``Eine Ohrfeige für die Mafia`` Der Mut, einfach Addio zu

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``Eine Ohrfeige für die Mafia`` Der Mut, einfach Addio zu
''Eine Ohrfeige für die Mafia'' Der Mut, einfach Addio zu sagen - Panor...
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Ressort: Panorama
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Datum und Zeit: 04.06.2006 - 12:49
02.06.2006
19:12 Uhr
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"Eine Ohrfeige für die Mafia"
Der Mut, einfach Addio zu sagen
In Palermo sind es schon 100: Sizilianische Geschäftsleute haben
angefangen, der Mafia die Zahlung von Schutzgeld zu verweigern.
Von Stefan Ulrich
Vor ein paar Wochen funktionierte die Klingel
in Maurizio Varas kleinem Hotel nicht mehr.
Der 37 Jahre alte Besitzer ging auf die
Straße und sah, dass die Sprechanlage mit
Klebstoff verschmiert war. Ein Bubenstück?
Keineswegs.
Berüchtigtes Dorf Corleone: Die
Organisation "Addiopizzo" stellt
sich gegen die
Schutzgelderpressung durch die
Mafia.
Foto: Reuters
Vara erschauerte. Er wusste, wie jeder
Sizilianer, was dieses Signal bedeutet: einen
Mahnbescheid des Schattenstaates, die
Steuern zu zahlen.
Der Schattenstaat, das ist die Mafia, und ihre
Steuer der „Pizzo“, das Schutzgeld, das sie
von Siziliens Geschäftsleuten verlangt.
Bleiben die Mahnbescheide erfolglos, wird vollstreckt, mit
Brandanschlägen oder Schlimmerem. Doch Maurizio Vara hat sich
geschworen: „Ich zahle nicht mehr.“ Ein Geschäftsmann, der sich
erpressen lasse, verliere seine Freiheit, sagt er mit düsterem Blick. „Das
musste ich selbst erleben.“
"Wir geben der Mafia eine Ohrfeige"
Der füllige Mann mit der leisen Stimme wirkt nicht gerade wie ein Rebell,
wie er hantiert im blitzblanken Frühstücksraum seines Hotels in Palermos
Zentrum. Doch er ist einer. Er gehört zu einer Gruppe von
Geschäftsleuten, die der Mafia in aller Öffentlichkeit die Stirn bieten.
Mitten in der Altstadt Palermos sagen 100Reisebüros und
Kleidergeschäfte, Bars, Pensionen, Buchläden, Biomärkte, Bäckereien und
Sportclubs auf einmal: Addio Pizzo. Die Namen der Betriebe stehen im
Internet und auf einem Faltblatt.
Vor kurzem wurden sie auf einer Piazza in Palermo gefeiert. „Wir geben
der Mafia eine Ohrfeige“, stand auf einer Banderole. Und die
Geschäftsleute verkündeten den staunenden Bürgern: „Wir zahlen kein
Schutzgeld mehr.“
Für die Cosa Nostra ein unerhörter Akt. Denn so wird ihre Hoheit über das
Territorium offen herausgefordert. Das ist für jeden Staat gefährlich, und
besonders für einen Schattenstaat, der auf Einschüchterung und
Unterwerfung baut. „Bis jetzt schaut die Mafia noch zu und beobachtet
uns“, sagt Enrico Colajanni, der bei seinem Freund im Hotel vorbeischaut.
„Doch wenn wir noch stärker werden, dann schlägt sie zu.“ Colajanni liegt
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der Widerstand im Blut. Sein Vater Pompeo war ein Partisanenführer
während der Nazi-Besatzung Italiens. Der Sohn, ein 55Jahre alter Mann
mit Schnurrbart und verwegenem Blick, kämpft nun gegen andere
Okkupatoren.
Konsum als Waffe
Er gehört zu den Organisatoren der Bewegung „Addiopizzo“. „Wir wollten
nicht nur gegen die Mafia protestieren“, sagt er, „sondern auch etwas
Konkretes tun.“ Dabei hätten sie die Idee verworfen, Unternehmen zu
boykottieren, die Schutzgeld gewähren. Lieber wollten sie jene
unterstützen, die den Mut aufbringen, keinen Pizzo zu zahlen. „Die beste
Waffe der Bürger ist der Konsum“, sagt Colajanni. Mehr als 7000
Palermitaner hätten sich bereits verpflichtet, bei Addiopizzo-Betrieben
einzukaufen.
