Ausgabe 01/2012 - Die Agrarsoziale Gesellschaft eV
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Ausgabe 01/2012 - Die Agrarsoziale Gesellschaft eV
AG RAR S O Z IALE G E S E LLS C HAF T Schwerpunkt Genossenschaften ASG-Frühjahrstagung in Bad Nauheim EU-Agrarpolitik H 20781 | 63. Jahrgang | 01/2012 | www.asg-goe.de E. V. Inhaltsverzeichnis ASG 1 Am Rande notiert – ASG-Vorsitzender Dr. Martin Wille 2 LandSchau 2012: - Daseinsvorsorge und Lebensqualität im Ländlichen Raum - Europäischer Lebensstil und Welternährung – ein Gegensatz? - Die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 11 Programm der ASG-Frühjahrstagung 2012 in Bad Nauheim 12 Tagungsregion Bad Nauheim: Vielfalt in der Einheit Agrarpolitik 14 Neues von der agrarpolitischen Bühne: Showdown im Hühnerstall 16 Kontrovers: Prof. Dr. Peter Weingarten, Dr. Peter Pascher und Wolfgang Reimer zu den Vorschlägen der EU-Kommission für die Gestaltung der 2. Säule nach 2013 19 Berliner Agrarministergipfel 2012: Ernährungssicherung durch Bildung Landwirtschaft 20 Artenvielfalt statt Sojawahn 24 Förderpreis Ökologischer Landbau Ländlicher Raum 26 Siedlungsentwicklung: Demografie zwingt Kommunen zum Handeln Schwerpunkt Genossenschaften 29 32 35 36 39 39 42 43 45 46 46 Ländliche Genossenschaften – ein Erfolgsmodell vom Mittelalter bis heute Genossenschaftliche Antworten auf globale Herausforderungen Genossenschaften heute: bodenständig, bekannt und beliebt Interview mit Manfred Nüssel: Die genossenschaftliche Idee lebt Rezension: Erfolgsmodell Genossenschaften Genossenschaftsbanken heute: Dr. Gerd Wesselmann, WGZ BANK, und Christof Lützel, GLS Bank bolando eG: Genossenschaftlich geführtes Dorfgasthaus fairPla.net eG: Genossenschaft für Klimagerechtigkeit (Bio)EnergieDörfer eG: Gemeinsam zu regionaler Energieerzeugung Energiegenossenschaft Odenwald eG: Energiegewinnung, -einsparung und -effizienz Veranstaltungen zum Internationalen Jahr der Genossenschaften Termin 47 6. Bundestreffen der Regionalbewegung Personalie 47 Dr. Monika Michael neue Geschäftsführerin des dlv Für Sie gelesen 48 Landwirtschaft. Ein Thema der Kirche 48 Der kritische Agrarbericht 2012 48 Die Könnensgesellschaft Foto Titelseite: Energiegenossenschaft Odenwald eG | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Am Rande notiert 1 „Wir werden das Landwirtschaftsgesetz in Richtung eines modernen Gesetzes für die Landwirtschaft und den ländlichen Raum weiterentwickeln und das Ziel einer flächendeckenden, nachhaltigen Landbewirtschaftung in Deutschland festschreiben“, heißt es im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und FDP vom 26. Oktober 2009. Ein wichtiges und anspruchsvolles Vorhaben. Denn das alte Landwirtschaftsgesetz von 1955, das „der Landwirtschaft die Teilnahme an der fortschreitenden Entwicklung der deutschen Volkswirtschaft“ sichern soll und zur jährlichen Vorlage von Lageberichten auffordert, ist vom früheren Landwirtschaftsminister Horst Seehofer zwecks Bürokratieabbau entkernt worden. Das Gesetz verstaubt und wird nicht mehr beachtet. Auch das Gemeinschaftsaufgabengesetz „Verbesserung der Agrarstruktur und des Küstenschutzes“ müsste novelliert und in Richtung Gemeinschaftsaufgabe integrierte ländliche Entwicklung modernisiert werden. Und was ist mit „nachhaltiger Landbewirtschaftung“? An vielen Stellen steht etwas, aber richtig festgeschrieben, wie im Koalitionsvertrag gefordert, ist es nicht. Es ist anzunehmen, dass die zuständige Ministerin das Vorhaben durch die Charta für Landwirtschaft und Verbraucher ersetzen will. Bei der auf der Grünen Woche 2012 vorgestellten Charta handelt es sich, wie Ministerin Aigner selbst feststellt, um einen Fahrplan für die Politikgestaltung ihres Ressorts. Das ist nicht viel; deutlich weniger jedenfalls, als viele der am Charta-Prozess beteiligten gesellschaftlichen Gruppen erwarten konnten. Entsprechend teilnahmslos ist die Charta nach meinem Eindruck aufgenommen worden. Wenn nicht einmal Kritik geübt wird, kann bei den von den Moderatoren festgestellten, teilweise grundlegenden Meinungsunterschieden mit dieser Charta nicht viel los sein. Auf jeden Fall macht sie eine Novelle des Landwirtschaftsgesetzes nicht überflüssig. Ein geeigneter Termin dafür steht mit der für 2013 zu erwartenden Verabschiedung des neuen EU-Finanzrahmens 2014 bis 2020 an. Die neue EU-Politik für Landwirtschaft und ländliche Räume könnte dann in und mit einem modernen Landwirtschaftsgesetz in Deutschland umgesetzt werden. Ihr StS. a.D. Dr. Martin Wille Vorsitzender des Vorstandes der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | LandSchau Lösungen der Zukunftsfragen, auch für die Zukunft 2„Die der Städte, werden auf dem Land entwickelt werden. ASG Dies gilt für Fragen der Ver- und Entsorgung, des täglichen Bedarfs und der Bildung. In NRW trägt z. B. die Sekundarschule dazu bei, dass schulische Angebote wohnortnah sichergestellt werden können.“ Johannes Remmel, Minister für Klimaschutz, Umwelt, Landwirtschaft, Natur- und Verbraucherschutz des Landes Nordrhein-Westfalen „Breitbandversorgung ist ein erheblicher Standortfaktor für ganz Deutschland. Es kommt darauf an, dass wir dies möglichst überall gleichzeitig erreichen, obwohl wir wissen, dass dafür erhebliche Investitionen nötig sind. Im Verkehrssektor sind manche Investitionen, wie z. B. die Autobahn in Mecklenburg-Vorpommern, zu spät gekommen.“ Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Hauptgeschäftsführer Deutscher Landkreistag Minister Johannes Remmel, Prof. Dr. Hans-Günter Henneke, Moderatorin LandSchau 2012 Daseinsvorsorge und Lebensqualität im Ländlichen Raum Im Zentrum der von der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, der Deutschen Vernetzungsstelle Ländliche Räume (DVS), der EU-Kommission und dem Landkreistag (DLT) durchgeführten LandSchau standen 2012 Initiativen, die der Daseinsvorsorge und der Verbesserung der Lebensqualität im ländlichen Raum dienen. Die Unterschiedlichkeit der vorgestellten Konzepte machte deutlich, dass sowohl die Bedürfnisse und Probleme, als auch die Möglichkeiten des Handelns ein weites Spektrum umfassen. Vom Dorfladen zum Dorfzentrum Das verschiedene Aspekte der Daseinsvorsorge umfassende Konzept der MarktTreffs in SchleswigHolstein besteht seit zehn Jahren. Kürzlich konnte der 29. MarktTreff eröffnet werden. Träger der MarktTreffs sind die Gemeinden, die hierfür eine Anschubfinanzierung im Rahmen der Dorf- und ländlichen Regionalentwicklung erhalten. Ingwer Seelhoff, MarktTreff Management, ews group, betonte, dass MarktTreff ein lernendes Projekt sei und an die unterschiedlichen Bedingungen in den Gemeinden angepasst werde. Anne-Marie Truninger, Verein für Regionalentwicklung Werra-Meißner e.V., wies auf den Wert einer in die Tiefe gehenden Bedarfsermittlung hin. Im hessischen Werra-Meißner-Kreis sei diese durch den Masterplan Daseinsvorsorge im Rahmen des Modellvorhabens „Region schafft Zukunft“ erfolgt. Unterschiedliche Bedingungen erforderten individuelle Konzepte. So umfasse das in einem ehemaligen Autohaus an einer Bundesstraße beheimatete Nahversorgungszentrum Datterode (Investitionssumme 1,2 Mio. €) verschiedene Einzelhandelsgeschäfte und Dienstleistungen sowie eine PhysiotherapiePraxis, während das „Lädchen für Alles“ mit CaféStube in Gertenbach mit 92 m2 Gesamtfläche aus- komme (Investitionssumme 60 000 €). Beide Projekte beinhalten einen Apotheken-Briefkasten mit Lieferservice und die Möglichkeit, Geld abzuheben. Sie wurden durch ansässige Bürger initiiert und teilweise mitfinanziert sowie durch Bundesmittel im Rahmen des Modellprojektes „Region schafft Zukunft“ gefördert (zu den Projekten s. a. LR 03/2011, S. 68). Projektträger sind heute der Aufwind – Verein für seelische Gesundheit und dessen gemeinnützige Tochter, die stellenwert GmbH. In der Region Kellerwald-Edersee (Hessen) hätten sich zehn Gemeinden zusammengetan, um die geschlossene Grundschule in Haina-Löhlbach zu einem Dorfzentrum umzunutzen, berichtete Lisa Küpper, Region Kellerwald-Edersee e.V. Zu dem Projekt (Investitionssumme 1,2 Mio. €) gehöre das bereits eröffnete „Lädchen für Alles“, eine Physiotherapiepraxis und eine Bäckerei mit Café. Als weitere Betreiber seien die örtliche Sparkasse und eine Tochter des Landeswohlfahrtsverbandes Hessen beteiligt, die künftig in vier Wohnungen betreutes Wohnen anbieten würden. Im 450-Einwohner kleinen Ortsteil Heilgersdorf (Stadt Seßlach) in Oberfranken würden jeden Tag 200 Kunden im eigenen Dorfladen begrüßt (Öffnungszeit 6.00 - 19.00 Uhr), so Prof. Dr. Volker | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | „Es ist der Kommission bei ihren Vorschlägen gelungen, die Finanzausstattung für die gemeinsame Agrarpolitik stabil zu halten. Die Zielgenauigkeit hat sich verbessert, da in Zukunft nur noch aktive Landwirte eine Förderung bekommen sollen. Durch die Begrenzung der Förderungshöhe konnte außerdem mehr Spielraum in der Breite geschaffen werden.“ Fotos: M. Busch Dr. Rudolf Moegele, Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, EU-Kommission „Die Vorschläge der Kommission zur GAP liegen auf dem Tisch. Ich hätte es begrüßt, wenn etwas mehr Mittel in den ländlichen Raum, in die 2. Säule, geflossen wären, aber es gibt eine große Flexibilität, so dass Mittel umgeschichtet werden können und so mehr Geld zur Verfügung steht.“ StS. a.D. Dr. Martin Wille, Vorsitzender Agrarsoziale Gesellschaft e.V. Petra Schwarz, Dr. Rudolf Moegele und StS. a.D. Dr. Martin Wille Hahn, Unternehmensberater und Geschäftsführer. Angeboten würden bevorzugt regionale und biologisch erzeugte Produkte. Eigentümer ist die Dorfladen Heilgersdorf GmbH & Co. KG, die von 100 Kommanditisten und der Stadt Seßlach gegründet wurde und die Anschubfinanzierung ermöglicht hat (Investitionssumme 65 000 €, davon wurden 40 000 € von den Bürgern aufgebracht). Neben Geld investierten die Ehrenamtlichen viele Arbeitsstunden in ihren heute schwarze Zahlen schreibenden Laden. Nicht zuletzt durch einen Hol- und Bring-Service für ältere Bürger sei der Dorfladen zu einem sozialen Treffpunkt geworden. Ein regionales Unternehmen habe das Transportfahrzeug gespendet. Für demente Personen werde gemeinsam mit der Diakoniestation ein Einkaufstraining durchgeführt. Der Dorfladen Heilgersdorf wurde mit einem bundesweiten Innovationspreis für bürgerschaftliches Engagement und weiteren Preisen ausgezeichnet und wird stetig weiterentwickelt. Kultur, Kommunikation und ärztliche Versorgung 2011 veranstaltete das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (BMVBS) gemeinsam mit dem Deutschen Städte- und Gemeindebund und dem Deutschen Landkreistag erstmalig den Wettbewerb „Menschen und Erfolge – Aktiv für ländliche Infrastruktur“. Prof. Dr.-Ing. Hagen Eyink (BMVBS) erläuterte, dass die Teilnahmebedingungen und Antragsformulare bewusst einfach gehalten worden seien, um viele Initiativen für eine Teilnahme zu gewinnen. Zu den 2011 aus ca. 600 Einsendungen ausgewählten Preisträgern gehörten u. a. die Kammerspiele Treuenbrietzen und die Hausarztakademie Hersfeld-Rotenburg. In Treuenbrietzen wurde 2002 auf Initiative einiger Bürger damit begonnen, ein verfallenes Kinogebäude zu sanieren. Neben Fördermitteln aus der Städtebauförderung und vielen Spenden von ansässigen Firmen | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | und Privatpersonen erbrachte die Initiative umfangreiche Eigenleistungen. Heute sei das Kino ein Treffpunkt für alle Altersstufen und werde für Theater, Lesungen und Konzerte, aber auch zum gemeinsamen Fußballschauen und für Feste genutzt, so Heidi Drescher, Vorstandsmitglied des Kinofördervereins Treuenbrietzen e.V. Markus Mempel, Deutscher Landkreistag, betonte, dass Kultur ein wichtiger Stützpfeiler der Lebensqualität vor Ort sei. Als weiteren Standortfaktor benannte Dr. Martin Ebel, Allgemeinmediziner aus Bad Hersfeld, die Hausarztversorgung. Diese sei für die Entscheidung, den Lebensabend in ländlichen Gebieten zu verbringen, besonders wichtig. Um die ärztliche Versorgung in der Region zu verbessern, ermögliche die Hausarztakademie HersfeldRotenburg interessierten Studentinnen und Studenten den Kontakt zu niedergelassenen Kollegen. Diese könnten nicht nur durch ihre Qualifikation eine Weiterbildung nach individuellen Wünschen sicherstellen, sondern nach erfolgreichem Abschluss der Facharztausbildung zum Arzt für Allgemeinmedizin als Mentoren die Niederlassung der jungen Kolleginnen und Kollegen in den ersten Jahren begleiten. Insbesondere würden sie helfen, die schwierigen Regularien im Kassenarztwesen umzusetzen. Seit der Preisverleihung seien die Anfragen von Studierenden stark angestiegen. Mobilität Seit 25 Jahren fördere das Ministerium die ehrenamtlichen Initiativen für Bürgerbusse mit Zuschüssen, so Hajo Kuhlisch, Ministerium für Wirtschaft, Energie, Bauen, Wohnen und Verkehr des Landes NRW. 104 der insgesamt etwa 175 Bürgerbusse in Deutschland führen daher in NRW. Wenn durch geringe Fahrgastzahlen der Einsatz großer Busse des ÖPNV nicht gerechtfertigt werden könne, sei der Bürgerbus ein Modell für den ländli- 3 LandSchau ASG LandSchau 4 ASG „Wir müssen auch in der Politik deutlich machen, dass es sich lohnt, den Ländlichen Raum zu unterstützen. Da hat es in der Vergangenheit Defizite gegeben.“ Dieter Posch, Hessischer Minister für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung „Wir müssen die jungen Menschen für die freiwillige Feuerwehr begeistern. Das Modellprojekt ‚Wahlpflichtfach Feuerwehrtechnik‘ im Landkreis Cochem-Zell ist für das Land wichtig und wird Schule machen.“ „Unser Betrieb beliefert die im ‚Wetterauerlandgenuss' zusammengeschlossenen Gastronomen mit Salat, Spargel und Erdbeeren. Bei regionaler Erzeugung können die Leute kommen und sehen wie es wächst.“ Heike Raab, Staatssekretärin im Ministerium des Innern, für Sport und Infrastruktur Rheinland-Pfalz Heinz Christian Bär, Präsident des Kuratoriums der ASG chen Raum und werde aufgrund der demografischen Entwicklung zunehmend wichtiger. In Abstimmung mit den regionalen Verkehrsbetrieben würden für die Bürgerbusse mit acht Fahrgastplätzen konzessionierte Linien eingerichtet und Fahrpläne erstellt. Franz Heckens, Vorsitzender des Dachvereins Pro Bürgerbus NRW e.V. betonte die Freude, die die ehrenamtlichen Fahrer und Fahrerinnen – etwa 25 % sind Frauen – an ihrer Tätigkeit hätten. Manche seien seit 25 Jahren dabei. Insgesamt seien 2 500 bis 3 000 Ehrenamtliche in den Bürgerbusvereinen in NRW aktiv. netz vom Land mit 90 % bezuschusst und zu 10 % durch die Kommunen getragen. Dies gelte jedoch nur für Gebiete, in denen noch keine Internetversorgung vorhanden sei und wäre für diese eine gute Lösung, so Frank Stege, Amtsdirektor im Amt Gransee und Gemeinden. Die bestehenden, langsamen Netze könnten für die betroffenen Gemeinden jedoch zum Problem werden. Steffen Schmitt, Bundesnetzagentur, erläuterte hierzu, dass ein bundesweiter Ausbau des Glasfasernetzes Investitionen von 50-70 Mrd. € erfordere und daher nicht finanzierbar sei. Telekommunikation Ein außergewöhnliches Modell wird im südlichen Nordfriesland verwirklicht. Mit dem Ziel, alle Haushalte an ein Glasfasernetz anzuschließen, werde am 1. Februar 2012 die Bürger-Breitbandnetz GmbH & Co. KG gegründet, erläuterte Ute GabrielBoucsein, Amt Nordsee-Treene. Das Investitionsvolumen für 20 000 Haushalte in 59 Gemeinden betrage 60 Mio. €. Ziel sei, innerhalb der nächsten fünf Jahre von Privatpersonen und Gemeinden 12 Mio. € als Eigenkapital in den geschlossenen Fonds einzuwerben, wobei der Anteil der Kommunen maximal 25 % betragen solle. Gesellschafterkredite würden mit 2,5 % bis 4,5 % verzinst. Die Projektlaufzeit betrage 30 Jahre. Auch im ländlichen Raum seien schnelle Internetverbindungen kein Luxus, sondern notwendige Infrastruktur, betonte Hermann-Josef Thoben, Ministerium für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein. Das Breitbandkompetenzzentrum Schleswig-Holstein berate daher die Gemeinden über den Versorgungsstand und stelle Know-how über verschiedene Techniken und Möglichkeiten des Ausbaus zur Verfügung. Holger Preckel, Alcatel-Lucent, unterstrich die Notwendigkeit des Aufbaus schneller Netze, da bereits in zwei Jahren 50 % des Internetverkehrs Video-Streaming sein werde. Nicht in jeder Region könnten die Netzbetreiber jedoch hierfür die Infrastruktur bereitstellen, da diese meist Aktiengesellschaften seien und die Anleger eine Amortisation der Investitionen innerhalb von zwei Jahren erwarteten. Wo dies nicht der Fall sei, so Dr. Klaus Ritgen, Deutscher Landkreistag, würden einige Landkreise Glasfasernetze als Infrastrukturmaßnahme aufbauen. Deren Übertragungskapazität könne durch relativ gering Investitionen später gesteigert werden. In Brandenburg werde der nicht rentable Anteil der Investitionen des Netzbetreibers in das Glasfaser- Jugendarbeit Seit August 2011 werden erstmalig in Deutschland Schüler und Schülerinnen der 8. Klasse der Realschule Plus Treis-Karden im Wahlpflichtfach „Feuerwehrtechnische Grundausbildung“ über zwei Jahre hinweg zum Feuerwehrmann/zur Feuerwehrfrau ausgebildet. Die Schülerinnen und Schüler demonstrierten ihre Fähigkeiten eindrucksvoll auf der LandSchaubühne. Möglich wurde die Integration des Faches durch viel ehrenamtliche Arbeit und eine gute Zusammenarbeit von Schule, Verwaltung und Feu- | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | „Ein wichtiges Kulturgut sind die reetgedeckten Gebäude in SchleswigHolstein. Die AktivRegionen Südliches Nordfriesland und Eider-TreeneSorge haben ein Kooperationsprojekt ins Leben gerufen, um die Baukultur in der Region zu erhalten.“ Peter Harry Carstensen, Ministerpräsident Schleswig-Holstein „Heute muss bei der Gründung eines neuen MarktTreffs weniger in Gebäude investiert werden als früher, da die Gemeinden meist leer stehende Gebäude besitzen. Dafür wird sehr viel mehr auf die Inhalte, das heißt auf das Verhältnis zwischen Nahversorgung, Dienstleistungen, Kommunikation und sozialen Diensten geachtet.“ Dr. Juliane Rumpf, Ministerin für Landwirtschaft, Umwelt und ländliche Räume des Landes Schleswig-Holstein erwehr, so Heinz Platten, stellvertretender Schulleiter. Das von der DVS vorgestellte Projekt „Perspektive Feuerwehren Cochem-Zell“ wird von der Entwicklungsagentur Rheinland-Pfalz e.V. im Rahmen des Modellprojekts „Ländliche Perspektiven“ begleitet und soll Freiwilligen Feuerwehren helfen, den Herausforderungen des demografischen Wandels zu begegnen. auch lokale Initiativen und stelle Förderanträge für Projekte wie beispielsweise die Landschaftspflege mit Behinderten. Mit Hilfe solcher Beispiele würden immer wieder neue Menschen motiviert, selbst mitzuarbeiten, zuzustiften oder zweckgebunden zu spenden. Das Stiftungskapital betrage heute 150 000 €, der Mindestbetrag bei der Zustiftung läge bei 500 €. Als „Ubuntu – der Circus“ 2009 Leuchtturmprojekt der AktivRegion Steinburg in Schleswig-Holstein wurde, bestand die private Initiative für eine zeitgemäße Jugendarbeit schon fast 15 Jahre. Aus der Idee, Ferienfreizeiten anzubieten, entstand eine Circusschule, die regelmäßig auf Tournee geht. Kindern und Jugendlichen zwischen 11 und 17 Jahren wird die Möglichkeit geboten, die Regelschule für ein Jahr zu verlassen, um in selbstgestalteten Zirkuswagen zu leben. Ob Akrobatik oder Abwasch – das gemeinsame Leben, Lernen und Arbeiten steht im Mittelpunkt. Zu Beginn jedes Auftritts der jungen Zirkuskünstler auf der LandSchau-Bühne, übersetzte Sebastian Geisler als Manegendiener „Fido“ den aus der Sprache der Zulus stammenden Begriff Ubuntu für das Publikum: „Ich bin, weil wir sind, und wir sind, weil ich bin.“ Auf Initiative von Wolfgang Ziegler, heute Vorsitzender des Stiftungsrates, wurde 2010 die Bürgerstiftung Schöneiche bei Berlin gegründet. Die Ziele der Stiftung seien breit formuliert worden, um auch in 100 Jahren nicht bestimmte Projekte ausschließen zu müssen. Bisher habe sich die Stiftung hauptsächlich im kulturellen Bereich engagiert; so sei der Musikschule ein Schlagzeug geschenkt worden und es würden mit fantasievollen Aktionen Spenden für einen neuen Flügel für die Schlosskirche eingeworben. Axel Halling, Initiative Bürgerstiftungen im Bundesverband Deutscher Stiftungen, betonte, dass keine reichen Geldgeber oder großen Städte nötig seien, um eine Bürgerstiftung zu gründen und Dinge unabhängig von Verbänden und Gemeindeaufgaben zu bewegen. Die Initiative Bürgerstiftungen stehe jedem Stiftungswilligen durch Beratung und Vernetzung zur Seite und bemühe sich mit der Stiftungsinitiative Ost, die Idee der Bürgerstiftung auch in den neuen Ländern bekannt zu machen. Bürgerstiftungen Vor fünf Jahren sei die Bürgerstiftung Kulturlandschaft Spreewald gegründet worden, um möglichst vielen Menschen die Möglichkeit zu geben, einen kleinen Beitrag für den Erhalt der Kulturlandschaft in der Region zu leisten, erläuterte Michael Petschick, stellvertretender Vorstandsvorsitzender, das Ziel der Bürgerstiftung. Die Stiftung sammele jedoch nicht nur Geld, um mit den Zinserträgen Flächen zu pflegen, deren Bewirtschaftung durch die Landwirte aus wirtschaftlichen Gründen aufgegeben worden sei, sondern bündele mit ihrer ehrenamtlichen Arbeit | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Ziegen für den Tourismus Anlässlich der Vorstellung der Ferienregion Münstertal Staufen (Schwarzwald) wies Armin Schuster, MdB, Wahlkreis Lörrach-Müllheim, auf die Bedeutung der Bewirtschaftung von Steillagen hin. Im Schwarzwald erwarteten die Urlaubsgäste grüne Wiesen und Weidetiere. Die Förderung von Bergbauern stelle daher die Bezahlung einer Leistung dar, die sonst durch andere gegen Entgelt erbracht LandSchau 5 ASG LandSchau 6 ASG „Eines der wichtigsten Ziele ist, der sich abzeichnenden Auseinanderentwicklung der ländlichen Räume durch die demografische Entwicklung gegenzusteuern. Hierzu gehört, dass Gebiete mit den größten Herausforderungen gezielt gefördert werden, wie es im Modellprojekt LandZukunft bereits geschieht.“ Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz „Unter Federführung des Innenministeriums erfolgt eine Zusammenführung der von den verschiedenen Ministerien schon erarbeiteten Erkenntnisse, Strategien und Pilotprojekte zum demografischen Wandel. Die Antworten reichen von neuen Mobilitätskonzepten über die Gesundheits- bis zur Breitbandversorgung. Wir werden das Netz ausbauen bis der letzte Bauernhof angeschlossen ist.“ Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesinnenminister Ilse Aigner (1. Reihe, 4.v.l.) und Dr. Hans-Peter „Gemeinsam stark sein“ auf der LandSchau-Bü werden müsste. Eine in Deutschland einmalige Verwendung der Kurtaxe stellte Dr. Thomas Coch, Geschäftsführer der Ferienregion Münstertal Staufen vor. So investiere die Gemeinde Münstertal ein Drittel ihres Kurtaxeaufkommens in die Landschaftspflege durch Ziegen. Der Erhalt der Kulturlandschaft und der Lebensgrundlage für die Bevölkerung des Münstertales stehe auch im Zentrum vieler Projekte im Naturpark Südschwarzwald, so der Geschäftsführer Roland Schöttle. Beispielsweise nutze die Käseroute das hohe Potenzial an Ziegen-, Schafsund Kuhmilch, biete den Landwirten Absatzmöglichkeiten und den Touristen die Gelegenheit, die landwirtschaftliche Produktion näher kennen zu lernen. Regionale Wertschöpfungskreisläufe würden so geschlossen. „Ehrensache Natur“ Das Freiwilligenprogramm von EUROPARC Deutschland ermögliche Menschen jeden Lebensalters und jeder Qualifikation, die Nationalen Naturlandschaften zu erleben und die (Um-)Welt aktiv zu gestalten, so Anne Schierenberg, EUROPARC Deutschland e.V., Dachverband der deutschen Großschutzgebiete. In 44 Schutzgebieten sei der Einsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter möglich. Unter www.freiwillige-in-parks.de könnten Interessierte sowohl Einsatzorte als auch Tätigkeiten finden. Spezielle Veranstaltungen für die freiwilligen Helfer rundeten das Programm ab. Europäischer Lebensstil und Welternährung – ein Gegensatz? Die Konsequenzen des europäischen Lebensstils und der europäischen Politik auf die Ernährungsund Menschenrechtssituation in den Ländern des Südens waren Thema von fünf Podiumsveranstaltungen, die von der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. und Brot für die Welt zusammen ausgerichtet wurden. Gemeinsamkeiten, Differenzen und Wechselwirkungen zwischen der Landwirtschaft und Fischerei in Deutschland bzw. in Afrika und Lateinamerika wurden ebenfalls diskutiert. Boden- und Agrarmärkte – global Ackerland werde weltweit zum immer knapperen Produktionsfaktor. Dies sei einerseits auf die global zunehmende Nachfrage nach Agrarprodukten zurückzuführen und andererseits auf die steigende Bedeutung des Bodens als Anlage- und Spekulationsobjekt, so Thomas Fritz, Forschungs- und Dokumentationszentrum Chile-Lateinamerika. Sowohl zum Zweck der Produktion von Futter-, Nahrungsund Energiepflanzen für den Export, als auch mit der Erwartung der Wertsteigerung von brach liegen- den Flächen würde im großen Stil Land in Staaten wie Brasilien, Sudan und Indonesien aufgekauft. Hierbei handele es sich oft um Regionen, in denen die Ernährung nicht gesichert sei. Im Gegenteil würde die einheimische Bevölkerung, oft aufgrund fehlender Landrechte, vertrieben und verliere dadurch ihre Nahrungsgrundlage. Alternative Einkommensmöglichkeiten seien meist nicht vorhanden. Während der langfristige Trend der Agrarpreise aus dem steigenden Bedarf bei knapper werdendem Land resultiere, verursachten Spekulationen zusätz- | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Friedrich (1. Reihe, 2.v.l.) ehrten die Preisträger und Preisträgerinnen des bundesweiten Wettbewerbs hne in Halle 4.2. In der gleichnamigen Broschüre zum Wettbewerb werden die 27 Finalisten vorgestellt. liche Preissprünge, so Dr. Bernhard Walter. Brot für die Welt setze sich daher für eine Begrenzung der Termingeschäfte und mehr Transparenz an den Agrarrohstoffmärkten ein. Aus ethischer Sicht dürfe mit Nahrungsmitteln nicht spekuliert werden. Arme Menschen in Entwicklungsländern gäben bereits heute 80 % ihrer Einkünfte für Nahrungsmittel aus. Preissteigerungen bei Agrarprodukten hätten daher katastrophale Folgen. Besonders Frauen würden wegen der patriarchalen Familienstrukturen hungern. Zur Verbesserung der Lebensbedingungen in den Ländern des Südens fordere Brot für die Welt die Anerkennung traditioneller Landrechte sowie die Durchsetzung bereits bestehender Gesetze und unterstütze Bauernorganisationen in den betroffenen Ländern. Zusätzlich seien internationale Standards bei der Landvergabe nötig, die das Recht auf Nahrung beinhalteten. Zur Bekämpfung der Ursachen des Nahrungsmittelmangels seien soziale und ökologische Richtlinien für Importe von Agrotreibstoffen und Futtermitteln notwendig. Zusätzlich müssten Veränderungen bei der EU-Agrarpolitik erfolgen, um Importe durch einheimische Produkte ersetzen zu können. Die Verbraucher seien aufgefordert, durch einen geringeren Verbrauch an tierischen Nahrungsmitteln und Treibstoffen an der Verbesserung der Situation mitzuwirken. Jürgen Hirschfeld, Bezirksvorsitzender Landvolk Braunschweig, befürwortete ebenfalls Maßnahmen, die Schwankungen an den Agrarbörsen begrenzen könnten, wie ein Verbot der Leerverkäufe. Landwirte orientierten sich zwar an den Börsen, wären dort jedoch nicht aktiv. Er wies darauf hin, dass die Möglichkeit, Bioenergie zu erzeugen, die Landwirte weniger erpressbar gemacht habe. Die Produktion von Bioenergie dürfe nicht für den Hunger in der Welt verantwortlich gemacht werden. Beispielsweise sei das Potenzial an Flächen für die landwirtschaftliche | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Produktion in Afrika sehr gut, ungeklärte Landrechte verhinderten jedoch oft die Bestellung der Äcker. Auch in Deutschland ist der Bodenmarkt in Bewegung. Das Johann Heinrich von Thünen-Institut (vTI) hat in einem Forschungsprojekt die Aktivitäten von nichtlandwirtschaftlichen und überregional ausgerichteten Investoren auf dem landwirtschaftlichen Bodenmarkt in Deutschland untersucht. Dr. Andreas Tietz, vTI, erläuterte, warum die Bodenpreise in Deutschland seit 2007 stark gestiegen seien und sich in den östlichen Bundesländern nahezu verdoppelt hätten. Als ein treibender Faktor für die Preisentwicklung bezeichnete er die Förderung der erneuerbaren Energien. Auch Investoren aus dem nichtlandwirtschaftlichen Bereich würden hierdurch animiert, Betriebe zu kaufen und Landwirtschaft zu betreiben. Um wie viele nichtlandwirtschaftliche oder überregional ausgerichtete Investoren es sich handele, sei jedoch nicht bekannt, im Besitz der größten drei befänden sich je etwa 30 000 ha landwirtschaftliche Fläche. Für Landwirte, die nicht nur eine kurzfristige Rendite durch Tierproduktion oder Biogaserzeugung erzielen wollten, sondern langfristig und nachhaltig wirtschafteten, sei die Preisentwicklung sehr negativ. Aus Sicht von Dr. Titus Bahner, Koordinator Europäisches Netzwerk Forum Synergies ist nicht entscheidend, wer Eigentümer des Landes ist, sondern ob die Höfe in die Region eingebunden seien, wie es bei der Gut Temmen Agrar GmbH & Co. KG der Fall sei. Deren Betriebsleiter Hans-Martin Meyerhoff erläuterte, dass der Verkauf von Pachtflächen zum Höchstpreis durch die Bodenverwertungs- und Verwaltungsgesellschaft (BVVG) seinen und andere ökologisch wirtschaftende Betriebe in der Uckermark gefährdet habe. Auf Initiative von betroffenen Landwirten und der GLS Bank sei jedoch ein Bio-Boden-Fonds aufgelegt worden, der die Flächen gekauft und zu fairen Bedingungen langfristig an die Betriebe verpachtet LandSchau 7 ASG LandSchau 8 ASG „Sowohl zur Anbahnung von Geschäftsbeziehungen als auch zum Abschluss von Verträgen stellt die Grüne Woche eine wichtige Plattform für die ausstellenden Länder dar. Außerdem hat sie eine hohe agrarpolitische Bedeutung, u. a. durch das ‚Global Forum for Food and Agriculture‘, das größte Treffen von Ressortministern weltweit. Aber auch das ‚Zukunftsforum Ländliche Entwicklung‘ des BMELV mit seinen Begleitveranstaltungen, an denen auch die ASG beteiligt ist, hatte eine hohe Teilnehmerzahl.“ Lars Jäger, Projektleiter Internationale Grüne Woche Berlin habe. Langfristige Anleger hätten mit einer Verzinsung von 3,25 % auf höchstmögliche Rendite verzichtet, um die ökologische Bewirtschaftung in der Region zu erhalten. Sojaanbau und -importe In den letzten 20 Jahren habe sich die Sojafläche um das 2,5-fache vergrößert und betrage heute 45 Mio. ha, so Dr. Bernhard Walter, Brot für die Welt. Rodungen von Wäldern und Savannen in Lateinamerika führten zu Umweltschäden, dem Verlust von Bodenfruchtbarkeit durch nicht angepasste Bewirtschaftung und zur Vertreibung der indigenen Bevölkerung. Bernhard Krüsken, Geschäftsführer Deutscher Verband Tiernahrung e.V., bezeichnete den Sojaanbau in Lateinamerika hingegen als nachhaltig, da er extensiv erfolge. Zudem stehe er erst am Ende der Kette, zunächst würden die Flächen wegen des Holzes gerodet, dann erfolge die Beweidung durch Rinder und erst zuletzt die Ackernutzung. Wegen der unterschiedlichen klimatischen Bedingungen sei es folgerichtig, dass Europa Soja importiere und Getreide exportiere. In diesem Zusammenhang wies Dr. Walter darauf hin, dass auch Fleisch exportiert werde, z. B. nach Westafrika. Die Überschwemmung der Märkte mit Fleischteilen, die durch die rationalisierte europäische Landwirtschaft und die Direktzahlungen konkurrenzlos billig seien, würden den dortigen Bauern keine Chancen lassen, ihr eigenes Fleisch zu produzieren und zu vermarkten, und stellten durch ungeeignete Lagerungsbedingungen zusätzlich ein gesundheitliches Problem dar. Dr. Kai-Uwe Sprenger, Generaldirektion Landwirtschaft, EU-Kommission, wies darauf hin, dass sich die Sojaimporte in die EU seit 2008 um 4 % verrin- „Der Wettbewerb ‚Menschen und Erfolge‘ ist Teil der von mir gestarteten ‚Initiative ländliche Infrastruktur‘ und soll Menschen ehren, die in dünn besiedelten Gebieten Strukturen aufgebaut haben und diese Initiativen als Vorbild bekannt machen.“ Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, im Bild mit Moderatorin Heike Götz, NDR gert hätten, die Chinas jedoch im gleichen Zeitraum um 42 % gestiegen seien. Nichtsdestoweniger sei es sinnvoll, in Europa mehr Eiweißpflanzen anzubauen. Die Greening-Vorschläge der Kommission zur Reform der GAP beinhalteten Vorgaben zur Fruchtfolge, die dies unterstützten. Eine direkte Förderung von Eiweißpflanzen werde es jedoch nicht geben. Bernhard Krüsken wies darauf hin, dass ein Ersatz der Sojaimporte grundsätzlich möglich sei. Hierfür würden etwa 13 % der Ackerfläche benötigt, was dem Anteil des Energiepflanzenanbaus in Deutschland entspräche. Letztlich sei es eine politische Entscheidung, was gefördert werde. Christoph Dahlmann, Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL), stellte das Projekt „Vom Acker in den Futtertrog – Zukunftsweisende EiweißfutterVersorgung für NRW!“ vor. In Praxisversuchen werde der Anbau von Ackerbohnen und anderen heimischen Körnerleguminosen getestet. Reinhild Benning, Agrarreferentin des Bundes für Umweltund Naturschutz (BUND), betrachtete es als Aufgabe der EU-Kommission, für eine Förderung des Eiweißpflanzenanbaus als Umweltmaßnahme zu sorgen. Sie wies darauf hin, dass 20 % des Stickstoffs in der deutschen Landwirtschaft aus den Sojaimporten stammten, was besonders in Regionen mit einem hohen Viehbesatz zu einer zunehmenden Verschmutzung des Grundwassers mit Nitrat führe. Zudem bestehe laut Angaben der EU-Kommission eine Fleischüberproduktion, die bei Schweinen etwa 10 % und bei Geflügel 4 % betrage. Bei über einer Milliarde Hungernder müsse Europa Verantwortung für die Ernährung dieser Menschen übernehmen und nicht weiter Diskussionen über die Frage Trog oder Tank führen. Weitere Informationen zum Thema Soja auf Seite 20. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | „Ein Ziel der europäischen Agrarpolitik ist, Lebensmittelverarbeitern und Konsumenten Lebensmittel und Rohstoffe von hoher Qualität zur Verfügung zu stellen und den Landwirten dabei zu helfen, diese hohe Qualität zu produzieren.“ Dr. Michael Erhart, Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung, EU-Kommission „Ubuntu – der Circus“, ein Jugendprojekt aus Schleswig-Holstein, sorgte auf der LandSchau-Bühne für Unterhaltung und animierte die Besucher und Besucherinnen in Halle 4.2 zum Mitmachen. Zu wenig Fisch für alle Ökologisch nachhaltige Fischerei ist das Ziel des Marine Stewardship Councel (MSC). Das MSC-Umweltsiegel werde heute für 5 Mio. t Fisch vergeben, was 6 % der Wildfänge entspräche, so Gerlinde Geltinger, MSC. Zwar seien Umweltsiegel für den europäischen Markt relevant, Fischerei müsse jedoch auch sozial nachhaltig betrieben werden, betonte Francisco Marí, Evangelischer Entwicklungsdienst (EED). Fischexporte hätten für die Länder des Südens meist negative Folgen. An den dortigen Küsten sei Fisch die wichtigste Eiweißquelle und müsse für die Menschen erschwinglich bleiben. Vor Westafrika seien die Fischbestände in den letzten 30 Jahren jedoch durch europäische Trawler so stark reduziert worden, dass die Fischer kaum noch von ihrer Arbeit leben könnten. Anlässlich der Reform der EU-Fischereipolitik engagiere sich der EED daher in der Initiative Ocean2012. Ein Ziel sei, die Überkapazitäten bei der industriellen Fischerei abzubauen. Was in Europa zu einer nachhaltigen Fischerei beitrage, nütze auch den Ländern des Südens, denn die Bedingungen für die Küstenfischerei seien in Europa und Afrika ähnlich. Die Verschiebung des Fokus der EU-Fischereipolitik von der industriellen zur handwerklichen Fischerei forderte daher auch Uwe Sturm, Arbeitskreis Fischerei der AktivRegion Ostseeküste und Infoportal „Fisch vom Kutter“. Lebensmittelverschwendung Auf allen Ebenen der Nahrungsmittelproduktion würden Lebensmittel, die zum Verzehr geeignet seien, vernichtet, so Dr. Ursula Hudson, Vorsitzende von Slow Food Deutschland. Gemeinsam mit Brot für die Welt und dem EED habe Slow Food daher | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 2011 unter dem Motto „Teller statt Tonne“ Aktionen durchgeführt, bei denen 2,5 t Gemüse, das nicht den Handelsnormen entsprach, auf den Äckern gesammelt wurde, um es zuzubereiten und im Rahmen von „Protest-Tafeln“ zu verzehren. Bei Tischgesprächen mit Vertretern der Lebensmittelkette seien auch Abgesandte des globalen Südens beteiligt gewesen, denn „wir teilen uns eine Welt und greifen auf dieselben Ressourcen zurück“ erläuterte Dr. Hudson. Die globale Ernährungssicherung sei ein Verteilungs- und Zugangsproblem und kein Problem des Mangels. Die Menge der Nahrungsmittel, die in den Industriestaaten vernichtet werde – allein in Deutschland handele es sich um 20 Mio. t jährlich – entspräche der Menge, die südlich der Sahara erzeugt werde. Sowohl Dr. Hudson als auch Dr. Karsten Schulz, Bundesreferent für Evangelische Jugendarbeit in ländlichen Räumen (ejl), betonte die Bedeutung der Wertschätzung von Nahrungsmitteln, um Verluste zu vermeiden. Hierzu würden ein gut geplanter Einkauf und Kenntnisse über die Zubereitung, z. B. von Resten oder weniger edlen Fleischteilen, gehören. Dabei käme auch der Genuss nicht zu kurz. Die evangelische Landjugend sammele Rezepte für die Verwendung von altem Brot und weise im Rahmen der 2012 begonnenen Kampagne „Marmelade für ALLE“ auf das im ländlichen Raum oft nicht geerntete Obst hin (www.marmelade-fuer-alle.de). Joachim Weckmann, Geschäftsführer Märkisches Landbrot GmbH, erläuterte an Hand seines Betriebes, wie auch im Rahmen der Produktion vollständig auf die Vernichtung von Nahrungsmitteln verzichtet werden kann. Nicht verkauftes Brot werde entweder im eigenen Betrieb wieder als Rohstoff verwendet, an Kietzküchen, Kindertagesstätten und an Menschen, die „Containering“ betrieben, abgegeben oder als Viehfutter genutzt. LandSchau 9 ASG LandSchau 10 ASG Die Diskutanten (v.l.n.r.): Lutz Ribbe, Albert Deß, Dr. Georg Häusler, Moderatorin Petra Schwarz, Dr. Robert Kloos, Prof. Dr. Folkhard Isermeyer und Udo Hemmerling Die Zukunft der Gemeinsamen Agrarpolitik nach 2013 Direktzahlungen: Einstieg in den Ausstieg … Prof. Dr. Folkhard Isermeyer, Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik des Bundesministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV), bezeichnete die Vorschläge der Kommission zur Gestaltung der GAP als wenig hilfreich bei der Lösung der aktuellen Probleme. Nach Analyse des Wissenschaftsrates seien durch die geplanten Veränderungen bei den Direktzahlungen keine Verbesserungen in der Tierhaltung, im Klimaschutz, für die peripheren ländlichen Räume oder die Welternährungssituation zu erwarten. Lediglich im Bereich Biodiversität würden sich leichte Fortschritte ergeben. Angesichts der seit fünf Jahren hohen Agrarpreise sei es fraglich, ob es noch nötig sei, die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft durch ein Grundeinkommen für Landwirte zu erreichen. Professor Isermeyer forderte die Politik auf, durch Umschichtung von der 1. in die 2. Säule die bestehenden Probleme zielgerichtet anzugehen. Im Zentrum stehe die Frage: „Was bekommt der Steuerzahler für sein Geld?“ … oder beibehalten? Die Preisentwicklung an den Agrarmärkten sei nicht absehbar und der Anteil der Direktzahlungen am Einkommen betrage in den landwirtschaftlichen Betrieben durchschnittlich 50 %. Daher sei eine Einkommensstabilisierung weiter notwendig, so Udo Hemmerling, stellvertretender Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes (DBV). Dieser Einschätzung schlossen sich Dr. Robert Kloos, Staats- sekretär im BMELV, und Albert Deß, Abgeordneter des Europäischen Parlaments (CSU) an. Deß bezeichnete die Direktzahlungen als „Minimalentschädigung“ für die Landwirte, da diese durch niedrige Nahrungsmittelpreise beträchtlich zur Wohlstandssteigerung in der Gesellschaft beigetragen hätten. Er kritisierte die Vorschläge der Kommission, da Europa sehr unterschiedlich sei und „man nicht von Brüssel aus 14 Mio. Bauern vorschreiben kann, was sie tun müssen.“ „Unser gutes Modell der Ausgleichszahlungen für benachteiligte Gebiete“ dürfe nicht zerstört werden. Auch Dr. Georg Häusler, Kabinettschef von EU-Agrarkommissar Dacian Ciolos, ¸ wies darauf hin, dass eine flächendeckende Landwirtschaft ohne Direktzahlungen nicht möglich sei. Den Vorwurf, nicht auf unterschiedliche Bedingungen eingehen zu können, wies er jedoch zurück. So bestehe ein großer Spielraum für die Mitgliedsstaaten, Mittel zur Förderung der Landwirtschaft in benachteiligten Gebieten durch Umschichtung innerhalb der 1. Säule bereitzustellen. Als Mitglied des europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses begrüße er die Vorschläge der Kommission, wenn auch im Detail gestritten werde, so Lutz Ribbe, naturschutzpolitischer Direktor von EuroNatur. Die GAP müsse grüner und gerechter werden. Bei Erfüllung von Greening-Auflagen seien Direktzahlungen gerechtfertigt, da dies den Wettbewerbsnachteil der umweltverträglicher wirtschaftenden Betriebe ausgleichen helfe und einer weiteren Industrialisierung der Landwirtschaft entgegenwirke. ba | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 11 Die neue Agrar- und Strukturpolitik der EU nach 2013 Bürokratieabbau zwischen Anspruch und Wirklichkeit Mittwoch, 9. Mai 2012 14.00 - 21.30 Uhr LandSchau ASG-Frühjahrstagung 2012 in Bad Nauheim ASG Fachexkursionen – 2000 Jahre Hessische Kulturgeschichte Römerkastell Saalburg, Freilichtmuseum Hessenpark, Hofgut Kronenhof, Bad Homburg v.d.H. 19.00 Uhr Bei uns hat Energie Zukunft Lucia Puttrich, Staatsministerin für Umwelt, Energie, Landwirtschaft und Verbraucherschutz des Landes Hessen Donnerstag, 10. Mai 2012 7.15 / 8.00 Uhr Drei Fachexkursionen Freitag, 11. Mai 2012 8.30 Uhr Begrüßung StS. a.D. Dr. Martin Wille, Vorsitzender des Vorstandes der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. Teil 1: Die Agrar- und Strukturpolitik nach 2013 – Herausforderungen für die Verwaltung Gründe für unterschiedliche Verwaltungslasten in EU-Mitgliedsstaaten – Ergebnisse einer EU-Studie zur ländlichen Entwicklung Constanze Rübke, Senior Consultant, Rambøll Management Consulting GmbH, Hamburg Was kostet Förderung in Zeiten der Vereinfachung? – Ergebnisse einer Verwaltungskostenanalyse für Maßnahmen der 2. Säule Barbara Fährmann/Regina Grajewski, Johann Heinrich von Thünen-Institut (vTI), Institut für Ländliche Räume, Braunschweig Hat Vereinfachung noch eine Chance? – Zum Stand der Diskussion über die Vorschläge der EU-Kommission in den Gremien der EU Dr. German Jeub, MinDirig im Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, Berlin Schwachstellen des Gemeinsamen Strategischen Rahmens aus Sicht der Länder – wo müsste nachgebessert werden? Dr. Sabine Awe, stellv. Abteilungsleiterin im Thüringer Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Technologie, Erfurt Teil 2: Bürokratieabbau zwischen Wissenschaft und Praxis Wie eine effizientere Agrarpolitik gestaltet werden müsste und warum die Wissenschaft so wenig bewegt (hat) Prof. Dr. Dr. h.c. P. Michael Schmitz, Institut für Agrarpolitik und Marktforschung der Universität Gießen, Professur für Agrar- und Entwicklungspolitik, Gießen Wo die Bauern besonders der bürokratische Schuh drückt. Ist eine Wendung zum Besseren in Sicht? Friedhelm Schneider, Präsident des Hessischen Bauernverbandes Sind die Lasten für die Verwaltung wirklich so schlimm? Erfahrungen eines Praktikers vor Ort Dr. Karl-Heinz Heckelmann, Leiter des Amtes für Ländlichen Raum im Hochtaunuskreis, Bad Homburg v.d.H. 13.30 Uhr Ende der Veranstaltung | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Foto: M. Busch Das vollständige Tagungsprogramm und Online-Anmeldung im Internet unter www.asg-goe.de 12 Fotos: M. Busch Foto: Wetteraukreis ASG Taunus Kornkammer Wetterau Tagungsregion Bad Nauheim: Vielfalt in der Einheit Peter Gwiasda* Vielfalt in der Einheit – so lautet ein Slogan des Europa-Parlaments. Der Spruch passt auch auf die Region, in der im Mai 2012 die Frühjahrstagung der Agrarsozialen Gesellschaft stattfindet. Die Region liegt am Rande der hessischen Metropole Frankfurt und wird auf der Landkarte markiert von Mittel- und Kleinstädten mit so klangvollen Namen wie Bad Nauheim, Bad Homburg, Kronberg und Königstein. Diese Orte stehen für fürstlichen Glanz und kulturelle Blüte, für allgemeinen Wohlstand und individuellen Reichtum. Der Hochtaunuskreis wetteifert seit Jahren mit bayerischen Landkreisen um den Titel des Kreises mit der wohlhabendsten Bevölkerung. Hier darf die höchste Konzentration von Millionären vermutet werden. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts, als in der Bad Homburger Spielbank auf der Südseite des Taunus der Adel und erfolgreiche Geschäftsleute ihr Glück am Roulettetisch suchten und manche wohl auch fanden, erforschte der Frankfurter Privatgelehrte Gottlieb Schnapper-Arndt das bitterarme Leben von 5 000 Menschen in fünf Dörfern im Hohen Taunus. Er schuf die erste sozialstatistische Untersuchung dörflichen Lebens in Deutschland. Sie ist ein erschütterndes Dokument erbärmlichen Lebens nur 15 km entfernt von den protzigen Sommerresidenzen Frankfurter Kaufleute in Kronberg. Zwischen Taunus und Wetterau Der Landstrich zwischen Taunus und Wetterau ist noch heute voller Widersprüche, meist sind sie reizvoll. Während der Taunus als Mittelgebirge vielfach nur Grenzertragsböden vorhält, glänzt die Wetterau (die Aue des Flüsschens Wetter) mit humusreichen Lössböden. Diese höchst unterschiedliche Fruchtbarkeit bestimmt bis heute die Agrarwirtschaft und das Leben in den Dorfgemeinden. Während im Taunus, dessen Ausläufer bis zur Kurstadt Bad Nauheim reichen, die Forstwirtschaft oft ertragrei- cher ist als die Landwirtschaft auf den kleinen Parzellen beidseitig von im Hochsommer trockenen Bächen, gilt die Wetterau seit Menschengedenken als die „Kornkammer“, heute auch als Anbaugebiet für Zuckerrüben. Die natürlichen Segnungen der Wetterau hatten schon die Römer vor zwei Jahrtausenden erkannt und durch den Bau ihres Grenzwalles Limes weiträumig gesichert. Die Spuren ihres Imperiums sind noch heute buchstäblich auf Schritt und Tritt zu erkennen. Viele der heutigen Straßen und Wege sind römischen Ursprungs. Fast alltäglich werden bei Bauarbeiten Reste römischer Siedlungen oder Gutshöfe entdeckt. Aber bevor die Eroberer aus dem Süden Europas den mittlerweile zum Weltkulturerbe geadelten Limes aufschütteten und mit zahllosen Wachttürmen und Kastellen gegen die „Barbaren“ absicherten, herrschte ein anderes Volk in dem Gebiet, das die Teilnehmer der ASG-Tagung besuchen: die Kelten, ein immer noch geheimnisvolles Volk. Es erlebte seinen zivilisatorischen und kulturellen Höhepunkt etwa 500 vor unserer Zeitrechnung. Beindruckende Zeugen dieser Hochkultur sind zu bestaunen: Das Keltenmuseum Glauberg auf einem Wetterauer Basaltkegel mit dem prachtvollen Grab eines Fürsten, die Ringwälle einer keltischen Fliehburg zwi- * Peter Gwiasda, Wehrheim im Taunus, [email protected]. Der Autor war bis zur Pensionierung viele Jahrzehnte für Tageszeitungen als leitender Redakteur in der regionalen Berichterstattung tätig. