museum villa stuck ricochet
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museum villa stuck ricochet
Die Reihe RICOCHET präsentiert in der ehemaligen Künstlervilla des Malerfürsten Franz von Stuck (1863–1928) Künstlerinnen und Künstler der Gegenwart, die sich mit Diskursen unserer Zeit sowie aktuellen politischen oder gesellschaftlichen Problematiken auseinandersetzen und diese durch ästhetische Transformation einer Neubetrachtung öffnen. Für jede der vier Ausstellungen werden gemeinsam mit den Künstlerinnen und Künstlern Räume im Gesamtkomplex der Villa Stuck ausgewählt, die neben dem klassischen White Cube-Ausstellungsraum auch historische Repräsentationsräume des Künstlerfürsten und einen Künstlergarten umfassen. RICOCHET interveniert, prallt auf, hinterlässt Spuren – auch innerhalb des Ausstellungsprogramms der Villa Stuck – und legt neue Perspektiven und Positionen offen. The exhibition series RICOCHET at the former residence of Munich’s “Prince of Art” Franz von Stuck (1863–1928) presents four contemporary artists. Their works reflect on the discourses of our time and address topical political or social issues, rendering them open to reconsideration through aesthetic transformation. For each of the exhibitions, the artists and curators jointly selected the spaces within the entire Villa Stuck complex, which encompasses not only the White Cube Exhibition Area, but also Franz von Stuck’s famous state rooms and the artist’s garden. RICOCHET intervenes, reverberates and leaves traces – as can be seen in the Museum Villa Stuck’s exhibition programme – and at the same time opens up new perspectives and approaches to art. RICOCHET #1 Cris Koch 14. Januar – 14. März 2010 | Kuratorin: Anne Marr RICOCHET #2 Samantha Dietmar 22. April – 27. Juni 2010 | Kuratorin: Sabine Schmid RICOCHET #3 Hito Steyerl 21. Juli – 26. September 2010 | Kurator: Michael Buhrs RICOCHET #4 Ahmet Öğüt 11. November 2010 – 23. Januar 2011 | Kuratorin: Verena Hein museum villa Stuck ricochet inhalt contents 4–5 Michael Buhrs: vorwort preface 6–29 ÜBER VIELES. UND NICHTS. ABOUT MANY THINGS. AND NOTHING. 30–41 samantha dietmar im gespräch mit sabine schmid samantha dietmar in conversation with sabine schmid 44–45 biographien biographies 46–47 ABBILDUNGSLISTE LIST OF ILLUSTRATIONS 48 impressum imprint ricochet #2 SAMANTHA DIETMAR Über Vieles. und Nichts. 2 4 vorwort preface Der Aufprall war heftig. RICOCHET, die Ausstellungsreihe der Villa Stuck ging mit den Arbeiten des ersten Künstlers in dieser Reihe, Cris Koch, unvermittelt und direkt auf Konfrontationskurs mit den Besucherinnen und Besuchern des Museums. Noch gefangen in den Farben der Jugendstil-Welt eines Louis Comfort Tiffany oder auf dem Weg zum Lebens- und Glaubenswerk des Künstlermissionars Karl Wilhelm Diefenbach, wandelt der Besucher entlang des Stairway to Stuck von Cris Koch, auf dem er in immer neuer Konstellation der Tentakelfratze von Cthulhu begegnet, dem monströsen Geschöpf des Schriftstellers H. P. Lovecraft. Der Hausherr, Franz von Stuck, erscheint ebenfalls – verfremdet und in den Koch’schen Kosmos eingebettet – auf Wänden und Objekten und wird auf diese Weise in die Ausstellung außerhalb der historischen Räume der Villa Stuck verstrickt. RICOCHET, Villa Stuck’s exhibition series, struck visitors to the museum with high impact. The work of Cris Koch, the first artist in the series, was certainly something quite unexpected. Still mesmerised by the colours of the Art Nouveau universe of Louis Comfort Tiffany, or on the way to the faith-inspired oeuvre of the artist-missionary Karl Wilhelm Diefenbach, visitors walked by Cris Koch’s Stairway to Stuck. There, they encountered, in ever-changing configurations, the tentacled visage of Cthulhu, the monstrous creation of the writer H.P. Lovecraft. On walls and objects, the villa’s master, Franz von Stuck seemed alienated and embedded in Koch’s cosmos, enmeshing himself in the exhibition even beyond the Villa Stuck’s historic rooms. Das Ziel, das RICOCHET erreichen will, die Sensibilisierung für die Werke junger Künstlerinnen und Künstler, der Einbruch in die gesicherte Museumswelt auf inhaltlicher und räumlicher Ebene – es scheint greifbar nah. Nun folgt der nächste Schritt, die fotografische Bildwelt von Samantha Dietmar in ihrer Arbeit Über Vieles. Und Nichts., die konzentriert auf einen Raum im Untergeschoss der Villa Stuck präsentiert wird. RICOCHET’s goal – to raise appreciation for the extraordinary work of young Berlin artist Cris Koch, and to break into the immutable museum world both in terms of content and by invading its space – seems within reach. Now comes the next step, the photographic imagery of Samantha Dietmar in her work ÜBER VIELES. UND NICHTS. (About Many Things. And Nothing.), which is being presented in a compact form in a downstairs gallery of the Villa Stuck. Das Museum Villa Stuck hat eine lange Tradition in der Präsentation der Arbeiten von Fotografinnen, die zu den Pionieren dieses Mediums im 20. Jahrhundert gehören: Dazu zählen Grete Stern, Helen Levitt, Madame Yevonde und Herlinde Koelbl. Diese Reihe ergänzen deren männliche Kollegen Luigi Ontani und Karl Lagerfeld, denen allesamt Einzelausstellungen gewidmet waren. Und nicht zuletzt zeigte 1996 die Ausstellung Franz von Stuck und die Photographie, wie intensiv Stuck und mit ihm zusammen seine Frau Mary dieses Medium nutzten. Mit Samantha Dietmar präsentieren wir eine 1978 in München geborene Künstlerin mit ihrer bis dato umfangreichsten Werkschau, die mehr als sechzig Fotografien aus der Serie Über Vieles. Und Nichts. umfasst. The Museum Villa Stuck can look back on a long tradition of presenting the work of women photographers, who are among the pioneers of the medium in the twentieth century, including Grete Stern, Helen Levitt, Madame Yevonde and Herlinde Koelbl. Their ranks are completed by male colleagues such as Luigi Ontani und Karl Lagerfeld, who have all been showcased in solo exhibitions. And, last but not least, the 1996 exhibition Franz von Stuck and Photography revealed the intensive use Stuck, together with his wife Mary, made of this medium. With Samantha Dietmar, (b.1978), the Museum Villa Stuck presents a Munich artist in the largest exhibition of her work to date, comprising over sixty photographs from her series ÜBER VIELES. UND NICHTS. Samantha Dietmars Fotografien spüren der Realität des Alltags nach, wie er sich der Künstlerin auf Reisen oder in ihrer Wahlheimat Berlin zeigt. Ihrer Ausbildung, unter anderem in den Pariser und New Yorker Büros von Magnum, entsprechend, fühlt sich Dietmar einer »unverfälschten und unmanipulierten Wiedergabe« Samantha Dietmar’s photographs trace the reality of everyday life as it presents itself to the artist on her travels or in her chosen hometown of Berlin. Trained in such institutions as the Paris and New York offices of Magnum Photos, the works she creates are invariably informed by subjective impressions and verpflichtet, wodurch ihre Arbeiten stets von subjektiven Eindrücken und Blickwinkeln geprägt sind. Dieser Anspruch beinhaltet in Konsequenz nichts anderes als einen unverhohlen politischen Kontext, der Über Vieles. Und Nichts. prägt. Mein herzlicher Dank gilt Samantha Dietmar für die intensive Arbeit an der Auswahl der Fotografien und der Installation wie auch der Kuratorin der Ausstellung, Sabine Schmid. Sie hat sich als Interviewpartnerin von Samantha Dietmar auf die Spur der Ursprünge und Hintergründe des fotografischen Werks Dietmars begeben. Das so entstandene und in diesem Buch veröffentlichte Gespräch geht dabei weit über diese Fragestellung hinaus und beleuchtet das Thema Fotografie in seiner Relevanz für die heutige Zeit und in kritischer Relation zur Vergangenheit. Ich möchte an dieser Stelle nochmals meinen Dank an die RICOCHET-Kuratorinnen, Anne Marr, Sabine Schmid und Verena Hein aussprechen. Die erste Ausstellung wird die Reihe als Widerhall begleiten. Der vorliegende Band, wie auch alle anderen der Reihe RICOCHET, erscheint in der Edition Young Art des Kerber Verlags und wird von Verena Hein betreut – die Reise der Querschläger geht weiter. Für ihre Arbeit daran bedanke ich mich bei Samantha Dietmar und Sabine Schmid, den Lektorinnen Stefanie Adam und Sarah Trenker und bei Bram Opstelten, der für die Übersetzung der Texte gesorgt hat. Die grafische Gestaltung durch normal industries ist ein weiterer unverzichtbarer Mosaikstein, für den ich mich bei Petra Kottmair und Jonathan Wood herzlich bedanke. perspectives and consistently underpinned by a commitment to the “undistorted and non-manipulated reproduction of reality”. Ultimately, this claim implies nothing other than an overt political context which, indeed, informs the photographs of ÜBER VIELES. UND NICHTS. I am deeply indebted to Samantha Dietmar for the great lengths she went to in selecting the photographs and deciding on the installation, as well as to the curator of the exhibition, Sabine Schmid, who, in her interview with Samantha Dietmar, has endeavoured to elucidate the origins and background of Dietmar’s work. The resulting dialogue, published in this volume, goes far beyond that, as it discusses photography in its relevance to our times as well as with critical reference to the past. At this point I would like to once again express my gratitude to the RICOCHET curators, Anne Marr, Sabine Schmid and Verena Hein. The first exhibition will continue to reverberate, as the series progresses. The first book, like all volumes in this series published, under the editorial supervision of Verena Hein, by Kerber Verlag, is now available. The ricochets continue on their path. For this volume I am grateful to Samantha Dietmar and Sabine Schmid, to the copy editors Stefanie Adam and Sarah Trenker, and to Bram Opstelten who translated the texts. The graphic design by normal industries is another essential component for which I would like to extend my warmest thanks to Petra Kottmair and Jonathan Wood. Das Begleitprogramm mit einem Künstlergespräch wird von Bernhard Schneider betreut, ihm und Johanna Berüter danke ich sehr für die Einbindung auch dieser