkte anbieten und möglicherweise Geschäftsrisiken reduzieren, erwartet die Aufsicht. Zeiten des Übergangs Genau diese Flexibilität hatte sich Burkhard Balz erhofft. Balz, der als CDU-Politiker für die Europäische Volkspartei im Europaparlament sitzt, hatte sich dort in den vergangenen Jahren stets für Übergangsvorschriften starkgemacht – und zudem dafür gekämpft, dass die Regulierer kleineren Unternehmen im Sinne der Proportionalität manches erleichtern. Nach dem ruhigen Start des Regimes zum Jahreswechsel sieht Balz sich bestätigt: „Solvency II hat als Gesetzeswerk seinen Schrecken verloren.“ Etwaige Sorgen, dass schnelle Umsetzer den langsameren Konkurrenten davonziehen könn- Der Europaparlamentarier Burkhard Balz hat sich auf EU-Ebene für flexible Übergangsregelungen starkgemacht – jetzt greifen sie. »BEI SOLVENCY II KOMMT ES NUN DARAUF AN, THEORIE UND PRAXIS ZU VERBINDEN.« FRANK GRUND, EXEKUTIVDIREKTOR DER BAFIN 44 / 4 5 »ES GIBT EINIGE BAUSTEINE IM REGELWERK, DIE WIR NICHT UNBEDINGT BENÖTIGEN. WIR HABEN SIE ABER VORERST BEIBEHALTEN, UM ENDLICH ZU STARTEN.« ANJA KARLICZEK, CDU/CSU-FRAKTION IM DEUTSCHEN BUNDESTAG So erweist sich das neue Regime zum Start als einigermaßen geschmeidig. Deshalb sollten jetzt alle Ruhe bewahren, sagt der SPD-Bundestagsabgeordnete Manfred Zöllmer. „Die Umsetzung von Solvency II hat 16 Jahre gedauert und war eine schwere Geburt. Nun wird es ebenfalls Zeit brauchen für eine angemessene Evaluation der Umstellung“, sagt Zöllmer, als stellvertretender finanzpolitischer Sprecher seiner Fraktion für Versicherungsthemen zuständig. „Ich empfehle daher, den Verlauf in diesem Jahr abzuwarten, bevor man gleich wieder darüber nachdenkt, wie man das System weiterentwickelt.“ Für Bewertungen sei es allemal zu früh. Auch seine CDU-Kollegin Anja Karliczek, die ebenfalls im Finanzausschuss des Bundestages sitzt, mahnt zur Geduld. „Ich sehe als Deadline für die erste Evaluierung den Januar 2018“, sagt Karliczek. Dann allerdings gehöre Solvency II auf den Prüfstand gestellt. Es gebe „einige Bausteine im Regelwerk, die wir nicht unbedingt benötigen, die wir aber vorerst beibehalten haben, um endlich zu starten“. Aber nach zwei Jahren werde es genug Feedback aus der Praxis – auch von den kleineren Unternehmen – geben, um Solvency II nachzujustieren. Dagegen spricht nichts, denn Solvency II ist konzipiert worden als ein lebendiges Regelwerk, offen für Verbesserungen und Veränderungen. Denn die kommen sowieso, etwa in Form neuer Regeln aufgrund der Entwicklung internationaler Kapitalstandards. Umso besser, wenn genügend Zeit bleibt, sich umzustellen. Das neue Regelwerk zur Versicherungsaufsicht fußt auf drei Säulen. Die erste beschäftigt sich mit der Kapitalausstattung der Versicherer: Wie viel Geld wird wie angelegt? Bei der zweiten Säule wird’s persönlich: Die Unternehmen müssen kompetentes Führungspersonal nachweisen. Da Solvency II sich zugleich – dritte Säule – als Frühwarnsystem versteht, müssen Versicherer regelmäßig über ihre Finanzlage und Risiken berichten. Wer’s noch genauer wissen will: Geballte Informationen gibt es auf dem Solvency-II-Poster, das dieser Ausgabe beiliegt. Regeln Geschmeidig bleiben SO GEHT SOLVENCY II Sie können das Poster auch bestellen – bei der Redaktion „Positionen“, GDV, Wilhelmstraße 43/43G, 10117 Berlin, oder im Internet als PDF herunterladen unter: http://www.gdv.de/infografik-solvency-ii/ Positionen # 1 _ 2 0 1 6 ten, teilt Balz nicht. Wer die Übergangsregeln nutze, lege ja dabei offen, was er tue – und die Standards seien immer vergleichbar. „Die Versicherungsaufsicht hat alle Zahlen zur Verfügung, die sie benötigt“, sagt Balz. „Wer Übergangsregeln anwendet und seine Kunden vollumfänglich zufriedenstellt, ist mir genauso recht wie ein Unternehmen, das die Übergangsregeln nicht nutzen möchte und Gebrauch von anderen Langfristmaßnahmen macht.