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 13 ASG Hessenpark schen Kronberg und Oberursel und die Spuren einer keltischen Stadt, in der mehrere zehntausend Menschen gelebt haben müssen. Die reiche Geschichte der Region versuchte schon vor mehr als einem Jahrhundert der letzte deutsche Kaiser für sich und seinen Anspruch als europäischer Herrscher durch den Wiederaufbau eines der größten römischen Kastelle rechts des Rheins zu nutzen. Heute ist das Saalburg-Kastell ein bedeutendes, didaktisch vorbildlich eingerichtetes Museum. Es vermittelt tiefe Einblicke in das agrarsoziale Leben der römischen Besatzer und der eingeborenen Volksstämme. Nicht weit davon entfernt entstand vor fast vier Jahrzehnten der Hessenpark, das größte hessische Freilichtmuseum. Auf 60 ha erleben die jährlich 200 000 Besucher das Leben in den hessischen Dörfern und Kleinstädten der vergangenen 300 Jahre. Die dislozierten originalen Wohn- und Wirtschaftsgebäude stammen aus allen hessischen Regionen. In den pittoresken Häusergruppen zeigt das Museumspersonal, wie einstmals gelebt und gear-beitet und wie einst auf den Äckern und Wiesen gewirtschaftet wurde. Ochsen als Zugtiere einer Dreifelder-Wirtschaft, Ziegen als Milchlieferanten und rückgezüchtete Schweine als Speck-Erzeuger sind die Lieblinge der Gäste. (Landschafts-)architektonisch interessantes Bad Nauheim Noch ein Wort zur Kurstadt Bad Nauheim, die allein wegen ihres Thermalbades einen Besuch wert ist. Nirgendwo sonst auf der Welt dürfte ein architektonisch so geschlossenes und komplett erhaltenes Ensemble reinen Jugendstils zu bestaunen sein. Und nicht zu vergessen der sich direkt anschließende Kurpark, im 19. Jahrhundert entworfen von dem erfolgreichen Gartenarchitekten Heinrich Siesmayer. Wohl noch berühmter ist der Landschaftsarchitekt, der ein Jahrhundert früher den Kurpark in der partiell mit Bad Nauheim konkurrierenden Kreisstadt Bad Homburg geplant hat. Er heißt Peter Joseph Lenné. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Bad Nauheim Konflikte ums Land und unterschiedliche Lösungsstrategien Der ländliche Raum nördlich der prosperierenden Großstadt Frankfurt ist gekennzeichnet durch fortwährende Konflikte um die Nutzung des immer knapper werdenden Bodens – für Äcker und Wälder, Freizeit und Verkehr, Siedlungen und Naturschutz. Beispielhaft dürfte die Entwicklung zweier benachbarter Taunusdörfer sein, die vor 40 Jahren gleich groß und strukturiert waren, heute aber völlig unterschiedliche Profile aufweisen. Neu-Anspach wurde aus vier Dörfern verschmolzen und zum Siedlungsschwerpunkt erklärt. Die Einwohnerzahl verdreifachte sich auf heute 15 000 Einwohner. Es entstand ein Konglomerat von Neubauten, Gewerbegebieten und Umgehungsstraßen. Das Dorf erhob sich zur Stadt und ist berechtigterweise stolz auf seine gute Infrastruktur mit Schulen, Kitas und Großmärkten an der Peripherie. Die politischen Kräfte im benachbarten Wehrheim entschieden sich hingegen konsequent für eine Entwicklung aus sich selbst heraus. Die Landwirtschaft hatte und hat hier stets eine privilegierte Rolle. Heute werden fast 30 % der Agrarfläche ökologisch bewirtschaftet. Einhellig votierten die Parteien gegen Großmärkte am Rande. Stattdessen wagte die Gemeinde mit heute fast 10 000 Bürgern das Risiko, für mehr als 12 Mio. € in der Dorfmitte ein Geschäfts-, Wohn- und Verwaltungszentrum zu bauen. In diesem Jahr wird es eingeweiht. Alltäglich spüren die hier lebenden Menschen die ökonomischen Segnungen des zentraleuropäischen Drehkreuzes Frankfurt mit seinem gigantisch wuchernden Flughafen, seinen achtspurigen Autobahnkreuzen und riesigen Güter-Umschlagzentren. Immer belastender aber sind auch die Folgen: Tag und Nacht Lärm, hohe Schadstoffkonzentration in der Luft, fortwährender Verlust von Natur durch Verdichtung. 14 Agrarpolitik Neues von der agrarpolitischen Bühne: Showdown im Hühnerstall Deutliche Worte, alte Rechnungen und neue Scharmützel beleben die Berliner (Agrar)-Politik In den Reihen der Berliner Regierungskoalition wird bisweilen eine vergleichsweise deutliche Sprache gesprochen. „Ich kann deine Fresse nicht mehr sehen“, wird der nicht zuletzt für den inneren Zusammenhalt von Bundesregierung und der sie tragenden Fraktionen zuständige Kanzleramtsminister Ronald Pofalla aus einer Unterredung mit CDUParteifreund und GriechenlandSkeptiker Wolfgang Bosbach zitiert. Der wiederum hat die spätere Entscheidung des liberalen Koalitionspartners für Joachim Gauck als künftigen Bundespräsidenten mit den vielsagenden Worten kommentiert: „Man sieht sich immer zweimal im Leben…“. gesittet verhalten. Allenfalls kleinere Scharmützel im Zusammenhang mit der Frage von Informationsweitergabe im Rahmen des letztjährigen Dioxinskandals oder Initiativen für mehr Tierschutz in der Landwirtschaft fanden den Weg in die Öffentlichkeit. Inzwischen stellt sich aber heraus, in Wahrheit war dies offenbar nur das Vorgeplänkel zum entscheidenden Showdown, zum 12-UhrMittags zwischen der Schönen und dem Geschassten, der Jungen und dem Alten, der Oberbayerin und dem Niedersachsen, Berlin und Hannover, Frau und Mann, Bergen und Flachland, Süd und Nord, um nur einige Aspekte zu nennen. Wir wissen nicht, mit welchen Worten Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner ihren damaligen Staatssekretär Gert Lindemann vor gut zwei Jahren mir nichts dir nichts und ohne erkennbaren Anlass in die Wüste geschickt hat. Kein Geheimnis ist aber, dass sich der altgediente Fahrensmann der Ministerialbürokratie seinen Abgang von der großen Bühne anders und vor allem nicht so plötzlich vorgestellt hatte. Gut möglich, dass dem lebens- und politikerfahrenen Lindemann spätestens zu dem Zeitpunkt Bosbach’sche Gedanken gekommen sein könnten, als er ein Jahr darauf unverhofft zum Landwirtschaftsminister von Niedersachsen ernannt wurde … Entzündet hat sich die ohnehin schwelende, aber letzten Endes wohl unvermeidliche offene Feldschlacht nahezu zwangsläufig – an der künftigen Unterbringung von Hühnern. Im Herbst 2010 verwarf das Bundesverfassungsgericht nach einer Klage des Landes Rheinland-Pfalz die Rechtsverordnung des Bundes für die sog. Kleingruppenhaltung von Legehennen. Deren Einführung war wenige Jahre zuvor von Geflügelwirtschaft und Bauernverband unisono geradezu euphorisch als Weg zum Hühnerparadies, als Versöhnung von Ökonomie und Tierschutz begrüßt, die 60 cm hohen Käfige abwechselnd als „Kleinvoliere de luxe“, „Hennenappartement“ oder „Hühner-WG“ gefeiert worden, wenngleich Tierschützer und ihnen nahestehende Parteien diese Sicht partout nicht teilen wollten. Die Verfassungsrichter haben sich aus dieser Frage wohlweislich herausgehalten und zur Un- Zugegeben, seither hat man sich – von Ministerin zu Amtskollegen – mehr als zweimal im gewöhnlichen Bund-Länder-Miteinander gesehen und sich dem Vernehmen nach diplomatisch- terbringung des Federviehs keine Stellung genommen, wohl aber die unzureichende Einbeziehung einer Tierschutzkommission bei der Verordnungsgebung bemängelt und den Bund zur Korrektur des Formfehlers aufgefordert. Der kontroversen Diskussionen um Hühnerweh und -wohl in vergitterter Behausung gleich welcher Dimension überdrüssig, zog Ministerin Aigner die vom Karlsruher Gericht nicht einmal angedeutete Reißleine und kündigte kurzerhand das Ende der einstmals auch in ihren Reihen hochgelobten Kleingruppenhaltung an. Gleichzeitig stellte die Ministerin jedoch den bestehenden Anlagen ein nahezu ewiges Leben bis 2035 in Aussicht. Überraschend fand dieser Vorschlag im September letzten Jahres im Bundesrat keine Mehrheit, wobei der Regierungschef der weithin bekannten Geflügelintensivhaltungsregion Rheinland-Pfalz („Wein, Huhn und Dibbekuche“) und selbsternannte Schutzpatron von Pinguin, Löwe, Huhn und Co, Kurt Beck, die notwendigen Gegenstimmen organisiert haben soll. Für Niedersachsen und dessen Agrarminister Lindemann, der in der Länderkammer als Schutzpatron der mittlerweile nicht mehr als 150 noch verbliebenen Kleingruppenhalter für den Bestandsschutz bis 2035 gestimmt hatte, sollte die entscheidende Phase wenige Wochen später beginnen. Die Ende Oktober in Suhl tagende Agrarministerkonferenz beauftragte den Niedersachsen, sich mit seiner grünen rheinland-pfälzischen Kollegin Ulrike Höfken ins Benehmen zu setzen und eine | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 15 Agrarpolitik allseits akzeptable Übergangsfrist für die strittige Haltungsform zu finden. Für viele überraschend gelang dies tatsächlich zu Beginn dieses Jahres. Noch überraschender war der gemeinsame Kompromiss: 2023 und zwei Jahre drauf für Härtefälle. Diese schwarz-grüne Verständigung komme doch sehr weit den grünen und roten Ministern entgegen, argwöhnten die einen, er trage den Belangen der vor allem in Niedersachsen ansässigen (Käfig-)Eierproduzenten nur unzureichend bis gar nicht Rechnung, tobten die anderen und insbesondere die Vertreter der vornehmlich niedersächsischen Geflügelwirtschaft. Lindemann selbst beruft sich bei seinem Vorschlag auf ein Gutachten des Kuratoriums für Technik und Bauwesen in der Landwirtschaft (KTBL). Das errechnet für unterschiedliche Annahmen und Eierpreise die wirtschaftliche Nutzungsdauer für die Anlagen. Im Durchschnitt der Fälle, so die Schlussfolgerung in Hannover, komme dabei eine Zeitspanne von elf Jahren heraus. Die Länder schlossen sich dieser Haltung an und stimmten nahezu geschlossen im Bundesrat für 2023. Zuvor hatten allerdings Sondierungen ergeben, dass ein sächsischer Antrag auf eine Frist von 2025 nicht von Erfolg gekrönt sein würde, nicht zuletzt weil Niedersachsen abgewunken hatte. Für Ministerin Aigner, die bereits ihren Vorschlag für 2035 mit verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten begründet hatte, ergibt sich die Schwierigkeit, dass sie den Kleingruppen zwar politisch lieber heute als morgen den Garaus machen würde, es nach eigenem Bekunden rechtlich aber nicht darf, wie ihr das für Verfassungsfragen zuständige Bundesjustizministerium unmissverständlich deutlich gemacht hatte. Nunmehr sind der CSU-Politikerin eigenen Angaben zufolge die Hände gebunden. Sie könne die vom Bundesrat beschlossene Verordnung mit der Übergangsfrist 2023 nicht in Kraft setzen, teilte Aigner mit. Wenig überraschend zieht sie damit die geballte Kritik von Ländern („Affront“), der Opposition in Berlin („Bankrotterklärung“) sowie von Tierschutzverbänden („Sieg der Eierbarone“) auf sich. In Hannover dürfte sich derweil angesichts der entstandenen Lage eine gewisse Genugtuung eingestellt haben. Minister Lindemann denkt nach Auskunft seines Hauses überhaupt nicht daran, eine Landesregelung für die Kleingruppen zu erlassen, dies sei eindeutig Aufgabe des Bundes. Andernfalls würde ein nicht akzeptabler „Flickenteppich“ an Regelungen im Bundesgebiet entstehen. Dem Bund und damit dessen Agrarministerin Ilse Aigner wirft der alte Fuchs gar eine „Verweigerungshaltung“ vor. Die vorgebrachten verfassungsrechtlichen Einwände gegen den Bundesratsbeschluss nennt Lindemann schlicht „abwegig“. Im Ergebnis des Politikermikados zwischen Bund und Ländern – „wer sich zuerst bewegt, hat verloren“ – winkt den Kleingruppenhaltungen im Lande doch noch die Aussicht auf ein längeres Leben, auch wenn dabei eine gewisse Rechtsunsicherheit nicht von der Hand zu weisen ist. Gleichzeitig kann Lindemann gegenüber den in Wahlkampfzeiten traditionell recht aktiven Tierschützern mit einigem Recht auf seinen guten Willen für ein rasches Ende der in diesen Kreisen überaus unbeliebten Kleingruppenhaltung verweisen, „ja wenn die Ilse nicht wäre…“. In einem Vorwahljahr sind für den Landwirtschaftsminister eines Agrarlandes mit intensiver Veredlung wahrlich schlechtere Kon- | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | stellationen vorstellbar als eine gewisse Unangreifbarkeit in einem sensiblen Tierschutzthema. Lindemann dürfte nicht müde werden, die entsprechenden Verbände und Organisationen an die Adresse seiner einstigen Chefin in Berlin zu verweisen … Immerhin kann die Ministerin in Sachen Tierschutz auf ihre Charta für Landwirtschaft und Verbraucher verweisen. Darin steht geschrieben, was sie machen würde, wenn man sie denn ließe. Das ist im Einzelfall zumeist nicht sehr überraschend und gibt überwiegend den gegenwärtigen Diskussionsstand wieder. Dies könnte die Frage aufwerfen, in welcher Form sich denn die monatelangen Diskussionen in der Politik des Ministeriums niederschlagen werden. Die immerhin haben sich nach Auskunft aller Beteiligten gelohnt. Das Ziel war offensichtlich der Weg. Keine Antworten enthält die Charta indes auf ein gewisses Dilemma deutscher Tierschutzpolitik, zwar in Europa stets eine Vorreiterrolle anzunehmen, den Rest jedoch wenig von den eigenen Vorstellungen zu begeistern, geschweige denn zur Nachahmung zu animieren. Selten ist das so offenkundig geworden wie in der Legehennenhaltung. Sind in Deutschland konventionelle Käfige bereits seit Ende 2009 verboten, hätten die anderen EULänder den Brüsseler Vorgaben zufolge spätestens bis Ende 2011 nachziehen müssen. Taten sie aber nicht. Ätsch. Schätzungen zufolge stehen europaweit noch immer rund 100 Mio. Hennen in Käfigbatterien und legen täglich ihr Ei. Vielleicht sollte sich Kanzleramtsminister Pofalla des EierThemas annehmen und für die nötige Klarheit sorgen. Rainer Münch 16 Agrarpolitik Kontrovers: Zu den Vorschlägen der EU-Kommission für die Gestaltung der 2. Säule nach 2013 Prof. Dr. Peter Weingarten, Direktor des Instituts für Ländliche Räume des Johann Heinrich von Thünen-Instituts (vTI) Vorschläge wenig ambitioniert Foto: vTI Herr Professor Weingarten, um die 1. Säule toben heftige Auseinandersetzungen. Dagegen ist es um die 2. Säule ziemlich ruhig. Alles in Butter bei der Reform der ländlichen Entwicklungspolitik? Weingarten: Zumindest bedeuten die Vorschläge der Europäischen Kommission keine tiefgreifenden Veränderungen für die 2. Säule. Vielleicht erklärt das die relative Ruhe. Dies ist allerdings insofern erstaunlich, als die Legislativvorschläge in Teilen sogar hinter den bisherigen Ansätzen der Politik für ländliche Räume zurückbleiben. Inwiefern? Weingarten: Die Fachleute sind sich weitestgehend einig, dass eine erfolgreiche Politik für ländliche Räume sektorübergreifend ausgelegt sein muss und die Region als Ganzes in den Blick zu nehmen hat. Wir stellen jedoch fest, dass die Kommission in ihren Vorschlägen mit der Förderung von Klein und Kleinstunternehmen zwar eine leichte Öffnung über den Agrarsektor hinaus vornimmt, insgesamt der Agrarbezug jedoch noch zunimmt. Das erkennen Sie daran, dass von den sechs Prioritäten, die für den Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) aufgestellt werden, nur eine einen eindeutigen territorialen Bezug hat, nämlich der Schwerpunkt „soziale Eingliederung, Armutsbekämpfung und wirtschaftliche Entwicklung“. Eine räumlich ausgewogene ländliche Entwicklung ist zwar eines der drei großen Ziele der EU-Agrarpolitik, wie die Kommission in ihrem Reformvorschlag erklärt. Die Umsetzung dieses Ziels in prioritäre Politikfelder ist jedoch wenig ambitioniert. Da hilft auch kaum, dass LEADER zukünftig von allen Fonds bedient werden kann. Welche Ursachen sehen Sie für diese wenig mutige Politik? Weingarten: Diese Politik steht immer in einem Spannungsfeld. Einerseits lässt die Bezeichnung „Politik für ländliche Räume“ erwarten, dass die Maßnahmen dort ansetzen, wo sie für die jeweilige Region am meisten bringen, und keinen Fokus auf einen bestimmten Sektor haben. Andererseits erwarten viele einen starken Agrarbezug, weil diese Politik ein Teil der Agrarpolitik ist. Werden aus Ihrer Sicht zumindest einige Weichen gestellt werden müssen, um zu erkennen, wohin die Reise in Zukunft gehen könnte? Weingarten: Ja, allerdings nur in bescheidenem Maße. Ich denke an die stärkere Verknüpfung des ELER mit den anderen Fonds. Alle Fonds werden nach den Kommissionsvorschlägen in einen Gemeinsamen Strategischen Rahmen und in Partnerschaftsvereinbarungen eingebunden. Damit könnten sich die Möglichkeiten für einen sektorübergreifenden Politikansatz oder zumindest für eine bessere Abstimmung unterschiedlicher Politiken verbessern. Im Grundsatz gut ist der größere Gestaltungsspielraum für die Mitgliedsstaaten und damit in Deutschland für die Bundesländer, was die Verteilung der ELER-Mittel auf Prioritäten und Maßnahmen betrifft. Hier macht die EU weniger Vorgaben als in der laufenden Periode. Damit können die Bundesländer ihre Politik für die ländlichen Räume stärker auf ihre Bedürfnisse ausrichten. Die Frage ist allerdings, ob die Länder diesen Spielraum auch nutzen werden. Ein in die Zukunft gerichtetes Signal ist meines Erachtens auch die vorgesehene Option für die Mitgliedsstaaten, bis zu 10 % der Direktzahlungen in die 2. Säule zu übertragen. Ob davon tatsächlich Gebrauch gemacht wird, halte ich aber in Deutschland angesichts der schwierigen Haushaltssituation und der starken landwirtschaftlichen Interessenvertretung für sehr fraglich, zumindest solange dies eine nationale Kofinanzierung erfordert. Das sind die kleinen Schrauben. Welcher große Hebel müsste nach Ihrer Auffassung umgelegt werden, um eine tiefgreifendere Reform zumindest der Richtung nach anzuschieben? Weingarten: Das Instrument der Direktzahlung müsste grundsätzlich auf den Prüfstand. Eine kritische Prüfung würde zeigen, dass die Direktzahlungen, die | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 17 Agrarpolitik ursprünglich als Preisausgleichszahlungen eingeführt worden waren und ihre Berechtigung hatten, heute kaum einen Beitrag leisten, die Herausforderungen zu meistern, vor denen Landwirtschaft und ländliche Räume stehen. Es müsste daher ein eindeutiges Signal für einen schrittweisen Abbau der Direktzahlungen geben. Wenn wir nicht jetzt zumindest ein solches klares Zeichen für einen Ausstieg geben, wann denn sonst? Solange die 1. Säule weitgehend unantastbar bleibt, solange wird die ländliche Entwicklungspolitik auf der Stelle treten. Versuche, den Direktzahlungen über das Greening eine neue Legitimation zu verschaffen, sind da wenig hilfreich und stehen sogar einer wirklichen Reform entgegen. Hat sich die Kommission vom Ziel einer eigenständigen Politik für die ländlichen Räume unter dem Dach der Gemeinsamen Agrarpolitik verabschiedet? Weingarten: Die Kommission sieht die 2. Säule hauptsächlich als Ergänzung zur 1. Säule. Die Generaldirektion Landwirtschaft hat in einer Veröffentlichung Anfang 2011 festgehalten, dass die Politik zur ländlichen Entwicklung auf den Bedarf an Strukturanpassungen reagieren soll, der durch Reformen in der 1. Säule der Agrarpolitik hervorgerufen wird. Wenn die Politik zur ländlichen Entwicklung ihrem Namen gerecht werden will, sollte sie aber generell auf Anpassungsbedarf in ländlichen Räumen reagieren, egal ob dieser aus Reformen in der 1. Säule herrührt oder woher auch immer. Zumindest an der Mittelverteilung und damit am Stärkeverhältnis zwischen 1. und 2. Säule will die Kommission keine Änderungen vornehmen … was die EU-Mittel betrifft. Aber die Verhandlungen um den zukünftigen EU-Haushalt sind noch nicht abgeschlossen. Auch die Verteilung der Strukturfondsmittel wird eine große Rolle spielen, weil es letztlich aus nationaler Sicht immer um Gesamtpakete geht. Wie müsste eine ländliche Entwicklungspolitik aussehen, die den Herausforderungen gerecht wird und den Ansprüchen der Wissenschaft genügt? Weingarten: Patentrezepte gibt es leider nicht, auch nicht aus der Wissenschaft. Eine solche Politik sollte wegen der großen Vielfalt ländlicher Räume differenziert sein und ein reichhaltiges Set an Maßnahmen bereit halten. Der ELER bietet bereits heute sehr viel Gestaltungsspielraum. Ob dieser jedoch vorrangig genutzt wird, um agrarstrukturpolitische Ziele, agrarumweltpolitische Ziele oder das Ziel einer räumlich ausgewogenen Entwicklung zu verfolgen, hängt von den Mitgliedsstaaten und in Deutschland von den Bundesländern ab. Eine solche Politik müsste auch dem Subsidiaritätsprinzip mehr Rechnung tragen und den europäischen Mehrwert kritischer hinterfragen. In einzelnen Bereichen hieße dies, dass die EU mehr Verantwortung übernimmt, beispielsweise bei der Kofinanzierung von Maßnahmen im Bereich Klimaund Biodiversitätsschutz, die unstrittig von europäischer Bedeutung sind. In anderen Bereichen könnten dagegen Kompetenzen stärker auf die Mitgliedsstaaten oder Regionen verlagert werden. Eine solche Politik sollte räumlich Schwerpunkte setzen, damit das Geld vorrangig dort eingesetzt wird, wo der Handlungsbedarf oder der erwartbare Erfolg am größten ist. Wie steht es um die Umsetzbarkeit? Weingarten: Ich darf daran erinnern, dass die Diskussion noch vor nicht langer Zeit eine ganz andere war. Denken Sie an die Auseinandersetzungen im Zusammenhang mit dem Health Check 2008. Damals schien klar, dass es nach 2013 zu kräftigen Einschnitten in die 1. Säule kommen würde, weil das Argument des Vertrauensschutzes dann noch weniger ziehen würde. Vor diesem Hintergrund ist die nunmehr geplante Kürzung um rund 12 % in der EU ausgesprochen bescheiden. Vor ein, zwei Jahren hätte niemand damit gerechnet, dass die Direktzahlungen in Deutschland 2020 noch bei 5,2 Mrd. € liegen sollen. Gleichzeitig ist zu vermuten, dass die neuen Mitgliedsstaaten in den Reformverhandlungen auf einen größeren Anteil am 2.-Säule-Kuchen bestehen werden, nachdem sie bei der angestrebten Angleichung der Direktzahlungen nur bedingt erfolgreich waren. Dies würde bedeuten, dass die 2. Säule hierzulande empfindlich Federn lassen müsste und weiter an Boden gegenüber der 1. Säule verlieren würde, zumindest | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Weingarten: Sie haben völlig recht, eine solche Politik muss verwaltungsmäßig umsetzbar bleiben. Anstatt einfacher zu werden, wird die ländliche Entwicklungspolitik durch die Verzahnung von 1. und 2. Säule, die Partnerschaftsvereinbarung und die Leistungsreserve zukünftig komplexer und damit aufwändiger. Dies birgt aus meiner Sicht die Gefahr, dass der größere Gestaltungsspielraum, den die Kommissionsvorschläge eröffnen, für die Länder verpufft, weil die sich gezwungen sehen könnten, sich auf die einfach handhabbaren Maßnahmen zu beschränken. Eine umfassend verstandene ländliche Entwicklungspolitik müsste stärker als bisher als ressortübergreifende Aufgabe verstanden werden und geht weit über das hinaus, was die 2. Säule der Gemeinsamen Agrarpolitik zu leisten vermag. Diese ist nur ein Teil der raumwirksamen Politiken und sollte daher auch nicht mit Erwartungen und Ansprüchen überfrachtet werden. 