Ausstellung in FRÄNZCHEN, dem Kinder- und Jugendprogramm der Villa Stuck. Zu guter Letzt gilt mein großer Dank unseren verlässlichen und unermüdlichen Medienpartnern Zündfunk, dem Szenemagazin auf Bayern 2, und mucbook.de, dem München-Blog, der für www.ricochet-blog.de, der Diskussions- und Informationsplattform zur Ausstellungsreihe im Internet, verantwortlich zeichnet. The supporting programme of special events, including an artist’s talk, is supervised by Bernhard Schneider, and I am grateful to him, just as I am indebted to Johanna Berüter for, again, managing to integrate this exhibition into FRÄNZCHEN, the Villa Stuck art education programme for children and teenagers. Finally, I would like to express my sincere gratitude to our reliable and indefatigable media partners, Bayern 2’s popular ZÜNDFUNK radio magazine, as well as to mucbook.de, the Munich blog responsible for www.ricochet-blog.de, the exhibition's discussion and information platform on the Internet. Michael Buhrs | Direktor Michael Buhrs | DireCtor 3 8 4 10 6 5 7 9 8 12 10 11 14 12 12 13 15 14 16 16 17 20 18 19 20 20 24 22 21 23 25 24 24 26 28 27 28 30 SAMANTHA DIETMAR IM GESPRÄCH MIT SABINE SCHMID SAMANTHA DIETMAR IN CONVERSATION WITH SABINE SCHMID Sabine Schmid: In der Ausstellung ist eine Auswahl von über 60 Fotografien deiner Arbeit ÜBER VIELES. UND NICHTS. zu sehen; insgesamt umfasst SIE mehr als 250 Fotografien.1 Mit welchen Inhalten setzt du dich in dieser Arbeit auseinander? Samantha Dietmar: Ich habe eine sehr persönliche Bilderwelt zusammengetragen. Mal künstlerisch, mal journalistisch. Mal laut, mal leise. Es geht um Schönheit im Alltag, Momentaufnahmen, Seltsames und Banales. Um Konflikte, Missstände und Ungerechtigkeiten. Aber auch um Glück, Hoffnung und Mut. Ein Fotoskizzenbuch meiner Gedanken, meiner Sicht der Dinge, entstanden auf Reisen und in meinem Alltag. Zugänglich als Einzelbilder, aber auch in der Gruppe. Ein Beobachten und Nachdenken über das Leben. Eine Sinnsuche. Deine Aufnahmen aus Deutschland sind Beobachtungen des Alltags: die vereiste Autoscheibe im Winter (Abb. 29), der schmutzige Aschenbecher in einer Kneipe (Abb. 27), der wolkenverhangene Himmel am Abend, das nahezu leere Aquarium, das schmutzige, sich stapelnde Geschirr in der WG-Küche (Abb. 25), ein akkurater Stapel von unzähligen Tageszeitungen (Abb. 2). Meine alte Nikon ist immer dabei. Ich liebe es, wenn plötzlich auf den ersten Blick Unscheinbares die motivische Hauptrolle einnimmt. Es geht ums Hinsehen. Vielen fallen solche Arrangements des Alltags womöglich gar nicht weiter auf. Oder sie können ihnen vielleicht nichts abgewinnen. Mir geht es da anders. Alles ist zu finden: von der banalen Situationskomik bis hin zur Ironie. Eine sich täglich vermehrende Wand aus Worten und Papier begrüßt beispielsweise die Gäste in der Wohnung eines Freundes in Berlin. Er kommt mit dem Lesen nicht hinterher, will all dies Wissen aber lieber um sich haben, als es wegzuwerfen. Abstrakter StraSSenverkehr, so der Titel einer in New York aufgenommenen Fotografie mit Langzeitbelichtung (Abb. 20). Weitere Fotografien zeigen ein Treppenhaus in Paris, in welches Licht einfällt (Abb. 7), auf einer StraSSenlaterne sitzende Vögel, eine Reihung der Schatten von StraSSenlaternen auf einem Bahnsteig in New York (Abb. 19) und die Spiegelung des Berliner Fernsehturms in einer Regenpfütze (Abb. 10). Du selbst bist der ansicht, vor dem »analytisch- Sabine Schmid: THE EXHIBITION INCLUDES A SELECTION OF OVER 60 PHOTOGRAPHS FROM YOUR FINAL YEAR PROJECT TITLED ÜBER VIELES. UND NICHTS. (ON MANY THINGS. AND NOTHING.). IN TOTAL, THE WORK COMPRISES OVER 250 PHOTOGRAPHS.1 WHAT ARE THE THEMES THAT YOU ADDRESS IN THIS WORK? Samantha Dietmar: I have compiled a very individual collection of images. Some are artistic, some journalistic, some loud, some muted. They are about beauty in everyday life, snapshots, strange things, mundane things; about conflicts, grievances and injustices, but also about happiness, hope, and courage. It is a photographic sketchbook of my thoughts, my view of things, created while travelling or living my daily life, accessible both as individual images and as part of a larger whole. It comprises observations and reflections on life – a search for meaning. THE PHOTOGRAPHS YOU TOOK IN GERMANY ARE OBSERVATIONS OF EVERYDAY LIFE: THE ICED-UP CAR WINDOW IN THE WINTER (FIG. 29), THE DIRTY ASHTRAY IN A PUB (Fig. 27), THE OVERCAST EVENING SKY, THE ALMOST EMPTY AQUARIUM, THE PILE OF DIRTY pans IN THE SHARED FLAT KITCHEN (FIG. 25), A NEAT STACK OF COUNTLESS NEWSPAPERS (FIG. 2). My old Nikon is always present. I love it when something ostensibly unremarkable suddenly takes centre stage as the subject of a photograph. It is about looking at things. Most people probably do not really notice these compositions taken from everyday life. Or perhaps they do not get anything out of them. It is different for me. Anything can be found: from banal slapstick through to irony. For example, at the apartment of a friend of mine in Berlin a daily growing wall of words and paper welcomes guests. He can’t keep up with reading, but he’d rather have all that knowledge around him than throw it away. ABSTRACT STREET TRAFFIC IS THE TITLE OF A LONG EXPOSURE PHOTOGRAPH TAKEN IN NEW YORK (FIG. 20). OTHER PHOTOGRAPHS SHOW A STAIRWELL IN PARIS WITH LIGHT FALLING INTO IT (FIG. 7), BIRDS PERCHED ON A STREET LAMP, A SEQUENCE OF SHADOWS CAST BY LAMP POSTS ON A RAILWAY PLATFORM IN NEW YORK (FIG. 19), OR A REFLECTION OF THE BERLIN FERNSEHTURM (TELEVISION objektiven« Ansatz sei der »künstlerisch-subjektive«2 vorrangig. Rücken hier spezifisch fotografische Qualitäten in den Vordergrund? Ähnlich der Subjektiven Fotografie, über welche Otto Steinert schreibt: »Subjektive Fotografie heiSSt vermenschlichte, individualisierte Fotografie, bedeutet Handhabung der Kamera, um den Einzelobjekten ihrem Wesen entsprechende Bildsichten abzugewinnen.«3 Findet sich davon auch etwas in deiner Arbeit? Ja, bei diesen Fotografien gehe ich bewusst weg von der dokumentarischen Übermittlung der Realität. Es geht um den metaphorischen, poetischen Moment der Fotografie, des Motivs an sich. Und natürlich hier vor allen Dingen um meine ganz eigene Interpretation. Zumeist in körnigem Schwarz-Weiß wird Fotografie künstlerisch verwendet. Ich brauche nicht immer ein Konzept oder ein durchdachtes Projekt, um zu fotografieren. Manchmal begegnen mir einfach Momente, die ich für mich festhalten möchte. Nicht selten passiert dies auch ganz unverhofft und neben meiner eigentlichen fotografischen Arbeit. Es gefällt mir zu abstrahieren, es bringt eine gewisse Allgemeingültigkeit in die Fotografien. TOWER) IN A PUDDLE (FIG. 10). ACCORDING TO YOUR OWN WORDS THE “ARTISTIC-SUBJECTIVE”2 APPROACH TAKES PRECEDENCE OVER THE “ANALYTICAL-OBJECTIVE” ONE. DOES THIS MEAN THAT INTRINSICALLY PHOTOGRAPHIC QUALITIES ARE EMPHASISED? IN THE MANNER OF SUBJECTIVE PHOTOGRAPHY AS DEFINED BY OTTO STEINERT: “SUBJECTIVE PHOTOGRAPHY STANDS FOR HUMANISED, INDIVIDUALISED PHOTOGRAPHY, FOR USING THE CAMERA TO LET INDIVIDUAL OBJECTS INSPIRE COMPOSITIONAL VIEWS THAT CORRESPOND TO THEIR NATURE.”3 IS SOME OF THAT RELEVANT TO YOUR WORK? Yes, in these photographs I deliberately move away from the documentary reproduction of reality. What matters is the metaphorical, poetical moment of photography, the subject by itself. And in this case, of course, it is mainly about my very distinct interpretation. On the whole, grainy, black and white photography serves artistic purposes. I don’t always need a concept or a well thought-out project, in order to take photographs. Sometimes it is just about being confronted with moments that I would like to record for myself. This often happens completely unexpectedly and as a corollary of my actual photographic work. I like to abstract; it infuses the photographs with a certain universal validity. Bei deinen Motiven und Themen finden sich gleichermaSSen Sprüche und Graffitis von Quertreibern, Aktionisten und StraSSenpoeten (Abb. 14) wie auch Zeichen unserer kommerzialisierten Warenwelt, beispielsweise bei Reklame (Abb. 32), und Spuren öffentlicher Ordnung, beispielsweise bei Gebotsschildern und Anzeigetafeln. Sind diese Fragmente Stellvertreter für eine weitere Sinnebene? Diese Ideen-Fragmente aus den Köpfen Anderer, die einem überall auf der Welt begegnen, sprechen mir oftmals aus der Seele oder bekommen ein Rendezvous mit meiner Gedankenwelt. Sie haben affirmativen Charakter. Kurz und prägnant stellen sie bloß, kritisieren oder lassen einen einfach nur schmunzeln. Sie bestätigen, dass überall in dieser Welt wache, kritische Augen weilen. Aber auch die Isolierung von Gebotsschildern oder Reklame aus ihrem Zusammenhang kreiert eine neue Bedeutungsebene, die ich mir für meine Gedankenwelt zueigen mache. YOUR SUBJECTS AND MOTIFS INCLUDE SLOGANS AND GRAFFITI BY OBSTRUCTIONISTS, PRACTITIONERS OF ACTION ART AND STREET POETS (FIG. 14), AS WELL AS SIGNS OF OUR COMMERCIALISED WORLD OF COMMODITIES, FOR INSTANCE IN IMAGES OF ADVERTISING (FIG. 32) AND MARKINGS OF PUBLIC POLICY, FOR INSTANCE IN IMAGES OF MANDATORY SIGNS AND INDICATOR BOARDS. ARE THESE FRAGMENTS REPRESENTATIVE OF AN ADDITIONAL LEVEL OF MEANING? These idea fragments conceived in the minds of others, which can be found anywhere in the world, often strike a chord with me or ‘have a rendezvous’ with my world of thoughts. They are affirmative in character. Concise and laconic, they expose, criticise or just make you smile. They confirm that there are wary and critical eyes throughout this world. Yet at the same time the isolation of mandatory signs or advertising from their respective contexts creates a new level of meaning, which I appropriate for my world of ideas. Findet sich hier bei den Bild-Schrift-Bezügen eine Form von Ironie? Beispielsweise bei der Arbeit Küchenfenster DO THE CONNECTIONS BETWEEN IMAGE AND TEXT HERE INVOLVE SOME FORM OF IRONY? FOR INSTANCE, IN THE WORK 32 (Abb. 4) oder auch bei dem fotografischen StillLeben mit Ananas und dem Bild eines Sandwiches (Abb. 8). Ja, speziell diese Motive platzen regelrecht vor Ironie. Solche