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GEOGRAPHISCHES INSTITUT
Januar 2005
DER UNIVERSITÄT STUTTGART
Azenbergstraße 12
70174 Stuttgart
___________________________________________________________________
Pariser Standorte:
Struktur und Entwicklung der französischen Hauptstadt
– Ergebnisse einer Exkursion nach Paris
–
Seminar- und Exkursionsleitung:
Iris Gebauer, MA
Dipl. Geogr. Ralf Binder
___________________________________________________________________
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Dieser Exkursionsbericht entstand unter der Mitwirkung folgender Autoren, die als
Studierende an einer achttägigen geographischen Exkursion im Herbst 2004 teilnahmen: Dennis Andres, Clemens Breuninger, Christian Claus, Sonja Eckstein,
Andreas Frank, Ina Giebler, Diana Heitzmann, Stefanie Hörz, Claudia Kötter, Christine Meyer, Gerd Naumann, Boris Pohl, Tobias Prändl, Stefanie Wiedmann, Simone
Wiener.
Die Exkursionsteilnehmer bereiteten in Arbeitsgruppen einzelne Routenabschnitte
inhaltlich vor, führten auf Teilabschnitten die Teilnehmer und fassten die Ergebnisse
in einer schriftlichen Ausarbeitung zusammen.
2
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Inhaltsverzeichnis
1
Einleitung
2
2.1
2.2
2.3
2.3.1
2.3.2
2.3.2.1
2.3.2.2
2.3.2.3
2.3.2.4
2.3.2.5
2.3.3
2.4
2.4.1
2.4.2
2.5
Paris als Global City
Einleitung
Definition des Begriffs „Global City“
Ansätze zur Hierarchisierung von Global Cities
Der „Primacy Index“ von Paul L. Knox
Hierarchisierung von Städten nach Bronger
Transnational Cooperations
Größte Banken
Größte Börsen
Größte internationale Flughäfen
Internationale/weltwirtschaftliche Institutionen
Alternative nichtökonomische Indikatoren
Die UNESCO in Paris - als Beispiel einer internationalen Institution in
der Global City Paris
Das UNESCO-Gebäude
Paris als Standort
Fazit
20
20
22
23
3
3.1
3.1.1
3.1.2
3.1.3
3.1.3.1
3.1.3.2
3.1.4
3.1.5
3.2
3.2.1
3.2.1.1
3.3
Tradierte Strukturen
Architektonisches Erbe
Romanik 11. bis 12. Jahrhundert - Merkmale und Beispiele
Gotik 13. - 14. Jahrhundert - Merkmale und Beispiele
Barock Ende 16. bis Mitte 18. Jh. - Merkmale und Beispiele
Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte von Versailles
Die Entwicklung der Stadt Versailles
Klassizismus 18. – Anfang 19. Jh. – Merkmale und Beispiele
Fazit
Städtebauliches Erbe
Geschichte der Stadt
Ausgewählte Einzelthemen / -standorte
Fazit
24
25
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40
40
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54
4
Gegenwärtige
Strukturen
und
Entwicklungen
des
Verdichtungsraumes
Aktuelle städtebauliche Entwicklungen in der Kernstadt}
Städtebauliche Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg
„Leitplan für die Stadtplanung und Stadtentwicklung von Paris“
Tour Montparnasse
Fazit
Wohnstandorte
Allgemeine Bevölkerungsentwicklung im Pariser Umland
Grands Ensembles als Lösungsansatz für den Bevölkerungszuwachs
Villes Nouvelles als Lösungsansatz für den Bevölkerungszuwachs
Alleé Vivaldi als Beispiel für ein Grands Ensembles
Evry als Beispiel für eine Villes Nouvelles
Bevölkerungsstruktur und -verteilung in Paris
Vergleich: 19. Arrondissement – 16. Arrondissement
Fazit
Industriestandorte
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55
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4.1
4.1.1
4.1.1.1
4.1.1.2
4.1.2
4.2
4.2.1
4.2.2
4.2.3
4.2.4
4.2.5
4.2.6
4.2.7
4.2.8
4.3
8
8
8
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13
13
15
16
17
18
18
19
3
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
4.3.1
4.3.1.1
4.3.2
4.3.2.1
4.3.2.2
4.3.2.3
4.3.3
4.4
4.4.1
4.4.2
4.4.3
4.4.3.1
4.4.3.2
4.4.3.3
4.4.4
4.4.4.1
4.4.4.2
4.4.5
4.4.5.1
4.4.6
4.4.6.1
4.4.6.2
4.4.6.3
4.4.7
4.4.7.1
4.4.7.2
4.4.7.3
4.5
4.5.1
4.5.1.1
4.5.1.2
4.5.2
4.5.3
4.5.4
Die wirtschaftliche Situation in Paris
Deindustrialisierung, Tertiärisierung und Dezentralisierung
Ausgewählte Standortbeispiele
Die Kleinindustrie im 12. Arrondissement
Der Parc André Citroen
Die Plaine Saint-Denis mit dem Stade de France
Fazit
Standorte der Dienstleistungsfunktionen
Der Dienstleistungssektor in Frankreich
Der Dienstleistungssektor in der Ile-de-France
Dienstleistungsstandorte in der Ile-de-France
Grande Couronne
Petite Couronne
Pariser Kernstadt
Einzelhandel
Entwicklung der Einzelhandelsstrukturen
Standortbeispiele für die Pariser Einzelhandelsstruktur
Regierungsviertel
Regierungsviertel – 7. Arrondissement
Unternehmensverwaltungen
Viertel der Unternehmenssitze – 8. Arrondissement
Finanzzentrum – 2. Arrondissement
Bürostandortkonzentration – La Défense
Tourismus
Städtetourismus
Wichtigkeit des Tourismus für die Ile-de-France
Wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus anhand der Hotelstruktur
Verkehrssituation in der Kernstadt – Verkehrsangebot in der Kernstadt
Öffentlicher Personenverkehr
Eisenbahn
Öffentlicher Personennahverkehr
Individualverkehr
Verkehrsneuplanung: Verbindung von Individualverkehr und ÖPNV
Fazit
85
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5
5.1
5.2
5.2.1
5.2.2
137
137
138
138
5.2.3
5.2.4
Methodischer Exkurs – Zwei Erhebungen aktueller Strukturen
Beobachtungsbogen zur Stadtteilanalyse
Kartierung der Champs-Elysees
Grundlagen der Kartographie und Zielsetzung
Räumliche
Einordnung
der
Champs-Élysées
und
Kartierungsgebietes
Methodik der Kartierung
Interpretation und Diskussion der Ergebnisse
6
Fazit
des
139
139
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4
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1:
Abbildung 2:
Abbildung 3:
Abbildung 4:
Abbildung 5:
Abbildung 6:
Abbildung 7:
Abbildung 8:
Abbildung 9:
Abbildung 10:
Abbildung 11:
Abbildung 12:
Abbildung 13:
Abbildung 14:
Abbildung 15:
Abbildung 16:
Abbildung 17:
Abbildung 18:
Abbildung 19:
Abbildung 20:
Abbildung 21:
Abbildung 22:
Abbildung 23:
Abbildung 24:
Abbildung 25:
Abbildung 26:
Abbildung 27:
Abbildung 28:
Abbildung 29:
Abbildung 30:
Abbildung 31:
Abbildung 32:
Abbildung 33:
Abbildung 34:
Abbildung 35:
Abbildung 36:
Primacy Index - Wirtschaftliche und politische Bedeutung von
Global Cities
St-Germain-des-Prés
Notre-Dame/Paris
Invalidendom
Versailles zur Zeit Ludwig XIII
Grundriss des Schlosses mit Zimmeraufteilung des 1. Geschosses
Schloss und Garten von Versailles mit dem kreuzförmigen Grand
Canal
Panthéon
Louvre
Die verschiedenen Stadtmauern von Paris.
Der Ostteil der Ile de la Cité vor und nach der Umgestaltung im
Jahr 1867
Hauptstraßenschema des Haussmann-Planes
Durchbruch der Avenue de l'Opéra
Place de la Concorde
Rue de Rivoli
Eiffelturm Stadtplan 1:15.000 Paris
Werbeplakat zur Weltausstellung 1889
Le Marais. Stadtplan 1:15.000 Paris
Stadtplan 1:15.000 Paris
Les Halles. Stadtplan 1:15.000 Paris
Tour Montparnasse
Grands Ensembles in der Pariser Agglomeration
Der “Blindwütige” Le Corbusier, der gegen die Korridorstraße
wettert
Großwohnsiedlung von Sacrelles
Grand Ensemble “La Grande Borne”
Die Nouvelles Villes im Großraum Paris
“Le Camembert” in Marne-la-Vallée
Einfamilienhäuser in Saint-Quentin-en-Yvelines
“Les Pyramides” in Evry
Alleé Vivaldi mit Blick Richtung Jardin de Reuilly
Beispiel für ein Blockkonzept der 70er Jahre aus der Innenstadt in
Evry
Parkplatz auf dem ehemaligen Wochenmarktgelände, im
Hintergrund: die Agora40.
Schematische Darstellung der Lage des 19. (roter Kreis) und des
16. (gelber Kreis) Arrondissements in Paris
Geschosshöhen im 19. Arrondissement. Die ersten 15 Zylinder
stellen die einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 16.
Zylinder stellt den Durchschnitt dar
Geschosshöhen im 16. Arrondissement. Die ersten 13 Zylinder
stellen die einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 14.
Zylinder stellt den Durchschnitt dar
Bauzeit der Gebäude im 19. Arrondissement. Die ersten 15
Zylinder stellen die einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der
16. Zylinder stellt den Durchschnitt dar
14
26
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30
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70
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5
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 37: Bauzeit der Gebäude im 16. Arrondissement. Die ersten 13
Zylinder stellen die einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der
14. Zylinder stellt den Durchschnitt dar
Abbildung 38: Beschäftigungsentwicklung 1962 – 1999
Abbildung 39: Berufstätige Pendler der Agglomeration in die „City“ 1990
Abbildung 40: Abwanderung von Industrieunternehmen aus der Ile-de-France
Abbildung 41: Karte von Paris mit den 20 Arrondissements. Das 12.
Arrondissement liegt im Südosten von Paris auf dem rechten Ufer
der Seine.
Abbildung 42: Blick in die Passage du cheval blanc.
Abbildung 43: Seit Sommer 1999 kann man von diesem Ballon im Park André
Citroen aus Paris von oben betrachten.
Abbildung 44: Blick über die große Liegewiese auf hochwertige Bürogebäude am
Rande des Parks.
Abbildung 45: Der Park wird von der Bevölkerung gut angenommen.
Abbildung 46: Am linken Rand des Bildes sieht man eines der großen
Gewächshäuser, davor einen der großen Springbrunnen des
Parks.
Abbildung 47: Industriebrachflächen in der proche banlieue von Paris.
Abbildung 48: Das Stade de France.
Abbildung 49: Arbeitskräfteeinsatz beim Bau des Stade de France und auf den
damit zusammenhängenden Baustellen.
Abbildung 50: Dienstleistungsstandorte in Paris.
Abbildung 51: Die Geldwechslerbrücke zur Ile de la Cité.
Abbildung 52: Die Rue Mouffetard.
Abbildung 53: Die Galerie Vivienne.
Abbildung 54: Die Passage des Panoramas.
Abbildung 55: Die Galeries Lafayette.
Abbildung 56: Die Galeries Lafayette mit ihrem kunstvoll verzierten Lichthof
Abbildung 57: Der Hypermarché Auchan im Einkaufszentrum von La Défense.
Abbildung 58: Blick auf die Champs Elyssées.
Abbildung 59: Die Billigkette Monoprix auf der Champs Elyssées.
Abbildung 60: Das Forum des Halles.
Abbildung 61: Im Innern des Forum des Halles.
Abbildung 62: Bürogebäude in der Rue Matignon.
Abbildung 63: Die Wertpapierbörse.
Abbildung 64: Die Tours Aillaud – Sozialwohnungen im Parkviertel von La
Défense.
Abbildung 65: Hochhäuser der 3. Generation: Kupka, Société Générale und La
Pacific – alle zu Beginn der 1990er entstanden.
Abbildung 66: La Grande Arche de la Défense.
Abbildung 67: Place du Tertre.
Abbildung 68: Sacré Coeur.
Abbildung 69: Regionale Verteilung der Hotelübernachtungen 2000.
Abbildung 70: Verteilung der Luxushotels in Paris.
Abbildung 71: Gästezimmer in George V.
Abbildung 72: Gare Montparnasse (Blick vom Tour Montparnasse).
Abbildung 73: Météorhaltestelle mit Sicherheitsglastüren.
Abbildung 74: Die 30 wichtigsten Stationen im Métroverkehr (Direkteinsteiger
ohne Umsteiger - 1998).
Abbildung 75: Place Charles de Gaulle (Blick vom Arc de Triomphe).
Abbildung 76: Sektoren- und Verkehrsplan von La Défense.
Abbildung 77: Der genutzte Beobachtungsbogen.
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1:
Tabelle 2:
Tabelle 3:
Tabelle 4:
Tabelle 5:
Tabelle 6:
Tabelle 7:
Tabelle 8:
Tabelle 9:
Tabelle 10:
Tabelle 11:
Tabelle 12:
Tabelle 13:
Tabelle 14:
Tabelle 15:
Tabelle 16:
Tabelle 17:
Tabelle 18:
Tabelle 19:
Tabelle 20:
Tabelle 21:
Global Cities in der Literatur (Auswahl)
Genannte Indikatoren bei verschiedenen Autoren
Global Cities der Gegenwart (K = Kategorie; W = Wertung)
Hauptquartiere der 500 größten TNC´s (ohne Banken) im Jahre
1984
Rangfolge der führenden Banken- und Versicherungsstandorte
(1997)
Größte Börsen nach ihrem Marktwert (1992)
Größte Flughäfen nach internationalen Flügen/Woche (1992)
Bevölkerungsentwicklung in der Ile-de-France 1936 bis 1999
Bevölkerungs- und Wirtschaftsdaten zu den Villes Nouvelles im
Großraum Paris
Gründe und Merkmale für Segregation bzw. Gentrifikation
Kreuztabelle Arrondissement – Bewertung der Gebäudestruktur
Kreuztabelle Arrondissement – Bewertung des Gebäudezustandes
Kreuztabelle Arrondissements – Qualität des EH-Angebots
Kreuztabelle Arrondissements – Verkehrsaufkommen
Kreuztabelle Arrondissements – Qualität des Freizeitangebots
Kreuztabelle Arrondissements – Grünflächen
Räumliche Differenzierung der Pariser Region nach Industriebestand
2002 (Lokalisationskoeffizient der Beschäftigtenanteile)
Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren 2001.
Besucherzahlen von ausgesuchten Sehenswürdigkeiten in Paris.
Anzahl der Hotelzimmer 2003.
Entwicklung des ÖPNV (1949-1998).
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
1 Einleitung
Dieser Exkursionsbericht basiert auf einer geographische Exkursion in die Stadt Paris
und ausgewählte Standorte im Umland vom 27. September bis zum 4. Oktober 2004.
Die Lernziele einer geographischen Exkursion umfassen vor allem das Beobachten, Beschreiben und Erklären räumlicher Phänomene und die Diskussion räumlicher Problemfelder.
Das erklärte Ziel dieses Exkursionsberichts ist die Beschreibung von räumlichen Strukturen und auch von aktuellen Prozessen, sowie deren Erklärung. Anhand ausgewählter
Standorte werden charakteristische Merkmale der Stadt Paris und von städtischen Räumen im Allgemeinen verdeutlicht. Bei der Auswahl der Themen und der besuchten
Standorte in Paris und Umland stand im Vordergrund, einen Überblick über die Stadtentwicklung zu vermitteln und wichtige Funktionen der Stadt zu analysieren.
Die gewählte Gliederung des Berichts lehnt sich an ein traditionelles geographisches
Vorgehen an und nähert sich dem städtischen Raum „scheibchenweise“. Im ersten Kapitel „Paris als Global City“ wird die Bedeutung der Stadt im weltweiten Maßstab abgeschätzt. Im folgenden Kapitel zu den tradierten Strukturen werden historische Grundlagen zu städtebaulichen Strukturen und Entwicklungen der Stadt Paris dargelegt. Ergänzend dazu wird in diesem Kapital auf Versailles eingegangen. Im vierten Kapitel folgen
die Beschreibung und Erklärungsansätze für aktuelle Strukturen und beobachtbare Entwicklungen. In diesem Kapitel werden folgende Thematiken näher beleuchtet: aktuelle
städtebauliche Entwicklungen, Wohnstandorte, Standorte der Industrie und von Dienstleistungsunternehmen sowie die Verkehrssituation in der Kernstadt. Für jedes Teilkapitel
werden Beispiele besuchter Standorte gegeben. Die während der Exkursion angewandten Methoden zur Datenerhebung finden sich im methodischen Exkurs wieder. Abschließend werden wichtige Ergebnisse der Exkursion zusammengefasst.
Diesen Bericht erstellten die Exkursionsteilnehmern selbst, unter der Leitung von Iris
Gebauer und Ralf Binder.
2 Paris als Global City
2.1 Einleitung
Wohl kaum jemand würde der Aussage widersprechen, Paris sei eine Stadt von Welt. In
wie weit ist Paris nun aber nach geographischen, und nicht nach landläufigen Maßstäben, eine Weltstadt bzw. eine Global City? Die Dimension „global“ ist in den letzten zwei
Jahrzehnten ein sehr populärer Begriff geworden. Die Globalisierung hat sich, nicht nur
in der Wirtschaft, sondern auch in Kultur und Lebensstil zu einem dominanten Faktor in
vielen Bereichen entwickelt. So soll in dieser Arbeit geklärt werden, ob Paris tatsächlich
eine Stadt von globaler Bedeutung ist oder sich nur mit dem populären Etikett „Global
City“ schmückt? Dazu wird Paris im Vergleich zu anderen, tatsächlichen oder vermeintlichen, Global Cities dargestellt.
Im ersten Teil der Arbeit wird ein Überblick über den Begriff „Global City“ und verschiedene historische Ansätze dieses Begriffes präsentiert. Im zweiten Teil folgen die von
8
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Paul L. Knox und Dirk Bronger vorgenommenen Versuche einer Hierarchisierung einer
Auswahl von Global Cities. Im weiteren wird anhand von fünf Indikatoren - „Transnationale Cooperations“, „größte Banken“, „größte Börsen“, „größte internationale Flughäfen“
und „internationale/weltwirtschaftliche Institutionen“ - die Stellung Paris zu anderen Global Cities verglichen. Diese ökonomisch orientierten Indikatoren werden im vierten Abschnitt durch mögliche alternative Indikatoren ergänzt. Im Fazit wird ein Überblick über
die gewonnen Erkenntnisse gegeben. Abschließend wird mit der UNESCO ein Beispiel
für eine internationale Institution in der Global City Paris dargestellt.
2.2 Definition des Begriffs „Global City“
Der Begriff „Global City“ ist ein recht neuer Begriff. Er setzte sich erst Anfang der 1980er
Jahren in der Stadtgeographie durch1. Obwohl die Begriffe „Weltstadt“ (bzw. „World City“) und „Globale Stadt“ (bzw. „Global City“) den gleichen Stadttyp beschreiben können
und von vielen Autoren, auch in dieser Arbeit, synonym verwendet werden, so differenzieren manche Autoren zwischen diesen beiden Begriffen. So sind für Wolf Gaebe globale Städte und Weltstädte beides herausragende Knotenpunkte im weltweiten Wirtschaftsnetz, jedoch verdienen nur globale Städte der höchsten Rangstufe den Titel Weltstadt2.
Der Begriff „Global City“ stammt zwar aus den Achtzigern, doch wenn man ihn mit dem
älteren Begriff „World City“ (bzw. „Weltstadt“) assoziiert oder gar gleichsetzt, dann reichen seine Wurzeln bis 1915 zurück, als der schottische Soziologe Patrick Geddes den
Begriff „Weltstadt“ in den wissenschaftlichen Wortschatz einführte3. In der vorliegenden
Arbeit werden die Begriffe „Global City“ und „World City“ synonym gebraucht.
Einen ebenfalls frühen Ansatz lieferte Konrad Olbricht (1933): „ Als Weltstädte können
wir solche Metropolen ansehen, die in der Politik und Weltwirtschaft eine überragende
Rolle spielen und deren Börsen maßgebend für die Währung von Ländern sind (...). Solche Städte sind New York, London, Paris und Berlin. (...) Wir erkennen unschwer, dass
diese Städte auch Brennpunkte des künstlerischen und wissenschaftlichen Lebens
sind“4.
Zusätzlich zu den vier bereits erwähnten zählt er noch Chicago (aufgrund der weltweit
wichtigsten Getreidebörse), Tokio und Shanghai dazu. Als die Mutter aller „Weltstädte“
sah Olbricht (1933) Babylon in seiner Blütezeit um 600 v. Chr., als ihr kultureller und gewerblicher Einfluss von Ägypten bis zum Indus reichte, der damals bedeutendsten Weltregion5.
Laut J. H. Schultze (1959) ist neben einem demographischen Kriterium (Einwohnerzahl > 500.000) ein funktionales Kriterium ausschlaggebend, d.h. mindestens ein Funkti-
1
Zehner 2001: 192
2
Gaebe 2004: 34
3
Zehner 2001: 192
4
Bronger in: Sohn & Weber 2000: 279
5
Bronger in: Sohn & Weber 2000: 280
9
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
onsbereich (z.B. Handel und Verkehr, Banken und Versicherungen usw.) muss weit übernationale Bedeutung haben6.
Peter Hall (1966) nennt rein qualitative, keine quantitativen Kriterien7. Dazu gehören:
Bedeutende politische Machtzentren mit manchmal internationalen Institutionen, Zentralen bedeutender Industriekonzerne, große Häfen, internationale Flughäfen, führende
Banken und Finanzzentren. Zudem reduziert er den Weltstadtbegriff nicht nur auf seine
ökonomische Dimension, sondern hebt hervor, dass diese auch bei Kunst, Kultur, Bildung und Forschung eine herausragende Stellung einnehmen. Dies ist beispielsweise an
Universitäten, Theatern, Museen, Opernhäusern von Weltrang zu erkennen8.
John Friedmann erstellte 1986 einen Katalog von sieben Kriterien, die alle erfüllt sein
müssen und die bis heute als die wesentliche Grundlage der Weltstadtforschung gelten9,
um eine Stadt als Global City zu kategorisieren10:
- Sitz von Hauptquartieren transnationaler Unternehmen und ihrer regionalen Zentralen
- Bedeutendes Finanzzentrum
- Standort eines schnell wachsenden Sektors unternehmensorientierter Dienstleistungen
- Sitz internationaler Institutionen
- Bedeutender Knotenpunkt von Transport und Verkehrslinien
- Zentrum industrieller Produktionsstätten
- Städte mit bedeutender Einwohnerzahl
Gekennzeichnet seien Global Cities „intern“ zudem durch extreme Arbeitsmarktspaltungen, durch die Expansion „informeller“ Wirtschaftsaktivitäten, und durch eine ausgeprägte sozial-räumlich Polarisierung“11.
Saskia Sassen (1994) zieht ebenfalls rein qualitative Kriterien heran12. Ihrer Ansicht nach
sind Global Cities:
- „Leitungszentralen eines globalen Wirtschaftssystems“
- „höchstentwickelte Telekommunikationszentren“
- „Standorte für Markttransaktionen im globalen Finanzierungsgeschäft und spezialisierten Dienstleistungsverkehr“ und
- Beherbergen „Management- und Kontrollfunktionen auf höchster Ebene“
Für David Simon (1995) sind vor allem drei Kriterien relevant13:
6
Taubmann in: Geographie Heute 142/1996: 5
7
ebd.
8
Zehner 2001: 193
9
Gerhard 2004: 5
10
Krätke 1995: 106f
11
Krätke 1995: 107
12
Taubmann in: Geographie Heute 142/1996: 5
13
Taubmann in: Geographie Heute 142/1996: 5.
10
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
- Vorhandensein eines hochentwickelter Finanz- und Dienstleistungskomplexes,
der internationale Agenturen, nationale und transnationale Gesellschaften, Regierungen und Nicht-Regierungsorganisationen bedient.
- Global Cities sind Knotenpunkte eines globalen Netzes von Kapital, Information
und Kommunikation, das all die genannten Unternehmen und Organisationen
umschließt.
- Vorhandensein einer hohen Lebensqualität als Attraktion für Experten, Manager,
Verwaltungsspezialisten und Diplomaten. Dies beinhaltet nicht nur die physischen
und ästhetischen Merkmale der Umgebung, sondern auch die wahrgenommene
politische und wirtschaftliche Stabilität, Weltbürgertum und kulturelle Vielfalt.
In Abhängigkeit zum Zeitpunkt ihrer Arbeit und der angewandten Indikatoren kamen die
Autoren teils auf identische, teils auf verschiedene Städte mit dem Prädikat „Global City“
(die Reihenfolge der Nennung stellt dabei keine Rangfolge dar).
Tabelle 1:
Global Cities in der Literatur (Auswahl)14
OLBRICHT
1933
SCHULTZE
1959
HALL
1966
FRIEDMANN
1986
SASSEN
1994
New York
London
Tokio
Tokio
New York
London
Tokio
London
Tokio
New York
London
Tokio
Paris
Berlin
Rom
Stockholm
Kapstadt
Chicago
Kalkutta
Buenos Aires
Berlin
Chicago
Shanghai
Paris
Paris
Paris
Moskau
Hong Kong
Mexico City
Rhein-Ruhr
Randstadt
Holland
Paris
Rotterdam
Frankfurt a.M.
Zürich
New York
Chicago
Los Angeles
Sao Paulo
Amsterdam
Frankfurt a.M.
Hong Kong
Mexico City
Sao Paulo
Sydney
Zürich
Eine Reihe von Städten wird von den verschiedenen genannten Autoren als Global City
eingestuft, aber nur wenige Städte von allen. Dazu gehört Paris, was ihre globale Stellung unterstreicht. Hier wird allerdings auch deutlich, dass eine genaue Definition des
Phänomens Global City nicht möglich ist.
Der aktuellste dem Autor vorliegende und auch sehr umfassende Indikatorenkatalog
stammt von Gaebe15:
- Herausragende politische, wirtschaftliche, gesellschaftliche und kulturelle Funktionen und Institutionen, u.a. internationale Behörden, Handelsorganisationen,
weltbekannte Museen
- Hohe Konzentration von ubiquitärem und lokalisiertem Wissen, von Qualifikationen, Kreativität und Innovationen
- Hochentwickelte Infrastruktur mit leistungsstarken Verkehrs-, Leitungs- und
Kommunikationsnetzen
14
Bronger in: Sohn & Weber 2000: 280
15
Gaebe 2004: 35
11
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
- Steuerungs- und Kontrollfunktionen inter- und transnationaler Unternehmen
(Transnational Cooperation = TNC)
- Knotenpunkte der weltweiten Organisation und Verknüpfung von Produktion und
Märkten durch Personen-, Güter-, Kapital- und Informationsströme
- Zentren der Kapitalakkumulation
Trotz der unterschiedlichen Indikatoren der verschiedenen Autoren lassen sich die in der
Tabelle 2 dargestellten Schnittmengen bei den diskutierten Ansätzen ausmachen.
Allen Ansätzen gemein ist ihre ökonomische Orientierung. Sowohl Standort für transnationale Unternehmen (TNC), als auch Börsen, Banken- und Finanzzentrum sehen alle,
und das Vorhandensein von politischen Institutionen sehen fast alle Autoren als Indikator
für eine Global City. Auch ist eine Entwicklung der Indikatoren zu erkennen, erstmals
1986 finden spezialisierte Dienstleistungen Erwähnung, und ab 1994 dann der Indikator
Kommunikationsknotenpunkt. Dabei finden sich neben Autoren, die rein ökonomische
Faktoren anführen wie Saskia Sassen auch solche, die darüber hinaus Kultur, Bildung
und hohe Lebensqualität im Allgemeinen als Merkmal sehen. Die verschiedenen Autoren
nennen zwar die ihrer Ansicht nach wichtigen Faktoren, diese sind jedoch nur Anhaltspunkte, da keine konkreten Daten geliefert werden. Dies verhindert auch eine exakte
Hierarchisierung. Zwei Autoren, die dennoch versuchen eine Hierarchie der Global Cities
darzustellen, sind Paul L. Knox (1995) und Dirk Bronger (1997).
Tabelle 2:
Genannte Indikatoren bei verschiedenen Autoren
Olbricht
(1933)
Schultze
(1959)
Hall
(1966)
Friedmann
(1986)
Sassen
(1994)
Simon
(1995)
Gaebe
(2004)
Hauptquartiere
von TNCs
X
X
X
X
X
X
X
Börse, Banken- und
Finanzzentrum
X
X
X
X
X
X
X
Politische Institutionen
X
X
X
X
X
X
X
X
Verkehrsknotenpunkt
X
Spezialisierte
Dienstleistungen
Wissenschaft, Kultur,
Lebensqualität
X
X
Industrielle Produktion
X
X
Kommunikationsknotenpunkt
Einwohnerzahl
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
X
12
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
2.3 Ansätze zur Hierarchisierung von Global Cities
2.3.1 Der „Primacy Index“ von Paul L. Knox
Paul L. Knox entwickelte eine Hierarchie anhand von zwei Kategorien16:
- Sitz transnational operierender Firmen (Top 500) und
- Hauptsitz mindestens einer IGO (International Governmental Organization) oder
einer NGO (International Nongovernmental Organization)
Dieser Index offenbart die zum Teil sehr unterschiedlichen Charaktere der Weltstädte.
Der globale Status von Tokio rührt von seiner Rolle als Zentrum einer der führenden
Volkswirtschaften des Globus, internationale Organisationen und Institutionen machen
sich dagegen rar. Dieses Verhältnis von wirtschaftlicher und politischer Relevanz ist bei
London hingegen ausgewogen. Genauso unausgewogen ist dieses Verhältnis bei Brüssel, allerdings gerade anders herum. Brüssel spielt als Knotenpunkt der Weltwirtschaft
eine nur sehr untergeordnete Rolle, als Hauptstadt der Europäischen Union (EU) politisch eine umso größere. Ähnlich verhält es sich mit Paris: Seine globale Bedeutung beruht zwar nicht so eindeutig auf seinem politischen Status, doch überwiegt dieser deutlich die Rolle der wirtschaftlichen Faktoren. Bemerkenswert ist, dass New York bei diesem Index mit seinen eingeschränkten Indikatoren nur zu den globalen Städten der zweiten Ebene einzuordnen ist, Brüssel dagegen zur ersten Ebene. Diese Reihenfolge ist
sicherlich auf die sehr kleine Anzahl der Indikatoren zurückzuführen und findet sich auch
in keinem weiteren Werk so wieder.
2.3.2 Hierarchisierung von Städten nach Bronger
Dirk Bronger unternahm 1997, nach eigenen Angaben17, den ersten Versuch, mit Hilfe
von acht Indikatoren eine Rangfolge der Global Cities zu erstellen18. Diese sind:
- Firmensitze der 500 größten transnationalen Unternehmen (nach Umsatz; 1994)
- Hauptverwaltungen der 50 größten Banken (nach Vermögen; 1994)
- Größte Börsen (1990) nach Vermögen und nach Anzahl der vertretenen ausländischen Firmen
- bedeutendste internationale Flughäfen nach Anzahl der Passagiere (1994) und
nach Anzahl der internationalen Flüge/Woche (1992)
- Führende Seehäfen (nach Umschlag; 1994)
- Sitz bedeutender internationaler/weltwirtschaftlicher Institutionen
Diese Indikatoren fasste er in einer Tabelle (vgl. Tabelle 3) für 18 Global Cities zusammen, und erstellte anhand einer subjektiven Wertung eine Rangfolge.
16
Knox 1995: 10
17
Bronger in: Sohn & Weber 2000: 281
18
Bronger in: Feldbauer 1997: 55f
13
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 1:
Primacy Index - Wirtschaftliche und politische Bedeutung von Global Cities19
Tabelle 3:
Global Cities der Gegenwart (K = Kategorie; W = Wertung)20
19
Quelle unbekannt.
20
Bronger in Feldbauer 1997: 56
14
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Wie in der Legende erläutert, wurden für die jeweiligen Indikatoren verschieden große
Klassen gebildet. Die Wertung der Indikatoren ist zudem ebenfalls verschieden. Als Ergebnis lässt sich feststellen, dass Tokio mit 45 Punkten deutlich vor New York (35 Punkten) liegt. Paris (27 Punkte) ist nach London (32 Punkte) auf dem vierten Rang und zählt
somit zu den „Großen Vier“, jene „Kommandozentren mit Weltgeltung“.21 In nahezu allen
Kategorien, mit Ausnahme als Sitz bedeutender internationaler/weltwirtschaftlicher Institutionen, ist Paris vertreten
und liegt häufig bei den einzelnen Indikatoren vor einer der drei insgesamt führenden
Städte. Beim Indikator „Sitz bedeutender internationaler/weltwirtschaftlicher Institutionen“
können allein New York (mit dem UNO-Hauptsitz), Chicago (Sitz der mit weitaus weltgrößten Agrarbörse) und Brüssel (Sitz der EU-Kommission) punkten. Dies ist eine sehr
enge Auslegung dieses Indikators. Zweifelsohne sind die drei genannten Institutionen
wahrhaft von globaler Bedeutung, aber sicherlich können noch weitere Institutionen in
anderen Städten ebenfalls zu dieser Kategorie gezählt werden, so zum Beispiel der
Hauptsitz der UNESCO in Paris.
Festzuhalten ist, dass von den 18 Städten je sechs in einer der Hauptwirtschaftsregionen
der Erde liegen: Nordamerika, Europa und Ost-, bzw. Südostasien. Dagegen liegt keine
in einem Entwicklungsland. Im folgenden sollen nun die verwendeten Indikatoren näher
betrachtet werden.
Dirk Bronger verwendete zwar eine Vielzahl von Indikatoren, allerdings nur in Klassen
und nicht als Einzelwerte. In diesem Kapitel sollen eben diese Einzelwerte dargestellt
werden. Es war leider nicht möglich die exakt gleichen Quellen zu finden, jedoch wurde
versucht möglichst ähnliche Indikatoren als Alternative zu verwenden. Aus diesem Grund
gestaltet sich die Rangfolge der Städte teilweise bei den einzelnen Indikatoren unterschiedlich zu denen Brongers, die Tendenz zu bestimmten dominanten Städten ist identisch.
2.3.2.1 Transnational Cooperations
Unter einer Transnationalen Cooperation (TNC; transnationales Unternehmen) versteht
man Unternehmen mit einer vollen Wertschöpfungskette in mindestens zwei Volkswirtschaften. Dazu dienen voll integrierte und im Unternehmen verbundene Gesellschaften22.
Dieser Indikator steht nicht zufällig an erster Stelle, ist er doch wohl der wichtigste Indikator und durchweg bei nahezu allen Autoren als Indikator zu finden. Dazu betrachtet man
den Standort der Hauptfirmensitze transnationaler Unternehmen. Die vorliegende Tabelle weist leider nur die Anzahl der Firmen aus, nicht deren Umsätze.
Hier ist festzustellen, dass zehn Städte beinahe die Hälfte (242) der 500 größten TNC´s
beherbergen. Allein die ersten vier Städte, darunter Paris, kommen auf 156. Die verbleibenden 344 Hauptsitze verteilen sich dann auf 47 andere Städte. New York ist nicht nur
die Heimat von 59 Hauptquartieren, darunter sind wiederum 18 der 100 führenden Un-
21
Bronger in: Feldbauer 1997: 57
22
Gaebe et al. 2002
15
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
ternehmen. Paris beherbergt mit 26 Hauptquartieren zwar nicht einmal die Hälfte von
New York, dennoch gehört es zu den führenden Standorten weltweit. Die Dominanz der
vier führenden Städte mit Paris ist noch deutlicher, wenn man den Umsatz und Absatz
berücksichtigt. Auch tritt hier wieder eine Dominanz der drei Hauptwirtschaftsregionen zu
Tage, denn alle Städte mit mehr als zehn Hauptsitzen befinden sich in den USA, dem
Vereinigten Königreich, Japan, Frankreich und Deutschland23.
Hauptquartiere der 500 größten TNC´s (ohne Banken) im Jahre 198424
Tabelle 4:
Rang
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
Stadt
New York
London
Tokio
Paris
Chicago
Essen
Osaka
Los Angeles
Houston
Pittsburgh
Anzahl der Firmen
59
37
34
26
18
18
15
14
11
10
Rang
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
Stadt
Hamburg
Dallas
St. Louis
Detroit
Toronto
Frankfurt
Minneapolis
San Francisco
Rom
Stockholm
Anzahl de Firmen
10
9
8
7
7
7
7
6
6
6
2.3.2.2 Größte Banken
Die folgende Tabelle zeigt die zwölf führenden Bankenstandorte nach dem Vermögen
der 50 führenden Geschäftsbanken und 25 führenden Versicherungen.