18 Agrarpolitik Dr. Peter Pascher, Fachbereich Betriebswirtschaft und ländlicher Raum des Deutschen Bauernverbands e.V. Foto: DBV Kein stärkerer Landwirtschaftsbezug enthalten Der Verordnungsvorschlag der Kommission zu ELER nennt drei Hauptziele und sechs Förderprioritäten. Zu den drei Zielen gehören ähnlich wie bisher die Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft, die nachhaltige Bewirtschaftung der natürlichen Ressourcen und die Klimaschutzpolitik sowie eine ausgewogene räumliche Entwicklung der ländlichen Gebiete. Die Förderprioritäten setzen darauf auf. Entscheidend zur Beurteilung der künftigen ELER-Verordnung sind die Vorschläge zu den einzelnen Maßnahmen. Bei Wolfgang Reimer, Ministerialdirektor im Ministerium für Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg Foto: MLR Kein Europa der Bürokraten Zwar ist es der Europäischen Union mit ihrem Vorschlag für eine künftige Politik der ländlichen Entwicklung im Großen und Ganzen gelungen, den unterschiedlichen Anliegen und Interessen der 27 Mitgliedsstaaten gerecht zu werden. So ermöglichen die Ausweitung der Förderinstrumente und deren stärkere Vernetzung sowie die Möglichkeit, ELER-Projekte beispielsweise aus Strukturfonds wie EFRE oder ESF zu fördern, den Mitgliedsstaaten eine höhere Flexibilität bei der Gestaltung der Förderprogramme. In den vorgelegten Legislativentwürfen zum ELER ist aber weder eine Stärkung der 2. Säule noch eine klare politische Strategie feststellbar. Beides ist aber angesichts der vielen und großen Herausforderungen, vor denen die ländlichen Räume stehen, unbedingt notwendig. Allein dass nur eine von insgesamt sechs Förderprioritäten auf die ländliche Entwicklung abzielt, zeigt: Die strategische Neuausrichtung im ELER und die Entwicklung über den Agrarsektor hinaus ist der Kommission nicht gelungen. Ein weiteres falsches Signal sind die zu niedrig definierten förderfähigen Höchstsätze für Agrarumwelt- und Naturschutzmaßnahmen in der 2. Säule. Unter diesen Bedingungen bestehen unter heutigen Marktverhältnissen für die Bewirtschafter der Flächen keine Anreize, an solchen Maßnahmen teilzunehmen. Außerdem muss näherer Betrachtung gelangen Kenner der Materie schnell zu dem Schluss, dass das Förderspektrum künftig sogar größer sein wird und mit Schwerpunkten wie Wissens- und Innovationstransfer, Innovationspartnerschaften und Kooperationen zukunftsgerichtete neue Aktionsfelder aufgreift bzw. bestehende ausbaut. Darüber hinaus sollen die Fördermöglichkeiten zugunsten nichtlandwirtschaftlicher Unternehmen und Zwecke im ländlichen Raum weiter ausgebaut und die landwirtschaftliche Investitionsförderung zum Leidwesen des landwirtschaftlichen Berufsstandes eingeschränkt werden. Von einer stärkeren Konzentration der ELER-Förderung auf die Landwirtschaft kann keine Rede sein. Das Gegenteil ist der Fall. Der ELER soll immer mehr Entwicklungen im ländlichen Raum unterstützen. Und weil dies so angedacht ist, liegt die Schlussfolgerung nahe, dass neben dem ELER auch die Europäischen Strukturfonds (EFRE und ESF) ihren Beitrag leisten und die Entwicklung ländlicher Räume mit unterstützen und finanzieren sollten. sichergestellt werden, dass Vertragsnaturschutz auch weiterhin auf nicht land- oder forstwirtschaftlich genutzten Flächen möglich ist. Für die Agrarumwelt- und Naturschutzmaßnahmen, insbesondere bei Natura 2000 und der Wasserrahmenrichtlinie, ist eine höhere finanzielle EU-Beteiligung erforderlich. Die im ELER-Vorschlag vorgesehene Neuabgrenzung der Gebietskulisse nach europäisch einheitlichen Kriterien ist grundsätzlich nachvollziehbar. Es mangelt den Vorschlägen aber noch an der Ausgewogenheit, vor allem durch eine fehlerhafte Einschätzung der Abgrenzungseinheiten. Z. B. erstrecken sich in Baden-Württemberg viele Gemeinden über große, heterogene Gebiete und sind daher für eine an natürlichen Standortbedingungen orientierte Abgrenzung zu großräumig. Deshalb fordern wir von der EU-Kommission eine praxisgerechte Abgrenzung auf Ebene der Gemarkung und eine Auslöseschwelle von 50 % Benachteiligung in der Gemarkung. Positiv hingegen ist die Stärkung von Beratung, Ausbildung und Wissenstransfer. In diesem Bereich will Baden-Württemberg sein Angebot wesentlich verstärken. Auf bewährte Instrumente zur Lenkung des ländlichen Raums wie Kofinanzierungssätze und Mindestbudgets zu verzichten, gleichzeitig aber eine Vielzahl weniger effektiver, aber verwaltungstechnisch aufwändiger Maßnahmen wie Ex-Ante-Evaluierungen oder die Ausweitung von Monitoring und Berichtspflichten einzuführen, halte ich hingegen für höchst bedenklich. BadenWürttemberg macht sich daher für die Einführung einer Bagatellgrenze stark, wenn es um Rückforderungen von Beträgen unter 100 € geht. Denn wir brauchen ein Europa der Bürgerinnen und Bürger und kein Europa der Bürokraten. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 19 Foto: noltepicture / BMELV Agrarpolitik Landwirtschaftsministerinnen und -minister des Agrarministergipfels Berliner Agrarministergipfel 2012: Ernährungssicherung durch Bildung Beim 4. Berliner Agrarministergipfel am 21. Januar 2012 kamen Minister aus 64 Ländern zusammen. Im Hinblick auf eine aktive Beteiligung an der kommenden UN-Konferenz Rio+20 im Juni 2012 tauschten sie sich über Strategien zur Sicherung der Welternährung und zur Armutsbekämpfung aus. Im Ergebnis bekannten sie sich zu einem verstärkten Schutz knapper Ressourcen und zu einer Steigerung der Agrarproduktion, betonten die besondere Rolle von Kleinbauern in der Armutsbekämpfung und bekräftigten die Notwendigkeit, Verschwendung und (Nachernte-)Verluste von Nahrungsmitteln weltweit zu vermindern. Im Abschlusskommuniqué des Spitzentreffens, an dem neben zahlreichen europäischen Staaten auch China, Brasilien, Japan, Indonesien und 15 afrikanische Länder teilgenommen haben, wird eine Landwirtschaft gefordert, die sich konsequent an den Prinzipien der Nachhaltigkeit ausrichtet. Hierfür werde eine starke und abgestimmte Agrarpolitik auf allen Ebenen benötigt. Durch eine nachhaltige Produktionssteigerung würden die Ernährungssicherheit und das Einkommen der in der Landwirtschaft Beschäftigten gesichert. Das gemeinsame Ziel der nachhaltigen Entwicklung sei über eine Gestaltung der Landwirtschaft als Schlüsselsektor zu erreichen. Darauf seien alle weiteren Anstrengungen, Forschungsvorhaben und Politiken auszurichten. Die FAO wird aufgerufen, Konzepte zur Verminderung der Nahrungsmittelverluste und -abfälle auszuarbeiten. Diese gelte es anschließend in Zusammenarbeit mit den Ländern, den landwirtschaftlichen Betrieben, dem privaten Sektor und der Zivilgesellschaft umzusetzen. Traditionelles Wissen mit Forschung verbinden Einen besonderen Stellenwert sehen die Minister darin, in allen Staaten den Kleinbauern Investitionen zu ermöglichen und sicheren Zugang zu Land und Wasser zu gewähren. Einen weiteren Schwerpunkt stelle die Rolle der Frauen dar, deren Rechte weltweit gestärkt werden müssten. Der Generaldirektor der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO), Prof. José Graziano da Silva, hob die Bedeutung von Bildung für die Hungerbekämpfung hervor. Dies gelte für die Er- | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | nährung und die Erzeugung landwirtschaftlicher Produkte gleichermaßen. Hier liege ein entscheidender Ansatz in der Verbesserung der Situation der weltweit 500 Mio. Kleinbauern, von denen ein Großteil in Armut lebe. Von den anwesenden Staaten wurde erkannt, dass innovative Ansätze regional entwickelt und umgesetzt werden müssen. Patentrezepte würden den lokalen Bedingungen der landwirtschaftlichen Produktion nicht gerecht. Das traditionelle Wissen der Landwirte müsse in partizipative Lösungsansätze mit aufgenommen werden. Hier seien vor allem Wissenschaft und Beratung gefordert. Zudem müssten die institutionellen Voraussetzungen geschaffen werden, um Anbau- und Vermarktungsmöglichkeiten zu verbessern. Die Verantwortung aller Staaten für eine angemessene Nutzung der Bodenressourcen sowie für eine effiziente Gestaltung der Wassernutzung wurde unterstrichen. Bezüglich des Ziels einer deutlichen Verringerung des Verlusts von landwirtschaftlichen Flächen verpflichten sich die Minister zur Umsetzung entsprechender Maßnahmen. So solle der fortschreitenden Urbanisierung mit einer Stärkung von Landwirtschaft und ländlichen Räumen begegnet werden. Mit Blick auf einen verantwortungsvollen Umgang mit Agrarrohstoffen und Nahrungsmitteln wurde festgestellt, dass der Einsatz nachwachsender Rohstoffe, die Verwertung von Abfällen und ein bewusster Umgang entlang der gesamten Nahrungsmittelkette einen Beitrag zur Klimaschonung darstellten. ka Das Abschlusskommuniqué sowie weitere Informationen zum Agrarministergipfel auf: www.bmelv.de/agrarministergipfel 20 Landwirtschaft Artenvielfalt statt Sojawahn Dr. Andrea Beste* Nur noch ein Bruchteil des Eiweißfutters für die europäische Tierproduktion wächst heute in der Europäischen Union, während außerhalb Europas dafür auf 20 Mio. ha Eiweißpflanzen angebaut werden. Über 40 Mio. t werden jährlich importiert, das sind fast 80 % des für die Tierproduktion benötigten Eiweißfutters. Wir nutzen Flächen für unseren Ernährungsstil und unsere Fleischexporte, die auf diese Weise einem Großteil der Menschheit nicht mehr zu deren eigener Nahrungsmittelproduktion zur Verfügung stehen. In der Europäischen Union ist die Eiweißpflanzenerzeugung in den vergangenen zehn Jahren stark zurückgegangen. Sie beansprucht derzeit nur noch 3 % der Ackerfläche der EU – in Deutschland ist es nur noch 1 %. Mit dieser Art zu wirtschaften belasten wir nicht nur die Umwelt in Europa durch die Auswirkungen der intensiven Tierhaltung, sondern tragen auch in anderen Regionen der Welt zur Abholzung von Regenwäldern, zur Intensivierung der Landwirtschaft, zu Monokulturen und zur Belastung der Umwelt bei. Der Rückgang der Eiweißpflanzenerzeugung in Europa geht in erster Linie auf in der Vergangenheit abgeschlossene internationale Handelsabkommen zurück (Allgemeines Zoll- und Handelsabkommen (GATT) und Blair-House-Abkommen). Darin wurden der EU als Gegenleistung für die Gewährung der zollfreien Einfuhr von Ölsaaten und Eiweißpflanzen in die EU – vor allem Seitens der USA – mehr Freiheiten in der Getreideerzeugung gestattet. In der Folge des GATT-Abkommens wandelte sich die EU vom Nettogetreideimporteur zum weltweit zweitgrößten Getreideexporteur nach den USA. Durch die Zollfreiheit für die USA und später auch Südamerika wurde die Sojabohne für Futtermittelmischungen in Europa zunehmend preislich attraktiv. Leguminosenschwund führt zu ökologischen Nachteilen Billiges Importsoja aus den USA und niedrige Preise für Mineraldünger machten die Fütterung mit und den Anbau von Leguminosen zur Stickstoffversorgung unattraktiv. Diese Entwicklung führte zu einer deutlich geringeren Wettbewerbsfähigkeit der Leguminosen-/Eiweißpflanzenerzeugung. Die Entwicklung krankheitsresistenter und hochleistungsfähiger Sorten war für Züchter nicht mehr interessant. Landwirte und Verarbeitungsgewerbe verloren das Interesse an der Eiweißpflanzenproduktion. Praktische Kenntnisse im Bereich des Ackerbaus und der Fruchtfolgeplanung, wie auch bei Verarbeitung und Fütterung gingen verloren und Verarbeitungsstrukturen entwickelten sich dramatisch zurück. Der Lupinenanbau für die hofeigene Fütterung war davon nicht ganz so extrem betroffen. Inzwischen ist der Ölsaaten- und Eiweißpflanzenhandel fast ganz auf die Einfuhr von Eiweißpflanzen eingestellt. Mit den Leguminosen verschwanden außerdem auch alle ihre positiven ökologischen Wirkungen aus den landwirtschaftlichen Systemen und die konventionellen Tierhalter gerieten in eine extreme Abhängigkeit. Aber nicht nur in Europa hat diese Entwicklung nachteilige ökologische und wirtschaftliche Folgen. In Brasilien, Argentinien, Kolumbien, Ecuador und Paraguay bringt der Sojaanbau negative Umweltwirkungen mit sich. Es entstehen großflächige Sojamonokulturen auf ehemaligen Regenwaldund Grünlandflächen. Paraguays atlantischer Regenwald fiel dem Sojaanbau komplett zum Opfer und in Brasilien hat dieser bis 2007 zur Entwaldung von 21 Mio. ha Wald geführt. In Argentinien wurden 14 Mio. ha entwaldet. Eine weitere negative Umweltwirkung ist der exzessive Einsatz von Glyphosat-Herbiziden wie Round-Up beim Sojaanbau. Allein in Argentinien werden pro Jahr 200 Mio. l davon eingesetzt. Die Soja-Expansion führt zur extremen Land- und Einkommens-Konzentration. In Brasilien verdrängt der Sojaanbau mit der Schaffung eines neuen Arbeitsplatzes durchschnittlich elf Landarbeiter. Für viele Menschen in Argentinien bedeutet die Sojaproduktion, keinen Zugang mehr zu Land zu haben und damit zunehmenden Hunger. Für den Staat Argentinien bedeutet es vermehrte Importe von Grundnahrungsmitteln, also einen weiteren Verlust an Ernährungssouveränität und erhöhte Nahrungsmittelpreise. * Dr. Andrea Beste, Diplomgeografin und Agrarwissenschaftlerin. Leitung des Büros für Bodenschutz und Ökologische Agrarkultur Mainz. Unabhängiges Beratungs- und Dienstleistungsbüro. Internationale Beratung, Bodenschutz und nachhaltige Landwirtschaft. Mainz, [email protected], www.gesunde-erde.net | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 21 Foto: A. Beste Landwirtschaft Leguminosen sind schon seit Jahrhunderten als Bodengesundungsfrüchte bekannt. Sie lockern den Boden aktiv auf, bilden selbst Mittelporen und sorgen über den Lebendverbau für eine gesunde Bodenstruktur. Eiweißpflanzen – Alleskönner in der Fruchtfolge Leguminosen können im Gegensatz zu anderen Pflanzenarten aktiv den Luftstickstoff aufnehmen und in für Mensch und Tier ernährungsphysiologisch wertvolle essenzielle Aminosäuren umwandeln. Auch in der Fruchtfolge haben sie wichtige Vorteile. Sie erhöhen die Artenvielfalt, erhalten die Bodenfruchtbarkeit, verbessern die Stickstoff- und Phosphatversorgung und erhöhen die Qualität der Folgefrucht. Sie werden daher auch in Form von Zwischenfrüchten als Bodenverbesserungsmaßnahme genutzt. Leguminosen tragen zu einer günstigeren Klimabilanz der Landwirtschaft bei. Das gesamte Treibhauspotenzial einer mineraldüngerbasierten Fruchtfolge beträgt nach Berechnungen von Robertson et al. (2000, in NEMECEK et al 2008)1 gegenüber einer leguminosenbasierten Fruchtfolge 100 zu 36. Leguminosen verringern darüber hinaus die Erzeugungskosten für die Landwirte aufgrund der Verringerung des Mineraldünger-, Energie-, und Pflanzenschutzmittelbedarfs. Diese ökologischen 1 und ökonomischen Benefits sind durch viele europäische Studien belegt. Sie werden aber – außer im ökologischen Landbau – kaum genutzt. Substitution von Sojaschrot als Futter teilweise schwierig, aber machbar Sojaschrot lässt sich je nach Tierart und Haltungsform unterschiedlich gut ersetzen. Bei einheimischen Körnerleguminosen ist der Tannin-Gehalt in der Schweine- und Hühnermast ein Problem, bei Wiederkäuern nicht. Beim Einsatz heimischer Körnerleguminosen in der Fütterung kann in der Regel nicht von einem einfachen Ersatz des Sojaschrotes ausgegangen werden, sondern es kommt darauf an, für den jeweiligen Einsatzbereich passgenaue Futtermittelmischungen mit einem möglichst hohen Anteil einheimischer Körnerleguminosen zu entwickeln. Hierzu gibt es schon viele Daten aus der Forschung. In der Milchproduktion kann beispielsweise der Eiweißanteil im Grundfutter durch den Erntezeitpunkt und eine Erhöhung des Leguminosenanteils beeinflusst werden und so den Eiweißbedarf aus dem Kraftfutter senken. Nemecek, Th. et al. (2008): Environmental impacts of introducing grain legumes into European crop rotations. In: Europ. J. Agronomy 28. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 22 Landwirtschaft Laut einer französischen Studie erzeugt die Substitution von Sojaschrot bei Masthähnchen längere Mastzeiten, da sie das Wachstum verzögert. Hier eröffnet ein Wechsel auf eine qualitätsorientierte Produktion mit längeren Mastzeiten bzw. ökologische Produktion Möglichkeiten des Proteinersatzes durch Körnerleguminosen. Verringerung der Eiweißimporte der EU – ein wichtiger Bestandteil der GAP-Reform Die EWG-Verordnung Nr. 1538/91, die die europäischen Normen für Marktfleisch regelt, setzt fest, dass Freilandhühner (mit Ausnahme der ökologischen Produktion) mit einem sehr hohen Mindestgetreideanteil in Futtermitteln gemästet werden müssen (Verordnung (EG) Nr. 543/2008). Hierdurch ergibt sich quasi ein erzwungener Anteil an Sojaschrot, um die Qualität zu halten. Der Einsatz von Körnererbsen wird dadurch verhindert. Die Europäische Kommission und die Mitgliedsstaaten sind sich einig, dass mit einer Stärkung des Eiweißpflanzenanbaus in der EU auf die neuen Herausforderungen wie den Klimawandel, den Verlust der Artenvielfalt, die Bodenerschöpfung und die Grundwasserbelastung sowie Preisschwankungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen auf dem Weltmarkt gleichermaßen positiv reagiert werden könnte. Hierfür müssten aber nach dem starken Rückgang des Eiweißpflanzenanbaus unter eine für Zucht, Anbau, Verarbeitung und Handel kritische Menge große Anstrengungen erfolgen. Eine Angleichung der Regelung an die Anforderungen für Futtermittel in der ökologischen Produktion, wo Erbsen zum Einsatz kommen dürfen, könnte beispielsweise allein in der französischen Produktion von Qualitätsgeflügel jährlich 28 700 t Sojaschrot ersetzen. Würde die gesamte französische Produktion auf Qualitätsgeflügel umgestellt und die Verordnung angepasst, könnte eine Menge von 178 400 t Sojaschrot durch Erbsen ersetzt werden. Einheimische Körnerleguminosen gelten als wirtschaftlich wenig lukrativ. Dies liegt u. a. daran, dass Anbauentscheidungen zumeist nur aufgrund eines einfachen Deckungsbeitragsvergleiches und nicht in Bezug auf die Leistungen in ganzen Fruchtfolgesystemen gefällt werden. Berechnet man die vielfältigen (Vorfrucht-) Leistungen von Leguminosen mit ein, sieht die Bilanz aber deutlich anders aus. Tiermehle als Proteinquelle? Die EU-Kommission überlegt seit einiger Zeit, das Verbot der Verfütterung von Tiermehlen für Nicht-Wiederkäuer wieder aufzuheben. Doch die Beschränkung der Zulassung auf NichtWiederkäuer hilft nicht wirklich. Denn bekanntlich ist die Gefahr hoch, dass Tiermehle durch kriminelle Energie in der Fleischwirtschaft in Wiederkäuer-Futter gelangen. Die Fleischskandale der letzten Jahre belegen, dass eine ausreichende Kontrolle der Fleischwirtschaft – besonders im Bereich des Handels mit Schlachtabfällen – schwierig ist. Die EFSA (Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit) hat in einer Stellungnahme 2008 darauf hingewiesen, dass selbst niedrige Rückstände von Tierproteinen in Futtermitteln für Wiederkäuer eine Gefahr für die Verbraucherinnen und Verbraucher darstellen. Sie warnt vor der Erhöhung der Toleranzschwellen für tierische Proteine in Futtermitteln. Frankreich hat sich gänzlich gegen eine erneute Nutzung tierischer Proteine ausgesprochen. Auch in diesem Zusammenhang hat eine Eiweißversorgung über den Anbau von Leguminosen deutliche Vorteile in Fragen der Lebensmittelsicherheit und -qualität sowie der Tiergerechtheit. Für die Massentierhaltung und die ohnehin zu hohe Fleischproduktion sollten nicht noch Erleichterungen durch die risikobehaftete Verwendung von Tiermehl im Tierfutter gegeben werden. Die Vermarktung der Ernte ist derzeit problematisch, da in einigen Regionen der Landhandel mangels Masse oder Einheitlichkeit wenig Interesse an der Abnahme von Körnerleguminosen hat (Fehlen großer einheitlicher Partien mit definierter Qualität). Der züchterische Ertragsfortschritt ist im Vergleich zu anderen Fruchtarten geringer und die Anzahl von Zuchtprogrammen sehr begrenzt. Dennoch sieht die EU-Kommission im Anbau und Einsatz von Eiweißpflanzen einen zukünftig vielversprechenden Bereich zur Erhöhung der Versorgung der EU mit einheimischen Eiweißpflanzen. Dies gilt besonders für den hofeigenen Anbau sowie für die ökologische und gentechnikfreie Fütterung. Um den Anbau zu fördern, bedarf es unabhängiger Forschung im Bereich Saatgutentwicklung und in der Entwicklung von Empfehlungen für hofeigene Futtermittelmischungen sowie eine intensive Vermittlung des Themas in Ausbildung und Beratung. Eine Analyse des Handlungsbedarfs und schließlich eine entsprechende Förderung der gesamten Wertschöpfungskette von Anbau, Handel und | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 23 Landwirtschaft Verarbeitung im engen Schulterschluss von Züchtung und Landwirtschaft einschließlich Verbänden, Wissenschaft sowie Politik ist dafür notwendig. Das Eiweißprojekt der Deutschen Agrarforschungsallianz (DAFA) ist dafür ein guter Ansatz in Deutschland, siehe auch unter http://www.dafa.de/de/startseite/fachforen/ leguminosen.html. Wir brauchen aber viel mehr europäische Projekte und eine europäische Koordination. Denn hier spielen alle Akteure eine Rolle. Angesichts der in den WTO-Verhandlungen angestrebten weiteren Liberalisierung der Weltagrarmärkte, in denen sog. Drittländer wie z. B. die USA u. a. eine Erleichterung der Handelsbeschränkungen für Futtermittelimporte aus GV-Pflanzen fordern, muss die EU dann konsequenterweise – auch mit Rücksicht auf den Wunsch der europäischen Verbraucher nach Gentechnikfreiheit der Nahrungsmittel – vermehrt die im Recht auf Nahrung verankerte Ernährungssouveränität von Staaten und Regionen in die Verhandlungen einbringen. Es kann nicht sein, dass die USA entscheiden, was europäische Bürger/-innen auf ihren Tellern haben sollen. Der Fleischkonsum Viele Flächen – vor allem im subtropischen Klima – sind ohne die Nutzung von Wiederkäuern kaum für die menschliche Ernährung nutzbar. Insofern sollte Tierhaltung und ein gemäßigter Fleischkonsum nicht generell verteufelt werden. Es bleibt aber festzustellen, dass das Ausmaß an Produktion und Konsum von Fleisch, das seit Jahren in der EU vorherrscht, mit einer sinnvollen Nutzung von Weideflächen, die dem Begriff der „Veredelung“ gerecht würde, schon lange nichts mehr zu tun hat. Bei der Art und Weise der aktuellen Fütterung stehen ehemalige Weideverwerter inzwischen in Nahrungskonkurrenz zum Menschen. Hohe Sojaimporte sind eine wesentliche Voraussetzung für eine Entwicklung der europäischen Landwirtschaft, die die Verbreitung der Massentierhaltung begünstigt und die viel sinnvollere Weidehaltung verdrängt. Eine Förderung von Leguminosen in den landwirtschaftlichen Fruchtfolgen und in der einheimischen Fütterung beinhaltet dagegen viele Chancen gleichzeitig. Wir sollten diese Pflanzen wiederentdecken und ihre Vorteile nutzen. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Der „Eiweißbericht“ – eine Initiative des Europäischen Parlaments Die Abhängigkeit Europas von Eiweißimporten für die Fleischproduktion bringt auch wirtschaftlich große Risiken für viele europäische Landwirte mit sich. Die Tierproduktion in Europa ist in diesem System, das auf „Fernfütterung“ basiert, von den Preisschwankungen auf den Weltmärkten direkt abhängig. Das können viele Betriebe nicht lange auffangen. Sie geben auf. Tierhaltung sowie Milch- und Fleischproduktion müssen wieder in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Es gilt, der Landwirtschaft eine Perspektive für eine unabhängigere Form der Fütterung mit mehr Regionalität, mehr Qualität und mehr Wertschöpfung für die Landwirte und die Regionen zu geben. Dies stünde darüber hinaus im Einklang mit einer stärkeren Ausrichtung der Lebensmittelkette auf Qualitätsproduktion, wie im „Grünbuch“ der EU-Kommission über die Qualitätspolitik für Agrarerzeugnisse gefordert (EU-KOM 2009). Auch Klima, Boden, Wasser und Artenvielfalt könnten davon profitieren. Aus diesem Grund hat das EU-Parlament 2011 den Initiativbericht „Das Proteindefizit in der EU: Wie lässt sich das seit langem bestehende Problem lösen?