Die Apologie des Sokrates v. Uwe Schürmann 13.12.04

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Die Apologie des Sokrates v. Uwe Schürmann 13.12.04
Proseminar: Philosophische Grundlagen von Bildung und Erziehung
Platon: Apologie
Protokoll zur Sitzung vom 13.12.04 von Uwe Schürmann
Thema der Sitzung: I. Über das gute Leben
II. Zum Abschnitt 28d bis 30c
I. Über das gute Leben
Sokrates gibt in Platons Dialog Kriton auf die Frage, ob das Leben, gemeint ist hier das physische Überleben, der
Güter höchstes ist, in sofern eine Antwort, die ihn dann dazu bewog den Tod durch den Schierlingsbecher der
Flucht vorzuziehen, als dass er Kriton, der Sokrates im Gefängnis in aller Frühe aufsuchte um ihn für einen
Fluchtversuch zu gewinnen, daran erinnert, dass man auf keinen Fall erlittenes Unrecht, gemeint ist hier Sokrates
Verurteilung zum Tode, mit Unrecht vergelten dürfe1 und somit, sofern eine Flucht nicht rechtens wäre, diese
auch nicht antreten dürfe. Sokrates zog nach einer gründlichen Prüfung, deren Schluss, eine Flucht sei unrecht,
lautete, den Tod der Flucht, die bloß ein physisches Überleben bedeutet hätte, vor. Für Sokrates ist also das
physische Überleben nicht das höchste, vielmehr müsse man gut leben (euÅ zhÍn). Ein gutes Leben darf hierbei
nicht mit einem Leben in Wohlstand oder einem Leben, voll von sinnlichen Genüssen, verwechselt werden; es
ist ein Leben, das sich nach den Tugenden2 richtet auch in Angesicht der Tatsache dafür in letzter Konsequenz
in den Tod gehen zu müssen.
Die Griechen kannten zwei Wörter, die wir mit Leben übersetzen, die allerdings in ihrer inhaltlichen Bedeutung
verschieden sind. So bezeichnet das griechische Wort zwh/ (zoé) das Leben an sich. Dieses Leben haben die
Menschen mit den Tieren gemein. Es ist das bloße physische Leben. Hingegen wird mit dem Wort bi/oj (bíos)
ein erzähltes, gelebtes und, wenn man so will, ein kultiviertes Leben beschrieben. An dieser Stelle darf
angemerkt werden, dass vor diesem Hintergrund die Biologie wohl eher mit Zoologie hätte bezeichnet werden
müssen, denn es ist ja so, dass ein kultiviertes Leben allein dem Menschen vorbehalten bleibt.
Die Haltung, dass es im Leben Dinge gibt, die zu erdulden schlimmer sei als der Tod, war nicht unverbreitet in
der Antike. So galt zum Beispiel das Leben in der Sklaverei als größeres Übel gegenüber dem des Todes. Sklave
zu sein hieß für den Griechen sein Leben außerhalb der polis zu fristen; das Leben beschränkte sich gänzlich auf
den oikos. Der Sklave war nicht nur dadurch an Konditionen, die das physische Überleben mit sich bringen,
gebunden, indem er für sein eigenes Überleben durch Arbeit sorgen mu sste, sondern er musste zu dem auch noch
die materiellen Bedürfnisse seines Herrn befriedigen. Er galt daher als doppelt unfrei. Frei war der Mensch
nämlich nur als Mitglied der polis, in der sich alle als gleiche gegenübertraten. Im oikos hingegen war er, selbst
wenn er der Despot war, unfrei, da sein Streben hier der Befriedigung seiner materiellen Bedürfnisse galt; er
musste hier sein Überleben sichern. In diesem Ort unterschied er sich also nicht wesentlich von den Tieren,
deren Tun ebenfalls einzig darauf gerichtet ist am Leben zu bleiben. Sklave zu sein kam somit einer
Entmenschlichung gleich. Wenn also davon ausgegangen wird, nur ein gutes Leben sei lebenswert, so kann
vielleicht verstanden werden, warum Platon schrieb, die Sklaven seien zurecht Sklaven, da sie sich ja nicht
umbrächten.3 In einem solchen digitalen System des Denkens, wie wir es an dieser Stelle bei Platon finden, ist
der zurecht dem Tiere gleichgesetzt, der dieses Leben in Unfreiheit erduldet ohne sich an das gute Leben zu
richten.