“ DAS CHINA-SYNDROM Positionen # 1 _ 2 0 1 6 KOLUMNE Ein schwächeres Wachstum und Börsencrashs haben das Vertrauen in die Krisenfestigkeit Chinas, der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, tief erschüttert. Zu Unrecht. K ennen Sie „Das China-Syndrom“? In dem Spielfilm versuchen Michael Douglas, Jane Fonda und Jack Lemmon, einen Super-GAU in einem USAtomkraftwerk zu verhindern, damit dessen Reaktorkern sich nicht durchfrisst bis ans andere Ende der Welt, nach China. Wissenschaftlich gesehen ist das Nonsens, nicht einmal ein strahlend-heißer Klumpen aus Uran und Plutonium kann sich quer durch den Globus fressen. Dennoch fühle ich mich in letzter Zeit oft an diesen Film erinnert. Denn bald, befürchten einige Auguren, wird sich wieder etwas quer durch die Welt fressen – in Gegenrichtung: die China-Krise! Es gibt zugegebenermaßen einige Anzeichen dafür, dass die nach den USA zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt ins Wanken geraten ist. Die Aktienmärkte in Shanghai, Shenzhen und Hongkong sind seit Jahresbeginn um rund 20 Prozent nach unten gerauscht. Die leeren Geschäftshäuser und Wohn-Wolkenkratzer in Chinas Städten nähren den Verdacht auf eine Immobilienblase. Und das Wirtschaftswachstum fällt mit 6,9 Prozent im vergangenen Jahr so niedrig aus wie seit 25 Jahren nicht mehr. Allerdings ist die Lage keineswegs so schlecht, wie es die Aktienmärkte zuletzt suggeriert haben. So befindet sich der wichtige Dienstleistungssektor in guter Verfassung. Gleiches gilt für den Einzelhandel, wo die Umsätze mit zweistelligen Prozentzahlen wachsen. Und schließlich: China verfügt über hohe Devisenreserven. Diese Kapitalpolster lassen sich schnell mobilisieren, um beispielsweise mithilfe staatlicher Programme die Nachfrage anzukurbeln. Zudem kann Chinas Zentralbank die Geldpolitik weiter lockern. Beides werden die wirtschaftspolitisch Verantwortlichen ohne Zweifel einsetzen, um einen Konjunktureinbruch abzufedern und damit zu verhindern. Klaus Wiener ist Chefvolkswirt des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) Warum aber haben dann die Anleger an Chinas Börsen so panisch reagiert? Das hat viel damit zu tun, wie die Führung in Peking agiert. So wurde die tolerierte Abwertung des Renminbi („Volksgeld“) durch die Notenbank zu Jahresbeginn als Indiz für eine schlechte konjunkturelle Lage gewertet. Darüber hinaus haben die Offiziellen während der Aktienmarktcrashs im vergangenen Sommer und zuletzt im Januar nicht gerade den Eindruck vermittelt, Herren der Lage zu sein. Das ist Gift für das Vertrauen von Investoren. Problematisch ist das, weil eine Rezession in China tiefe Spuren im Rest der Welt hinterlassen würde – auch in Deutschland, schließlich liefern wir Maschinen, Autos und selbst Lebensmittel im großen Stil ins Reich der Mitte. Auch deshalb haben die Turbulenzen an Chinas Aktienmärkten die europäischen und amerikanischen Börsen angesteckt. Bisher lässt sich aber nicht vorhersagen, wie groß am Ende des Jahres die Aktienmarktverluste in der größten Volkswirtschaft Asiens ausfallen werden. Für den Euro-Raum lassen die expansive Geldpolitik sowie eine allmähliche Konjunkturbelebung hoffen, dass wir uns von der Entwicklung in Fernost entkoppeln können. Selbst dann muss uns eines klar sein: 2016 wird ein unruhiges Jahr für Investoren. Die deutsche Assekuranz ist davon wenig betroffen. Versicherer halten im Schnitt nur fünf Prozent ihrer Anlagen in börsennotierten Aktien. Das hat damit zu tun, dass wir vorsichtig sind: Solange die Geldpolitik Bewertungsblasen erzeugen kann, werden Aktien in den Portfolien der Versicherer auch weiterhin nur eine untergeordnete Rolle spielen. Wir müssen also keine Angst vor einem ökonomischen China-Syndrom haben. Genauso wenig übrigens wie die Helden in dem Spielfilm: Sie konnten den Reaktor noch rechtzeitig abschalten. Es gab ein Happy End. 46 / 4 7 RUNDE BILANZ Das Jahr 2015 war kein einfaches für die Assekuranz – aber alles in allem haben sich die Versicherer gut behauptet. BEITRAGSEINNAHMEN GESAMT Lebens-, Schaden/Unfall- und Private Krankenversicherung 2013 2014 187,4 Mrd. Euro +3,1 % 192,6 Mrd. Euro +2,7 % 2015 193,6 Mrd. Euro +0,5 % BEITRÄGE Lebensversicherer, Pensionskassen und -fonds 2014 93,7 Mrd. Euro +3,1 % 2015 92,5 Mrd. Euro –1,3 % BEITRÄGE Schaden- und Unfallversicherung 2015 2014 64,2 Mrd. Euro 62,6 Mrd. Euro +3,3 % +2,6 % Positionen # 1 _ 2 0 1 6 2012 181,6 Mrd. Euro +2,0 % (zum Vorjahr) LEISTUNGEN 2015 2014 LAUFENDE BEITRÄGE 2015 64,6 Mrd. Euro +0,2 % (zum Vorjahr) EINMALBEITRÄGE 45,4 Mrd. Euro –8,6 % (zum Vorjahr) 2015 27,9 Mrd. Euro –4,5 % (zum Vorjahr) 48,0 Mrd. Euro +5,8 % VERSICHERUNGS TECHNISCHES ERGEBNIS 2014 3,3 Mrd. Euro 95 % (Schaden-Kosten-Quote) 2015 2,1 Mrd. Euro 97 % Quelle: GDV IMPRESSUM Herausgeber: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V. V.i.S.d.P.: Christoph Hardt Konzeption und Realisierung: Axel Springer SE Corporate Solutions Projektmanagement: Christopher Brott Druck und Vertrieb: Möller Druck Redaktion: Jörn Paterak, Thomas Wendel (GDV); Michael Prellberg (Axel Springer) Autoren: Georg Dahm, Henning Engelage, Heimo Fischer, Matthias Lambrecht, Kirsten Milhahn, Elke Spanner, Christian Siemens, Hasso Suliak, Olaf Wittrock Fotoredaktion: Anni Tracy Art-Direktion: Christian Hruschka, Stefan Semrau (twotype design) Layout: Christina Maria Klein, Uwe Holländer (twotype design) Litho: Pixactly media GmbH, Hamburg Lektorat: Matthias Sommer Redaktionsanschrift: Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft e. V., Kommunikation, Wilhelmstraße 43 / 43 G, 10117 Berlin Telefon: 030 / 20 20 – 59 14 Fax: 030 / 20 20 – 69 14 Fragen zum Abo: [email protected] Bildnachweise: Dimitri Otis/Photodisc/Getty Images: S. 1 B. Keyles/Angel MedFlight: S. 3, 12-13 Hagen Wolf: S. 3, 35-37 Courtesy of Boston Dynamics: S. 4 Krisztian Bocsi/Bloomberg via Getty Images: S. 5 Feature China/Barcroft Media via Getty Images: S. 7 MoreISO/Vetta/Getty Images: S. 8-9 Henning Engelage: S. 10-15 Karl-Josef Hildenbrand/dpa/ Picture Alliance: S. 14 Monty Rakusen/Cultura/Getty Images: S. 22-23 Ulrich Loeper/Mega eG: S. 24 Jörg Eberl/Action Press: S. 27-28 Eva Kröcher/Wikimedia Commons: S. 42 Sebastian Reimold/Action Press: S. 43 Carola Radke/MfN: S. 48 PR: S. 2, 6, 20, 25, 44 Illustrationen: Mina De La O/Stone/ Getty Images: S. 3, 38-41 Martin Burgdorf: S. 16-17 Martin Friedl: S. 18-20 Michael Stach: S. 21, 29 Peachbeach: S. 30-34 Jacqueline Urban: S. 46 TRISTAN 8 MILLIONEN EURO DEN TOLLSTEN UNGEHEUERN FLIEGT UNSERE SYMPATHIE ZU. Das war bei King Kong so, als er aufs Empire State Building kletterte. Und bei Godzilla, seit er die Menschheit gegen fiese Monster schützt. Tyrannosaurus Rex hat länger gebraucht. Vielleicht weil er kein ausgedachtes Kino-Ungeheuer ist, sondern ein zwölf Meter langer Saurier, der vor 66 Millionen Jahren höchst real durch die Kreidezeit stampfte und mit scharfen Zähnen andere Tiere zermalmte. Es war allerdings im Kino, wo wir liebenswerte Seiten des T-Rex kennenlernten: Seit „Ice Age“ gehören auch ihm unsere Sympathien. Diese Zuneigung wird jetzt im Berliner Naturkundemuseum auf die Probe gestellt, wenn T-Rex Tristan seine Zähne bleckt. Gruselig. Und vor allem: echt. Für eine Versicherungssumme von acht Millionen Euro bleibt Tristan drei Jahre – nicht nur zum Gucken. Forscher wollen anhand des hervorragend erhaltenen Skeletts mehr über den T-Rex erfahren. Etwa, ob er ein gnadenloser Jäger war – oder eher ein Aasfresser. Was ihn doch wieder ein bisschen sympathischer machen würde. Positionen # 1 _ 2 0 1 6 DIE S C H Ö N S T E V E R S IC H E R U N G S S AC H E DE R W E LT