“ verabschiedet. Berichterstatter war Martin Häusling, Agrarsprecher der Fraktion Die Grünen/EFA im europäischen Parlament. Die Autorin hat maßgeblich am Initiativbericht mitgearbeitet. Um die Ergebnisse des Berichtes verständlicher aufzubereiten und weiter zu verbreiten, hat sie im Auftrag von Martin Häusling 2011 die Broschüre „Artenvielfalt statt Sojawahn“ ausgearbeitet. Runa Boeddinghaus, Universität Hohenheim, hat dabei wertvolle Hilfe geleistet. Kontakt: [email protected] Weitere Informationen sowie eine Kontaktund Literaturliste sind in der Studie „Artenvielfalt statt Sojawahn“ unter folgendem Link nachzulesen: http:// gruenlink.de/3zp 24 Foto: IMAGO/BLE Landwirtschaft Gärtnerei Obergrashof – Ein Gemisch aus Stallmist, Pflanzenresten und Gesteinsmehl bildet nährstoffreichen Dünger für den Gemüseanbau. Gut Herrmannsdorf – Sulmtaler Zwei-Nutzungshuhn aus Sulmta Förderpreis Ökologischer Landbau Mit dem „Förderpreis Ökologischer Landbau“ werden jedes Jahr bis zu drei ökologisch wirtschaftende Betriebe geehrt, die sich durch Innovationen und vorbildliche Leistungen in der ökologischen Landwirtschaft auszeichnen. Dabei kann sich die Auszeichnung sowohl auf das gesamtbetriebliche Konzept als auch auf einen Teilbereich des Betriebes beziehen. Die Leistungen der Betriebe sollen übertragbar sein und zum Nachahmen anregen sowie Verbraucher und Verbraucherinnen über Produktionsweise und Qualität der ökologisch erzeugten Lebensmittel informieren. Der Förderpreis wird vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vergeben. Zu den Preisträgern 2012 gehören die Gärtnerei Obergrashof in Bayern, die Gut Herrmannsdorf KG in Bayern und der Bioland-Betrieb „De Fischer ut Grambek“ aus Schleswig-Holstein. Gärtnerei Obergrashof Die Demeter-Gärtnerei Obergrashof wird für ihr innovatives Gesamtkonzept mit dem Förderpreis ausgezeichnet. Seit der Betriebsgründung 1992 ist der Obergrashof von 5 ha und drei Mitarbeitern auf heute 113 ha mit 30 Mitarbeitern gewachsen. 55 ha werden mit Gemüsekulturen bewirtschaftet, die restliche Ackerfläche wird zum Futter- und Getreideanbau genutzt. Damit trotz intensiven Gemüseanbaus die Kreislaufwirtschaft verfolgt werden kann, hält der Demeter-Hof eine Rinderherde mit 68 Tieren und eine 40-köpfige Schafherde. Durch den Einsatz von Mistkompost und vielfältige Gründüngung kann so der Düngereintrag von außerhalb des Betriebes auf 10 kg N pro Hektar begrenzt werden. Beeindruckend ist die Vielfalt im Betriebskonzept: Neben dem Erhalt alter Nutztierrassen – die Rindviehherde stellt den zweitgrößten Bestand des alten heimischen Murnau-Werdenfelser Rinds dar und wird im Herdbuch geführt – wird viel Wert auf die Züchtung und den Erhalt der Sortenvielfalt im Gemüseanbau gelegt. Neben dem Anbau von über 100 Sorten Feld- und Feingemüse leistet der Obergrashof Pionierarbeit in der Züchtung neuer Gemüsesorten. Die eigene Saatgutvermehrung, Erhaltungsund Eigenzucht führte schon zu mehreren Sortenzulassungen durch das Bundessortenamt. Nachhaltigkeit bedeutet für den Obergrashof neben dem Erhalt der Biodiversität auch Weitergabe von Wissen: Neben der Ausbildung von Lehrlingen (fünf bis sechs pro Jahr) ist der Betrieb auch mit Kursen an der Volkshochschule und im eigenen Seminarhaus in der Erwachsenenbildung tätig. Ein Waldorfkindergarten, Hoffeste und Hofführungen erweitern das Angebot. Somit ist Nachhaltigkeit im ökologischen, sozialen und ökonomischen Bereich die Leitmaxime des Denkens und Handelns auf dem Hof. Gut Herrmannsdorf KG Der Biokreis-Betrieb Gut Herrmannsdorf KG erhält den Förderpreis für die erfolgreiche Vermarktung eines innovativen Finanzierungskonzepts der ökologischen Hühnerhaltung. Ausgehend von der schwierigen Situation der Geflügelhaltung auch in der biologischen Landwirtschaft | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 25 Foto: HLW Foto: IMAGO/BLE Landwirtschaft Hühner (s. Plakat li), Bresse-Huhn und ler und Bresse (re) startete das Gut Herrmannsdorf ein Projekt zur Haltung, Vermehrung und Mast von Zwei-Nutzungshühnern aus einer Kreuzung der Rassen Sulmtaler und Bresse. Damit wird auf hochspezialisierte Hybridrassen zugunsten von traditionellen Hühnerrassen verzichtet und die Tötung männlicher Küken vermieden, da diese für die Mast genutzt werden. Über ein „Landhuhn-Darlehen“, das die Kunden dem Betrieb gewähren, konnten binnen kürzester Zeit Investitionsmittel für einen Brutapparat, Mobilställe und die Eiersortierung zum Aufbau des neuen Betriebszweiges aufgebracht werden. Mit einer zweiten Auflage dieses erfolgreichen Finanzierungsmodells konnte der Aufbau einer Geflügelschlachtung realisiert werden. Für ein Darlehen in Höhe von 300 € bekommen die Kunden über zehn Jahre einen Einkaufsgutschein für die Gut Herrmannsdorfer Verkaufsstellen von pro Jahr 40 € zurück. Der alternative Ansatz, der durch das Gut Herrmannsdorf verfolgt wird, rückt die ethische Problematik der Geflügelhaltung in den Mittelpunkt und bezieht die Verbraucher als Kapitalgeber aktiv mit in den Entwicklungsprozess ein. Außerdem stärkt das Projekt die Kundenbindung „De Fischer ut Grambek“ – Fütterungsanlage für den Einsatz von Bio-Bruchgetreide in der Ernährung von Karpfen an den Hof. Zur Unterstützung des Projektes und der Auseinandersetzung mit ethischen Fragen der Geflügelhaltung wurden ein Landhuhn-Tagebuch in Form eines Blogs geschaffen. Kunden können dort die Entwicklung der Hühnerhaltung verfolgen und sich mit Fragen und Kommentaren aktiv beteiligen. Zusätzlich werden Spezialführungen, Newsletter und Verkostungsaktionen angeboten. „De Fischer ut Grambek“ Für seine besonders artgerechte Haltung, Zucht und Fütterung von Fischen erhält der Bioland-Betrieb „De Fischer ut Grambek“ die Auszeichnung. Der Betrieb wird seit der Übernahme 1989 extensiv bewirtschaftet. In 44 naturnah gestalteten Fischteichen mit insgesamt 32 ha Wasserfläche hält der Fischer hauptsächlich Karpfen, aber auch Schleie, Hechte und Welse, die alle aus eigener Nachzucht stammen. Um große Verluste durch Kormorane zu vermeiden, sind die Jungfischanlagen mit Netzen überspannt; eingegrabener Maschendraht und ein Elektrozaun schützen die Teiche vor Fischottern und sorgen für eine naturschutzverträgliche Lösung. Seit 2010 werden auf dem Betrieb Enten mit Fischen in | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Polykultur gehalten. Dieses neu aufgegriffene, alte Haltungssystem fördert durch die Wahl der Orpington- und der Pommernente nicht nur den Erhalt bedrohter Nutztierrassen, sondern senkt auch den Pflegeaufwand für die Teiche und regt das natürliche Nahrungsangebot der Teiche an. Durch den nährstoffreichen Kot der Enten entwickeln sich im Wasser Kleintiere, die bis zu 50 % des Futterbedarfs der Fische decken. Für den restlichen Futterbedarf setzt der Fischer auf den Einsatz von Bruchgetreide eines benachbarten DemeterHofes. Neben einer sinnvollen Verwertung steigt durch den Insektenbesatz des Getreides auch das Proteinangebot im Futter. In Zusammenarbeit mit der Universität Kiel konnte festgestellt werden, dass das Bruchkorngetreide eine rentable und effektive Fütterungsvariante darstellt. Beruhend auf diesen Forschungsergebnissen sollen in Grambek zukünftig vermehrt Insekten als innovative Eiweißalternative zu Soja und Fischmehl in der Fütterung eingesetzt werden. ka Weitere Informationen über den Förderpreis Ökologischer Landbau und Filmporträts der Preisträger: www.foerderpreisoekologischerlandbau.de 26 Ländlicher Raum Siedlungsentwicklung: Demografie zwingt Kommunen zum Handeln Andreas Greiner* Welche Konsequenzen hat der demografische Wandel für die Siedlungsentwicklung und den Wohnungsmarkt in den Kommunen? Im Rahmen des baden-württembergischen Modellprojekts „Flächen gewinnen durch Innenentwicklung“ wurde dazu im Landkreis Böblingen eine Studie erstellt. Die Ergebnisse liegen jetzt vor und sind nicht nur für die Projektpartner Böblingen, Magstadt, Mötzingen und Nufringen interessant. Der demografische Wandel betrifft mehr oder weniger alle Kommunen. Je früher sie sich darauf einstellen, umso besser können sie diesen Herausforderungen begegnen und Fehlentwicklungen vermeiden. Ziel des 2011 durchgeführten Projekts1 war die Förderung der Innenentwicklung, insbesondere die Wiederbelegung von Leerständen in den beteiligten Kommunen und die Entwicklung übertragbarer Maßnahmen für andere Kommunen. In einer Bestandsaufnahme erhoben die Kommunen gemeinsam mit dem Stuttgarter Büro Ökonsult die heutigen Leerstände im Gebäudebestand. Darüber hinaus berechneten die Projektpartner die aufgrund des demografischen Wandels zu erwartenden Leerstände bis zum Jahr 2030. Denn neben der Mobilisierung von Baulücken und Brachflächen muss für die Innenentwicklung zunehmend die Wiederbelegung von leer stehenden Wohnflächen im Fokus stehen. Leerstand mindert Attraktivität und Wohnqualität Obwohl sich die beteiligten Kommunen hinsichtlich Größe, Zentralität der Lage, Verkehrsanbindung und vielen anderen Merkmalen deutlich unterscheiden, liegen die ermittelten Leerstandsquoten relativ nahe beieinander. So betragen die Anteile der aktuell leer stehenden Gebäude bei allen Projektpartnern etwa 5 %, weitere rund 10 % werden in den nächsten 20 Jahren durch den demografischen Wandel dazu kommen (s. Abb. 1). Sollten diese Wohnungen nicht wiederbelegt werden, drohen im Jahr 2030 rund 15 % der Gebäude leer zu stehen. Wenn diese Entwicklung einmal eingesetzt hat und Abbildung 1: Entwicklung des Anteils leer stehender Gebäude bis 2030 18,7 % 20 % 14,3 % 14,2 % 8,3 % 9,7 % 9,6 % 5,0 % 4,6 % 4,6 % 6,9 % Mötzingen Nufringen 13,3 % 15 % 10 % 11,8 % 5% 0% Böblingen Magstadt Anteil aktuell Anteil Zuwachs bis 2030 Quelle: Daten aus den Projektkommunen, Berechnungen und Zusammenstellung ÖKONSULT GbR * Andreas Greiner, Ökonsult GbR, Stuttgart, Tel. (0711) 674 474 – 60, [email protected], www.oekonsult-stuttgart.de 1 Eine Kurzfassung der Studie „Demografie, Innenentwicklung und Wohnraumpotenziale im Landkreis Böblingen und den vier Projektkommunen Böblingen, Magstadt, Mötzingen und Nufringen“ steht im Internet unter www.lra-bb.kdrs.de (unter „Aktuelles“ „Broschüren und Faltblätter“). | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 27 Ländlicher Raum im Straßenbild sichtbar wird, ist sie – wenn überhaupt – nur mit großem Aufwand zu stoppen bzw. umzukehren. Denn bereits Leerstandsquoten über 10 % können nach Einschätzung von Experten die Attraktivität und Wohnqualität von Ortsteilen deutlich mindern. Methodisch bedingt sind die real zu erwartenden Leerstände möglicherweise sogar noch höher, denn in der Studie konnten nur solche Gebäude als „Leerstand“ erfasst werden, die komplett unbewohnt sind. Mehrfamilienhäuser, in denen eine oder mehrere Wohnungen leer stehen, konnten nicht mitgezählt werden. In Ortsteilen von Gemeinden mit vielen mehrstöckigen Wohngebäuden sind deshalb die Wohnraumpotenziale im Bestand wahrscheinlich noch größer als die ermittelten Werte. Hinzu kommt, dass der vorhandene Wohnraum nicht auf die zukünftige Nachfrage ausgerichtet und manchmal auch für die Wiederbebauung ungeeignet ist. Nachgefragt werden wird in Zukunft Wohnraum für kleine Familien und Alleinerziehende, aber auch seniorengerechte, barrierefreie Wohnungen in zentraler Lage. Gleichzeitig gibt es immer weniger junge Familien und Interessierte, die neuen Wohnraum suchen. Daher führt die Ausweisung neuer Baugebiete – wenn die neuen Bauplätze gut verkauft werden, was vielerorts bereits heute nicht mehr der Fall ist – unweigerlich dazu, dass die Vermittlung leer stehender Wohnungen und Häuser im Bestand schwieriger wird. So hat das erste Fazit der Untersuchung nicht wenige überrascht: Von Kommune zu Kommune gibt es zwar gewisse Unterschiede, aber die grundsätzliche Entwicklung betrifft alle Projektpartner gleichermaßen – und wahrscheinlich die allermeisten Kommunen. Damit stellt der demografische Wandel alle Akteure vor eine ähnliche Herausforderung. Beispiel Baden-Württemberg Nach Vorausberechnungen des Statistischen Landesamts Baden-Württemberg wird die Bevölkerung im Landkreis Böblingen von 2008 bis 2030 um 14 600 Einwohner abnehmen. Die tatsächlich für das Jahr 2010 erfasste Einwohnerzahl liegt bereits unter dem Wert der Vorausberechnung. Dies könnte eine vorübergehende Schwankung der Bevölkerungsentwicklung sein, könnte aber auch darauf hinweisen, dass die Realität des demografischen Wandels noch schneller voranschreitet als die Vorausberechnungen nahelegen, die ja immer nur Entwicklungen der Vergangenheit fortschreiben und aktuelle Trends nur zeitverzögert abbilden. Sicher ist: Sollten die 137 ha genehmigte Neubaugebiete bzw. wesentliche Teile davon im Landkreis Böblingen erschlossen werden, ist mit Überkapazitäten im Wohnungsmarkt zu rechnen, die sich über kurz oder lang auch auf den Wert der Bestandsimmobilien auswirken werden. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Abbildung 2: Demografie und Erbmasse Generation 1: 4 Personen (1940er) Generation 2: 6 Personen (1960er) Generation 3 4 Personen: (1990er) 4 Personen haben in 10-20 Jahren 7 Immobilien zur Verfügung! Quelle: ÖKONSULT GbR Sicher ist auch: Die Entwicklung im Landkreis Böblingen ist kein Sonderfall. Nach den Zahlen des Statistischen Landesamts wird die Bevölkerung in ganz Baden-Württemberg von aktuell 10,75 Mio. Einwohnern auf 10,37 Mio. im Jahr 2030 abnehmen. In 20 Jahren werden also rund 380 000 Menschen weniger im Südwesten leben. Diese Vorausrechnung basiert darauf, dass bis 2030 jährlich 10 000 Menschen mehr ins Land zuwandern als wegziehen. Doch können diese Wanderungsgewinne die niedrigen Geburtenraten in der Summe nicht mehr ausgleichen. Außerdem wollen die Menschen vor allem in die größeren Städte ziehen, weit weniger in die kleinen Gemeinden im ländlichen Raum. Letztere verlieren also Einwohner durch Wegzug. Die Städte können dagegen bei attraktiver Infrastruktur ihre Einwohnerzahl im besten Fall stabil halten. Hinzu kommt der Effekt, dass es aufgrund der Überalterung und der allgemein hohen Sterberate in allen Kommunen immer mehr leer stehende Wohnungen und Häuser geben wird (s. Abb. 2). Durch die demografische Entwicklung und den Siedlungsbau seit dem Zweiten Weltkrieg haben die Haushalte heute in der Tendenz immer mehr Immobilien zur Verfügung. 28 Ländlicher Raum Praxisbeispiele zur Innenentwicklung in den vier Modellkommunen: Im Zusammenhang mit dem Modellprojekt wurden in den beteiligten Gemeinden Projekte identifiziert, die exemplarisch zeigen, wie Kommunen die Innenentwicklung voranbringen können: Im Herzen von Böblingen entsteht ein Wohn- und Bürohaus mit insgesamt 18 barrierefreien Wohneinheiten im Niedrigenergiestandard auf bereits ehemals bebauten Flächen. Erste Käufer haben hier bereits eine Wohnung für ihre spätere Eigennutzung im Seniorenalter erworben. Auf dem rund 2 ha großen ehemaligen Fabrikgelände der Schoenenberger Pflanzensaftwerke in Magstadt entsteht ein attraktives Quartier in zentraler Lage. Es wurden bereits 24 Wohneinheiten realisiert, hinzu kommen ein Lebensmittelgeschäft und ein barrierefreies 12-Familienhaus mit Arztpraxen. Die Nachfrage nach diesen nur rund 400 m von der künftigen S-Bahn-Station gelegenen Wohnungen ist hoch. Die Gemeinde Mötzingen wurde im Jahr 2007 mit der Sanierungsmaßnahme „Ortskern II“ in das Sanierungsprogramm des Landes BadenWürttemberg aufgenommen. In diesem Rahmen wurde das im Ortskern gelegene „Lammareal“ von der Gemeinde aufgekauft, alte Gebäude abgerissen und das Grundstück neu aufgeteilt. Es stehen dort nun fünf Bauplätze zum Verkauf. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite liegt das Gelände für eine geplante Einrichtung des betreuten Altenwohnens, das demnächst realisiert werden soll. In Nufringen haben private Eigentümer Hand in Hand mit der Kommune Grundstücke mit abbruchreifen Häusern an der Hauptstraße veräußert und die Flächen für eine neue Nutzung frei gemacht. Heute stehen dort ein Mehrfamilienhaus mit sechs Wohnungen, zwei Gewerbegebäude und drei Reihenhäuser. Außerdem wurde ein landwirtschaftliches Gebäude mit Stallungen in der Ortsmitte abgerissen. Dort haben nun junge Familien in vier Reihenhäusern und zwei Doppelhaushälften ein Zuhause gefunden. Daneben wurde noch eine Grünanlage mit Spielmöglichkeiten für Jung (Spielplatz) und Alt (Boulebahn) angelegt. Konsequenzen für die Kommunalplanung Vielen fällt es schwer, die ganze Dimension der Fakten zu ermessen und daraus Konsequenzen für die Praxis abzuleiten. Dabei hat der unverblümte Blick auf die Realität durchaus seine handfesten Vorteile: Je früher sich die Entscheidungsträger in den Kommunen sachlich fundiert mit dem Thema befassen und daraus Konsequenzen für ihr Handeln ableiten, umso besser können sie diesen Wandel noch gestalten und Fehlentwicklungen vermeiden. Wenn die Kommunen eine positive Entwicklung herbeiführen wollen, müssen sie heute Veränderungen aktiv begleiten. Sie sollten alles vermeiden, was die Leerstands-Problematik verschärft und möglichst viel dafür tun, die Wiederbelegung von Wohnraum im Bestand zu fördern. Ihren Schwerpunkt sollten sie darauf setzen, den qualitativen Umbau ihrer bestehenden Flächen und Immobilien zu organisieren. Dazu müssen sie alle Bürgerinnen und Bürger und auch die Entscheidungsträger in den Kommunalparlamenten mitnehmen. Empfehlungen für Entscheidungsträger in Kommunen Die aktuellen und künftig zu erwartenden Leerstände systematisch erheben und damit eine sachlich fundierte Grundlage für die Planung schaffen. Ausweisung neuer Baugebiete vermeiden, weil sie mit der Wiederbelegung von Bestandsimmobilien konkurrieren. Innenentwicklung fördern und damit die Attraktivität der Ortskerne erhalten. Die für die Wiederbelegung der Bestandsimmobilien in Frage kommende Zielgruppe der jungen Familien vor allem auf die leer stehenden Ein- und Zweifamilienhäuser bzw. Reihenhäuser lenken („Familienwohnraum“, häufig mit größeren Gärten als im Neubau). Die vorhandenen Potenziale in Baulücken und Brachflächen vor allem für altersgerechte bzw. barrierefreie Wohnungen nutzen, damit sie der wachsenden Nachfrage-Gruppe der Senioren zur Verfügung stehen. Gemeinderat sowie Bürgerinnen und Bürger mit geeigneten Kommunikationsmaßnahmen informieren. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 29 Genossenschaften Schwerpunkt Genossenschaften Das von der UNO für 2012 ausgerufene Internationale Jahr der Genossenschaften ist der Anlass für den Schwerpunkt dieser Ländlicher-Raum-Ausgabe. Wir möchten die Idee, den Genossenschaftsgedanken zu fördern, mit Informationen zu seiner Geschichte, zur Bedeutung von alten und neuen Genossenschaften sowie zu Genossenschaftsbanken unterstützen. Für die Jahresaktivitäten haben die Genossenschaften in Deutschland das Motto „Ein Gewinn für alle – Die Genossenschaften“ gewählt, mit dem sie auf die Leistungsfähigkeit von Genossenschaften als moderne Wirtschaftsform hinweisen möchten. Einige Praxisbeispiele von Genossenschaften stellen wir separat dar, viele weitere Beispiele finden sich darüber hinaus in den Texten der Autoren. Ländliche Genossenschaften – ein Erfolgsmodell vom Mittelalter bis heute Prof. Dr. Gerhard Henkel* Genossenschaften in Mittelalter und Früher Neuzeit Genossenschaften sind typisch ländliche Einrichtungen der wirtschaftlichen Selbsthilfe. Sie reichen weit in die Dorfgeschichte zurück. Vom alt- und mittelhochdeutschen Wortsinn her heißt Genosse: „der seinen Besitz mit anderen gemeinsam hat“ und der einen „Nutzen davon“ hat, was noch in unserem Wort „genießen“ steckt. Genossenschaften sind also Zusammenschlüsse mehrerer Personen zu einem gemeinschaftlichen Geschäftsbetrieb, wobei für den Einzelnen Vorteile entstehen. Jeder Genosse bringt in die Gemeinschaft etwas ein: in der Regel Land, Geld oder seine Arbeitskraft. Man unterscheidet Zwangsgenossenschaften und freiwillige Zusammenschlüsse. Die älteren, bis ins Mittelalter reichenden ländlichen Genossenschaften waren überwiegend Zwangsgenossenschaften, denen man durch seinen Besitz oder Wohnort angehörte. So wurde insbesondere das allen Dorfbewohnern zustehende Weideland (Allmende, Brachen und Wald) gemeinschaftlich und nach festen Regeln genutzt, die Gemeinschaftsherden von dorfeigenen Hirten betreut. Ähnliches galt für die in Parzellen aufgeteilte Feldflur, deren Bewirtschaftung ebenfalls fest geregelt war. Weitere Zwangsgenossenschaften waren Wald- und Jagdgenossenschaften. Letztere haben bis heute Bestand und regeln die Bedingungen der Jagd zwischen den Grundeigentümern und Jagdpächtern auf der gesamten Flurfläche. Die meisten Zwangsgenossenschaften haben allerdings mit den Agrarreformen des 19. Jahrhunderts, mit der Überführung der Gemeinrechte in Privatrechte, ihre Basis verloren. * Prof. Dr. Gerhard Henkel, Geographisches Institut der Universität Duisburg-Essen, [email protected]. Die ausführliche Fassung des Artikels ist nachzulesen in: Das Dorf. Landleben in Deutschland – gestern und heute. Konrad Theiss Verlag GmbH, Stuttgart, 2012. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Foto: Stiftung GIZ, Berlin Genossenschaften gehörten zu jedem mittelgroßen Dorf wie die Kirche oder Schule. Hier kauften die Bauern Futter-, Düngemittel und Saatgut oder lieferten ihre Getreideernte ab. Im Angebot gab es aber auch Hühnerfutter und Grassamen oder Kleingeräte und Gummistiefel für den Land- und Gartenbau. Inzwischen sind die meisten dieser klassischen Bezugs- und Absatzgenossenschaften aus den Dörfern verschwunden, andere wie die Volksbanken haben Bestand. Und neue Genossenschaften mit höchst unterschiedlichen dörflichen Zielen werden gegründet. 30 Genossenschaften Gründungsboom freiwilliger Genossenschaften im 19. Jahrhundert Das moderne, auf Freiwilligkeit basierende Genossenschaftswesen entwickelte sich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts – wir unterscheiden Waren-, Kredit- und Betriebsgenossenschaften. Sie hatten die Wirtschaftsförderung der Einzelmitglieder zum Ziel und arbeiteten in lokaler Selbstverantwortung sowie nach dem Kostendeckungsprinzip. Generell sollten die Genossenschaften den Bauern, die durch die Agrarreformen juristisch und ökonomisch frei geworden waren, dabei helfen, ihren Start in die Marktund Kapitalwirtschaft zu bestehen. Als Begründer der bäuerlichen Genossenschaftsbewegung gilt Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 - 1888). Sein Grundsatz entsprach der christlichen Nächstenliebe und lautete „Einer für alle – alle für einen“, was nicht nur ökonomische Vorteile, sondern auch Gemeinsinn hervorbrachte. Die Genossenschaften waren nach Raiffeisen ein Mittel zur Steigerung des Wohlstandes und der geistig-sittlichen Kultur der Landbevölkerung. Als Pionier neben Raiffeisen ist Hermann Schulze-Delitzsch (1808 - 1883) zu nennen, der als Begründer des handwerklich-gewerblichen Genossenschaftswesens gilt. Dies war wichtig, weil sich das Landgewerbe ebenso wie die Landwirtschaft im späten 19. Jahrhundert kräftig entwickelte und zum Aufschwung des Dorfes beitrug. Foto: RWG Eitorf Die Genossenschaftsgründungen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatten sehr unterschiedliche Schwerpunkte. Vor allem in der Anfangsphase hatten die Genossenschaften die Aufgabe, Bauern und Handwerker mit günstigen Krediten zu versorgen und vor Ausbeutung durch Zinswucherei zu schützen. Die Warengenossenschaften dienten ei- nerseits dem Bezug von Betriebsmitteln wie Saatgut, Dünger und Maschinen, andererseits dem Absatz landwirtschaftlicher Produkte wie Mehl, Brot und Fleisch. Dazu kamen Betriebsgenossenschaften wie Molkerei- oder Winzergenossenschaften. Die Ideen und Pioniergründungen von Raiffeisen und Schulze-Delitzsch haben wesentlich zur wirtschaftlichen Entwicklung der Landwirtschaft und des ländlichen Handwerks beigetragen. Sie fanden schnell in ganz Deutschland Verbreitung und darüber hinaus in der ganzen Welt Nachahmung. Im Rückblick gehören die Genossenschaftsgründungen des 19. Jahrhunderts zu den bedeutenden Innovationen der modernen Dorfgeschichte. Im Jahr 1917 bestanden in Deutschland 28 967 ländliche Genossenschaften mit etwa 2 Mio. Mitgliedern. Deren Vielfalt lässt sich an ihren Untergruppen erkennen: 97 Zentralgenossenschaften, 17 866 Spar- und Darlehenskassen, 3 595 Molkereigenossenschaften, 2 909 Bezugs- und Absatzgenossenschaften, 1 123 Elektrizitätsgenossenschaften, 287 Viehverwertungsgenossenschaften, 206 Winzergenossenschaften, 152 Eierverkaufsgenossenschaften und 2 732 sonstige Genossenschaften. 