Die Brombeere Rubus fruticosus agg. L. - Christian
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Die Brombeere Rubus fruticosus agg. L. - Christian
Die Brombeere Birgit Classen Geschichte mutlich vom althochdeutschen Wort »bramo-beri« für Dornbeere ab. Theophrast (371–287 v. Chr.), Dioskurides ne Fiederblatt ist eiförmig, bis 7 cm lang Botanik und besitzt einen gesägten Rand. Die Blü- Die Brombeere (Rubus fruticosus agg. L.) und stehen in reichblütigen, rispigen Inflo- ten sind meist weiß, seltener rosa, zwittrig (1. Jh. n. Chr.) und Galen (129–199) erwähnt. Leonardo da Vinci verewigte die nur schwach behaart sind und schmal linealische Nebenblätter besitzen. Das einzel- Die Brombeere war bereits im Altertum als Heilpflanze bekannt und wurde u.a. von ter, welche oberseits grün, unterseits meist Pflanze in einer Rötelstudie (Abb. 1), und gehört zur Familie der Rosaceae. Der bis zu reszenzen (Trugdolden). Nach der Befruch- sie findet sich auch in den reich bebilderten 3 m hohe, sommer- bis immergrüne tung entwickeln sich die glänzend schwar- Kräuterbüchern des 16. und 17. Jahrhun- Strauch hat stachelige Sprosse und wird zu zen Sammel-Steinfrüchte. derts, z.B. bei Leonhart Fuchs (Abb. 2) und den Spreizklimmern gezählt. Diese Kletter- im deutschen, 1610 in Frankfurt gedruck- pflanzen durchwachsen vorhandenes Ge- Die bei Brombeeren vorkommende große ten »Dioscorid« (Abb. 3). Die dortigen An- äst; das Zurückrutschen wird im Falle der Formenvielfalt erklärt sich aus der Neigung gaben deuten bereits auf ihre Verwendung Brombeere durch die Stacheln verhindert, zur Bastardisierung, wobei z.T. stabile Hy- aufgrund hin: die gleichartig bis stark ungleich, kanten- bride entstehen können, deren Samen sich »Brombeer, zu Latein Rubus, ist gemeinlich ständig oder über die Flächen des Sprosses auch ohne vorherige Befruchtung ausbil- jedermann wolbekannt / hat eine Krafft … zerstreut sein können. Die Pflanze besitzt den (= Apomixis). Daneben führt auch ve- zusammen zu ziehen ... Die Brüh … stopffet drei- bis fünfzählige, gelegentlich bis sie- getative Vermehrung über Ausläufer oder den Stulgang.« Der Name leitet sich ver- benzählige gefingerte bzw. gefiederte Blät- Absenker zur Ausbreitung von Klonen. Die ihres Gerbstoffgehaltes PORTRÄT EINER ARZNEIPFLANZE © naturganznah.de Rubus fruticosus agg. L. Autoren-PDF vielen schwer unterscheidbaren Arten (sog. »Kleinarten«) werden nomenklato- ZUSAMMENFASSUNG risch als Sammelart unverbindlich zu ei- Die Brombeere (Rubus fruticosus agg. L., Rosaceae) ist ein immergrüner Strauch mit stacheligen Sprossen. Die glänzend schwarzen Sammel-Steinfrüchte sind vitaminund mineralreich. Die Brombeere ist seit dem Altertum als Heilpflanze bekannt und wurde schon im 16. Jahrhundert aufgrund ihrer zusammenziehenden und stopfenden Wirkung geschätzt. Pharmazeutisch angewendet wird die Blattdroge, die Gerbstoffe (Gallotannine und dimere Ellagitannine), organische Säuren, Flavonoide und Triterpensäuren enthält. Nach DAC gelten unspezifische, akute Durchfallerkrankungen sowie leichte Schleimhautentzündungen als Indikationen für die Einnahme eines Teeaufgusses aus Brombeerblättern. nem Aggregat (agg.) vereinigt. Die Brombeere ist in den gemäßigten Zonen Eurasiens und Nordamerikas beheimatet. Die Pflanzen bevorzugen sonnige bis halbschattige Lagen, beispielsweise lichte Wälder oder deren Ränder, mit kalkund stickstoffreichen Böden. Schlüsselwörter Brombeere, Rubus fruticosus, Rosaceae, Gerbstoffe, Mikroskopie, Dünnschichtchromatographie Classen B: Rubus fruticosus agg. L. – Die Brombeere Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29: 47– 50. 