Tarantino Connection - Neoformalistisch-kognitiver

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Tarantino Connection - Neoformalistisch-kognitiver
Universität Hamburg
BA-Studiengang Medien-und Kommunikationswissenschaft
Seminar Ia – Modul MUK A3
Methoden der Filmanalyse (52-331)
Dozentin: Irina Scheidgen
WiSe 2012/13
Tarantino Connection - Neoformalistisch-kognitiver Ansatz
zur Erklärung des Tarantino-Kults
Antonia Schaefer
15.April 2013
Der Autor hat diese Bachelorarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
1
2. Neoformalistisch- kognitive Filmanalyse
2
2.1 Bedeutung des Einzelwerkes
3
2.2 Kognition
4
2.2.1 Cues
6
2.2.2 Raum und Zeit
7
2.3 Historische Poetik des Kinos
8
2.4 Kritik
9
3. Der Tarantino-Stil
3.1 Narrativer Stil
10
11
3.1.1 Das Tarantino-Universum : Selbstreflexion, Stilverweise,
Eigenzitate
11
3.1.2 Erzählstrukturen
14
3.1.3 ästhetische Gewaltdarstellung
15
3.2 Technische Stilmittel
16
3.2.1 Konzepte von Raum und Zeit: Kamera und Schnitt
17
3.2.2 Licht, Farbe und Ton: Dem Film Persönlichkeit verleihen
20
4. Fazit
23
5. Literaturverzeichnis
26
6. Filmverzeichnis
29
7. Anhang
30
Der Autor hat diese Bachelorarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
1.Einleitung
Seit im Dezember 2012 “Django Unchained” in die Kinos kam, ist der Name
Tarantino wieder in aller Munde. Kaum ein Regisseur hat es in den letzten
Jahren geschafft eine solch gespannte Erwartungshaltung auszulösen, wenn es
um die Veröffentlichung eines neuen Filmes geht. Ohne Zweifel: Quentin
Tarantino hat mit Reservoir Dogs (1992), Pulp Fiction (1994) und spätestens
mit Kill Bill (2003/2004) Kultstatus erreicht. Wie gelang es einem jungen
Regisseur mit Vorliebe für das Triviale, das Trashige, mit Neigung zu
makaberen Gewaltexzessen und unsinnig anmutenden Dialogen, das Publikum
wie auch letztlich die Fachwelt so stark für sich einzunehmen, dass er neben
etlichen Internetfanseiten dieses Jahr auch den zweiten Oskar für sich
beanspruchen konnte?
Im Seminar „Methoden der Filmanalyse“ setzte ich mich für mein Referat näher
mit dem eher generellen, jüngeren Ansatz der neoformalistisch-kognitiven
Filmanalyse auseinander. Neben anderen Methoden, wie der feministischen
oder der psychoanalytischen Filmanalyse, wirkte diese Methode zunächst recht
unübersichtlich. Bald wurde jedoch klar, dass sie im Gegensatz zu vielen
anderen Methoden einen viel breiteren Ansatz bietet: Ganz gleich ob ein Film
feministische, psychoanalytische oder genrespezifische Elemente enthält, der
Zuschauer macht im Kontext seiner alltäglichen Erfahrungen und seines
Wissens über künstlerische Konventionen einen Film zu dem, was er ist.
Gelingt es einem Film die Aufmerksamkeit eines Zuschauers für sich zu
erregen, so geschieht dies meist durch einen Bruch mit der Norm des
Zuschauers. Auf diese Weise kann diese Methode eine Grundlage liefern, aus
deren Repertoire passende Werkzeuge für die Analyse eines bestimmten Films
gewählt werden können (vgl. Hartmann,Britta/Hans J. Wulff (2002):196) .
Dieser eher weitgefasste Ansatz erschien mir passend, um den weltweiten
ungewöhnlichen Erfolg eines Regisseurs zu untersuchen, dessen Filme sich in
vielen Elementen ähneln und bereits „als Meisterwerk, überschätztes
Halbplagiat,
unoriginäre
Zitatensammlung
oder
Ausdruck
unersättlicher
cinéphagie“ bezeichnet wurden (Fischer, Robert/Peter Körte/Georg Seeßlen
(2000): 69-70). Die Autorentheorie, die sich bei der Untersuchung von
Tarantinos Filmen des Weiteren anböte, kam für mich als Analysemethode
Der Autor hat diese Bachelorarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
weniger infrage, da nicht die Abgrenzung von Autorenfilmen zum kommerziellen
Genrekino Thema dieser Arbeit sein soll, sondern die Beliebtheit, die Tarantinos
Filme erlangen konnten. Stellt das Publikum, neben der Vermarktung eines
Films, den entscheidenden Faktor für dessen Erfolg dar, erschien mir aus
diesem Grund gerade die neoformalistisch-kognitive Methode als geeignet: Sie
schreibt dem Zuschauer eine aktive Rolle zu – der Film muss demnach auf die
Erwartungen des Zuschauers reagieren, mit Ihnen spielen, um letztlich
erfolgreich zu sein.
Die
wissenschaftliche
Literatur
zu
Methode
und
zu
genanntem
Untersuchsgegenstand ist umfangreich, da beide Themenbereiche aktuell von
großem Interesse sind. Eine gesellschaftliche Relevanz lässt sich an der
verbreiteten Zustimmung den Tarantino-Filmen gegenüber festmachen.
Die Hausarbeit soll letztlich einen Versuch darstellen, den Erfolg der TarantinoFilme anhand der neoformalistisch-kognitiven Filmanalyse zu begründen. Dazu
werden zunächst die Anhaltspunkte dieses Analyseansatzes erläutert, wobei
die Kognition als Themenbereich mit den Schwerpunkten cues und Raum einen
großen Teil einnimmt. Auch die Historische Poetik des Kinos wird als Begriff zur
Erläuterung der Analyse eingeführt. Schließlich wird die Kritik zu diesem
Analyseansatz angerissen, bevor sich dem
thematischen, Werk-bezogenen
Teil der Arbeit gewidmet wird. Hier wird der besondere Stil Tarantinos mithilfe
des neoformalistisch-kognitiven Ansatzes analysiert. Dabei wird zwischen
narrativen Stilelementen wie Erzählstrukturen und Zitaten sowie technischen
Stilmitteln wie Kamera, Schnitt, Licht und Ton unterschieden. In einem Fazit
werden die Ergebnisse der Arbeit zusammengetragen und abschließende
Gedanken formuliert.
2. Neoformalistisch-kognitive Filmanalyse
Ende der 70er Jahre startete mit dem Wisconsin-Projekt der Versuch eines
Gegenentwurfs zu in der angloamerikanischer Filmwissenschaft vorherrschenden
Filmanalysemethoden,
insbesondere
der
poststrukturalistischen
Filmanalysen. Kristin Thompson, die neben David Bordwell als die Begründerin
der Theorie gilt, argumentierte die Notwendigkeit eines neuen Analyseansatzes
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mit der Homogenität, die die Anwendung anderer Ansätze hervorrufe:
If every film simply plays out an Oedipal drama, then our analysis will
inevitably begin to resemble each other. […]Such homogeneity in the
treatment of films furthermore suggests that, by choosing only a
single method and pressing it down, like a cookie cutter, on each film
in the same way, we risk losing any sense of challenge in analysis”
(Thompson, Kristin (1988): 4).
Das Projekt setzte sich damit auseinander, eine Analysemethode mit dem
wissenschaftlichen
Ansatz
innerer
Kohärenz,
empirischer
Breite,
Ausschlussfähigkeit und der Betrachtung historischer Veränderung zu schaffen
(vgl. Hartmann,Britta/Hans J. Wulff (2002) : 209) .Der zu analysierende Film
sollte als einzelnes Werk vor dem Hintergrund vieler, weiterer Filme betrachtet
werden, ohne diesem eine Intention zu unterstellen, wozu ein zu eng gefasster
Analyseansatz tendiere.
Der neoformalistisch-kognitive Analyseansatz setzt sich maßgeblich aus drei
Komponenten zusammen: Der Filmanalyse als Werkanalyse, der kognitiven
Theorie und der historischen Poetik des Kinos (vgl. ebd. :194).