gepaarten Kombinationen sind rar. »Abendfrieden« zum Beispiel hatte wohl im Vorfeld seine ganz eigene Geschichte im Streit eines Liebespaares. Manche deiner Arbeiten aus New York und auch aus Paris lassen sich in die Nähe der Street Photography4 verorten. Du wendest dich dem alltäglichen Geschehen auf der StraSSe zu, welche zur Bühne deiner Motive wird. So beispielsweise bei den Fotografien von drei Amerikanern am Times Square (Abb. 18) oder von einem kostümierten Mann an einem U-Bahn-Aufgang an Halloween (Abb. 17). Mit kleiner Fotoausrüstung kann ich mich im Großstadtgewusel wunderbar unauffällig und unentdeckt bewegen. Man wird zum kreativen Voyeur der anonymen Szenerie. Nun geht es darum, den richtigen Moment zu erhaschen. Zu entdecken. Schnell zu reagieren. Nichts ist geplant oder die Lichtverhältnisse vorher absehbar. Es bleibt wenig Zeit für Entscheidungen. Man möchte die Menschen in ihrem Treiben nicht stören oder ihnen in ihrem Sich-Unbeobachtetfühlen zu nahe treten. Sie sollen in ihrer Abbildung anonym bleiben. Stellvertreter sein. Bei deinen Fotografien aus Argentinien (Abb. 26) wie auch bei den Aufnahmen in Namibia (Abb. 12) rückt besonders die Natur als Motiv in den Vordergrund. Diese Eindrücke rufe ich mir in Erinnerung, wenn es im Hier und Jetzt gerade wieder besonders hektisch ist. Ein Zelt, ein Sternenhimmel. Und einfach NICHTS und gleichzeitig so viel. Die Seele auslüften, den Kopf durchpusten lassen und abwarten, welche kleinen Wunder einem begegnen. Das Zebra-Bild ist die Absage an eine gewisse SehErwartungshaltung. Und war der Sonnenuntergang in Patagonien wohl ein eindrucksvolles Farbspiel, so kommt er dennoch auch in seiner Schwarz-Weiß-Reduzierung wunderbar auf den Punkt. Auf dem G8-Gipfel 2007 hast du in Kühlungsborn und Heiligendamm fernab des Geschehens fotografiert: Politiker oder Aktivisten sind nicht zu sehen, du richtest deinen Fokus auf das menschenleere Umfeld, der Tagungsort selbst ist im Mittelpunkt (Abb. 6). Küchenfenster (kitchen window, FIG. 4), OR IN THE PHOTOGRAPHIC STILL LIFE SHOWING Two PINEAPPLEs AND THE picture OF A SANDWICH (FIG. 8). Yes, those motifs in particular are positively bursting with irony. Such pairings are rare. “Abendfrieden” (“Quiet of the evening”), for example, had its own specific antecedents in the fight between two lovers. Ich fand es reizvoll, ein paar Tage vor dem G8-Gipfeltreffen anzureisen. Es bot sich ein skurriles Bild: Polizeiaufgebot an jeder Ecke, Stacheldraht und mittendrin Scharen von Rentnern, die ganz normal ihrem Kuraufenthalt frönten. Wiederum war ich nicht auf der Suche nach etwas Bestimmten. Die entstandenen Fotografien bekommen durch den Hintergrund des Gipfeltreffens ironischen Charakter. I found it interesting to arrive a few days before the G8 summit. A bizarre scene presented itself: police presence at every corner, barbed wire and right in the middle of it throngs of pensioners happily pursuing their health spa activities. Again I wasn’t looking for anything in particular. Against the backdrop of the summit meeting, the photographs I took acquire an ironic quality. IN MANY WAYS, SOME OF YOUR WORKS FROM NEW YORK AND PARIS RESEMBLE STREET PHOTOGRAPHY.4 YOU TURN TO THE EVERYDAY ACTIVITIES ON THE STREET, WHICH BECOMES THE STAGE FOR YOUR SUBJECTS, AS, FOR INSTANCE, IN THE PICTURES OF THREE AMERICANS ON TIMES SQUARE (FIG. 18), OR OF A MAN IN COSTUME AT A SUBWAY ENTRANCE ON HALLOWEEN (FIG. 17). When I limit the amount of camera equipment I take with me, I can be wonderfully inconspicuous and move undetected in the hustle and bustle of the big city. You become a creative voyeur of the anonymous setting. It is then just a matter of catching the right moment, of discovering, of reacting quickly. Nothing is planned; there is no foreseeing the lighting conditions. There is very little time to decide. I neither want to interrupt people in what they are doing, nor disrupt their feeling of being unobserved. They should remain anonymous in the image, be stand-ins. Von deiner Reportage in Mexiko 2007 finden sich in ÜBER VIELES. UND NICHTS. eindringliche Bilder wieder, so beispielsweise die Aufnahmen vom Alltag und den Lebensumständen in den zapatistischen Gemeinden Huixtla oder Oventic (Abb. 13). Ein weinendes und ein lachendes Auge blitzen auf, wenn ich über die Eindrücke und Erfahrungen dieser Reise spreche. Meine bislang intensivste und auch aufregendste Zeit des Fotografierens. Nie zuvor hatte ich Fotografie so sehr gelebt. Meine Zeit dort beeinflusste mein Denken und Sehen der Welt drastisch und nachhaltig. Die Indígenas haben auch in Mexiko absolut keinen guten Stand. Wir besuchten sie in ihren Dörfern. Vor allem in der zapatistischen Gemeinde Oventic verweilte ich einige Zeit. Ich war berührt von der Wärme und Freundlichkeit, die sie mir entgegenbrachten und sprachlos über die Zufriedenheit in einfachsten Lebensverhältnissen. Weniger kann eben auch tatsächlich mehr sein. YOU INCLUDED HAUNTING IMAGES FROM YOUR 2007 PHOTO REPORTAGE IN MEXICO IN ÜBER VIELES. UND NICHTS., SUCH AS THE ONES SHOWING EVERYDAY LIFE AND LIVING CONDITIONS IN THE ZAPATISTA VILLAGES OF HUIXTLA AND OVENTIC (FIG. 13). Talking about the impressions and experiences of this journey, I feel like crying and laughing at the same time. It is, as yet, both the most intense and most exciting time I have ever had taking pictures. I had never experienced photography like that before. The time I spent there had a radical and lasting effect on my way of thinking and of seeing the world. In Mexico, as elsewhere, the indígenas have anything but a good standing. We visited them in their villages. I spent quite some time particularly in the Zapatista village of Oventic. I was moved by the warmth and kindness I encountered and humbled by their contentment with the most basic living conditions. Less can indeed be more, too. IN YOUR PHOTOGRAPHS FROM ARGENTINA (FIG. 26) AND FROM NAMIBIA (FIG. 12), NATURE TAKES CENTRE STAGE. I like to call these impressions to mind when things happen to be rather hectic: a tent, a starry sky – and simply NOTHING, and yet at the same time so much. I like to air the soul, to flush the mind and to wait and see what small wonders will present themselves. The picture of the zebra is a rejection of certain visual expectations. And even if the sunset in Patagonia was, indeed, an impressive colour spectacle, one can also appreciate the point in its black and white reduction. Was war das ursprüngliche Thema deiner Reportage in Mexiko? Ich war fast am Ende meines Studiums in Würzburg angelangt und wollte ursprünglich für ein Semesterprojekt im Sinne des klassischen Fotojournalismus Land und Leute kennenlernen. Begleitet hat mich eine mexikanische Fotografin und Freundin. Diese Ausgangssituation war gleichzeitig auch ganz wunderbar für ein besseres Verständnis der mexikanischen Kultur und natürlich auch für meine Akzeptanz dort. Wir zogen quer durchs Land. Es war Wahlkampf, eine politisch sehr geladene Zeit. Ich sprach zu Anfang kaum Spanisch und so musste ich viel mit den Augen hören. Ich interessierte mich sehr für Mexikos Ureinwohner und die »einfachen Leute«. Wie sie leben, für ihre Probleme und Konflikte mit der mexikanischen Regierung. Es wurde zu einer sehr emotionalen Angelegenheit für mich. Nach fünf Monaten in Mexiko entwickelte sich das Fotoprojekt zu meiner potenziellen Diplomarbeit. Doch dann kam alles anders. Ich wurde in Atenco böswillig von der Polizei verhaftet und bevor ich überhaupt INITIALLY, WHAT WAS THE SUBJECT OF YOUR PHOTO REPORTAGE IN MEXICO? I had nearly finished my degree in Würzburg, and I initially wanted to get to know the country and its people for a semester project along the lines of classic photojournalism. I was accompanied by a Mexican photographer, a friend of mine, which was, of course, a perfect arrangement, both to learn more about Mexican culture and to get the people there to accept me. We trekked through the entire country. Elections were coming up and it was a politically charged time. At the beginning of the journey, I hardly spoke any Spanish and so I had to listen with my eyes a lot. I was very interested in the indigenous Mexicans and the simple people of Mexico, in how they live, in their problems and conflicts with the Mexican government. It became a very emotional affair for me. After five months in Mexico, the photo project developed into a potential final year project. But then everything changed. In Atenco I was arrested by the police, and AT THE G8 SUMMIT IN 2007 YOU TOOK PHOTOGRAPHS IN THE RESORT TOWNS OF KÜHLUNGSBORN AND HEILIGENDAMM, AWAY FROM ALL THE EVENTS: POLITICIANS OR ACTIVISTS ARE NOT TO BE SEEN; INSTEAD YOU FOCUS ON THE DESERTED SETTING, AND THE VENUE ITSELF TAKES CENTRE STAGE (FIG. 6). 