47 D I E B RO M B E E R E Monographien für Brombeerblätter Ältere Monographien für Brombeerblätter finden sich im Ergänzungsband zum Deutschen Arzneibuch, 6. Ausgabe sowie in der Ph.Helv. V. Aktuellere Monographien sind die der Kommission E von 1990 sowie die des Deutschen Arzneimittel-Codex 2003. PORTRÄT EINER ARZNEIPFLANZE Nach DAC besteht die Droge »Rubi fruticosi folium« aus den während der Blütezeit gesammelten, getrockneten, ganzen oder geschnittenen Laubblättern. Die weichen, viereckigen Blattstückchen der Schnittdroge sind auf der Unterseite behaart, wobei derbe, bis 1,1 mm lange Borstenhaare und kürzere zwei- bis neunstrahlige Büschelhaare vorkommen. Am Mittelnerv finden sich feine weißliche Stacheln. An dickeren Blattstielstückchen sind die Stacheln deutlicher. Vereinzelt können Sprossteile mit kräftigen, leicht zurückgebogenen Stacheln sowie Blütenteile vorkommen. Charakteristisch sind außerdem Drüsenhaare KASTEN 1 Die kultivierte Brombeere, an deren Entstehung wenigstens 16 verschiedene RubusArten beteiligt sind, existiert erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts. Im Rahmen von Züchtungen zur Fruchtproduktion sind zahlreiche Sorten entstanden, u.a.: »Black Satin«: stachellos mit großen, zylinderförmigen, schwarzen Früchten. »Chester Thornless«: die winterhärteste stachellose Sorte mit hohen Erträgen. »Loch Ness«: stachellos mit großen, länglich konischen Früchten, süßlicher, aromatischer Geschmack, ertragreich. »Thornfree«: stachellose Hauptsorte des Erwerbsanbaus, große, tiefschwarze, glänzende Beeren, Geschmack leicht herb und säuerlich. »Theodor Reimers«: aktuelle Hauptsorte des Erwerbsanbaus mit Stacheln, stark wachsend mit hohen Erträgen und hoher Qualität. Daneben gibt es auch Kreuzungen zwischen Brom- und Himbeere, z.B.: Loganbeere: fein bestachelt mit großen, länglichen, intensiv roten, sauren Früchten, sehr frostempfindlich. Taybeere: strauchartiger Wuchs, ziemlich frosthart, Früchte mittelgroß, orangerot, mit gutem Geschmack. Boysenbeere: Züchtung aus Brombeere und Loganbeere, anspruchslos, nicht sehr frosthart, mit großen, dunkelroten Früchten mit gutem Aroma. Inhaltsstoffe der Blätter und auch pentazyklische Triterpensäuren mit mehrzelligem Stiel und mehrzelligem, (11, 14, 16). dunkel gefärbten Köpfchen und Idiobla- Brombeerblätter enthalten 8 (–14?) % sten des Palisadenparenchyms, welche bis hydrolysierbare Gerbstoffe (= Gallotanni- 30 μm große Oxalatdrusen enthalten (Abb. ne) (9) sowie dimere Ellagitannine (5, 8). 4–6). Die Prüfung auf Identität erfolgt nach Nach DAC muss die Droge mindestens 4,0 % DAC neben der Mikroskopie mittels Dünn- fällbare Gerbstoffe, berechnet als Pyrogal- Brombeerfrüchte sind reich an Vitaminen A, schichtchromatographie eines methanoli- lol, besitzen. Des Weiteren finden sich C und solchen des B-Komplexes; der Vita- Pflanzensäuren, u.a. Zitronensäure und min-C-Gehalt verschiedener Sorten liegt Isozitronensäure (17) sowie Flavonoide, zwischen 14–18 mg/100 g frischer Früchte vor allem Quercetin und Kaempferol (4), (12). Unter den Carotinoiden überwiegt Lu- Abb. 2: Die Brombeere im »New Kreüterbuch« (1543) von Leonhart Fuchs Abb. 3: Die Brombeere aus dem deutschen »Dioscorid« (1610) Autoren-PDF schen Extrakts (Abb. 7). Inhaltsstoffe der Früchte Abb. 1: Studie eines Brombeerstrauchs, Rötel; Leonardo da Vinci (1452–1519) 48 Classen B: Rubus fruticosus agg. L. – Die Brombeere Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29: 47– 50. Abb. 4: Querschnitte durch das Brombeerblatt. a) Querschnitt durch die Mittelrippe mit Stachel auf der Unterseite b) Querschnitt durch die Mittelrippe mit Drüsenhaar auf der Oberseite c) Querschnitt durch die Blattspreite PORTRÄT EINER ARZNEIPFLANZE D I E B RO M B E E R E Autoren-PDF Abb. 5: Idioblasten mit Calciumoxalat-Drusen im Brombeerblatt. a) Querschnitt durch den oberen Teil der Blattspreite mit Druse b) Querschnitt durch das Palisadenparenchym der Blattspreite mit Druse c) Aufsicht auf die Blattoberseite. Druse im Idioblast innerhalb des Palisadenparenchyms, dunkle Linien der Epidermis in darüberliegender Fokusebene Abb. 6: Haare und Spaltöffnungen der Unterseite des Brombeerblattes, aufgehellt mit Chloralhydrat. a) einzelliges Borstenhaar, anomocytische Spaltöffnung, dreistrahliges Büschelhaar b) verholzte Basis des Borstenhaares, Färbung Phloroglucin/HCl c) Büschelhaare Classen B: Rubus fruticosus agg. L. – Die Brombeere Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29: 47– 50. 