Die ersten Plätze belegen wie schon beim ersten Indikator die Städte Tokio, New York,
Paris und London. Trotz einiger Bankenkrisen führt Tokio deutlich. In Frankreich führte
die Verstaatlichung einiger Großbanken zu einer starken Konzentration des Vermögens
am Standort Paris, wodurch die Führung vor dem prominenten Bankenstandort London
erklärt ist. Paris ist damit dem kumulierten Betriebsvermögen nach der bedeutendste
Bankenstandort Europas.
Rangfolge der führenden Banken- und Versicherungsstandorte (1997)25
Tabelle 5:
Rang
Stadt
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
Tokio
New York
Paris
London
Frankfurt
Beijing
Osaka
Amsterdam
München
Charlotte
Düsseldorf
San Francisco
23
Betriebsvermögen (Mrd. USD)
3467,5
2525,3
2071,0
1650,7
1435,6
1162,0
892,4
713,8
667,6
470,3
326,3
288,9
Clark 1996: 147f
24
Clark 1996: 148
25
Sassen 2001: 180
16
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
2.3.2.3 Größte Börsen
Ein weiterer und zunehmend wichtiger Indikator für eine Global City ist die Börse. Dieser
Indikator ist hervorragend geeignet, die internationale Bedeutung einer Stadt anhand der
notierten ausländischen Unternehmen zu zeigen.
Größte Börsen nach ihrem Marktwert (1992)26
Tabelle 6:
Rang
Stadt
1
2
3
4
5
6
7
New York
London
Tokio
Osaka
Frankfurt
Luxemburg
Toronto
8
Paris
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
Mailand
NASDAQ*
Brüssel
Amsterdam
Sydney
Kopenhagen
Montreal
Johannesburg
Schweiz
Korea
Madrid
Marktwert
3,963,428
2,579,339
2,462,682
2,406,181
1,136,303
937,188
733,801
597,760
493,979
411,120
287,493
243,572
208,224
195,201
178,449
137,861
128,209
125,793
113,286
Umsatz
1,160,561
1,044,712
393,267
95,682
891,017
736
41,491
582,147
867,519
588,859
6,834
110,290
32,915
528,402
11,487
124,754
76,489
77,217
27,095
Notierte Firmen
inländische
ausländische
gesamt
1,969
1,878
1,651
1,163
425
59
1,049
515
226
3,850
164
251
1,038
257
556
642
180
688
401
120
514
117
5
240
162
70
2,089
2,392
1,768
1,168
665
221
1,119
217
732
3
261
154
246
35
11
22
29
240
3
229
4,111
318
497
1,073
268
578
671
420
688
404
* National Association of Securities Dealers Automated Quotations (a United Statesbased electronic market)
Die Situation stellt sich sehr uneinheitlich dar. Zwar weist die New Yorker Börse den
weitaus höchsten Marktwert auf, doch bei der Anzahl der notierten Firmen, v. a. bei den
ausländischen, liegt London weit vorne. Paris spielt als Bankenstandort global nur eine
nachrangige Rolle, liegt doch der Marktwert der dort notierten Firmen deutlich unter anderen auch europäischen Standorten. Der Marktwert ist in New York, an der weltgrößten
Börse, 6,5-mal so groß, in London immerhin noch viermal so groß. Selbst in der globalen
Hierarchie weiter hinten platzierte Städte wie Frankfurt, Luxemburg und Toronto liegen
deutlich vor Paris. Dieser Unterschied ist schon beim Umsatz jedoch weit geringer, so
weist New York nur noch knapp den doppelten Umsatz vor wie Paris, und Tokio, Osaka
und Toronto liegen hinter Paris. Der Grad der globalen Einbindung lässt sich gut an der
Anzahl der ausländischen notierten Firmen erkennen. Hier weist London den höchsten
Grad der Internationalisierung auf, mehr als jede fünfte Firma kommt aus dem Ausland.
Paris liegt hier nur knapp hinter Frankfurt an dritter Stelle, wobei nicht ganz ein Drittel
aller notierten Unternehmen aus dem Ausland stammen. New York kann dagegen nur
120 ausländische Firmen aufweisen, dies bedeutet, dass nur gut jede 17. Firma aus dem
Ausland kommt. Diese nationale Prägung zeigt sich auch bei den japanischen Börsen
26
Clark 1996: 151
17
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Tokio und vor allem Osaka, hier stammt nur gut jedes 233. Unternehmen aus dem Ausland.
2.3.2.4 Größte internationale Flughäfen
Bei diesem Indikator besteht die Frage, welche Faktoren die Relevanz eines Flughafens
bestimmen? Sicherlich sind die Fluggastzahlen ein wichtiger Indikator. Die Angaben über
die Flugbewegungen sind nicht so aussagekräftig, aber sie geben doch einen ausreichenden Überblick über die Bedeutung eines Flughafens. Bei diesem Indikator dominieren eindeutig die europäischen Städte, dies beruht sicherlich auf den kurzen Distanzen,
die in Europa für einen internationalen Flug notwendig sind. So fällt ein Flug London –
Paris in die Kategorie internationaler Flug, ein Flug Miami – New York dagegen nicht.
London weist mit deutlichem Abstand die meisten internationalen Flüge auf, gefolgt von
Paris als zweitwichtigstes internationales Drehkreuz. Dabei liegt Paris mit mehr als doppelt so vielen internationalen Flügen weit vor New York und mit beinahe dreimal so hohen Zahlen noch weiter vor Tokio.
Tabelle 7:
Größte Flughäfen nach internationalen Flügen/Woche (1992)27
Rang Stadt
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
London
Paris
Frankfurt
Amsterdam
Miami
Zürich
New York
Singapur
Tokio
Hong Kong
Bangkok
Los Angeles
Moskau
Buenos Aires
Kairo
Sydney
Mumbai
Sao Paulo
Johannesburg
Rio de Janeiro
global
regional
international gesamt
775
565
482
229
311
147
644
221
538
154
231
245
87
52
277
144
64
64
40
93
3239
2264
1376
1593
1389
1258
634
831
401
713
483
419
400
336
34
89
111
97
108
44
4014
2829
1858
1822
1700
1405
1278
1052
939
867
714
664
487
388
311
233
175
161
148
137
2.3.2.5 Internationale/weltwirtschaftliche Institutionen
Dieser Indikator ist sehr wichtig, aber auch ein sehr schwierig zu gebrauchen. Wie misst
und kategorisiert man die globale Bedeutung einer Institution? Bronger (1997) nennt als
Beispiele den UNO-Hauptsitz in New York, die weltgrößte Agrarbörse, die Chicago
27
Keeling 1995: 123, Berechnungen des Verfassers
18
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Board of Trade, in Chicago (wie auch schon Olbricht 1933), und den Sitz der EUKommission und das NATO-Hauptquartier in Brüssel28. Die Bedeutung von Paris auf
internationalem Niveau ist schon deshalb gegeben, da es als Hauptstadt der ehemaligen
Kolonialmacht Frankreich die Welthauptstadt der französischen Sprache ist. Daneben
befindet sich in Paris das Hauptquartier der OECD, der UNESCO und weiterer 400 internationaler Institutionen29. Zweifelsohne sind dies Institutionen, die durch ihre globalen
Steuerungsfunktionen eine Global City ausmachen. Einen exakten Platz in einer Rangfolge kann man daraus aber nicht ableiten, man kann aber erkennen, dass Paris auch
bei diesem Indikator eine global wichtige Stellung einnimmt.
2.3.3 Alternative nichtökonomische Indikatoren
Alle bisherigen Indikatoren waren vornehmlich ökonomischer Natur. Dies hat seine Ursache sicherlich darin, dass Kultur und vor allem ihre globale Auswirkung sich nur
schlecht operationalisieren lässt. David Simon weist unter anderem auf die Bedeutung
eines attraktiven Kulturlebens für die Anwerbung von Spitzenkräften hin.
Paris kann auch in der Kategorie Kultur ohne weiteres zu den Global Cities gerechnet
werden, beherbergt es doch eine Vielzahl an kulturellen Einrichtungen von Weltrang30:
- die Oper an der Bastille als das modernste Opernhaus der Welt
- das Haus der Wissenschaft auf dem Villette-Areal ist das größte Technologiemuseum der Welt
- die neue Nationalbibliothek als die größte Bibliothek der Welt
- der Groß-Louvre als eines der größten Museen der Welt
Aber nicht nur internationale Spitzenkräfte fühlen sich von attraktiven Räumen angezogen, sondern auch Touristen. So können die Touristenzahlen herangezogen werden, um
das eher schwierig nachzuweisende Image einer Stadt zu bewerten. Paris ist auch hier
ganz oben in der Hierarchie der Global Cities zu finden. Für die jährlich über 40 Mio.
Touristen31 stehen rund 64.000 Betten in 1.300 Hotels zur Verfügung32. Anders als zum
Beispiel bei den ökonomischen Faktoren lässt sich der Tourismus aber nur schwer erfassen, kategorisieren und im Hinblick auf die Globalität einer Stadt analyisieren33. Zudem fehlen flächendeckende weltweit vergleichbare Daten34.
Weitere potentielle neben den bisher genannten (mit vorwiegend ökonomischem Charakter) Indikatoren für eine Analyse nennt Nicole Laskowski35:
- gesellschaftliche Ansätze
- ethnische Ansätze
28
Bronger in: Feldbauer 1997: 56
29
Noin & White 1997: 10
30
Matejovski 2000: 85
31
Pletsch 1997: 245
32
Brücher 1992: 59f
33
Laskowski 2001: 201
34
Bronger in: Sohn & Weber 2000: 282
35
Laskowski 2001
19
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
- architektonische Ansätze
- ökologische Ansätze
2.4 Die UNESCO in Paris - als Beispiel einer internationalen Institution in der Global City Paris
Die UNESCO ist sicherlich mit Abstand die internationalste Institution in Paris, aber auch
im weltweiten Vergleich muss sie keinen Vergleich scheuen. Im April 2003 arbeiteten
dort rund 2145 Mitarbeiter aus etwa 160 verschiedenen Nationen36. Daneben unterhält
die UNESCO Verbindungen in die ganze Welt, 190 Staaten sind Mitglied. Auch beim
Bau und Ausschmückung des UNESCO-Gebäudes spiegelt sich dieser internationale
Geist wieder, denn ein Architektenteam aus drei Nationen entwarf das Gebäude und
Künstler aus aller Welt schmückten es aus. Daneben ist die UNESCO nicht nur ein Meilenstein bei der internationalen Zusammenarbeit, auch das Gebäude selbst ist ein Meilenstein, ein architektonischer Meilenstein. Auch wenn sich der Optimismus von Francoise Choay bei der Einweihung 1958, dass das UNESCO-Gebäude als Attraktion eines
Tages auf einer Stufe mit dem Eifelturm stehen würde, bisher erfüllt hat, ist doch ein Besuch wert.
UNESCO steht für United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization, Organisation der Vereinten Nationen für Bildung, Wissenschaft, Kultur und Kommunikation.
Die UNESCO hat 190 Mitgliedstaaten. Ihr Hauptsitz befindet sich in Paris.
“Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden." – Dies ist die Leitidee der UNESCO und spiegelt die Erfahrung
des 2. Weltkrieges wieder. Sie steht in der Präambel ihrer Verfassung, die 37 Staaten
am 16. November 1945 in London unterzeichnet haben. Am 4. November 1946 trat die
Verfassung der UNESCO in Kraft37.
2.4.1 Das UNESCO-Gebäude
„Wenn der Besucher des Jahres 2000 die Place de Fonteney betritt, wo sich nun das
UNESCO-Gebäude erhebt, wird ihn der Anblick dieses Bauwerkes nicht stärker in Verwunderung setzen als die Ecole Militaire und der Eiffelturm. Er wird bewundern, dass
drei bedeutende Augenblicke in der Geschichte architektonischer Formen so meisterhaft
in einer einzigen Perspektive vereint werden konnten, und er wird sich bezaubern lassen
von der Reinheit der Volumen, die wenige Männer für die UNESCO geschaffen haben“
38
. Dies war die wohl estwas zu optimistische Prognose von Francois Choay, die er bei
der Einweihung des Gebäudes zum besten gab.
In den Anfangsjahren residierte und tagte die UNESCO in verschiedenen Gebäuden in
Paris. Zu Beginn in einer kleinen Etage am Grosvenor Square und den aneinander gren-
36
http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=3332&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html
letzter
Zugriff 11.08.2004
37
Offenhäußer 2004:1
38
Hervé 1958: VI
20
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
zenden Häusern am Belgrave Square, schließlich im „Majestic“, einem großen stillgelegten Hotel nahe der Champs-Elysées im Herzen von Paris39. Als man sich aus Platz- und
Repräsentationsgründen für einen Neubau am Place de Fontenoy entschlossen hatte,
berief die UNESCO ein internationales Architektenteam und zahlreiche Künstler für ein
attraktives Bauwerk zu sorgen. Zudem sollte der internationale und friedenstiftende Charakter der Institution durch die Arbeiten unterstrichen werden. Über die Jahre wurden
zahlreiche Kunstwerke (u.a. Picasso, Miro, Le Corbusier) erworben, andere wiederum
von verschiedenen Mitgliedsstaaten gespendet40. Die Bauarbeiten begannen 1955 und
zogen sich drei Jahre hin, bis schließlich das Gebäude am 3. November 1958 feierlich
eingeweiht werden konnte41.
Das UNESCO-Gebäude, das sich hinter der Ecole Militaire befindet, ist ein Paradebeispiel für die Architektur der fünfziger Jahre42. Es ist das Gemeinschaftswerk eines internationalen Architektenteams unter der Leitung von Marcel Breuer (USA), Pier Luigi Nervi
(Italien, bedeutendster europäischer Stahlbetonbaumeister43) und Bernard Zehrfuss
(Frankreich)44 und beraten von den namhaften Architekten Lucio Costa (Brasilien), Walter Gropius (USA), Le Corbusier (Frankreich), Sven Markelius (Schweden) und Ernesto
Rogers (Italien)45. Trotz der Beteiligung dieser berühmter Architekten war das UNESCOGebäude 1958 das „umstrittenste Gebäude Frankreichs“46. Seine Kritiker sahen durch
seine Modernität eine Verunstaltung und Entwürdigung einer harmonischen Stadt47.
Die Neuheit dieses Baues lag nicht nur in seiner Y-Form des Sekretariatgebäudes, sondern eben auch in diesem international besetzten Architektenteam. Ausländische Architekten hatten zwar schon zuvor in Paris gebaut, auch bei größeren öffentlichen Gebäuden, aber nicht ohne einen leitenden französischen Architekten. Die Form des Gebäudes
war ebenfalls ein radikaler Bruch mit alten Parisern Normen48. Der Grundriss ist in Form
eines Ypsilons mit einer gewölbten Fassade49.
Aus Rücksicht auf die Aufgaben der UNESCO, Verbreitung von Kultur und Wissen, sollte
kein bloßer Luxus- und Prestigebau entstehen. Gesucht wurde eine funktionelle Lösung,
die so ökonomisch wie möglich ausgeführt werden konnte. Deshalb ist das meistverwendete Baumaterial Stahlbeton, der nicht nur sehr günstig ist sondern auch eine große
Formenvielfalt ermöglicht. Die Funktionen wurden auf zwei Hauptgebäude verteilt, Kon-
39
Hervé 1958: V
40
http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=7109&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html letzter
Zugriff am 14.08.2004
41
Hervé 1958: V
42
Kalmbach 2003: 219
43
Kimpel 1982: 375
44
Eisenschmid 2001: 201
45
Hervé 1958: IV
46
Hervé 1958: VI
47
Hervé 1958: VI
48
Sutcliffe 1993: 162 f
49
Kalmbach 2003: 219
21
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
ferenzgebäude und Sekretariat, verbunden mit einer Wandelhalle. Das dritte Element der
Anlage bildet das Delegationsgebäude50.
2.4.2 Paris als Standort
Die Gründe für die Ansiedelung der UNESCO lagen neben den harten vor allem bei den
weichen Standortfaktoren, insbesondere im kulturellen Umfeld. Doch finden sich auch
politische Gründe die zur Wahl Paris als Standort führten.
Paris bietet der UNESCO und ihren Mitarbeitern als Hauptstadt Frankreichs und einer
der bedeutendsten Städte weltweit ein attraktives Umfeld. Ihr Ruf in kultureller Hinsicht
ist weltweit nahezu unübertroffen. Dieses Prestige hat historische und kulturelle Gründe.
Paris hat eine sehr lange Tradition als ein Ort kulturellen Schaffens. Schon im Mittelalter
war Paris nicht nur Europas größte Stadt, sondern auch Standort einer Universität - die
Sorbonne. Im 18. Jahrhundert kam es zu einer Wiederbelebung Paris’ als ein Treffpunkt
für Intellektuelle und Künstler aus aller Welt. Im 19. und 20. Jahrhundert fanden im liberalen Paris zahlreiche ausländische Künstler einen neue Heimat. Es wurde eine der kulturellen Hauptstädte weltweit, besonders in der Literatur und Malerei. Diese anziehende
Wirkung konnte auch nur kurz durch den 2. Weltkrieg unterbrochen werden und führte
1946 zur Wahl Paris’ als Standort des UNESCO-Hauptquartiers51. Auch heute ist die
kulturelle Ausstrahlung Paris’ ungebrochen, beherbergt sie doch eine bemerkenswerte
Anzahl kultureller Einrichtungen, einschließlich zwei Opernhäuser, 90 Museen, 75 Theatern, über 300 Kinos und 175 Bibliotheken. Zwei der Museen, der Louvre und das Musée
d’Orsay gehören zu den bedeutendsten weltweit52.
Die Politik spielte ebenso eine entscheidende Rolle bei der Standortwahl. Seine Position
als Kolonialmacht und Teil der siegreichen Allianz im 2. Weltkrieg brachte Frankreich
einen Ständigen Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen (United Nations, UN) ein.
Dieser ist mit großem politischem Einfluss, nicht nur in Sicherheitsfragen, verbunden und
begünstigte die Wahl von Paris als Standort einer so wichtigen UN-Organisation wie der
UNESCO53. Zudem versuchte die Regierung in Paris zu jenem Zeitpunkt tertiäre Funktionen innerhalb der Stadt zu stärken, während der produzierende Sektor allmählich zurückgedrängt wurde54. Das erste europäische Hauptquartier der NATO (North Atlantic
Treaty Organization) befand sich ebenfalls in Paris, bis Frankreich sich aus den Kommandostrukturen der Organisation zurückzog und das Hauptquartier nach Brüssel verlegt wurde. Eine weitere bedeutende internationale Organisation in Paris ist die Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD), dazu kommen noch mehr
als 400 weitere internationale Organisationen. Im Hinblick auf die Beschäftigten in solchen Organisationen bei europäischen Städten ist Paris auf gleicher Höhe wie Brüssel,
Genf oder Wien55.
50
Hervé 1958: VI f
51
Noin & White 1997: 254 f
52
Noin & White 1997: 140
53
Noin & White 1997: 140
54
Sutcliffe 1993: 162
55
Noin & White 1997: 10 f
22
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Die UNESCO stellt mit ihren rund 2145 Beschäftigten aus ca. 160 Nationen (Stand April
2003) einen erheblichen Wirtschaftsfaktor dar. Sie zählt damit sicherlich mit zu den größeren Arbeitgebern in Paris56. Zudem zieht sie weitere Institutionen an, so unterhalten
174 Mitgliedsstaaten ständige Vertretungen bei der Organisation in Paris57 mit entsprechendem Publikums- und Reiseverkehr.
Mit ihren zahlreichen Organisationen, Clubs und Netzwerken ist die UNESCO auch ein
nicht zu unterschätzender Anziehungspunkt. Weltweit unterhalten rund 330 NGOs (nongovernmental organizations) „offizielle“ Verbindungen mit der UNESCO, es existieren
6.700 assoziierte Schulen, über 6.000 UNESCO Clubs, Vereine und Zentren. Dazu
kommen noch mehr als 300 Firmen und Organisationen aus der Geschäftswelt, neue
Partner, die sich zu den Zielen einer nachhaltigen menschlichen Entwicklung und sozialer Verantwortung verpflichtet haben und mit der UNESCO kooperieren58.
2.5 Fazit
Paris kann zu Recht als Global City bezeichnet werden. Die Stadt an der Seine liegt
zwar in der Hierarchie hinter den drei dominierenden Weltstädten New York, London und
Tokio, doch gehört sie mit zu den ganz Großen, auch wenn sie es in keiner Kategorie auf
den ersten Platz schafft. Paris weist eine hohe Zahl an Hauptquartieren von TNC’s auf,
und liegt als Banken- und Versicherungsstandort nach ihrem Betriebsvermögen sogar
von noch vor London auf Rang drei. Wenn man beim Indikator „Größte Börsen“ insbesondere die Anzahl der notierten ausländischen Firmen als Maßstab für Internationalität
heranzieht, so liegt die nach Marktwert führende New Yorker Börse mit fast nur der Hälfte weit hinter der Pariser Börse. Ebenfalls vor New York liegt Paris bei den internationalen Flügen pro Woche, nur über London werden noch mehr internationale Flüge abgewickelt. Auch beim Indikator „internationale/weltwirtschaftliche Institutionen“ liegt Paris sicherlich mit an der Spitze.
Eine Vergleichbarkeit auf weltweiter Basis fällt schwer, da es sehr wohl zahlreiche Autoren gibt, die sich mit dem Thema Global City beschäftigen, zumeist jedoch keine empirischen Daten liefern. Vergleichende Zahlen für Städte weltweit einschließlich Paris werden nur relativ selten geliefert, für New York, London und Tokio steht eine weitaus größere Datenbasis zur Verfügung. Dies spiegelt sich auch darin wieder, dass die Zahlen
mehrerer Autoren auf einer einzigen Quelle beruhen. Diesen Mangel an empirischen
Daten bezeichnet J. R. Short (2004) als das „dirty little secret of world city research“59.
Die UNESCO beschert Paris nicht nur internationalen Flair als eine der internationalsten
Organisationen weltweit, sondern mit ihrem Hauptquartier einen architektonischen Meilenstein und Symbol für internationale Zusammenarbeit. Auch wirtschaftlich profitiert Pa-
56
UNESCO 2003: 3
57
http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=3975&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html letzter
Zugriff: 14.08.2004
58
http://portal.unesco.org/en/ev.php-URL_ID=3453&URL_DO=DO_TOPIC&URL_SECTION=201.html letzter
Zugriff: 14.08.2004
59
Gerhard 2004: 7
23
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
ris von den zahlreichen Mitarbeitern und dem positiven Image das, die UNESCO mit ihren Verbindungen in alle Welt ausstrahlt.
3 Tradierte Strukturen
Um die Entwicklung einer Stadt nachzuvollziehen, muss man unter anderem deren historische Bauwerke in Augenschein nehmen. Vor allem sind es die Kirchen oder Klöster,
aber auch weltliche Prachtbauten wie Königsresidenzen, Paläste u.s.w., die viel über die
Entwicklung einer Stadt verraten. Aber auch Theater, Bahnhöfe, andere öffentliche Gebäude und sogar Wohnhäuser geben oftmals Aufschluss über den Entwicklungsstand
einer Stadt im entsprechenden Zeitalter. Anhand ihrer Stylmerkmale kann der geübte
Betrachter das Alter des jeweiligen Gebäudes und somit oftmals eines ganzen Viertels
bestimmen. Eine Stadt erlangt ihr Gesicht nicht nur durch die Anordnung der Gebäude,
aus denen Sie besteht, sondern auch durch die Gestaltung derselben. Die Fassaden der
Wohnhäuser prägen das Bild der jeweiligen Straße und verraten oftmals auch ihr Alter.
Selbstverständlich erlebte eine so alte und große Stadt wie Paris zahlreiche Unruhen
und Umbaumaßnahmen, die größte unter Napoleon durch Hausmann, wodurch viele
immobile Zeitzeugen durch neuere ersetzt wurden oder mannigfache Umbaumaßnahmen erfuhren. Dadurch wird der Blick sehr verunklärt. Zudem waren Bauten aus dem
vorvergangenen Jahrtausend größtenteils nicht stabil genug, um dem Verfall zu trotzen
und den Altvorderen war die Erhaltung der Bauwerke nicht so wichtig, wie der Neubau
von repräsentativeren Gebäuden. So mussten beispielsweise dem Neubau der gotischen Kathedrale Notre-Dame drei ältere Kirchen weichen. Auch von der alten Festung
Louvre aus dem 13. Jh. sind nur noch einige Fundamentreste zu sehen.
So kommt es, dass man in den Gebäuden einer Stadt zwar nicht lesen kann, wie in einem Geschichtsbuch, sie aber in Verbindung mit solchen das Verständnis über die Entstehungsgeschichte einer Stadt fördern.
Eine nicht unerhebliche Voraussetzung, die Gebäude einer Stadt in den geschichtlichen
Kontext einzufügen, ist ein gewisses Maß an Sachverstand über die architektonischen
Stylmerkmale einer jeweiligen Epoche. Um einen möglichst breit gefächerten Überblick
über die wichtigsten Stilrichtungen des vergangenen Jahrtausends zu verschaffen, wurden für die Paris-Exkursion fünf repräsentative Bauwerke ausgewählt, anhand derer die
Merkmale der wichtigsten Epochen Romanik (St-Germain-des-Prés), Gotik (NotreDame), Barock (Invalidendom und Schloss Versailles), Klassizismus (das Panthéon),
und das Louvre als Repräsentant unterschiedliche Stile. Das Zeitalter der Renaissance
ist in Paris nicht zu finden, es beschränkt sich hauptsächlich auf den italienischen Raum.
Auf das Barockschloss Versailles wird im Folgenden näher eingegangen. Versailles zählt
zu den prachtvollsten Residenzen Europas, es war das Vorbild für europäische Barockschlösser und es ist der Inbegriff des absolutistischen Königtums und Machtstrebens.
Außerdem sind die Gartenanlagen ein einzigartiges Beispiel für die französische Gartenbaukunst. Im Folgenden soll die Entwicklungsgeschichte des Schlosses unter den verschiedenen Herrschern in chronologischer Reihenfolge bis heute nachvollzogen werden.
Der Schwerpunkt liegt auf Ludwig XIV, da er Versailles am stärksten prägte. Der Park
und die Stadt Versailles werden im Anschluss separat behandelt.
24
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
3.1 Architektonisches Erbe
3.1.1 Romanik 11. bis 12. Jahrhundert - Merkmale und Beispiele
„Romanisch“ ist der kunstgeschichtliche Begriff, der die Architektur des 11. und 12. Jahrhunderts beschreibt. Er wurde zu Anfang des 19. Jahrhunderts geprägt. Man sprach
deshalb vom „romanischen Stil“, weil die Baumeister dieser Epoche sich vorzugsweise
der Stilelemente der römischen Baumeister bedienten, wie Rundbogen, Säulen, Pilaster
und Arkaden.
Das wohl markanteste Merkmal der romanischen Baukunst ist der allseits gegenwärtige
Rundbogen. Die Dachkonstruktion der frühesten romanischen Kirchen bestanden aus
Holz. Sie brannten oft ab, da die Kirchen mit Fackeln ausgeleuchtet waren. Ab dem 11.
Jh. ersetzten die Baumeister deshalb die Holzdecken durch Gewölbe aus Stein. Die Last
der schweren Gewölbe erforderte massive Außenwände, was ein weiteres Merkmal romanischer Kirchen ist. Ein weiteres charakteristisches Merkmal der Romanik sind die
Blendbogen. Diese sind einer geschlossenen Wand als Zierelement vorgelegt.
Als die königliche Zentralgewalt in Frankreich in der Zeit zwischen 1130 und 1300 erstarkte, gewinnt Paris, die nun unbestrittene Metropole des französischen Königreichs,
ein neues Profil. Die Romanik ist als Folge der politischen Konstellationen, im damals
noch eng begrenzten Herrschaftsbereich der Krone, auffallend unterrepräsentiert. Als
wirklich bedeutenden Bau der Romanik kennen wir in Paris nur St-Germain-des-Prés. Zu
berücksichtigen bleibt allerdings, dass viele romanische Bauwerke Opfer der Spitzhacke
wurden. Trotzdem herrschte in Paris nie die Vielfalt von Burgund, Aquitaniens und der
Normandie. (Droste-Hennings, Droste: 17)
Im Jahr 542 baute Childebert 1er für zuvor von Ihm nach Paris überbrachte Reliquien die
Kirche und das Kloster. Die Kirche wurde von Bischof Germanus im Jahr 558 geweiht
und es wurden hier die merowingischen Könige beigesetzt. Diese merowingische Kirche
musste im Jahr 990 einem frühromanischen Neubau weichen. Zu diesem gehört der
stämmige, schmucklose Westturm aus Handquadern. Das
Langhaus ist jünger und stammt aus dem 11. Jh.. Es zählt drei Schiffe und 5 Joche. Es
ist 65 m lang und misst im Mittelschiff eine Höhe von 19 m und eine Breite von 7 m. Die
Decke des Langhauses besteht aus einem Rippengewölbe aus den Jahren 1644 – 1646.
Man geht davon aus, dass ursprünglich ein Steintonnengewölbe geplant war.
Der Chor der Kirche allerdings ist frühgotisch, was man deutlich an den für die Frühgotik
typischen spitzen Blendbögen über den Rundbogenfenstern erkennen kann. Er ist außerdem mit einem Umgang und fünf Radialkapellen umgeben, was sehr typisch war für
die frühgotischen Kathedralen der Ile-de-France (etwa Noyon). Der Chor wurde um 1150
begonnen und im Jahr der Grundsteinlegung von Notre-Dame (1163) geweiht.
An St-Germain-des-Prés sind also wie so oft die Baustile mehrerer Epochen vereint, von
außen jedoch kann man ein typisches Exemplar frühromanischer Baukunst beobachten.
25
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 2:
St-Germain-des-Prés60
3.1.2 Gotik 13. - 14. Jahrhundert - Merkmale und Beispiele
Die Gotik ist das Zeitalter, welches die Romanik ablöst. Der Begriff „Gotik“ stammt aus
dem Zeitalter der Renaissance. Die italienischen Baumeister fühlten sich beim Anblick
der in ihren Augen barbarischen gotischen Kathedralen an die ihrer Meinung nach ebenfalls barbarischen Westgoten erinnert.
Die gotischen Kathedralen sind gekennzeichnet durch ihre äußerst filigran wirkende
Bauweise. Überall sind Fenster und Portale mit Spitzbogen versehen. Um die Bauwerke
noch „leichter“ wirken zu lassen, fingen die Baumeister der Gotik die horizontal wirkenden Kräfte nicht wie in der Romanik durch Zugbänder und Säulen im Inneren der Kirche
ab, sondern bauten außerhalb der Kirchen ein so genanntes Strebepfeilersystem, welches die enormen Kräfte abstützt.
Der am reichsten verzierte Teil einer Kathedrale ist die Westfassade. Sie wird gewöhnlich durch drei Eingänge gegliedert, die jeweils mit kunstvollen Bildhauerarbeiten versehen sind und deren mittlerer der größte ist. Die Portale sind wie der Innenraum der Kirche angeordnet. Dieser besteht aus einem hohen Mittelschiff und zwei niedrigeren Seitenschiffen.
In Frankreich findet man fast nur stumpfe Türme, im Gegensatz zu den Deutschen gotischen Kathedralen. Ein weiteres Stilmerkmal der Gotik sind die Kreuzrippengewölbe. Je
60
Aufnahme A. Frank 2004.
26
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
weiter sich der Stil entwickelte, desto mehr Rippen wurden in die Gewölbe eingefügt,
teils nur aus dekorativen Zwecken.
Zur Baugeschichte: Die Grundsteinlegung des Baus war im Jahr 1163. Dem Projekt waren umfangreiche Planungen vorausgegangen. Um für den gigantischen Neubau Platz
zu schaffen, riss man drei Kirchen und etliche Wohnbauten ab, außerdem musste ein
Teil des Krankenhauses dem Bau weichen. Mit der Anlage einer neuen Straßenachse ist
der Bau von Notre-Dame also mehr als nur die Errichtung eines einzelnen Bauwerkes,
es handelt sich hierbei um eine frühe städtebauliche Maßnahme. Der Initiator war Bischof Maurice Sully, ein hoch gebildeter Theologe.
Die auffallende Größe der Kathedrale (im Vergleich zu anderen französischen Kathedralen aus dieser Zeit) erklärt sich aus der Tatsache, dass neben dem Bischof noch andere
relevante Personenkreise Einfluss auf die Planung nahmen. Da ist zuerst der König zu
nennen, dem der Bischof von Paris lehnspflichtig war. Notre-Dame ist also ganz explizit
auch als Ausdruck der im 12. Jh. erstarkten Zentralgewalt zu sehen. Daneben beteiligten
sich die Bürger, vor allem die wohlhabenden Zünfte, die ihrerseits in der Größe des
Denkmals ein geeignetes Mittel der Selbstdarstellung erblickten. Die Finanzierung des
Bauwerks stand auf soliden Fundamenten, da sich die Kirche, der Staat und die Bürger
am Bau rege beteiligten. Dies ist mit ein Grund, warum schon nach 20 Jahren Bauzeit
bereits der Chor der Kathedrale fertig war, der von den Ausmaßen fast denen des Langhauses entspricht.
Abbildung 3:
61
Notre-Dame/Paris61
DROSTE und DROSTE-HENNINGS 2003: 93
27
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Im Jahr 1182 wurde der Chor geweiht und in Benutzung genommen. Er wurde nach
Westen hin durch eine provisorische Wand geschlossen. Im Jahre 1196 stirbt Bischof
Sully, der seiner Kirche testamentarisch 100 Pfund für die Bleiverdachung vermachte,
was ein Indiz dafür ist, dass zu diesem Zeitpunkt wenigstens die Wände des basilikalen
Langhauses schon weitgehend fertig waren. Anfang des 13. Jh. Wuchs die Westfassade
empor. Deren Untergeschosse mussten statisch bedingt zuerst stehen, ehe die letzten
Joche des Langhauses fertig gestellt werden konnten. Ihnen dient der Westbau als Widerlager.
Gegen 1220 war das Gebäude im Wesentlichen fertig gestellt. An der Fassade wurde
noch bis in die Mitte des 13. Jh. weitergearbeitet. Dennoch sollte Notre-Dame weiterhin
Baustelle bleiben. Man war mit dem Resultat nicht vollständig zufrieden.
Noch während man am Langhaus und an der Westfassade arbeitete, entstanden im
geographischen Umfeld der Ile de France, der Champagne und der Picardie die Riesenkathedralen der französischen Hochgotik: Chartres (Baubeginn 1195), Reims (ab 1211)
und Amiens (ab 1220). Offenbar durfte die Königskirche der Hauptstadt nicht hinter diesen zurückstehen. Ab 1220 wurde deshalb der Aufriss der Hochschiffwand im Inneren
dem neusten Stand der Entwicklung angepasst. Bald folgte der Ausbau der Kapellen
zwischen den Strebebögen. Dadurch wurde das Gebäude breiter, was eine Verlängerung der beiden Querschiffe um je ein Joch nach Norden und nach Süden erforderlich
machte. Gegen 1300 war Notre-Dame dann endgültig fertig gestellt. Mit Notre-Dame
fand der frühgotische Kirchenbau der Ile de France seinen Abschluss und zugleich seine
Vollendung.
Später folgten noch einige Barockisierungsmaßnahmen, die vor Allem im Ostteil des
Bauwerkes das gotische Gesicht verunklärten. In der Revolution nahm Notre-Dame
schweren Schaden. Fast der gesamte Skulpturenschmuck der Westfassade wurde im
Jahr 1793 vernichtet. Dem geplanten Abriss entging das Gebäude durch den Entschluss
Robespierres, die profanierte Kathedrale dem „Höchsten Wesen“ zu weihen. 1802 wieder dem Kult zurückgegeben, war Notre-Dame 1804 Schauplatz der Krönung Napoleons
zum Kaiser. Zu dieser Zeit muss sich das Bauwerk in einem beklagenswerten Zustand
befunden haben. Gegen Mitte des 19. Jh. bestand akute Einsturzgefahr, woraufhin umfangreiche Restaurierungsmaßnahmen stattfanden, die sich über 20 Jahre hinzogen. Die
Schadstoffemissionen der Großstadt ließen das Bauwerk derart verdrecken, dass Komplettreinigungen schon mehrfach nötig wurden.
3.1.3 Barock Ende 16. bis Mitte 18. Jh. - Merkmale und Beispiele
Allgemeine Merkmale: Im Zeitalter des Barock verbanden sich erstmals Architektur,
Plastik, Malerei und Musik in einer neuen, dynamischen Stilform, die stark auf theatralische Effekte ausgerichtet war. So sollte die triumphierende Macht des damaligen Katholizismus betont und seine Botschaft zugleich attraktiver gestaltet werden.
Das hervorstechendste Merkmal eines Barockbauwerkes ist die Raumdynamik, die vor
allem aus dem Spannungsverhältnis von konvex hervor schwingenden und konkav zurückspringenden Wänden erwächst. Der barocke Innenraum wirkt in fast jeder Hinsicht
bewusst auf theatralische Gesamtwirkung angelegt: Die Wirkung des Lichts, das eindrucksvolle Wechselspiel von Hell und Dunkel, die ausgezeichnete Akustik – alles ist
28
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
wohl abgewogen und ausgeglichen. Gleichgültig, wo man gerade steht, immer gewinnt
man in diesen Bauten den Eindruck, alles überblicken zu können.