34 einen klaren Gedanken fassen konnte, wurde ich auch schon zurück nach Deutschland eskortiert. Für meine Diplomarbeit in der bis dato geplanten Form bedeutete dies das Aus. before I even managed to think straight I was being escorted back to Germany. This meant the end for my final year project in the form in which I had planned it. eine schwierige Zeit der Neuorientierung und des Hinterfragens. Viele Dinge hier wirkten so übertrieben, banal und künstlich nach einer so intensiven und glücklichen Zeit des einfachen Lebens. Eine politische Dimension eröffnet sich, wenn du die vermummten Mitglieder der EZLN (Ejército Zapatista de Liberación Nacional) porträtierst oder deren Parteiführer, Subcomandante Marcos, bei seinem Wahlkampf und seinen öffentlichen Kundgebungen begleitest. Als Gegenbewegung zum offiziellen Wahlkampf war auch La Otra Campaña der Zapatisten im Land unterwegs. Immer wieder kreuzten auch deren Veranstaltungen und Kundgebungen unseren Weg. Wir machten Bekanntschaft mit einigen AlternativmedienJournalisten und Filmemachern, die die Karawane begleiteten und wir fotografierten selbst auf zahlreichen Veranstaltungen. Es war sehr aufschlussreich und meinungsfestigend, die politische Situation und Lebensumstände so vieler Mexikaner auch von einer anderen, inoffiziellen Seite beleuchtet zu bekommen. A POLITICAL DIMENSION PRESENTS ITSELF WHEN YOU PORTRAY THE MASKED MEMBERS OF THE EZLN (EJÉRCITO ZAPATISTA DE LIBERACIÓN NACIONAL) OR ACCOMPANY ITS LEADER, SUBCOMANDANTE MARCOS, DURING HIS ELECTION CAMPAIGN AND AT HIS PUBLIC RALLIES. As a countermovement to the official election campaign, the Zapatistas’ La Otra Campaña was also out travelling the country. We repeatedly came across their events and rallies as well. We met some journalists and filmmakers who were working for alternative media and following the caravan, and at a number of events we took photographs ourselves. It was highly instructive and helped form my opinion having the political situation and the living conditions of so many Mexicans illuminated from a different, unofficial side. Wie entstand letztendlich die Idee zu deiner Arbeit ÜBER VIELES. UND NICHTS. und wie kamst du dazu, die Arbeit in der jetzt vorliegenden Form umzusetzen? Mein gescheitertes Diplomprojekt entwickelte sich plötzlich zu einer konfrontativen Suche nach mir selbst. Beim Sichten meines Archivs bemerkte ich dann, dass diese Suche schon viel früher begonnen hatte. Die Antworten auf meine Fragen und Zweifel fanden sich in meinen neuen und älteren Fotografien vereint. Sie konnten einem noch etwas mehr mitteilen, als nur das rein Offensichtliche. Das Zwischen-den-Zeilen. Die Gedanken der Augenblicke. So entstand ÜBER VIELES. UND NICHTS. Eine eindringliche Fotografie von Subcomandante Marcos’ Stiefel (Abb. 28) weckt beim Betrachter verschiedenste Assoziationen. Im gesamten Fotobuch kommen nur wenige ausgewählte Fotografien aus Mexiko vor. Diese sind dafür umso eindringlicher, und oftmals kann man in den Bildern auch meine emotionale Zerrissenheit dieser Zeit spüren. Wie ein Fels in der Brandung: Marcos’ Stiefel. Er hat aber aufgrund meiner persönlichen Erfahrung auch den fahlen Beigeschmack von Gewalt. Jeder interpretiert Bilder aus seinem eigenen Erfahrungsschatz heraus. Du meintest, ein »Aufenthalt in New York zeigte [dir] die Schnelligkeit, Skurrilität, Widersprüchlichkeit und Grenzenlosigkeit des Lebens. Eine Fotoreportage in Mexiko lehrte [dich] über die Relativität des Glücks, von Zusammenhalt, Ungerechtigkeit und Hoffnung« und, dass dein »Leben hier in Deutschland [geprägt sei] von Selbstverständlichkeiten«.5 Zurück in Deutschland hing ich erstmal in der Luft. In meinem Umfeld und Alltag hatte sich nicht wirklich viel verändert, doch passte ich selbst nicht mehr so recht in meine alten Fußstapfen. Es folgte A POWERFUL PHOTOGRAPH OF SUBCOMANDANTE MARCOS’S BOOT (FIG. 28) TRIGGERS ALL KINDS OF ASSOCIATIONS IN THE VIEWER. The entire photo book includes only a few selected photographs from Mexico, which are all the more powerful for it. Frequently, the images also bespeak the state of emotional turmoil that I was in at the time. A bastion of calm is offered by Marcos’s boot – although, based on my personal experience, it also smacks of violence. Everyone interprets images based on their own store of past experiences. YOU HAVE STATED THAT “VISITING NEW YORK SHOWED [YOU] THE FAST-PACED, CONTRADICTORY NATURE, THE ABSURDITY AND THE BOUNDLESSNESS OF LIFE. A PHOTO REPORTAGE IN MEXICO TAUGHT [YOU] THE RELATIVE NATURE OF HAPPINESS, SOLIDARITY, INJUSTICE AND HOPE” AND THAT YOUR “LIFE HERE IN GERMANY [IS CHARACTERISED] BY SO MANY THINGS THAT ARE TAKEN FOR GRANTED.”5 Upon my return to Germany I initially found myself in limbo. Not much had changed in my surroundings and in my everyday life, yet it somehow didn’t feel right to just pick up where I had left off. A difficult period of questioning and of reorienting myself followed. Gerhard Schweppenhäuser schreibt, du reflektierst in deiner Arbeit die Widersprüchlichkeiten des Lebens: »In ihr [deiner Arbeit] spiegeln sich die Widersprüchlichkeiten des Lebens wider, zum einen geben die Fotos optische Reflexionen eines Ausschnitts der Wirklichkeit wieder, und zum anderen sind sie im weiteren Sinn eine Meditation über die Strukturen des Lebens.«6 Mein fotografisches Reflektieren ist Kernpunkt dieser Arbeit. Es finden sich sicherlich zahlreiche philosophische Ansatzpunkte. Vieles kann man nur schwer in Worte fassen. Unser Leben ist sehr widersprüchlich. Wir leben rational irrational. Es lässt sich nicht sagen, ob deine Arbeit künstlerisch oder journalistisch ist, deine Bilderwelt ist heterogen: Das Einzelbild ist mal poetisch, mal verstörend, aber auch gesellschaftskritisch. So wollte ich mich für diese Arbeit positionieren. In eine fotografische Schublade passe ich damit nicht. Meine Intention war auch nicht fotografisches Können in einem bestimmten Bereich unter Beweis zu stellen. Manche Bilder sind schwächer, manche stärker. Auch sind sie thematisch unterschiedlich gewichtet. Das Brückenbauen zwischen den verschiedenen Bilderwelten macht die Arbeit so unmittelbar. Einzelne Arbeiten sind geprägt von einem spontanen Moment, wie beispielsweise die Fotografie eines After such an intense and gratifying time leading the simple life, so much here seemed overdone, mundane and fake. HOW DID THE IDEA FOR YOUR WORK ÜBER VIELES. UND NICHTS. EVENTUALLY EMERGE AND HOW DID YOU COME TO REALISE IT IN ITS PRESENT FORM? My aborted final year project all of a sudden developed into a confrontational search for myself. At some point I was sifting through my archived material and realised that this search had, in fact, started much earlier. The answers to my questions and doubts were to be found both in my recent and older photographs. They managed to convey more than the merely apparent. They conveyed the between-the-lines, the thoughts of the moment. That is how ÜBER VIELES. UND NICHTS. came into being. GERHARD SCHWEPPENHÄUSER WROTE ABOUT YOUR WORK: “LIFE’S CONTRADICTIONS ARE REFLECTED HERE, FIRST IN THE SENSE THAT HER PHOTOGRAPHS SHOW VISUAL REFLECTIONS OF APERTURES OF REALITY AND SECOND IN THE BROADER SENSE HER PHOTOGRAPHS ARE MEDITATIONS ON THE STRUCTURES OF REALITY.”6 Reflecting through photography is essentially what this work is about. I am sure that there are numerous philosophical starting points. Many things are difficult to put into words. Our lives are full of contradictions. We are rational irrational beings. IT IS IMPOSSIBLE TO SAY WHETHER YOUR WORK IS ARTISTIC OR JOURNALISTIC: YOUR IMAGERY IS HETEROGENEOUS, SOMETIMES POETIC, SOMETIMES DISTURBING, WHILE INDIVIDUAL IMAGES MAY ALSO BE CRITICAL OF SOCIETY. That is the approach I wanted to take with this work. It makes it impossible to pigeonhole me photographically. I also wasn’t out to demonstrate photographic skills in a particular area. Some pictures are not that strong, others are stronger. Thematically, too, their weight varies. Building bridges between different types of imagery is what lends the work its immediacy. INDIVIDUAL PHOTOGRAPHS EXUDE THE SPONTANEITY OF A PARTICULAR MOMENT, SUCH AS THE ONE SHOWING A HORSE tied TO A CAR (FIG. 3). WHAT ROLE DOES COINCIDENCE PLAY IN YOUR WORKS? DO YOU STAGE YOUR IMAGES? 36 Pferdes, das an ein Auto gespannt ist (Abb. 3). Welche Rolle spielt der Zufall bei deinem Arbeiten? Inszenierst du deine Bilder? Die Zufallsschmiede schenkt mir manchmal ganz unglaubliche Motive. Ich freue mich sehr, dass ich für das Sehen solcher Begebenheiten ein wenig sensibilisiert bin. Am Motiv mit dem Arbeitstitel Autopferd fuhren wir selbst im Auto vorbei. Doch alles ist relativ. Denn für die mexikanischen Landleute ist dies wohl eher ein alltägliches Bild. Und sehr wichtig: Nein, in meinen freien Arbeiten sind die Bilder nie inszeniert oder gestellt. So meine klare fotografische Auffassung. Wie war dein Umgang mit den Menschen, die du fotografiert hast? Hast du dir einen formalen Rahmen geschaffen, um die Menschen, beispielsweise in Mexiko, zu porträtieren? Menschen in ihrer Natürlichkeit zu fotografieren ist wohl eine der schwersten Herausforderungen in der Fotografie. Man muss ganz individuell auf sein Gegenüber eingehen können. Das gelingt nicht immer und ist auch vom eigenen Befinden abhängig. Der formale Rahmen in Mexiko war einfach mein aufrichtiges Interesse an den Menschen und ihren Lebensumständen. Ich wartete geduldig, bis Vertrauen gewachsen war. Ich zeigte den Menschen dort auch Bilder meiner bisherigen Reise durch Mexiko. Hat deine Lehrzeit bei der Agentur Magnum Photos7 2005 und 2006 in Paris und New York dein Selbstverständnis als Fotografin geprägt? Meine Zeit dort hat mich sehr ermutigt, Projekte tatsächlich anzugehen, Sackgassen in Kauf zu nehmen und als wichtige Meilensteine in der persönlichen Entwicklung zu betrachten. Man wächst ja bekanntlich an seinen Aufgaben. Im Berufsleben ist dieses Wissen nun zwar tröstlich, allerdings zahlt es noch nicht die Miete. Gibt es bestimmte Vorbilder oder Arbeiten anderer Fotografen und Künstler, die deine Themenwahl oder die formale Umsetzung beeinflussen? Es gibt natürlich viele wundervolle Fotografen, die mich seit meinen fotografischen Anfängen nachhaltig berührt haben. Man nimmt sich von jedem Beeindrucktsein ein Stückchen mit und verwebt es mit den eigenen Ideen und Vorstellungen, wie und was Fotografie für Happenstance sometimes forges moments that offer quite incredible images. I am very happy to be somewhat sensitised to seeing such occurrences. The image titled Autopferd (Horse Tied to a Car) was one that we drove past ourselves. Yet everything is relative, since for rural Mexicans it is probably quite a common sight. And what is very important to note is that in my non-commissioned work the images are never staged. That is not part of my photographic concept. HOW DID YOU DEAL WITH THE PEOPLE YOU PHOTOGRAPHED? DID YOU DEVELOP A FORMAL FRAMEWORK TO WHICH YOU ADHERED WHEN PORTRAYING PEOPLE, FOR EXAMPLE, IN MEXICO? Photographing people so that they look natural is probably one of the greatest challenges in photography. You have to adapt to the person in front of you. That doesn’t always work out, and it also depends on your own state of mind at that moment. In Mexico, the formal framework was simply my sincere interest in the people and their living conditions. I waited patiently for them to have confidence in me. I also showed people the pictures I had taken on my travels through Mexico up to that point. DID