Kritik an Aufgaben der Schulärzte
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Kritik an Aufgaben der Schulärzte
Die Presse FORUM BILDUNG 21 MONTAG, 20. FEBRUAR 2012 DIEPRESSE.COM Kritik an Aufgaben der Schulärzte Gesundheit. Die Ärztekammer und die Gesellschaft der Schulärzte wehren sich gegen ein zu enges Aufgabenfeld und mangelnde Zeit. Die derzeitige Regelung sei „unverständlich“. VON ROSA SCHMIDT-VIERTHALER [WIEN] Das etwas mulmige Gefühl, weil man sich vor einem Fremden ausziehen muss. Größe messen, Gewicht bestimmen, abhorchen. Fünf Fragen, und das war’s dann schon wieder. Das sind die Erinnerungen vieler Erwachsener an die Untersuchungen des Schularztes. Zwar haben sich Ausbildung und Sensibilität der Schulärzte in den vergangenen zwanzig Jahren wohl verbessert. Ihre Aufgaben und die Zeit, die ihnen dafür zur Verfügung steht, allerdings kaum. Zufrieden ist mit den derzeitigen Stippvisiten der Schulärzte eigentlich niemand. Die Elternvertreter nicht, die Ärztekammer nicht und schon gar nicht die Vereinigung der Schulärzte. Karl Forstner, Leiter der Ärztekammer Salzburg und bundesweit für die Belange der Schulärzte zuständig, beschreibt das Problem so: „Das derzeitige Aufgabenfeld ist zu eng. Die Chan- Auf einen Blick An Pflichtschulen ist lediglich eine jährliche Untersuchung der Kinder vorgeschrieben, an den höheren Schulen verbringen Schulärzte mehr Zeit. Dieses Ungleichgewicht und das enge Aufgabenfeld der Ärzte erzürnen Berufs- und Elternvertreter. Sie fordern mehr Arbeitszeit und klare Zuständigkeiten, um mehr als nur die „Unterrichtstauglichkeit“ der Kinder sichern zu können. ce, im präventiven Bereich tätig zu werden, wird nicht genutzt.“ Die festgesetzte Aufgabe der Schulärzte sei lediglich, die „Unterrichtstauglichkeit“ der Kinder zu sichern. Das sei unverständlich – und auch unökonomisch. Hauptschulen sind benachteiligt Die schulärztliche Arbeit liegt vorwiegend in der Hand von Frauen. An Pflichtschulen wird ihr Besuch einmal pro Jahr festgesetzt, damit herrscht ein krasses Ungleichgewicht zwischen Hauptschule und Gymnasium: An höheren Schulen verbringen die Schulärzte nämlich Zweisprachige Waldorfschule für das Burgenland Ab Herbst 2012 soll es eine österreichisch-ungarische Volksschule im Grenzgebiet geben. [WIEN/RED.] Das Burgenland wird im kommenden Schuljahr um eine Schule reicher: Im ungarischösterreichischen Grenzgebiet soll eine zweisprachige Waldorfvolksschule entstehen. Sowohl österreichische als auch ungarische Lehrkräfte sollen in der Schule beschäftigt werden. Auch die Schüler sollen von beiden Seite der Grenze kommen. Ob die Schule in das Regelschulwesen integriert werden kann, ist derzeit noch unklar. Sollte das nicht möglich sein, will man die Schule privat organisieren. Initiatorin des Projekts ist die Winzerin Angela Michalits, die auch ihr Weingut nach den Regeln Rudolf Steiners, des Gründers der Waldorfschulen, führt. Ihre Motivation ist die Zweisprachigkeit ihrer eigenen Kinder, und die „wichtige länderübergreifende Sprachenpflege“ im Grenzgebiet, so die Winzerin. Bildung als „Waffe gegen Vorurteile“ Neues Handbuch: Stadtschulrat fordert mehr Kompetenzen im Umgang mit Intoleranz. [WIEN/IB] „Man muss realistisch sein: Vorurteile gibt es einfach“, formuliert es Anton Pelinka, Leiter des Instituts für Konfliktforschung. In Schulklassen hätte ein großer Teil der Kinder und Jugendlichen eine andere Muttersprache als Deutsch, da würden oft Probleme entstehen – und der gegenseitige Respekt fehlen. „Es ist wichtig zu verhindern, dass sich diese Vorurteile verfestigen und zu Feindbildern werden.