Die Barockarchitektur nahm ihren Ausgang in Rom und manifestierte sich am eindrücklichsten in Kirchen, Schlössern und wichtigen öffentlichen Gebäuden, die im Großen
Maßstab entworfen wurden. In mancher Hinsicht stellt die Formensprache des Barock
eine Weiterführung der Renaissancearchitektur dar. Beide Stilrichtungen haben zahlreiche Gemeinsamkeiten: Kuppel, Säulen und Pilaster gehören zu den klassischen Architekturdetails, die die Baukunst des Barock von der Renaissance übernimmt. Allerdings
unterscheidet sich der Barock grundsätzlich in der Freiheit, mit der diese Elemente eingesetzt werden – eine Unbekümmertheit, die kein Renaissancebaumeister je zugelassen
hätte.
Abbildung 4:
Invalidendom62
Am Beispiel des Invalidendoms kann man einige dieser typischen Formen erkennen. Er
ist in seiner Formensprache direkt an sein Vorbild, den Petersdom in Rom angelehnt.
Die dynamisch geschwungene, wellenförmige Bewegung der Mauerkörper, das Hauptmerkmal barocker Sakralbauten, kann man hier wunderschön erkennen. Die typischen
Ziergiebel über den Portalen und Fenstern sind hier zwar erkennbar, aber noch vergleichsweise wenig ausgeprägt. Der Invalidendom ist mit den typisch barocken großen
Rechteck- und Rundbogenfenstern versehen.
Zur Geschichte des Invalidendomes: Ludwig VIX rief die Institution „Hôtel des Invalides“
im Jahr 1670 ins Leben. Sie diente der Versorgung der Kriegsinvaliden, daher der Name.
Sie wurde in der Hauptsache durch den Einbehalt eines Teils des Soldes finanziert, was
62
http://www.fak09.uni-muenchen.de/Kunstgeschichte/projekte/arch_complete_vers/40-ren-barockarchitektur/studieneinheiten/lektion_7/VII_5_31.htm, 02.07.2004
29
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
eine frühe Form der Sozialversicherung war. Die Bauarbeiten unter der Leitung des Architekten Libéral Bruant begannen im Jahr 1671. Bereits 5 Jahre später starb der Architekt, woraufhin der durch die nach ihm benannten Mansardendächer bekannte Architekt
Jules Hardouin-Mansart die Bauleitung übernahm. Nach der Fertigstellung des Gebäudes fanden 4000 Veteranen darin Unterkunft.
Der eigentliche Blickfang des Gebäudekomplexes ist der so genannte Invalidendom, der
komplett nach den Plänen von Hardouin-Mansart errichtet wurde. Dieser starb allerdings
schon im Jahr 1708, lange bevor der Bau im Jahr 1735 fertig gestellt war.
Im Inneren des Zentralbaus sind bedeutende Feldherren bestattet. Die Krypta im Zentrum der Anlage wurde im Jahr 1840 nach oben geöffnet, sodass man jetzt vom Umgang
in die Vertiefung schauen kann, in deren Mitte der Porphyrsarkophag mit den sterblichen
Überresten Napoleons steht, die hier 1840 zur letzten Ruhe gebettet wurden.
3.1.3.1 Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte von Versailles
3.1.3.1.1 Entwicklung vor Ludwig XIV
‚Versailles’, dessen Name wahrscheinlich von ‚versare’ (= umgraben) kommt, war ursprünglich der Name eines kleinen Weilers im Tal von Galie. Das Gebiet war sehr dicht
bewaldet und sumpfig. Der spätere Ludwig XIII lernte diese Region durch seinen Vater,
Heinrich IV, kennen, der hier gerne zur Jagd ging. 1623 beschloss er, in Versailles ein
kleines Jagdschloss zu errichten, da er nach der Jagd weder nach Paris zurück reiten,
noch in einem Gasthof übernachten wollte. Dieses Jagdschloss entstand 1623/24 und
hatte ursprünglich eine Grundfläche von 24 x 6 m. Hinzu kamen zwei kleinere Seitenflügel. Das gesamte Grundstück umfasste ca. 30 ha. Schon wenige Jahre später (1631-34)
wurde es erweitert. Die Seitenflügel wurden verlängert und an den vier Ecken des
Schlosses wurden Pavillons angebaut. Die Abbildung 1 zeigt, wie das Schloss nach diesen Umbaumaßnahmen aussah. Durch Grundstückskäufe wurde die Fläche auf insgesamt 80 ha vergrößert (SCHULZ 2002).
Abbildung 5:
63
Versailles zur Zeit Ludwig XIII63
WACHMEIER 1975: S. 128
30
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
3.1.3.1.2 Veränderungen unter Ludwig XIV
Als Ludwig XIII 1643 starb, war Ludwig XIV noch minderjährig und seine Mutter Anna
von Österreich, unterstützt von Kardinal Mazarin, übernahm die Regentschaft. In diese
Zeit fielen bürgerkriegsähnliche Volksaufstände, die u.a. durch die hohen wirtschaftlichen
Belastungen, die durch den Dreißigjährigen Krieg entstanden waren, und den Zentralisierungsprozess der absoluten Monarchie hervorgerufen wurden. Diese ‚Fronde’ (16481653) war sehr prägend für Ludwig XIV. Es gab einige Situationen in denen er fliehen
musste und nur knapp dem Verrat naher Verwandter oder den aufgebrachten Pariser
Bürgern entkam. Als er 1661 die Macht übernahm, reagierte er sofort auf den Autoritätsverlust der Monarchie. Außerdem wollte er Distanz zur unruhigen Hauptstadt Paris und
dessen Parlament und zog sich immer häufiger nach Versailles zurück. Weitere Gründe
für die sukzessive Verlegung des Hofes nach Versailles waren Ludwig XIV Vorliebe für
das Landleben und seine Begeisterung für die Jagd (SCHULZ 2002).
Die Gestaltung der Gartenanlagen wurde zuerst in Angriff genommen. Da Ludwig XIV
schnell nach Versailles umsiedeln wollte, zog er in das alte Schloss und ließ das heutige
Schloss in verschiedenen Bauphasen um das Jagdschloss Ludwig XIII herum bauen.
Dieses alte Schloss bildet heute noch den zentralen Teil von Versailles rund um den
Marmorhof (SCHULZ 2002).
Wie schon erwähnt war das Gelände rund um Versailles sehr sumpfig und v.a. auch hügelig. Um das geplante Schloss mit Garten anzulegen, waren riesige Erdbewegungen
und Entwässerungen nötig. Die Arbeitsbedingungen waren so schlecht, dass rund
20.000 Männer an Fieber erkrankten von denen 6.000 auch starben (CHAMPIGNEULLE
1971).
Für die äußerst prunkvolle Gestaltung Versailles gab es mehrere Gründe. Der Sonnenkönig, der während seiner Regierungszeit zum mächtigsten Herrscher Europas aufstieg,
brauchte eine Residenz, die seinen Ruhm standesgemäß repräsentieren konnte. Außerdem wollte er sich von niemandem übertrumpfen lassen. Nicolas Fouquet, der Oberintendant der Finanzen, der viele Staatsgelder in seine eigenen Taschen fließen ließ, hatte
50 km südlich von Paris ein außergewöhnliches und sehr luxuriöses Schloss errichtet,
Vaux-le-Vicomte. Bei einem Fest für Ludwig XIV war das Geschirr am Tisch des Königs
aus reinem Gold. Da der König jedoch sein eigenes Tafelsilber und andere Dinge kurz
zuvor hatte einschmelzen lassen, um die horrenden Schulden des Dreißigjährigen Kriegs
zu begleichen, war er äußerst erbost über diese schamlose Zurschaustellung des Reichtums. Fouquet wurde folglich verhaftet, der König plünderte sein Schloss und ließ Fouquets Künstler von da an für sich arbeiten. Diese Künstler waren maßgeblich bei der
Gestaltung von Versailles: Le Vau als Architekt, Charles le Brun als Maler und Le Nôtre
als Garten- und Landschaftsarchitekt (FRANZ und STROHM 1995 und SCHULZ 2002).
Wie schon erwähnt, fand der Bau Versailles in mehreren Etappen und zwar in den Friedenszeiten statt. In der ersten Phase wurde das schon existierende Jagdschloss Ludwig
XIII luxuriös ausgestattet. Außerdem wurde an den Gartenanlagen und Wasserspielen
gearbeitet. In der zweiten Phase wurden durch Le Vau und nach dessen Tod durch
Mansard die beiden Flügel, in denen sich die Repräsentationsgemächer von König und
Königin befinden, erbaut. Dabei legte man um die Längsseiten des alten Schlosses einen neuen Gebäudering. Im Erdgeschoss waren die Wohnräume der Thronfolger unter-
31
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
gebracht. Die letzte Phase machte Versailles schließlich zur größten und prächtigsten
Residenz Europas. Es entstanden der Nord- und Südflügel in denen sich weit über 100
Appartements befanden. Der nördliche Flügel diente damals hauptsächlich als Wirtschaftsgebäude, der südliche zur Unterbringung der Leibgarde. Hinzu kamen außerdem
auch noch einige kleinere, unabhängige Gebäude wie z.B. die Stallungen, die Orangerie,
die Kirche von Versailles und das Grand Trianon. Eine Oper war zwar geplant, aber
Ludwig XIV hatte nach seinen vielen, sehr kostspieligen Kriegen keine finanziellen Mittel
dafür zur Verfügung (WACHMEIER 1975).
Abbildung 6:
Grundriss des Schlosses mit Zimmeraufteilung des 1. Obergeschosses64
Das Grand Trianon liegt im Nordosten des Parks (vgl. Abbildung 7). Es entstand ab 1670
nachdem der König zwei Jahre zuvor das Dorf Trianon aufgekauft und dem Erdboden
gleichgemacht hatte. In den ersten Jahren war es ein Trianon de Porcelaine, das mit
blauen und weißen Porzellanfliesen verkleidet war. Diese Fliesen gingen jedoch in den
Wintern kaputt und wurden 1687/88 durch roten Marmor ersetzt. Geplant war das Trianon als privater Rückzugsort für den König, der am Hof selbst immer einem strengen
Protokoll unterworfen war (SCHULZ 2002).
Versailles blieb bis zum Tod Ludwig XIV 1715 eine Baustelle, auf der bis zu 36.000
Menschen gleichzeitig arbeiteten. Die Kosten beliefen sich bis zu diesem Zeitpunkt auf
65 Mio. Livres, die Staatsschulden insgesamt auf 3 Mrd. Livres, was fast den Staatsbankrott bedeutete (SCHULZ 2002).
Versailles spielte eine wichtige Rolle in der Wirtschaftspolitik bzw. für die wirtschaftliche
Entwicklung Frankreichs. Noch unter Ludwig XIII waren Luxusgüter wie Marmor, Spiegel,
Stoffe und Spitzen aus Italien importiert worden. Ludwig XIV wollte so viel Geld wie möglich im eigenen Land belassen und leitete eine Politik des strengen Protektionismus ein.
Er ließ Marmorsteinbrüche in den Pyrenäen wieder öffnen, die seit den Römern außer
Betrieb gewesen waren. Außerdem reorganisierte er die alten königlichen Manufakturen
und zog durch hohe Gehälter und andere Vorteile die besten französischen und ausländischen Techniker und Handwerker an. Somit bewirkte der Bau des Schlosses Versailles
und dessen Ruhm und Vorbildfunktion im 18. Jahrhundert die Verbreitung der französischen Kunst in ganz Europa und den Reichtum, den Frankreich im Laufe dieser Epoche
64
WACHMEIER 1975: S. 132
32
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
erwerben konnte (GAETHGENS 1984). 1682 machte der Sonnenkönig Versailles zum
Regierungszentrum. In den Jahren bis zu seinem Tod besuchte er die Hauptstadt Paris
nur noch 16 mal (SCHULZ 2002).
Schloss und Garten sind als Gesamtkunstwerk zu sehen, bei dem nichts dem Zufall überlassen wurde. Alles hat symbolische Bedeutung. So ist z.B. das Prunkschlafzimmer
des Königs der zentrale Raum des gesamten Schlosses (Zimmer 14 in Abbildung 6).
Außerdem sind die Räume, die auf den ehemaligen Thronsaal, den Apollosalon zuführen
(Apollo ist der griechische Gott des Lichts) nach Planeten bzw. Göttern des Olymp benannt, was nochmals Ludwig XIV Rolle als ‚Zentralgestirn’ hervorheben soll. Als Regierungszentrum hatte Versailles v.a. auch Repräsentationszwecke zu erfüllen und es wurde viel getan, um v.a. ausländische Gäste von dessen Reichtum und Macht zu beeindrucken (FRANZ und STROHM 1995 und SCHULZ 2002).
Schon zur Zeit des Sonnenkönigs war Versailles eine Touristenattraktion. Ein Kutschendienst brachte täglich 6.000 Besucher von Paris zur Residenz des Königs. Generell waren der Garten und das Schloss der Öffentlichkeit frei zugänglich und man konnte dem
König auf seinem allmorgendlichen Gang zur Kirche Bitt- und Dankesbriefe überreichen
(SCHULZ 2002). Es waren täglich ca. 20.000 Personen in Versailles anwesend, inklusive der schon erwähnten ‚Touristen’. Außerdem lebten ca. 1.000 Angehörige des hohen
Adels im Schloss in ca. 188 Wohnungen, ca. 1.000 Adlige kamen täglich zur Visite.
9.000 Bedienstete arbeiteten am Hof, 4.000 davon lebten im Schloss selbst, die anderen
5.000 in Nebengebäuden. Durch dieses System war eine perfekte Bindung des Adels an
den König und damit auch eine perfekte Kontrolle garantiert. Wer nicht anwesend war
sank in der Gunst des Königs und wurde im schlimmsten Fall vom Hof verwiesen. Wer
im Frankreich des Sonnenkönigs etwas erreichen wollte, konnte das nur über Versailles
tun (WACHMEIER 1975 und GAETHGENS 1984).
Die schon angesprochenen Adligen, die am Hof lebten, wohnten in ziemlich einfachen
und unbequemen ‚Wohnungen’. Aufgrund der Raumnot hatte man begonnen, in den Seitenflügeln Zwischenstöcke einzuziehen. Vor der Revolution hatte das Schloss 1.862
Zimmer, von denen 600 nicht einmal heizbar waren. Es wurde immer viel mehr Wert auf
das Aussehen als auf die Bequemlichkeit gelegt (CHAMPIGNEULLE 1971).
Der genau geregelte Tagesablauf des Hofes begann um 8 Uhr mit dem Lever des Königs, bei dem nur auserwählte Personen anwesend sein durften, und endete mit dem
Coucher um 23 Uhr (CHAMPIGNEULLE 1971).
3.1.3.1.3 Entwicklung nach Ludwig XIV
Nach dem Tod Ludwig XIV 1715 stand Versailles sieben Jahre lang leer, da sein Nachfolger und Urenkel, Ludwig XV, noch minderjährig war. Der neue König war ein großer
Liebhaber der Jagd und ließ rund um das Schloss viele Jagdpavillons errichten. Außerdem entstand in seiner Regierungszeit das Kleine Trianon (vgl. Abbildung 7), das als
privater Rückzugsort für ihn und seine Mätresse Madame Pompadour geplant war. Des
Weiteren wurde von ihm die schon lange geplante Oper in Auftrag gegeben. Am Schloss
selbst oder auf dem Gelände entstanden sonst keine neuen Gebäude. Dafür wurden die
Innenräume erheblich verändert und dem Geschmack der Zeit angepasst. Der barocke
Stil des Sonnenkönigs wurde durch das Rokoko ersetzt. Bei diesen Umbauarbeiten wur-
33
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
den auch viele Dinge zerstört. Das berühmteste ist die Escalier des Ambassadeurs, die
zu den Räumen den Königs geführt hatte (SCHULZ 2002).
In seiner Regierungszeit wurden auch keine großen baulichen Maßnahmen unternommen, sondern nur die Inneneinrichtung verändert. Am 6.10.1789 stürmte die aufgebrachte Bevölkerung das Schloss und zwang die königliche Familie, wieder nach Paris ins
Tuilerienschloss zu ziehen. Versailles war seit dem nie wieder bewohnt. In der Folgezeit
wurden Teile des Mobiliars und der Gemälde ins Louvre gebracht, große Teile wurden
aber auch einfach geplündert und in die ganze Welt verkauft. Noch heute ist man damit
beschäftigt, fehlende Gegenstände zurückzukaufen. Während der Revolution war das
Schloss oft in Gefahr, abgerissen zu werden. Die Bürger der Stadt Versailles verhinderten dies, indem sie es umnutzten. Im Schlosspark baute man Obst und Gemüse für die
hungernde Bevölkerung an. 1797 wurden im Schloss schließlich ein naturkundliches
Museum, eine Bibliothek und ein Musikkonservatorium eingerichtet (SCHULZ 2002).
Während seiner vielen Kriegszüge als Erster Konsul Frankreichs nutzte Napoleon Versailles als Lazarett. Erst nach seiner Kaiserkrönung zeigte er Interesse daran, es zu seiner Residenz zu machen. Allerdings waren sowohl der Abriss als auch die Renovierung
zu teuer. Ein Umbau hätte mindestens 50 Mio. Francs gekostet, Napoleon wollte allerdings nicht mehr als 6 Mio. dafür ausgeben und bedauerte am Ende, dass die Revolution
dieses Gebäude verschont hatte. Mit 6 Mio. hätte man das Schloss nicht einmal wieder
bewohnbar machen können. Sein Plan für Versailles wäre, ähnlich wie bei Ludwig XIV,
die Errichtung eines Kunstwerks gewesen, das sein Leben und seine Macht widerspiegelt. Das hätte die Zerstörung des Skulpturenparks und die Errichtung von militärischen
Denkmälern seiner Siege zur Folge gehabt (GAETHGENS 1984).
Beide Herrscher wären gerne wieder in Versailles eingezogen. Dies war aus drei Gründen jedoch nicht möglich. Zum einen war die Zeit der Restauration viel zu kurz, um Pläne für die Restaurierung des Schlosses zu erarbeiten und umzusetzen. Zweitens wäre
diese Restaurierung wie auch schon bei Napoleon viel zu teurer gewesen. Des Weiteren
hätte ein Umzug des Königs nach Versailles, das immer noch das Symbol der absolutistischen Herrscher war, einen Affront für das liberale aber königstreue Bürgertum bedeuten können. Also wurde das Schloss als Notunterkunft für Emigranten genutzt
(GAETHGENS 1984).
Als Ludwig Philipp 1830 an die Macht kam, war das Schloss immer noch unzerstört aber
sein Schicksal war ungewiss. Da es für viele den Absolutismus repräsentierte, war es
immer wieder einmal in Gefahr, abgerissen oder zumindest in eine Landwirtschaftsschule oder ein Lazarett umgewandelt zu werden. Um den Fortbestand Versailles zu sichern,
ließ Ludwig Philipp sich das Schloss vom Parlament übereignen und beschloss, es auf
eigene Kosten in ein Geschichtsmuseum umzugestalten, das er dem Ruhm Frankreichs
widmen wollte. Dabei rettete er zwar das Schloss als Gebäude aber viele der Inneneinrichtungen gingen für immer verloren. Unangetastet blieben nur die königlichen Appartements, die Kapelle, die Oper und die Spiegelgalerie. Gerade bei der Zerstörung der
Prinzenwohnungen im Erdgeschoss wurden viele Werke dekorativer Kunst des 17. und
18. Jahrhunderts zerstört (SCHULZ 2002).
Von 1833-37 war Versailles eine Baustelle. In Süd- und Nordflügel wurden alle kleinen
Räume zerstört, um große Ausstellungssäle zu schaffen. Wichtig war für Ludwig Philipp
die Vollständigkeit der Geschichte, die in seinem Museum ausgestellt werden sollte.
34
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Wahllos wurden alte und kostbare Gemälde neben neue und schnell angefertigte Bilder
gehängt. Entscheidend war allein die chronologische Reihenfolge. Als er 1848 gestürzt
wurde, enthielt das Museum bereits mehr als 3.000 Gemälde und Skulpturen
(GAETHGENS 1984).
Seit 1887 versucht man, die Räume so zu rekonstruieren, wie sie im 17. und 18. Jahrhundert aussahen. Dabei wurde wiederum das Nationalmuseum Ludwig Philipps weitgehend zerstört (GAETHGENS 1984).
Seit den 1950er Jahren finden verstärkt Restaurierungsmaßnahmen statt und Versailles
wurde wieder zu einem wichtigen Touristenmagneten mit ungefähr 7 Mio. Besuchern pro
Jahr (GAETHGENS 1984).
In der deutsch-französischen Geschichte hat Versailles einen besonderen Stellenwert,
da 1871 Wilhelm I im Spiegelsaal zum deutschen Kaiser ausgerufen wurde und 1919 die
Unterzeichnung des Friedensvertrags am selben Ort stattfand (CHAMPIGNEULLE
1971).
3.1.3.1.4 Gartenanlagen
Die Gestaltung der Gartenanlagen wurde, wie schon erwähnt, vor dem Ausbau des
Schlosses in Angriff genommen. Bis zum Tod Ludwig XIV 1715 vergrößerte sich das
Gelände immer wieder. Hatte man 1662 ca. 1.000 ha Grundbesitz so waren es 1715 95
ha Garten, 1.700 ha Park und ca. 6.000 ha Jagdgebiet (SCHULZ 2002).
Das Ziel der Anlage war, die Natur dem menschlichen Willen zu unterwerfen. Ein Beispiel dafür ist die akkurate Achsenbildung, die sich in den Wegen als auch in den gepflanzten Bäumen widerspiegelt. Außerdem sollte der Park genau wie das Schloss die
Pracht und Größe des Herrschers und Frankreichs symbolisieren. „Das Schloss sollte
eingebunden werden in den größten Bezug räumlicher Weite und Unendlichkeit und umgekehrt den Zielpunkt aller aus dieser Weite zusammenlaufenden Bahnen bilden.“
(WACHMEIER 1975: 148).
Der 1.650 m lange und 1.070 m breite Große Kanal (vgl. Abbildung 7) verlängert die Mittelachse des Schlosses. Auf dieser Achse liegen außerdem das Schlafzimmer des Königs und das Apollo Becken mit einer vergoldeten Bronzeskulptur des Lichtgottes. Der
Gartenarchitekt Le Nôtre und Tausende von Arbeitern waren 30 Jahre mit der Gestaltung dieses Parks beschäftigt (FRANZ und STROHM 1995).
Wasser und Wasserspiele hatten in Versailles einen großen Stellenwert. Da Versailles
an keinem Fluss liegt, hatte man immer Probleme damit, dafür genügend Wasser zur
Verfügung zu stellen. Anfangs konnte man die Fontänen nur im Sommer von 10-20 Uhr
in Betrieb nehmen. Bei Wasserknappheit sogar nur dann, wenn der König daran vorbeilief. 1681 gelang Marly eine technische Höchstleistung. Er nutzte den Strömungsdruck
der 100 m tiefer liegenden Seine, um Wasser über 14 Holzräder und verschiedene Kurbelwerke in das Aquädukt von Louveciennes und anschließend nach Versailles zu transportieren (SCHULZ 2002).
Die auf den Sonnenkönig folgenden Herrscher nahmen am Garten kleinere Veränderungen vor bzw. ergänzten einige Gebäude wie z.B. das Petit Trianon. Marie Antoinette ließ
in der Nähe der Trianons außerdem einen zu ihrer Zeit modernen englischen Garten
35
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
anlegen. Im Gegensatz zu den akkuraten und geradlinigen barocken Gärten von Ludwig
XIV versuchte man hier, die Natur und das Landleben nachzuahmen. Sie ließ ein komplettes Dorf (Hameau) mit Molkerei, Wäscherei, einer Mühle etc. nachbauen (SCHULZ
2002).
Abbildung 7:
Schloss und Garten von Versailles mit dem kreuzförmigen Grand Canal65
3.1.3.2 Die Entwicklung der Stadt Versailles
Das Dorf Versailles wurde 1038 zum ersten Mal urkundlich erwähnt und blieb bis zum
Ausbau des Schlosses zum Regierungszentrum klein und unbedeutend. Ab 1682 setzte
jedoch ein rapides Wachstum ein. 1722 hatte es 24.000 Einwohner, 1744 37.000 und
1790 50.000. Nach der Revolution und der Verlagerung bzw. später der Abschaffung des
Königshauses schrumpfte die Stadt auf die Hälfte und verlor an Bedeutung. Erst durch
die o.g. Ereignisse 1871 und 1919 sowie den in den letzten Jahrzehnten wieder verstärkt
65
WACHMEIER 1975: S. 127
36
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
einsetzenden Tourismus gab es in der Stadt wieder einen Aufschwung (www.mairieversailles.fr 26.09.2004).
Die Stadtentwicklung musste sich an die königlichen Verkehrslinien halten. Das waren
drei vom Schloss wegführende Straßen, die nach Paris, Sceaux und Saint-Cloud zu den
anderen königlichen Residenzen wiesen. Diese Straßen existieren noch heute. Auch
bezüglich des Aussehens von Fassaden und Dächern gab es strenge Vorschriften, um
ein einheitliches Bild zu erhalten. Keines der Häuser durfte höher sein als der Steinfußboden des Marmorhofs (entsprach zwei Stockwerken). Symbolisch gesehen bedeutete
dies auch, dass die Stadt dem König immer zu Füßen lag (SCHULZ 2002).
Die heutige Bedeutung der Stadt Versailles liegt v.a. bei den vielen Schulen und Universitäten wie der Ecole Supérieure Agricole, Ecole National Supérieure du Paysage etc.,
die sich hier angesiedelt haben (www.mairie-versailles.fr 26.09.2004).
3.1.4 Klassizismus 18. – Anfang 19. Jh. – Merkmale und Beispiele
Die klassizistische Architektur stellt einerseits eine Gegenreaktion auf die überschwängliche Formensprache des Barock dar.
Andererseits ist sie grundlegend beeinflusst von den antiken griechischen und römischen
Bauwerken, die man bei den archäologischen Ausgrabungen von Herculaneum (1738)
und Pompeji (1748) entdeckt hat. Typisch sind die freistehenden Säulen und Kolonnaden.
Abbildung 8:
Panthéon66
Die Funktion des Bauwerkes: Ursprünglich stand hier die mittelalterliche Kirche der
Stadtpatronin von Paris, der hl. Genoveva. 1744 gelobte Ludwig XV, schwer erkrankt, für
den Fall seiner Genesung den Neubau der Kirche. Die Vorbereitungen waren langwierig
und kompliziert, denn bei den Ausschachtungsarbeiten für die Fundamente stieß man
auf die Gewölbe einer römisch-antiken Ziegelei, sodass erst einmal umfangreiche Konsolidierungsmaßnahmen des Baugrundes erforderlich waren. Die Grundsteinlegung fand
deshalb erst 1764 statt. Wegen finanzieller Engpässe kam es danach wiederholt zu Unterbrechungen, sodass der Architekt Soufflot 1780 über dem unfertigen Projekt hinweg
66
http://de.wikipedia.org/wiki/Bild:Pantheon_paris.jpg; 26. 07. 04
37
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starb. Zwei seiner Schüler brachten den Bau inmitten der Revolutionsunruhen im Jahr
1790 zum Abschluss.
Danach wechselte der Bau seine Bestimmung, je nachdem, welches politische Regime
gerade an der Macht war: 1791 wurde es zur nationalen Ruhmeshalle erklärt, nachdem
man Voltaire hier beigesetzt hatte. Der Bau trug fortan den Namen Panthéon. 1806 bestimmte Napoleon den Bau wieder zur Kirche. 1830 machte der Bürgerkönig LouisPhilippe ihn wieder zur Ruhmeshalle. In der „Dritten Republik“ wurde der Bau wieder zur
Kirche und nach der Beisetzung Victor Hugos im Jahr 1885 wurde der Bau wieder zur
Ruhmeshalle mit dem Namen Panthéon. Dabei blieb es bis heute.
Geschichtlicher Hintergrund: Die Kirche St. Geneviève, das spätere Panthéon spielt, wie
auch andere Großprojekte dieser Zeit (Place Louis XV oder die Ecole Militaire) eine
Schlüsselrolle in der Politik der königlichen Bauverwaltung nach 1750: Einerseits soll sie
die Sorge des Königs um die französische Kirche dokumentieren und andererseits seinen Anspruch als ´premier fils de l´eglise´ und von Gott eingesetzten Herrscher unterstreichen. Mit dem Patronat St. Genevièves, deren Reliquien in der Vierung ausgestellt werden sollen, wird nicht nur die Pariser Stadtpatronin, sondern auch eine nationale
Symbolfigur ausgewählt.
Was hebt den Bau von Sainte-Geneviève vor den übrigen königlichen Projekten hervor?
Schon die Architektenauswahl ist außergewöhnlich. Ludwig XV beauftragt nicht etwa
seinen „premier architekt“ Ange-Jacques Gabriel, auch nicht einen der in Paris etablierten Architekten, sondern Ludwig XV beauftragte Jacques Germain Soufflot, der sich vor
Allem in Lyon einen Namen gemacht hat mit dem prestigereichen Auftrag. Soufflot ist
bekannt dafür, dass er dem französischen Kirchenbau durch neuartige stilistische Gestaltung frische Impulse geben kann.
Baubeschreibung: Sainte-Geneviève ist ein über einem griechischen Kreuz errichtetes
Gebäude, dessen östlicher Kreuzarm um den Hochchor sowie zwei seitliche Türme, deren obere Stockwerke 1793 wieder abgetragen wurden, und dessen westlicher Kreuzarm
um ein Joch und die Kolonnade des Eingangsbereichs erweitert ist. Es ergibt sich hierdurch eine Länge von 110m und eine Breite von nur 84m. In der zentral gelegenen,
quadratischen Vierung erhebt sich über dreieckigen Vierungsmassiven und einer Pendentivzone mit weiteren Vierungsbögen der von Säulen und Fenstern gegliederte Tambour, über dem sich eine dreifache Kuppel mit Laterne wölbt (83m hoch). Durch die besondere Konstruktion der Dreischaligkeit ist die Kuppelkalotte im Inneren abgeflacht, wie
auch im Invalidendom.
Dem Physiker Foucault gelang im Jahr 1849 mit dem nach ihm benannten Pendel, einer
28 kg schweren Messingkugel, die an einem 67 m langen Drahtseil unter der Kuppel
aufgehängt war, der empirische Nachweis der Erdrotation. Die Ausmalungen stammen
aus dem 19. Jh. und zeigen u. a. Szenen aus dem Leben der hl. Genoveva (von Puvis
de Chavannes) sowie zahlreiche Begebenheiten aus der französischen Geschichte. In
der Krypta, der Unterkirche sind die großen Söhne Frankreichs seit 1791 bestattet. Die
Krypta fällt hier im Panthéon besonders groß aus, fast der gesamte Bau ist unterkellert.
Die Baugeschichte des Louvre ist eine außerordentlich vielfältige. Der erste Louvre war
eine Festung, die von König Philipp II. Anfang des 13. Jahrhunderts zur Sicherung der
westlichen Flusseinfahrt ins Stadtgebiet errichtet wurde. Diese Festung lag damals noch
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außerhalb der Stadtmauern. Es handelte sich hierbei um eine Burg mit einer quadratischen Festungsmauer und einem runden Bergfried. Im Inneren des heutigen Louvre
kann man die freigelegten Fundamente dieser alten Wehranlage besichtigen, die bis ins
14. Jh. hinein als Schatzkammer der Krone diente. Die Könige residierten bis dahin auf
der Ile de la Cité. Eine Revolte veranlasste den damals regierenden Karl V. diese zu verlassen und den Louvre fortan als Wohnstatt zu beziehen. Von dort aus konnte er sich
besser gegen die Revoltierenden verteidigen. Zu diesem Zeitpunkt wurde eine neue
Stadtmauer errichtet, in die der Louvre einbezogen wurde.
Der mittelalterliche Louvre stand bis ins Jahr 1546, Franz I. ließ ihn abreißen, da er an
seine Stelle ein Renaissanceschloss errichten wollte. Nachdem der Herrscher allerdings
schon im Jahr darauf das Zeitliche segnete, blieben die Pläne nur zu einem geringen Teil
realisiert. Die Folge war, dass der Louvre sehr lange eine Baustelle blieb. Erst Heinrich
II. ließ den von Franz I. begonnenen Bauabschnitt vollenden, wodurch uns ein in Paris
seltenes Beispiel der fast nur in Italien verbreiteten Renaissancebaukunst erhalten ist.
Die Witwe Heinrich II., Katharina von Medici baute, westlich abgesetzt vom Louvre, das
Tuillerienschloss.
Abbildung 9:
Louvre67
Der erste Bourbonenkönig Heinrich IV. ließ dieses mit dem Cour Carreé, dem Hauptgebäude, verbinden. Dieser Verbindungstrakt misst 460 m und verleiht dem Bau mit seiner
barocken Fassade ein äußerst feudalen Charakter.
Ludwig XIV. gab dem Cour Carreé mit den so genannten Louvre-Kolonnaden die abschließende Gestalt. Sie bilden die der Stadt zugewandten Seite. Die Umsiedelung des
Hofes nach Versailles zog ein längeres erliegen der Bauarbeiten am Louvre nach sich.
Im zum Teil offen gelassenen Louvre quartierten sich Künstler ein.
Während der Revolution wurde der Louvre zum Museum erklärt und unter Napoleon I.
wurden die Bauarbeiten am inzwischen stark heruntergekommenen Louvre wieder auf-
67
PETERS 1992: 53.
39
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genommen. Die Cour Carreé wurde vollendet. Gegenüber des Verbindungstraktes zwischen der Cour Carreé und dem Tuillerienschloss von Heinrich IV. wurde unter Napoleon III. das spiegelbildliche Gegenstück vollendet.
Der Louvre war über die Jahrhunderte immer eine Baustelle, an der die jeweiligen Herrscher weiter gebaut, abgerissen oder Änderungen vorgenommen haben. Der Louvre ist
also ein Sammelsurium von Baustilen, aus denen man die verschiedenen Phasen der
Entwicklung ablesen kann. Der Bau ist also kein Gebäude, das zu einer bestimmten Zeit
einmal errichtet wurde und nun als Zeitzeuge, als Denkmal genau so erhalten werden
soll, sondern es ist ein Funktionsbau, dessen Funktion sich im Laufe der Geschichte viele Male verändert hat und den Bedürfnissen angepasst wurde und somit seine eigene
Geschichte „erzählen“ kann.
Francois Mitterrand knüpfte an diese Tradition vor ca. 20 Jahren an und erklärt den Umbau des Louvre zum „Grand Louvre“ zu einem seiner „Grand Projets“. Im Zuge des Umbaus von dem amerikanischen Architekten chinesischer Abstammung Ieoh Ming Pei
wurden unter dem Cour Carreé 66700 m² neue Nutzfläche geschaffen. Die „Spitze des
Eisberges“ bildet die umstrittene Glaspyramide, die für viele einen Stilbruch bedeutet.
Man könnte sie allerdings auch einfach als ein weiteres hinzugefügtes Stilelement des so
viele Baustile widerspiegelnden Louvre. Der Louvre ist also bauhistorisch ein Nebenund Miteinander von Renaissance, Barock, Klassizismus, Historismus und Moderne.
3.1.5 Fazit
Anhand der vorgestellten repräsentativen Bauwerke wurden bei der Exkursion die wichtigsten Stilelemente verschiedener Epochen erklärt und in Verbindung mit den geschichtlichen Hintergründen gebracht. Die Studierenden sollten nachher in der Lage sein, anhand von typischen Stilelementen das jeweils betrachtete Bauwerk epochal richtig einzuordnen um so die städtebaulichen Entwicklungen besser nachvollziehen zu können.
Das Schloss Versailles ist wohl eines der eindrucksvolleren Beispiele für die Größe
Frankreichs im 17. und 18. Jahrhundert. Zugleich ist es das Symbol für den Zentralismus, der sich auch heute noch in vielen Strukturen Frankreichs wieder finden lässt. Es
verdeutlicht, wie ein absolutistischer Herrscher seine Visionen durchsetzte und erzwang,
obwohl die Standortbedingungen nicht optimal waren. Sein Wunsch alles zu kontrollieren
und zu beherrschen lässt sich sowohl an der Bindung des Adels an den Königshof, an
den geometrischen Gartenanlagen als auch an der von ihm festgelegten Struktur der
Stadt Versailles erkennen.
3.2 Städtebauliches Erbe
Der folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Gründung und der historischen Entwicklung der Stadt Paris. Besonders hervorgehoben wird hierbei die Ile de la Cité, auf der die
erste keltische Siedlung gegründet wurde und die somit das älteste Viertel der Stadt ist.
Da die Ausdehnung von Paris danach vor allem in südlicher Richtung erfolgte, wird danach das Quartier Latin und dessen Entwicklung betrachtet. Auf Baron Haussmann und
seine Eingriffe in das städtebauliche Bild der Stadt wird im nächsten Abschnitt eingegangen. Nach einer allgemeinen Beschreibung seiner Maßnahmen zur Stadtgestaltung wird
die Avenue de l’Opéra als konkretes Beispiel einer typischen Haussmannschen Straße
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gezeigt. Der 1889 zur Weltausstellung errichtete Eiffelturm ist eines der bekanntesten
Wahrzeichen von Paris und ein imposantes Bauwerk innerhalb des Stadtbildes.