Von der Politik können die Rebellen keine große Hilfe erwarten. Siziliens
Regionalpräsident Salvatore Cuffaro bestreitet, dass die meisten
Geschäftsleute Pizzo zahlen. Wer das behaupte, gefährde das Image der
Insel. Gerade wurde Cuffaro bei der Regionalwahl bestätigt. In Sachen
Pizzo aber ist er kein glaubwürdiger Zeuge. Schließlich steht er in Palermo
wegen Begünstigung der Mafia vor Gericht.
Der Leiter der nationalen Anti-Mafia-Staatsanwaltschaft, Pietro Grasso,
schätzt, 70 bis 80Prozent der Geschäftsleute Siziliens zahlten Schutzgeld.
Mit fatalen Folgen. „Die guten Unternehmer gehen weg“, sagt Colajanni.
„Andere investieren nicht mehr oder beugen sich der Mafia und verlieren
alles.“
Aus dieser Misere ist Addiopizzo entstanden: An einem Junimorgen vor
zwei Jahren klebten an Hauswänden, Türen und Ampeln Palermos plötzlich
Hunderte weiße Zettel mit schwarzem Trauerrand. „Ein ganzes Volk, das
Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde“, stand darauf. Der
Polizeipräfekt berief eine Sondersitzung ein, und die ganze Stadt rätselte
über die Urheber. Schon bald traten sie an die Öffentlichkeit: Es waren
sieben junge Leute, die nach dem Studium eine Bar aufmachen wollten
und auf das Pizzo-Problem stießen. Da beschlossen sie, „ein kleines und
zerbrechliches Zeichen des Widerstands“ zu setzen.
Maurizio Vara hat diese Rebellion aufmerksam verfolgt. Schließlich musste
er sich angesprochen fühlen. Er selbst hatte einst den Pizzo bezahlt und
sich so in einen „teuflischen Schlund begeben, der nicht nur mein ganzes
Leben, sondern auch meine Moral verschlang“. Vara hatte bei Palermo
einen Metallbetrieb aufgebaut.
Noch während das Gelände eingezäunt wurde, sprach die Mafia vor. Vara
zahlte, doch die Verbrecher wollten mehr. Sie zwangen ihn, bestimmte
Arbeiter einzustellen und mischten sich in die Geschäfte. „Ich fühlte mich
nicht mehr wie der Herr im eigenen Haus, war allein, hatte Angst,
gehorchte und habe ihren Hunger so nur noch vergrößert.“ Einmal
versuchte er symbolischen Widerstand und zahlte den Pizzo in
1000-Lire-Scheinen. „Da wurden sie sehr wütend.“
"Wir müssen die Augen weit offen halten"
Der Konflikt eskalierte. Die Gangster zündeten sein Büro an und
versuchten, ihn zu entführen. Vara rettete sich mit einem Sprung aus
einem fahrenden Auto, schickte seine Familie nach Norditalien und
verbarrikadierte sich im Haus. Dann trieb ihn der Mut der Verzweiflung zur
Polizei. Erst als seine Peiniger im Gefängnis saßen, fühlte er sich sicherer.
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Seine von der Mafia ausgesaugte Firma aber musste er zum Spottpreis
verkaufen. Mit dem kleinen Hotel fängt er nun von vorne an.
„Amarcord“, heißt das Haus, nach einem Fellini-Film. Der Dialekt-Begriff
bedeutet: Ich erinnere mich. Weil sich Maurizio Vara so gut an die Cosa
Nostra erinnert, macht er bei Addiopizzo mit. Doch die Mafia lässt nicht
locker, wie die Sache mit dem Klebstoff beweist. Andererseits spürt der
Hotelier den Rückhalt der 100 Unternehmer. Ihm ergeht es wie einem
kleinen Fisch, der im Schwarm viel sicherer vor Räubern lebt als ein
Einzelgänger.
„Wir haben mit der Polizei abgesprochen, die Aufmerksamkeit auf die
Betriebe gleichmäßig zu verteilen“, beschreibt Enrico Colajanni die
Strategie. Zudem hätten sich in den vergangenen Wochen 60 weitere
Geschäftsleute bei Addiopizzo beworben. Einige Kandidaten seien jedoch
problematisch. „Wir müssen die Augen weit offen halten“, sagt Colajanni.
„Denn wenn uns die Mafia unterwandert, ist die Arbeit von Jahren dahin.“
(SZ vom 03.06.06)
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