YOUR 2005/2006 APPRENTICESHIP WITH MAGNUM PHOTOS7 IN PARIS AND NEW YORK SHAPE YOUR SELF-IMAGE AS A PHOTOGRAPHER? My time there encouraged me to go out and tackle projects. You have to accept that there will be dead ends; they should actually be considered important milestones in one’s personal development. Challenges make you grow, as you know. In professional life it is, indeed, comforting to know that, but it doesn’t do much to pay the rent. ARE THERE PARTICULAR ROLE MODELS OR WORKS BY OTHER PHOTOGRAPHERS AND ARTISTS THAT INFLUENCE YOUR CHOICE OF SUBJECTS OR HOW YOU PERFORM YOUR WORK? There are, of course, numerous terrific photographers who have deeply impressed me since I started my career as a photographer. Every time, you take some part of that which impressed you and mesh it with your own notions and ideas of what photography should be for you personally. You develop a style of your own. The photographs for my final year project were the result of an intellectual and emotional gestation period, without me being able einen persönlich zu sein hat. Man entwickelt seinen eigenen Stil. Die Fotografien für mein Diplombuch entwickelten sich aus einem gedanklichen und emotionalen Reifungsprozess heraus, ohne dass ich hier verbindlich den direkten Einfluss von bestimmten Fotografen nennen könnte. Formal wichtig im Buch war mir die großformatige Darstellung der Fotografien mit minimalem Beschnitt. Die Bandbreite Magnum, James Nachtwey, Dorothea Lange, August Sander, Paul Strand, Sebastião Salgado, Lee Friedlander, Ansel Adams. Ungemein inspiriert hat mich auch immer schon Lillian Bassmans körnige Unschärfe. Aktuell interessieren mich die japanischen Fotografen Daido Moriyama und Hiroshi Sugimoto. Beide arbeiten in SchwarzWeiß. Der eine fokussiert die Straße und Randgruppen der Gesellschaft, der andere ist Fotokünstler, der unter anderem gerne über Jahre sehr technisch in abstrakten Serien arbeitet. Ebenso bewundere ich die Musiker-Fotografien von Anton Corbijn. Ich verehre außerdem die Natur-Künstler Andy Goldsworthy und Wolfgang Laib. Nicht zu vergessen die verrückte Sophie Calle, die mich oft zum Staunen bringt mit ihren aberwitzigen Projekten. Du meintest, dass dich nach Magnum’schen Vorbild seit deinen fotografischen Anfängen die »Wahrheit unserer Welt«8 interessieren würde. Im Sinne einer Straight Photography respektive einer Fotografie des »human interest«9 ? Würdest du dich als sozial engagierte Fotografin bezeichnen und richtest du deinen Fokus auf soziale Krisen unserer Zeit? Ja, ich versuche es zumindest aufrichtig. Soziales Engagement liegt mir nicht nur in der Fotografie sehr am Herzen. Ich möchte gern Impulse geben, ein kleiner Stolperstein sein, um über das Leben nachzudenken. Im Sinne der Straight Photography stehe auch ich zu einer unverfälschten und unmanipulierten Wiedergabe der Wirklichkeit und somit Wahrheit. Unter dieser Prämisse werden auch meine zukünftigen Projekte reifen. An neuen Aufgaben mangelt es leider nicht. Ich muss aber stets achtsam sein, dabei nicht emotional zu versumpfen. Es lassen sich zwei Konstanten in deinem Arbeitsprozess ausmachen: Zum einen dein subjektiver Blickwinkel auf deine Umwelt, wobei kein holistisches Bild der Realität wiedergegeben wird, da technische Determinanten einen begrenzten Ausschnitt fest- to pinpoint any direct influence of particular photographers. What was important to me in the book was the large-scale reproduction of the photographs with minimal cropping. My choice includes Magnum photographers, James Nachtwey, Dorothea Lange, August Sander, Paul Strand, Sebastião Salgado, Lee Friedlander, Ansel Adams. The grainy blurriness of Lillian Bassman has always been immensely inspiring. Currently I am interested in the Japanese photographers Daido Moriyama and Hiroshi Sugimoto. Both work in black and white. One focuses on street life and social fringe groups, the other is a photo artist who, among other things, has been working for years on creating a technically highly sophisticated abstract series. I also admire Anton Corbijn’s photographs of musicians. In addition, I revere land art artists Andy Goldsworthy and Wolfgang Laib, and don’t let me forget wacky Sophie Call whose crazy projects often stun me. TAKING THE CUE FROM MAGNUM, YOU STATED THAT, SINCE YOUR PHOTOGRAPHIC BEGINNINGS, YOU HAVE BEEN INTERESTED IN THE “TRUTH OF OUR WORLD.”8 DO YOU MEAN THAT IN THE SENSE OF STRAIGHT PHOTOGRAPHY OR HUMAN INTEREST9 PHOTOGRAPHY? WOULD YOU DESCRIBE YOURSELF AS A SOCIALLY ENGAGED PHOTOGRAPHER AND DO YOU FOCUS ON SOCIAL CRISES OF OUR DAY? Yes, that is at least my sincere intention. Social engagement is important to me not just in photography. I would like to stimulate people, act as a small stumbling block, so that they think about life. Following the example of Straight Photography, I am also committed to an undistorted and non-manipulated reproduction of reality and thus to truth. This is the premise on which my future projects will grow. There is, unfortunately, no shortage of new causes. I thus have to be careful not to be bogged down emotionally. THERE ARE TWO CONSTANTS THAT ARE NOTICEABLE IN YOUR CREATIVE PROCESS: ON THE ONE HAND, THE SUBJECTIVE ANGLE FROM WHICH YOU SEE THE WORLD AROUND YOU, WHICH ALSO MAKES IT IMPOSSIBLE TO REPRODUCE A HOLISTIC IMAGE OF REALITY, SINCE TECHNICAL DETERMINANTS DEFINE A CIRCUMSCRIBED FRAME – AND, ON THE OTHER, THE ANGLE FROM WHICH 38 legen, und auch dein Blickwinkel auf deine Umwelt – dein Alltag in Deutschland, deine Reisen in Europa, Afrika, Lateinamerika und in den USA – stets von deinen persönlichen Lebenskonditionen geprägt ist. Da wären wir wieder bei meiner Sicht der Dinge. Und den Dingen in meiner Sichtweise. Ich denke, in dieser freien Arbeit hatte ich die einmalige Chance, alles miteinander zu vereinen. Ich konnte mich in meinem fotografischen Werk ohne Begrenzungen frei bewegen. YOU VIEW YOUR SURROUNDINGS, YOUR EVERYDAY LIFE IN GERMANY, YOUR TRAVELS IN EUROPE, AFRICA, LATIN AMERICA AND THE U.S., WHICH IS ALWAYS INFORMED BY YOUR PERSONAL LIVING CONDITIONS. And so we return to my view of things – and to the things seen from my perspective. I think this non-commissioned work gave me the unique opportunity to combine everything. It allowed me to feel free and unconfined in my photographic work. Ursprünglich trug deine Arbeit den Untertitel Fotografisch-gedankliche Auseinandersetzung mit dem Leben. Wie kamst du zu diesem Titel? Eben weil es um meine ganz persönliche Sicht der Dinge geht. Meine Fragen, Gedanken und Zweifel beantworteten sich in vielerlei Hinsicht mit meinem fotografischen Werk der vergangenen Jahre. Und andersherum inspirierten meine Gedanken das Sehen neuer Motive. ORIGINALLY YOUR WORK WAS SUBTITLED A PHOTOGRAPHICINTELLECTUAL REFLECTION ON LIFE. HOW DID YOU ARRIVE AT THAT TITLE? Precisely because it is about my personal view of things. In many ways, my questions, thoughts and doubts have found an answer in my photographic work of the past years. And, vice versa, my thoughts were the inspiration to see new subjects. Die Rede ist wiederholt von einem »visuellen Tagebuch«10, beziehungsweise davon, dass die Fotografien »Tagebuchauszugshafte Fragmente des Lebens«11 seien. Per definitionem ist ein Tagebuch ein Medium, um Fakten, Gedanken und Empfindungen zur eigenen Erinnerung zu fixieren. Es dient dem Dialog und der geistigen Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, ist also Mittel zum Selbstzeugnis und zur Selbstdarstellung. Für die Tagebuchaufzeichnung bieten sich persönliche Beobachtungen oder Vorkommnisse an, welche den Einzelnen innerlich beschäftigen, ebenso öffentliche Ereignisse oder menschliche Erfahrungen. Die eigentliche Aufzeichnung hat etwas Momenthaftes und charakterisiert sich durch einen hohen Grad an Subjektivität.12 Man kann Gefühle und Erlebnisse aufschreiben. Ich schreibe sie auf, indem ich fotografiere. Jedes Bild ist ein kleiner Tagebucheintrag mit seiner eigenen Geschichte. Mal ganz unspektakulär, mal bedeutungsträchtig. Das Leben unter die Lupe genommen. THERE ARE RECURRENT REFERENCES TO A “VISUAL DIARY”,10 OR TO THE PHOTOGRAPHS BEING “DIARY-EXCERPT-LIKE FRAGMENTS OF LIFE”.11 BY DEFINITION, A DIARY IS A MEDIUM FOR RECORDING FACTS, THOUGHTS AND SENTIMENTS, ALLOWING ONESELF TO REMEMBER AND PROVIDING THE BASIS FOR A DIALOGUE WITH AND INTELLECTUAL REFLECTION ON ONE’S OWN SELF – IN SHORT, A MEDIUM FOR PERSONAL TESTIMONIALS AND SELF-PROJECTION. PERSONAL OBSERVATIONS OR OCCURRENCES THAT MENTALLY PREOCCUPY AN INDIVIDUAL LEND THEMSELVES AS DIARY ACCOUNTS, AS DO PUBLIC EVENTS OR HUMAN EXPERIENCES. THE ACTUAL ACCOUNT HAS AN OF-THE-MOMENT FEEL AND IS CHARACTERISED BY A HIGH DEGREE OF SUBJECTIVITY.12 You can write down feelings and experiences. I write them down by taking picture of them. Each photograph is a small diary entry with a history of its own: sometimes quite unspectacular, sometimes of great significance. It is life put under the magnifying glass. Hinsichtlich deines Arbeitsprozesses ist neben deinem subjektiven Blickwinkel beim Fotografieren eine ebenso zentrale Konstante das Sichten und die Selektion der Bilder und deren anschlieSSende Zusammenstel- WITH REGARD TO YOUR WORK PROCESS, AN EQUALLY PIVOTAL CONSTANT, ALONG WITH THE SUBJECTIVE ANGLE OF YOUR PHOTOGRAPHS, IS THE PROCESS OF SIFTING AND SELECTING THE PICTURES, AS WELL AS THEIR SUBSEQUENT COMPILATION. AT FIRST GLANCE, THE ARRANGEMENT OF THE PICTURES IN THE EXHIBITION AND IN YOUR VOLUMINOUS lung. Die Anordnung der Bilder in der Ausstellung wie auch in deinem voluminösen Bilderbuch scheint auf den ersten Blick von einer Gleichgültigkeit gegenüber dem Fotografieren und der einzelnen Fotografie zu zeugen. Beliebig und unübersichtlich wirkt die Bilderfolge, so der erste Eindruck.13 Welche Methode steckt hinter der vermuteten Gleichgültigkeit? Beim In-Beziehung-Setzen der Bilder spielte vor allem das Bauchgefühl eine wichtige Rolle. Das Ergebnis ist natürlich nur EIN gewählter, möglicher Raum für vielerlei Berührungspunkte und Gedankengebilde. Doch stehen die im Buch vorzufindenden Kombinationen für einen abgeschlossenen Gedankenprozess von damals. Dem