2.1 Die Bedeutung des Einzelwerkes
Die Idee einen Film als einzelnes Werk zu analysieren, war bereits im
russischen Formalismus des frühen 20. Jahrhunderts aktuell. Ihm verdankt der
Neoformalismus seinen Namen. Das Kunstwerk an sich wird als ästhetisches
System betrachtet. Hierbei wird bewusst auf das herkömmliche Containermodell, also auf die Trennung zwischen äußerer Form und Inhalt verzichtet.
Viel mehr wird das Werk als „Gesamtensemble aller formalen Gegebenheiten“
(Hartmann, Britta/ Hans J. Wulf (2002):198) angesehen:
Every component functions within the overall pattern that is
perceived. Thus we shall treat as formal elements many things that
some people consider content. From our standpoint, subject matters
and abstract ideas all enter into the total system of the artwork
(Thompson, Kristin/ David Bordwell zit. nach ebd.: 198).
Stilistische
Konventionen
bestimmter
Filmgenres,
ob
technischer
oder
inhaltlicher Art, werden bei Bordwell und Thompson mit devices betitelt. Diese
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sind jedoch nicht lediglich einzeln zu betrachten: Sie treten gemeinsam mit den
Ereignissen der Narration in ein zusammen-hängendes System narrativer Logik
ein. Ein jeder Film besteht aus einem solchen System, welches wiederum mit
Systemen anderer Filme in Beziehung steht (relations of systems). So muss ein
device immer vor dem Hintergrund eines ganzen Films und ein einzelner Film
immer vor dem Hintergrund anderer Filme analysiert werden (vgl. Wulff, Hans J.
(1991): 397).
Eine theoretische Unterteilung findet sich jedoch auch im Neoformalismus:
nach Bordwell und Thompsen wird wie bei den
russischen Formalisten
zwischen Sujet und Fabel unterschieden: Während das Sujet die Anordnung
und Präsentation von Ereignissen im Film beschreibt, ist die Fabel die mental
durch den Zuschauer zusammengestellte chronologische Ordnung der im Film
präsentierten Ereignisse. So werden Rückblicke, durch Dialoge präsentierte
Ereignisse und Ähnliches mental in eine logische Reihenfolge eingeordnet (vgl.
Thompson, Kristin (1988): 39).
Diese mentale Umordnung ist eine Fähigkeit, die auf dem Erkennen formaler
Mittel im Film basiert, welche sich ein Zuschauer durch die Erfahrung mit
vorherigen Filmen und anderen erzählenden Werken angeeignet hat (vgl. ebd.)
Letztlich ist die These des Neoformalismus, dass ein Film sich bestimmter
formaler Mittel, Verfahren und Stile bedienen muss, um ein Verständnis des
Films durch den Rezipienten hervorzurufen. Doch in der Summe ergibt dies ein
einzelnes Werk mit einer ganz bestimmten Wirkung, ein Zeichensystem, das als
Ganzes vor dem Hintergrund anderer Filme vom Rezipienten dekodiert werden
muss.
2.2 Kognition
An den letzten Punkt direkt anknüpfend kommt die entscheidende Rolle der
Kognition für den Neoformalismus zur Geltung, da die Dekodierung eines
Zeichensystems durch den Zuschauer immer mit ergebnisorientierten Denkund Wahrnehmungsverfahren einhergeht.
Auch unterbewusste mentale
Vorgänge, wie Erinnern, Schlussfolgern, Lernen und Entscheiden gehören zu
den kognitiven Prozessen des Menschen.
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So gleicht der Mensch ununterbrochen Wahrgenommenes mental mit
Bekanntem ab: Sieht er ein Buch und weiß um die Bedeutung eines Buch,
ordnet er es als Papier mit Informationsgehalt ein.
Für Wahrnehmungs-Erkennungsvorgänge gibt es zwei signifikante Schemata:
Das Top-down Modell und das Bottom-up Modell. Beim Top-Down Modell
ordnet der Mensch nach der Erwartung und dem Wissen um Sachverhalte
Wahrgenommenes ein: befindet er sich in einer Bibliothek, erwartet er Bücher.
So werden Regale als Bücherregale klassifiziert. Beim Bottom-up Modell
erkennt der Mensch ein Objekt zunächst nicht und gleicht es nach einem
Ausschlussverfahren mit Bekanntem ab: Nimmt er einen Punkt am Himmel
wahr, könnte dies beispielsweise ein Vogel oder ein Flugzeug sein. Nach
eingehender Betrachtung stellt er bestimmte Merkmale (flattert er? Verändert
er seine Flugbahn rapide? Etc.) meist zur Feststellung, um was es sich handelt.
Trifft der Umstand des Erkennens nicht ein, ist die Aufmerksamkeit geweckt.
Argwohn
und/oder
Neugierde
sind
mögliche
Folgen.
Diese
Wahrnehmungsprozesse machen sich auch Filmemacher zunutze, um die
Aufmerksamkeit des Publikums für sich zu gewinnen, mit Erwartungen zu
spielen und Illusionen zu kreieren (vgl. Bordwell, David (1985):32).
Des Weiteren sind kognitive Vorgänge von den individuellen Erfahrungen eines
Menschen geprägt. So bilden sich aufgrund von bestimmten Erlebnissen bei
dem einen Individuum Verknüpfungen zwischen Sachverhalten, die bei einem
anderen komplett anders ausgeprägt sein können. Durch sein Weltwissen,
Wissen um narrative Strukturen und
filmisches Vorwissen geprägt, tritt ein
Rezipient mit bestimmten Erwartungshaltungen an einen Film heran. Er „formt“
den Film durch automatisierte Hypothesenbildung bezogen auf die weitere
Handlung, durch die Einordnung von Charakteren, abhängig von seiner
Erfahrung mit Filmen, anderen Kunstwerken oder dem Alltag (s. Abb. 1)
Automatisierte Vorgänge kommen Gewohnheit gleich, welche wiederum zu
Unaufmerksamkeit führen kann. Auf Filme bezogen bedeutet dies, dass das
Wiederverwenden immer gleicher Stilmittel und narrativer Abläufe zur
automatischen, passiven Rezeption oder gar zu Langeweile führen kann.
Verfremdet ein Film hingegen die Gewohnheit und spielt mit den bisher
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anerkannten Normen von Narration und technischen Mitteln, so führt dies zur
bewussten Aufmerksamkeit des Rezipienten und regt diesen zum Nachdenken
an. Bereits der russische Formalist Viktor Šklovskij erkannte die Verfremdung
(im russischen Formalismus Ostranie) als zentrales Mittel der Kunst:
Ziel der Kunst ist es, ein Empfinden für die Dinge zu vermitteln, das
sie uns sehen und nicht nur wiedererkennen lässt; ihre Verfahren
sind die „Verfremdung“ der Dinge und die erschwerte Form, ein
Verfahren, das die Wahrnehmung erschwert und verlängert, denn
dieser Wahrnehmungsprozess ist in der Kunst Selbstzweck […]
(Šklovskij, Viktor (1916): 18).
2.2.1 Cues
Unter cues
werden in
der neoformalistisch-kognitiven
Filmtheorie
Hinweisreize verstanden, die helfen das Verständnis der filmischen
Narration für den Zuschauer zu erleichtern. Meist sind darunter technische
Mittel wie Einstellungsgrößen, Schnitte, Kameraperspektiven, Zooms,
oder Toneffekte zu verstehen, doch auch narrativ gleichbleibende Muster
können als cues gewertet werden. Aufgrund des filmischen und narrativen
Vorwissens des Zuschauers, auch viewing skills genannt, ermöglichen
cues
„Aktivitäten
wie
Hypothesenbildung,
Antizipation
und
die
Konstruktion von Situationsmodellen“ (Hediger, Vinzenz (2002): 47).
Häufig werden innerhalb eines Genres dieselben cues verwandt, was die
Identifikation des entsprechenden Genres erleichtert. Auch narratologisch
sind cues von erheblicher Bedeutung: So werden beispielsweise für eine
romantische
Liebeszene
eher
nahe
Kameraeinstellungen
und
Großaufnahmen eingesetzt, während eine rasante Kamerafahrt in einer
solchen Szene wohl eher selten zu sehen sein wird. Der Rezipient
entwickelt durch die Gewöhnung an gleichbleibende cues für bestimmte
Szenen eine Erwartungshaltung an das Geschehen im Film. Erfüllt sich
diese, so erleichtert dies den Immersionsprozess: Der Rezipient findet
schnell in die Erzählung und kann der Handlung ohne Schwierigkeiten
folgen. Das Mainstream- oder Hollywoodkino bedient sich solcher Muster.