49 D I E B RO M B E E R E gossen und nach 10 Min. durch ein Sieb ge- Front geben. Kaffeesäure Brombeerblätter fanden und finden Verwendung als Haus- oder Frühstückstee. Bereits 1889 wurde »Pfarrer Kneipps Familiengesundheitstee« auf den Markt ge- Hyperosid bracht, welcher nur aus Brombeerblättern bestand. Oftmals wird auch die fermentier- PORTRÄT EINER ARZNEIPFLANZE Start 1 2 3 1 Abb. 7: DC von Brombeerblättern nach DAC. Glasplatte mit Kieselgel 60F254, Fließmittel Ethylacetat, Wasser, Ameisensäure, Laufstrecke 10 cm, Detektion Diphenylboryloxyethylamin, Auswertung unter UV365 1) Referenzlösung (10 μl) 2) Brombeerblätter (20 μl) 3) Himbeerblätter (20 μl) te Droge verwendet. Die Blätter nehmen dabei einen dem schwarzen Tee ähnlichen Geschmack sowie eine schwärzliche Färbung an und dienten u.a. im Ersten Weltkrieg als Ersatz für schwarzen Tee (7). Im Deutschen Kräutertee (Species germanicae, Ergänzungsband zum DAB 6) werden Brombeerblätter zusammen mit Himbeerblättern und Waldmeisterkraut als leicht stopfender Magentee eingesetzt. Schon die tein, gefolgt von β-Cryptoxanthin und Zea- Römer zerkauten die jungen Blätter der xanthin (10). Ferner sind sie mineralreich Brombeere, um das Zahnfleisch zu kräfti- (Phosphat, Kalium, Calcium, Magnesium so- gen (15). Diese Anwendung wurde in jüng- wie in geringeren Mengen Natrium, Eisen, ster Zeit im Rahmen einer Patentanmel- Mangan und Zink) (13) und enthalten Pflan- dung für eine brombeerhaltige Zahnpasta zensäuren (z.B. Äpfel-, Malon-, Bernstein-, (1) wieder aufgenommen. Oxal- und Milchsäure). Unter den vorhandenen Anthocyanen (60–150 mg/ 100 g frische Von einzelnen Autoren vorgeschlagene An- Früchte [12, 13]) dominiert Cyanidin-3-Glu- wendungen als leichtes Antidiabetikum (2) kosid (ca. 90 %) (3). Auch aufgrund ihres Ge- bzw. als Anti-Aging-Mittel (6) erscheinen haltes an Polyphenolen (300–600 mg, be- dagegen fragwürdig. rechnet als Gallussäure/ 100 g frische Früchte [13]) wurden für die Früchte in vitro anti- Wurzeldroge oxidative Aktivitäten nachgewiesen (3, 12). Die Monographie »Rubi fruticosi radix (Brombeerwurzel)« mit dem beanspruch- Verwendung ten Anwendungsgebiet »Vorbeugungsmittel gegen Wassersucht« wurde von der Kommission E negativ bewertet. Aufgrund des Gerbstoffgehaltes ist ein Ein- Autoren-PDF satz von Brombeerblättern als Adstringens 50 und Antidiarrhoikum möglich. Sowohl Danksagung Kommission E als auch der Deutsche Arz- Mein herzlicher Dank gilt Frau F. Rodde für die Durchführung der Dünnschichtchromatographie sowie Herrn A. Bossy für die Fotographie der mikroskopischen Präparate. neimittel-Codex nennen als Indikationen für den Teeaufguss aus Brombeerblättern unspezifische akute Durchfallerkrankungen sowie leichte Schleimhautentzündungen im Mund- und Rachenraum. Nach DAC den 2 TL fein geschnittene Droge (ca. 1,5 g) Priv.-Doz. Dr. Birgit Classen Pharmazeutisches Institut Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Gutenbergstr. 76 24118 Kiel mit einer Tasse kochendem Wasser über- [email protected] wird zur Therapie dreimal täglich eine Tasse Teeaufguss getrunken bzw. mit dem lauwarmen Teeaufguss gegurgelt; dazu wer- Classen B: Rubus fruticosus agg. L. – Die Brombeere Zeitschrift für Phytotherapie 2008; 29: 47– 50. LITERATUR 1 [anonymous]: Anticaries toothpaste containing Rubus fruticosus for treating and cleaning teeth and/or gums. Eur. Pat. Appl. (2006). 2 Alonso R, Cadavid I, Calleja JM: A preliminary study of hypoglycemic activity of Rubus fruticosus. 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