Es bleibt zu erwähnen, dass die Möglichkeit gut zu sein in der Antike nicht nur dadurch bestimmt war, ob man
Bürger oder Sklave war, sondern auch dadurch, ob man äußerlich als schön galt oder nicht. Es herrschte eine
Adelsethik (Kalokagathia) nach der nur der gut sein kann, der auch schön ist, genau gesagt, der wohl geboren
wurde. Auskunft über diese Adelsethik erhalte wir auch unter anderem bei Homer, der in der Ilias über einen
Zwerg schrieb4 , der zwar die Wahrheit sprach, dem jedoch niemand Glauben schenkte bloß aus der Tatsache
heraus, dass seine Stimme und sein Äußeres den anderen missfiel. Dass dieser Schluss von der Äußerlichkeit auf
1
Vergleiche Platon, „Kriton“ 49 b-c
Die Gerechtigkeit (dikaiosýne) ist einer der vier Kardinaltugenden (lat. cardinalis: die Türangel betreffend, im
Angelpunkt stehen) bei Platon. Sie ist den anderen drei Tugenden (Weisheit, Tapferkeit und Mäßigung)
übergeordnet und herscht, wenn alle Seelenteile die ihnen zukommende Aufgabe und Tätigkeit erfüllen. Wenn
also Sokrates flieht und dadurch ein Unrecht begeht, würde er wider die Tugend handeln und somit kein gutes
Leben führen.
3
Vergleiche Platon, „Nomoi“
4
Es ist nicht genau geklärt, ob die Ilias tatsächlich nur von einem Autor, der mit Namen Homer hieß, verfasst
wurde
2
das Innere nicht zutrifft, wird wohl am besten am Beispiel Sokrates, da er auch als hässlich galt, deutlich. Vor
dem Hintergrund, dass sein Lehrer als hässlich galt, jedoch, wenn überhaupt jemand ein gutes Leben führte, es
Sokrates war, der es getan hat, wandte sich Platon gegen die Kalokagathia.
II.
zum Abschnitt 28d bis 30c
Sokrates erinnert zunächst die Richter daran, dass er im Peleponesischen Krieg tapfer gekämpft hatte. Er wurde
damals von Vorgesetzten im Krieg aufgestellt. Nun sagt er weiter, er sei von Gott aufgestellt worden um als
Philosoph zu leben. Wie vortrefflich Sokrates die beiden Gegebenheiten in Verbindung zu bringen weiß, wird
durch seine Wortwahl deutlich. Im griechischen Originaltext verwendet Sokrates an beiden Stellen das Wort
Taxis, von dem das uns bekannte Wort Taktik herzuleiten ist, welches im eigentlichen Sinne eine Aufstellung im
Krieg, genau gesagt eine Schlachtreihe, meint. Er will so deutlich machen, dass er in jedem Fall seinen
Verpflichtungen nachgeht, das heißt, so wie er schon im Krieg, in dem er aufgestellt wurde, seiner Pflicht
nachging, indem er tapfer kämpfte, so wird er auch nicht dem Gott zuwider handeln, indem er der Philosophie
abschwört, denn ansonsten würde er tatsächlich Unrecht tun und gehörte zurecht vor Gericht gestellt.
Auch an anderen Stellen in Platons Schriften erfahren wir, dass Sokrates im Kriege tapfer gekämpft habe.5 Eine
besondere Bedeutung kommt dem Wort Tapferkeit von daher zu, da die Tapferkeit (andreia) eine der vier
Kardinaltugenden bei Platon ist. In Platons Dreiteilung der Seele nach Vernunft, Mut und Begierde ist die
Tugend des Mutes die Tapferkeit. Was aber genau ist unter Tapferkeit zu verstehen? Wenn wir uns dies am
Beispiel der Tapferkeit im Kriege deutlich machen wollen, so ist wird unter Tapferkeit nicht ein Losschlagen
verstanden, was gar von Übermut herrühre, sondern vielmehr die Kraft (dynamis) eine Situation auch dann noch
überschauen zu können, wenn sie ganz schrecklich ist. Der Tapfere wird also auch unter den widrigsten
Umständen stets der Vernunft gehorchen.