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Brechen Regisseure nun mit solchen Cue-Gewohnheiten oder verzichten
auf cues in den Schlüsselszenen ihres Films, hat dies wiederum die von
Šklovskij thematisierte Verfremdung zufolge, die den Immersionsprozess
erschwert.
Diese
sogenannte
Cues-manipulation
stellt
eine
hohe
Anforderung an die Kognition des Rezipienten zur Story-Dekodierung dar;
der Rezipient muss seine Erwartungen an den Verlauf der Handlung
relativieren oder gar ändern. Dieser Prozess erwirkt nicht bloß die aktive
Zuwendung des Rezipienten zum Film, auf lange Sicht führt ein solcher
Bruch
mit
stilistischen
Schemata
zur
Gewöhnung
an
neue
Sehgewohnheiten, die wiederum gebrochen werden können (vgl.
Bordwell, David (1985): 32).
2.2.2 Raum und Zeit
Spricht man von kognitiven Prozessen, Immersion und Sehgewohnheiten, darf
auch der Raum als Schlagwort nicht fehlen. Hierbei ist weniger der Kinoraum
gemeint,
der
zwar
durch
die
vorherrschende
Dunkelheit
als
Konzentrationsfaktor die Immersionsprozesse des Rezipienten unterstützt, doch
dies sei nur am Rande erwähnt. Eine wesentlichere Rolle spielt der
Kameraraum, der für die Diegese (Erzählwelt des Films) den „Existenzort“
darstellt. Um einen Immersionsstop zu vermeiden, darf der Raum hinter der
Kamera
nicht
mit
dem
Kameraraum
vermischt
werden.
Läuft
also
beispielsweise ein Kameramann durch das Filmbild wird der Zuschauer aus
seiner Konzentration auf die Handlung gerissen. Des Weiteren ist die räumliche
Konfiguration (Einheitlichkeit im Raum) ein wichtiger Punkt bezüglich der
Immersion:
Passt die mise-en-scène zur Narration, ist letztere für den
Zuschauer leichter nachzuvollziehen.
Auch das Raum-Zeit-Kontinuum ist von Bedeutung für die Immersion des
Zuschauers: Beim klassischen Schnitt oder Hollywood-Schnitt soll die
Filmillusion gewahrt werden, was voraussetzt, dass der filmische Raum, wie
auch die filmische Zeit „in sich schlüssig [bleibt]“ (Knut Hickethier (1983): 23).
Ergebnis ist eine möglichst flüssige, „unsichtbare“ Montage. Besonders
elementar ist hier die Kamera. So gilt beispielsweise die
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strikte Einhaltung der [Kamera-und Handlungs]Achse […] (180 Grad
Regel) oder etwa die konsequente Abfolge von Blick und dem
Gesehenen der Filmfigur als Gegenschnitt. Dialoge werden auf diese
Weise im Schuss-Gegenschuss Verfahren aufgelöst, ein Blick folgt
auf den Gegenblick. (Allary, Mathias: o.J.).
Wird das Raum-Zeit-Kontinuum unterbrochen, erschwert dies ähnlich wie bei
der Cues-manipulation die Story-Dekodierung. Mögliche Beispiele hierfür sind
Achsensprünge, achronologisches Erzählen, oder Zeitauslassungen wie jump
cuts.
Auch
ein
Ausbleiben
der
räumlichen
Konfiguration
erhöht
die
Komponente
der
Anforderungen an die kognitiven Fähigkeiten des Rezipienten.
2.3 Historische Poetik des Kinos
Die
Historische
Poetik
des
Kinos
stellt
die
dritte
neoformalistisch-kognitiven Filmanalyse dar. Dabei geht es um das Verstehen
von visuellen und narrativen Verfahren, die das Medium Film in der Geschichte
hervorgebracht hat. Sie bildet die
theoretische und methodologische Grundlage für eine Geschichte
der filmischen Stile und [muss] als Bezugsrahmen des kognitiven
Ansatzes wie der Analysen einzelner Filme angesehen werden
(Hartmann,Britta/Hans J. Wulff (1995): 6).
Die Historische Poetik des Kinos zeigt nach Thompson und Bordwell eine
ästhetische Norm auf, die aus den vertrauten und traditionellen Formen
des Filmemachens resultiert. Der zu analysierende Film muss immer vor
dem Hintergrund einer solchen ästhetischen Norm betrachtet werden, um
Unterschiede zu ebendieser, Stilzitate und Anspielungen erkennbar zu
machen.
Zur Bestimmung einer ästhetischen
Norm
definiert
die
sogenannte historische Kontextanalyse Regeln, Codes und Konventionen
des Filmemachens und schafft so ein Verständnis für die „Spannung
zwischen ästhetischer Norm und Abweichung“ (vgl. Hartmann,Britta/Hans
J. Wulff (2002): 203). Mit Abweichung von der Norm sind hier neuartige
stilistische Mittel technischer wie inhaltlicher Art im Film gemeint.
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Der
Fokus
der
historischen
Kontexanalyse
liegt
auf
den
Rezeptionsprozessen, den historischen Veränderungen von Normen und
Konventionen sowie auf dem Verhältnis von Kunstproduktion und
Kunstrezeption. Dabei wird von drei Grundannahmen ausgegangen:
1. Dem Zuschauer und Regisseur werden Rationalität unterstellt (rationalagent-model)
2. Das Kino wird als soziales und ökonomisches System verstanden,
durch das die Kunstproduktion zu erklären ist (institutional-model)
3. Filmrezeption wird als kognitiv-perzeptueller Akt verstanden, bei dem
konstruktive Tätigkeiten zum Verstehensprozess des Films elementar sind
(perceptual-cognitive-model) (vgl. Hartmann,Britta/Hans J. Wulff (2002):
204).
2.4 Kritik
Da sich die neoformalistisch-kognitive Theorie vehement gegen andere
Filmanalysemethoden – insbesondere die psychoanalytische Filmanalyse –
richtet, rief sie in der Vergangenheit massive Kritik wach. Zunächst wurde
bemängelt, dass Bordwell und Thompsons Theorie sich jeglicher Interpretation
eines Films verweigert. Auf diesen Kritikpunkt ging Bordwell intensiv ein, indem
er das Stufenmodell als Schnittstelle zwischen Kognitiver Theorie und
Historischer Poetik anführte, mit dem das Verständnis für die technischen wie
narrativen Filmcharakteristika als notwendige Grundlage für Interpretationen
definiert wird (vgl. Hartmann,Britta/Hans J. Wulff (2002):209).
Außerdem wurde kritisiert, dass die Theorie Informationsprozesse nicht im
Hinblick auf emotionale Vorgänge betrachtete. So trifft der Rezipient wie auch
der Regisseur eines Films immer rationale Entscheidungen (rational agent
model) und lässt sich demnach weder von Emotionen, wie Hoffnungen oder
Wünschen leiten, noch reagiert er im Affekt (vgl. Hediger, Vinzenz (2002): 48).
Auch wurde bemängelt, dass weder kulturelle noch historische Umstände bei
Rezeptions- sowie Verstehensprozessen eine Rolle spielen. Diese Vorwürfe
lassen sich anhand der Theorie kaum widerlegen.
Der Autor hat diese Bachelorarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
Letztlich bietet die neoformalistisch-kognitive Filmanalyse einen ästhetischen
Ansatz, der vor dem Hintergrund filmgeschichtlicher Konventionen den Film als
formales Zeichensystem darstellt, das entschlüsselt werden muss. Es ist ihr Ziel
unter Zuhilfenahme von kognitionstheoretischen Elementen herauszufinden,
„wie beim Rezipienten bestimmte Vorstellungen entstehen und welche Rolle
dabei die Medienproduktionen mit ihren Strukturen spielen“ (vgl. Hickethier,
Knut (2010): 348). Auch wenn die Vorwürfe wegen mangelhafter Beachtung der
Komplexität von Verstehensprozessen berechtigt sein mögen, so ist die
neoformalistisch-kognitive
Filmanalyse
ein
geeigneter
Ansatz,
um
die
Reaktionen von Zuschauern auf einen Film zu deuten und schließlich zu
erklären.