Intuitiven bei Projektentstehung. Heute würden die Geschichten in meinem Buch sicherlich wieder ganz anders und neu verknüpft werden. Ein Umschlagplatz der Gedanken. Das macht es für mich nach wie vor spannend, in mein Werk einzutauchen. Manche Bilder erhalten aufgrund ihrer überlegten Platzierung im Gesamtkontext eine Bedeutung und Intensität, die sie als isolierte Fotografien niemals gehabt hätten. Mag die Bilderfolge zu anfangs beliebig und unstrukturiert wirken, wird der Betrachter dennoch sachte in der Verdichtung der Bildsprache an der Hand genommen. Das Auge wandert von einem Bild zum anderen, wobei sich gerade neue Geschichten verweben, ein neuer Gedanke an den vorherigen anknüpft. Sich widerspricht. Oder nachhakt. Ein Los-Denken. Weder nur das Eine, noch nur das Andere. Graustufen. Das Leben. Welche Rolle nimmt der Betrachter ein, wenn er deiner sehr persönlichen Sicht auf die Welt gegenübersteht? Ich überlasse dem Betrachter ohne Vorgaben meinen fotografischen Gedankenhaufen. Irgendwohin wird er ihn mitnehmen und für sich sichten und seinerseits verbinden. Ich wünsche mir, dass ich für den Betrachter kleine Gedankenanstöße in die richtige Richtung geben kann. Und dass das Nachdenken dann weitergeht. Die Fotografien an sich tragen keine Titel, faktische Informationen über Ort und Datierung werden dem Betrachter in einem Index am Ende des Buches vermittelt. Angaben oder Seitenzahlen direkt auf den Doppelseiten hätte ich als PHOTO BOOK SEEMS TO BESPEAK INDIFFERENCE TO THE ACT OF TAKING PICTURES AND TO THE INDIVIDUAL PHOTOGRAPH. THE SEQUENCE OF IMAGES AT FIRST SEEMS RANDOM AND UNCLEAR.13 WHAT METHOD UNDERLIES THIS SEEMING INDIFFERENCE? Gut instinct, in particular, played an important role in relating the images to one another. The result is, of course, the selection of only ONE possible field for all sorts of points of contact and thought. Still, the combinations found in the book do represent a thought process that was completed at the time: the intuitive one at the time of the project’s realisation. Today, the stories in my book would doubtlessly be connected in different and new ways and involve ‘reloading’ certain thoughts. That’s why I still find it exciting to immerse myself in my work. In the case of some images, their deliberate placement in the overall context infuses them with a significance and intensity that they would never have possessed as isolated photographs. Even though the sequence of images may, at first, seem random and unstructured, the viewer is gently led deeper into the imagery. The eye moves from one image to the next, where new stories are interwoven and a new thought builds on the previous one – or contradicts it – or probes deeper – triggering thoughts, never simply one or the other – shades of grey – life. WHAT IS THE ROLE OF THE VIEWER WHEN CONFRONTED WITH YOUR HIGHLY INDIVIDUAL VIEW OF THE WORLD? I relinquish my pile of photographic thoughts to the viewer without any conditions. He will take it somewhere, sort through it, and make his own connections. My aim is to nudge the viewer’s thoughts ever so slightly in the right direction, hoping that the process of reflection will continue from there. THE PHOTOGRAPHS THEMSELVES APPEAR WITHOUT TITLES; The READERS ARE PROVIDED WITH FACTUAL INFORMATION REGARDING LOCATION AND DATE IN AN INDEX AT THE END OF THE BOOK. I found that including information or page numbers directly on the spreads was detracting from the images. Place and time are not immediately relevant to accessing this work. As mentioned, these 40 sehr störend für die Bildwirkung empfunden. Ort und Zeit spielen für den Zugang zu dieser Arbeit keine direkte Rolle. Diese Informationen sind – wie gesagt – ganz sachlich mit kleinen Bild-Icons im Anhang zu finden. Vorne hat die Emotion, das Brückenbauen, das Etwas-Lostreten Vorrang. Gibt es so etwas wie Eindeutigkeit in deiner Arbeit? Absolut nicht. Ich transportiere natürlich eine mir wichtige Aussage in jedem Bild und in der Kombination der Doppelseiten im Buch. Doch der Betrachter seinerselbst ist frei in seiner Interpretation. Baut seine eigenen Brücken. Kreiert vielleicht auch ganz neue Zusammenhänge. Erfahrungsabhängige Eindeutigkeit. Max Dessoir schreibt, das Tagebuch verfolge die »Linie des eigenen Lebens« jeden Tag. Der unmittelbare Eindruck einer Situation oder eines Erlebnisses wird erlebnisnah in unterschiedlichster Form fixiert und konserviert. Ein weiteres zentrales Charakteristikum eines Tagebuchs ist die RegelmäSSigkeit des Schreibens; darüber hinaus ist es prinzipiell zeitlich unbegrenzt und unabgeschlossen.14 Machst du weiter mit dieser Arbeit oder ist die Fotoserie für dich abgeschlossen? Ein Ende ist nicht in Sicht, solange ich mit offenen Augen durch die Welt gehe. Das ist das Schöne an dieser Arbeit. 1 Samantha Dietmar erhielt 2008 den BFF-Förderpreis (Bund Freischaffender Foto-Designer) für ihre Abschlussarbeit ÜBER VIELES. UND NICHTS. Der BFF-Förderpreis geht jährlich an die besten Hochschulabschlussarbeiten im Bereich Fotografie und ist einer der renommiertesten und höchstdotierten Förderpreise für Hochschulabsolventen. Weltweit 2000 Studenten von 118 verschiedenen Hochschulen aus 21 Ländern haben sich seit der Stiftung des Preises 1988 bei der Ausschreibung beteiligt. Der Förderpreis wird vom BFF getragen und vom Kodak Kulturprogramm, dem Stern, NEON, Gruner + Jahr, der photokina, dem Wirtschaftsministerium Baden-Württemberg und der Reinhart-Wolf-Stiftung unterstützt. 2 Samantha Dietmar in ihrer Diplomarbeit. 3 Otto Steinert: Zur Idee dieses Buches. In: Subjektive Fotografie. Ein Bildband moderner europäischer Fotografie. Ausst.-Kat. Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken, Bonn 1952. S. 6. Subjektive Fotografie ist eine Strömung in den 1950er Jahren in Deutschland, welche sich in der Tradition der Neuen Sachlichkeit der 20er und 30er Jahre wägt. Otto Steinert, der die Stilbezeichnung kreierte, formulierte in Veröffentlichungen und zeigte in Ausstellungen das Primat von subjektiver Wahrnehmung in der Fotografie. Mit seinen Maximen formulierte er die Grundlage der konzeptionellen Fotografie und demonstrierte die Existenz einer persönlichen Sichtweise in der Fotografie, also einer Befreiung von vordergründiger Bedeutung und eine Umwertung in ein subjektives Erfassen. Formal und inhaltlich sind die Fotografien äußerst vielfältig, erstrecken sich von strengen Bildkompo- data are quite matter-of-factly included with small image icons in the appendix. In the front section, precedence is given to emotion, to building bridges, to triggering something. IS THERE ANY SUCH THING AS EXPLICITNESS IN YOUR WORK? Absolutely not. Of course, in each image and with each combination of images on the book’s pages I do convey a certain message that is important to me. But readers are free to interpret them in their own way, to build their own bridges, perhaps to even establish relationships that are completely new. It is experiencebased explicitness. sitionen, starken Schwarz-Weiß-Kontrasten oder Reduktionen zur völligen Abstraktion und umfassen vom ungegenständlichen Fotogramm bis zur psychologisch vertieften Reportage alle Facetten (vgl. Boris von Brauchitsch: Kleine Geschichte der Fotografie. Stuttgart 2002. S. 196–208). 4 Street Photography entwickelte sich bereits im 19. Jahrhundert aus einem nicht kommerziell orientierten persönlichen Interesse des Fotografen heraus und folgte Charles Baudelaires Aufruf, sich dem Zeitgenössischen und Gegenwärtigen zuzuwenden. Besonders im Amerika der 1960er und 70er Jahre entwickelte und etablierte sich diese Stilform. Die Fotografen zogen durch die Straßen und waren überall dort anzutreffen, wo etwas los war. Die Bildsprache ist persönlich, informell und offen. Die Arbeiten einzelner Fotografen sind sehr vielseitig und unterschiedlich: William Klein bspw. setzt seine Kamera als Mittel ein, um zynisch das Leben auf den Straßen New Yorks und die Gewalt der Straßengangs einzufangen, Robert Frank arbeitet »spontan und scheinbar planlos«, lässt sich stark von seinem Instinkt leiten und bringt seinen Pessimismus und seine Ambivalenz gegenüber seinen Motiven in seiner Serie The Americans zum Ausdruck, Lisette Model prägte eine harte und grobkörnige Ästhetik mit ihren Bildern, Garry Winogrands Arbeiten »enthalten ein Moment von Aggressivität« und Lee Friedlanders Stil ist weniger hektisch als vielmehr »lakonisch, direkt und nahezu unbeteiligt« (vgl. Colin Westerbeck: In der Stadt und auf dem Lande. Die Nachkriegszeit in den Vereinigten Staaten. In: Neue Geschichte der Fotografie. Hg. v. Michel Frizot. Köln 1998. S. 640–659). 5 AS MAX DESSOIR ONCE WROTE, A DIARY TRACES, ON A DAILY BASIS, THE “LINE OF ONE’S OWN LIFE”. THE IMMEDIATE IMPRESSION OF A SITUATION OR AN EXPERIENCE IS RECORDED AND PRESERVED IN MANY DIFFERENT WAYS, YET ALWAYS CLOSELY RELATED TO THE ACTUAL OCCURRENCE. HOWEVER, ANOTHER ESSENTIAL FEATURE OF A DIARY IS THE REGULARITY OF RECORDING; BEYOND THAT IT IS BASICALLY OPEN AND INCOMPLETE IN ITS TEMPORAL SITUATEDNESS.14 DO YOU INTEND TO CONTINUE WITH THIS WORK OR DO YOU CONSIDER THE PHOTO SERIES TO BE COMPLETED? There is no end in sight, as long as I go through life with my eyes wide open. That is what’s so great about this work. 1 In 2008 Samantha Dietmar received the BFF Promotion Award of the German Association of Freelance Photographers (Bund Freischaffender Foto-Designer; BFF) for her final year project ÜBER VIELES. UND NICHTS. The annual BFF Promotion Award recognises the best final year projects in photography and is one of the most prestigious and highly remunerative awards for college graduates. Since 1988, when the award was created, 2000 students from 118 colleges in 21 countries have participated in the prize competition. Under the auspices of the BFF, additional funding for the award is provided by the Kodak Cultural Program, Stern Magazine, NEON, Gruner + Jahr, photokina, the Ministry of Economics of the State of Baden-Württemberg and the Reinhart Wolf Foundation. 2 Samantha Dietmar during her final year project. 