3.2.1 Geschichte der Stadt
Die Stadt Paris wurde ungefähr im Jahr 300 vor Christus auf der Ile de la Cité durch ein
keltisches Fischervolk, den Parisi, gegründet. Die damalige Siedlung trug den Namen
Lutèce. Durch die Lage auf der Insel inmitten der Seine war die Siedlung vor Angriffen
von anderen Stämmen geschützt. Außerdem war die Lage der Siedlung in Bezug auf
den damaligen Verkehr günstig, denn einerseits diente die Seine als Wasserweg für den
Schifffahrtsverkehr, andererseits verlief eine von Süden nach Norden führende Handelsstraße über die Ile de la Cité. Diese Handelsstraße führte über die Insel, da die Menschen zu dieser Zeit die Brücken aus bautechnischen Gründen an den schmalsten Stellen des Flusses anlegen mussten. Ein weiterer Grund für die Wahl dieses Siedlungsplatzes war auch die Tatsache, dass es sich bei der Insel mit ihren fruchtbaren Böden um
einen landwirtschaftlichen Gunstraum handelte.
Nachdem die keltische Siedlung ungefähr 50 Jahre vor Christus durch die Römer erobert
wurde, dehnte sich das Siedlungsgebiet zuerst hauptsächlich nach Süden aus, da es
sich beim nördlichen Ufer um Sumpfgebiet handelte. Das nördliche Ufer wurde erst im
13. Jahrhundert trockengelegt und bebaut.
Schon etwa im Jahr 250 nach Christus wurde die gallorömische Stadt durch eine erste
Ummauerung geschützt. Das Gebiet, das diese Mauer umschloss, entsprach der Ile de
la Cité (vgl. Abbildung 10). Um das Jahr 1200 wurde die Stadt von Philippe II. Auguste
befestigt. Da das Siedeln außerhalb der Stadtmauern verboten war, dienten diese als
Bebauungsgrenzen. Innerhalb der Mauern entstand infolgedessen ein sehr dicht bebautes Gebiet mit schmalen und unübersichtlichen Gassen, von denen sich nur die alten
Römerstraßen mit ihrem geradlinigen Verlauf abhoben. Das starke Wachstum der Bevölkerung und die zunehmende Enge in der Stadt führten dazu, dass sogar die SeineBrücken mit mehrstöckigen Gebäuden bebaut wurden. Die oberen Stockwerke dieser
Gebäude wurden bewohnt, während sich im Erdgeschoss Geschäfte wie Händler oder
Geldwechsler befanden, die vom Verkehr auf den Brücken profitierten.
Im 13. Jahrhundert wuchs die Bevölkerung vor allem am nördlichen Seine-Ufer stark an,
so dass unter Charles V. im Jahr 1370 an diesem Ufer ein neuer Mauerring angelegt
werden musste. Um die Kontrolle der Zollgeschäfte zu erleichtern, wurde im Jahr 1785
eine Mauer errichtet, die dem Verlauf des heutigen zweiten Boulevardrings folgt. Im Zuge dieses Mauerbaus wurde das Stadtgebiet von 1104 Hektar auf 3370 Hektar erweitert.
Diese Mauer stand allerdings nur sechs Jahre: sie wurde schon im Jahr 1791 abgerissen, da die Zolleinrichtungen durch die Revolution überflüssig geworden waren.
41
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Abbildung 10: Die verschiedenen Stadtmauern von Paris68.
Schon früh bildete sich eine Dreiteilung der Stadt heraus: Südlich der Seine befand sich
die Université, auf der Ile de la Cité lag das geistige und religiöse Zentrum, die so genannte Cité, und nördlich der Seine entstand die Bürgerstadt, die so genannte Ville, die
das Geschäftszentrum der Stadt bildete. Diese Dreiteilung von Paris ist auch auf heutigen Karten der Stadt noch erkennbar. Die verschiedenen Viertel haben ihren Charakter
und ihre Funktion zu einem guten Teil bis heute beibehalten.
3.2.1.1 Ausgewählte Einzelthemen / -standorte
Ebenso wie die auf die Stadt lässt sich eine solche Einteilung in drei Teile, wie sie im
vorigen Abschnitt getroffen wurde, auch auf die Ile de la Cité anwenden: Zum einen befand sich mit dem Sitz des Bischofs das Zentrum religiöser Macht auf der Insel. Zum anderen war in der Königsburg, dem heutigen Justizpalast, der Sitz des Königs, bis dieser
in den Louvre und später nach Versailles zog. Daneben stellt das Hôtel de Dieu eine
bedeutende Bildungs- und Sozialeinrichtung dar. Man sieht daran die herausragende
Bedeutung, welche die Ile de la Cité früher für Paris hatte. Die zentrale Funktion der Insel blieb bis in die heutige Zeit erhalten: Sie ist durch den Justizpalast, in dem sich die
Polizeipräfektur befindet, bis heute als Ort staatlicher Macht erkennbar.
68
JORDAN 1996: S. 41
42
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Zu der Zeit des Zweiten Kaiserreiches hatte Paris mit zahlreichen hygienischen Problemen wie Krankheiten, Seuchen und die Beseitigung der Abwässer zu kämpfen, die vor
allem durch die enormen Bevölkerungszahlen in der Stadt verursacht wurden: im Jahr
1870 betrug die Zahl der in Paris lebenden Menschen 1,8 Millionen (SPECKTER 1964:
77). Kaiser Napoléon III. wollte diese Probleme beheben lassen. Deshalb setzte er Baron Georges-Eugène Haussmann als Seinepräfekt ein und übertrug ihm die Aufgabe,
diese Probleme zu beseitigen.
Im Jahr 1867 ließ Haussmann fast alle Gebäude auf der Insel abreißen, da auf der sehr
dicht bebauten Insel mit ihren hohen Bevölkerungszahlen, den engen, verwinkelten Gassen und den überbevölkerten, unhygienischen Blöcke immer wieder Seuchen ausbrachen. Dabei gestaltete Haussmann das Erscheinungsbild der Insel gänzlich neu. Die
Straßen auf der Ile de la Cité wurden verbreitert und regelmäßige Blöcke angelegt (vgl.
Abbildung 11).
Abbildung 11: Der Ostteil der Ile de la Cité vor und nach der Umgestaltung im Jahr 186769
Daneben schuf Baron Haussmann eine moderne Kanalisation, was das wohl wichtigste
Projekt bei der Stadtumgestaltung von Haussmann war, da es zu dieser Zeit große Probleme mit der Abwasserentsorgung in Paris gab. Vorher wurden die Abwässer in einem
Hauptsammler gesammelt, nun wurde ein neuartiges unterirdisches, dichtes Netz von
Kanälen geschaffen. Diese neue Kanalisation konnte die große Menge an Abwässern
verkraften.
Bei den Gebäuden, die Haussmann auf der Ile de la Cité verschonte oder die er neu errichten ließ, handelte es sich hauptsächlich um öffentliche Gebäude wie dem Justizpalast oder dem Hôtel de Dieu, einem Krankenhaus. Infolgedessen mussten im Zuge der
Abrissmaßnahmen von Haussmann zwei Drittel der 35 000 Menschen, die bis dahin auf
der Insel lebten, diese verlassen. Die einzigen Wohnhäuser, die sich noch auf der Insel
69
SPECKTER 1964: S. 71
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befanden, standen am Place Dauphine und in dem Viertel, das nördlich von der Kathedrale Notre-Dame liegt. Bei diesem Viertel handelt es sich um das älteste Viertel von Paris, was an den verwinkelten Gassen und an den dicht zusammenstehenden, kleinen
Häusern erkennen lässt. Das Bild dieses Viertels unterscheidet sich damit deutlich von
der übrigen Insel und lässt erahnen, wie die Insel vor den Eingriffen Haussmanns aussah.
Neben der Schaffung einer sauberen und mäßig dichten Bebauung auf der Ile de la Cité
wollte Haussmann auch die historischen Gebäude wie die Kathedrale Notre-Dame hervorheben. Indem er den Platz vor der Kathedrale, den so genannten Paris, vergrößern
ließ, wollte Haussmann die Notre-Dame besser zur Geltung bringen, so dass sie auf Besucher einen stärkeren Eindruck hinterlassen sollte.
Bei der Place Dauphine handelt es sich um einen der ersten planmäßig angelegten Plätze in Paris. Diesen Platz ließ Heinrich IV zusammen mit der Pont Neuf in den Jahren
1578 bis 1604 anlegen. Der Platz wurde entsprechend der Topographie an der Westspitze der Ile de la Cité dreieckig angelegt und einheitlich bebaut, was bedeutet, dass die
Häuser neben gleichen Geschoss- und Gebäudehöhen auch eine einheitliche Gestaltung der Fassaden aufwies. Von diesen Gebäuden sind heute nur noch die beiden Eckhäuser am Durchgang des Platzes zur Pont Neuf erhalten. Durch den Platz, der seinen
Namen zu Ehren des lang ersehnten Thronfolgers erhielt, sollten Freiflächen und bessere Wohnlagen geschaffen werden. Außerdem konnte Heinrich IV seine königliche Macht
demonstrieren, da er durch den Platz zeigte, dass er sich Freiflächen in der dicht bevölkerten Stadt leisten konnte. Des weiteren wurde der Platz neben der Nutzung als Marktplatz auch als öffentlicher städtischer Raum genutzt, in dem die Kommunikation zwischen dem König und seinen Untertanen sowie zwischen den Bürgern untereinander
stattfinden konnte.
Die Pont Neuf ist die älteste heute existierende Seine-Brücke. Zur Zeit ihrer Erbauung
allerdings war sie, wie der Name schon sagt, eine Neuheit: es war die erste Brücke, bei
der die für Paris typische Bebauung aufgegeben wurde, weil der König die Sichtverhältnisse nicht zerstören wollte, sondern einen Blick von seinem Königspalast auf der Ile de
la Cité auf den Louvre haben wollte. Dies zeigt den Einfluss, den der König auf den Städtebau in dieser Zeit hatte. Eine weitere Neuerung waren die Trottoirs, also die steinernen
Gehsteige, die erstmals in Paris auf der Pont Neuf angelegt wurden und die den Fußgängern einen sicheren und sauberen Übergang über die Seine boten.
Südlich der Ile de la Cité erstreckt sich das Quartier Latin. Nachdem die Römer die keltische Siedlung Lutèce im Jahr 50 vor Christus eroberten, siedelten sie sich vor allem südlich der Insel an, da die hügeligen Bereiche im Süden nicht so sehr von Überschwemmungen gefährdet waren. Es entstand die Stadt Lutetia mit Thermen, Tempeln und gepflasterten geradlinigen Straßen, deren Verlauf heute noch im Boulevard St. Michel zu
erkennen ist. Der Boulevard verläuft geradlinig in Nord-Süd-Richtung, während die Viertel, die an ihn angrenzen, sehr eng und verwinkelt sind. Außer diesem Erbe der Römer
im Städtebau von Paris sind kaum noch Bauwerke aus dieser Zeit erhalten. Eines davon
sind die Ruinen römischer Thermen im Hôtel de Cluny. Man kann hier noch das Tepidarium, also das lauwarme Bad, und das Caldarium, das heiße Bad, von außen sehen.
Das kalte Bad, das so genannte Frigidarium ist in den Gebäudekomplex mit einbezogen.
Abgesehen vom Amphitheater ist diese Therme die einzige römische Ruine in Paris.
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Obwohl sich das Quartier Latin auf altem römischem Siedlungsgebiet befindet, hat der
Name Quartier Latin nichts mit dieser Tatsache zu tun. Er geht vielmehr darauf zurück,
dass sich hier im 12. Jahrhundert die Universität ansiedelte. Da an ihr Studenten aus
ganz Europa studierten, war die Unterrichtssprache und zugleich die gemeinsame Sprache der Studenten Latein, weswegen das Viertel den Namen Quartier Latin bekam.
Die erste Schule in Paris befand sich auf der Ile de la Cité neben der Kathedrale NotreDame. Wegen des schnellen Wachstums der Schule und um der Bevormundung durch
den Bischof zu entgehen, entschied sich einer der Lehrer, die Schule an das südliche
Ufer zu verlegen. Diese Entscheidung aus dem 12. Jahrhundert hatte Auswirkungen bis
in die Gegenwart, denn noch heute ist das Südufer der Sitz der geistigen Macht in Paris.
Nach der Gründung der Sorbonne im Jahr 1253 als erste Universität Frankreichs war
diese an zahlreichen politischen und religiösen Kämpfen in ganz Frankreich beteiligt.
Heute befinden sich nur noch die geisteswissenschaftlichen Fakultäten im Quartier Latin.
Die anderen Fachbereiche wurden auf neu gegründete Hochschulen im suburbanen Umfeld verteilt.
Dass es sich beim Quartier Latin um ein Viertel handelte und auch heute noch handelt,
in dem viele Intellektuelle leben, kann man zu Einen an den zahlreichen Universitätsund Schulgebäuden erkennen. Ein weiteres Indiz dafür sind auch die Buchläden und
Druckereien, die hier zahlreich vorhanden sind. Bei den engen, verwinkelten Gassen, die
sich um den Boulevard St. Michel erstrecken, handelt es sich vermutlich um die relativ
preiswerten Wohngebiete für die Studenten der Universität. Anhand des Quartier Latin
kann man gut erkennen, wie sich Strukturen aus der Vergangenheit im städtebaulichen
Bild von Paris gehalten haben. So ist neben dem Verlauf des Boulevard St. Michel, der
einer alten römischen Handelsstraße folgt, auch der Sitz der Universität bis heute unverändert.
Neben den oben erwähnten Problemen im hygienischen Bereich stellte zur Zeit des
Zweiten Kaiserreiches vor allem der zunehmende Verkehr im Altstadtzentrum ein großes
Problem dar. Auch in diesem Bereich übertrug Napoléon III die Lösung der bestehenden
Probleme an Georges-Eugène Haussmann.
Seit dem Mittelalter wurde das Zentrum der Stadt vom so genannten großen Kreuz beherrscht, eine Folge sich kreuzender Straßenzüge in Nord-Süd- beziehungsweise OstWest-Richtung. Es fehlte im Stadtinneren vor allem an breiten Durchgangs- und Verbindungsstraßen. Infolgedessen musste Haussmann ein neues Verkehrsnetz schaffen, wobei er einen klaren Zusammenhang entstehen ließ.
Eine Maßnahme zur Veränderung des Verkehrssystems war die Verbindung der Bahnhöfe, die am äußersten Rand der Stadt gelegen waren. Es handelt sich bei diesen
Bahnhöfen um mehrere Kopfbahnhöfe, die weder über eine Verbindung zueinander noch
über eine geeignete Straßenfortführung zum Zentrum hin verfügten. Haussmann ließ
eine Ringbahn bauen, die die Bahnhöfe miteinander verband. Von den Bahnhöfen ausgehend ließ er breite Straßen zur Innenstadt anlegen, auf denen die Waren problemlos
von den Bahnhöfen zum Zentrum transportiert werden konnten.
Auch das Straßennetz wurde von Haussmann völlig neu geschaffen. Das Zentrum dieses neuen Straßensystems bildete ein Kreuz zweier Straßenzüge in Nord-Süd- und OstWest-Richtung. Durch den Place de la Concorde und den Place de la Bastille, einer der
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von Haussmann entsprechend der alten Pariser Tradition gestalteten Sternplätzen, legte
sich ein Ring von Straßen um die Innenstadt. Parallel zu diesem kleinen Ring befanden
sich ein mittlerer Ring durch den Place de l'Etoile und ein äußerer Ring. Diese drei Boulevardringe sollten den Verkehr um das Zentrum von Paris herum leiten. Alle drei Ringe
waren durch zahlreiche Verbindungsstraßen verbunden, so dass möglichst kurze Wege
entstanden (vgl. Abbildung 12).
Bei der Neugestaltung des Straßennetzes ließ Haussmann wie schon erwähnt zahlreiche Sternplätze anlegen, auf denen die Straßen zusammentreffen. Beispiele für solche
Haussmannschen Sternplätze sind der Place de la Bastille, der Place de la Nation oder
der Place Charles de Gaulles, ehemals Place de l'Etoile, bei welchem Haussmann die
Anzahl der auf den Platz zuführenden Straßen von fünf bestehenden auf zwölf Straßen
erweitern ließ. Die Sternplätze hatten die Funktion, den Verkehr in die angrenzenden
Viertel zu verteilen.
Abbildung 12: Hauptstraßenschema des Haussmann-Planes70
Haussmann legte dabei die neuen Straßendurchbrüche zum Teil parallel zu den alten
Straßen an, um die älteren Straßen und Stadtteile und damit auch das alte Stadtbild zu
erhalten. Bei anderen Projekten trieb Haussmann die Straßen direkt durch bestehende
Wohnviertel. Ein Beispiel für ein solches Projekt war der Durchbruch der Avenue de l'Opéra in Abbildung 4. Mit dem Bau dieser Straße wurde im Jahr 1854 begonnen, wobei an
beiden Enden der Avenue de l'Opéra gleichzeitig mit dm Bau begonnen wurde. Der Bau
der gesamten Straße dauerte nur 24 Jahre und wurde somit im Jahr 1878 beendet. Anhand der Avenue de l'Opéra kann man besonders gut sehen, wie rücksichtslos die Straße durch die bestehende Bebauung getrieben wurde (vgl. Abbildung 13).
70
SPECKTER 1964: S. 63
46
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 13: Durchbruch der Avenue de l'Opéra71
Wie man in Abbildung 4 erkennen kann, ist die Struktur der vorher bestehenden Bereiche mit den engen, verwinkelten und dicht bebauten Straßen weitgehend erhalten
geblieben, während sich die Avenue de l'Opéra deutlich von diesem Bild abhebt. Außerdem zeigt die Abbildung recht deutlich, wie viele Gebäude durch die Baumaßnahmen
Haussmanns zerstört wurden. Die Menschen, die in diesen Gebäuden lebten, mussten
in die Außenbezirke von Paris umziehen.
Eine Besonderheit war für die damalige Zeit die enorme Breite der Straßen von 20 Meter
und mehr. Durch die Breite sorgten die Straßen für genügend Licht und Luft in der Stadt.
Die breiten Straßen wurden aber auch aufgrund von strategischen Aspekten angelegt:
Da es in dieser Zeit vor allem im Osten der Stadt häufig zu Unruhen kam, konnten die
Truppen des Kaisers das Volk wegen der breiten Straßen besser beobachten und bei
Bedarf schneller eingreifen. Außerdem sollten die Viertel durch den Einschnitt, den die
breiten Straßen bildeten, räumlich etwas voneinander getrennt werden, so dass die Gefahr von Aufständen und Unruhen reduziert werden sollte.
Durch die breiten Straßen, die Haussmann anlegen ließ, war Paris im Vergleich zu anderen Großstädten besser in der Lage, das enorme Verkehrsaufkommen des 20. Jahrhunderts zu bewältigen, da der Verkehr auch in der Innenstadt ungehindert und mehrspurig
fließen konnte. Zum Beispiel ist die Avenue de l'Opéra seit der Zeit ihrer Erbauung zu
einer der verkehrsreichsten Straßen in ganz Paris geworden.
Bei der Schaffung der Straßenzüge legte Haussmann entsprechend der Tradition in Paris sehr großen Wert auf die einheitliche Gestaltung der Fassaden. Das typische Haus
dieser Zeit war fünf oder sechs Stockwerke hoch und wurde aus dem einheimischen
Sandstein errichtet. Durch den Verzicht auf Erker, Terrassen und Vorgärten wurde der
Eindruck der Einheitlichkeit der Straßenzüge noch verstärkt. Ganze Viertel sind in Paris
von dieser Haussmannschen Bebauung geprägt. Auch in der Avenue de l'Opéra herrscht
diese einheitliche Bebauung vor, wobei allerdings durch zahlreiche neue Gebäude die
Wirkung zerstört wurde.
71
SCHÜLE 1997: S. 31
47
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Insgesamt ließ Haussmann in den Jahren von 1853 bis 1870 in Paris 19.722 Häuser
abreißen, während er 43.777 Gebäude umbauen oder neu bauen ließ (JORDAN: 311.
Sein Einfluss auf den Städtebau in der Stadt Paris ist nicht zu übersehen. Nur durch die
breiten Straßen, die Haussmann durch das Zentrum von Paris trieb, konnte die Stadt
den zukünftigen starken Verkehr problemlos bewältigen.
Die so genannte Königsachse verläuft in Ost-West-Richtung über die Rue de Rivoli, den
Place de la Concorde und die Champs-Elysées. Im folgenden Abschnitt wird die Geschichte und Entwicklung der Königsachse beschrieben.
Die Champs-Elysées, eine der verkehrsreichsten Straßen von Paris, ist Teil der wichtigsten West-Ost-Verbindung von Paris und gleichzeitig Teil der berühmten Königsachse.
Sie reicht von der Place Charles de Gaulle bis zur Place de la Concorde und ist mit fast
zwei Kilometer Länge und 70 Meter Breite das wichtigste Teilstück der Achse vom Pont
de Neuilly im Westen bis zur Place de la Nation im Osten. Es war ein langer Weg von
den Anfängen des 17. Jahrhunderts bis zum heutigen Bild einer Prachtstraße, die vom
etwas erhöhten Place Charles de Gaulle sich mit einer großartigen Perspektive als ein
Ort großer Geschäftigkeit und des Luxus darstellt.
Der erste Ansatz, die Stadt ab den Tuileriengärten nach Westen zu öffnen, war die Anlage des Cours-la-Reine 1616 durch die Witwe Henri IV, Maria von Medici. Dieser führte,
als Reitweg geplant, von der Süd-West-Ecke der heutigen Place de la Concorde parallel
zu Seine bis zum heutigen Place de l’Alma. Ludwig XIV plante, von Paris her eine neue
Straße nach Westen zum Château Saint-Germain-en-Laye, seinem Geburtsort, und
wählte unter mehreren Vorschlägen Le Nôtres eine direkte Verbindung von den Tuilerien
über den Hügel von Chaillot (heute Place Charles de Gaulle) nach Westen.
Der erste Abschnitt wurde etwa 1667 mit dem Grand-Cours begonnen, die Straße wurde
mit Bäumen bepflanzt und reichte bis zum heutigen Rond-Point. Erst durch den Bau einer Steinbrücke im Jahre 1710 über einen Abwasserkanal nahe der heutigen Rue Marbeuf konnte die Straße bis zur heutigen Place Charles de Gaulle weitergebaut werden
(1724). Ludwig XIV, gestorben 1715, erlebte dies nicht mehr. Wiederum erst 50 Jahre
später wurde die Seine bei dem Pont de Neuilly (1772) erreicht und die Kuppe des Hügels von Chaillot um fünf Meter eingeebnet. Der 1763 fertig gestellte Place de la Concorde stellte dann erst die Verbindung zur Stadt Paris her, die1794 mit der Aufstellung
der Chevaux de Marly ihren Abschluss fand.
Die Champs-Élysées blieben bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine von der Bevölkerung wenig angenommene Straße, trotz einer gewissen Belebung, die sie mit dem
Bau von einzelnen Herrenhäusern mit schönen Gärten vom Faubourg-Saint-Germain
her, erfuhr.
Der eigentliche Ausbau zur Prachtstraße und zur wohl berühmtesten Straße Europas
erfolgte erst 1828, als sie in das Eigentum der Stadt unter Auflagen zu ihrer Verschönerung (embellissements) überging. Es wurden Bürgersteige gebaut, asphaltierte Parallelstraßen (contre-allées) angelegt, 1200 Gas-Kandelaber installiert und entlang der Straße
Restaurants, Konzert- und Theatersäle, Brunnen und sonstige öffentliche Einrichtungen
erstellt und die Champs-Élysées gewannen bald das Interesse der reichen Gesellschaftsschichten. Einen weiteren Auftrieb brachten die Pferderennen von Longchamps
und die zwischen 1844 und 1900 durchgeführten verschiedenen Weltausstellungen. Im
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Zuge der letzten Weltausstellung entstanden der Grand-Palais (Kunstausstellungen,
Messen), der Petit-Palais (Ausstellung des städtischen Kunstbesitzes) und der Palais de
la Découverte, denen der erst zu Beginn der Mitte des 19. Jahrhunderts erstellte Palais
de l’Industrie weichen musste.
Höhepunkt der Entwicklung der Champs-Élysées war aber die Fertigstellung des 1806
von Napoleon begonnenen Baus des Arc de Triomphe im Jahre 1836 und der Ausbau
des Place de l’Etoile (Place Charles de Gaulle) mit dem Bau von sieben weiteren prächtigen Avenuen durch Haussmann, die strahlenförmig in die Stadt hineinreichen.
Im 19. und 20. Jahrhundert waren die Champs-Elysées Zentrum des Tourismus, teure
Flaniermeile, Standort großer Hotels und Sitz bedeutender Handels- und Industrieunternehmen. In den 1970er und 1980er Jahren des letzten Jahrhunderts erfolgte ein gewisser Niedergang, eine „Boulevardisation und Banlieusardisation“ (WICKERT 2004: 48),
mit der Abwanderung vieler namhafter Unternehmen in die umliegenden Straßen sowie
eine Ausbreitung von Super- märkten und Fast-Food-Restaurants und einer Verschwinden privat genutzter Wohnungen zugunsten kommerziell genutzter Büroräume. Diese
Entwicklung setzt sich bis heute fort, und das Bild der Champs-Elysées ist vorwiegend
von Filialen großer Geschäftsketten geprägt. Die Gründe liegen vermutlich in den hohen
Mieten und der Wochenendinvasion von Touristen und Jugendlichen aus den Banlieues.
Auf Grund einer Initiative interessierter Geschäftsleute, Künstler und Medienschaffenden
begann unter dem damaligen Bürgermeister von Paris, Chirac, in den 1990er Jahren
eine Renovierung und Aufwertung der Champs-Élysées und der umliegenden Straßen
mit dem Bau von Tiefgaragen, Neubepflanzungen und dem Verbot allzu greller Neonreklame u. ä. Maßnahmen der Verschönerung, deren Erfolg jedoch abzuwarten bleibt.
Dennoch sind die Champs-Élysées auch heute noch ein repräsentativer Ort für Staatsempfänge, der Parade zum Nationalfeiertag, Endziel der Tour de France und ähnlicher
Großereignisse (200-Jahr-Feier der Revolution).
Im Juni 1748, während der Verhandlungen über den Frieden von Aachen, beschloss die
Stadt Paris zu Ehren Ludwig XV, ein Denkmal zu errichten, wie es viele andere Städte
Frankreichs ebenfalls taten und schuf damit die Voraussetzung für einen neuen Königsplatz in der Stadt. Zwischen der Stadt und dem König wurde vereinbart, dass der König
für den Platz und die Stadt für die Statue zuständig sein sollte. Ein erster Wettbewerb
brachte 40 Vorschläge mit verschiedenen Standorten, die jedoch von Ludwig XV wegen
der im Zusammenhang mit möglichen Enteignungen zu erwartenden hohen Kosten abgelehnt wurden. Er bot darauf hin der Stadt ein Gelände an, welches ihm gehörte und
außerhalb der Stadt lag, zwischen den Champs-Élysées und den Tuileriengärten. 1753
fand ein zweiter Wettbewerb statt, der 18 Vorschläge erbrachte, über die man sich aber
auch nicht einigen konnte. Darauf hin wurde Gabriel (Premier Architecte) beauftragt, die
besten Ideen aus allen vorliegenden Plänen zusammenzufassen.
1753 wurde der Platz als achteckige Anlage konzipiert. Im Gegensatz zu den früher entstandenen großen Plätzen war dieser Platz nach drei Seiten offen; im Westen zu den
Champs-Élysées, im Osten zu den Tuileriengärten und im Süden zur Seine hin, mit Blick
auf den Palais Bourbon, der späteren Nationalversammlung (die Pont de la Concorde
existierte damals noch nicht). Nur auf der Nordseite des Platzes war eine Bebauung vorgesehen, und zwar rechts und links der Rue Royale das Hotel de la Marine und das Hotel Crillon (1760 – 1765), deren äußere Gestaltung sich am Louvre orientierte.
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Abbildung 14: Place de la Concorde72
Der Platz gilt mit seinen circa 80.000 Quadratmeter als der größte und schönste Platz
Frankreichs oder sogar Europas. Er war von 24 Meter breiten und 4,5 Meter tiefen Gräben umgeben, die wiederum von Balustraden eingefasst waren. An den acht Ecken wurden je ein Schilderhäuschen erstellt, die später auch als Wohnungen dienten. Der Platz
wurde erst 1763 mit der Aufstellung der Reiterstatue Ludwig XV fertig gestellt. Während
der Revolution wurde das Reiterstandbild zerstört und der Platz in „Place de la Révolution“ umbenannt. Er wurde Schauplatz zahlreicher Hinrichtungen während der Revolution.
Nach der Revolution wurde der Platz im Jahr 1828 unter Auflagen der Durchführung von
Verschönerungen an die Stadt übergeben. Der über die Neu- und Umgestaltung entstandene Streit wurde durch die Schenkung des Obelisken von Luxor durch Mohamed
Ali an Louis Philipe 1831 beendet. Der Obelisk wurde unter großem Aufwand nach Paris
transportiert und 1836 aufgestellt. Zur gleichen Zeit erhielt der Platz die beiden von Hittorf geschaffenen Brunnen, die die Flüsse Rhein und Rhône und die Meere Atlantik und
Mittelmeer darstellen. Auf den ehemaligen Schilderhäuschen wurden acht Frauenfiguren
aufgestellt, welche die acht bedeutendsten Städte Frankreichs symbolisieren: Straßbourg, Lille, Brest, Bordeaux, Lyon, Marseille, Nantes und Rouen.
Die wechselvolle Geschichte der Place de la Concorde und die schnell wechselnden
politischen Verhältnisse der damaligen Zeit spiegeln sich in der Vielzahl der Namen, die
der Platz trug, wider: Ursprünglich Place Louis XV ; 1792 Place de la Révolution ; 1795
Place de la Concorde ; 1826 Place Louis XVI ; 1828 Place Louis XV und 1830 Place de
la Concorde.
72
http://www.ho0sier.com/fr/paris/place_de_la_concorde.jpg am 12.11.2004
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Heute ist die Place de la Concorde ein viel befahrener Kreuzungspunkt zwischen
Champs-Élysées, Rue de Rivoli, Rue Royale und dem Pont de la Concorde als Verbindung zum linken Seineufer.
Rue de Rivoli: Nach Lavedan existierten schon im Jahr 1778 Pläne, eine Straße parallel
zu den Tuileriengärten und Louvre als Verlängerung der Champs-Élysées über die Place
de la Concorde nach Osten hin zu bauen. Auch im „Plan des Artistes de la Révolution“
(1793 – 1797), in dem die vor der Revolution erstellten Pläne zur Stadtentwicklung zusammengefasst waren, ist diese Straße enthalten. Aber die eigentliche Geburtstunde der
Rue de Rivoli ist der 21. April 1802, als durch einen Erlass der Bau festgeschrieben wurde.
Die Rue de Rivoli wurde von Anfang an als Prachtstraße geplant, die sich gleichwertig
an die bestehenden Anlagen des Louvre und der Place de la Concorde anschließen sollte und zunächst nur bis zum Louvre reichte. Sie gilt heute noch als größte städtebauliche
Leistung des Empire. Sie ist 3070 Meter lange und 22 Meter breit.
Da der Staat Eigentümer der Grundstücke war, denn das betroffene Gelände war früher
Eigentum verschiedener Orden und fiel mit der Revolution an den Staat, konnte er den
potentiellen Bauherren strenge Vorschriften auferlegen und somit die schon unter Henri
IV und Ludwig XIV begonnene, einheitliche Gestaltung neuer Straßen und Plätze in aller
Konsequenz fortsetzen. Vorgegeben waren offene Bogengalerien in Form durchlaufender Arkaden nach den Plänen der Architekten Percier und Fontaine, drei Meter breit;
darüber drei Obergeschosse, von denen das untere und obere mit durchgehenden Balkonen mit eisernen Geländern zu versehen waren, darüber ein gebogenes Metalldach,
ebenfalls mit durchgehenden Balkonen. Auch die Nutzung der Gebäude war streng reglementiert. Zugelassen waren nur Läden und Luxusgewerbe, aber keine Rauch und
Lärm verursachenden Betriebe wie Bäckereien oder Metzgereien und an den Gebäuden
durfte keine Reklame angebracht werden. Die zu verwendenden Baustoffe, grauer
Sandstein, waren ebenfalls vom Staat vorgegeben
Diese strengen Auflagen behinderten den zügigen Ausbau der Rue de Rivoli, da die potentiellen Bauherren die mit den strengen Auflagen verbundenen hohen Kosten scheuten. Obwohl der Staat die Fassaden baute und durch einen Erlass Napoleons 1811 die
Bauherren für 30 Jahre von der Grundsteuer befreit waren, wurde die Straße während
der Zeit Napoleons nur bis zum Place des Pyramides fertig gestellt und war bis 1813
nahezu unbebaut.
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 15: Rue de Rivoli73
1848 und später 1851 wurde die Verlängerung der Rue de Rivoli über den Louvre hinaus
bis zum Hôtel de Ville beschlossen. Mit dem Weiterbau der Straße durch Haussmann
von der Place des Pyramides bis zur Place de la Bastille und dem Anschluss an die Rue
Saint-Antoine, die ausgebaut und verbreitert wurde, gelang 1865 die Vollendung einer
durchgehenden West-Ost-Achse von dem Pont-de-Neuilly über die Place Charles de
Gaulle, Champs-Elysées bis zur Place de la Bastille. Diesem Durchbruch der Rue de
Rivoli fielen ungefähr 20 bestehende Straßen teilweise oder ganz zum Opfer. Paris verfügte nun mit dieser Achse und in Verbindung mit dem Boulevard de Sébastopol /de
Strasbourg (1856) und den Boulevard Saint-Michel (1852) zum ersten Mal über einen
zentralen Kreuzungspunkt in Nord-Süd- und Ost-West-Richtung.
Der Eiffelturm: „La dame de fer“ wurde, in einer zwei-jährigen Bauzeit, als Eingang für
die Weltausstellung 1889 errichtet. Der Ingenieur Alexandre Gustave Eiffel (1832-1923),
der auch „Zauberer des Eisens“ genannt wurde, fügte damit der Stadt Paris ein neues
Wahrzeichen hinzu. Der Eiffelturm sollte nach der Weltausstellung nur weitere 20 Jahre
existieren, im Jahr 2004 feierte er, trotz Zweifel an der Haltbarkeit seiner Stahlkonstruktion, seinen 115. Geburtstag.
73
http://gallery.sjsu.edu/paris/architecture/frn13004.jpg am 12.11.2004
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Abbildung 16: Eiffelturm Stadtplan 1:15.000 Paris74
Auf der Pariser Weltausstellung von 1889 wurde der hundertste Geburtstag der französischen Revolution gefeiert, wobei der Eiffelturm ihr ein spektakuläres Denkmal setzen
sollte. Gebaut wurde mit Eisen, dem neuen Material der Industriellen Revolution. Der
Turm sollte ein Symbol des Fortschritts darstelle, den Gipfel des technisch machbaren
dieser Zeit.
Die Errichtung des Eisenturmes erregte die Gemüter der Pariser Bevölkerung, von denen viele den Turm als ein Monument des Größenwahns ansahen. In der Tageszeitung
Le Temps empörten sich Künstler über die „Errichtung dieses sinnlosen und monströsen
Eiffelturms mitten im Herzen unserer Hauptstadt“ (Merian 2001: 80).
Der Eiffelturm war bis 1932 (Bau des Empire State Buildings) das höchste Bauwerk der
Erde, mit einer Höhe von 324 Metern bis zur Antennenspitze (BAEDEKER 2003): 187).
Die erste Etage befindet sich in 57 Meter Höhe; die zweite Etage in 115 Meter Höhe und
die dritte Ebene in 276 Meter Höhe. Er besteht aus 18.000 Stahlteilen, die von 2,5 Mio.
Nieten zusammengehalten werden und einem Konstruktionsgewicht von 7.300 Tonnen.
Alle sieben Jahre erhält der Turm einen neuen Anstrich, mit 60 Tonnen Farbe, wobei der
nächste Anstrich im Jahr 2008 erfolgen wird (DROSTE-HENNINGS J. und T. DROSTE
2003: 329). Zur Jahrtausendwende wurde auf der Turmspitze ein Leuchtfeuer installiert,
das bei klarem Wetter 80 Kilometer weit zu sehen war.