3.Der Tarantino-Stil
Bei der Konzeption eines Filmes befasst sich ein Regisseur nach dem rationalagent- model auch immer mit dem Gedanken des „Film-Erfolg“. Dies spiegelt
sich im Stil der Filme wieder: Häufig werden Filme nach den Erwartungen des
Publikums gestaltet, um den Rezeptionsvorgang so leicht und angenehm wie
möglich zu gestalten. Der klassische oder Hollywoodschnitt, die lineare
Narration und szenenunterstreichende Effekte wie Licht oder Musik sind nur
einige Anzeichen dafür. Bordwell und Thompson greifen diese Art des
Filmemachens in ihrem Konzept vom Hollywoodkino auf. Ein solcher Filmstil
sichert Zuschauerakzeptanz, aber keine Aufregung. Beginnt ein Regisseur aber
mit dem Konzept der Erwartungserfüllung zu brechen, so läuft er Gefahr den
Zuschauer zu verwirren. Dies kann zu Ablehnung beim Zuschauer führen –
oder zu durchschlagendem Erfolg. Ein schmaler Grat, denn ein Film, der mit
den Erwartungen des Zuschauers spielt, durch Stilmittel verfremdet und letztlich
mit der Norm des Filmemachens bricht, erschafft etwas Neues. Dafür verdient
er sich zumindest die Aufmerksamkeit des Publikums. Wenn nicht dessen
Wertschätzung.
Quentin Tarantino hat beim Spiel mit Konventionen anscheinend das richtige
Maß gefunden. Für seine Filme wurde er mit etlichen Preisen, darunter zwei
Oskars ausgezeichnet. Seine Fangemeinde hat sich mittlerweile über die ganze
Welt ausgebreitet. Seit dem Beginn seiner Regisseurstätigkeit Ende der 80er
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Jahre sind in seinen Filmen wiederkehrende Stilmittel und Themen zu
beobachten, die sich als Tarantino-Stil beschreiben lassen. Als Unterpunkte
dieses Kapitels habe ich den narrativen Stil und technische Stilmittel gewählt,
obwohl die technischen Stilmittel selbstverständlich auch in die Narration
mithineinspielen
und mit
Erzählstruktur,
Dialogmustern
und Verweisen
ineinandergreifen. Die Punkte gesondert zu behandeln, schafft allerdings eine
bessere Übersicht. Da Tarantinos Filmografie sich mit acht Filmen in 20 Jahren
nicht als sonderlich ausufernd darstellt, habe ich alle seine Filme zur Analyse
herangezogen, indem ich jeweils zu den Kapiteln passende Szenen beispielhaft
aus der ganzen Breite seiner Filme ausgewählt habe.
3.1 Narrativer Stil
Wiederkehrende
technische Stilmittel sind bei Tarantino ähnlich häufig
anzutreffen wie die Vorliebe für bestimmte Themen und narrative Muster. Im
folgenden Abschnitt der Arbeit werden lediglich die auffälligsten dieser Muster
erläutert, da eine detaillierte Auseinandersetzung mit dem narrativen Stil
Tarantinos Bücher füllen würde.
3.1.1 Das Tarantino-Universum:
Selbstreflexion, Stilverweise, Eigenzitate
Wie kaum ein anderer Regisseur behält Quentin Tarantino grundsätzlich die
Wirkung seines Gesamtwerkes im Auge. So dürfe ein weiterer Film nicht das
Gesamtbild seiner Filmografie gefährden (vgl. McGrath, Charles: 14.01.13).
Vielleicht liegt es daran, dass dem Zuschauer zwischen seinen Filmen
bestimmte Verbindungen auffallen könnten. So ist ein Großteil der von
Tarantino geschaffenen Filmgeschichten von Selbstreflexion geprägt. Häufig
spielen Tarantinos Figuren auf Aspekte des Darstellens und der Inszenierung
an, wie beispielsweise bei Django Unchained (2013), als Dr. Schulz Django
darauf hinweist, dass sie gemeinsam Theater spielen. Auch die Filme Inglorious
Basterds, Kill Bill und Reservoir Dogs bedienen sich auf ähnliche Weise der
Selbstreflexion (vgl. ebd.). Auf den Rezipienten hat dies insofern eine Wirkung,
als dass „[d]as Bewusstmachen der performance der Schauspieler im Film […]
gleichsam die Präsenz des Regisseurs und der Kamera [verdeutlicht] und […]
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den Realitätseindruck, den ein Film traditionell vermittelt, in Frage [stellt]“
(Thieme, Christiane (1999): S.86). Ein Konventionsbruch, den der Rezipient
unter erhöhter Anforderung an die kognitiven Fähigkeiten einzuordnen versucht.
Doch neben dieser Anspielung auf das inszenierende, darstellende Wesen des
Films, gibt es in Tarantinos Filmen ständige Zitate aus der und Verweise auf die
Filmgeschichte. Darunter fallen Genrekonventionen, die in seinen Filmen häufig
vermischt werden und so kaum die Zuordung zu einem einzelnen Genre
zulassen. Auf diese Weise vermischt er bei Kill Bill (2003/2004) Elemente des
Italowestern und des Kung-Fu-Films. Er verweist mittels Musik und Aufbau der
Geschichte, sowie der Verwendung des Namens Bill auf „Die Rechnung wird
mit Blei bezahlt“, einen eher unbekannten Italowestern. (vgl. Stroh, Phillip: o.J.).
Mit der Vermischung von Genres spielt er auf French New Wave Filmemacher
wie Godard und Truffaut an (vgl. Sleeper, Mick: o.J.). Gleichzeitig nutzt er mit
Vorliebe in fast jedem seiner Filme Elemente des B-Movies, des Exploitationfilms und des Trashfilms, die im allgemeinen als Gegenteil zu kunstvollen
Filmformen gewertet werden, und erzeugt damit amüsante Anspielungen. So
spielt beispielsweise Inglorious Basterds (2010) direkt auf den NaziploitationFilm Inglorious Bastards (1978) an (vgl. Seeßlen, Georg (2010): 162) und Pulp
Fiction trägt im Filmnamen selbst eine Anspielung auf das Ordinäre des
Trashfilms
(Pulp fiction = dreckige Fiktion, im übertragenen Sinne:
Groschenliteratur). Die Vorliebe für Anspielungen auf nicht kunstvolle Formen
des Films ist wohl die prägnanteste Verweisform Tarantinos, die heute häufig
zur Begründung für seinen Kultstatus herangezogen wird. Der Einschlag der
French New Wave wird als kunstvoll und somit als Gegensatz zum Trash
gesehen. Vereint erzeugen die Filmformen eine eigenwillige Kombination, die
Kritiker zu sehr gespaltenen Meinungen über Tarantino bringen (Filmzeit:
2003).
Im Sinne der neoformalistisch-kognitiven Analyse ist dieser Aspekt besonders
interessant, da er auf die Geschichte des Films eingeht und traditionelle
Elemente aus deren Kontext reißt und so Verfremdung herbeiführt. Dies knüpft
direkt an das theoretische Konzept der Historischen Poetik des Kinos (s. 2.3)
und der Kognition (s. 2.2) nach Thompson und Bordwell an. Auch dass
Tarantino selbst immer wieder wechselnd große Rollen in seinen Filmen spielt
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(Cameo-Auftritt genannt), kann als Verweis auf große Regisseure der
Filmgeschichte wie Alfred Hitchcock oder Rainer Werner Fassbinder gewertet
werden. Es gelingt einem Regisseur so sich selbst in Szene zu setzen und
gleichzeitig ständig mit seinem Œure in Verbindung gebracht zu werden. Diese
Art von Eigenzitat steigert den Kult um die Person hinter dem Film.
Bereits nach der kurzen Filmografie von acht bekannteren Filmen, abgesehen
von einigen kleineren Produktionen, ist schon der ausgeprägte Hang zum
Eigenzitat in Tarantinos Filmen zu erkennen. So greift er gern auch auf die
gleichen Schauspieler in verschiedenen Filmen zurück und schafft in dieser
Hinsicht einen Wiedererkennungswert für den Zuschauer. Auch für den
Regisseur hat die Wiederverwendung von Schauspielern Vorteile, da „diese
Leute […] die Welt [verstehen], in der man lebt, sie verstehen, was man sagt,
sie verstehen die Arbeitsmethode, nach der man vorgeht“ (Tarantino zit. nach
Mcgrath, Charles: 14.01.13). Uma Thurman sieht man beispielsweise in Pulp
Fiction als Mia und erkennt sie in Kill Bill als Beatrix Kiddo wieder.