“ Scheinwissen sollte aufgelöst und durch Wissen ersetzt werden. Vor allem in der Schule hätten Lehrer die Chance, in einer wichtigen Zeit der Persönlichkeitsprägung Toleranz zu vermitteln. „Denn Bildung ist die wirksamste Waffe im Kampf gegen Vorurteile“, sagte auch Susanne Brandsteidl, Präsidentin des Stadtschulrats Wien. weit mehr Zeit. Pro sechzig Schüler arbeitet ein Arzt eine Stunde wöchentlich an der Schule. „Es ist eine Zumutung, dass junge Leute in den Bundesschulen weit mehr Zeit mit dem Arzt haben“, sagt Forstner. Für die Ärzte in den Pflichtschulen müssen die Gemeinden aufkommen, sie zahlen bei der Untersuchung pro Schüler zwölf Euro. An den höheren Schulen werden sie vom Unterrichtsministerium weit besser bezahlt. Auch Eltern kritisieren die Zuständigkeit der Schulärzte. Wobei diesen vor allem das Thema Impfung Kopfzerbrechen bereitet. Seit einem schweren Impfunfall vor wenigen Jahren würden sich die Schulärzte zurückziehen, sagt Elternvertreter Theodor Saverschel. In Niederösterreich gebe es sogar einen Schularzt, der eine Medikamentenallergie als Grund dafür angebe, dass er Kinder nicht impfen könne. „Im System ist nicht klar, wer wofür zuständig ist, deshalb werden die Kinder nun weniger geimpft“, so Saverschel. Dabei seien Masern und Röteln im Vormarsch. Die meisten Eltern würden nicht wissen, wann welche Impfung notwendig sei, und die meisten Schulen würden sie auch nicht darüber informieren. Deshalb wollen Elternvertreter nun auch eine Initiative gemeinsam mit dem Unterrichtsministerium starten. Eltern fordern mehr Mitsprache Ein weiterer Kritikpunkt Saverschels am System: „Das Auswahlverfahren, also die Frage, wer überhaupt Schularzt wird, ist ein Buch mit sieben Siegeln. Elternvertreter sollten ein Mitspracherecht haben.“ Dass ihre Kinder von ihnen fremden Ärzten untersucht werden, ist manchen Eltern ein Dorn im Auge. Im Gegensatz zu den offiziellen Elternvertretern, die die Aufgaben der Schulärzte stärken wollen, stellen bei Diskussionen in Online-Elternforen einige Mütter und Väter den Nutzen der Schulärzte grundsätzlich infrage. Mit der Begründung, dass sie für die Gesundheit ihres Kindes zuständig seien – und die Ärzte selbst auswählen würden, denen sie ihr Vertrauen schenken. So stehen die Schulärzte auch in einem Spannungsfeld zwischen Eltern und einem engen Aufgabenfeld, wenn sie ein Kind mit gesundheitlichen Problemen vor sich haben. „Wenn etwas nicht okay ist, und die Eltern das als kompromittierend empfinden, ist das schwierig“, sagt Judith Glazer, Vorstand der Gesellschaft der Schulärzte (GSÖ). Hier müsse man das Gespräch mit dem Schüler und den Eltern suchen. Glazer hat klare Forderungen zur Verbesserung der Situation: Die Schulärzte sollen am besten einmal pro Woche an die Schulen kommen. Sie sollen nicht nur Schülern helfen, sondern auch Lehrer beraten, wenn diese etwa den Missbrauch eines Schülers befürchten. Die zweite große Forderung ist eine zeitgemäße Dokumentation. Wenn etwa offenbar ist, dass der Großteil der Kinder an einer Schule an Übergewicht oder verkürzten Sehnen leidet, soll rasch auch im Unterricht etwas dagegen unternommen werden. „Das Erstellen von Statistiken ist sinnvoll. Das passiert derzeit einfach nicht“, sagt Glazer. Die Umsetzung dieser Forderungen ist jedoch teuer – und dürften damit derzeit wohl schlechte Chancen auf Realisierung haben. Auch wenn ein Verzicht auf präventive Medizin und die Konzentration auf die bloße „Unterrichtstauglichkeit“ der Kinder unökono[ Illustration: Marin Goleminov ] misch ist. Privatschule: Stadt lehnt Schenkung ab Legastheniker. Die Stadt Wien hat dem Wunsch nach einem Privatgymnasium auf dem Areal der Semmelweisklinik die nächste Abfuhr erteilt. [WIEN/CHS] Es ist die nächste Hiobs- botschaft für die – verhinderten – Gründer der ersten Privatschule für Legastheniker: Die Stadt Wien werde jenes leer stehende Gebäude auf dem Areal der Semmelweisklinik, in dem die Gründer ihre Schule betreiben wollen, definitiv nicht zur Verfügung stellen. Das wurde den Initiatoren – dem Privatmann Thomas Köhler und der serbisch-orthodoxen Kirche – Anfang Februar in einem Schreiben erklärt: Es sei der Eigentümerin „generell nicht möglich“, dem Wunsch auf Schenkung des Gebäudes „nachzukommen – dies auch mit dem Hintergrund eines entwickelten Nachfragermarktes für die