Sokrates sagt weiter, er fürchte sich nicht vor dem Tod und wenn er es täte, so würde er sich für weiser halten,
als er es ist. Dass derjenige, der sich vor dem Tod fürchtet, vorgibt weiser zu sein, als er in Wirklichkeit ist,
erklärt Sokrates folgendermaßen: Kein Mensch weiß, was ihm nach dem Tod erwartet. Es könnte ja sogar so
sein, dass „der Tod für den Menschen die größte aller Wohltaten ist“6 . Furcht vor dem Tod hat man aber nur
dann, wenn man davon ausgeht, es erwartet einem ein großes Übel. Der, der sich vor dem Tod fürchtet, hat also
ein Scheinwissen, er vertritt bloß eine Meinung (do/ca). Er gibt vor etwas zu wissen, was er nicht weiß, so wie
es , folgt man Sokrates Argumentation, auch schon die Politiker, Dichter und Handwerker tun.
Wie begegnet man diesem recht kühl und abgeklärt wirkenden Argument? Es fürchten sich doch sehr viel
Menschen vor dem Tod, obwohl sie nicht wissen, was sie nach dem Tod erwartet. Woran liegt das? Ist es dieses
Unbekannte, das nicht wissen, was einen erwartet, wovor man sich fürchtet? Oder sind es etwa bloß Instinkte,
die wir mit den Tieren gemein haben, die uns den Tod fürchten lassen? Nun, letztere Überlegung führt uns nicht
weiter, da wir zwar Instinkte mit den Tieren gemein haben, nicht aber die Fähigkeit über den Tod nachdenken zu
können. Um auf die erste Überlegung zurückzukommen, das Unbekannte wird von uns komischer Weise mit
etwas Negativen verbunden. Wir können jedoch durchaus an etwas Fremden interessiert sein, was sich in
unserem irdischen Leben vollzieht, jedoch ist bei diesem Fremden immer ein Teil davon für uns bekannt im
Gegensatz zum Tod, der für uns das radikal Fremde darstellt. Dies können wir uns am Beispiel einer Reise in ein
fremdes Land verdeutlichen. Zwar kennen wir das Land und seine Menschen nicht, es gibt aber Menschen, die
schon dort hingereist sind und davon berichten können. So entzieht sich die Reise dorthin nicht gänzlich unserer
Kontrolle, da wir geeignete Vorbereitungen treffen können. Mit der Fremdheit, mit der uns der Tod begegnet,
verhält es sich jedoch anders. Es gibt niemanden, der uns vom Tod berichten kann. Der Tod entzieht sich daher
gänzlich unserer Kontrolle. Vermutlich ist es das, was uns am Tod ängstigt.
Sokrates sagt weiter, er wisse, dass es schlecht und schändlich sei Unrecht zu tun und einem Besseren nicht zu
gehorchen.7 Wie aber passt diese Aussage mit Sokrates vorheriger Aussage, sein Wissen bestünde darin, dass er
nicht vorgibt etwas zu wissen8 , zusammen? Nun, es verhält sich so, dass Sokrates davon ausgeht, dass allen der
Zustand der Seele am wichtigsten ist, jene sich jedoch lieber um ihren Wohlstand und um Ihr Ansehen kümmern
als um ihr Seelenheil. Indem sie den Wohlstand und das Ansehen höher achten als den Zustand ihrer Seele,
unterliegen sie einer Täuschung. Diese Täuschung geht aber nicht soweit, dass sie gänzlich ist, sondern sie ist
nur partiell, das heißt jeder ist sich eigentlich dessen bewusst, dass das Seelenheil das wichtigste ist nicht durch
Wohlstand und Ansehen zu erreichen ist. Wenn Sokrates also sagt, er sei daher weiser als die anderen, da er
nicht vorgibt etwas zu wissen, so meint er damit nicht, er wisse gar nichts, sondern bloß, dass er nicht dieser
partiellen Täuschung unterliegt. Er verneint damit hingegen nicht das Wissen um die Dinge, die zu einem guten
Zustand der Seele führen, das ihm und den anderen gemein ist.9
5
Vergleiche Platon, „Symposion“, 219e
Platon, „Apologie des Sokrates“, 29a
7
vergleiche ebenda, 29b
8
vergleiche ebenda, 22b
9
vergleiche ebenda, 29d
6