Des Weiteren schafft Tarantino Querverbindungen zwischen seinen Filmen
durch mehrmalig verwendete Requisiten wie die eigens erdachte FastfoodMarke „Big Kahuna Burger“ oder die fiktive Zigarettenmarke „Red apple
Cigarettes“ (vgl. Pulp Fiction Fanpage: o.J.). Auch das Wiederverwenden von
Namen,
Orten,
Motiven
und
Gesprächsthemen
sind
charakteristische
Bestandteile von Tarantino-Filmen und erweckt den Eindruck, es bestehe ein
Zusammenhang zwischen ihnen. Beispiele hierfür sind das Motiv nackter Füße,
das „Mexican Stand-off“ oder der „Mcguffin“, ein Koffer dessen Inhalt die
Geschichte des Films vorantreibt (Tarantino-info: o.J. = 2012). Diese Art von
Wiedererkennungswert steigert das Wohlwollen eines Zuschauers, der bereits
Vorerfahrungen mit Tarantino-Filmen gemacht hat und ihm so vertraute
Elemente wiederentdecken kann. Diese vertrauten Elemente machen es dem
Zuschauer eher möglich, sich auf ihm unbekannte, verfremdende Elemente
einzulassen (s. 3.). Dieser Wiedererkennungswert bildet zugleich die Grundlage
des Kults. Ein Zuschauer, der bereits von Tarantino-Filmen überzeugt ist, wartet
förmlich auf für Tarantino charakteristische Filmelemente.
Der Autor hat diese Bachelorarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
3.1.2. Erzählstrukturen
Tarantinos Filme wie nach den Neoformalisten theoretisch in Fabel und Sujet
aufzuteilen (s. 2.1), ist insofern sinnvoll, als dass der Regisseur mittels der
Erzählstrukturen mit dem Zuschauer zu spielen vermag. Mit dem Begriff
Erzählstruktur
ist
die
Bedeutung
von
Szenen
und
das
Verhältnis
aufeinanderfolgender Szenen zueinander gemeint. Handlungsstränge spielen
dabei eine ebenso wichtige Rolle, wie das Verhältnis von filmischem Raum und
filmischer Zeit. Tarantino bedient sich bei Pulp Fiction einer achronologischen
Erzählweise nach dem Schema „answers first questions late“. Er vereint hier
drei verschiedene Handlungsstränge und springt
„virtuos zwischen verschiedenen Schauplätzen, Zeiten und
Handlungen hin und her, um endlich den Bogen zu schließen und die
losen
Handlungsstränge
zu
einem
großen
Ganzen
zusammenzufügen“ (Pulp Fiction Fanpage: o.J.)).
Hervorstechend ist seine Wertschätzung fürs Detail. Szenen können ohne
eine tragende Rolle zu spielen viel Platz im Film einnehmen. Meist sind
dies alltägliche Dialoge und Anekdoten, welche die Story nicht
vorantreiben und den Zuschauer dazu veranlassen, die eigentliche
Intention
des
Regisseurs
zu
hinterfragen.
Diese
„unökonomische
Erzählweise“ stellt eine weitere Abweichung zum Verständnis des
Filmemachens nach dem Mainstream-Kino dar.
Auch das romanartige Erzählen Tarantinos nach Kapiteln wie auch die
außergewöhnliche
Vorliebe
für
Pre-credit
sequences,
also
für
Einleitungsszenen, die vor der Einblendung des Titels gezeigt werden,
stellen unkonventionelle Techniken der Erzählung dar (vgl. Ehlers,
Christin: 6 f.). Diese Techniken genauer zu erläutern würde den Rahmen
dieser Arbeit sprengen. Im Allgemeinen präsentiert Tarantino dem
Zuschauer in seinen Filmen ein Sujet, das die mentale Konstruktion der
Fabel erschwert. Auch dies ist ein Aspekt, der das aufmerksame
Rezipieren des Publikums sicherstellt.
Der Autor hat diese Bachelorarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
3.1.3 ästhetische Gewaltdarstellung
Das wohl bekannteste Element in Tarantinos Filmen ist die exzessive
Darstellung von Gewalt. In jedem seiner Filme spielt Gewalt eine tragende
Rolle. Häufig sind exzessive Gewaltdarstellungen in Filmen umstritten, da ihnen
eine negative Wirkung zugesprochen wird. Bei Tarantino werden sie
mittlerweile als Kult gewertet.
Die Motive für Gewalt sind dabei gänzlich
unterschiedlicher Natur: Ob Rache, wie bei Kill Bill, Inglorious Basterds oder
Django Unchained, Gangstermentalität wie bei Pulp Fiction und Reservoir Dogs
oder psychische Krankheit wie bei Death Proof, nicht die Gründe für Gewalt
nehmen filmübergreifenden Raum ein, sondern die Darstellung der Gewalt
selbst.
Sind die Wege der Gewaltdarstellung bei Tarantino vielfältig, haftet die
comichafte Überzeichnung allerdings einer jeden an. Wenn Mr. Blonde in
Reservoir Dogs dem gefangenen Polizisten ein Ohr abschneidet, so ist diese
Szene so makaber blutrünstig, das mancher Zuschauer wohl den Kopf
wegdreht. Doch das Einbinden des Komischen in diese Szene – Mr. Blonde
spricht dem Polizisten
ins abgeschnittene Ohr und tanzt während der
gesamten Dauer der Folter um ihn herum – schafft einen Kontrast, , der den
Zuschauer die Gewalt aus einer „reflexiven Distanz“ heraus wahrnehmen lässt
(vgl.
Nitsche,
Lutz(2000):145).
Auch
die
aufmerksamkeitserregenden
Inszenierungen von Gewalt, wie der Schwertkampf zwischen Beatrix Kiddo und
O-Ren Ishii in Kill Bill Vol. 1 rücken eher die Ästhetik der Gewaltdarstellung in
den
Fokus
der
Betrachtung
als
die
Gewalt
selbst.
Die
moralische
Infragestellung solcher Gewaltdarstellungen, wird mit diesem ästhetischen
Aspekt mehr oder minder abgeschwächt: Gewalt wird als moralisch vertretbar
präsentiert, nicht nur, indem die Antagonisten zuletzt für ihre Verbrechen
bestraft werden, sondern auch, indem sich der filmische Akt der Gewalt in
seiner Ästhetik von der Realität entfernt. Tarantino versucht in seinen Filmen
nicht die Realität abzubilden, sondern die filmische Kunst auszureizen, was
bereits durch die Selbstreflexion seiner Filme zum Ausdruck kommt (s. 3.1.1).
Man kann diese übermäßig häufige Einbindung von Gewalt auch als Akt des
Protests werten: „Der Gang ins Kino kann vor diesem Hintergrund als
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Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
persönliches Statement gegen die Zumutungen der political correctness und
damit im weitesten Sinn für die Freiheit der (Film-) Kunst gelten […]“
(vgl.Nitsche, Lutz (2000): 146).
Neben der Auflösung von Genre- und Erzählkonventinonen überschreitet
Tarantino durch den komischen Kontext bei Gewaltdarstellungen die klassische
nach Aristoteles definierte Grenze von Komödie und Tragödie (vgl. Hoffstadt,
Christian/Nils Bothmann: 25.08.12). Er erzeugt dabei eine Schwierigkeit der
Verarbeitung des Rezipienten, der dem Geschehen mit gemischten Gefühlen
gegenübersitzt. Die Betonung der Ästhetik ermöglicht dem Rezipienten
moralische Absicherung des Genusses von Gewaltdarstellung. Das dadurch
gerechtfertigte Erheben in den Kultstatus der Gewaltdarstellungen bei Tarantino
macht das bedenkenlose Anschauen wiederum leichter. So kann der Kinogang
des Zuschauers nebenbei zu einem subtilen Ausdruck des Protests gegen
political correctness werden, welcher von der öffentlichen Debatte um
Gewaltdarstellungen noch verstärkt wird. Von dieser profitiert auch der
Regisseur selbst, der die Aufmerksamkeit durch Diskussionen auf sich lenkt.