Der Eiffelturm ist nie verkauft worden und befindet sich nach wie vor im Besitz der Stadt
Paris. Das Bauwerk wird seit 20 Jahren von einem Privatunternehmen, der Société Nouvelle d`Exploitation de la Tour Eiffel (SNTE), geführt, die weder Reklame für dem Turm
betreibt noch Werbefläche am Turm vermietet. Trotz dem Verzicht von Werbung erfreut
74
BAEDECKER 1999
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
sich der Eiffelturm großer Bekanntheit. Ein Großteil der europäischen Bevölkerung hält
den Eiffelturm sogar für das Bauwerk, das Europa am ehesten repräsentiert (Merian
2001: 79). Die Haupteinnahmen, der SNTE stammen mit 80 Prozent der Gesamteinnahmen, von den Touristen (Merian 2001: 80), weitere Einnahmequellen für den Betreiber sind die Restaurants auf dem Turm.
Abbildung 17: Werbeplakat zur Weltausstellung 188975
3.3 Fazit
Während der Exkursion war vor allem die radikale Durchführung der Stadtplanungsmodelle gut erkennbar, wie sie für Paris und Frankreich typisch ist. Schon an historischen
Beispielen wie den rücksichtslosen Eingriffen Haussmanns in die Stadtgestalt wird dieser
Aspekt deutlich, der sich auch in neueren Stadtplanungsprojekten wie Bercy und Les
Halles wieder findet.
Weiterhin ist in Paris gut zu beobachten, wie die Funktionen und der Charakter von bestimmten Stadtvierteln über Jahrhunderte bis heute erhalten blieben. Als Beispiel hierfür
dienen das Hauptgeschäftszentrum nördlich der Königsachse und das Universitätsviertel
südlich der Ile de la Cité, deren Funktion von der Erbauung bis heute weitgehend erhalten blieb.
75
DROSTE-HENNINGS und DROSTE 2003: 66
54
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Am Beispiel der Königsachse kann man erkennen, wie sich ein städtebaulicher Gedanke
durch die Jahrhunderte vom Anlegen der Champs-Elysées bis zum Bau von La Défense
fortpflanzt. Hierbei wollten sich die verschiedenen Erbauer ein Denkmal setzen und
schufen so die längste städtebauliche Achse der Welt.
Baron Haussmann, der die Strukturen der Stadt in den Jahren 1850 bis 1871 grundlegend neu gestaltete, erwies sich als sehr vorausschauend. Durch die breit angelegten
Straßen, die Paris durchziehen, war die Stadt in der Lage, die Verkehrsmassen der Neuzeit gut zu bewältigen. Auch aufgrund hygienischer Aspekte waren seine Erneuerungen
wie die moderne Kanalisation von großer Bedeutung für die Stadt.
Abschließend kann gesagt werden, dass sich die Stadt Paris auch heute noch bemüht,
die vorhandenen Plätze wie den Place de la Concorde zu erhalten. So finden sich in Paris immer wieder riesige Freiflächen, die für die Stadt einen finanziellen Luxus bedeuten
und so auch heute noch die Macht der Stadt demonstrieren.
4 Gegenwärtige Strukturen und Entwicklungen des Verdichtungsraumes
4.1 Aktuelle städtebauliche Entwicklungen in der Kernstadt}
Das Unterkapitel „Historische und neuere Stadtstrukturen“ behandelt den dynamischen
Charakter der Entwicklung der Stadt Paris, beginnend mit der Stadtgründung durch den
keltischen Stamm der Parisi vor ca. 300 Jahren v. Chr. auf der Ile de la Cité. Es folgte
die Erschließung von Paris auf dem linken Seine- Ufer, dem Quartier Latin durch die
Römer, die die Siedlung in „Lutetia“ umbenannten. Des Weiteren wurde auf den Verlauf
der Stadtausdehnung, vom Bau der ersten Stadtmauer durch Philippe II. Auguste, die
mit dem Wachstum der Stadt immer weiter ausgriff, bis zur Neugestaltung der Stadt unter Kaiser Napoleon III und seinem Präfekten Baron Georges-Eugène Haussmann eingegangen. Die städtebaulichen Eingriffe, die Haussmann in Paris vornehmen ließ, waren
von großer Bedeutung für die Stadt und sind noch heute im Stadtbild allgegenwärtig.
Auf die städtebauliche Entwicklung in der Zeit nach Hausmann bis heute wird im zweiten
Teil der Ausarbeitung eingegangen. Neben bekannten Bauwerken wie dem Eiffelturm
und dem Tour Montparnasse wird auf den „Leitplan für die Stadtplanung und Stadtentwicklung von Paris“ eingegangen. Die neueren Stadtstrukturen beziehen sich dabei auf
Konzepte der Raumplanung des 20. Jahrhunderts, die zum Teil ganzen Stadtvierteln ein
neues Gesicht verliehen.
4.1.1 Städtebauliche Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg
Das Kapitel der neueren Stadtstrukturen von Paris befasst sich mit der städtebaulichen
Entwicklung in der Zeit seit Haussmann. Die Sanierungsviertel Bercy und Marais und
das Projekt Les Halles sind Beispiele für die innerhalb des „Leitplans für die Stadtplanung und Stadtentwicklung von Paris“: Schéma directeur d’aménagement et
d’urbanisme de la ville (S.D.A.U.) entwickelten Konzepte, die zur Erneuerung von Paris
beitragen sollen. Das Beispiel des Tour Montparnasse soll das Inkrafttreten einer neuen
baurechtlichen Norm von 1967 veranschaulichen.
55
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
4.1.1.1 „Leitplan für die Stadtplanung und Stadtentwicklung von Paris“
Aufgrund wachsender Einwohnerzahlen und zunehmendem Platzmangel innerhalb von
Paris beschloss die Pariser Planungsbehörde ein grundlegendes Konzept für die Stadtplanung in Paris zu entwickeln, den „Leitplan für die Stadtplanung und Stadtentwicklung
von Paris“: Schéma directeur d’aménagement et d’urbanisme de la ville de Paris - abgekürzt durch S.D.A.U. -, der 1980 mit Ergänzungen und Aktualisierungen der Öffentlichkeit vorgestellt wurde (THEIßEN 1988: 25).
Inhalt des S.D.A.U. ist eine grundlegende Bestandsaufnahme der Situation in verschiedenen Bereichen (z.B. Bevölkerungsentwicklung, Wohnungszustand) der Stadt Paris
sowie die Formulierung von Planungszielen zur Verbesserung der Gesamtsituation von
Paris.
Als Ziele wurde die Bewahrung der Wohnfunktion in Paris, die Begrenzung der Zahl der
Arbeitsplätze und Verhinderung struktureller Einseitigkeit sowie Verhinderung einer zu
starken Dissoziierung der verschiedenen Funktionen in der Stadt festgelegt. Es sollte
außerdem eine Ausweitung und Verbesserung des Verkehrsnetzes und eine Verbesserung der Lebensqualität und Erweiterung der öffentlichen Einrichtungen hergestellt werden. Der Charakter von Paris und die Festigung seiner Funktion als Hauptstadt sollten
bewahrt werden. Zusammengefasst lautete das Ziel, die „Erneuerung der Stadt“. Maßnahmen in einzelnen Sektoren („Daseinsberechtigungen“) wurden getroffen wie z.B.
Wohnen, Verkehr, innenstädtische Erholung sowie integrative Maßnahmen für ganze
Stadtviertel. Während der Exkursion „Verdichtungsraum Paris“ wurden die Stadtviertel, le
Marais und Bercy sowie das Projekt les Halles in Bezug auf die neuere Stadtplanung
genauer betrachtet.
4.1.1.1.1 Le Marais (4. Arrondissement)
Das Marais-Viertel war ein ehemals sumpfiges Gelände (marais = Sumpf), das bis ins
Mittelalter von einem Seitenarm der Seine durchzogen wurde. Zu römischer Zeit wurde
eine Straße, durch das Gelände auf dem rechten Seineufer angelegt. Im 13. Jahrhundert
wurde dann das Gebiet von Mönchen und Templern entlang der alten Römerstrasse, die
heutige Rue St- Antoine trockengelegt und bebaut. Zu dieser Zeit lag das Gebiet noch
außerhalb des Festungswalls (Philipp August). In die Stadt einbezogen wurde das Viertel
dann ein Jahrhundert später (Ende des 14. Jahrhunderts) unter Karl V., der die Stadtmauer weiter ausgreifen ließ, wobei der Osten durch die Bastille gesichert wurde. Karl V.
bevorzugte das Hôtel St.-Pol (existiert nicht mehr) als Residenz und machte damit das
Marais hoffähig. Das Marais gilt als Geburtsstätte des „Hôtel“, der glanzvollen Pariser
Stadtwohnungen des französischen Adels. Die Hôtels haben einen zur Strasse hin gelegenen Ehrenhof, ein Haupttrakt mit Seitenflügel und eine rückwärtige Terrasse mit Garten.
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Abbildung 18: Le Marais. Stadtplan 1:15.000 Paris76
Die große Zeit der aristokratischen Stadtpaläste war im 16. und 17. Jahrhundert, als Paris zur glanzvollen Metropole Europas aufstieg und sich die feine Gesellschaft in den
Adelspalästen von Marais traf. Es war das vornehme Viertel von Paris, mit Stadtvillen
von Adel und Königshäusern.
Gegen Ende des 17. Jahrhunderts verlor das Quartier seine Attraktivität, da Adel und
Hautevolee dem Hof nach Versailles folgten (Ludwig XIV gab den Louvre als Residenz
auf). Als dann im 18. Jahrhundert der Westen zum neuen Villenstandort wurde, verfiel
der Marais allmählich. Es zogen seither vor allem ärmere Juden in das Viertel. Während
dem Aufschwung der industriellen Revolution im
19. Jahrhundert richteten sich Handwerker und kleine Industriebetriebe in den ehemaligen herrschaftlichen Häusern ein. In den Jahren 1969 und 1976 begannen die ersten
Sanierungsprojekte und 1980 erließ die Stadt Paris einen detaillierten Sanierungsplan
(plan de sauvegarde et de mise en valeur). Ziel beim Projekt „Le Marais“ war es, die
76
BAEDECKER 1999
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Bausubstanz und die architektonische Einheit des Viertels zu bewahren. Zur Zielverwirklichung hat die Stadt viele Gebäude aufgekauft, jedoch kauften auch kapitalkräftige
Schichten schon früh neue oder renovierte Wohnungen. Es ist dennoch zu beobachten,
dass der Anteil der Mietwohnungen höher ist als der Anteil der Eigentumswohnungen.
In den 1980er Jahren fand ein Gentrificationsprozess statt. Die Aufwertung des Viertels
ist zum Beispiel an der neuen Nutzungen von Läden zu erkennen, wie eine ehemalige
Bäckerei in der Rue de Sévigné, in der sich heute ein Schuhgeschäft befindet. Der Anteil
der Selbstständigen und Personen in leitenden Funktionen an der Gesamtzahl der Bewohner erhöhte sich um etwa 50 Prozent.
Das Viertel erfuhr einen Bedeutungswandel. Der teuer gewordene Wohnraum zog vor
allem Künstler und Boutiquenbesitzer an. Das Marais ist, wie schon im 17. Jahrhundert,
wieder eines der beliebtesten Pariser Wohnviertel. Zudem ist es weiterhin das wichtigste
Wohngebiet der Pariser Juden. Die Rue des Rosiers ist das Zentrum der jüdischen Gemeinde, auf ihr befinden sich jüdische Einzelhändler und sehr hochwertiger Einzelhandel. Zu Bildung dieses jüdischen Ghettos können Kettenwanderungen oder preiswerte
Wohnungen beigetragen haben.
Im Viertel le Marais liegt der vom Verkehr abgeschlossene Place des Vosges. Angelegt
wurde der Platz von Heinrich IV im Jahr 1605, wobei die Bauarbeiten erst nach seinem
Tod abgeschlossen wurden. Der quadratische Platz ist allseitig von 36 identischen
Wohnbauten umschlossen. 1639 wurde in der Mitte des Platzes ein Reiterstandbild
Ludwigs XIII aufgestellt, das den Platz unmissverständlich als Königsplatz definierte. In
den Häusern um den Platz sollten Wohnungen und Läden für die Bürger entstehen, sie
wurden jedoch vor allem von Adligen bewohnt und genutzt. Auf den Platz selbst wurden
Turniere, die die Macht des Königs demonstrieren sollten, veranstaltet und Feste gefeiert, die zur Kommunikation und Unterhaltung dienten.
Der Platz verlor mit dem Marais-Viertel im 18. Jahrhundert seine Bedeutung, als die dort
lebenden reichen Bürger nach Versailles und in den Pariser Westen umzogen. Der Place
Royale wurde nach der Revolution (~1800) in Place des Vosges umbenannt. Wie auch
das Viertel verfiel der Platz langsam, da vor allem Arbeiter und ärmere Juden in das
Viertel zogen. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Sanierungspläne
für den Place des Vosges erstellt. Im Jahr 1980 wurden die Sanierung und Restaurierung der Bauten rund um den Place des Vosges abgeschlossen.
Heute werden die oberen Stockwerke vor allem von Wohnnutzung eingenommen, während in den unteren Stockwerken Geschäfte und Galerien angesiedelt sind. In beiden
Stockwerken sind viele Leerstände zu beobachten. Anscheinend hat das Viertel hier an
Attraktivität verloren, diesem Prozess könnte durch Investitionen des Staates entgegengewirkt werden, zum Beispiel durch Anbindung an eine Metro-Station und Errichtung von
Cafes und Restaurants.
Das Hôtel Carnevalet, im Viertel Marais, ist eines der besterhaltenen Adelspalais der
Renaissance in Paris. Von 1547 bis 1572 dauerten die Bauarbeiten an dem Hôtel. Der
von drei Flügeln umstellte Ehrenhof gelangte 1866 in den Besitz der Stadt Paris, die drei
weitere Flügel auf der Rückseite errichten ließ. Auf dem Ehrenhof steht das einzige
Standbild vom Sonnenkönig Ludwig XIV, das die Revolution überstanden hat. Heute beherbergt das Hôtel, das Museum zur Geschichte der Stadt Paris.
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4.1.1.1.2 Bercy
Bercy liegt im Pariser Osten, dem traditionellen Gebiet des Kleingewerbes, der billigen
Mietskasernen, kurz der sozial Schwachen. Bercy ist ein altes Weindorf in dem seit 1965
umfangreiche Sanierungs- und Neubaumaßnahmen stattfanden, durch die das Viertel
ein völlig neues Aussehen mit neuen Wohnungen, Bürokomplexen und Grünanlagen
erhielt. Seit dem 17. Jahrhundert war Bercy die Verladestation für Wein. Der Freihafen
beschäftigte vor seiner Eingemeindung zu Paris 6.000 Arbeiter. Seit den 60er Jahren
kämpfte Bercy mit der Konkurrenz anderer Standorte und veralteten Gebäudestrukturen,
die Anzahl der Weinimporteure sank stetig und der Flussverkehr hatte an Bedeutung
verloren. „Bercy war ein Anachronismus geworden, von modernen Zeiten überrollt, eingepfercht in ein hässliches, schepperndes Korsett aus Eisenbahngleisen und
Schnellstraßen“ (MERIAN 2001: 92). Die überalterte Bausubstanz der Großwohnsiedlungen und Industriebauten war aber von Vorteil, die vielen freigewordenen Flächen boten neue Möglichkeiten für Konversionsprojekte. Auf dem Gelände der ehemaligen
Weindepots in Bercy wurde das neue Finanzministeriums und ein neuer Sportpalast gebaut. Der Entwurf dafür wurde auf dem Reißbrett gemacht wobei ein „Erlebnis-Viertel der
Zukunft“ entstehen sollte, ein Amüsierviertel aus der Retorte, maßgeschneidert für die
Freizeitgesellschaft (MERIAN 2001: 92). Neuere Bauprojekte wurden bis dahin vor allem
im Zentrum und im Westen von Paris durchgeführt, mit Bercy sollte zudem ein neues
Gleichgewicht zwischen den Stadtbezirken hergestellt werden.
Pachtverbote, durch die Betreibergesellschaft Altarea sollten erreichen das sich nur
hochwertige französische Ketten ansiedeln. Zum Bedauern der 7.000 Einwohner haben
sich, aufgrund der hohen Ladenmieten kaum Metzger oder Bäcker angesiedelt (MERIAN
2001: 96).
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Abbildung 19: Stadtplan 1:15.000 Paris77
Im Jahr 1989 zog das Finanzministerium aus dem Louvre in einen Riesenkomplex der
beiden Architekten Paul Chemetov und Borjo Huidobro in Bercy um, dessen Ende im
Flussbett verankert ist. Im Jahr 1984 wurde am Boulevard de Bercy 8 das Stadion für
Sport- und Musikveranstaltungen eingeweiht.
Die grasbewachsene Pyramide aus einem Stahlgerüst mit einer Glasfront bietet Platz für
17.000 Zuschauer. Im 13 Hektar großen Landschaftspark am Seineufer wurden die alten
Weindepots zu Cafés und Weinstuben umgebaut.
In der Cour St.-Emillion 39 befindet sich seit dem Jahr 2000 die Bibliothek des Club Med
World mit Restaurants, Live-Musik, Zirkus und Zauberkünstlern. Zu besseren Erreichbarkeit des Viertels wurde die neue Metrolinie, der „Méteor“ gebaut.
77
BAEDECKER 1999
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
4.1.1.1.3 Les Halles
Les Halles ist das alte Markthallen-Viertel, das schon im Mittelalter die Begegnungsstätte
für das einfache Volk war. Im Jahr 1183 wurden die ersten überdachten Hallen aufgestellt und im 19. Jahrhundert auf Anordnung von Napoleon III. unter Präfekt Haussmann
vom Architekten Victor Baltard (1805-1874) gewaltige Eisenpavillons erbaut, die zum
Markenzeichen der Stadt wurden. Bis ins 20. Jahrhundert war das Markthallen-Viertel
ein leistungsfähiges Versorgungszentrum, der „Bauch von Paris“ (DROSTE-HENNINGS
und DROSTE 2003: 58). Mit steigender Bevölkerung stieg auch der Warenumschlag in
den Hallen. Das Markthallen-Viertel gelangte an die Grenze seiner Leistungsmöglichkeiten. Anfang der 1960er Jahre waren die Verkehrsströme kaum noch zu kanalisieren und
so wurde im Jahr 1960 von der Planungsbehörde der Région parisienne die Schließung
der Markthalle und die Errichtung eines neuen Marktes in Rungis beschlossen. 1969
nahm Rungis seinen Betrieb auf, wodurch die Markthallen in Paris funktionslos geworden waren.
Abbildung 20: Les Halles. Stadtplan 1:15.000 Paris78
Die Verhältnisse rund um die Hallen waren chaotisch. In Folge dieser Tatsachen beschloss man eine Restrukturierung des Hallen-Viertels, die Eisenhallen wurden 1972
abgerissen. Jahre lang wurde über die Umnutzung des sieben Hektar großen Abrissloches gestritten. 1978 setzte J. Chirac den Bau von einem gemeinsamen Bahnhof von
Metro, RER und Eisenbahn durch, heute einer der größten unterirdischen Verkehrsknotenpunkte und wichtigsten Umsteigestationen in der Region Ile-de-France. Die Riesenbaustelle wurde außerdem gefüllt mit einem gewaltigem Shoppingcenter (Architekten:
Claude Vasoni, Georges Pencreach). Immer noch unterirdisch, bis in 25 Meter Tiefe befindet sich ein riesiger Einkaufs- und Freizeitkomplex, des 1979 eröffneten Forum des
Halles, das auf vier verglasten Etagen mit mehr als 300 Geschäften und Boutiquen, Ki-
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BAEDECKER 1999
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
nos, Theatern, Restaurants, Cafés und dem Pavillon des Arts für Wechselausstellungen
aufwartet. Es wurde ein Dienstleistungszentrum geschaffen und auch die angrenzende
Wohnstruktur wurde erneuert. Im Randbereich wurden Wohnungen und kulturelle Einrichtungen erbaut. Zwischen dem Forum und der Kirche St. Eustach wurde ein fünf Hektar großer Park errichtet.
4.1.1.2 Tour Montparnasse
Mit der Verordnung von 1967 traten neue baurechtliche Normen in Kraft bei der die Anbindung der Bebauung an die Straßenlinie aufgegeben wurde. Durch ein Zurücktreten
vom Straßenrand konnte Höhe und Volumen gewonnen werden (SCHÜLE 1997: 72).
Zahlreiche neue Hochhäuser, wie sie in Frankreich ab einer Höhe von 50 Metern genannt werden, entstanden. 1970 wurde der Montparnasse- Büroturm erbaut. Der Turm
wurde mit 59 Stockwerken und einer Höhe von 209 Metern in der Innenstadt gebaut mit
einem ein 70 Meter tiefen Fundament. Der Höhenwahn der 1960er und 1970er Jahre ist
in der Innenstadt gestoppt worden. Heute ist faktisch das gesamte Kerngebiet der Stadt
denkmalgeschützt.
Abbildung 21: Tour Montparnasse79
4.1.2 Fazit
Während der Exkursion im Verdichtungsraum Paris war vor allem die radikale Durchführung der Stadtplanungsmodelle gut erkennbar, wie sie für Paris und Frankreich typisch
ist. Schon an historischen Beispielen wie den rücksichtslosen Eingriffen Haussmanns in
die Stadtgestalt wird dieser Aspekt deutlich, der sich auch in neueren Stadtplanungsprojekten wie Bercy und Les Halles wieder findet.
79
Stadtplan, Quelle unbekannt
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Weiterhin ist in Paris gut zu beobachten, wie die Funktionen und der Charakter von bestimmten Stadtvierteln über Jahrhunderte bis heute erhalten blieben. Als Beispiel hierfür
dienen das Hauptgeschäftszentrum nördlich der Königsachse und das Universitätsviertel
südlich der Ile de la Cité, deren Funktion von der Erbauung bis heute weitgehend erhalten blieb.
Am Beispiel der Königsachse kann man erkennen, wie sich ein städtebaulicher Gedanke
durch die Jahrhunderte vom Anlegen der Champs-Elysées bis zum Bau von La Défense
fortpflanzt. Hierbei wollten sich die verschiedenen Erbauer ein Denkmal setzen und
schufen so die längste städtebauliche Achse der Welt.
Baron Haussmann, der die Strukturen der Stadt in den Jahren 1850 bis 1871 grundlegend neu gestaltete, erwies sich als sehr vorausschauend. Durch die breit angelegten
Straßen, die Paris durchziehen, war die Stadt in der Lage, die Verkehrsmassen der Neuzeit gut zu bewältigen. Auch aufgrund hygienischer Aspekte waren seine Erneuerungen
wie die moderne Kanalisation von großer Bedeutung für die Stadt.
Abschließend kann gesagt werden, dass sich die Stadt Paris auch heute noch bemüht,
die vorhandenen Plätze wie den Place de la Concorde zu erhalten. So finden sich in Paris immer wieder riesige Freiflächen, die für die Stadt einen finanziellen Luxus bedeuten
und so auch heute noch die Macht der Stadt demonstrieren.
4.2 Wohnstandorte
Paris war schon immer einer der wichtigsten Wachstumspole Frankreichs, wenn nicht
sogar der wichtigste. Dementsprechend ist auch die Bevölkerungsentwicklung dieses
Raumes verlaufen. Diese Arbeit zeigt die räumliche Entwicklung der Bevölkerung im Pariser Umland auf, und zwar anhand zweier charakteristischen Beispiele, die für die beiden wichtigsten Phasen dieses Vorganges stehen: die Errichtung der Grands Ensembles
in der Petite Couronne und die der Villes Nouvellles in der Grande Couronne. Des Weiteren ist es sicher sinnvoll, auch Prozesse und Entwicklungen innerhalb der Bevölkerung
zu untersuchen und zu versuchen diese zu erklären. So sind es gerade die Einwohner
und ihre Handlungen auf der Mikroebene die für bestimmte Veränderungen und Prozesse auf der Makroebene verantwortlich sind. Jedes Individuum der Pariser Bevölkerung
lässt sich durch mehrere Merkmale charakterisieren. Aufgrund dieser Merkmale lässt
sich dann eine bestimmte Bevölkerungsstruktur und -verteilung ableiten. So besteht die
Möglichkeit die Gesamtbevölkerung auf bestimmte Strukturen und Verteilungen zu untersuchen. Diese Ergebnisse lassen dann wiederum Rückschlüsse auf andere Prozesse
innerhalb der Stadtentwicklung zu.
4.2.1 Allgemeine Bevölkerungsentwicklung im Pariser Umland
Das Pariser Umland wurde für die Stadt erst mit Einsetzen der Industriellen Revolution in
Frankreich zu einem wichtigen Wohnstandort. 1861 belief sich die Einwohnerzahl von
Paris auf 1,7 Millionen, im restlichen Gebiet der heutigen Ile-de-France lebten knapp eine weitere Million Menschen. Doch für die vielen neuen Industrieanlagen war kein Platz
in der Stadt, so dass ins Umland ausgewichen werden musste. Mit den Fabriken kamen
die Industriearbeiter, die sich ihren Wohnraum in der Nähe ihrer Arbeitsplätze suchten.
Sie kamen nicht nur aus Paris, sondern aus dem ganzen Land. Seit 1910 entlädt sich
63
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
der ständige Bevölkerungsdruck auf Paris auch ins Umland. Seit 1954 nimmt die Bevölkerung von der Kernstadt Paris ständig ab. Damals betrug sie 2,9 Millionen, heute sind
es nur noch 2,1 Millionen Einwohner in der Kernstadt (vgl. Tabelle 8). (THEISSEN 1988:
6)
Tabelle 8:
Bevölkerungsentwicklung in der Ile-de-France 1936 bis 199980
Département
1936
Bevölkerung in Tausend
1954
1975
1990
1999
Paris
2830
2850
2300
2147
2125
Haut-de-Seine
Seine-St.-Denis
Val-de-Marne
Petite Couronne
1020
776
685
2481
1118
845
768
2731
1439
1322
1216
3977
1391
1381
1218
3990
1429
1383
1227
4039
Seine-et Marne
Yvelines
Essonnes
Val d'Oise
Grande Couronne
409
428
287
351
1475
453
519
351
413
1736
756
1082
923
841
3602
1075
1306
1083
1048
4512
1194
1354
1134
1106
4788
Gesamt
6786
7317
9879
10649
10952
Bis 1975 profitierten in erster Linie die Petite Couronne, danach gibt es kaum noch Zuwächse, teilweise verringert sich die Bevölkerung in diesen Départments auch wieder.
Ein Beispiel für die Ausweitung in die Petite Couronne ist das Projekt der Grands Ensembles. In den 60er Jahren verlagert sich der Schwerpunkt des Bevölkerungszuwachses immer mehr nach außen und die Grande Couronne gewann an Bedeutung. Als Beispiel für diese Entwicklung wird in Kapitel 3 die Entstehung der Villes Nouvelles gezeigt.
4.2.2 Grands Ensembles als Lösungsansatz für den Bevölkerungszuwachs
Als Grands Ensembles (große Wohnkomplexe), oder auch Grands Batiments (große
Gebäude), bezeichnet man die Großwohnanlagen am Rand französischer Mittel- und
Großstädte. Sie können aus bis zu mehreren Tausend Wohneinheiten bestehenden
können. (SCHÜLE 1997: 45). Abbildung 22 zeigt die Grands Ensembles im Großraum
Paris. Es ist deutlich zu erkennen, dass nur wenige kleine in der Pariser Kernstadt gibt.
Die größten mit über 4000 Wohneinheiten liegen im Übergangsbereich Petite Couronne Grande Couronne.
80
PLETSCH 2001: 142
64
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 22: Grands Ensembles in der Pariser Agglomeration81
Die Grands Ensembles wurden nach den Ideen von Le Corbusier errichtet. Die wichtigsten Punkte wurden mit Begeisterung umgesetzt. Erstens: die Auflösung der üblichen
Straßenlinie: der Korridorstraße; moderne Straßen sollten nach seiner Ansicht auf einen
bebauten oder unbebauten Platz zulaufen. Des Weiteren waren von ihm möglichst weit
aufragende Hochhäuser mit einfachen geometrischen Grundrissen vorgesehen. Sie sollten den Landschaftsverbrauch des modernen Menschen eindämmen. Weiterhin unterstützten das Konzept der Grands Ensembles die sich in der ersten Hälfte des 20.Jh. herauskristallisierende Idee der kompletten Trennung der Daseinsgrundfunktionen, also
Wohnen, Arbeiten, Versorgen und Freizeit (vgl. Abbildung 23, Abbildung 24 und
Abbildung 25). Dies war jedoch erst mit der Massenmotorisierung möglich. (SCHÜLE
1997: 47)
81
SCHÜLE 1997: 46
65
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 23: Der “Blindwütige” Le Corbusier, der gegen die Korridorstraße wettert82
Abbildung 24: Großwohnsiedlung von Sacrelles83
Abbildung 25: Grand Ensemble “La Grande Borne”84
82
83
SCHÜLE 1997: 48
SCHÜLE 1997: 47
66
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde dieses Konzept mit Begeisterung vom französischen
Staat im Städtebau umgesetzt, um den sozialen Wohnungsbau voranzutreiben und den
Bedürfnis der Bevölkerung nach billigem, schnell verfügbarem Wohnraum nachzukommen. Die Grundideen der Grands Ensembles wurden bis in die 80er Jahre hinein angewandt. Heute besteht ein Grand Ensemble oft aus mehreren Tausend Wohneinheiten(NOIN und WHITE 1997: 112). In den 50ern musste für die rasch wachsende Bevölkerung der Städte Wohnraum bereitgestellt werden. Die geometrischen Formen der
Hochhäuser Le Corbusiers kamen einer industriell unterstützten, schnellen Fertigstellung
von neuen und vor allen Dingen billigen (Miet-)Wohnungen entgegen. Das Konzept der
Funktionstrennung und die beginnende Motorisierung der breiten Masse der Bevölkerung ermöglichte Standorte in der Peripherie, „auf der grünen Wiese“, ohne sich um eine
gute Einbindung in den öffentlichen Nahverkehr Gedanken machen zu müssen. Dort war
der Baugrund billig und die Arbeitsplätze des sekundären Sektors nicht fern. Positiv erwähnt werden muss, das diese neuen Wohnungen in Vergleich zu den älteren in den
Stadtkernen alle mit eigenem Bad und WC ausgestattet wurden. (SCHÜLE 1997: 46)
Am anfänglich perfekt wirkenden Konzept der Grands Ensembles regte sich aber schnell
Kritik. Kritisiert wurden vor allem die Grundidee der Funktionstrennung, und der schnelle
Verfall der Gebäude und die damit zusammenhängenden sozialen Auswirkungen. Die
strenge Funktionstrennung ist einer der wichtigsten Kritikpunkte am Konzept der Grands
Ensembles. Da die Grands Ensembles als reine Schlafstädte konzipiert wurden und fast
jegliche Infrastruktureinrichtungen von vornherein ausgeklammert wurden, ergaben sich
für ihre Bewohner enorme Wege, die zurückgelegt werden mussten. SCHÜLE formuliert
pointiert: „Für das WC in der Wohnung musste der „Durchschnittsbürger“ eine Stunde
länger zur Arbeit fahren, seine Kinder hatten einen doppelt so langen Schulweg, ein Kino
war nicht zu Fuß erreichbar, der Weg zur Buslinie dauerte eine halbe Stunde und bis
zum nächsten Krankenhaus brauchte er eine Stunde.“ Die Grands Ensembles werden
heute als steril und „entmenschlicht“ beschrieben. Die Grands Ensembles sind schon
von ihrer Idee her unattraktiv für heute lebende Menschen, welche „die Stadt der kurzen
Wege“ und das vielfältige Angebot in den Städten bevorzugen. Wer es sich leisten kann,
zieht weg oder erst gar nicht her. Dieser Fakt wird besonders deutlich durch die Tatsache, dass es sich bei den Wohnungen der Grands Ensembles fast ausschließlich um
Mietwohnungen handelt. (SCHÜLE 1997: 46)
Unterstützt wird dieses Wanderungsverhalten durch den baulichen Zustand der Gebäude. Die schnelle, billige Bauweise, die zu Beginn dieser Entwicklung so gelobt wurden,
wird heute immer mehr zum Problem. Die heruntergekommenen, renovierungsbedürftigen Bauten ziehen Vandalismus und Graffitikünstler an. Viele der sowieso schon wenigen Geschäfte sind nicht nur geschlossen, sondern regelrecht “verrammelt”. Leerstehende Wohnungen können an ihren kaputten Fenstern und zerlumpten Vorhängen
schon von der Straße als solche erkannt werden. In den 80ern wurden einige wenige
Versuche zur Verbesserung und Renovierung unternommen. Mit dem Argument, dass
dies zu kostspielig sei wurden sie aber schnell wieder eingestellt. Heute vertreten viele
die Ansicht, dass es sich bei den Grands Ensembles um verlorene Stadtteile handle, die
nicht wieder hergerichtet werden können. (NOIN und WHITE 1997: 114)
84
SCHÜLE 1997: 48
67
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Dies alles hat verständlicherweise Auswirkungen auf die soziale Zusammensetzung dieser Stadtteile. Wenn die Besserverdienenden wegziehen, bleiben die sozial schwachen
zurück: Ausländer, Arbeitslos, un- und schlecht Ausgebildete. Die Ausländer in den
Grands Ensembles um Paris stammen hauptsächlich aus den Maghreb-Ländern und
Südeuropa. (NOIN und WHITE 1997: 114) Man spricht im Zusammenhang mit den
Grands Ensembles auch von Sarcelliastion oder der Krankheit Sarcellitis. Dies bezeichneten die sozioökonomischen Umstände, die sich mit dieser Wohnform verbinden (s.o.).
Abgeleitet werden sie vom Namen des Pariser Vorortes Sarcelles, 20km nördlich von
Paris, wo 1954 eines der ersten Grands Ensembles entstand. (PLTESCH 2001: 146)
4.2.3 Villes Nouvelles als Lösungsansatz für den Bevölkerungszuwachs
In den 1960er Jahren wurde davon ausgegangen, dass der zu dieser Zeit stattfindende
enorme Bevölkerungszuwachs für Paris anhalten und die Stadt von 8,4 Mio. im Jahr
1962 bis auf 14 Millionen Einwohner im Jahr 2000 anwachsen würde(FALKENBERG
1987: 683). Deshalb wurden im Leitplan von 1965 eine geordnetere Entwicklung für die
Region Ile-de-France beschlossen (vgl. Abbildung 26). In sie eingebettet war auch die
Idee der Villes Nouvelles (neue Städte). Sie sollten Entlastung für den Pariser Kernraum
bringen und wurden deshalb in rund 30km Entfernung zur Kernstadt geplant. Dicht genug, um schnell nach Paris zu gelangen, aber weit genug weg um eigenständig existieren zu können. Den die Eigenständigkeit der Villes Nouvelles im Vergleich zu früheren
Projekten, wie etwa den Grands Ensembles, ist ihre Besonderheit. (THEISSEN 1988:
39)
Als Vorbild für die Villes Nouvelles dienten die englischen New Towns, jedoch wurde in
Paris in wesentlich größeren Dimensionen geplant. Die New Towns waren für 50.000
Einwohner gedacht, jede Villes Nouvelles sollten bis zum Jahr 2000 Wohnraum für
500.000 bis 1Million Einwohner bieten. Schnell merkten die Verantwortlichen aber, dass
ihre Vorhaben etwas überdimensioniert waren. Schon 1969 wurden aus den acht geplanten Villes Nouvelles fünf mit nur 300.000 bis 500.000 Bewohnern. 1976 wurde noch
einmal verkleinert (vgl. Tabelle 9).
Die heutigen Villes Nouvelles entstanden durch das Zusammenschließen mehrere zuvor
unabhängiger kleiner Gemeinden. Diese waren zuvor unabhängig und überwiegend
ländlich geprägt und sollen in die nun geplanten Konzepte integriert, werden um einen
organisch gewachsenen Eindruck zu vermitteln (PLETSCH 2003: 149).
Die Grundidee der Villes Nouvelles, die von den New Towns übernommen wurde, ist das
Prinzip der Funktionsmischung. Sie sollen alle vier Daseinsgrundfunktionen, Wohnen,
Arbeiten, Versorgen und Freizeit, befriedigen. Darüber hinaus sollen sie als Unterzentren
für den umgebenden Raum dienen, und so zu einer Dezentralisierung des Pariser
Raums beitragen (THEISSEN 1988: 37). Weiterhin wird eine Identifikation der Einwohner
mit „ihrer“ Stadt ermöglicht, weil sich dort große Teile ihres Lebens abspielen.
68
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 26: Die Nouvelles Villes im Großraum Paris85
Tabelle 9:
Bevölkerungs- und Wirtschaftsdaten zu den Villes Nouvelles im Großraum Paris86
Zahl der
Gemeinden
Cergy-Pontoise
Bevölkerung in Tausend
1976 maximal
geplant für 2000
tatsächlich
2000
Arbeitsplätze
in Tausend
11
200
178
84
4
300
81
47
26
300
247
102
7
300
143
81
Melun-Sénart
10
300
95
26
Gesamt
58
1400
744
341
Evry
Marne-la-Vallée
Saint-Quentin-enYvelines
85
THEISSEN 1988: 40
86
eigene Darstellung nach PLETSCH 2003: 149 und THEISSEN 1988: 39
69
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Das Prinzip der Mischung findet sich auch bei den einzelnen Daseinsgrundfunktionen
Wohnen, Arbeit, Freizeit und Versorgung wieder. Es wird nicht nur eine Wohnform vorgegeben, Eigentum und Miete werden gemischt angeboten. Einfamilien- und Doppelhäuser existieren neben Mehrfamilienhäusern und Großwohnanlagen (vgl. Abbildung 27
bis Abbildung 29). Die Großwohnanlagen sind von verschiedenen Architekten als Kunstobjekte geplant und sollen in allen fünf Villes Nouvelles unterschiedlich sein, um Gleichförmigkeit zu vermeiden. (SCHÜLE 1997: 53).