3 Otto Steinert: Zur Idee dieses Buches, in: Subjektive Fotografie. Ein Bildband moderner europäischer Fotografie, exh.cat. Schule für Kunst und Handwerk in Saarbrücken, Bonn, 1952, p. 6. Subjective Photography emerged as a trend in Germany in the 1950s, placing itself in the tradition of 1920s and 1930s New Objectivity (Neue Sachlichkeit). In publications and exhibitions, Otto Steinert, who coined the name for this photographic style, posited the primacy of subjective perception in photography. With his precepts he formulated the principles of conceptual photography, demonstrating the existence of a individual perspective in photography, which, in turn, implied an exemption from ostensible meaning and a repositioning as subjective recording. Both formally and thematically, the Samantha Dietmar in ihrer Diplomarbeit. 6 style produced an extremely diverse body of photographic work, ranging from rigidly composed images to intense black-and-white contrasts and images reduced to pure abstractions and encompassing everything from non-representational photograms to psychologically inflected photo reportages (cf. Boris von Brauchitsch: Kleine Geschichte der Fotografie. Stuttgart 2002, p. 196–208). 4 Street photography dates back to the nineteenth century, developing from the personal, non-commercial interests of photographers who were responding to Charles Baudelaire’s call for a turn to the contemporaneous and present. The style emerged and took hold particularly in 1960s and 1970s America: photographers wandered the streets, going wherever things were happening. The pictorial language is personal, informal and candid. The works of individual photographers are highly varied and diverse: William Klein, for instance, uses his camera as a means to cynically capture life on the streets of New York and the violence of street gangs; Robert Frank works “spontaneously in a seemingly haphazard manner”, mostly letting his instinct guide him and expressing his pessimism and ambivalence towards his subjects in his series The Americans; Lisette Model’s photographs establish a grim and grainy visual aesthetics; Garry Winogrand’s works “contain an element of aggression”; and Lee Friedlander’s style is not so much frantic as it is “laconic, straightforward and almost disinterested” (cf. Colin Westerbeck: On the Road and in the Street. The Post-War Period in the United States, in: A New History of Photography, ed. by Michel Frizot. New York and Cologne 1998, pp. 640–59). 5 Samantha Dietmar during her final year project. Gerhard Schweppenhäuser, Professor für Design-, Kommunikations- und Medientheorie an der FH Würzburg und Privatdozent für Philosophie an der Universität Kassel, in seinem Empfehlungsschreiben für Samantha Dietmar. 6 Gerhard Schweppenhäuser, professor of design, communication and media theory at Würzburg University and adjunct professor of philosophy at the University of Kassel, writing in his letter of recommendation about Samantha Dietmar. 7 7 The photographic agency Magnum Photos was founded in 1947 by Henri Cartier Bresson, Robert Capa, George Rodger and David (Chim) Seymour. What distinguished this cooperative of independent photographers was that they had full control over their photographs, without being subjected to editorial constraints, and retained the copyright, which was considered a novelty at the time. Shaped by the impressions of World War II, the individual photographers focused on the documentary potential of photography and its humane function. The agency itself was characterised by the above-average skills of its photographers and the variety of different works and working methods of each of its members. Edward Steichen at one point described the agency’s photographers as “leading photographers whose accounts of the human side of world events of a specific period become timelessly valid, visual documents of history the next day” (quoted in Walter Koschatzky: Die Kunst der Fotografie. Technik, Geschichte, Meisterwerke. Munich 1987, p. 208; cf. Fred Ritchin: What is Magnum? in: In Our Time. The World as Seen by Magnum Photographers, ed. by William Manchester. New York 1989, pp. 417–45). 8 Samantha Dietmar in ihrer Diplomarbeit. 9 Die Agentur Magnum Photos wurde 1947 von Henri Cartier-Bresson, Robert Capa, George Rodger und David (Chim) Seymour gegründet. Die Kooperative unabhängig arbeitender Fotografen definierte sich darüber, dass sie über ihre Bilder frei bestimmte, keiner Auflage einer Redaktion unterlag und die Rechte an ihren Fotografien behielt, was zu diesem Zeitpunkt als Novum galt. Unter dem Eindruck des Zweiten Weltkrieges fokussierten die einzelnen Fotografen das dokumentarische Potenzial und die humane Funktion der Fotografie. Die Agentur selbst charakterisiert sich durch die überdurchschnittliche Qualifikation der Fotografen und die individuellen Unterschiede zwischen den Arbeiten und Arbeitsweisen ihrer einzelnen Mitglieder. Edward Steichen bezeichnete die Fotografen der Agentur einmal als »führende Fotografen, deren Berichte über die menschliche Seite zeitgebundener Weltereignisse morgen schon zu zeitlos gültigen, visuellen Dokumenten der Geschichte werden« (zit. nach Walter Koschatzky: Die Kunst der Fotografie. Technik, Geschichte, Meisterwerke. München 1987. S. 208; vgl. auch Fred Ritchin: Was ist Magnum? In: Zeitblende. Fünf Jahrzehnte MAGNUM-Photographie. Hg. v. William Manchester. München 1989. S. 417–445). Straight Photography meint eine »direkte und unverfälschte« oder »reine« Fotografie. Entgegen des Piktorialismus, einer bildhaften und weichen Kunstfotografie, welche sich stark an der Malerei orientierte, wandten sich einige Fotografen um 1900 hin zu einer rein bildhaften Anwendung, die der Fotografie eine Unabhängigkeit von Kunstrichtungen und Stildiktaten einräumte. Mediumsspezifische Qualitäten der Fotografie rückten in den Vordergrund, ein nüchternes Erfassen und eine Hinwendung zur sozialen Wirklichkeit und sozialen Problemen prägten den zeitkritischen Ansatz und den Verismus der Straight Photography. Wichtige Vertreter dieses Ansatzes waren Paul Strand, Philipp Kester, Heinrich Zille, Jacob A. Riis, Dorothea Lange und Walker Evans (vgl. Koschatzky 1987 (siehe Anm. 7), S. 151–158). In engem Zusammenhang mit der Straight Photography steht der Begriff des »human interest«: Aus dem Erleben des Zweiten Weltkrieges heraus waren viele Fotografen bestrebt, mit ihren Arbeiten eine wahrhaft humane Welt zu schaffen und so entwickelte sich in den 50er Jahren eine Form der Fotografie, »die auf poetische und mitfühlende Weise menschliches Leid dokumentierte«. Ihren Höhepunkt fanden diese Bestrebungen in der Ausstellung Family of Man, welche 1955 im Museum of Modern Art in New York stattfand, kuratiert von Edward Steichen, u. a. mit Arbeiten von Henri Cartier-Bresson, André Kertész, Paul Strand, Eugene Smith, Willy Ronis und Robert Doisneau. Die Arbeit des engagierten Fotografen ging mit einer optimistischen – und auch idealistisch und utopisch überhöhten – Einstellung über eine reine Sozialdokumentation hinaus. Nach dem Besuch der Ausstellung sollte der Betrachter nicht mehr an die Fotografie, sondern an die Menschen denken, im Sinne einer sich selbst humanisierenden Welt (vgl. Jean-Claude Gautrand: Der Blick des Anderen. Humanismus und Neorealismus. In: Neue Geschichte der Fotografie. Hg. v. Michel Frizot. Köln 1998. S. 612–632). 8 Samantha Dietmar during her final year project. 9 Straight Photography stands for “straightforward and undistorted” or “pure” photography. As opposed to Pictorialism, a soft pictorial style of art photography, which drew heavily on painting, a number of photographers around 1900 turned to a purely image-based use, making photography independent of art movements and stylistic dictates. An emphasis on qualities specific to the medium of photography, as well as matter-of-fact recording, and an interest in social reality and social problems shaped the documentary approach and verismo of Straight Photography. Prominent exponents of this approach were Paul Strand, Philipp Kester, Heinrich Zille and Jacob A. Riis, as well as Dorothea Lange and Walker Evans (cf. Koschatzky: Die Kunst der Fotografie, op. cit., p. 151–158). Closely associated with Straight Photography is the term “human interest”: based on their experience of World War II, many photographers aimed to contribute, with their works, to a truly humane world, prompting the emergence, in the 1950s, of a style of photography, “which documented human suffering in a poetic and sympathetic manner”. These aspirations culminated in the 1955 exhibition Family of Man at the Museum of Modern Art in New York, which was curated by Edward Steichen and included work by, among others, Henri Cartier-Bresson, André Kertész, Paul Strand, Eugene Smith, Willy Ronis and Robert Doisneau. Adopting an optimistic – if not idealistic and utopian – stance, the work of the socially engaged photographer transcended mere documentation of social reality. A visit to the exhibition was eventually intended to take the viewer’s reflections from photography to the actual people, in terms of a self-humanising world (cf. Jean-Claude Gautrand: Looking at Others. Humanism and Neorealism, in: A New History of Photography, op. cit., pp. 612–32.). 10 20. Internationaler BFF-Förderpreis und Reinhart-Wolf-Preis 2008. Hg. v. BFF Bund Freischaffender Foto-Designer e. V. Ausst.-Kat. visual gallery at photokina Köln, Gruner + Jahr Pressehaus Hamburg, Haus der Wirtschaft Baden-Württemberg Stuttgart. Stuttgart 2008. S. 54. 10 20. Internationaler BFF-Förderpreis und Reinhart-Wolf-Preis 2008, exh.cat. visual gallery at photokina Köln, Gruner + Jahr Pressehaus Hamburg, Haus der Wirtschaft Baden-Württemberg Stuttgart, ed. by the BFF (Bund Freischaffender Foto-Designer) e.V. Stuttgart 2008, p. 54. 11 Samantha Dietmar in ihrer Diplomarbeit. 11 Samantha Dietmar during her final year project. 12 Peter Boerner: Tagebuch (Sammlung Metzger, Abt. E). Stuttgart 1969. S. 5–20. 12 Peter Boerner: Tagebuch (Sammlung Metzger, Abt. E). Stuttgart 1969, pp. 5–20. 13 Manfred Schmalriede: Laudatio. In: 20. Internationaler BFF-Förderpreis und Reinhart Wolf-Preis 2008 (siehe Anm. 10), S. 20–36. 