1930 existierten im Deutschen Reich etwa 40 000 ländliche Genossenschaften. Das heißt, zumindest jedes mittelgroße deutsche Dorf hatte eine eigene Spar- und Darlehenskasse und eine Warengenossenschaft, die man meist nur „die Genossenschaft“ nannte. Nach dem Zweiten Weltkrieg erfuhr das Genossenschaftswesen in Deutschland zunächst eine höchst unterschiedliche Entwicklung. In der DDR wurden die bestehenden Genossenschaften auf freiwilliger Basis bald aufgelöst, die Bauern ab 1952 in die unfreiwilligen landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) genötigt. In Westdeutschland erlebten die Kredit- und Warengenossenschaften zunächst einen Aufschwung. Die Spar- und Darlehenskassen blühten in der Wirtschaftswunder-Phase der 1950er und 1960er Jahre auf und entwickelten sich zu modernen Banken. Auch die ländlichen Bezugs- und Absatzgenossenschaften entwickelten sich positiv, errichteten bald neue und größere Gebäude und erweiterten nach und nach ihre Aufgabenfelder. Neben dem Bezug von Betriebsmitteln und dem Absatz landwirtschaftlicher Produkte hatte „die Bäuerliche“, wie die lokale Genossenschaft im Volksmund oft hieß, vielerorts auch Brennstoffe wie Kohlen, Heizöl und Diesel im Angebot. Später kamen Baustoffe hinzu und seit einigen Jahren deutlich zunehmend ein immer breiterer Garten- und Hobbymarkt. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 31 Fotos: Gemeinde Grasbrunn Genossenschaften Harthausen: Im ehemaligen Gebäude der Freiwilligen Feuerwehr befindet sich heute der Dorfladen Seit den 1970er Jahren schrumpft das traditionelle ländliche Genossenschaftswesen jedoch zunehmend. Vor allem die dörflichen Warengenossenschaften mussten nun auch nach modernen Leistungs- und Kostenkriterien bewirtschaftet werden. Die meisten ließen sich aus ökonomischen Gründen nicht halten und wurden aufgegeben bzw. „zentralisiert“; der Rückzug aus der Fläche vollzog sich aus ähnlichen Kriterien wie bei Post, Bahn, Kommunen und Polizei. An den verbliebenen oder konzentrierten Standorten präsentieren die ländlichen Warengenossenschaften heute ein breites und hochwertiges Angebot nicht nur für die Landwirte, sondern für die gesamte Landbevölkerung. Wie in ihrer Gründungsphase vor über 100 Jahren sind sie immer noch als freiwilliger Zusammenschluss von Genossen organisiert. Sie tragen heute in ganz Deutschland den Namen „Raiffeisenmärkte“ und zeigen sich damit ihrem Gründer und seinen Idealen verpflichtet. Auch die Spar- und Darlehenskassen haben bis in die Gegenwart Bestand. Viele firmieren heute als Volksbanken, sie sind aber immer ein Zusammenschluss von „Genossen“, die aber längst nicht mehr allein aus dem Bauern- und Handwerkerstand kommen. Die Innovationen von Raiffeisen und SchulteDelitzsch vor 150 Jahren hatten somit für den ländlichen Raum eine nachhaltige Wirkung. Sie sind – trotz aller Konzentrationsprozesse – bis heute wirksam und erfolgreich. Heutige Neugründungen von Genossenschaften vielfach als Dorfläden Zahlreiche Neugründungen von Genossenschaften in jüngerer Zeit zeigen, dass die Genossenschaftsidee auf dem Land nicht nur eine lange Tradition hat, sondern auch bis heute lebendig ist. Ein Schwerpunkt liegt auf Dorfläden und Gasthöfen, die zunehmend von lokalen Genossenschaften | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | getragen werden. Diese arbeiten nach dem Kostendeckungsprinzip und müssen keinen Gewinn machen. Der Verlust des letzten Ladens im Ort hat viele Bürger und Politiker auf dem Land wachgerüttelt: Ist kein Laden mehr im Dorf, ist kein Leben mehr im Dorf. Allein in Bayern gab es in den letzten fünf Jahren über 200 Neugründungen von Dorfläden im Besitz einer Bürgergenossenschaft. In Harthausen, einem Ort östlich von München mit 870 Einwohnern, gab es zuletzt nur noch einen Kaugummiund einen Zigarettenautomaten. Die letzte Metzgerei schloss im Jahr 2005, als der Metzger in den Ruhestand ging. Dann wurde der neue Dorfladen mit 80 m2 Verkaufsfläche im alten Feuerwehrhaus untergebracht. Rund 200 Dorfbewohner traten der Ladengenossenschaft bei und erwarben einen Anteil von je 200 €. Das Startkapital von 40 000 € reichte für Regale, Kühltheken, Geräte und Lebensmittel. Harthauser Bürger und Handwerker brachten sich ehrenamtlich ein. Die Angestellten der Dorfläden bekommen umgerechnet rund 6 € in der Stunde, trotzdem sind die Verkäuferinnen zufrieden. Sie arbeiten im eigenen Dorf, bieten viele regionale Produkte an, deren Erzeuger sie kennen, und schätzen die lokalen Kontakte. Das Land Bayern unterstützt die dörflichen Aktivitäten mit Seminaren zum Thema „Tante Emma-Laden“ – durchaus ein Vorbild für andere Bundesländer. Manchmal sind die neuen ländlichen Genossenschaften mit ihren jeweiligen Kommunen zu Partnerschaften verknüpft. Im niedersächsischen Dorf Luthe wurde im Jahr 2005 die Genossenschaft »Naturerlebnisbad Luthe« gegründet, nachdem die Stadt Wunstorf das Bad aus Kostengründen geschlossen hatte. Ziel war die Errichtung eines naturnahen Freibades mit Schwimmbecken ohne Chlor. Das Naturbad wird nun ehrenamtlich geführt, die Gemeinde leistet einen jährlichen Kostenzuschuss. 32 Genossenschaften Genossenschaftliche Antworten auf globale Herausforderungen Prof. Dr. Markus Hanisch und Martin Ihm* Am 18. Dezember 2009 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Jahr 2012 zum „Internationalen Jahr der Genossenschaften“ erklärt. Die UN-Resolution A/RES/64/136 trägt den Titel „Cooperatives in social development“ und würdigt die Vielfalt des Genossenschaftswesens in der ganzen Welt. Sie fordert weltweit Regierungen auf, Maßnahmen zur Schaffung eines förderlichen Umfelds für die Entwicklung von Genossenschaften zu ergreifen. Nationale und internationale Aktivitäten im internationalen Genossenschaftsjahr sollen das Thema „Genossenschaft“ stärker in das öffentliche Bewusstsein rücken. Genossenschaften in vielen Bereichen Heute bilden genossenschaftliche Unternehmen einen wichtigen Bestandteil der deutschen Wirtschaft. Praktisch jeder Landwirt ist Mitglied einer oder mehrerer Genossenschaften. 60 % aller Handwerker, 75 % aller Einzelhandelskaufleute, 90 % aller Bäcker und Metzger sowie über 65 % aller selbstständigen Steuerberater sind Genossenschaftsmitglieder. Die Wohnungsbaugenossenschaften umfassen 3,2 Mio. Mitglieder und bewirtschaften ca. 10 % der Mietwohnungen in Deutschland4. Über 1 000 Kreditgenossenschaften bilden eine bislang krisensichere Säule im deutschen Bankensystem5. Wegen ihrer traditionellen Verwurzelung in den Regionen und der Verpflichtung zum Mitgliedergeschäft haben sich die Genossenschaftsbanken gerade in Krisenzeiten als wichtiger Anker des Finanzsystems vieler europäischer Länder erweisen können6. Stabile Kundenbeziehungen, lokales Wissen über Risiken und eine vergleichsweise mäßige Margen- Foto: Wikimedia Genossenschaften spielen heute schon eine bedeutende Rolle. Etwa 800 Mio. Menschen sind Mitglieder in Genossenschaften. Weltweit sichern Genossenschaften über 100 Mio. Arbeitsplätze1. Wie überall auf der Welt geht die genossenschaftliche Tradition in Deutschland auf das frühe Wirken von Genossenschaftspionieren zurück. Hier sind besonders die Ideen und das Werk von Friedrich Wilhelm Raiffeisen2 und Hermann Schulze-Delitzsch im 19. Jahrhundert hervorzuheben. Während beide schon Mitte des 19. Jahrhunderts eigene Konzepte entwickelten, Selbsthilfeorganisationen initiierten und aus dieser Praxiserfahrung heraus noch heute bewährte Genossenschaftsprinzipien aufstellten, ist Hermann Schulze-Delitzsch später besonders für seine Arbeit am noch heute gültigen deutschen Genossenschaftsgesetz bekannt geworden3. Raiffeisen Warengenossenschaft in Burgdorf * Prof. Dr. Markus Hanisch und Martin Ihm, Humboldt-Universität zu Berlin, Landwirtschaftlich-Gärtnerische Fakultät, Department für Agrarökonomie, Fachgebiet Kooperationswissenschaften, Berlin, [email protected] 1 Zum Vergleich: http:/www.ica.coop/ 2 Klein, M. (1997): Leben, Werk und Nachwirkung des Genossenschaftsgründers Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 - 1888). Köln [i.e.] Pulheim: RheinlandVerlag Köln. Hg. Verein für Rheinische Kirchengeschichte: Schriftenreihe des Vereins für Rheinische Kirchengeschichte; Bd. 122 3 Zerche, J. (2001): Die sozialpolitischen Ansätze im Leben und Werk von Hermann Schulze-Delitzsch: Darstellung und kritische Würdigung. Förderverein Hermann Schulze-Delitzsch und Gedenkstätte des Deutschen Genossenschaftswesens e.V. Hrsg.: Vorstand und Kuratorium des Fördervereins Hermann Schulze-Delitzsch und Gedenkstätte des Deutschen Genossenschaftswesens e.V. 4 Siehe hierzu: http://www.dgrv.de/ 5 Deutscher Genossenschafts- und Raiffeisenverband e.V. (DGRV), Hrsg.(2011): Zahlen und Fakten 2011. Berlin, DG VERLAG. 6 Smolders, N.; Koetsier, I.; de Vries, B. (2012): Performance of European cooperative banks in the recent financial and economic crisis (Paper presented at the International Conference on Cooperative Responses to Global Challenges, 21-23 March 2012, Berlin) | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 33 Genossenschaften Interessanterweise haben auch ein Großteil der Ethik- und Umweltbanken in Deutschland einen genossenschaftlichen Hintergrund. Ethisch-ökologische Banken haben durch ihren Spezialisierungsgrad ein Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Banken. Ihr Marktanteil ist zwar gering, aber in den letzten Jahren verzeichneten sie einen enormen Kundenzulauf. Wichtige Institute auf diesem Gebiet in Deutschland sind die GLS Bank in Bochum, die UmweltBank in Nürnberg, die Ethikbank in Eisenberg und die Triodos Bank in Frankfurt. Hinzu kommen die kirchlichen Institute wie die Pax Bank, KD Bank und Liga Bank, die alle als Genossenschaften organisiert sind. Die prägendste Rolle spielen Genossenschaften nach wie vor bei der Agrar- und Mittelstandsfinanzierung und in Bezug, Absatz und Verarbeitung der deutschen und europäischen Landwirtschaft7. Allein in Deutschland erwirtschafteten Dienstleistungsund Agrargenossenschaften einen Umsatz von 42,8 Mrd. €8. Aber nicht nur in den traditionellen Sektoren Landwirtschaft, Handwerk oder Finanzen sind Genossenschaften erfolgreich. Mehr und mehr hat sich die genossenschaftliche Organisationsform auch auf weitere wirtschaftliche und öffentliche Bereiche in Deutschland ausgedehnt. So sind in der kommunalen Elektrizitätsund Wasserversorgung allein in Foto: Blum, Norddeutsche Mission (CC) orientierung haben immer wieder dazu beitragen können, dass es für die Kunden nicht zu Kreditklemmen und für die Genossenschaftsbanken nicht zu hohen Ausfallrisiken gekommen ist. Frauen in Ghana bei der Verwaltung von Mikrokrediten (2009) den letzten acht Jahren über 300 neue genossenschaftliche Unternehmen entstanden. Auch im Gesundheitsbereich ist ein Trend zu genossenschaftlicher Kooperation seit einigen Jahren zu beobachten9. Die gemeinsame unternehmerische Betätigung von Ärzten im Gesundheitswesen sichert faire Abrechnungsdienstleistungen und damit die Ertragskraft ihrer Praxen; über 10 000 Ärzte sind Genossenschaftsmitglieder. In vielen strukturschwachen ländlichen Regionen sichern Genossenschaften die medizinische Versorgung durch Gemeinschaftspraxen und den Betrieb von Krankenhäusern. Ein Beispiel liefert die „Krankenhaus Salzhausen eG“. Die Gemeinden im Einzugsgebiet des Krankenhauses sind Genossenschaftsmitglieder. Gleiches gilt für die ansässi- gen Patienten und zahlreiche Mitarbeiter des Krankenhauses Salzhausen. Die Genossenschaft besteht bereits seit 1898 und ist heute ein unverzichtbarer Bestandteil der ambulanten und stationären medizinischen Versorgung ihrer Region. Genossenschaften in Schwellen- und Entwicklungsländern Im Gegensatz zu der Bedeutung von Genossenschaften für die Kooperation und Finanzierung der mittelständischen Wirtschaft in Europa, wird die genossenschaftliche Organisationsform in Entwicklungsländern als Schlüssel zu Armutsreduzierung und wirtschaftlicher Entwicklung begriffen. Die Landwirtschaft ist in vielen Schwellen- und Entwick- 7 Hanisch, M.; Filler, G.; Odening, M. (2008): Zur Ableitung von Entwicklungsstrategien für Warengenossenschaften. In: Zeitschrift für das Gesamte Genossenschaftswesen (ZfgG), Erlangen-Nürnberg. Vandenhoeck und Ruprecht. 8 Deutscher Bauernverband (DBV), Hrsg. (2011): Situationsbericht 2011/12: Trends und Fakten zur Landwirtschaft. Berlin, DBV. (abrufbar unter www.situationsbericht.de) 9 Zum Vergleich: http://www.neuegenossenschaften.de/download/IntegrierteVersorgung.pdf, 7.3.2012 | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 34 Genossenschaften lungsländern ein wichtiger Baustein der Entwicklung ländlicher Räume. Jedoch ist die landwirtschaftliche Produktion oftmals nur in Kleinstbetrieben organisiert, welche entweder für den Eigenverbrauch oder nur geringe Mengen für die Vermarktung produzieren können. Ohne entsprechende Organisation bleibt den Kleinstproduzenten der Zugang zu Beratung, Innovationen, Kapital und Vermarktung weitgehend verschlossen, was ein wichtiges Entwicklungshemmnis darstellt. Zudem beschränken solche „unorganisierten Strukturen“ in der Landwirtschaft häufig das Angebot an öffentlichen Dienstleistungen und Infrastrukturinvestitionen und damit die Chance ganzer Regionen darauf, Verarbeitungsindustrien anzusiedeln10. Im Entwicklungsländerkontext spielen daher genossenschaftliche Produzentenorganisationen besonders im Verarbeitungsbereich für wertvollere landwirtschaftliche Erzeugnisse wie z. B. im Kaffeeanbau- und Milchsektor eine wichtige, oft überregionale Rolle. Genossenschaftliche Finanz- und Versicherungsorganisationen stellen für die ländliche Bevölkerung den Zugang zu Krediten, zum eigenen Konto und zu verschiedensten Finanzdienstleistungen her. Ein Problem genossenschaftlicher Organisation in Entwicklungsländern ist häufig die Instrumentalisierung genossenschaftlicher Strukturen für kurzfristige politische Zwecke und Wahlkampagnen. Hierdurch wurde in der Vergangenheit häufig die Motivation der Mitglieder solcher Genossenschaften untergraben, was mancherorts in Bezug auf Genossenschaften zu enttäuschten Erwartungen geführt hat. Aktuelle 10 Ansätze beispielsweise von UNOrganisationen wie der Food and Agriculture Organization (FAO) oder der Weltbank konzentrieren sich daher auf die Verbesserung von Ausbildung, Beratung und Marktinformationsangeboten für Genossenschaftsmitglieder über Nichtregierungsorganisationen (NGOs). Hierdurch sollen die Mitglieder selbst und damit die traditionellen Genossenschaftsprinzipien der Selbsthilfe, Selbstorganisation und Selbstverantwortung gestärkt werden. Weltweit Tagungen zum Thema Genossenschaften Ein wichtiges Ziel des UNOGenossenschaftsjahres ist es daher, die Gesellschaft besser über die Chancen, die Genossenschaften bieten können, aufzuklären. Neben kurzfristigen Aktionen der Lobbygruppen und der Medienöffentlichkeit sind hier insbesondere auch Einrichtungen von Wissenschaft und Bildungsträgern stärker angesprochen, denn es gilt, die Genossenschaft in ihrer Funktionsweise richtig zu verstehen und als Gestaltungsprinzip in den Köpfen von Verbrauchern, Unternehmern und Entscheidungsträgern besser zu verankern. Die Humboldt-Universität zu Berlin war als wissenschaftliche Einrichtung seit 2009 an der inhaltlichen Vorbereitung der UNResolution beteiligt. Ihr Beitrag zum Genossenschaftsjahr war die Konferenz „Genossenschaftliche Antworten auf Globale Herausforderungen“, die im März 2012 in Berlin stattfand. Mit organisatorischer Unterstützung der Vereinten Nationen diskutierten 250 Vertreterinnen und Vertreter aus der Wissenschaft, Praxis, Beratung und Politik aus 43 Ländern, welche Antworten Genossenschaften auf globale Herausforderungen tatsächlich bieten können. Zudem bot die Veranstaltung eine interdisziplinäre Plattform, um die zukünftige Forschungsagenda für diesen Bereich, über das Jahr 2012 hinausgehend, abzustecken. In Plenumsvorträgen und Workshops wurde auf aktuelle Themen wie die Finanzkrise, globale Armut, Energiewende, Welternährung, Klimawandel, Agribusiness, Ressourcenschonung und demografischen Wandel eingegangen. Weitere Informationen zu Tagungsbeiträgen finden sich unter: www.coopsyear.hu-berlin.de/ Im UNO-Genossenschaftsjahr finden weltweit sieben weitere wissenschaftliche Konferenzen zu diesen Themen statt, u. a. in Quebec, Kanada „2012 International Summit of Cooperatives“, Venedig, Italien „Promoting the understanding of cooperatives for a better world“ und Trim, Irland „The World of Rural Co-operation“. In den einzelnen Ländern werden darüber hinaus verschiedenste weitere Aktivitäten über nationale Programme gebündelt und untereinander abgestimmt. Ein „Focal Point“-Büro der Vereinten Nationen mit Hauptsitz in New York ist mit der weltweiten Koordination des Genossenschaftsjahres betraut. Schon heute ist absehbar, dass die weltweite Initiative zur Stärkung des Genossenschaftsgedankens ihre Ziele erreichen wird. Weitere Informationen zum Genossenschaftsjahr und zu verschiedenen Aktivitäten: http://social.un.org/coopsyear/ Rondot, Pierre, and Marie-Helene Collion. 2001. Agricultural Producer Organizations: Their Contribution to Rural Capacity Building and Poverty Reduction-Report of a Workshop, Washington, D.C., June 28-30, 1999. RDV, World Bank, Washington. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 35 Genossenschaften Genossenschaften heute: bodenständig, bekannt und beliebt Univ.-Prof. Dr. Theresia Theurl* Wer glaubt, Genossenschaften passen nicht mehr in unsere Zeit, der irrt. Sie haben zwar eine lange Tradition, doch sie sind zeitgemäßer denn je. Und sie sind beliebt und werden geschätzt. Dies zeigt eine repräsentative Untersuchung, die das Institut für Genossenschaftswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zusammen mit der GfK Nürnberg anlässlich des Internationalen Jahres der Genossenschaften durchgeführt hat1. Bekannt: 83,1 % der deutschen Bevölkerung kennt den Begriff der Genossenschaften. Viele von ihnen können Besonderheiten von Genossenschaften angeben, etwa dass sie zum Wohle der Mitglieder handeln müssen (81 %) oder dass die Mitglieder gleichzeitig Eigentümer und Nutzer der Leistungen der Genossenschaft sind (64,5 %). Dies ist damit verbunden, dass Genossenschaften realwirtschaftlich verwurzelt sind. Dazu passt auch, dass Genossenschaften eher langfristige Strategien verfolgen, was zwei Drittel der Befragten wissen und 75,5 % als sehr gut oder gut einschätzen. Viele Befragte können Beispiele und Namen von Genossenschaften nennen, ebenso wie Branchen mit einem hohen genossenschaftlichen Organisationsgrad. So wissen 80,6 % der deutschen Bevölkerung, dass es in der Landwirtschaft genossenschaftliche Kooperationen gibt. Von genossenschaftlichen Organisationen in der Wohnungswirtschaft wissen 72,3 % und im Handel 66,5 %. 64,1 % kennen Genossenschaftsbanken und 60 % Genossenschaften im Handwerk. Bodenständig: Bekannt sind die Tatsachen, dass Genossenschaften tendenziell mittelständisch orientiert sind (55,8 %) und ihre Aktivitäten eher einen regionalen Bezug haben (57,7 %). Die regionale Ausrichtung wird von 66,5 % und die mittelständische Orientierung von 64,8 % als gut oder sehr gut beurteilt. Der gute Informationsstand und die hohe Wertschätzung von Genossenschaften, gerade im ländlichen Raum, sind nicht überraschend. In den vergangenen Jahren sind hier zahlreiche neue Genossenschaften gegründet worden, um Infrastruktur und Nahversorgung zu erhalten, die Kontrolle über wichtige Angelegenheiten zurückzubekommen und Abhängigkeiten zu verringern sowie wirtschaftliche Existenzen zu erhalten oder zu schaffen. Genossenschaften können die Entscheidung beeinflussen, auf dem Land zu bleiben oder sich neu dort anzusiedeln. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Qualität des ländlichen Raumes als Lebensraum auch seine Qualität als Wirtschaftsraum beeinflusst und umgekehrt. Wenn Genossenschaften in der Lage sind, den ländlichen Wirtschaftsraum zu stärken oder die Attraktivität des Lebensraumes zu erhöhen, entsteht eine Spirale, die nicht nur individuelle, sondern auch gesamtwirtschaftliche und gesellschaftliche Wohlfahrtsgewinne ermöglicht. Beliebt: Dazu passt, dass die Frage nach den eigenen Erfahrungen mit Genossenschaften durchweg positiv beantwortet wird: 67,4 % beurteilen diese als gut oder sehr gut, 27,3 % immerhin noch als mittelmäßig. Nur 5,4 % berichten von schlechten oder sehr schlechten Erfahrungen mit Genossenschaften. Dass man sich in Genossenschaften zusammentut, um gemeinsam etwas zu erreichen, was allein in dieser Form nicht möglich ist, halten 80,7 % der Bevölkerung für sehr gut und gut. Es stellt sich heraus, dass die positive Einschätzung von Genossenschaften nicht nur von ihrem wirtschaftlichen Fundament herrührt, sondern auch von einer gewissen Bodenständigkeit, die ihnen von der Bevölkerung zugeschrieben wird. Es wird ihnen mehrheitlich attestiert, zuverlässig, kundennah, vertrauens- und glaubwürdig, stabil und zeitgemäß zu sein. Abbildung: In welchen Branchen gibt es Genossenschaften? Antworten „Stimmt“ in Prozent, Rest „Stimmt nicht“ oder „weiß nicht“. Quelle: Theurl/Wendler 2011 * Univ.-Prof. Dr. Theresia Theurl, Geschäftsführende Direktorin des Instituts für Genossenschaftswesen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster, [email protected] 1 vgl. Theresia Theurl und Caroline Wendler (2011): Was weiß Deutschland über Genossenschaften? Aachen. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 36 Genossenschaften Die genossenschaftliche Idee lebt Interview mit Manfred Nüssel, Präsident des Deutschen Raiffeisenverbandes (DRV), über die Rolle von Genossenschaften in der Energiewende, deren Anpassungsfähigkeit sowie den Zwang zur Professionalisierung in einem marktwirtschaftlichen Umfeld Herr Nüssel, alle reden von der Energiewende, Sie auch? Nüssel: Selbstverständlich. Die Energiewende ist das zentrale Thema der nächsten Jahre. Der Umbau unserer Energieversorgung stellt die Wirtschaft und die Bürger vor riesige Herausforderungen. Die werden wir bewältigen, aber das erfordert erhebliche Anstrengungen und ein Umdenken in vielen Bereichen. Was meinen Sie? Nüssel: Ich denke daran, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien nicht zum Nulltarif zu haben ist, und zwar nicht nur in finanzieller Hinsicht. Es passt beispielsweise nicht zusammen, einerseits Windenergie zu fordern und Windparks vor der Haustür abzulehnen. Wir müssen meines Erachtens auch Entscheidungen treffen, die dem einen oder anderen wehtun. Dazu gehört, um beim Beispiel Windenergie zu bleiben, die Zulassung von Windrädern etwa in Staatswäldern und Naturschutzgebieten. Dazu zählt auch, den ohnehin dramatischen Flächenverbrauch durch Ausgleichsflächen beim unerlässlichen Netzausbau nicht noch weiter anzuheizen. Nach meinem Eindruck hat es die Politik bislang versäumt, darauf hinzuweisen, welche konkreten Auswirkungen die Energiewende mit sich bringt. Welche Rolle können Genossenschaften bei der Energiewende spielen? Nüssel: Eine zentrale. Die Genossenschaft ist wie keine andere Rechtsform geeignet, Bürger einzubinden, sie an den wirtschaftlichen Erträgen zu beteiligen und damit breite Akzeptanz zu schaffen. Und nicht zuletzt – und dies ist für mich der zentrale Punkt – schaffen Genossenschaften die Voraussetzung dafür, dass die Wertschöpfung bei der Energieerzeugung in der Region verbleibt und nicht allein den großen Energiekonzernen zufällt. Wie stark ist das Interesse an der Rechtsform der Genossenschaft, wenn es um die Erzeugung von Energie geht? Nüssel: Nach meinen Erfahrungen ist das Interesse in vielen Regionen riesig. Dies gilt sowohl für die Gründung von Bürgergenossenschaften, etwa zum Betreiben von Windparks, als auch für den Bau und die Bewirtschaftung von Biogasanlagen durch mehrere Landwirte. Unseren Erhebungen zufolge wurden in den letzten drei Jahren bundesweit mehr als 300 Energiegenossenschaften gegründet, mit zuletzt deutlich steigender Tendenz. Bürgerbeteiligung, regionale Verankerung und Nachhaltigkeit sind die Schlüsselbegriffe, die für die eingetragene Genossenschaft sprechen und ihr Vorteile gegenüber anderen Rechtsformen verschaffen. Hinzu kommen handfeste Vorzüge wie eine große Stabilität, geringe Haftungsrisiken und eine problemlose Kapitalbeschaffung. Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein für die Gründung einer Energiegenossenschaft? Nüssel: Ich sehe im Wesentlichen zwei Bedingungen: Zum einen brauchen Sie eine Gruppe von Menschen mit weitgehend übereinstimmenden Interessen und Zielen. Dies kann bei drei Personen – mehr brauchen Sie nicht zur Gründung einer eG – ebenso gegeben sein wie bei 30 oder 300. Zum anderen müssen die Mitglieder die Bereitschaft für ein längerfristiges Engagement mitbringen, das über die gesetzlich vorgeschriebenen fünf Jahre hinausreicht. Wenn es dann noch eine geeignete Geschäftsführung gibt, ist die eingetragene Genossenschaft im Energiebereich beinahe ein Selbstläufer. Hinzu kommen Vorteile im steuerlichen Bereich. Weder müssen diese kleinen Genossenschaften Rückstellungen vornehmen noch muss jedes Mitglied am Jahresende eine eigene Bilanz vorlegen. Das sind übrigens spürbare Vorteile gegenüber einer Personengesellschaft und ein Grund dafür, dass Steuerberater zunehmend Interesse an der Genossenschaft zeigen. Welche Rolle spielt dabei das Erneuerbare Energien-Gesetz (EEG) mit langfristiger Abnahmegarantie und festen Preisen? | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 37 Genossenschaften Was bedeutet das für die vielen kleinen Energiegenossenschaften? Nüssel: Das bedeutet, dass sich die Strukturen in diesem Bereich in Zukunft ändern werden. Wir werden nicht umhin kommen, überregional tätige Genossenschaften zu gründen oder ins Boot zu holen, die dann den Strom der Energiegenossenschaften auf Augenhöhe mit den Großen der Branche verkaufen können. Auf diese Weise wird mittelständischen Erzeugern das Überleben gesichert. Erste Ansätze dazu gibt es, beispielsweise in der Region Weser-Ems. Ich bin mir sicher, dass sich der genossenschaftliche Sektor auch im Energiebereich als ebenso flexibel erweisen wird wie in angestammten Geschäftsfeldern. Diese Strukturen hätten dann jedoch mit den Bürger- oder landwirtschaftlichen Energiegenossenschaften nicht mehr viel am Hut … Nüssel: Das Gegenteil ist richtig: Erst diese größeren Einheiten schaffen die Voraussetzungen dafür, dass Energiegenossenschaften unter marktwirtschaftlichen Bedingungen arbeiten könnten. Wir brauchen wettbewerbsfähige Strukturen, die auch ohne garantierte Einspeisevergütung am Markt erfolgreich agieren können. Nur die ermöglichen es, dass Wertschöpfung in der Region verbleibt. Alles andere wäre naiv und würde den großen Konzernen in die Hände spielen, die längst auf dem Gebiet der erneuerbaren Energien unterwegs sind. Ohne ein hohes Maß an Professionalität wird es auch im Energiesektor für die Genossenschaften in Zukunft nicht gehen. Gerade für die Landwirtschaft bietet die Genossenschaft die große Chance, dass sie auf dem Feld der Energieerzeugung nicht auf die Funktion des Rohstofflieferanten reduziert wird. Was macht Sie so sicher, dass die von Kritikern mit einer gewissen Trägheit in Verbindung gebrachten Genossenschaften das hinbekommen? Nüssel: Schauen Sie sich die landwirtschaftlichen Warengenossenschaften an. Sie haben den Systemwechsel von landwirtschaftlichen Marktordnungen mit garantierten Preisen und festen Abnahmemengen in die liberalisierten Agrarmärkte geschafft. Ich räume zwar ein, dass diese | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Foto: DRV Nüssel: Natürlich bietet das EEG Rahmenbedingungen, die Investitionen erst ermöglichen oder zumindest erleichtern. Ich halte das für völlig gerechtfertigt, um die Energiewende anzuschieben. Es ist hier erforderlich, für eine gewisse Zeit Ruhe in die Diskussion zu bringen und nicht ständig über neuerliche Anpassungen zu philosophieren. Wir brauchen Planungssicherheit. Ansonsten werden Betreiber und Investitionswillige verunsichert. Klar ist aber auch, dass diese Rahmenbedingungen nicht dauerhaft Gültigkeit haben können. Ich rate daher allen Beteiligten, schon jetzt, über den Tellerrand dieses Feldversuchs hinaus zu denken und sich auf marktwirtschaftliche Lösungen einzustellen. Manfred Nüssel steht seit 1999 an der Spitze des Deutschen Raiffeisenverbandes, seit 2000 ist er zudem Präsident des Deutschen Genossenschafts- und Raiffeisenverbandes (DGRV). Der 63-Jährige stammt aus Bad Berneck in Oberfranken. Bereits mit 22 Jahren übernahm der Agraringenieur den elterlichen landwirtschaftlichen Betrieb, den er bis heute mit den Schwerpunkten Ackerbau und Schweinemast führt. Der Sohn des früheren bayerischen Landwirtschaftsministers Simon Nüssel bekleidet zahlreiche Ämter im genossenschaftlichen Bereich. Seit vielen Jahren ist er Aufsichtsratsvorsitzender der BayWa AG. Erfolgsmeldung nicht für alle zutrifft und wir speziell im Fleischbereich auch schmerzhafte Erfahrungen machen mussten und Misserfolge erlebt haben. Insgesamt haben sich Genossenschaften im Agrarbereich aber als flexibel und wettbewerbsfähig bewährt. 38 Genossenschaften Stutzig macht allerdings, dass die Flaggschiffe im genossenschaftlichen Bereich gar keine Genossenschaften mehr sind … Nüssel: Ich gebe Ihnen Recht, es gibt unterschiedliche Lösungen und nicht nur die eine allein selig machende. Das ist aber gerade eine der wesentlichen Stärken der Genossenschaft. Es ist doch völlig in Ordnung und eine Antwort auf die steigenden Erfordernisse des Marktes, wenn aus Genossenschaften heraus im Milch- und Fleischbereich für bestimmte operative Aufgaben GmbHs gegründet wurden und werden. Oder denken Sie an die Internationalisierung des Agrarhandels: Ohne eine Bündelung der Kräfte, die Bildung größerer exportorientierter Einheiten oder die Bildung von Aktiengesellschaften etwa als Vertriebseinrichtung wären die Genossenschaften längst vom Markt verschwunden. Dies belegt eindeutig die Anpassungsfähigkeit dieser Rechtsform an geänderte Marktbedingungen. Eins möchte ich dabei noch betonen: Den Kern dieser Unternehmungen bilden immer Genossenschaften. „Small is beautiful“ gilt nicht für Genossenschaften? Ebenso wenig wie die Vorstellung eines dritten Weges, der sich den marktwirtschaftlichen Gesetzmäßigkeiten zumindest ein Stück weit entziehen kann? Nüssel: Wir haben im agrarischen Bereich Genossenschaften mit 3 Mio. € Jahresumsatz und mit 3 Mrd. € Umsatz. Größe allein ist keine Erfolgsgarantie. In vielen Märkten ist Wachstum aber unverzichtbar, um im Wettbewerb mithalten zu können. Das bringt mich gleich zum zweiten Teil Ihrer Frage: Die Genossenschaft kann sich weder den Gesetzmäßigkeiten des Marktes entziehen, noch gelten für sie eigene Regeln. Die Rechtsform hat aber tausendfach bewiesen, dass sie unter marktwirtschaftlichen Bedingungen höchst wettbewerbsfähig ist. Inwieweit haben Genossenschaften als „Hort der Stabilität“ von den Unsicherheiten im Zusammenhang mit der Finanzkrise profitiert? Nüssel: Genossenschaftliche Banken sind ohne Zweifel die großen Gewinner der letzten Jahre. Was ihnen früher hin und wieder den Vorwurf einbrachte, sie seien hausbacken, wird mittlerweile als Beweis von Solidität und Verlässlichkeit geschätzt. Dies hat die Wahrnehmung der genossenschaftlichen Rechtsform verändert und strahlt zweifellos auch auf andere Bereiche aus. Gilt die ursprüngliche Idee der Hilfe zur Selbsthilfe noch? Nüssel: Uneingeschränkt ja. Die genossenschaftliche Idee lebt. Sie ist zeitlos und unverändert attraktiv. Unmittelbar deutlich wird das im sozialen Bereich, in dem neben der Energieerzeugung zuletzt die meisten Aktivitäten entwickelt wurden. Hier gibt es mittlerweile eine Vielzahl von Initiativen, die Dienstleistungen auch unter sich ändernden Rahmenbedingungen mit einer rückläufigen und alternden Bevölkerung aufrechterhalten und wirtschaftlich anbieten. Ich nenne den Aufbau von Pflegediensten oder auch die Gründung von Ärztegenossenschaften. Gerade der Pflegebereich bietet gute Beispiele, wie Menschen mit geringem Kapitaleinsatz des Einzelnen sinnvolle gemeinsame Lösungen entwickeln. Welchen Beitrag können Genossenschaften bei der Bewältigung des demografischen Wandels leisten? Nüssel: Nach meiner festen Überzeugung wird die Bedeutung von Genossenschaften für die Sicherung der Daseinsvorsorge in ländlichen Regionen weiter zunehmen. Genossenschaften können künftig noch stärker als in der Vergangenheit eine wichtige Rolle bei der Übernahme von sozialen und kommunalen Aufgaben spielen. Zu Recht ist auch in diesem Bereich von einer Renaissance der Genossenschaften die Rede, die an deren Ursprünge als „Kinder der Not“ anknüpft und ihren Mitgliedern bei der Lösung grundlegender Probleme hilft. Dies gilt für die kleine Dorfgenossenschaft zum Betreiben eines Lebensmittelladens ebenso wie für einen genossenschaftlich organisierten Pflegedienst. Es gibt Genossenschaftsgründungen in vielen anderen Bereichen, etwa im Tourismus, im Wohnungswesen und im Bildungsbereich, um nur einige zu nennen. In den Papieren der Bundesregierung zur Zukunft ländlicher Räume liest man nichts von den Chancen, die die Genossenschaft bietet. Ein Versäumnis? Nüssel: Nein. Es ist nicht die Aufgabe der Bundesregierung, eine bestimmte Rechtsform zu propagieren. Das liegt allein in der Entscheidung der Akteure vor Ort. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die vielen Positivbeispiele ausstrahlen und Nachahmer finden werden. Erfolg regt auch hier zum Mitmachen an. Und das ist gut so. Im Übrigen wird das Internationale Jahr der Genossenschaften 2012 das Bewusstsein für die Vorzüge dieser Rechtsform weiter stärken. Das strahlt auch auf Entwicklungsländer aus, in denen Genossenschaften bereits heute wesentliche Beiträge zur Überwindung von Hunger und Armut leisten. Wir sind gerne bereit, unsere guten Erfahrungen weiterzugeben. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 39 Genossenschaften Rezension: Erfolgsmodell Genossenschaften Möglichkeiten für eine werteorientierte Marktwirtschaft Berthold Eichwald, Klaus Josef Lutz, Deutscher Genossenschafts-Verlag eG, Wiesbaden, 2011, 428 Seiten, ISBN 978-3-87151145-5, 49,90 €. Prof. Dr. Berthold Eichwald, Honorarprofessor an der TU München, und Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der BayWa AG, gehen in „Erfolgsmodell Genossenschaften“ auf die Herkunft des Genossenschaftsgedankens sowie die Werte, Prinzipien und die Entwicklung von Genossenschaften ein und erläutern deren Einflussnahme auf Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. Genossenschaften stellen einen wesentlichen Teil unserer Wirtschaftsstruktur dar, sind aber mit ihrem Selbstverständnis wenig präsent in der öffentlichen Wahrnehmung. Seit Beginn der Wirtschaftskrise werden allerdings vermehrt neue Wege aufgezeigt, die teils stark genossenschaftlichen Charakter haben. Das Buch gibt einen Überblick über gegenwärtige Genossenschaftsmodelle, ihre Aufgaben und Herausforderungen. Es beleuchtet Stärken und Schwächen des Sektors und zeigt auf, für welche wirtschaftlichen Fragestellungen Genossenschaften Lösungsansätze bieten. Eine Verbindung zwischen Theorie und Praxis wird durch eine Vielzahl konkreter Beispiele und durch Experteninterviews erreicht. Mit einem Überblick über genossenschaftliche Modelle weltweit soll ein Einblick in internationale Herausforderungen und Lösungen gegeben und die Wahrnehmung von Genossenschaften gefördert werden. ka Genossenschaftsbanken heute Die Vereinten Nationen schreiben in ihrer Begründung zum Internationalen Jahr der Genossenschaften, dass Wirtschaftlichkeit und soziale Verantwortung in Genossenschaften miteinander verbunden werden können. Wir haben zwei Vertretern von Genossenschaftsbanken – Dr. Gerd Wesselmann, WGZ BANK, und Christof Lützel, GLS Bank – Fragen zu ihren Grundsätzen, dem Einfluss der Genossenschaftsmitglieder und zu ihrem sozialen Engagement gestellt. Dr. Gerd Wesselmann: Genossenschaftsbanken – engagiert nach vorn! Raiffeisen als Gründer der Genossenschaften kümmerte sich unermüdlich um die wirtschaftliche Existenzsicherung landwirtschaftlicher Betriebe und Familien in schwierigster Zeit und organisierte deren soziale Einbindung in die Entwicklung ländlicher Räume – beides gemäß den zentralen genossenschaftlichen Prinzipien der Selbsthilfe, Selbstverwaltung und Selbstverantwortung. Aktuell engagieren sich im Bankenbereich Deutschlands rund 1 100 Kreditgenossenschaften in etwa 13 000 Bankstellen mit annähernd 150 000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Interesse von gut 16 Mio. Mitgliedern für mehr als 30 Mio. Kunden. Im Wettbewerb der Agrarbanken repräsentieren die Genossenschaftsbanken den führenden Marktanteil am „reinen“ Agrarkredit (an landwirtschaftliche Unternehmen) mit ca. 50 %. Dessen Anteil am Gesamtkreditgeschäft der Genossenschaftsbanken liegt durchschnittlich bei rund | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 4 %, inklusive des Agribusiness aber im zweistelligen Prozentbereich. Darin kommt auch zum Ausdruck, dass Genossenschaftsbanken zusätzlich sehr stark im Mittelstand – besonders auch in ländlichen Regionen – engagiert sind. Die WGZ BANK ist eine von zwei genossenschaftlichen Zentralbanken in Deutschland. Ihr Geschäftsgebiet liegt in Westfalen und im Rheinland. Dort verfolgt sie vorrangig drei Ziele. Sie berät, betreut und fördert ihre Mitgliedsbanken, die regionalen Genossenschaftsbanken, damit diese wiederum ihre Geschäftsbeziehungen zu ihren Kunden in allen wesentlichen Bereichen (Agrarkredit, Kapitalanlage, Zahlungsverkehr etc.) optimieren können. Insbesondere tätigt sie mit „ihren“ gut 200 Mitgliedsbanken direkte Anlage- und Kreditgeschäfte. Und schließlich betreibt sie – abgestimmt mit den Genossenschaftsbanken vor Ort – eigene Aktiv- und Passivgeschäfte mit mittelständischen Firmenkunden, vor allem auch des Agribusiness. 40 Genossenschaften Foto: WGZ BANK 2. Zielorientiert und strategisch operieren Dr. Gerd Wesselmann, WGZ BANK AG Westdeutsche Genossenschafts-Zentralbank, Bereich Mitgliedsbanken – Land-/Agrarwirtschaft, [email protected] Im Agrarbereich steht die WGZ BANK Landwirten in der Regel nicht unmittelbar als Geschäftspartner zur Verfügung. Der wichtigste Grund hierfür ist relativ einfach: Im Rahmen der Abwicklung ihrer Bankgeschäfte erwarten Landwirte vorab eine möglichst direkte und qualifizierte Beratung und Betreuung, besonders auch seitens „ihrer“ regionalen Genossenschaftsbanken. Demgemäß engagiert sich die WGZ BANK hier nur mittelbar: in der agrarspezifischen Beratung ihrer Mitgliedsbanken und gegebenenfalls deren Agrarkunden, zur Durchführung sog. Meta- oder Gemeinschaftsgeschäfte sowie besonders bei Investitionsförderungen. Dabei orientieren sich die WGZ BANK und die jeweilige regionale Genossenschaftsbank bei ihrer – oft gemeinschaftlichen – Beratung und Betreuung der Landwirte und ihrer Familien vorrangig an drei Prinzipien: 1. Persönlich und wirtschaftlich differenzieren Landwirte und Banker unterscheiden sich hinsichtlich ihrer Persönlichkeiten und Charaktere, ihre Unternehmen differieren bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse und Ergebnisse. Wesentliche Aspekte hierfür sind die zunehmend bessere Aus- und Weiterbildung der jeweils handelnden Personen und deren wachsende Bereitschaft zu immer intensiverer und qualifizierterer Zusammenarbeit. Diese sich verändernden Zusammenhänge und Tendenzen sind möglichst angemessen und vorurteilsfrei zu berücksichtigen, zu nutzen und weiterzuentwickeln. Landwirte und Banker verfolgen unterschiedliche Ziele und Strategien, und zwar vor allem hinsichtlich der Führung ihrer spezifischen Unternehmen. Dabei gilt es zugleich, eine möglichst breite gemeinsame Informations-, Diskussions- und Operationsbasis zu finden und auszubauen. Dies gelingt umso besser, je intensiver beide miteinander kommunizieren und sich vertrauen. Damit entwickelt sich eine möglichst offene Kommunikation zu einem der wichtigsten gemeinsamen Erfolgsfaktoren. 3. Nachhaltig und wertorientiert positionieren Landwirte und Banker orientieren sich bei der zukünftigen Entwicklung ihrer Unternehmen immer nachdrücklicher am Prinzip der Nachhaltigkeit, und zwar sowohl bei der Erzeugung bzw. Erstellung als auch beim Absatz bzw. Vertrieb ihrer jeweiligen Produkte und Dienstleistungen. Dabei legen sie besonderen Wert auf eine immer stärker wertorientierte, oft gar visionäre Führung: möglichst klar und nachvollziehbar, zugleich flexibel, kreativ, innovativ etc. Diese zukunftsorientierten Geschäftsprinzipien gilt es aktiv zu gestalten, modern darzustellen und kooperativ weiterzuentwickeln. Zusammenfassend wird deutlich: Landwirte und Genossenschaftsbanker verstehen und erweisen sich in Vergangenheit und Gegenwart als aktive und erfolgreiche Unternehmer sowie erfahrene und motivierte Persönlichkeiten. Zugleich liegen genügend gute Anlässe und Gründe vor, diese Partnerschaft auch zukünftig sowohl unter geschäftlichen Aspekten beider als auch im wirtschaftlichen, sozialen und gesellschaftlichen Interesse unseres Gemeinwesens zusammen zu gestalten und zu prägen – eben engagiert nach vorn. Christof Lützel: Im Mittelpunkt stehen die Menschen Nach welchen Grundsätzen arbeitet die GLS Bank? Lützel: Seit ihrer Gründung vor knapp 40 Jahren zeichnet sich die GLS Bank durch einen bewussten Umgang mit Geld aus. Wir betrachten Geld als Instrument zur Gestaltung unserer Gesellschaft und verstehen Nachhaltigkeit als eine Verbindung sozialer, ökologischer und ökonomischer Ziele. Im Fokus unserer Arbeit stehen stets die Menschen und ihre Bedürfnisse. So investieren wir gezielt in die Erhal- | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 41 Genossenschaften tung und Entwicklung ihrer natürlichen Lebensgrundlage. Ökonomischer Gewinn ist eine wichtige Folge unseres Handelns, nicht jedoch das primäre Ziel. Lützel: Unsere Mitglieder bilden das Fundament unserer Arbeit: Sie sind die Eigentümer der GLS Bank. Durch ihre Genossenschaftsanteile werden sie Teil der GLS Gemeinschaft und ermöglichen die Kreditvergabe an sozial-ökologische Projekte und Unternehmen. Jedes Mitglied verfügt über ein Mitsprache- und Auskunftsrecht. Auf unserer jährlichen Generalversammlung erhalten unsere Mitglieder die Möglichkeit, gemeinsam mit uns die Weichen für die zukünftige Ausrichtung der GLS Bank zu stellen. Dabei erhält jedes Mitglied eine Stimme, unabhängig von der Höhe der Mitgliedschaftsanteile. Foto: GLS Bank Welchen Einfluss haben Ihre Mitglieder auf die Ausrichtung der GLS Bank? Christof Lützel ist Pressesprecher und Prokurist der GLS Gemeinschaftsbank eG. Seit 2005 ist er zudem als Mitarbeitervertreter im Aufsichtsrat der GLS Bank tätig. www.gls.de Welche Art von Bankgeschäften betreibt die GLS Bank? In welchen Bereichen finanziert sie Vorhaben, Projekte und Unternehmen? Lützel: Die GLS Bank ist die erste sozial-ökologische Universalbank der Welt. Ihr Angebotsspektrum reicht vom Girokonto und Sparangeboten über Finanzierungen bis hin zu Beteiligungen. Über unsere Schwestereinrichtung, die GLS Treuhand e.V., bieten wir zudem die Möglichkeit zum Stiften und Schenken. Wir finanzieren ausschließlich zukunftsweisende und sinnstiftende Projekte und Unternehmen, z. B. regenerative Energien, ökologische Landwirtschaft oder freie Schulen und Kindergärten. Unternehmen, die unsere Ausschlusskriterien tangieren, erhalten keine Kredite von der GLS Bank. Strikt ausgeschlossen werden unter anderem Finanzierungen, die Verbindungen zur Rüstungsindustrie aufweisen, Atomkraft fördern, Kinderarbeit tolerieren oder die Menschenrechte verletzen. Engagiert sich die GLS Bank in der Energiewende? Lützel: Bereits Ende der 80er Jahre finanzierte die GLS Bank eine der ersten Windkraftanlagen im Norden Deutschlands. Viele weitere Projekte folgten. Diese frühen Investitionen tragen inzwischen greifbare Früchte: Aktuell werden 20 % des deutschen Strombedarfs durch erneuerbare Energien gedeckt. Vor diesem Hintergrund ist es besonders traurig, dass die Energiewende erst jetzt entscheidende Unterstützung von der Bundesregierung erhält. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Auch heute investiert die GLS Bank gezielt in die weitere Entwicklung regenerativer Energien. Wir bieten beispielsweise Beteiligungen an Fotovoltaik- oder Windkraftanlagen oder festverzinste Geldanlagen wie den GLS Energiewende-Sparbrief. Engagiert sich die GLS Bank in der Armutsbekämpfung der Länder des Südens oder der Welternährung? Lützel: Gemeinsam mit der internationalen Genossenschaft Oikocredit engagieren wir uns für eine gerechtere Welt. Um Menschen in Entwicklungsländern auf ihrem Weg aus der Armut zu helfen, haben wir ein einzigartiges Angebot entwickelt, das Oikocredit Sparkonto: In Höhe der über diese Sparkonten angelegten Gelder vergibt die GLS Bank Darlehen an Oikocredit, die wiederum stellt das Kapital Mikrofinanzorganisationen, Genossenschaften oder Fairhandelsinitiativen in Entwicklungs- und Schwellenländern zur Verfügung. Gemeinsam mit der KD-Bank und Union Investment legte die GLS Bank den FairWorldFonds auf. Er berücksichtigt nachhaltige sowie entwicklungspolitische Anlagekriterien, die „Brot für die Welt“ festlegte. Durch faires Investment und fairen Handel verhalf der FairWorldFonds schon vielen Menschen in Afrika, Asien und Lateinamerika zu einem Leben in Würde. Ebenfalls ist die GLS Treuhand e.V. seit über zehn Jahren auf diesem Gebiet aktiv und unterhält sehr erfolgreich die Zukunftsstiftung Entwicklungshilfe. Sie unterstützt Projekte in Süd- und Mittelamerika, aber auch in Asien und Afrika. 