Abbildung 27: “Le Camembert” in Marne-la-Vallée87
Abbildung 28: Einfamilienhäuser in Saint-Quentin-en-Yvelines88
87
PLETSCH 2003:150
88
SCHÜLE 1997: 49
70
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 29: “Les Pyramides” in Evry89
Ein relativ hoher Prozentsatz der angebotenen Arbeitsplätze liegt im tertiären Sektor,
jedoch bemühen sich die Städte auch um die Ansiedlung von Industrie. Möglichst viele
der Stadtbewohner sollen auch dort arbeiten, weiterhin sollen Leute aus dem Umland in
die Villes Nouvelles einpendeln. Bereits 1984 betrug die Arbeitsplatzquote, also das Verhältnis von Arbeitsplätzen zu Erwerbspersonen in den Villes Nouvelles, rund 0,8. Kein
schlechtes Ergebnis, wenn man bedenkt, dass weder kommunale noch staatliche Subventionen oder Vergünstigungen gewährt wurden. Jedoch waren die Villes Nouvelles
neben dem neu eingerichteten Flughafen die einzigen Standorte für die Ausnahmegenehmigungen zur Ansiedlung von Industrie gewährt wurden. Damit arbeiteten die Villes
Nouvelles den Dezentralisierungsbestrebungen der französischen Raumordnungspolitik
entgegen. Die dazu dienenden Ansiedlungsbeschränkungen wurden allerdings 1985
aufgehoben. (FALKENBER: 1987: 686).
Mit jedem neu errichteten Stadtviertel in den Nouvelles Villes wurden auch den Anforderungen an Schulplätzen Folge getragen. Dies war besonders wichtig wenn man die Sozialstruktur dieser Städte bedenkt (THEISSEN 1988: 42). Evry besitzt heute eine Universität
mit
rund
10.000
Stundenten
(2000).
(http://www.villesnouvelles.equipement.gouv.fr/base/evry/-index.html)
In den Villes Nouvelles wurden nicht nur die Wohn- und Arbeitsbereiche großzügiger als
in den übrigen, älteren urbanen Gebieten der Ile-de-France, es wurde auch viele Grünflächen und Parks angelegt. Da Paris doch eine zu starke Konkurrenz ist, was gehobene
kulturelle Freizeitmöglichkeiten betrifft, wurde versucht, den Schwerpunkt mehr im Sportund einfacheren Freizeitbereich zu setzten: neben vielen Sportstätten befinden sich in
den Stadtzentren Kinos und Restaurants. (THEISSEN 1988: 43)
Die Villes Nouvelles haben eigene Verwaltungen, Präfekturen in Cergy, Evry und MelunSénart. Die Anbindungen nach Paris sind recht gut und auch innerhalb und auf das Umland bezogen bestehen ausreichende Möglichkeiten öffentliche Verkehrsmittel zu nut-
89
NOIN & WHITE 1997:118
71
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
zen. In den Innenstädten befinden sich Kaufhäuser, Handelszentren und Fußgängerzonen auf denen Freizeit und Versorgung ineinander übergehen. Dies ist auch für das Umland wichtig, da die Villes Nouvelles ja als Unterzentren fungieren sollen. (THEISSEN
1988: 43)
Die Villes Nouvelles stellen augenscheinlich ein gelungenes Projekt dar, jedoch finden
Kritiker auch Punkte, die sie bemängeln können. Die Villes Nouvelles sind gewiss nicht
das Nonplusultra der modernen Stadtentwicklung, aber niemand kann bestreiten, dass
sie sich wesentlich besser entwickeln als vorangegangene Projekte, wie die Grands Ensembles.
Der wichtigste und verständlichste Kritikpunkt bezieht sich auf die in den Villes Nouvelles
entstandenen Sozialstrukturen, besser gesagt, auf das Auftreten von Segregationen bezüglich Alter, Qualifikation und ethnische Zusammensetzung (PLETSCH 2003: 150). Die
entstandenen Wohn- und Lebensverhältnisse ziehen vor allem junge Familien mit Kindern an. Sie sind auch verantwortlich für die teilweise starken Bevölkerungszunahmen
der Städte. Die Gruppe der alten Leute ist unterbesetzt, da es für sie meist keinen Grund
gibt überhaupt noch einmal umzuziehen. Dies könnte sich aber mit der Zeit ändern,
wenn die jungen Leute einfach älter werden. Dann sollten sich auch die Angebote der
Villes Nouvelles auf diese veränderten Anforderungen ihrer Bewohner anpassen. Durch
das Arbeitsplatzangebot wird natürlich auch die Qualifikations- und Berufsstruktur der
Einwohner in den Villes Nouvelles beeinflusst. Sie stellt sich fast ausschließlich aus Arbeitern, einfachen und mittleren Angestellten zusammen (FALKENBERG 1987: 686). Die
ethnische Zusammensetzung ist relativ homogen, der Ausländeranteil wird als gering
angegeben, und da er auch nicht gepaart ist mit hoher Arbeitslosigkeit und extremschlechten Wohnbedingungen, wie dies z.B. in den Grands Ensembles der Fall ist, ergeben sich dadurch keine nennenswerten Spannungen.
Als weiterer Punkt wird das Verhältnis der 58 Villes Nouvelles-Gemeinden gegenüber
den übrigen 385 Gemeinden der Region kritisiert. SCHÜLE unterstellt den Parisers eine
Kolonialisierung ihres Umfelds. Weiterhin gibt er an, dass die besondere Förderung der
Villes Nouvelles-Gemeinden zur Vernachlässigung anderer führt. Erhebliche Teile des
regionalen Budgets wurden für Landkauf und Erschließung für die Villes Nouvelles ausgegeben. Die Grundstückskäufe umfassten mit 20.000 Hektar das Doppelte der Fläche
von Paris.
4.2.4 Alleé Vivaldi als Beispiel für ein Grands Ensembles
Die Grands Ensembles in der Alleé Vivaldi am Jardin de Reuilly im 12éme Arrondissement sind eine relativ neues Bespiele für dieses Art des Bauen in der Pariser Kernstadt.
Sie wurde erst von 1987 bis 1994 auf nicht mehr genutzten Flächen des Gare de Lyon
errichtet und damit sehr spät als das Konzept Grands Ensembles eigentlich schon aus
der Mode gekommen war. Es entstanden 800 neue Wohneinheiten, überwiegend Sozialwohnungen und 35.000m² Bürofläche. Die Alleé Vivaldi ist also entgegen der Idee von
Funktionstrennung ein gemischt genutztes Gebiet. Neben den Büros sind auch verschiedene andere Versorgungs- und Freizeiteinrichtungen entstanden. U.A. gibt es eine
Grundschule, einen Kindergarten, einen Spielplatz, ein Sozialzentrum, ein Einkaufszentrum sowie ein Schwimmbad. Nicht zu vergessen sind, vor allem bei der relativ geringen
Größe von 800 Wohnungen, die Infrastruktureinrichtungen die sich für die Alleé Vivaldi
72
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
aus ihrer sehr zentralen Lage in Paris ergeben. Dies alles macht dieses Grand Ensemble
zu einem attraktiven Wohnstandort. Der bedrückende Eindruck, den Pletsch und anderen Autoren als so typisch dargestellt wird, kann eigentlich nicht nachempfunden werden,
wenn man durch die Alleé Vivaldi auf den Jardin de Reuilly zuläuft. Denn gepflegte
Grünanlagen und spielende Kinder vermitteln selten einen berückenden Eindruck.
Abbildung 30 zeigt die Zentrale Achse der Alleé Vivaldi im Spätsommer 2004.
(PLTESCH 2003: 243 und eigene Beobachtungen 2004)
Abbildung 30: Alleé Vivaldi mit Blick Richtung Jardin de Reuilly90
4.2.5 Evry als Beispiel für eine Villes Nouvelles
Evry liegt süd-östlich von Paris, rund 30km von der Kernstadt und 12km von Orly entfernt. Baubeginn für die Ville Nouvelle war 1969. Damals wohnten in diesem Gebiet rund
10000 Menschen, Evry hatte rund 7.000, die benachbarten Ortschaften Lisses, Bondouffle und Courcouronnes je rund 1.000 Einwohner. Heute leben dort 80.000 Leute
50.000 davon in Evry-Stadt. Damit ist sie die kleinste der Villes Nouvelles, und sollte
deshalb am schnellsten einen Eindruck über den heutigen Zustand dieser Projekte geben können.
Der Ausbau der Stadt verlief segmentartig. Eines der ersten fertig gestellten Segmente
war die Großwohnsiedlung „Les Pyramides“. 1971 wurden die Fußgängerzone „Agora“
90
Aufnahme der Exkursionsteilnehmer 2004
73
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
und das Einkaufszentrum „Evry2“ eingeweiht, welche die Versorgung der Anwohner sichern sollten und die Stadt als übergeordnetes Zentrum für die Umgebung attraktiver
machen sollte. Angrenzend an die Agora war auch ein Wochenmarkt geplant, aber dieser wurde aufgrund von zu geringer Nachfrage schon nach sechs Monaten wieder abgeschafft. An seiner Stelle befindet sich nun ein Parkplatz. Das modern geplante Stadtzentrum macht heute insgesamt einen etwas „schmuddeligen“ Eindruck, auch wenn versucht
wird, die Agora mit modernen Kunstwerken aufzuwerten. In den 70er Jahren wurde im
„Blockkonzept“ gebaut, d.h. es gibt einen Erbauer, der einen größeren Block plant, den
Bau finanziert und später kleinere Einheiten an andere weiterverkauft oder vermietet hat.
Da dies aber große finanzielle Risiken für den Erbauer beinhaltet, ist man in den 80er
Jahren dazu übergegangen, die Baublöcke kleiner zu machen, um das Risiko für die
Investoren zu verringern und kleinräumigere Strukturen zu erhalten. Heute ist das Gebiet
von Evry fast vollständig aufgefüllt. Die noch freien Flächen sind für die weitere Ansiedelung von Industrie oder spezielle Wohngebiete, wie das geplante Studentenwohnheim
vorgesehen. (M. XXX, Evry, 2004 und eigene Beobachtungen, 2004)
Gleichzeitig mit der Entstehung der Nouvelle Ville wurde auch eine neues Verkehrsleitsystem für Evry angelegt. Die A6, welche mitten durch das Gebiet verläuft, sollte einerseits die Anbindung an Paris mit dem Auto sichern, andererseits aber auch um Lisses,
Bondouffle und Courcouronnes vor der geplanten stark verdichteten Bebauung in Evry
zu schützen. Zu den Umgehungsstraßen kommt noch der ÖPNV: Evry ist mit 3 Bahnhöfen an die Linie D des RER angebunden, welcher von hier aus in ungefähr eine halbe
Stunde braucht, um den Pariser Kernraum zu erreichen. (M. XXX, Evry, 2004)
Viele der 50.000 Arbeitsplätze Evrys gehören zum sekundären Sektor. Denn die Neuansiedlung von Industrie in der Ile-de-France war nur in den Gebieten der Nouvelles Villes
und am neuen Flughafen möglich. Dies hat auch Auswirkungen auf die Bevölkerungszusammensetzung in Evry. Hier leben heute wenig hochqualifizierte, eher mittlere und wenig qualifizierte Bevölkerungsgruppen. Besser verdienende Gruppe versuchen oft aus
der Stadt ins Grüne zu ziehen und in einer der Umlandgemeinden Wohneigentum zu
erwerben. Der Anteil der farbigen Bevölkerung im Stadtbild erscheint dem Betrachter
relativ hoch, wobei jedoch keine Aussagen darüber gemacht werden konnten, inwieweit
diese einen französischen Pass besitzen. Die Einwohner von Evry selber sind hochmobil
und sehr jung. Jedes Jahr wandern 15% der Bevölkerung über die Gemeindegrenze,
wobei die Gesamteinwohnerzahl in den letzten Jahren kaum noch verändert hat. 35%
der Einwohner sind jünger als Zwanzig. Die hat natürlich auch Auswirkungen auf die ansässigen Schulen. Es gibt sehr viele Grund- und weiterführenden Schulen, sowie Berufsschule und seit 1991 auch eine Universität. (M. XXX, Evry, 2004 und eigene Beobachtungen, 2004)
74
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 31: Beispiel für ein Blockkonzept der 70er Jahre aus der Innenstadt in Evry91
Heute besitzt Evry nicht mehr den Status einer Ville Nouvelle mehr, sondern ist eine
ganz normale Gemeinde, denn das Programm der Ville Nouvelles, und damit alle Vergünstigungen, lief 2000 aus. Die Steuern sind deshalb verglichen mit dem Umland relativ
hoch, da die Stadt viel Geld braucht, um die Kredite für den Bau der öffentlichen Einrichtungen zurückzuzahlen. Jedoch ist die Arbeitslosenquote mit offiziell 1,3% beneidenswert gering. (M. XXX, Evry, 2004)
Und noch eine kleine Besonderheit ist zu erwähnen: in Evry steht die erste neu gebaute
Kathedrale Frankreichs, seit der Trennung von Staat und Kirche Anfang des 20. Jh.
Denn seit dem muss die Kirche für derartiges selbst aufkommen, da sie vom Staat nicht
mehr bezuschusst wird. (M. XXX, Evry, 2004)
91
eigene Aufnahme, 2004
75
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 32: Parkplatz auf dem ehemaligen Wochenmarktgelände, im Hintergrund: die Agora40.
4.2.6 Bevölkerungsstruktur und -verteilung in Paris
Die Bevölkerungsstruktur lässt sich in stadtgeographischer Hinsicht nach verschiedenen
Aspekten untersuchen. So kann die Bevölkerung nach demo-graphischen, ethnischen,
sozialen oder wirtschaftlichen Merkmalen unterschieden werden. Großstädte weisen
oftmals eine spezielle Bevölkerungsverteilung auf. Dabei fällt auf, dass es in Großstädten oftmals vorkommt, dass innerhalb der Wohngebiete die meisten Menschen ähnliche
Merkmale aufweisen. Diese Bevölkerungsstruktur basiert auf ethnischer, sozialer, wirtschaftlicher oder demographischer Segregation. Vor allem im sozialen, wirtschaftlichen
und ethnischen Bereich ist diese Trennung auffällig. So kommt es in Großstädten, z.B.
zu sog. „reichen“ und „armen“ Vierteln. Des Weiteren kann es neben den Segregationsprozessen auch zu Gentrifizierungsprozessen kommen. Mit dem Begriff Gentrifizierung
bezeichnet man die aufwendige Sanierung und Modernisierung von Wohngebäuden,
verbunden mit der Verdrängung einkommensschwächerer Bevölkerungsgruppen. Dabei
werden die Wegbereiter der Gentrfikation Pioniere genannt, die zur Aufwertung beitragen Gentrifier. Die folgende Tabelle zeigt nun Merkmale und mögliche Gründe für
Segregations- und Gentrifikationsprozesse auf.
76
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Tabelle 10:
Gründe und Merkmale für Segregation bzw. Gentrifikation92
Segregation
Merkmale > Entmischung/Trennung der Bevölkerung nach
bestimmten Merkmalen (soziale, ethnische,
demographische, usw.) innerhalb eines Stadtgebietes
Gründe
Gentrifikation
> Verdrängung einer statusniedrigeren
Bevölkerung durch eine statushöhere
Bevölkerung
> bauliche Aufwertung innerstadtsnaher
Wohn- und Gewerbegebiete
> Verbesserung des Wohnumfeldes
> soziale Distanz zwischen Bev.-gruppen
> Lebensstilgruppe mit dem Wunsch,
> große Varianz im Einkommen der Bev. in der Stadt zu leben (meist kinderlose
(unfreiwillige Segregation)
Haushalte)
> Bindung zu Familienmitglieder
> architektonische attraktive Bausub(freiwillige Segregation)
stanz und günstige EntwicklungsPerspektive
> Veränderungen der Tätigkeits- und
Wohnformen
4.2.7 Vergleich: 19. Arrondissement – 16. Arrondissement
Durch Segregation beeinflusste Viertel findet man auch in Paris. Schon im 17./18.Jh.
konnte man zwischen dem reichen Pariser Westen und den Arbeitervierteln im Osten
deutliche Unterschiede in der Baustruktur und in der Arbeits- und Lebensqualität feststellen. Wie sich diese soziale Differenzierung heutzutage darstellt, soll anhand eines Vergleiches zwischen dem 16. und dem 19. Arrondissement aufgezeigt werden. Um einen
Vergleich zwischen den zwei Arrondissements zu ermöglichen, wurden die Arrondissements hinsichtlich verschiedenster Variablen und Indikatoren untersucht.
Das Untersuchungsgebiet ist zweigeteilt. Das 19. Arrondissement stellt den ersten Teil
und das 16. Arrondissement stellt den zweiten Teil dar. So wurde ein Stadtteil im Pariser
Osten und einer im Pariser Westen untersucht. Beide Viertel sind Wohnviertel und gehören zur Pariser Kernstadt. Dies sind allerdings fast schon die einzigen Gemeinsamkeiten
dieser beiden Arrondissements. So unterscheiden sich die Arrondissements hinsichtlich
ihrer Bevölkerungsdichte erheblich. Während die Bevölkerungsdichte im 16. Arrondissement 20.618 EW/km² beträgt, weist das 19. Arrondissement mit 25.453 EW/km² einen
deutlichen höheren Wert auf. Aus Zeitgründen konnten nicht die kompletten Arrondissements untersucht werden. Es wurden lediglich ein paar Straßenzüge der Arrondissements untersucht. Das waren im 19. Arrondissement die Straßen Rue de Crime, Rue
Melingue, Quai de Loire, Rue petit, Rue de la villette und die Avenue Jean Jaures. Im 16.
Arrondissement waren es die Straßen Avenue Foch, Avenue R. Poincare, Rue St.
Didier, Rue de Sablons und die Rue Mermil.
92
Eigene Darstellung
77
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 33: Schematische Darstellung der Lage des 19. (roter Kreis) und des 16. (gelber
Kreis) Arrondissements in Paris93
Für die Untersuchungen der einzelnen Arrondissements standen 15 Studenten zur Verfügung. Für das 19. Arrondissement wurden 15 Beobachtungsbogen zurückgegeben und
für das 16. Arrondissement 13 Bögen. Die Studenten wurden in Dreiergruppen aufgeteilt.
Jede Dreiergruppe musste dann pro Arrondissement einen Straßenzug untersuchen. Auf
eine gesonderte Schulung hinsichtlich des Beobachtens wurde verzichtet. Lediglich eine
kleine Erläuterung hinsichtlich der Aufgabenstellung wurde zu Beginn der Untersuchungen gegeben. Auch die zu knapp anberaumte Zeit schränkte die Studenten stark ein, um
eine genauere Untersuchung der Stadtteile durchzuführen. So mussten sich die Studenten oftmals mit groben Abschätzungen weiterhelfen.
Im Folgenden sollen nun die Ergebnisse einer tabellarischen Auswertung der Beobachtungen aufgezeigt und danach analysiert werden. Dabei wird nun zuerst das 16. mit dem
19. Arrondissement hinsichtlich der Variablen Gebäudestruktur und Gebäudezustand
anhand einer Kreuztabelle verglichen. Grundlage für die Bewertung war die Einschätzung der Arrondissements nach den Schulnotenprinzip 1 bis 6. Andere Variablen wie
Geschosshöhe und Bauzeit werden anhand eines Säulendiagramms dargestellt (zusätzliche Ausführungen zu den methodischen Aspekten werden in Kapitel 5.1 dargelegt.).
Die Tabelle 11 zeigt, dass die Gebäudestruktur im 16. Arrondissement durchgehend positiv bewertet wird. So geben drei Beobachter der Gebäudestruktur die Note 1, vier Beobachter die Note 2 und sechs Beobachter die Note 3. Kein Beobachter stuft die Gebäudestruktur im 16. Arrondissement mit der Note 4 oder schlechter ein. Im Gegensatz dazu
stuft lediglich ein Beobachter die Gebäudestruktur im 19. Arrondissement mit der Note 2
ein. Vier Beobachter teilen der Gebäudestruktur die Note 3 zu, sechs Personen die Note
4 und weitere vier Personen sogar die Note 5. Es soll dabei aber angemerkt werden,
dass kein Beobachter die Note 6 der Gebäudestruktur im 19. Arrondissement zuweist.
93
Eigene Darstellung
78
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Die Gebäudestruktur im 19. Arrondissement wird somit zwar deutlich schlechter bewertet
als die Gebäudestruktur im 16. Arrondissement, sie wird aber nicht als katastrophal beschrieben.
Tabelle 11:
Kreuztabelle Arrondissement – Bewertung der Gebäudestruktur94
Gebäudestruktur
Note
1
2
3
4
5
Gesamtergebnis
Tabelle 12:
Arrondissement
16
3
4
6
0
0
13
19
0
1
4
6
4
15
Gesamtergebnis
3
5
10
6
4
28
Kreuztabelle Arrondissement – Bewertung des Gebäudezustandes95
Gebäudezustand
Note
2
3
4
5
Gesamtergebnis
Arrondissement
16
10
3
0
0
13
19
3
1
7
4
15
Gesamtergebnis
13
4
7
4
28
Geschosshöhen 19. Arrondissement
Anteil in %
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
mehrst.
siebenst.
sechsst.
fünfst.
vierst.
dreist.
zweist.
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16
einst.
15 Beobachter + Durchschnitt
Abbildung 34: Geschosshöhen im 19. Arrondissement. Die ersten 15 Zylinder stellen die einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 16. Zylinder stellt den Durchschnitt
dar96
94
Eigene Darstellung
95
Eigene Darstellung
96
Eigene Darstellung
79
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Geschosshöhen 16.Arrondissement
Anteil in %
100%
90%
80%
70%
60%
50%
40%
30%
20%
10%
0%
mehrst.
siebenst.
sechsst.
fünfst.
vierst.
dreist.
zweist.
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 11
12
13 14
einst.
13 Beobachter + Durchschnitt
Abbildung 35: Geschosshöhen im 16. Arrondissement. Die ersten 13 Zylinder stellen die einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 14. Zylinder stellt den Durchschnitt
dar97
Ein ähnliches Bild wie Tabelle 11 zuvor zeigt auch Tabelle 12. So bewerten die Beobachter den Gebäudezustand im 16. Arrondissement mit der Note 2. Lediglich drei Personen weichen von dieser Bewertung ab und bewerten den Gebäudezustand mit einer 3.
Wiederum deutlich schlechter schneidet der Zustand der Gebäude im 19. Arrondissement ab. So bewerten nur zwei Personen den Zustand mit der Note 2, lediglich einer mit
der Note 3, dagegen sieben Beobachter mit der Note 4 und immerhin vier Personen bewerten den Gebäudezustand mit der Note 5.
Anhand der Abbildungen lässt sich nur schwer eine Aussage über die Geschosshöhen in
den Arrondissements 16 und 19 machen. Über 50 % der beobachteten Häuser haben
aber sieben oder mehr Stockwerke. Des Weiteren fällt auf, dass die einzelnen Beobachtungsergebnisse innerhalb eines Arrondissements sehr unterschiedlich sind. Dies lässt
sich durch die verschiedenen Straßenzüge, die beobachtet werden mussten, erklären.
Mit Hilfe der Indikatoren EH-Angebot, Verkehrsaufkommen, Freizeitangebot und Grünflächen wird nun die Wohnattraktivität am Mikrostandort beurteilt.
Tabelle 13:
Kreuztabelle Arrondissements – Qualität des EH-Angebots98
EH-Angebot
Note
1
2
3
4
5
Gesamtergebnis
97
Eigene Darstellung
98
Eigene Darstellung
Arrondissement
16
5
5
0
0
3
13
19
0
1
3
3
8
15
Gesamtergebnis
5
6
3
3
11
28
80
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Tabelle 14:
Kreuztabelle Arrondissements – Verkehrsaufkommen99
Verkehrsaufkommen
Note
2
3
4
5
k.A.
Gesamtergebnis
Tabelle 15:
19
7
5
1
1
1
15
Gesamtergebnis
12
7
1
7
1
28
Kreuztabelle Arrondissements – Qualität des Freizeitangebots100
Freizeitangebot
Note
3
4
5
Gesamtergebnis
Tabelle 16:
Arrondissement
16
5
2
0
6
0
13
Arrondissement
16
6
1
6
13
19
4
3
8
15
Gesamtergebnis
10
4
14
28
Kreuztabelle Arrondissements – Grünflächen101
Freizeitangebot
Note
3
4
5
Gesamtergebnis
Arrondissement
16
6
1
6
13
19
4
3
8
15
Gesamtergebnis
10
4
14
28
Tabelle 13 zeigt, dass die Hälfte der Beobachter (also 14 von 28) das EH-Angebot mit
der Note 4 oder schlechter beurteilen. Lediglich drei, der 14 negativen Bewertungen,
werden dabei dem 16. Arrondissement zugeteilt, die restlichen elf fallen auf das 19. Arrondissement. Drei andere Beobachter schätzen das EH-Angebot im 19. Arrondissement
als befriedigend ein. Lediglich ein Beobachter stuft das EH-Angebot im 19. Arrondissement als gut ein. Dagegen bewerten im 16. Arrondissement gleich fünf Beobachter das
EH-Angebot als sehr gut und weitere fünf als gut. Insgesamt schließt das EH-Angebot im
16. Arrondissement im Vergleich zum 19. Arrondissement deutlich besser ab.
In Tabelle 14 sind die Ergebnisse zum Verkehrsaufkommen aufgelistet. Ein zu hohes
bzw. ein sehr gutes Verkehrsaukommen senkt die Wohnattraktivität der Arrondissements. Diese Tabelle zeigt, dass im größten Teil des 19. Arrondissements das Verkehrsaufkommen mit gut bzw. befriedigend bewertet wird. In dem 16. Arrondissement ist
eine größere Varianz zu erkennen. So bewerten sechs Beobachter das Verkehrsauf-
99
Eigene Darstellung
100
Eigene Darstellung
101
Eigene Darstellung
81
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
kommen als mangelhaft und weitere fünf Personen als gut. Dagegen wurde die Note 3
nur von zwei Beobachtern belegt. Kein Beobachter stufte das Verkehrsaufkommen im
16. Arrondissement als ausreichend ein. Diese große Varianz ist durch die Tatsache zu
erklären, dass ein Teil der Beobachter Hauptverkehrsstraßen und ein anderer Teil Nebenstraßen untersucht haben.
Das Freizeitangebot wird wie folgt bewertet: Im 16. Arrondissement bewerten sechs Beobachter das Freizeitangebot als mangelhaft, sechs weitere Personen als befriedigend
und eine weitere Person als ausreichend. Im 19. Arrondissement bewerten sogar acht
Beobachter das Freizeitangebot als mangelhaft, drei als ausreichend und vier als befriedigend. Die Noten 1 und 2 werden von den Beobachtern nicht gewählt. Dies lässt darauf
schließen, dass in beiden Arrondissements die Freizeitmöglichkeiten sehr eingeschränkt
vorhanden sind.
Der letzte Indikator, der nun analysiert werden soll, sind die Grünflächen. Das Vorhandensein von Grünflächen steigert die Wohnattraktivität des Arrondissements. Ähnlich wie
zuvor beim Indikator Freizeitangebot schneiden beide Arrondissements sehr schlecht ab.
So bewerten im 16. Arrondissement sieben von 13 Beobachtern und im 19. Arrondissement sogar 11 von 15 Beobachtern die Grünflächen als mangelhaft. Während im 16.
Arrondissement je ein Beobachter die Grünflächen mit der Note 1 bzw. 2 bewertet, stuft
kein Beobachter des 19. Arrondissement die Grünflächen als gut oder besser ein.
Bauzeit der Gebäude im 19. Arrondissement
100
90
80
70
60
Anteil in % 50
40
30
20
10
0
nach 1945
vor 1945
1
2
3
4
5
6
7
8
9 10 11 12 13 14 15 16
15 Beobachter + Durchschnitt
Abbildung 36: Bauzeit der Gebäude im 19. Arrondissement. Die ersten 15 Zylinder stellen die
einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 16. Zylinder stellt den Durchschnitt
dar102
102
Eigene Darstellung
82
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Bauzeit der Gebäude im 16. Arrondissement
100
90
80
70
60
Anteil in % 50
40
30
20
10
0
nach 1945
vor 1945
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10 11 12 13 14
13 Beobachter + Durchschnitt
Abbildung 37: Bauzeit der Gebäude im 16. Arrondissement. Die ersten 13 Zylinder stellen die
einzelnen Beobachtungsergebnisse dar, der 14. Zylinder stellt den Durchschnitt
dar103
Anhand der Abbildung 36 und Abbildung 37 lassen sich Aussagen über die Bauzeit der
Gebäude in den einzelnen Arrondissements machen. Während im 16. Arrondissement
die Anzahl der Gebäude, die vor 1945 erbaut wurden, deutlich überwiegt, ist der Anteil
der Gebäude im 19. Arrondissement, die schon vor 1945 erbaut worden sind, knapp unter 50 %. Dies lässt darauf hinweisen, dass über die Hälfte der Gebäude im 19. Arrondissement erst in den letzten 60 Jahren erbaut wurde. Es ist dabei anzunehmen, dass es
sich oftmals um staatlich subventionierte Baumaßnahmen handelte. Diese Gebäude
werden heute als Sozialwohnungen genutzt.
Die Untersuchung der Variablen „Anteil der Ein- und Mehrfamilienhäuser“ ergibt, dass in
beide Wohngebiete ausschließlich Mehrfamilienhäuser zu finden sind. Auch die Untersuchungen zur Gebäudenutzung führen in beiden Arrondissements zu ähnlichen Ergebnissen. So überwiegt deutlich der Anteil der Wohnnutzung mit 65,6% im 19. Arrondissement
bzw. sogar 73,3% im 16. Arrondissement. Die gewerbliche Nutzung ergab laut den Beobachtungen je 15%. Der Rest fällt auf öffentliche Gebäudenutzungen.
4.2.8 Fazit
Paris ist immer noch der zentrale Agglomerationsraum Frankreichs. Deshalb wird auch
die Bevölkerung in der Ile-de-France in Zukunft weiter anwachsen und Paris selbst, dessen Fläche für die wachsende Bevölkerung zu wenig sein wird, immer mehr ins Umland
“ausfließen”. Die Verantwortlichen sollten sich deshalb schon frühzeitig Gedanken machen wie und wohin sie Paris steuern möchten und Programme dazu ausarbeiten, die
immer wieder aktualisiert werden müssen, damit keine Fehlentwicklungen stattfinden.
Beispiele für unterschiedliche Entwicklungen sind die beiden beschriebenen Arrondissements. Der Vergleich der beiden Arrondissements zeigt deutliche Unterschiede hinsichtlich der Attraktivität der Standorte. So ist das 16. Arrondissement geprägt durch we-
103
Eigene Darstellung
83
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
nig baufällige Gebäude, die oftmals eine hervorragende Grundstruktur aufweisen. Die
Gebäudefassaden sind oftmals einheitlich gestaltet, d.h. die Anzahl der Stockwerke und
die Stockwerkshöhen sind innerhalb eines Straßenzuges aufeinander abgestimmt. Die
auffällige und meist sehr hochwertige Ornamentik an den Haus-Fassaden verstärkt das
Gefühl, dass es sich dabei um ein Wohngebiet der sozial höheren Schicht handelt. Seine
Stellung als Wohngebiet der oberen Schicht hat das 16. Arrondissement schon seit mehreren Jahrhunderten. Aufgewertet durch zahlreiche Bauprojekte (Haussmann) und Renovierungsmaßnahmen verlor das 16. Arrondissement nie seinen Glanz. Auffällig für das
16. Arrondissement ist aber auch die abfallende Gebäudestruktur in den Nebenstraßen
(z.B. Rue St. Didier). So sind in diesen Strassen die Gebäude weit weniger intensiv mit
Ornamentik geschmückt als in Hauptverkehrsstraßen. Fast gegensätzlich zum 16. Arrondissement ist das 19. Arrondissement gestaltet. So sind innerhalb eines Straßenzuges Häuser unter-schiedlichster Gebäudestruktur und -höhe nebeneinander zu sehen.
Auch erweckt der Gesamteindruck das Gefühl, die stadtplanerische Projekte haben dieses Arrondissement völlig übergangen. Doch weist die Geschichte dieses Arrondissements durchaus auf stadtplanerische Maßnahmen hin. Das 19. Arrondissement gilt seit
seiner Eingemeindung zu Paris als Arbeiterviertel. Die wenig durchdachte Stadtplanungsmaßnahmen schadeten diesem Wohngebiet eher als sie es aufwerteten. So stellt
das 19. Arrondissement heute einen sozialen Brennpunkt innerhalb Paris dar. Doch wäre
es falsch, dass 19. Arrondissement als ein Armenviertel darzustellen. Aufgrund des riesigen Bevölkerungsdruckes der in Paris herrscht, zieht es auch wohlhabende Menschen
in das 19. Arrondissement. Diese Menschen bevorzugen also ein weniger prachtvolles,
aber innenstadtnahes Wohnviertel, und verzichten so auf eine schönere Wohngegend
(z.B. in einem Vorort von Paris).
Die Stadt Paris sollte sich dabei nicht nur auf die Problematik von Wohnen und Arbeiten
beschränken, sondern auch zukunftsfähige Transport-Konzepte erarbeiten, die in der
heutigen Zeit immer mehr an Wichtigkeit gewinnen. Wenn sie diese Aufgaben erfolgreich
meistert, kann Paris auch in Zukunft als das kräftig schlagende Herz Frankreichs bezeichnet werden.
84
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
4.3 Industriestandorte
Im folgenden Protokoll ist die Entwicklung der Industrie das Thema. Es ist ein Bestandteil
des Exkursionsführers zum Thema „Entwicklung der Weltstadt Paris“ weil die Industrie in
Paris eine mehr oder weniger wichtige Rolle spielt. In Teilkapitel 2, dem Allgemeinen Teil
zur Industrie in Paris soll die Geschichte, die Entwicklung und der heutige Stand der Industrie aufgezeigt werden. Dadurch sollen einige Hintergrundinformationen gegeben
werden, die wichtig sind, um unter anderem die Wahl der Standorte zu verstehen. Im 3.
Teilkapitel werden die Standorte vorgestellt und näher beschrieben, die während der
Exkursion zu diesem Thema aufgesucht wurden.
Seit Mitte der 1950er Jahre setzte der Verlagerungsprozess vieler Industrieunternehmen
ein. In den Jahren 1963-1965 erreichte die Zahl der jährlich dezentralisierten Industrieunternehmen ihren Höhepunkt. Über die Hälfte dieser Unternehmen zog, unter anderem
auch gelockt durch die Interventionsanreize des Staates, in die unmittelbaren Nachbarregionen der Ile-de-France. Allerdings folgten nur bei 24% dieser Unternehmen auch die
Hauptverwaltungen nach außerhalb. Eine wichtige Frage die sich der Stadt nach diesem
Prozess stellte, war die Frage nach der Folgenutzung der nun brachliegenden Flächen.
Mit dieser Frage beschäftigte sich während der Exkursion vor allem Standort 2 und 3,
der Parc André Citroen und die Pleine Saint-Denis mit dem Stade de France. Der erste
Standort dagegen zeigt neben der neuen Nutzung alter Industriegelände und –gebäude
die Kleinindustrien im 12. Arrondissement, die sich zum Teil bis heute dort erhalten haben.
Im folgenden allgemeinen Teil des Protokolls soll die Wirtschaftsstruktur in Paris, im
speziellen die Industrie erklärt werden. Der momentane Stand sowie die Entwicklungen
in diesem Sektor werden aufgezeigt.
4.3.1 Die wirtschaftliche Situation in Paris
Die Kernstadt nimmt, ähnlich wie die gesamte Ile-de-France in Frankreich, eine Vormachtstellung innerhalb der Region ein. Hier wird der mit Abstand größte Teil des BIP
der Region erwirtschaftet. Hier befindet sich die größte Konzentration von höherwertigen
Dienstleistungen, wie Banken und Versicherungen. Auch die Branchen Kultur, Gastronomie und Hotellerie sind überrepräsentiert, da Paris auch das Zentrum des Tourismus
innerhalb der Ile-de-France darstellt. Das Bekleidungsgewerbe konzentriert sich ebenfalls auf die Kernstadt, ebenso das Druckerei- und Verlagswesen am linken Seine-Ufer.
Generell lässt sich sagen, dass sich der Produktionsprozess mit der Deindustriealisierung und Dezentralisierung weitgehend aus dem Zentrum zurückgezogen hat, die Unternehmenszentralen aber weiterhin Lagen in, oder zumindest nahe dem Hauptgeschäftszentrum in der Ville-de-Paris bevorzugen. 70% aller Firmen in der Ile-de-France haben
ihren Hauptsitz in oder am Rand des Hauptgeschäftszentrums (Burdack 2004: 33).