3.2 Technische Stilmittel
Als zweiten Punkt der analytischen Betrachtung werden bei dieser Arbeit die
technischen Stilmittel betrachtet, die in engem Zusammenhang mit dem
narrativen Stil zu sehen sind, doch hier zur besseren Übersicht als einzelnes
Unterkapitel
behandelt
werden.
neoformalistisch-kognitiven
Im
Filmanalyse
direkten
spiegelt
Zusammenhang
sich
die
mit
der
Analyse
der
technischen Stilmittel in der Beschreibung von cues wider (s. 2.2.1). Zwar
können auch narrative Muster cues darstellen, da dieser Abschnitt sich jedoch
mit technischen Stilmitteln beschäftigt, wird im Weiteren davon ausgegangen,
dass sich der Begriff cues auf eben diese bezieht.
Verfremdungsprozesse, die bereits von den russischen Formalisten als
Grundlage der Kunst bestimmt wurden, sind an technischen Stilmitteln
besonders gut festzumachen. Der Zuschauer sucht aktiv nach cues im Film (s.
2.2.1). Wird mit diesen Cue-Gewohnheiten gebrochen, ist dies für den
Zuschauer kognitiv besonders anstrengend. In Tarantinos Filmen kommen
mehrere solche Cues-manipulations vor. Für die Analyse von Stilmitteln habe
Der Autor hat diese Bachelorarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
ich beispielhaft Kamera und Schnitt sowie Licht und Ton gewählt. Die Arbeit
kann lediglich einen Überblick über die Verwendung technischer Stilmittel
geben.
3.2.1 Konzepte von Raum und Zeit: Kamera und Schnitt
Um Verfremdungsprozesse zu definieren braucht es eine Norm, von der
abgewichen werden kann. Bordwell und Thompson definieren diese Norm als
Hollywood- oder Mainstream-Kino. Im Weiteren werde ich die typische
Kameraführung, Montage und den typischen Schnitt des Hollywoodkinos als
Vergleichsobjekt heranziehen.
Tarantino bedient sich in seinen Filmen einiger Kameraeinstellungen, die eher
ungewöhnlich anmuten, teilweise auf Filmemacher verweisen und mit der
Erwartungshaltung des Zuschauers spielen. Dazu zählen unter anderem
Plansequenzen und Kamerafahrten, also längere Aufnahmen ohne Schnitte.
Dieses Stilmittel appelliert an die Erwartungshaltung des Zuschauers und
erzeugt so eine Spannung. Es
dehnt die Filmzeit und verstärkt so das
Verlangen des Zuschauers nach einer Änderung der Einstellung, was seiner
Sehgewohnheit entspräche. Die Frage „Wie wird die Szene ausgehen?“ wird
immer dringlicher (vgl. Bordwell, David (1981): 151).Ein bekanntes Beispiel
hierfür ist die Autofahrt von Vincent und Jules auf dem Weg zu Brett in Pulp
Fiction. Die Szene treibt die Handlung des Films in keiner Weise voran und
erzeugt ob ihrer Langatmigkeit eine Spannung beim Zuschauer.
Die Kreisfahrt ist eine besondere Art der Plansequenz, derer sich Tarantino bei
Reservoir Dogs und Jackie Brown bedient hat. Er lehnt sich damit an das Werk
Brian De Palmas an, der die Kreisfahrt mit Filmen wie Blow out (1981) bekannt
machte (Crawford, Travis: 26.04.11). Diese Art der Kameraführung erzeugt eine
besondere Betonung, die den Zuschauer aufmerken lässt. Ist eine Figur der
Mittelpunkt einer Kreisfahrt, so bringt dies meist die Verwirrung dieser Figur
zum Ausdruck. In Jackie Brown nutzt Tarantino diese durch vorherige Filme
etablierte Schlussfolgerung, um den Zuschauer Jackies inszenierte Verwirrung
glaubhaft zu machen und lenkt ihn somit auf eine falsche Fährte.
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Eine Kameraeinstellung, die bereits als „tarantinoesk“ bezeichnet wird, ist der
Trunk shot. Dabei filmt die Kamera aus der Froschperspektive aus dem
Kofferraum eines Autos Figuren, die in den Kofferraum sehen. Meist folgt
darauf wie beim etablierten Schuss-Gegenschuss-Verfahren, die Aufsicht der
Kamera (Reverse trunk shot), die den Inhalt des Kofferraums zeigt und so die
Perspektive der der in den Kofferraum schauenden Figuren einnimmt. David
Bordwell betonte, dass diese Art der Kameraeinstellung die Erwartung des
Zuschauers steigen lasse, da dessen Schaulust durch den zunächst
vorenthaltenen Inhalt des Kofferraums gesteigert würde (vgl. Bordwell,
David/Kristin Thompson (2001): S.330). Da sich in Tarantinos Filmen der Inhalt
des Kofferraums fast immer als eine gefesselte Geisel herausstellt, wird die
Schaulust des Zuschauers befriedigt. Kill Bill und Reservoir Dogs sind hier nur
zwei Beispiele. In Death Proof bricht er bereits mit diesem selbst aufgestellten
cue und zeigt anstatt einer Geisel den Motor eines Autos. Der Corpse-Point-ofView, also eine Kameraeinstellung aus Sicht einer Leiche oder eines Opfers,
wird bei Tarantino ebensohäufig verwendet und hat ähnliche Folgen auf die
Erwartungshaltung des Zuschauers (vgl. Tarantino Info: o.J. =2012).
Als letzte Kameraeinstellung erläutere ich den von Tarantino häufig
angewendeten Top shot. Diese Einstellung suggeriert eine Beobachtung von
oben, die dem Zuschauer einen Überblick verschafft, den die Figur nicht hat.
Die Figur wirkt dadurch angreifbar. Somit erhebt die Einstellung den Zuschauer
über die Figur und vermittelt diesem ein Machtgefühl, ähnlich wie der auktoriale
Erzähler in der Literatur. Besonders in Kill Bill zieht sich diese Einstellung wie
ein roter Faden durch den Film (vgl. Tarantino Info: o.J=2012).
Der Filmschnitt ist ein Stilmittel, das insbesondere die Raum-Zeit-Kontinuität
bestimmt (s. 2.2.2). Er bildet gemeinsam mit der anschließenden Montage die
Grundlage für die Erzählstruktur des Films. Im Hollywoodkino sind
„Schnitte weder willkürlich noch selbstzweckhaft […],ihr Sinn [ist]
unmittelbar ersichtlich; so verschwinden sie aus dem Bewusstsein
der Rezipienten wie Punkte und Kommas zwischen den Worten
eines Textes“ (Beller,Hans (2000):6).
Wird der Filmschnitt jedoch als „selbstzweckhaft“, als separates Stilmittel
angesehen, so kann dies in bestimmten Fällen verfremdend wirken. Im
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folgenden Teil werde ich einige besondere von Tarantino genutzte Arten des
Schnitts vorstellen, die als selbstzweckhaft gewertet werden können. Die
Montage zu erläutern werde ich auslassen, da dies zu viele Parallelen zur
Erzählstruktur aufweisen würde, die bereits unter 3.2.1 erläutert wurden.
Es wird unterschieden zwischen innersequenziellen Schnitten und Transitionsschnitten, wobei ersteres einen Schnitt innerhalb einer Sequenz darstellt,
während letzteres den Übergang zwischen zwei Sequenzen meint(vgl. Beller,
Hans (2000): 3,16).
Bei innersequenziellen Schnitten spielt insbesondere die Einstellungslänge und
die räumliche Beziehung der verschiedenen Einstellungen zueinander eine
tragende Rolle. Die Plansequenz als stilistisches Mittel der extremen
Einstellungslänge bei Tarantino habe ich bereits unter Kameraeinstellungen
beschrieben. Sie kann auch als Beispiel für fehlenden innersequenziellen
Schnitt gewertet werden. Die 180° Grad-Regel bietet insbesondere eine
Vorlage für den Bruch mit der räumlichen Norm beim innersequenziellen Schnitt
(s. Abb.2).
Tarantinos Filme setzen jedoch eher beim Transitions-schnitt verfremdende
Elemente ein. So verwendet Tarantino bei Django Unchained harte Schnitte
(vgl. NDR.de: 25.02.13). Das bedeutet, er vollführt einen raum-zeitlichen
Sprung zwischen zwei Sequenzen, ohne formale Hilfsmittel wie Blenden zu
verwenden und ohne dass eine thematische Verbindung zwischen den
Sequenzen bestehen muss. Der Zuschauer wird auf diese Weise dazu
angeregt die beiden Sequenzen selbst in den Kontext des Filmes einzuordnen
und muss gezwungenermaßen mental die Fabel des Films erstellen (s. 2.1).