13 Manfred 14 14 Boerner 1969 (siehe Anm. 12), S. 11–14. Schmalriede: Laudatio, in: 20. Internationaler BFF-Förderpreis und Reinhart-Wolf-Preis 2008, op. cit., p. 20–36. Boerner, op. cit., 1969, p. 11–14. 42 29 44 biographien biographies SAMANTHA DIETMAR Samantha Dietmar (geb. 1978 in München), studierte bis März 2008 Kommunikationsdesign an der FHWS in Würzburg. Nach einem inspirierenden Design-Praktikum 2004 bei Intégral Ruedi Baur & Associés in Paris fand sie unter Prof. Dieter Leistner ihren Schwerpunkt in der analogen Schwarz-Weiß-Fotografie. Als langjähriger Mentor begleitete sie der Philosophie-Professor Gerhard Schweppenhäuser. Das anschließende Lehrjahr 2005/06 in der renommierten Fotografenagentur Magnum Photos in Paris und New York brachte ihr den klassischen Fotojournalismus näher. Seither versucht sie, mit geschärftem fotografischen Blick und einer sehr persönlichen (An-)Sicht, die Fotografie zu leben. Ihre Diplomarbeit, das Fotobuch ÜBER VIELES. UND NICHTS., wurde 2008 mit dem 20. BFF-Förderpreis ausgezeichnet. Samantha Dietmar lebt und arbeitet freischaffend in Berlin. SAMANTHA DIETMAR Samantha Dietmar (b. in Munich in 1978) studied communication design at the University of Applied Sciences in Würzburg-Schweinfurt, graduating in March 2008. Following a design internship in 2004 at Intégral Ruedi Baur & Associés in Paris, her focus shifted to analogue black-and-white photography, which she studied under Professor Dieter Leistner. For a number of years, Professor Gerhard Schweppenhäuser has been her mentor. While she was working for the renowned photographic agency Magnum Photos in Paris and New York in 2005/2006, she became very interested in classic photojournalism. Since then, she has been using her well-trained eye and highly original perspective to pursue this career. For her final year project, the photo book ÜBER VIELES. UND NICHTS. (On Many Things. And Nothing.), she was awarded the 20th BFF Promotion Award by the Bund Freischaffender Fotodesigner (German Association of Freelance Photographers) in 2008. Samantha Dietmar lives and works as a freelance photographer in Berlin. SABINE SCHMID Sabine Schmid (geb. 1982), Kuratorin der Ausstellung Samantha Dietmar. ÜBER VIELES. UND NICHTS., studierte Kunstgeschichte, Germanistik und Theaterwissenschaft an der Ludwig-MaximiliansUniversität München und an der Sorbonne, Paris. Seit 2005 leitet sie Ausstellungsprojekte im Museum Villa Stuck, darunter Haare. Fotografien von Herlinde Koelbl (2008) und Tiffany in neuem Licht. Clara Driscoll und die Tiffany Girls (2009). Seit 2007 arbeitet sie an ihrer Promotion zur Fotografie in der DDR. SABINE SCHMID Sabine Schmid (b. 1982), curator of the exhibition Samantha Dietmar. ÜBER VIELES. UND NICHTS. (On Many Things. And Nothing.), studied art history, German philology and dramatics at Ludwig Maximilian University in Munich and at the Sorbonne in Paris. Since 2005 she has been involved in managing exhibition projects such as Haare. Fotografien von Herlinde Koelbl (Hair. Photographs of Herlinde Koelb, 2008) and Tiffany in Neuem Licht. Clara Driscoll und die Tiffany Girls (A New Light on Tiffany. Clara Driscoll and the Tiffany Girls, 2009) at the Museum Villa Stuck. She is currently working on her doctoral thesis on photography in the GDR. AUSSTELLUNGEN (Auswahl) 2009 ÜBER VIELES. UND NICHTS., ORi Bar/Galerie/Projektraum, Berlin (Einzelausstellung) ÜBER VIELES. UND NICHTS., Haus der Wirtschaft Baden-Württemberg, Stuttgart 2008 Auszeichnung mit dem 20. BFF-Förderpreis 2008 für ihre Foto-Abschlussarbeit ÜBER VIELES. UND NICHTS. Preisverleihung und Eröffnung visual gallery at photokina, Köln ÜBER VIELES. UND NICHTS., Gruner + Jahr Pressehaus, Hamburg FOTOGRAFISCH, Hugendubel, Würzburg 2006 academie meets photokina, Köln 2005 Fotoausstellung ARCHITEKTUR, Messe Frankfurt/Main 2004 Kunstausstellung espace 14, Paris academie meets photokina, Köln SELECTED EXHIBITIONS 2009 ÜBER VIELES. UND NICHTS., ORi Bar/Galerie/Projektraum, Berlin (Solo exhibition) ÜBER VIELES. UND NICHTS., Haus der Wirtschaft Baden-Württemberg, Stuttgart 2008 20th BFF Promotion Award 2008 for ÜBER VIELES. UND NICHTS. Award ceremony and opening of visual gallery at photokina, Cologne ÜBER VIELES. UND NICHTS., Gruner + Jahr Pressehaus, Hamburg FOTOGRAFISCH, Hugendubel, Würzburg 2006 academie meets photokina, Cologne 2005 ARCHITEKTUR photography exhibition, Messe Frankfurt/Main 2004 espace 14 art exhibition, Paris academie meets photokina, Cologne 30 46 ABBILDUNGSLISTE LIST OF ILLUSTRATIONS 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30 31 32 Chile. Santiago 2007. Wandkunst Berlin 2007. Friedrichshain. Zeitungen Mexiko. Tlaxcala 2006. Pferd an Auto Berlin 2005. Friedrichshain. Küchenfenster Mexiko. Chiapas 2006. Huixtla Zapatistische Gemeinde Kühlungsborn 2007. Umfeld G8-Gipfel Frankreich. Paris 2004. Treppenhaus Mexiko. Tlaxcala 2005. Restaurant Berlin 2007. Mitte. Wandgedanken Berlin 2007. Mitte. Alexanderplatz Pfütze Mexiko. Quintana Roo 2006. Tänzer Festival Namibia 2004. Etosha National Park Mexiko. Chiapas 2006. Oventic Zapatistische Gemeinde Rügen 2006. Prora. Strand Wandgedanken Frankreich. Paris 2004. Belleville Wandgedanken Mexiko. Campeche 2006. Am Meer USA. NY City 2005. Manhattan Halloween USA. NY City 2005. Nähe Times Square USA. NY City 2007. Bahnsteig USA. NY City 2005. Abstrakter Straßenverkehr Frankreich. Paris 2006. Metro Ausgang Italien. Umbrien 2007. Tankstellenshop USA. NY City 2005. Halloween Rügen 2006. Puttbus. Leerstehende Kaufhalle Würzburg 2006. Frauenland. Herd Argentinien. Patagonien 2007. Unterwegs Berlin 2005. Friedrichshain. Aschenbecher Mexiko 2006. La Otra Campaña. Kundgebung Würzburg 2007. Grombühl. Frost Argentinien. Buenos Aires 2007. Blick Hof Mexiko 2005. Unterwegs USA. NY City 2005. Leuchtreklame Chile. Santiago 2007. Wall Art Berlin 2007. Friedrichshain. Newspapers Mexico. Tlaxcala 2006. Horse Tied to a Car Berlin 2005. Friedrichshain. Kitchen Window Mexico. Chiapas 2006. Huixtla Zapatista Village Kühlungsborn 2007. Setting of G8 Summit Meeting France. Paris 2004. Stairwell Mexico. Tlaxcala 2005. Restaurant Berlin 2007. Mitte. Wall Thoughts Berlin 2007. Mitte. Alexanderplatz Puddle Mexico. Quintana Roo 2006. Dance Festival Namibia 2004. Etosha National Park Mexico. Chiapas 2006. Oventic Zapatista Village Rügen 2006. Prora. Beach Wall Thoughts France. Paris 2004. Belleville Wall Thoughts Mexico. Campeche 2006. At the Seaside USA. NY City 2005. Manhattan Halloween USA. NY City 2005. Near Times Square USA. NY City 2007. Railway Platform USA. NY City 2005. Abstract Street Traffic France. Paris 2006. Metro Exit Italy. Umbria 2007. Petrol Station Shop USA. NY City 2005. Halloween Rügen 2006. Puttbus. Vacant Supermarket Würzburg 2006. Frauenland. Stove Argentina. Patagonia 2007. On the Road Berlin 2005. Friedrichshain. Ashtray Mexico 2006. La Otra Campaña. Rally Würzburg 2007. Grombühl. Frost Argentina. Buenos Aires 2007. Courtyard View Mexico 2005. On the Road USA. NY City 2005. Neon Sign 31 impressum Imprint Diese Publikation erscheint anlässlich der Ausstellung | This book was published in conjunction with the exhibition SAMANTHA DIETMAR. ÜBER VIELES. UND NICHTS. | ON MANY THINGS. AND NOTHING. Eine Ausstellung des Museums Villa Stuck in der Reihe RICOCHET | An exhibition organised by the Museum Villa Stuck as part of the exhibition series RICOCHET 22. April – 27. Juni 2010 | 22 April – 27 June 2010 Museum Villa Stuck www.villastuck.de Ausstellung | Exhibition Kuratorin | Curator Sabine Schmid Restauratorische Betreuung | Conservation Susanne Eid Ausstellungstechnik | Preparation Robert Matthews, Michael Dietmann, Tommy Jackson, Mark Späth, Friederike Warneke Medienpartner | Media partners Museum Villa Stuck Direktor | Director Michael Buhrs Zentrale Aufgaben/Planung | Executive Affairs Roland Wenninger Ausstellungen/Publikationen | Exhibitions/Publications Verena Hein Ausstellungen/Vermittlung | Exhibitions/ART EDUCATION Anne Marr FRÄNZCHEN. Kinder- und Jugendprogramm | Art education Kitty von Korff, Johanna Berüter Ausstellungskoordination | Exhibition Coordinators Sabine Schmid, Nadja Henle Ausstellungstechnik | Chief Preparator Robert Matthews Sammlungen Franz von Stuck/Jugendstil | Curator of Franz von Stuck/Jugendstil Collections Margot Th. Brandlhuber Presse- und Öffentlichkeitsarbeit | Press and Public Relations Birgit Harlander, Bernhard Schneider Verwaltungsleiter | Administration Officer Bernhard Stöcker Die Ausstellung wurde groSSzügig unterstützt von | The exhibition was kindly supported by: Friedrich Trautwein Werstätte für Kaschierungen und Rahmungen Katalog | Catalogue Sachbearbeiter Buchhaltung | Accounting Nico Nöllner Verwaltungsmitarbeit | Administrative Assistant Lisa Elixmann Technischer Dienst | Facility Management Wolfgang Leipold Leitung Aufsichtsdienst | Head of Security Stefan Perkovic, Erwin Richter Herausgeber | Published by Museum Villa Stuck Projektleitung | Managing Editor Verena Hein Lektorat deutsch | German copy-editing Stefanie Adam Museum Villa Stuck Prinzregentenstraße 60 81675 München | Munich www.villastuck.de Lektorat englisch | English copy-editing Sarah Trenker Übersetzungen | Translation Bram Opstelten Ein Museum der Stadt München Gestaltung | Design normal industries Lithografie | Reproduction Gesamtherstellung | Printed and published by Kerber Verlag, Bielefeld Windelsbleicher Str. 166-170 33659 Bielefeld Germany Tel. +49 (0) 5 21/9 50 08-10 Fax +49 (0) 5 21/9 50 08-88 [email protected] www.kerberverlag.com Kerber, US Distribution D.A.P., Distributed Art Publishers Inc. 155 Sixth Avenue 2nd Floor New York, N. Y. 10013 Tel. +1 212 6 27-19 99 Fax +1 212 6 27-94 84 Alle Rechte vorbehalten | All rights reserved © 2010 Museum Villa Stuck; die Künstlerin | the artist; die Autoren | the authors © 2010 Kerber Verlag Bielefeld/Leipzig/Berlin ISBN 978-3-86678-402-4 Printed in Germany Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. | The Deutsche Nationalbibliothek holds a record of this publication in the Deutsche Nationalbibliografie; detailed bibliographical data can be found under: http://dnb.d-nb.de.