85
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Tabelle 17 macht die Bedeutungsverschiebung der Industriestandorte innerhalb der Region deutlich. Die Kernstadt ist nur noch in der Bekleidungsindustrie und im Druck und
Verlagswesen führend, während vor allem die Schwerindustrie Lagen in der metropolitanen Peripherie bevorzugt. Auch die Forschung und Entwicklung hat sich weitgehend in
die Grande Couronne verlagert. Ein wichtiger Grund dafür scheint die Nähe zur technischen und naturwissenschaftlichen Hochschule in Orsay zu sein, der mittlerweile viele
Ausbildungs- und Forschungszentren gefolgt sind. In der Petite Couronne überwiegt die
Pharmazie eindeutig, die anderen Bereiche sind eher durchschnittlich vertreten.
86
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Tabelle 17:
Räumliche Differenzierung der Pariser Region nach Industriebestand 2002 (Lokalisationskoeffizient der Beschäftigtenanteile)
Industrie:
Paris (Kernstadt)
Petite Couronne
Grande Couronne
Nahrungsmittel
Bekleidung
Druck, Verlagswesen
Pharmazie
Haushaltsgeräte
Kfz.
Flugzeug,Schiffsbau
mechanische Industrie
Elektrogeräte
Chemie
Metallverarbeitung
Elektronik
++
++
0
--------
0
0
++
0
0
0
0
0
0
0
+
-+
++
++
++
++
++
++
++
Wasser,Gas,Strom
Bauwesen
0
--
+
0
-+
Forschung und Entwicklung
0
0
+
Regionsdurchschnitt: Lokalisationskoeffizient (LQ)= 100
++ = sehr starke Konzentration (LQ > 150)
+ = starke Konzentration (LQ = 120 – 150)
0 = Regionsdurchschnitt
- = starkes Defizit (LQ = 50 – 80)
-- = sehr starkes Defizit (LQ < 50)
Quelle: Eigene Erstellung: nach Burdack 2004
Abbildung 38: Beschäftigungsentwicklung 1962 – 1999104
104
BURDACK 2004:32
87
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Abbildung 39: Berufstätige Pendler der Agglomeration in die „City“ 1990105
In den letzten Jahrzehnten erfuhr die Kernstadt einen stetigen Beschäftigtenverlust (vgl.
Abbildung 38), doch sieht Burdack (2004: Seite.33) diesen mehr als Korrektur einer übermäßigen Verdichtung, und weniger als Standortkrise. Dafür spricht auch der von ihm
erwähnte Pendlerüberschuss von 635 000 Personen, täglich pendeln ca. 1 Million Menschen nach Paris.
Die Kernstadt ist keineswegs homogen strukturiert, was es nötig macht die einzelnen
Arrondissements gesondert zu betrachten. Auch die Industrie verteilt sich mit ihren unterschiedlichen Branchen auf verschiedene Arrondissements. Auf dem rechten SeineUfer im 2., 3. und 4. Arrondissement, also im Zentrum, befindet sich vor allem die Bekleidungsindustrie, Stoffverarbeitung und Lederwaren gefolgt vom Druck- und Verlagswesen. Im 3. Arrondissement finden sich noch die speziellen Pariser Industrien wie
Schmuckherstellung, Goldschmiedearbeiten und Parfümindustrien. Im 10. und 11. Arrondissement haben sich differenzierte feinmechanische Industrien, Elektronik und Elektroindustrie aber auch Papier- und Kartonherstellung angesiedelt. Im 12. Arrondissement
finden sich zusätzlich zu den im 10. und 11. Arrondissement genannten noch die Holzverarbeitung und Einrichtungsindustrie. Im Norden, im 19. Arrondissement befinden sich
neben der feinmechanischen Industrie vor allem Druckereien und Lederindustrie. Im 20.
Arrondissement sind die metallverarbeitenden Kleinindustrien (Automobilzulieferer, Lederindustrien, Schuhhersteller) und im 17. und 18. Arrondissement die Bekleidungsindustrie, Druckereien und Elektroindustrie.
Am linken Seine-Ufer im 13. und 14. Arrondissement befinden sich feinmechanische Industrien, Druckereigewerbe, graphische Industrien und Auto- und Flugzeugzulieferindustrien. Im 15. Arrondissement waren ehemals Automobilhersteller und Zulieferer speziell Citroen (BASTIE 1980: 46ff).
105
NOIN & WHITE 1997:123
88
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4.3.1.1 Deindustrialisierung, Tertiärisierung und Dezentralisierung
Wenn wir die eben betrachteten Standorte vergleichen, fallen erhebliche räumliche Ungleichgewichte auf. So kann man grob die westliche von der östlichen Ile-de-France
trennen.
Das Jobangebot ist in der Kernstadt und im Westen der Ile-de-France umfangreicher als
im Osten und dieser Trend setzt sich in den Vororten bis hinein in die Grande Couronne
fort. Gründe dafür sind die westwärts verlaufende Tertiärisierung und die Nähe zum politischen und wirtschaftlichen Machtzentrum, das sich von der westlichen Kernstadt durch
die Expansion zentraler Tätigkeiten bis in die westliche Petite Couronne ausdehnt. Von
dieser für Firmen wichtigen Nähe zu den Entscheidungsträgern profitiert zwar die gesamte Ile-de-France, der westliche Teil aber besonders. Das hängt mit den besseren
Bedingungen, dem Image und dem Standortprestige zusammen. Der Westen der Kernstadt bietet zum einen die besseren Wohnstandards und ist weniger durch altindustrielle
Strukturdefizite belastet (NOIN und WHITE: 120ff). Zum anderen wurde durch die Aufbauarbeit des Staates dieser Trend noch gefördert, z.B. führt La Défense in der Hautsde-Seine mit seinen Wohn- und Bürokomplexen den Trend der westlichen Arrondissements fort und erfreut sich massiver staatlicher Förderung ((SCHÜLE 1997 : 30)). Da es
sich vor allem um hochrangige Dienstleistungen und Hauptverwaltungen von Firmen
handelt, spielen die so genannten „weichen“ Standortfaktoren eine große Rolle, so auch
die landschaftliche Attraktivität (besonders im Südwesten, z.B. Naturpark Haute Vallée
de Chevreuse). Die östlichen Arbeiterviertel weisen aufgrund ihrer industriellen Vergangenheit weniger attraktive Standorte für Dienstleistungen auf. Die hier konzentrierte Arbeiterbevölkerung und die teilweise ärmlichen und sanierungsbedürftigen Viertel, die
Brachflächen die durch die Deindustriealisierung entstanden, geringe Qualifikation der
Bewohner, hohe Arbeitslosigkeit und das damit verbundene Konfliktpotential, ließ die
Tertiärisierung westwärts wandern, was die genannten Probleme der östlichen Arrondissements und der östlichen Petite Couronne weiter verstärkte.
Insgesamt verlor die Region seit 1960 etwa 800 000 Industriearbeitsplätze. Heute beträgt die Zahl noch etwa 650 000 (COY 2003: 63). Verstärkt wurde der Prozess durch die
Dezentralisierungspolitik des Staates.
Die räumliche Konzentration von gewerblichen und industriellen Unternehmen in der Ilede-France, und dort vor allem im inneren Stadtgebiet und der unmittelbaren Vorortzone
(„proche banlieue“), aber auch hohe Bevölkerungsprognosen, die bei gleich bleibendem
Wachstum einen Kollaps der Stadt prophezeiten, ließen den Staat Maßnahmen zur Dezentralisierung einleiten. Als Anreize wurden den Unternehmen Förderungen, Zuschüsse
und Vergünstigungen geboten, aber auch hohe Steuern und Grundstückspreise innerhalb der Ile-de-France verlangt (PLETSCH 1998: 4).
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 40: Abwanderung von Industrieunternehmen (mit durchschnittlich 150 Beschäftigten ) aus der Ile-de-France, 1954 – 1981106
Abbildung 34 zeigt, dass in den 1960ern die Abwanderung am stärksten war, der Trend
in den 1980ern jedoch zum Erliegen kam, was auf den Rückgang der verlockenden Vergünstigungen (verbunden mit einem Regierungswechsel), sowie die versuchte Stärkung
der Ile-de-France zur Verbesserung der Position in Europa zurückzuführen ist. Bedacht
werden muss aber auch, dass die Abwanderung nicht allein auf den staatlichen Dezentralisierungsmaßnahmen beruhte. Die Standorte im inneren Stadtgebiet und der Vorortzone entsprachen häufig nicht den modernen Ansprüchen und ließen eine Anpassung
aufgrund der räumlichen und infra-strukturellen Einschränkungen nur selten zu
(PLETSCH 1998: 4f).
- Insgesamt 4000 Industrieunternehmen verließen die Ile-de-France und wanderten
in die Provinz ab. Dort entstanden dadurch ca. 500 000 Arbeitsplätze (vgl.
Abbildung 40).
- Dienstleistungsunternehmen zählten nur 700 Unternehmenstransfers in die Provinz, was dort etwa 100 000 Arbeitsplätze schuf (PLETSCH 2000: 99f).
Der Erfolg der Maßnahmen ist als eher gering zu bewerten, vor allem weil sich viele Unternehmen in den unmittelbaren Nachbarregionen ansiedelten und viele Hauptverwaltungen in der Region blieben, bevorzugt in der Kernstadt (PLETSCH 1998: 4). Teilweise
kehrten die Unternehmen auch nach Auslauf der Vergünstigungen wieder zurück (MAIER et al. 1997: 69). Demnach kann man hier mehr von Dekonzentration als von Dezentralisierung sprechen (BRÜCHER 1992: 147).
Ein weiterer Punkt ist die innerregionale Wanderung. 1986 – 1995 haben 321 Unternehmen > 100 Beschäftigte sich von der Kernstadt in der Petite und Grande Courone angesiedelt. Umgekehrt waren es nur 33 Unternehmen, was insgesamt zu einem Verlust von
250 000 Arbeitsplätzen in der Kernstadt führte.
Gründe für die Wanderung waren unter anderem die schlechten Bedingungen in der
Kernstadt und fehlende Erweiterungsmöglichkeiten für die Werke, aber auch teure Produktionskosten (PLETSCH 1998: 5).
106
PLETSCH 2000:100
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Die Maßnahmen gegen ein quantitatives Wachstum der Stadt Paris beschleunigten das
qualitative Wachstum in der Stadt. Höherrangige Tätigkeiten entwickelten sich und der
Übergang vom Industrie- zum Dienstleistungssektor wurde beschleunigt (BURDACK
2004: 32). Wie schon beschrieben kam besonders der Osten bei dieser Entwicklung zu
kurz. Aufgrund dessen nehmen auch die sozialen Disparitäten zu.
4.3.2 Ausgewählte Standortbeispiele
In den folgenden Abschnítten werden drei Standorte beschrieben, die zum Thema „Entwicklung der Industrie in Paris“ besucht wurden. Die jeweiligen Hintergründe, warum derjenige Standort jeweils gewählt wurde und die dort tatsächlich vorgefundenen Verhältnisse werden aufgezeigt. Die Standorte waren das 12. Arrondissement mit seiner Kleinindustrie, der Parc André Citroen und das Stade de France in der Plaine Saint-Denis.
4.3.2.1 Die Kleinindustrie im 12. Arrondissement
Der erste Standort zum Thema „Entwicklung der Industrie in Paris“ war das 12. Arrondissement. Dieses Arrondissement entstand im Zuge der inneren Neugliederung der Verwaltungsbezirke von Paris im Jahre 1860, als die seit 1784 errichtete Mur de Fermiers
Gènèraux geschleift wurde, um die Eingemeindung mehrerer bis dahin noch unabhängiger Vororte zu ermöglichen. Die Zahl der Arrondissements vergrößerte sich nun
auf 20, nachdem am Ende der Revolution am 11. Oktober 1795 zunächst 8 Arrondissements mit jeweils vier Quartiers (Vierteln) geschaffen worden waren. Diese Struktur wurde auch bei der Einrichtung der neuen Arrondissements beibehalten. Das 12. Arrondissement gliedert sich in vier Quartiers: Quinze-Vingts im Westen, Picpus im Zentrum, BelAir im Osten und Bercy im Süden.
Abbildung 41: Karte von Paris mit den 20 Arrondissements. Das 12. Arrondissement liegt im
Südosten von Paris auf dem rechten Ufer der Seine107.
107
www.paris-hotel-france.com
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In diesem Arrondissement befinden sich eine differenzierte feinmechanische Industrie,
Elektronik und Elektroindustrie, Papier- und Kartonherstellung sowie Holzverarbeitende
und Einrichtungsindustrien (BASTIE 1980 : 46ff).
Diese Vielzahl von kleingewerblichen und kleinindustriellen Unternehmen vermehrte sich
im Verlauf des 19. Jahrhunderts besonders stark. Ihre Ursprünge befinden sich allerdings schon in der Frühneuzeit, als diese Industrien im 12. Arrondissement unter dem
besonderen Schutz Ludwigs des XI. standen (1423 -1462).
Handwerker aus dem Bereich der Holzverarbeitung und Möbelherstellung siedelten sich
insbesondere im 17. Jahrhundert an. Für sie war das 12. Arrondissement auf Grund eines Erlasses Colberts im Jahr 1657, in Nachbarschaft zur ehemaligen Abtei von SaintAntoine, ein günstiger Standort.
Obwohl die Zahl der dortigen industriellen Unternehmen immer mehr abnimmt – 1979
gab es noch 21 500 Unternehmen mit ca. 400 000 Arbeitsplätzen, inzwischen hat sich
diese Zahl halbiert – ist hier noch heute die traditionelle Gewerbe- und Versorgungsstruktur gut nachvollziehbar. Denn noch immer findet man eine hohe Anzahl der Passagen und Hinterhöfe, die von kleinindustriellen und kleingewerblichen Unternehmen genutzt werden. Nachts werden diese Passagen noch immer abgeschlossen, tagsüber
kann man die meisten jedoch problemlos betreten.
So zum Beispiel die Passage du Cheval Blanc, die bei der Exkursion neben mehrerer
kleinerer Passagen besichtigt wurde. Sie befindet sich, wie zahlreiche andere Passagen
dieser Art in der Rue Faubourg Saint-Antoine, an der nordöstlichen Ecke der Place de la
Bastille. Ihre Architektur ist weitgehend unverändert. Es wirkt wie in einem eigenen kleinen Stadtteil – mit den nach Monatsnamen benannten Innenhöfen und Treppen (Cour
Janvier, Escalier de Mars...). Selbst der Straßenlärm ist hier kaum noch zu hören. Auf
den Klingenschildern im Torbereich kann man die heutige Nutzung ablesen: Agenturen,
Ateliers, Studios, teilweise Privatwohnungen, aber auch einige kleine Handwerksbetriebe, die sich immer noch hier befinden. Auf der Hauptstraße geben einige Möbelläden
Hinweise auf die traditionelle Holverarbeitung und Möbelindustrien.
Abbildung 42: Blick in die Passage du cheval blanc108.
108
www.atelierbordas.online.fr
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
In einer anderen, kleineren Passage waren diese Merkmale auch sehr schön zu erkennen. Die alte Architektur, die ehemaligen mehrstöckigen Fabrikgebäude mit alten
Schornsteinen sowie ein kleiner messingverarbeitender Familienbetrieb, der wahrscheinlich seit Generationen dort ansässig ist. Die mehrstöckigen Fabrikgebäude lassen auf die
ehemals sehr schlechten Arbeitsbedingungen in diesen Hinterhoffabriken schließen.
Festzuhalten bleibt der deutlich sichtbare Tertiärisierungsprozess, der auch die Kleinindustrie nicht verschonte und auch noch in Zukunft weiter voranschreiten wird.
4.3.2.2 Der Parc André Citroen
Der Parc André Citroen liegt im 15. Arrondissement am linken Ufer der Seine, stadtauswärts hinter dem Marsfeld. An diesem Standort lag bis Mitte der 70er Jahre das Stammwerk des Automobilherstellers André Citroen.
Das Unternehmen wurde im Jahr 1915 hier ansässig und produzierte hier auch die legendäre „Ente“ 2CV. Die enorme Wichtigkeit, die dieses Unternehmen für seinen Standort hatte, lässt sich unter anderem daran sehen, dass 1958 der Quai de Javel (Adresse
des Hauptsitzes) in Quai André Citroen umbenannt wurde.
Zu Beginn der 1960er Jahre wurden wichtige Produktionszweige vom Stammwerk in die
bretonische Hauptstadt Rennes verlagert. Grund dafür war zum einen die zunehmende
Ausdehnung der Stadt Paris, wodurch die Fabrik am Quai de Javel zunehmend von
Wohngebieten umschlossen wurde. Dies erschwerte nötige Erweiterungen des Unternehmens, ebenso entsprach der Standort nicht mehr den modernen Erfordernissen und
die Produktion im dicht bebauten Stadtgebiet war einfach nicht mehr zeitgemäß. Am 15.
April 1975 verließ das letzte in Javel produzierte Auto die Anlage, in der seit 1919 exakt
3 227 105 Automobile das Band verließen (www.geocities.com).
Nachdem das ehemalige Werksgelände über 20 Jahre lang brach lag und 1982 die Zentrale des Unternehmens in den Pariser Vorort Neuilly-Sur-Seine verlegt wurde, entstand
1992 im Rahmen eines Sanierungskonzeptes der Parc André Citroen. Er ist das Zentrum
mehrerer Wohnblocks des gehobenen Standards, Bürokomplexen, einem Krankenhaus
sowie zahlreicher Kultureinrichtungen (PLETSCH 1998: 6). Er beruht auf einem Entwurf
Abbildung 43: Seit Sommer 1999 kann man von diesem Ballon im Park André Citroen aus Paris von oben betrachten109.
109
Aufnahme S.Hörz 2004
93
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
der Architekten Patrick Berger, Jean-Paul Viguier, Jean-Francoise Jodry und der Landschaftsarchitekten Gilles Clément und Alain Provost. Diese hatten den 1985 von der Direction des Parques, Jardin et Espaces Vertes de la Ville de Paris ausgeschriebenen
Wettbewerb gewonnen. Die Kosten beliefen sich auf circa 35 Millionen US-Dollar
(www.uwefreund.com).
Der Nutzen des 14 Hektar großen Parks wird in erster Linie als Erholungsgebiet für die
Anwohner gesehen, geht aber, wie folgendes Zitat aus dem Designkonzept deutlich
macht, weit darüber hinaus. „Die Ästhetik dieses Parks solle den Einfluss von Paris auf
Frankreich wie auch im weiteren Rahmen widerspiegeln, und vor allem solle es für die
Geschichte der Gartenarchitektur einen Meilenstein zeitgenössischer Gartengestaltungstrends setzen. Ziel sollte es nicht nur sein, den Anwohnern einen angenehmen Erholungsort anzubieten, sondern dem Park auch eine eigene Persönlichkeit und stilistische
Einheit geben, die einer großen Metropole wert sei“(www.uwefreund.com).
Der Park gliedert sich in mehrere Themenbereiche. Da wäre zum Beispiel der „weiße
Garten“, der nur mit weißen Blumen bepflanzt ist, der „schwarze Garten“ der ausschließlich aus einem dunklen Grün besteht oder der „Garten der Bewegung“, „Garten der Veränderung“ und so weiter. Der Park soll futuristisch wirken. Rechte Winkel, Wasserspiele
und Kanäle zeigen die typisch französische Gartenarchitektur, aber auch englische und
japanische Einflüsse werden deutlich. Es gibt eine große Liegewiese, Gewächshäuser
und viele Mottogärtchen (www.france.com).
Abbildung 44: Blick über die große Liegewiese auf hochwertige Bürogebäude am Rande des
Parks110.
110
Aufnahme S.Hörz 2004
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Abbildung 45: Der Park wird von der Bevölkerung gut angenommen111.
Beim Besuch dieses Standorts konnte man sehen, dass der Park bei der Bevölkerung
gut angenommen wird. Viele Menschen aller Altersgruppen waren zu sehen. Die Gebäude, die vom Park aus zu sehen waren, waren alle höheren Standards. Es gab höherwertige Bürogebäude und Wohnblocks. Fabriken waren keine mehr zu finden. Deutlich erkennbar war beispielsweise die Unternehmenszentrale des Mobiltelefonherstellers
Sagem, welche auf die Ausdehnung höherwertiger Tätigkeiten in die westlichen Arrondissements schließen lässt. Die höherwertigen Wohnblocks unterstützen diese Vermutung.
Abbildung 46: Am linken Rand des Bildes sieht man eines der großen Gewächshäuser, davor
einen der großen Springbrunnen des Parks112.
111
Aufnahme C.Klaus 2004
112
Aufnahme C.Klaus 2004
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4.3.2.3 Die Plaine Saint-Denis mit dem Stade de France
Hierbei handelt es sich um ein 700 Hektar großes Gebiet im Pariser Norden, welches die
Gemeinden Saint-Denis, Aubervilliers und Saint-Quen umfasst. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden hier mit der Anlage des Canal de Saint-Denis und etwas später mit der
Eisenbahn günstige Standortbedingungen geschaffen. Weitere Gunstfaktoren dieses
Standortes sind die Nähe zum Zentrum mit seinen vielen Arbeitskräften und die zur Verfügung stehende große Fläche. Mit der Industrialisierung kam es zur Ansiedlung zahlreicher Betriebe der unterschiedlichsten Branchen, vor allem aber der chemischen und metallverarbeitenden Industrien. Folge war ein chaotisches Durcheinander von Industrieunternehmen jeglicher Größenordnung und Produktionsrichtung. Die dazugehörige Infrastruktur wurde besonders in den vielen Arbeiterquartieren deutlich. Die Plaine war einer
der bedeutendsten Industriestandorte der Ile-de-France. (PLETSCH 2000: 105ff)
In den 1960er Jahren setzte im Zuge des jüngeren Strukturwandels der Niedergang des
Gebietes ein. Zu Beginn der 1990er Jahre waren nur noch ca. 20% der Beschäftigten in
der Industrie tätig, bei stark rückläufiger Gesamtbeschäftigung. Der Deindustrialisierungsprozess hatte hier besonders starke Auswirkungen und konnte durch die zunehmende Tertiärisierung nicht aufgefangen werden. Die Überbleibsel der industriellen
Strukturen wie Brachflächen und Altlasten stellen besondere Anforderungen bei der Erneuerung. Die Bevölkerungsstruktur wirft zusätzliche Probleme auf, im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus entstanden viele Großwohnsiedlungen, die heute zu den sozialen
Brennpunkten zählen. (BUR-DACK 2004: 36ff).
Für die Jahre 2000-2006 wurde die Plaine Saint-Denis in den Planvertrag zwischen Region und dem Zentralstaat aufgenommen. Im Mittelpunkt stehen Verkehrsinfrastrukturprojekte wie zum Beispiel die Verlängerung der Metrolinien. Im regionalen Entwicklungskonzept (SDAURIF) wurde das Gebiet zum wirtschaftlichen Entwicklungsschwerpunkt
gemacht (BURDACK 2004: 36ff).
Das Planungsgebiet hat einige Erfolge aufzuweisen. So sammeln sich hier heute vor
allem Branchen, die auf Grund des boomenden Pariser Immobilienmarktes innerhalb der
Kernstadt verdrängt wurden. Hier finden sie eben die oben genannten Vorteile wie genügend Fläche, gute Verkehrsanbindung und außerdem staatliche Förderung. Es sind Unternehmen aus dem Druck- und Verlagswesen, das Bekleidungsgewerbe, elektronische
Medien sowie TV- und Filmproduktionen, welche den bedeutendsten Wirtschaftszweig
darstellen. Zahlreiche Unternehmen haben sich auf vor- und nachgelagerte Tätigkeiten
spezialisiert, wie zum Beispiel im Bereich Beleuchtung, Ausstattung oder Nachbearbeitung.
Allerdings sind auch einige neue Probleme entstanden. Die Zahl der Arbeitsplätze, die
durch neue Wirtschaftszweige gewonnen werden, ist gering. Außerdem kommen die
Zuwächse eher Personen zugute, die außerhalb wohnen, aber nicht bereit sind, auch in
die Plaine zu ziehen. Gründe hierfür sind unter anderem die sanierungsbedürftigen
Wohnungen, die hohe Kriminalität und auch die Defizite in der Nahversorgung und der
Gastronomie (BURDACK 2004: 36ff).
Schon in den 1980er Jahren wurden Initiativen ins Leben gerufen, die eine wirtschaftliche, soziale und städtebauliche Restrukturierung des Gebiets zum Ziel hatten. Was dem
Département zugute kam ist seine relativ günstige Verkehrslage im Norden von Paris.
96
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Zum einen reichen die beiden Flughäfen Le Bourget und Charles de Gaulle in das
Département hinein und zum anderen durchlaufen die beiden bedeutenden Ringautobahnen Boulevard Périphérique und La Francilienne das Département. Außerdem schaffen die Fernautobahnen A 1 = Autoroute du Nord und A 4 = Autoroute de l’Est eine ausgezeichnete überregionale Anknüpfung, die durch die Einbindung in das Hochgeschwindigkeitsnetz der Eisenbahn (TGV = Train de la grande vitesse) ergänzt wird. Dies waren
alles wichtige Rahmenbedingungen für die Entscheidung, auf den dortigen Industriebrachflächen ein neues Fußballstadion zu bauen, in dem die Ausrichtung der Fußballweltmeisterschaft im Jahr 1998 möglich war. Diese Entscheidung war eindeutig eine politische. Im Raumordungsplan vom 26.04.1994 wurde die Plaine-St.-Denis mit dem Bau
des Stadions als einer der strategischen Standorte definiert. An diese Entscheidung war
die Erwartung geknüpft, dass sie Katalysatorwirkungen für eine eigenständige und nachhaltige Entwicklung in den betroffenen Gebieten haben würden. Im Falle des Stadionbaus war die Wirkung auf den ersten Blick beeindruckend. Bedingt durch die Terminvorgabe (Durchführung der Weltmeisterschaft zwischen dem 10.06. und 12.07.1998) wurde
innerhalb kürzester Zeit eine der größten Baustellen der ganzen Nation eingerichtet. In
einer Rekordzeit von 31 Monaten wurde auf einer Fläche von 17 Hektar ein Stadion für
80 000 Zuschauer erbaut. Dazu wurde die Infrastruktur im Umfeld dieser Arena großzügig verändert und die Autobahn Nord (A1) auf einer Länge von 1,7 km übertunnelt.
Abbildung 47: Industriebrachflächen in der proche banlieue von Paris113.
113
Malecieux 1991
97
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Abbildung 48: Das Stade de France114.
Neu entstanden ist die moderne Bahnhofsanlage Stade de France-Saint-Denis der französischen Eisenbahngesellschaft S.N.C.F., die auch vom regionalen Schnellverkehrsnetz der Metro genutzt wird. Außerdem wurden auf einem Gelände von über 40 000 m²
Grün- und Parkflächen angelegt und ein Rückhaltebecken mit einer Kapazität von 165
000 m³ unter dem Stadion zur Hochwasserversicherung des Stadtviertels angelegt. Um
den Bedarf an zusätzlichen Arbeitskräften soweit als möglich lokal zu sichern wurde
1995 ein so genannter Groupement d’intèret puplic (GIP Plaine-Emploi) gegründet, ein
Zweckverband, der sich aus Unternehmern, Vertretern der kommunalen und regionalen
Behörden, verschiedenen Berufsverbänden sowie einer Reihe weiterer Institutionen zusammensetzte. Ihre Mittlerfunktion hatte zur Folge, dass zum Beispiel im Bereich des
Bausektors rund 85 % der 732 im Zusammenhang mit dem Stadionbau entstandenen
Arbeitsplätze auf dem lokalen Arbeitsmarkt besetzt wurden. Über ein Jahr lang waren
täglich zwischen 1200 und 1400 Beschäftigte allein beim Stadionbau im Einsatz. Hinzu
kamen bis zu 1600 Beschäftigte auf den übrigen Baustellen, die mit diesem im Zusammenhang standen (vgl. Abbildung 49) (Pletsch 1998: 8f).
Allerdings stellt sich die Frage der Nachhaltigkeit und der Katalysatorwirkung der Maßnahme. Als zum Jahresende 1997 die Arbeitskolonnen abzogen, schnellte die Arbeitslosenquote wieder in die Höhe. Im Dezember 1997 betrug sie in der Gemeinde SaintDenis 15 % (Durchschnitt in der Ile-de-France 10,8 %). Die konkrete Zahl der Arbeitsplätze die bestehen bleiben beträgt etwa 80, auch wenn im Zusammenhang mit sportlichen Großereignissen kurzfristig mit jeweils bis zu 2 000 Beschäftigten gerechnet wird
(MAYER, A. et al. 1998: 8 f).
An diesem Standort fielen folgende Dinge besonders auf: es gab sehr viele Freiflächen
und auch Baustellen, an den Bürogebäude entstehen sollen, was auf eine noch bestehende staatliche Förderung hindeuten könnte. Der Strukturwandel war also noch gut zu
erkennen.
114
Aufnahme S.Hörz 2004
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Abbildung 49: Arbeitskräfteeinsatz beim Bau des Stade de France und auf den damit zusammenhängenden Baustellen115.
An der ansonsten vorhandenen Struktur war keine Einheitlichkeit in der Baustruktur oder
Nutzung zu erkennen. In den neuen Gebäuden sind hauptsächlich Dienstleister untergebracht. Aber auch viele alte Strukturen wie Fabrikschornsteine, ein altes Zentrum des
Ortes oder eine Plattenbausiedlung waren noch zu sehen.
4.3.3 Fazit
Seit der Mitte der 50er Jahre hat sich die Industrie immer mehr aus der Pariser Kernstadt
zurückgezogen. Aufgrund von Platzmangel, Dezentralisierungsmaßnahmen von Seiten
des Staates und Modernisierung haben sich immer mehr Industrieunternehmen einen
Standort außerhalb der Stadt oder in einem anderen Teil Frankreichs gesucht.
Während der Exkursion in Paris wurde versucht, diesen Prozess für die Exkursionsteilnehmer deutlich zu machen. Aus diesem Grund wurden drei Standorte gewählt, die damit im Zusammenhang stehen. Einmal der Parc André Citroen und das Stade de France
als zwei Beispiele für die Nutzbarmachung der von der Industrie verlassenen Fläche.
Und zum Anderen die Kleinindustrie in den Passagen des 12. Arrondissements um zu
zeigen, wie solche übrig gebliebenen Industriestandorte in der Kernstadt heute aussehen
und auch um eine Vorstellung davon zu geben, wie sie früher ausgesehen haben.
4.4 Standorte der Dienstleistungsfunktionen
In dieser Ausarbeitung geht es um die Entwicklung der Dienstleistungsstrukturen in der
Ile-de-France, wo Dienstleistungen besonders stark konzentriert sind. Zu-nächst wird in
einem allgemeinen Teil auf die Dienstleistungen in Frankreich und in der Hauptstadtregion und auf die dortige Verteilung in Bezug auf Kernstadt, Grande und Petite Couronne
eingegangen. Im Weiteren wird auf bestimmte Arten von Dienstleistungen fokussiert:
zunächst wird näher auf den Einzelhandel eingegangen, insbesondere auf den Strukturwandel in diesem Sektor, was durch Beispiele veranschaulicht wird. Es folgt ein Kapitel
115
MAYER ET AL 1998
99
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
über den Tourismus und seine wirtschaftliche Bedeutung. Auch hier werden Beispiele
präsentiert, die Teile der Exkursion 2004 waren: Montmartre und das Luxushotel George
V. Bürostandortkonzentrationen sowie Konzentrationen von Regierungseinrichtungen
sind weitere Dienstleistungsschwerpunkte, die betrachtet werden. Hier werden drei
Standorte vorgestellt: das Geschäftszentrum, das sich im 8. Arrondissement befindet,
das Regierungsviertel im 7. Arrondissement sowie La Défense.
4.4.1 Der Dienstleistungssektor in Frankreich
Der tertiäre Sektor dominiert heute die Beschäftigungs- und Produktionsstruktur in Europa, doch in Frankreich hat er eine größere Bedeutung als in den anderen Ländern der
Gemeinschaft. Während 2001 im Durchschnitt der EU-15 67,2 % der Erwerbstätigen im
Dienstleistungssektor tätig waren, waren es in Frankreich 69,9 %, in Deutschland nur
64,6 % (vgl. Tabelle 18).
Der tertiäre Sektor in Frankreich entwickelt sich seit Mitte der 1970er Jahre sehr rasant.
Obwohl Dienstleistungen schon früh eine wichtige Rolle in Frankreich spielten, vollzog
sich der Strukturwandel von der Agrar- über die Industrie- zur Dienstleistungsgesellschaft verglichen mit anderen Industriestaaten relativ spät, aber auch vergleichsweise
dynamisch. Dienstleistungen spielen heute in Frankreich eine herausragende Rolle, über
70 % der Beschäftigten arbeiten mittlerweile in diesem Sektor (www.insee.fr). Man geht
von einem weiteren Anstieg aus. Insbesondere im Bereich unternehmensorientierte
Dienstleistungen werden die dem eigentlichen Produktionsprozess vor- und nachgelagerten tertiären Tätigkeiten, wie Design, Marketing etc., immer wichtiger.
Wie in allen hoch entwickelten Wirtschaften spielen die marktbestimmten Dienstleistungen (tertiaire marchand) auch in Frankreich eine immer bedeutendere Rolle. Die beiden
Hauptbereiche services aux entreprises (unternehmensorientierte Dienstleistungen) und
services aux particuliers (haushaltsorientierte Dienstleistungen) unterscheiden sich jedoch enorm in Bedeutung und Entwicklung. Der größte Bereich des tertiaire marchand
sind die Services aux entreprises - mit über 14 % der Beschäftigten und über 16 % der
Gesamtwertschöpfung der französischen Wirtschaft bzw. 48 % der Wertschöpfung der
services marchands (diese umfassen haushaltsorientierte Dienstleistungen, unternehmensorientierte Dienstleistungen und Immobilienwesen). Es handelt sich zugleich um
den dynamischsten Bereich, was sich vor allem durch verstärktes Outsourcing der Firmen erklären lässt – vermehrt werden Aufgaben wie z.B. Beratungstätigkeiten ausgelagert. Weniger dynamisch ist der Bereich der haushaltsorientierten Dienstleistungen.
Während in diesem Segment 8,9 % der Beschäftigten arbeiten, beträgt der Anteil an der
Wertschöpfung nur 6 %.
4.4.2 Der Dienstleistungssektor in der Ile-de-France
Im tertiären Sektor gibt es in Frankreich eine extreme Konzentration auf die Region Ilede-France, kein anderer Standort kann sich in Bezug auf Dienstleistungen auch nur annähernd mit der Hauptstadtregion messen. Sowohl der tertiaire marchand (marktbestimmte Dienstleistungen wie z.B. Einzelhandel) als auch der tertiaire non marchand
(nicht marktbestimmte also öffentliche Dienstleistungen wie z.B. Verwaltung) sind in Paris im Vergleich zum Rest Frankreichs überproportional vertreten. Zwar sind Dienstleistungen in Städten immer höher konzentriert als im Durchschnitt eines Landes, doch in
100
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Frankreich ist die Konzentration auf Paris extrem stark ausgeprägt. Im Jahr 2000 arbeiteten 80,5 % der Beschäftigten in der Ile-de-France im Dienstleistungssektor – im Vergleich zu 71,6 % im französischen Durchschnitt (Pletsch 2003: 260).
Paris und sein Umland sind bekannt als kulturelles und kommerzielles Zentrum Frankreichs, als Standort internationaler Organisationen, aber auch als Finanz- und Wissenschaftszentrum. Die Ile-de-France hat beispielsweise 55 % Anteil an der französischen
Forschungsleistung sowie fast die Hälfte aller Theater und Museen Frankreichs (Burdack
2004: 32 nach Piercy 1997). Aufgrund der starken Zentralisierung in Frankreich kam es
außerdem zu einer Konzentration der zentralen öffentlicher Verwaltungen. Zudem sind
öffentliche Einrichtungen wie z.B. Hochschulen auf die Metropolregion konzentriert. Laut
Noin und White (1997: 129) stellt die Ile-de-France sogar die größte Agglomeration Europas von Arbeitsplätzen im Dienstleistungssektor dar.
Tertiäre Bereiche der Industrie, beispielsweise Hauptverwaltungen oder Industrieforschung, sind in der Hauptstadtregion stark konzentriert (Burdack 2004: 32). Waren es zu
Beginn der 1960er Jahre noch 54 % der Beschäftigten in der Ile-de-France, die im
Dienstleistungssektor beschäftigt waren, so waren es 2003 bereits 82 % (Coy 2003: 63).
Zahlen wie diese belegen den weit fortgeschrittenen Deindustrialisierungs- und Tertiärisierungsprozess der Region. Es gab auch im tertiären Sektor Versuche zur Dezentralisierung, insbesondere im Rahmen der Dezentralisierungsgesetze von 1982/83, aber es
kam kaum zu einer Milderung der Konzentration. Lediglich einige öffentliche Dienstleistungen wurden aus der Region herausverlagert (Noin und White 1997).