42 Genossenschaften bolando eG: Foto: bolando eG Genossenschaftlich geführtes Dorfgasthaus Sich wandelnde Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie eine gestiegene Mobilität haben in ländlichen Räumen Veränderungen der dörflichen Gemeinschaften zur Folge. Dorfgaststätten wird dadurch vielerorts die ökonomische Grundlage entzogen. In Bollschweil, am Rande des Südschwarzwaldes, in einem Dorf mit 2 000 Einwohnern, führte diese Entwicklung zur Gründung einer Genossenschaft zwecks Betriebs eines Dorfgasthauses, in dem auch kulturelle Veranstaltungen ausgerichtet werden. Die ehemalige Dorfgastronomie im Ort war aufgegeben worden, es gab noch ein China-Restaurant, eine Straußenwirtschaft mit zwei kurzen saisonalen Öffnungszeiten und Vereinsheime im Außenbereich des Ortes. Den Bollschweilern fehlte ein Dorfgasthaus mit regionaltypischer Speisekarte als zentral gelegene Begegnungsstätte für alle Einwohner. Immer häufiger wurde der Wunsch, das Dorfzentrum neu zu gestalten und u. a. mit einer Dorfwirtschaft zu beleben, von der Bevölkerung, den Vereinen und der lokalen Agenda-Gruppe an die Gemeinde herangetragen. So entwickelte diese 2005 ein Leitbild, das die Gestaltung der Ortsmitte und die Schaffung einer Begegnungsstätte vorsah. Hierfür erwarb sie das ehemalige Ratsschreiberhaus, das saniert oder abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden sollte. Genossenschaftsmitglieder sanieren altes Haus 2006 wurde auf Initiative einiger Einwohner Bollschweils die Genossenschaft bolando (Wohnen in Bollschweil, Leben auf dem Land, Begegnen im Dorf) gegründet. Hiermit verfolgten die Anteilszeichner das Ziel, einen Gastronomiebetrieb durch Sanierung des ehemaligen Ratsschreiberhauses aufzubauen, um die Lebensqualität im Dorf und in der Region zu stärken, den Ortskern mit seiner historischen Bausubstanz zu erhalten und die Grundversorgung der Gemeinde zu verbessern. Die genossenschaftliche Organisationsform bot die Möglichkeit, viele Bürger und Bürgerinnen als Miteigentümer einzubeziehen. Das ehemalige Ratsschreiberhaus im Dorfkern von Bollschweil war in der Vergangenheit als Wohnhaus und zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzt worden, bevor es von der Gemeinde gekauft wurde. Als mögliche Abrisspläne bekannt wurden, brachte dies der Genossenschaft neuen Zulauf. Den Gründungsmitgliedern gelang es durch Informationsveranstaltungen im Dorf und Kommunikation der Genossenschaftsidee, mehr als 230 Mitglieder zu gewinnen, die Anteile zu 1 000 € zeichneten. Dadurch konnte ein Großteil der für die Sanierung benötigten Gelder aufgebracht werden. Für die zusätzliche finanzielle Unterstützung wurde ein Förderverein gegründet, der aufgrund eines deutlich geringeren Mitgliedsbeitrags auch Mitstreitern mit weniger finanziellen Mitteln ermöglichte, das Projekt zu unterstützen. Mit Hilfe der Mitgliedsbeiträge zeichnete der Förderverein selber Genossen- | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 43 Genossenschaften schaftsanteile und brachte als gemeinnütziger Verein Sach- und Eigenleistungen in das Projekt ein. 2007 wurde durch den Rat der Gemeinde beschlossen, dass die Genossenschaft auf Basis eines Erbrechtsvertrages das ehemalige Ratsschreiberhaus sanieren und als Gaststätte betreiben darf, woraufhin mit der Sanierung und dem Umbau des Gebäudes begonnen wurde. Die Planung der Restaurierung des zukünftigen Dorfgasthauses erfolgte mit viel ehrenamtlichem Engagement der Genossenschaftsmitglieder, ein ehrenamtlicher Bauausschuss koordinierte die Umbauarbeiten, die zu einem Großteil in Eigenleistung durchgeführt wurden. Nach Abbrucharbeiten im Inneren des Hauses wurden umfangreiche Um- und Ausbaumaßnahmen durchgeführt. Neben den Genossenschaftsanteilen erfolgte die Finanzierung durch Städtebaufördermittel aus dem Landessanierungsprogramm, über Sponsorengelder und durch einen Kredit. Das Gasthaus wurde Anfang 2010 eröffnet. Neben einer Betriebsleiterin werden ein Koch und mehrere Servicekräfte beschäftigt. Im Konzept des Gasthauses ist eine regionale und saisonale Küche verankert, sodass das Dorfgasthaus durch seine Lieferbeziehungen die Wirtschaft in der Region stärkt. Neben einem Treffpunkt für die Dorfbewohner bietet es auch einen Anlaufpunkt für Wanderer und Touristen. Der Förderverein unterstützt die Genossenschaft durch die Organisation eines Kultur- programms, welches das Dorf neben dem Gasthausbetrieb auch kulturell stärken soll. Mit dem Dorfgasthaus wurden mehrere Voll- und Teilzeitarbeitsplätze geschaffen und der Ort wird nachhaltig belebt. Das gastronomische und kulturelle Konzept trägt zu einer aktiven und attraktiven Ortsmitte bei. Durch den Genossenschaftsgedanken ermöglicht die bolando eG einen erfolgreichen Betrieb des Gasthauses, der für privatwirtschaftliche Betreiber nicht möglich wäre. ka Link zur Genossenschaft: genossenschaft.bolando.de und zum Dorfgasthaus: www.bolando.de fairPla.net eG: Genossenschaft für Klimagerechtigkeit Die fairPla.net eG mit Sitz in Münster ist eine internationale Genossenschaft für Klima, Energie und Entwicklung. Als Herzstück ihrer Arbeit bezeichnet sie Klimagerechtigkeit, die sie dadurch erreicht, dass sie parallel in reichen Industrienationen und in armen Ländern des Südens in nachhaltige Energieprojekte investiert. Dabei werden drei Ziele verfolgt: gemeinsamer globaler Klimaschutz, Förderung von Wirtschaft und Beschäftigung durch umweltfreundliche Energieerzeugung in Industrieländern und Armutsbekämpfung durch nachhaltige Entwicklung in Ländern des Südens. 2006 wurde fairPla.net eG von 31 Personen gegründet, die sich schon länger mit erneuerbaren Energien, Umweltschutz und Klimawandel beschäftigten. Innerhalb eines Jahres schlossen sich im Rahmen einer MitbegründerInnen-Kampagne weitere 500 Mitglieder und Initiativen an, inzwischen hat fairPla.net mehr als 790 Mitglieder aus elf Ländern. Menschen und Organisationen in allen Teilen der Erde können durch Zeichnen von Genossenschaftsanteilen in Höhe von 250 € Mitglied werden. Die Unternehmensform der Genossenschaft passt zur Unternehmensphilosophie: Jedes Mitglied hat die gleichen Rechte, unabhängig von der Anzahl der gezeichneten Anteile, und als Gemeinschaftsunternehmen verdeutlicht die Genossenschaft den Ansatz der gemeinschaftlichen Verantwortung für das Klima. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Weltweit werden von fairPla.net Projekte zur Energieeffizienz und zur Erzeugung erneuerbarer Energien finanziert, gebaut und betrieben. Der duale Ansatz ist mit einem Investitionsvolumen von maximal 75 % der Genossenschaftsanteile in Industrieländern und mindestens 15 % in den Ländern des Südens in der Investitionsstrategie festgeschrieben, 10 % werden als Rücklage (Liquiditätsreserve) angelegt. Die Umsetzung von Fotovoltaik- und Energieeffizienzprojekten in Deutschland erfolgt durch die aktive Suche des Vorstands und durch Vorschläge von Genossenschaftsmitgliedern. Zu den bereits finanzierten Projekten gehören u. a. Fotovoltaikanlagen auf Dächern des Studentenwerks und der Fachhochschule in Münster. 44 Genossenschaften 1-2-3-Klimaformel Mit ihrer 1-2-3-Klimaformel will die Genossenschaft zeigen, wie Klimagerechtigkeit funktionieren kann: Wenn alle Menschen, Unternehmen und Nationen 1 % ihres Anteils am Bruttoinlandsprodukt (so auch die Forderung der Klimawissenschaft) in Klimaschutz-Projekte investieren und dies in 2 Regionen der Erde tun, entsteht ein 3-facher Nutzen durch Klimaschutz, Arbeitsplätze und gerechte Entwicklung. 1 %-Idee Foto: FH Münster Genossenschaftsmitglieder, die freiwillig einen kontinuierlichen Beitrag zur Verringerung des Klimawandels leisten möchten, investieren jährlich 1 % ihres Nettolohns in fairPla.net-Klimaschutzprojekte. So leistet jeder entsprechend seiner finanziellen Situation einen persönlichen Beitrag zur Verringerung des Klimawandels. Einweihung der Fotovoltaikanlage an der Fachhochschule Münster Beispielsweise engagiert sich fairPla.net auf den Philippinen zusammen mit weiteren Organisationen für ein Solarprojekt, welches Familien über Mikrokredite Zugang zu solarstrombetriebenen Lampen ermöglicht. In Indien sind in Zusammenarbeit mit der Organisation DESI Power zwei Biomassekraftwerke entstanden, die auf Basis landwirtschaftlicher Abfälle und anderer Biomasse die Stromversorgung lokaler Kleinbetriebe sichern. Energie für Schwellen- und Entwicklungsländer Für Projekte aus Schwellen- und Entwicklungsländern setzt fairPla.net auf anerkannte Kooperationspartner in den Ländern des Südens. Einige Projekte werden außerdem aufgrund einer Registrierung bei der UNO von unabhängigen Prüfern kontrolliert. Foto: Solar Foundation Philippines Projekt „Kirche schützt Klima – Solidarisch. Vor Ort. Weltweit“ Seit Herbst 2011 wird in einem Projekt mit dem evangelischen Kirchenkreis Münster ein Energieeffizienz-Check von Gebäuden mit Klimaschutzbildung in den beteiligten Gemeinden und einer Beteiligungs-Kampagne nach dem fairPla.net-Konzept verbunden. Gemeindemitglieder können parallel in energetische Sanierungen in ihren Gemeinden investieren sowie in ein Klimaschutzprojekt im Süden, voraussichtlich im philippinischen Partnerkirchenkreis. ka Philippinen: Verteilung von Solarlampen im Dorf Weitere Informationen und Kontakt zu fairPla.net eG über http://fairpla.net/ | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 45 Genossenschaften (Bio)EnergieDörfer eG: Gemeinsam zu regionaler Energieerzeugung Am 21. Februar 2012 fand in Güstrow die Gründungsversammlung der Genossenschaft „(Bio)Energie-Dörfer eG“ mit Sitz in Bollewick statt. Zu den Gründungsmitgliedern zählen Bürgermeister und Netzwerkpartner aus 19 Gemeinden Mecklenburg-Vorpommerns. Die Service- und Dienstleistungsgenossenschaft für (Bio)Energiedörfer im Norden Deutschlands hat sich zum Ziel gesetzt, die Unterstützung für den Aufbau, die Weiterentwicklung und den laufenden Betrieb der (Bio)Energiedörfer in Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus anzubieten. Dadurch kann einzelnen Gemeinden der Weg zum (Bio)Energiedorf erleichtert werden. Durch die Gründung der Genossenschaft werden Klimaschutz, regionale Wertschöpfung und Teilhabe der lokalen Bevölkerung miteinander verbunden. Der lokale Ausbau erneuerbarer Energien soll in den ländlichen Gebieten Handlungsspielräume in der Frage der Energieversorgung für die Kommunen und regionale Akteure schaffen. Seit Initiierung des „Kooperationsnetzwerkes (Bio)Energiedörfer Mecklenburg-Vorpommern“ Anfang 2009 haben bereits über 70 Gemeinden per Ratsbeschluss eine Entwicklung zum (Bio)Energiedorf in die Wege geleitet. Durch den Anschluss von weiteren Behörden, Organisationen, Unternehmen, Instituten und Experten wird der Umweltschutz in der Region weiter gestärkt. Das ehrgeizige Ziel des Netzwerkes ist es, innerhalb der nächsten zehn Jahre bis zu 500 (Bio)Energiedörfer zu errichten. 2011 wurde das Kooperationsnetzwerk (Bio)Energiedörfer Mecklenburg-Vorpommern im Rahmen des Wettbewerbs Kommunaler Klimaschutz mit dem Preis für „Innovative und vorbildliche Strategien zur Umsetzung des kommunalen Klimaschutzes“ ausgezeichnet. ka Weitere Informationen unter www.nachhaltigkeitsforum.de Nächste Veranstaltung: (Bio)EnergieDörfer eG: Energiewende mit Akzeptanz 13./14.04.2012 Foto: B. Meyer Schweriner Schloss & Gemeinde Grambow Fotovoltaikanlage mit 100 kW-Peak im (Bio)Energiedorf Bollewick | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 46 Genossenschaften Energiegenossenschaft Odenwald eG: Energiegewinnung, -einsparung und -effizienz Die Energiegenossenschaft Odenwald eG (EGO) wurde im Februar 2009 auf Bestreben von Bürgern, die sich einen Ausbau der erneuerbaren Energien in der Region wünschten, gegründet. Sie ist eine Initiative von Städten, Gemeinden und Unternehmen aus der Region Odenwald. Zweck ist neben dem Ausbau der Energiegewinnung durch erneuerbare Energien auch die Steigerung der Energieeffizienz und die Energieeinsparung. Die mittlerweile 60 am Netz angeschlossenen Anlagen verfügen über eine installierte Leistung von 5,34 Megawatt. Durch die jährliche Energiegewinnung von über 5 Mio. kWh können 2 800 t CO2 pro Jahr eingespart werden. Unter dem Motto „Odenwälder investieren in den Odenwald“ sind neben Städten und Gemeinden mehr als 850 Privatpersonen an der Genossenschaft beteiligt. Durch Einlagen ab 100 € haben auch Personen mit geringem Einkommen und Ersparnissen die Möglichkeit beizutreten. Die Genossenschaft verfolgt das Ziel, die Wünsche ihrer Mitglieder bzgl. erneuerbarer Energien, die einzelne sich nicht leisten können, gemeinsam zu verfolgen. Foto: Energiegenossenschaft Odenwald eG Bei den Investitionen in Fotovoltaik, Wasser- und Windenergie wird auf eine Einbeziehung aller Bürger in den Planungsprozess Wert gelegt, um die Akzeptanz in der Bevölkerung für Projekte zur Energiewende zu steigern. Besonders die Investition in ein Wasserkraftwerk schließt eine Lücke in der lokalen Energieversorgung: tagsüber erzeugte Solarenergie kann gespeichert und zu Verbrauchszeiten freigesetzt werden. Bei der Umsetzung der Projekte erfolgt die Zusammenarbeit ausschließlich mit Unternehmen aus der Region, womit die Genossenschaft zu einer Stärkung der lokalen Wirtschaft beiträgt und die Wertschöpfung in der Region bleibt. Durch Kooperation mit Schulen und Beratung von Unternehmen wird eine breite Öffentlichkeit für Energieeffizienz und Energieeinsparung sensibilisiert. ka Montage der ersten reinen Bürger-Windkraftanlage der EGO mit einer Nennleistung von zwei MW Weitere Informationen: www.energiegenossenschaft-odenwald.de Veranstaltungen zum Internationalen Jahr der Genossenschaften Internationale Konferenz „Die Raiffeisenidee – ein Zukunftsmodell“ am 3. und 4. Mai 2012 in Bonn Tagung „Wertschöpfung mit Bürgerbeteiligung – Genossenschaften als Ökonomiemodell der Zukunft?“ vom 11. Mai bis 13. Mai 2012 in Bad Herrenalb Die Internationale Raiffeisen-Union (IRU) veranstaltet die Konferenz mit prominenten Rednern aus Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für IRU-Mitgliedsorganisationen, Politiker und internationale Organisationen. Nähere Informationen zu Programm und Anmeldung unter [email protected]. Weltweit werden die ökonomischen Schwächen und die oft soziale und regionale Blindheit zentral gesteuerter globaler Unternehmen sichtbar. Genossenschaften dagegen leisten in vielen Ländern einen wichtigen Beitrag für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und stabilisieren regionale Wirtschaftskreisläufe. Können Genossenschaften ein Modell für eine nachhaltige, menschenfreundliche und zukunftsfähige Ökonomie sein? Veranstalter: Evangelische Akademie Baden. Weitere Informationen unter www.ev-akademie-baden.de | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Genossenschaften Seminar „UNO-Jahr der Genossenschaften – Lernen von Friedrich Wilhelm Raiffeisen und Hermann Schulze-Delitzsch“ vom 11. Mai bis 13. Mai 2012 in Königswinter Gerade unter den Bedingungen des ökonomischen Wettbewerbs und der Profitgier im Zeitalter der Globalisierung kann ein Satz von Friedrich Wilhelm Raiffeisen auch heute noch eine grundlegende sozialethische Orientierung vermitteln: „Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.“ Die Stiftung Christlich-Soziale Politik e.V. will Raiffeisens Ideen auf den Grund gehen und fragen, was uns diese heute noch nutzen können. Informationen unter www.azk-csp.de. 2. Genossenschaftstag in Rheinland und Westfalen am 1. September 2012 in Bonn Auf dem Rathausplatz in Bonn findet mit dem Genossenschaftstag des RWGVs der Höhepunkt des Internationalen Jahrs der Genossenschaften in Rheinland und Westfalen statt. Informationen für Standbetreiber: Presseabteilung des RWGVs, Tel. (0251) 7186-1021, [email protected] Genossenschaftstag am 7. Juli 2012 in Rottweil 47 Präsentation der Vielfalt von Genossenschaften durch den Baden-Württembergischen Genossenschaftsverband e.V. (BWGV). Weitere Informationen unter http://www.bwgvinfo.de/ XVII. Internationale Genossenschaftswissenschaftliche Tagung (IGT) „Genossenschaften im Fokus einer neuen Wirtschaftspolitik“ vom 18. bis 20. September 2012 in Wien Als Resultat der Finanzkrise zeichnen sich in Europa und weltweit neue wirtschaftspolitische und rechtliche Rahmenbedingungen ab, die Rolle des Staates wandelt sich. Vor diesem Hintergrund bedarf es auch für die Genossenschaften einer Standortbestimmung. Informationen und Anmeldung auf igt.2012.univie.ac.at Am 7. Juli 2012 ist der Internationale Tag der Genossenschaften (International Cooperative Day). Dieser wird seit 1923 durch die International Co-operative Alliance gefeiert und findet alljährlich am ersten Samstag im Juli statt. Er soll das Bewusstsein für Genossenschaften schärfen und internationale Solidarität, ökonomische Effizienz, Gleichheit und Weltfrieden als Erfolge und Ideale der Genossenschaftsbewegung feiern und fördern. Weitere Veranstaltungen zum Genossenschaftsjahr sind unter www.genossenschaften.de/veranstaltungen zu finden. Termin 6. Bundestreffen der Regionalbewegung vom 15. bis 16. Juni 2012 in Jülich-Barmen Schwerpunkte der Veranstaltung, zu der der Bundesverband der Regionalbewegung e.V. und das Aktionsbündnis Tag der Regionen in Kooperation mit der DORV-Zentrum GmbH einlädt, werden Mogelpackungen im Lebensmitteleinzelhandel und die Entwicklung eines bundesweiten Regionalsiegels sein. Aber auch die Vernetzung von Dorfläden, eine Exkursion zum DORV-Zentrum in Barmen, die Gestaltung der Energiewende mithilfe bürgerschaftlicher Beteiligungsmodelle und weitere Themen stehen im Mittelpunkt des Treffens. Kontakt: Bundesverband der Regionalbewegung e.V. (Zweigstelle), Kathrin Hunstig-Bockholt, Tel. (05643) 949271, [email protected], www.regionalbewegung.de Personalie Dr. Monika Michael neue Geschäftsführerin des dlv Dr. Monika Michael hat zum 1. März 2012 die Hauptgeschäftsführung des Deutschen LandFrauenverbandes e.V. (dlv) in Berlin übernommen und tritt damit die Nachfolge von Ingrid Apel an. Sie ist seit fast 14 Jahren in verschiedenen Positionen beim dlv tätig. Die ASG gratuliert der studierten Betriebswirtschaftlerin zu ihrer neuen Position, wünscht ihr viel Erfolg bei ihren Aufgaben und freut sich auf eine gute Zusammenarbeit. | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | 48 Für Sie gelesen Landwirtschaft. Ein Thema der Kirche Clemens Dirscherl, Kirchliches Jahrbuch für die Evangelische Kirche in Deutschland, Band 2, 2011, Gütersloher Verlagshaus, 152 S., ISBN 978-3-579-01639-9, 19,99 €. Die Wahrnehmung der Landwirtschaft in der Öffentlichkeit pendelt zwischen zwei Extremen, auch das Verhältnis der Kirche zur Landwirtschaft ist einerseits durch Sympathie zu den traditionell kirchennahen Menschen, andererseits durch eine kritische Sicht auf die landwirtschaftliche Produktion geprägt. Dr. Clemens Dirscherl, Beauftragter für agrarsoziale Fragen des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und Geschäftsführer des Evangelischen Bauernwerks in Württemberg, beschäftigt sich mit der Positionierung der Kirche zur Landwirtschaft aus christlich-ethischer Sicht. Dabei widmet er sich auch der Situation und den Problemen der in der Landwirtschaft arbeitenden Menschen. Darüber hinaus thematisiert er aktuelle Diskussionen wie die energetische Nutzung von Biomasse sowie Fragen der Ernährungssouveränität und des Tierschutzes und geht auf künftige Aufgaben der Kirche in der Landwirtschaft und im ländlichen Raum ein. ka Der kritische Agrarbericht 2012 Schwerpunkt: Zusammen arbeiten – für eine andere Landwirtschaft Agrarbündnis e.V. (Hrsg.). AbL Verlag, Hamm, 304 S., ISBN 978-3-930 413-52-2, 22,00 €. Mit der Ausgabe 2012 feiert der kritische Agrarbericht sein 20. Jubiläum. Seit 1993 dokumentiert er die aktuellen Agrardebatten und liefert kontinuierlich Informationen für eine kritische Diskussion. Jedes der elf Kapitel beginnt mit einem Rückblick auf die Diskussionen des letzten Jahres, in weiteren Artikeln zeigen die Autorinnen und Autoren zahlreiche neue Perspektiven agrarund ernährungspolitischer Problemstellungen auf. 2012 stehen neben den Vorschlä- gen zur Reform der gemeinsamen Agrarpolitik Kooperationen mit und in der Landwirtschaft im Fokus. Unter dem diesjährigen Schwerpunkt „Zusammen arbeiten – für eine andere Landwirtschaft“ zeigt der kritische Agrarbericht wegweisende Kooperationsformen innerhalb der Landwirtschaft sowie zwischen Landwirtschaft, Verarbeitung, Handel, Banken, Naturschutz und Verbrauchern. Er verdeutlicht, dass die soziale Frage im Streben nach nachhaltiger Entwicklung eine Schlüsselfrage darstellt und „zusammen arbeiten“ das Motto für Debatten in den nächsten Monaten sein wird. ka Die Könnensgesellschaft Mit guter Arbeit aus der Krise Christine Ax, Rhombos-Verlag, Berlin, 2009, 276 S., ISBN 978-3-938807-96-5, 29,80 €. Mit ihrem Buch stellt die Autorin der Euphorie der Wissensgesellschaft die Idee einer Gesellschaft der Fähigkeiten und Befähigungen entgegen, die auf Arbeit unter den Bedingungen der Freiheit, auf praktischem Wissen und Erfahrung beruht. Dabei kritisiert sie das auf Wissen fixierte Bildungssystem und eine industrielle, sinnentleerte Produktionsweise. In „Die Könnensgesellschaft“ sucht Christine Ax nach Lösungen für Probleme der Arbeitsgesellschaft. Im ersten Teil des Buches beschäftigt sie sich mit der Bedeutung der Arbeit für den Menschen und damit, welchen Wert Arbeit hat und haben könnte. Im zweiten Teil analysiert sie Ursachen der sozialen und ökologischen Krise in unserer Gesellschaft und geht darauf ein, unter welchen Bedingungen „gute Arbeit“ möglich ist und die Zukunft sichern kann. Den Ausweg beschreibt Ax durch eine „Ökonomie der Nähe“, „ganzheitliche Arbeit“ und eine „nachhaltige Wirtschaft von unten“. Um die Arbeitsgesellschaft in eine soziale und ökologische Balance zu bringen, sieht sie grundlegende Veränderungen der Rahmenbedingungen als notwendig an. ka | ASG | Ländlicher Raum | 01/2012 | Zu den bearbeiteten Themenfeldern gehören Agrar-, Sozial- und Umweltpolitik, Dorf- und Regionalentwicklung, Nachhaltigkeit und Ökologie, Strukturwandel in Landwirtschaft und ländlichen Räumen sowie Mensch, Gesellschaft und Umwelt. In ihrer Arbeit verknüpft die ASG wissenschaftliche Forschung, Gutachtertätigkeit, Bildung, Politik und Öffentlichkeitsarbeit. Die Agrarsoziale Gesellschaft e.V. (ASG) ist ein gemeinnütziger Verein, der sich für die Verbesserung der Lebensverhältnisse in der Landwirtschaft und in den ländlichen Räumen einsetzt. IMPRESSUM ISSN 0179-7603 Herausgeber Agrarsoziale Gesellschaft e.V. (ASG) Postfach 1144 37001 Göttingen Tel. (0551) 4 97 09-0 Fax (0551) 4 97 09-16 [email protected] www.asg-goe.de Geschäftsführer Dr. Dieter Czech Redaktion Dipl.-Ing. agr. Ines Fahning Tel. (0551) 4 97 09-26 [email protected] Namentlich oder mit Initialen gekennzeichnete Beiträge geben die Meinung des Autors/der Autorin wieder. Sie ist nicht in jedem Fall identisch mit der Meinung des Herausgebers oder der Redaktion. Layout Mirko Wende www.mirkomedia.de Druck MKL Druck GmbH & Co. KG, Ostbevern/Westfalen Nachdruck und sonstige Verbreitung (auch auszugsweise) nur mit Genehmigung der Agrarsozialen Gesellschaft e.V. Ländlicher Raum erscheint viermal im Jahr (jeweils zum Ende eines Quartals). Bei der dritten Ausgabe handelt es sich um ein themenorientiertes Schwerpunktheft mit doppeltem Umfang. Die Online-Ausgaben sind jeweils zehn Monate nach Drucklegung auf der ASG-Website als pdf-Datei verfügbar. Preise Der Preis für ein Jahresabonnement „Ländlicher Raum” beträgt 36,- € plus Porto. Für Mitglieder der ASG ist das Abonnement im Mitgliedsbeitrag (90,- €, Studenten 36,- €) enthalten. Konto Für Spenden und sonstige Förderbeiträge an die ASG: Sparkasse Göttingen Konto-Nr. 1 087 006 BLZ 260 500 01 Gedruckt auf 100 % Recycling-Papier.