Der Jump cut ähnelt dem harten Schnitt: Auch hier findet ein raumzeitlicher
Sprung statt. Doch im Gegensatz zum harten Schnitt sind hier die Figuren aus
der vorherigen Sequenz zu sehen. Der Jump-cut dient zur Einsparung von Zeit
und wird als irritierende raum-zeitliche Diskontinuierlichkeit wahrgenommen. Zu
Beginn von Inglorious Basterds bedient sich Tarantino eines Jump cuts, der
umso irritierender wirkt, da zuvor eine Plansequenz die Filmzeit dehnt (vgl.
Meßner, Joachim (20.10.10).
Der Match cut wird häufig als künstlerisch wertvoll angesehen. Er beschreibt
den transsequenziellen Übergang mittels eines grafischen Gegenstandes oder
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einer Figur, der oder die sich in beiden Szenen ähnlich sind und in ähnlichen
Positionen befindet. Wie beim Jump cut kann so eine Zeiteinsparung, doch es
besteht ein direkter Zusammenhang zwischen beiden Szenen (vgl. Beller, Hans
(2000): 23-30). In Pulp Fiction ist ein Match cut zu sehen, als der junge Butch
die Golduhr seines Vaters überreicht bekommt und dann als erwachsener Mann
aufschreckt. Die gleiche Position der Figuren übermittelt dem Zuschauer, dass
es sich um die gleiche Person im gealterten Zustand handelt. Der Zuschauer
muss sich zunächst in filmischer Räumlichkeit und orientieren, was durch das
Wiederauftauchen von Butch erleichtert wird.
Tarantino schafft es durch unkonventionelle Kameraeinstellungen und Schnitte
die Spannung des Filmes zu erhöhen und in seiner Schaulust anzuregen.
Durch Brüche im Raum-Zeit-Kontinuum und Cues-manipulation regt er den
Zuschauer
zum
Nachdenken
an.
Zeitauslassungen
und
–dehnungen
erschweren die kognitive Konstruktion einer Fabel durch den Zuschauer..
3.2.2 Licht, Farbe und Ton: Dem Film Persönlichkeit
verleihen
Licht und Ton sind die wohl wichtigsten Faktoren, wenn es um die Atmosphäre
geht – ob im Leben oder im Film. Szenen, die im Normalstil ausgeleuchtet,
farbenfroh ausgestaltet und mit fröhlicher Musik unterlegt sind, erwecken beim
Zuschauer ein positives Gefühl ohne böse Vorahnung. Eine dunkle Szene mit
viel Schatten und aufreibender Musik ruft die Erinnerung an Horrorfilme wach
und erzeugt Spannung beziehungsweise böse Vorahnung. Ton und Licht sind
cues, die besonders die Emotionen des Zuschauers stark beeinflussen.
Beim Ton sticht in Tarantinos Filmen insbesondere die Musik hervor. Daher
werde ich mich im Folgenden beispielhaft auf die Musik konzentrieren und
andere Tonaspekte ausschließen. Tarantino selbst sagt über Musik im Film,
dass sie „die Persönlichkeit“ eines Films ausmache (vgl. Laverne, Lauren:
10.01.10). Vor dem Dreh von Django unchained nutzte Tarantino kaum Score
Music – also eigens für seine Filme komponierte Musik. Durch die Verwendung
von Source Music – also bereits in anderen Filmen verwendeten oder allseits
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bekannten Liedern – schafft er für den Zuschauer einen Wiedererkennungswert
und „zitiert“ so Situationen, die der Zuschauer mit der Musik verbindet.
Musik kann auch verfremden. Untermalt man wie auf YouTube anzuschauen
den Trailer von „The Shining“ von Stanley Kubrick mit fröhlicher Musik könnte
man meinen es handele sich um einen lustigen Familienfilm (vgl. Miller, Rob:
13.09.07). Dabei schafft Tarantino häufig einen kontrastreichen Mix von Szene
und Musik, die sich in ihrer Stimmung konträr gegenüberstehen. So wird eine
äußerst brutale Folterszene in Reservoir Dogs mit dem fröhlichen Rocksong
„Stuck in the middle“ von Stealers Wheel unterlegt. Das passt nicht zu den
Sehgewohnheiten des Zuschauers, so dass dieser nicht weiß, ob er sich auf die
fröhliche Musik einlassen darf, oder die Szene mit Ekel verbinden soll. Sie
erlangt eine Vielschichtigkeit. Auch die Hip-Hopmusik in Django unchained stellt
einen Kontrast zur westerngeprägten Geschichte dar. Der Film wird mittels der
Musik aus seiner Südstaatenszenerie gerissen und bringt den Zuschauer so
zum Reflektieren (vgl. Mcgrath, Charles: 13.01.13).
Des Weiteren spielt die Musik auch in der Handlung eine Rolle. Mehrmals
schalten Tarantinos Figuren das Radio, den Plattenspieler oder – wie bei Death
Proof – die Jukebox an. Die Musik wird so zum Teil der Handlung und lenkt
gezielt die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf sich. Dies fördert im Gegensatz
zum kontrastreichen Mixen von Szene und Musik die Diegese, da der
Zuschauer die Reaktionen der Figur auf die Musik als logischen Teil der
Handlung versteht.
Einen besonderen Raum nimmt die Musik der Eröffnungsszene ein, da diese
dem Zuschauer den ersten Eindruck über den Film verschafft. Sie bietet die
Chance die Aufmerksamkeit des Zuschauers sofort zu fesseln, birgt aber auch
das Risiko diese sofort zu verlieren.
Auch Tarantino erklärte, die
Eröffnungsszene erwecke den Film für das Publikum zum Leben. Daher lege er
immer so viel Wert auf die Musik dieser Szene, dass er sie bereits vor dem
Schreiben des Drehbuchs heraussuche (vgl.Laverne, Lauren: 10.01.10). Die
Musik der Eröffnungsszene spiegelt daher in Tarantinos Filmen die Stimmung
des gesamten Films wider. In Pulp Fiction wird beispielsweise „Misirlou“ von
Dick Dale & His Del-Tones nach der Pre-credit sequence eingespielt. Tarantino
Der Autor hat diese Bachelorarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
selbst sagte über die Auswahl des Titels er habe nach einem „Rock’n’Roll,
Spaghetti-Western, Blaxploitation-vibe“ gesucht (ebd.). Bei Kill Bill deutet sich
schon durch Bang Bang von Nancy Sinatra die Tragik hinter dem
actiongeladenen Film an. Durch eine eher actiongeladene Musik hätte
Tarantino in diesem Kontext wohl kaum ein Aufmerken des Zuschauers
erreicht.
Licht und Farbe sind die anderen wichtigen Faktoren, wenn es um die
Atmosphäre im Film geht. Über Licht als besonders herausragendes Stilmittel
ist bei Tarantino nicht viel bekannt, wohl aber über Farbaspekte in seinen
Filmen, auf die ich mich im folgenden Absatz beziehen werde.
Tarantino greift wiederholt zu Schwarz-weiß Sequenzen in seinen Filmen. So in
beiden Pre-credit sequences von Kill Bill I und II, wie auch bei Death Proof im
ersten Teil der zweiten Szene. Auch der Hintergrund während der Taxifahrt in
Pulp Fiction ist in Schwarz-weiß gehalten. Er gibt dem Zuschauer hier ein
Rätsel auf. Besonders in Death Proof geht aus der Handlung nicht schlüssig
hervor, wieso Tarantino die Szene in schwarz-weiß gedreht hat. Handelt es sich
um einen weiteren Genreverweis, wie so häufig bei Tarantino? Will der
Regisseur auf eine narrative Entwicklung hinweisen? Aus der neoformalistischkognitiven Perspektive sind solche Vermutungen bedeutend, da beim
Zuschauer in einer solchen Situation kognitive Verfahren wie das Bottom-up
Modell zum Einsatz kommen, bei dem er per Ausschlussverfahren zu ermitteln
versucht, wie sich ein Element in bereits bekannte Schemata einordnen lässt
(s.2.2). Das Verfremdungselement vermag den Rezipienten in seinen
Sehgewohnheiten zu verwirren.
Auch das unnatürlich rote Blut, das vor allem in Kill Bill zusehen ist, bringt die
Farbkonventionen
des
Films
durcheinander.