Liegenschaft“, heißt es in dem Brief der Wiener Stadtentwicklungsgesellschaft. Die Vorgeschichte ist kompliziert – und wirft kein gutes Licht auf die Schulpolitik der Wiener Stadtregierung: Die Initiatoren kämpfen schon seit mehreren Jahren um den Standort, die ehemalige Krankenpflegeschule der Semmelweisklinik im 18. Wiener Ge- meindebezirk – „Die Presse“ berichtete exklusiv. Sie wollen dort ein Privatgymnasium errichten, dass sich besonders der Förderung von Legasthenikern widmet. Diese haben im österreichischen Schulalltag bis heute mit geringer Akzeptanz ihrer Lese- und Rechtschreibstörung zu kämpfen. Ob etwa der bestehende Legasthenie-Erlass des Ministeriums, der vorschreibt, bei Legasthenikern die Rechtschreibung „zurückhaltend zu gewichten“, auch umgesetzt wird, hängt jeweils vom konkreten Lehrer ab. Warten auf Gesamtkonzept Die Gründung der Privatschule, für die es rund 100 Anmeldungen gibt, und die den Betrieb im Herbst aufnehmen könnte, scheitert jedoch an der Stadt Wien. Obwohl das Gebäude vom Stadtschulrat als geeignet bezeichnet wird, sich der Bezirk für die Schule ausspricht und die serbisch-orthodoxe Kirche den (in diesen Fällen mit Bezug auf das Konkordat üblichen) Antrag auf Schenkung der Immobilie ord- nungsgemäß eingebracht hat, stieß man bei der Stadtregierung – vor allem bei der zuständigen Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) – auf taube Ohren. Der Grund: Die Semmelweisklinik soll angesichts der laufenden Neuordnung der Wiener Spitalslandschaft ins neue Krankenhaus Nord übersiedeln. Das Areal will die mit der Weiterverwertung betraute Stadtentwicklungsgesellschaft (WSE) nun freilich nicht verschenken – sondern lieber zur Refinanzierung des teuren Krankenhaus Nord nutzen. Die Wohnbaugesellschaft Gesiba könnte schon bald Wohnungen auf dem Areal errichten. Die WSE soll Bürgermeister Michael Häupl schon bald ein Gesamtkonzept vorlegen. Zumindest Wehsely, die einen Termin mit den Initiatoren bislang ablehnte, hat diesen Freitag eingelenkt: Eine Referentin soll sich bei einem Treffen mit Thomas Köhler und Kirchenvertretern erstmals im Detail mit deren Wünschen auseinandersetzen. Projekt privat finanziert Dazu wurde das neue Handbuch „Kompetenz im Umgang mit Vorurteilen“ für Lehrer an Wiener AHS-Unterstufen, Mittelschulen und Hauptschulen entwickelt: Es besteht aus theoretischen Ansätzen zur Problemlösung und konkreten Anregungen etwa in Form von Unterrichtsbeispielen. Integrieren könne man das Handbuch in jedes Fach, besonders eignen würde es sich aber für politische Bildung, den Sprach- oder Geschichtsunterricht. Lehrer und Direktoren können das Handbuch um 24 Euro kaufen. Finanziert wurde das Handbuch durch die Online-Plattform respekt.net, auf der 55 Privatpersonen 15.000 Euro spendeten. Vor einigen Jahren noch hätte das Unterrichtsministerium Projekte wie diese unterstützt, so Michaela Skrein von respekt.net. „Nun muss die Zivilgesellschaft einspringen.“ Sir Peter Ustinov Institut (Hrsg.) Kompetenz im Umgang mit Vorurteilen Wochenschau Verlag, 112 Seiten, 24,80 € Popper-Schüler: Einbindung in Schulentwicklung Die Wiener Schule für Hochbegabte soll mithilfe der Schüler weiterentwickelt werden. [WIEN/RED.] Anlässlich des 110. Geburtstags ihres Namensgebers, Sir Karl Popper, lässt die Schule für Hochbegabte am Wiedner Gymnasium ihre Schüler einmal mehr an der Weiterentwicklung der Schule mitarbeiten. Anfang März sollen sich knapp 200 Schüler an einem „Open Space“ beteiligen, und dabei ihre Ideen für die Zukunft der Schule sammeln. „Die Schüler wissen am besten, ob sie adäquat gefördert werden“, erklärt Direktor Edwin Scheiber die Idee dahinter. „Also ist es nur logisch, sie nach ihren Ideen zu fragen, wenn es darum geht, unsere Begabungsförderung weiterzuentwickeln.“ Dabei seien die Anregungen der Schüler sehr unterschiedlich. Als Ergebnis früherer Schüler-Foren habe man zum Beispiel die Trennung von Realgymnasium und Gymnasium in der fünften Klasse aufgehoben.