Durch
die
unnatürliche
Farbgebung verlieren die Gewalt und das Töten an Realität (s.3.1.3). Es scheint
gar comichaft, eine Ästhetik, die durch die einzelne Comicszene in Kill Bill I
noch verstärkt wird. Der Zuschauer muss sich wohl zunächst über die
Farbgebung
wundern
und
diese
womöglich
als
comichaftes
Element
identifizieren.
Der Autor hat diese Bachelorarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
Licht, Farbe und Ton sind die Elemente eines Films, über die sich Emotionen
am besten transportieren lassen. Auch hier arbeitet Tarantino wieder mit
Verfremdungsmechanismen und Stilzitaten, die für die neoformalistischkognitive Filmanalyse von zentraler Bedeutung sind. Musik, ob im Kontrast zur
Szene eingesetzt oder direkt als Handlungsbestandteil, ist bei Tarantino
bestimmendes Bestandteil seiner Filme. Besonders hervorstechend ist hier
jedoch auch, wie kritikanfällig die Analysemethode nach Bordwell und
Thompson ist: es fehlt der kaum realisierbare empirische Beweis, der kognitive
Vorgänge von Zuschauern beim Filmeschauen bestätigt. Vielleicht sorgen
Verfremdungselemente bei einem Großteil des Publikums nicht für gezielte
Aufmerksamkeit, sondern werden eher am Rande wahrgenommen und als
„künstlerische Spielerei“ abgetan?
4.Fazit
Die neoformalistisch-kognitive Filmanalyse als Methode für diese Arbeit
auszuwählen
war
im
Nachhinein
ein interessanter,
wenn auch
sehr
arbeitsaufwändiger und unübersichtlicher Weg, sich der Frage um den Erfolg
der Tarantino-Filme zu nähern. Nicht alle Konzepte der Analysemethode lassen
sich auf jeden Film übertragen, es lässt sich keine methodische Liste von
Konzepten abarbeiten. Vielmehr muss die Methode als veränderliche
gedankliche
Analyserichtung
gesehen
werden.
Die
Konzepte
von
Einzelwerkanalyse, Kognitionsvorstellungen und Historischer Poetik des Kinos
dienen als Leitfäden. Als operative Oberbegriffe kann man die Abweichung von
beziehungsweise Verfremdung der Norm sowie den Rückgriff auf die
Filmgeschichte werten wobei cues, Stilzitate und Konzepte von Raum und Zeit
als genaue spezifische Analysewerkzeuge gesehen werden können.
Auf Tarantinos Filme bezogen lässt sich die analytische Leitrichtung gut
anwenden. Besonders auffällig ist die häufige Nutzung von Stilzitaten, die mit
dem Konzept der Historischen Poetik des Kinos einhergeht. Ob direkte
Erwähnung, ob ästhetisches Merkmal, ob musik-, kamera-, schnitt-, oder
erzählspezifische Anspielung: In allen seinen Filmen spielt Tarantino auf
bestimmte Abschnitte der Filmgeschichte an und lässt sie in einem neuen
Kontext auferstehen. So erlangt er nach dem neoformalistisch-kognitiven
Der Autor hat diese Bachelorarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
Analyseansatz die Aufmerksamkeit des Zuschauers, der alte Konzepte neu
ordnen muss.
Was die Abweichung von der Norm des Mainstream- oder Hollywoodkinos
angeht, so war dies besonders gut an folgenden cues festzumachen:
Erzählstrukturen, an der Kameraführung und den Schnittverfahren, sowie dem
Einsatz von Musik und Verwendung von Farbe. Als besonderen inhaltlichen
Punkt habe ich außerdem die Ästhetik von Gewaltdarstellungen aufgegriffen, da
diese besonders stark mit Tarantinos Filmen verbunden wird. Immer wieder
nutzt er Kontraste, raumzeitliche Sprünge oder Überzeichnung, um mit den
Normen des Filmemachens im Hollywoodkino zu brechen und den Rezipienten
aufmerken zu lassen, oder ihn gar in Verwirrung zu bringen. Mit diesem Spiel
der Konventionen spricht er nach dem neoformalistisch-kognitiven Ansatz die
kognitiven Fähigkeiten des Rezipienten besonders stark an, welcher durch
einordnen, erinnern, bottom-up und top-down Prozesse sowie das erschwerte
Konstruieren einer mentalen Fabel aus dem Sujet den Filmen Tarantinos seine
Aufmerksamkeit schenkt.
Tarantinos Erfolg lässt sich demnach auf neoformalistisch-kognitive Weise im
Ansatz erklären, genauere Forschungen könnten hier noch mehr Gewissheit
schaffen. Da er jedoch bereits für seinen außergewöhnlichen Stil bekannt ist,
bleibt abzuwarten, ob sich dieser für Rezipienten, die Tarantino-Filme bereits
kennen, als Teil filmspezifischer Norm etabliert. Selbstreflexionen mögen ein
Weg
sein
besonders
Tarantino
zugeneigte
Rezipienten
mittels
des
Wiedererkennungswerts weiterhin zu binden, doch das breite Publikum durch
Normbrechung
und
Neuerschaffung
von
Erzählweisen
fortwährend
anzusprechen, erfordert das Brechen mit der selbstgeschaffenen Norm.
Vielleicht ist dies ein Grund dafür, dass Tarantino in seiner 20 jährigen
Regisseurslaufbahn bloß acht Filme drehte. Er selbst meint hierzu, er wolle sein
„Universum“ nicht durch unpassende Filme entwürdigen und dass es
irgendwann Zeit sein müsse, aufzuhören bevor man beginnt Fehler zu machen
(stern online: 15.11.12). Vermutlich da eine bestimmte Art und Weise Filme zu
machen auf Dauer nicht mehr neu und aufregend für das Publikum ist, sondern
Norm.
Der Autor hat diese Bachelorarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
Letztlich stellt sich außerdem die Frage, inwiefern, insbesondere auf die
kognitiven Konzepte der neoformalistisch-kognitiven Analyse, Verlass ist. Die
kulturellen Unterschiede zwischen Rezipienten spielen hier beispielsweise
kaum eine Rolle. Auch geht der Rezipient nach diesem Ansatz mit seinem
Wissen an Filme heran, doch geschieht dies geschieht dies hauptsächlich mit
einem Fokus auf rationale Prozesse, emotionale Vorgänge werden nur marginal
mit einbezogen. Der empirische Beweis für Kognitionsprozesse des Zuschauers
ist kaum zu erbringen und so stützt sich der neoformalistisch-kognitive Ansatz
an sich, wie auch diese Hausarbeit auf nicht empirisch getestete Vermutungen.
Interessant wäre es zukünftig Ergebnisse anderer Analysen, wie der
Autorenfilmanalyse oder der Genreanalyse mit den Ergebnissen dieser
Hausarbeit zu vergleichen. Höchstwahrscheinlich bringt der neoformalistischkognitive Ansatz nur eine teilweise Erklärung für Tarantinos Erfolg. Für eine
umfassende
Erklärung
wäre
das
Heranziehen
mehrerer
anderer
Betrachtungswinkel äußerst fruchtbar.
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Der Autor hat diese Bachelorarbeit StuZ MuK zur Verfügung gestellt.
Sie ist nicht Teil der Veröffentlichung, sondern eine unveränderte Originalquelle, die von StuZ MuK archiviert wird.
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6. Filmverzeichnis
Death Proof (Death Proof – Todsicher) USA 2007, Quentin Tarantino, 109 min.
Django Unchained USA 2012, Quentin Tarantino, 165 min.
Inglorious Basterds USA 2009, Quentin Tarantino, 154 min.
Jackie Brown USA 1997, Quentin Tarantino, 154 min.
Kill Bill Vol.1 USA 2003, Quentin Tarantino, 106 min.
Kill Bill Vol.2 USA 2004, Quentin Tarantino, 131 min.
Pulp Fiction USA 1994, Quentin Tarantino, 154 min.
Reservoir Dogs USA 2007, Quentin Tarantino, 109 min.
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7.Anhang
Abbildung 1: kognitive Filmtheorie - Modell
Quelle: http://www.uni-saarland.de/media/fak5/orga/PDFs/materialien/Filmtheorien_Reader.pdf
Abbildung 2 : Die 180°-Regel
Quelle: Beller, Hans (2000): 4
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