Tabelle 18:
Frankreich
Deutschland
EU
Erwerbstätige nach Wirtschaftssektoren 2001116.
Landwirtschaft
4,1
2,6
4,2
Industrie
26,0
32,8
28,6
Dienstleistungen
69,9
64,6
67,2
4.4.3 Dienstleistungsstandorte in der Ile-de-France
4.4.3.1 Grande Couronne
Auch außerhalb von Kernstadt und Petite Couronne gibt es wichtige Dienstleistungsstandorte. Einige Beispiele belegen die räumliche Ausdehnung in Teile der Grande Couronne: unter anderem die Wissenschaftscity (Cité Scientifique), die sich im Süden der
Agglomeration befindet – um Massy und Palaiseau. Hier befinden sich staatliche Forschungseinrichtungen, wie z.B. das militärische Forschungszentrum genauso wie private. Universitäre Forschung und Lehre sind dort allerdings nicht so stark konzentriert, was
sich durch die stärkere Trennung von Forschungs- und Lehrbereich in Frankreich erklären lässt (Schüle 1997: 233). Hervorzuheben ist des Weiteren der neue „Entwicklungspol“ um den internationalen Flughafen Roissy-Charles de Gaulle, nördlich der Kernstadt,
116
eigene Zusammenstellung nach http://www.statistik.admin.ch/
101
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
wo man sich auf das Transportwesen spezialisiert hat. In der Nähe des Flughafens, in
Villepinte, gibt es außerdem ein Messegelände. Auch das Val d’Europe, im Osten der
Agglomeration, wo eine extreme Beschäftigtenkonzentration in haushaltsorientierten
Dienstleistungen auftritt, ist solch ein ökonomischer Pol. Hier ist der Hauptarbeitgeber
Disneyland Paris, im Gebiet der Ville Nouvelle Marne-la-Vallée gelegen. Auch Bürostandortkonzentrationen finden sich in den Villes Nouvelles. Im Zuge der Dezentralisierung im Universitätswesen wurden des Weiteren vier Universitäten in den Villes Nouvelles eingerichtet. Laut Schüle (1997: 231) ist auch der Großhandel größtenteils in die
Grande Couronne gewandert.
4.4.3.2 Petite Couronne
Die Dienstleitungskonzentration dehnt sich von der Pariser Kernstadt immer mehr nach
Westen aus, auch in die Petite Couronne. In erster Linie ist hier das Département Hautsde-Seine zu nennen, wo sich La Défense befindet. Eine Ausdehnung zentraler Funktionen über die Stadtgrenze von Paris hinaus belegen auch andere neue Bürostandorte im
Département Hauts-de-Seine wie in Issy-les-Moulineaux und Nanterre. Des Weiteren
befinden sechs Universitäten in den Vororten von Paris, auch einige der Grandes Ecoles
wurden von der Kernstadt in die Petite Couronne verlagert.
4.4.3.3 Pariser Kernstadt
In Bezug auf Konzentrationen von Dienstleistungen sind in der Pariser Kernstadt hervorzuheben:
- Bereiche mit Häufungen von bestimmten Einzelhandelsbetrieben
- das Geschäftszentrum mit Unternehmenshauptsitzen, unternehmensorientierten
Dienstleistungen etc.
- das Finanzzentrum
- das Regierungsviertel
- das Universitätsviertel
Abbildung 44 gibt einen Überblick über die Verteilung der Dienstleistungen. In Kapitel 4
werden, bis auf das Universitätsviertel, alle oben genannten Dienstleistungsschwerpunkte näher untersucht.
Darüber hinaus häufen sich in der Stadt Paris Hotels, Restaurants, Cafés etc., hauptsächlich aufgrund der zahlreichen Touristen. Kulturelle und Freizeitaktivitäten sind von
überragender Bedeutung in Paris. In der Ville-de-Paris befinden sich beispielsweise zwei
Opernhäuser, 90 Museen, von denen mit dem Louvre und dem Musée d’Orsay zumindest zwei zu den wichtigsten der Welt gehören, 174 Bibliotheken etc. (Noin und White
1997: 140). Im Bereich Porte de Versailles gibt es außerdem ein Messegelände.
102
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 50: Dienstleistungsstandorte in Paris117.
4.4.4 Einzelhandel
Paris, wer denkt bei dieser Stadt nicht automatisch an Mode und Einkaufen? Diese Feststellung scheint nicht ganz falsch zu sein, denn Paris zählt zu den wichtigsten Einzelhandelszentren von Europa. Mehr als 12 % der Beschäftigten im Raum Paris sind im
Einzelhandelssektor tätig. Verantwortlich dafür sind die mehr als 10 Millionen Einwohner
im Großraum Paris, die als potenzielle Konsumenten das Angebot nutzen. Des Weiteren
nehmen aber auch viele Bewohner anderer Regionen Frankreichs und zahlreiche Touristen die Angebote des Pariser Einzelhandels war. Nur bedingt durch die zahlreichen Kunden konnte sich Paris zur Nummer eins der Einzelhandelsstandorte von Europa entwickeln und sich damit zusätzlich als Weltstadt etablieren (nach NOIN und WHITE 1997:
135).
Die Einzelhandelsstrukturen in Paris sahen nicht schon immer so aus wie heute. Sie haben sich im Laufe der letzten Jahrhunderte stark gewandelt. Insbesondere in der Mitte
des 20. Jahrhunderts, als der Strukturwandel im Einzelhandel in ganz Europa einsetzte,
kam es zu einer massiven Veränderung im Pariser Einzelhandelssektor. Im folgenden
Protokoll werden die Pariser Einzelhandelsstrukturen aufgezeigt sowie deren Entwicklung und Ausprägung näher betrachtet. Des Weiteren soll auch kurz auf die Einzelhandelsstrukturen in der Ile-de-France ohne Paris eingegangen werden. Nach dem eher
theoretischen Teil werden in Kapitel 4.1.2 die Pariser Einzelhandelsstrukturen mit Standortbeispielen veranschaulicht.
4.4.4.1
Entwicklung der Einzelhandelsstrukturen
Die Entwicklung des Pariser Einzelhandels begann in der Ile de la Cité. Hier ließen sich
die ersten Händler nieder und auch der erste Markt fand hier statt. Als die Ile de la Cité
mehr und mehr besiedelt wurde dehnte sich der Einzelhandel in Richtung Norden aus.
Ein Grund für die Ansiedlung im Norden der Insel war der Standort der Geldwechsler, die
117
Gaebe 2004: 28
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sich auf den überdachten Brücken, welche zur Ile de la Cité führten, niederließen (vgl.
Abbildung 51). Dass der südliche Teil der Insel Sumpfgelände darstellte, war ein weiterer
Grund für die Ausbreitung des Einzelhandels in den Norden. Die Händler und Einzelhandelsbetriebe siedelten sich im Laufe der Zeit insbesondere im Quartier Châtelet (8. Arrondissement) und im Quartier St. Lazaire (9. Arrondissement) an.
Abbildung 51: Die Geldwechslerbrücke zur Ile de la Cité118.
Wenn man heute die Ile de la Cité betrachtet, erinnert nicht mehr viel an das frühere Einzelhandelszentrum. Der frühere Lebensmittelmarkt, der sich seit jeher auf der Ile de la
Cité befand, musste aufgrund von Platzproblemen schon im 12. Jahrhundert ausgelagert
werden. Er befand sich bis vor wenigen Jahren auf dem heutigen Gelände der Les Halles. Auch viele Einzelhändler verschwanden nach und nach in Richtung Norden. Das
Einzige was noch vom Einzelhandel auf der Ile de la Cité übrig geblieben ist, ist der von
Eisenkonstruktionen überdachte traditionelle Blumenmarkt und einige kleine Andenkenbzw. Souvenirläden im Bereich der Notre Dame.
Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts wiesen Paris sowie das restliche Frankreich eine sehr
kleinbetriebliche Einzelhandelsstruktur auf. Fast 60 % der Geschäfte hatten abgesehen
vom Inhaber keine und nur ca. 5 % mehr als fünf Angestellte (METTON 1990: 127). Die
traditionelle Versorgungsinfrastruktur mit kleinen Bäckerläden, Tages- und Wochenmärkten sowie spezialisierten Straßen dominierte. Diese Einrichtungen dienten damals nicht
nur der Versorgung, sondern sie stellten auch stets wichtige Orte der sozialen Kommunikation dar. Lediglich in Paris gab es schon im letzten Jahrhundert größere Einzelhandelsstandorte, wie z.B. die großen Warenhäuser oder die überdachten Passagen. In den
1960er Jahren setzte jedoch der Strukturwandel im Bereich des Einzelhandels ein, welcher die gesamte Einzelhandelsstruktur revolutionierte. Der Strukturwandel im Einzelhandel ist gekennzeichnet durch die Expansion von Verkaufsflächen und wachsenden
Betriebsgrößen. Damit einhergehend verschlechtert sich die Situation der Beschäftigten,
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Aufnahme S.Hörz 2004.
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da auf den vorhandenen Flächen immer weniger Personal für den Verkauf und die Beratung eingesetzt wird. Zum Teil international operierende Einzelhandelsketten mit einer
breiten und tiefen Angebotsvielfalt sowie aufgrund der hohen Stückzahlen geringen Einkaufspreise, haben sich als harte Konkurrenten für traditionelle Geschäfte herausgestellt
und zwingen viele alteingesessene Händler zur Geschäftsaufgabe. Durch den Strukturwandel kam es zu einer starken Zunahme von großen Super- und Hypermarchés sowie
Einkaufszentren.
Die Einzelhandelsstrukturen außerhalb der Stadt Paris, in der Ile-de-France, unterscheiden sich gänzlich von jenen in der Stadt selber. Noch vor etlichen Jahren war das Einzelhandelsangebot im Umland von Paris sehr schlecht. Und dies obwohl die Gemeinden
am Rand des Verdichtungsraumes seit dem 20. Jahrhundert einen starken Wachstumsprozess verzeichnen. Die Einzelhandelsstruktur der Ile-de-France war hauptsächlich auf
den kurzfristigen Bedarf ausgerichtet. Um den mittel- und langfristigen Bedarf zu decken,
mussten die Bewohner der Ile-de-France das Zentrum von Paris aufsuchen. Doch die
Einzelhandelsstrukturen der Ile-de-France haben sich in den letzten Jahren durch zahlreiche Entwicklungsmaßnahmen verändert. Diese Maßnahmen wurden kräftig durch den
Staat unterstützt, mit dem Ziel, die Stadt Paris zu entlasten, insbesondere durch weniger
Verkehr, und die Einzelhandels- und Versorgungsstrukturen der Ile-de-France aufzuwerten. Durch die Ansiedlung zahlreicher Super- und Hypermarchés wurde das Versorgungsangebot in der Ile-de-France erhöht. Wo es im Jahre 2000 nur 4 Hypermarchés in
der Kernstadt Paris gab, waren es 128 in der restlichen Ile-de-France. Auch die Zahl der
Supermärkte stieg immens an, so dass es im Jahre 1990 schon mehr als 500 Supermarchés außerhalb von Paris gab. Des Weiteren wurden in der Ile-de-France auch zahlreiche größere Einkaufszentren im amerikanischen Stil gebaut, welche nicht nur einen Super- oder Hypermarché beherbergen, sondern meist auch ein großes Kauf- bzw. Warenhaus, weitere große Firmen sowie zahlreiche kleinere Läden in sich vereinen. Die großen Einzelhandelszentren sind meist an großen Straßenkreuzungen bzw. nahe den Autobahnen gelegen. Am Anfang entstanden diese Zentren überwiegend auf der grünen
Wiese, doch seit den 1980er Jahren findet man sie fast genauso häufig in den Wohngebieten der Außenbezirke selbst, was z.B. in Evry, Parly II oder Clergy deutlich wird. Mit
der zunehmenden Ansiedlung zahlreicher neuer Versorgungsstandorte kam es zu einer
qualitativen und quantitativen Aufwertung der Einzelhandelsstrukturen in der Ile-deFrance. Nun kann nicht nur der kurzfristige Bedarf befriedigt werden, sondern auch der
mittel- und langfristige Bedarf. Doch obwohl nun auch außerhalb des Pariser Stadtzentrums alle Bedürfnisse befriedigt werden können, unterscheidet sich die Kernstadt dennoch von der restlichen Ile-de-France. Gerade die charakteristischen Merkmale der Stadt
Paris, mit ihrer Vielzahl an kleinen und speziellen Geschäften findet man im Umland
nicht. Auch die großen Kauf- und Warenhäuser sind in der restlichen Ile-de-France eher
selten vertreten. Alleine 12 von den 25 Grand Magasins der Ile-de-France befinden sich
in der Kernstadt Paris. Und diejenigen in der Stadt Paris sind im Durchschnitt 13800 m2
größer als jene im Umland. Auch spezialisierte Straßen sowie traditionelle Märkte fehlen
im Umland. Somit ist natürlich die Auswahl in der Ile-de-France außerhalb der Kernstadt
dementsprechend geringer als in der Stadt Paris selber, welche doch in jedem Bereich
ein sehr großes Warensortiment bietet. Haben nun also die Konsumenten der Ile-deFrance sehr spezielle Bedürfnisse, wie z.B. Antiquitäten, müssen sie auch heute noch
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den langen Weg in die Hauptstadt nehmen, um diese zu befriedigen (METTON 1990:
134-137 und NOIN und WHITE 2000: 137-138).
4.4.4.2 Standortbeispiele für die Pariser Einzelhandelsstruktur
Die traditionellen Märkte stellen eine Besonderheit in der Pariser Stadtstruktur dar. Ein
wichtiger Grund, warum sich die traditionellen Märkte in Paris sowie im restlichen Frankreich so lange gehalten haben, ist die Bedeutung der regionalen Produkte für den französischen Konsumenten. Manche der unzähligen Märkte sind jeden Tag geöffnet, andere hingegen nur einmal die Woche. Häufig finden die Märkte nicht unter freiem Himmel
statt, sondern sie sind durch Eisenkonstruktionen vor Regen, Schnee und Sonne geschützt.
Die Auswahl auf den Märkten in Paris ist sehr verschieden und häufig spezialisiert. Man
findet die traditionellen Obst- und Gemüsemärkte, aber auch sehr spezielle Märkte, wie
z.B. den Blumen- und Vogelmarkt nahe des Châtelet, den Briefmarkenmarkt in der Avenue Matignon, den Antiquitätenmarkt im 15. Arrondissement oder die großen Floh- und
Trödelmärkte im Norden der Stadt (NOIN und WHITE 2000: 135).
In Paris kam es schon frühzeitig zur Konzentration von Einzelhandelsbetrieben mit gleicher oder ähnlicher Spezialisierung. Meist ließen sich Einzelhandelsbetriebe, die dieselben oder ähnliche Waren anboten, in einer Straße oder manchmal auch in einem ganzen
Viertel nieder. Die spezialisierten Straßen stellen auch noch heute eine Besonderheit in
der Pariser Einzelhandelsstruktur dar. Die schönsten sind jene, die eine Lebensmittelund Feinkost-Spezialisierung aufweisen, wie z.B. die Rue de Buci oder die Rue Mouffetard (vgl. Abbildung 52). Wenn man heute die Rue Mouffetard (Metro: Place Monge),
nahe des Panthéon besucht, ist es nicht sehr schwer die Spezialisierung festzustellen.
Hier reihen sich Lebensmittelfachgeschäfte und kleine Restaurants die ganze Straße
entlang aneinander. Hier findet man alles, vom exklusiven Seefisch, über ausgefallene
Obst- und Gemüsesorten, bis zu selbst gebranntem Likör (ADAC REISEFÜHRER 2003:
117-118).
Abbildung 52: Die Rue Mouffetard119.
119
Aufnahme S.Hörz 2004.
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Andere Straßen weisen hingegen eine gänzlich andere Spezialisierung auf. So z.B. die
Avenue Montaigne und die Rue Francois auf Haute Couture, Lederprodukte und Parfum,
die Rue du Paradis auf Porzellan, die Rue de Faubourg Saint-Antoine auf Möbel, die
Rue de Seine und die Rue du Bac auf Kunst sowie die Champs Elysées, die Avenue de
l´Opéra, der Boulevard de la Madelaine, die Rue Saint-Honoré, die Rue du Faubourg
Saint-Honoré, die Avenue Victor Hugo, die Rue de Passy und die Rue de Sèvres auf den
Luxushandel (NOIN und WHITE 2000: 135 und BASTIÉ 1980: 65).
Schon im 18.Jahrhundert beschloss man, dem aufkommenden Bürgertum andere Einkaufsmöglichkeiten zu bieten als den statusniedrigeren Bevölkerungsgruppen. Aus diesem Grund baute man überdachte Passagen, welche das aufkommende Bürgertum vor
dem Getöse und dem Dreck der Stadt fernhalten sollten. Die überdachten Passagen
zählten zu den ersten Einkaufsmeilen von Paris. Schon damals reihten sich edle Boutiquen und exklusive Läden aneinander. Meist waren jedoch in den Passagen auch Theater oder Kleinkunstbühnen sowie Restaurants integriert. Aber es gab auch Passagen
für die niedrigeren Bevölkerungsschichten, welche eher einem Basar als einer Edelmeile
glichen. Bedingt durch ihre vielfältige Nutzung werden die Passagen auch oft als Vorläufer der heutigen Malls angesehen.
Doch die Blütezeit der Pariser Passagen war nur kurz. Mit der Eröffnung der großen Warenhäuser und der Entstehung der großen Boulevards verlagerte sich der Einzelhandel
und die mehr als 150 Pariser Einkaufspassagen wurden überflüssig. Sie verwahrlosten
immer mehr, wurden zu Durchgängen und Abkürzungen zwischen den Boulevards und
zu Zufluchtsorten für die armen Pariser Bevölkerungsschichten (MEYHÖFER und MÜLLER-ELSNER 1997: 109-117).
Abbildung 53: Die Galerie Vivienne120.
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Aufnahmen S.Hörz 2004.
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In den letzten Jahren wurden jedoch etliche der früheren Passagen wieder zum Leben
erweckt, wie z.B. die Galerie Vivienne (vgl. Abbildung 53) bei der Nationalbibliothek
(Metro: Bourse). Sie wurde im Jahre 1823 erbaut und war einst die vornehmste überdachte Ladenstraße von ganz Paris. Wie auch die anderen Passagen verwahrloste sie
immer mehr. Heute ist die 175 m lange Passage jedoch sehr aufwendig restauriert. Die
Mosaikböden im neoklassischen Stil sowie die prachtvollen Säulen und Eingänge erwecken den Anschein, als hätte die Passage nie etwas von ihrem Glanz verloren. Die Galerie Vivienne zählt auch noch heute zu einer der exklusivsten Passagen von Paris. Neben
der Boutique von Jean-Paul Gaultier finden sich weitere exklusive Boutiquen sowie ein
Café und ein Buchladen. Aber es gibt auch Passagen, die nicht so aufwendig restauriert
wurden. So z.B. die Passage des Panoramas (vgl. Abbildung 54), die Galeries des Varietés oder die Galerie Jouffrey.
Abbildung 54: Die Passage des Panoramas121.
In der Passage des Panoramas findet man sehr spezialisierte Einzelhandelsgeschäfte.
Fast jedes Geschäft bietet Sammlergegenstände, vor allem Briefmarken, an. Die Galeries des Varietés ist, wie schon der Name verlauten lässt, auf Kleinkunst ausgerichtet.
Auch noch heute befindet sich hier ein kleines Theater, in dem Varietéveranstaltungen
stattfinden. Auch in der Galerie Jouffrey findet man sehr viele auf Sammler ausgerichtete
Läden. So werden beispielsweise Sammlerpuppen, Autogramme etc. angeboten. Zusätzlich befinden sich hier auch noch ein Wachsfigurenkabinett sowie ein Museum. Des
Weiteren findet man in allen drei Passagen kleine Restaurants und Cafés zwischen den
Läden und Boutiquen.
Die so genannten Grand Magasins entstanden durch eine grundlegende Neuorientierung
der Pariser Versorgungseinrichtungen, insbesondere auf Wunsch von Napoleon III., wel-
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Aufnahme S.Hörz 2004.
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chem dies ein besonderes Anliegen darstellte. Das erste große Warenhaus, welches in
Paris entstand, war das Au Bon Marché. Es wurde schon im Jahre 1854 von Aristid Boucicaut eröffnet und befindet sich im 7. Arrondissement. Seit seiner Eröffnung nahm der
Umsatz des Unternehmens mehr und mehr zu. Auch die Zahl der Angestellten vervielfachte sich mit den Jahren.
Obwohl das Au Bon Marché über die Jahre hinweg häufig umgebaut wurde, blieben
doch die charakteristischen Merkmale der im 19. Jahrhundert erbauten Grand Magasins
erhalten: Das wohl wichtigste Merkmal sind die großen Lichthöfe. Einer der schönsten
befindet sich noch heute in der im Jahre 1896 erbauten Galeries Lafayette (vgl.
Abbildung 55 und Abbildung 56), hinter der Opéra Garnier (Metro: Chaussée d´Antin).
Die Lichthöfe stellen stets den Mittelpunkt der Gebäude dar. Meist werden die Lichthöfe
von Glasdecken oder Kuppeln überwölbt, die in früheren Zeiten für die Be- und Entlüftung der großen Versorgungseinrichtungen sorgten. Des Weiteren zeichnen sich die
Grand Magasins durch „hochwertige Hölzer, die oft mit Intarsien verziert wurden, dekorative bearbeitete Eisenelemente, Plaketten, Medaillons und Reliefs aus Bronze und Kupfer, Mosaiken in Pfeilern oder Wänden, Figurenplastik und Stuckaturen, Brunnen- und
Blumenkompositionen, Kristalllüster und sonstige kunstvoll verzierte Lampen“
(PLETSCH 2000: 223) aus. Die prunkvolle Verzierung spiegelt das Ziel der neu entstandenen Kaufhäuser wider: Es sollte hauptsächlich das reiche und kaufkräftige Finanzbürgertum angezogen werden. Doch nicht nur früher, sondern auch noch heute zählen die
riesigen Kaufhäuser zu den wichtigsten Einzelhandelsstandorten von ganz Paris. Alleine
das Kaufhaus Au Printemps zählt täglich zwischen 80.000 und 100.000 Besucher
(PLETSCH 2000: 218-225).
Abbildung 55: Die Galeries Lafayette122.
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Aufnahme S.Hörz 2004.
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Abbildung 56: Die Galeries Lafayette mit ihrem kunstvoll verzierten Lichtho123f
Nach PLETSCH (2003: 265-266) werden „Märkte mit einer Verkaufsfläche ab 2500 m2
als Hypermarché bezeichnet, wenn mehr als ein Drittel des Umsatzes aus dem Nahrungsmittelbereich erwirtschaftet wird. Liegt dieser Anteil unter einem Drittel, so handelt
es sich um ein Grand Magasins“. Märkte mit einer Verkaufsfläche von 400 – 2500 m2
Verkaufsfläche werden als Supermarché bezeichnet. Super- und Hypermarchés entstanden in den 1960er Jahren aufgrund des Strukturwandels im französischen Einzelhandel. Zunächst stellten die großen Einkaufsmärkte eine Besonderheit in der französischen Einzelhandelsstruktur dar. Doch heute nehmen die Hyper- und Supermärkte
Frankreichs, welche hauptsächlich am Rand von Ballungsgebieten liegen, mehr als die
Hälfte der Fläche des Lebensmitteleinzelhandels ein. 1997 gab es allein in Frankreich
weit über 137 Märkte des Hypermarchés Leclerc, 87 von Mammouth, 67 von Euromarché und über 67 Filialen der Kette Carrefour (LASSERRE ET AL. 1997: 158). Doch die
Anzahl steigt noch immer stark an. Nach der oben genannten Definition gab es laut
PLETSCH (2003: 266) zu Beginn des 21. Jahrhunderts schon 945 Hypermarchés mit
einer durchschnittlichen Verkaufsfläche von 5.600 m2 und 7.400 Supermarchés mit einer
durchschnittlichen Verkaufsfläche von 1.000 m2. Beide Märkte zusammen wiesen zu
diesem Zeitpunkt eine Verkaufsfläche von unvorstellbaren 12,8 Millionen m2 auf. In Paris
selbst stellen die Hypermarchés eher eine Ausnahme dar. Im Stadtgebiet selbst finden
sich nur sehr wenige dieser großen Verbrauchermärkte. Diese Tatsache ist ein weiterer
Beleg dafür, dass der Strukturwandel fast keinen Einfluss auf die Kernstadt Paris hatte.
Laut NOIN und WHITE (2000: 137-138) gab es im Jahre 2000 nur 4 Hypermarchés im
ganzen Pariser Stadtgebiet. Der Einzelhandel in der Kernstadt selbst, ist eher von spezialisiertem Einzelhandel, traditionellen Märkten und kleineren Supermärkten geprägt. Je-
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Aufnahme S.Hörz 2004.
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doch finden sich in der Ile-de-France, außerhalb von Paris, zahlreiche Hypermarchés,
wie z.B. der Hypermarché Auchan im Einkaufszentrum von La Défense (vgl. Abbildung
57).
Der Strukturwandel im Einzelhandel ist besonders gut an der Champs Elyssées (Metro:
Franklin D. Roosevelt), der wohl berühmtesten Straße von ganz Paris nachzuvollziehen.
Die Champs Elyssées ist eine knapp 2 km lange Straße, im Westen von Paris im 8. Arrondissement gelegen. Sie ist Teil eines über 6 km langen Straßenzugs in WNW-OSORichtung vom Place de la Concorde bis zur Grande Arche de la Défense. Vom Place de
la Concorde über den Rond Point bis zum Place Charles de Gaulle heißt dieser
Straßenzug Avenue des Champs Elyssées. Östlich des Rond Point liegt ein Parkgebiet,
westlich des Rond Point befindet sich die „eigentliche“ Champs Elyssées mit Einzelhandelsstrukturen (vgl. Abbildung 58). Diese ist etwa 1.100 m lang und 71 m breit, nach
OSO von 58 m auf 32 m NN abfallend.
Abbildung 57: Der Hypermarché Auchan im Einkaufszentrum von La Défense124.
Zur Zeit Heinrichs des IV, gab es im Gebiet der heutigen Champs Elysées nur Felder
und Sümpfe. Nach dem Tod Heinrichs ließ Maria von Medici 1616 den Cours-de-laReine und 1667 die Verlängerung nach Westen anlegen. Beide Seiten der Straße wurden mit Bäumen bepflanzt. Diese ruhigen, schattigen Alleen erhielten schon 1709 den
Namen Champs Elysées (= Gefilde der Seligen). Die verschiedenen Herzöge verlängerten dann die Straße bis zu ihrer heutigen Größe. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts
blieb die Champs Elyssées allerdings sehr ungepflegt und hatte keinerlei Bedeutung in
Paris. Erst als die Avenue im Jahre 1828 in staatlichen Besitz überging wurden Gehwege, Brunnen und Beleuchtungen angelegt. Kurz darauf, um die Mitte des 19. Jahrhunderts, kam die Champs Elyssées in Mode und galt als „die“ Adresse für die bessere Gesellschaft. Schon damals schuf sie sich ihren Ruf als die berühmteste Straße von Paris.
Zu dieser Zeit war sie bereits das Zentrum des Tourismus, Standort großer und berühmter Hotels sowie Sitz großer Handels- und Industrieunternehmen. Im Laufe der Jahre
siedelten sich zusehends mehr und mehr hochwertige und exklusive Modeboutiquen in
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Aufnahme S.Hörz 2004.
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der berühmten Straße an. Damit wurde der gute Ruf der berühmten Straße noch verstärkt (BADECKER 1999: 87-89).
Mit dem Einsetzen des Strukturwandels in den 1960er Jahren kam es jedoch zu einem
Bedeutungsverlust der bis dahin so exklusiven Straße. Es kam zur zunehmenden Ausbreitung von Supermarktfilialen, Discountern (vgl. Abbildung 59), Fast-Food-Restaurants
sowie zu einer starken Filialisierung. Viele Boutiquen der Modedesigner wanderten in die
umliegenden Straßen, insbesondere in die Avenue Montaigne, ab, wo sich heute eine
exklusive Boutique an die andere reiht. Die Gründe für das Abwandern lassen sich nur
erahnen. Zum einen könnte das verstärkte Verkehrsaufkommen auf der Champs Elyssées eine Rolle für das Abwandern der exklusiven Boutiquen spielen, oder sie wurden
von den Filialisten, Discountern oder der Laufkundschaft verdrängt. Um die Champs Elyssées wieder attraktiver zu gestalten, bildete sich in den 1990er Jahren eine Initiative
aus Kaufleuten, Medienschaffenden und Restaurantbesitzern, welche erreichten, dass
der damalige Bürgermeister Chirac ein umfangreiches Sanierungsprogramm für die
Champs Elyssées bewilligte. Innerhalb dieses Sanierungsprogramms wurden Tiefgaragen gebaut, ein neuer Bodenbelag sowie eine neue Bepflanzung veranlasst.
Heute findet sich auf der Avenue ein Mix aus Luxus und Massenware, der sie für jede
Bevölkerungsschicht so attraktiv macht. Überwiegend finden sich Restaurants, Cafés,
Kinos, Theater, Fast-Food-Ketten, Souvenirstände, Autohäuser und Büros der großen
Banken und internationaler Fluggesellschaften. Trotz des großen Bedeutungsverlusts in
den letzten Jahren ist die Champs Elyssées der zweitteuerste Einzelhandelsstandort der
Welt, nach der East 57th Street in New York, mit Ladenmieten von 496 Euro pro Quadratmeter (GAEBE 2004: 189). Im Rahmen der Exkursion wurde eine Kartierung der
Champs Elyssées erstellt. Eine differenzierte Darstellung der Ergebnisse und deren Diskussion erfolgt in Kapitel 5.2.
Abbildung 58: Blick auf die Champs Elyssées125.
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Abbildung 59: Die Billigkette Monoprix auf der Champs Elyssées126.
Des Weiteren stellte und stellt die Avenue des Champs Elyssées auch einen Ort vieler
offizieller Veranstaltungen dar, wie z.B. die Siegesfeier zur Beendigung des 2. Weltkrieges, die 200-Jahr Feier der Revolution, die jährliche Parade zum 14. Juli sowie das Ziel
der Tour de France.
Das Forum des Halles entstand auf dem ehemaligen Markthallenviertel Les Halles, nahe
des Centre Pompidou, wo schon im Jahre 1135 der erste Markt stattfand. Nur rund 50
Jahre später baute man große Hallen, in denen die Händler ihre Waren zum Verkauf
anboten. Aufgrund der steigenden Bevölkerungszahlen wurde der Warenumschlag immer größer, jedoch mangelte es aufgrund der dichten Bebauung in der Innenstadt an
Expansionsfläche. Somit wurde Les Halles, welcher bis zum Jahre 1969 der wichtigste
Markt im ganzen Pariser Raum war, letztendlich geschlossen und ein neuer Markt in
Rungis eröffnet. Lange Zeit wurde nicht entschieden was mit den Hallen geschehen sollte. Heute befindet sich jedoch auf dem Gelände der Les Halles einer der wichtigsten
Bahnhöfe der gesamten Ile-de-France und das Forum, eine Ansammlung zahlreicher
Einzelhandels- und Dienstleistungsbetriebe, welche teilweise unter der Erde liegen
(THEIßEN 1998: 28-29). Als Hauptgrund für den Bau des Forums galt, die Stadt Paris
durch Großprojekte als Weltmetropole zu erhalten. Und das Forum sollte eines dieser
Projekte darstellen. Laut NOIN und WHITE (1997: 137) beherbergt das Forum mehr als
200 Einzelhandelsbetriebe und verzeichnet über 100.000 Besucher am Tag.
Bei näherer Betrachtung des Forums des Halles ist festzustellen, dass dieses Einkaufszentrum überwiegend auf die jüngeren Bevölkerungsschichten und nicht auf statushöhere Bevölkerungsgruppen ausgerichtet ist. Es finden sich hauptsächlich Boutiquen großer
Einzelhandelsketten wie beispielsweise H&M, Orsay, Pimkie und Mango sowie etliche
preiswerte Boutiquen französischer Herkunft. Auch das Einkaufszentrum an sich ist nicht
als sonderlich freundlich oder angenehm zu beschreiben. Mit sehr niedrigen Decken sowie kaum Tageslicht stellt das Forum des Halles keinen sehr attraktiven Einzelhandelsstandort dar (vgl. Abbildung 61). Dies könnte auch einen Grund dafür darstellen, dass
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noch vor etlichen Jahren viele Geschäfte leer standen und die Ladengeschäfte hohe
Fluktuationsraten verzeichneten.
Abbildung 60: Das Forum des Halles127.
Abbildung 61: Im Innern des Forum des Halles128.
4.4.5 Regierungsviertel
4.4.5.1 Regierungsviertel – 7. Arrondissement
Im 7. Arrondissement, im Viertel Faubourg Saint-Germain, liegen die Nationalversammlung, zahlreiche Ministerien und Botschaften – es handelt sich um das Diplomatenviertel,
auch „Viertel der Macht“ genannt. Hier befindet sich auch der Hauptsitz der UNESCO
(http://www.frankreich-experte.de).
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Faubourg Saint-Germain, eine ehemalige Vorstadt, entstand aus einer kleinen Ansiedlung um die Abtei St-Germain-des-Prés. Bis Ende 16. Jh. gab es hier nur Äcker. Im 17.
Jahrhundert ließ sich die erste Frau von Heinrich IV in dem Gebiet ein großes Landhaus
bauen. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhundert kam Faubourg Saint-Germain in Mode
und der Hochadel errichtete prachtvolle Residenzen (hôtels – Palastbauten) inmitten
großer Parks, das Viertel hat also eine aristokratische Vergangenheit. Die Beliebtheit des
Viertels beim Adel hing damit zusammen, dass Katharina von Medici das Marais-Viertel
und den dortigen Königspalast (Hôtel de Tournelles) verlassen hatte, um sich im Tuilerienpalast niederzulassen – ihr folgte wer Rang und Namen hatte in das 7. Arrondissement.
Was beim Rundgang durch das Viertel auffällt ist, dass fast alle Paläste in diesem Teil
der Stadt wesentlich größer, reicher und prachtvoller angelegt sind als beispielsweise im
Marais-Viertel. Dort waren sie aufgrund der Bebauungsdichte sehr beengt. Im späten 17.
und im 18. Jahrhundert kam außerdem der Absolutismus in Frankreich und damit auch
die Privilegisierung des Adels zur vollen Entfaltung (Pletsch 2003: 194).
Zur Zeit Napoleons des III kam es zum Niedergang von Faubourg Saint-Germain zugunsten der Champs-Elysées. Viele Palais wurden abgebrochen, so ist der alte Charakter des Viertels nur noch in einigen Straßen erhalten, beispielsweise in der Rue de Lille,
Rue de Grenelle und Rue de Varenne. Die starke Konzentration von öffentlichen Einrichtungen, insbesondere Regierungseinrichtungen hängt damit zusammen, dass es leichter
ist, alte Bausubstanz zu erhalten, wenn Gebäude in Staatsbesitz sind.
Beispiele für Regierungseinrichtungen im siebten Arrondissement sind das PalaisBourbon (128 Rue de l’Université/Quai d’Orsay), Sitz des französischen Parla-ments,
also der Nationalversammlung (Assemblé Nationale), das Außenministerium am Quai
d’Orsay oder das Hôtel de Matignon (57 Rue de Varenne), seit 1958 Amtssitz des Premierministers. Darüber hinaus gibt es hier zahlreiche Botschaften, unter anderem die
deutsche im Hôtel de Beauharnais (78 Rue de Lille).
4.4.6 Unternehmensverwaltungen
4.4.6.1 Viertel der Unternehmenssitze – 8. Arrondissement
Das traditionelle Geschäftsviertel liegt nördlich der Seine in der westlichen Kernstadt
zwischen dem Palais des Congrès und der Börse, insbesondere im 8. Arrondissement.
Hier befinden sich in erster Linie die Hauptsitze großer Unternehmen sowie unternehmensorientierte Dienstleistungen wie z.B. Unternehmensberatung oder Finanzdienste.
32 % der an der Pariser Börse notierten Unternehmen haben hier ihre Headquarters
(Noin und White 1997: 131), im Bereich unternehmensorientierter Dienstleistungen sind
ca. 20000 Unternehmen im 8. Arrondissement ansässig. Zum Vergleich: die Gesamtzahl
der Dienstleistungsunternehmen in diesem Arrondissement beträgt 32000 (Pariser Industrie- und Handelskammer: www.ccip75.ccip.fr). In jüngerer Zeit erfährt das ursprüngliche Geschäfts- bzw. Dienstleistungszentrum allerdings eine Ausdehnung nach Westen
in das sechzehnte Arrondissement, aber auch in die Petite Couronne.
Was die Hauptsitze der Unternehmen anbelangt, muss erwähnt werden, dass es sich
hierbei hauptsächlich um französische Unternehmen handelt, von denen die meisten
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einen Sitz in Paris haben, hauptsächlich aus Prestigegründen und aufgrund der face-toface Kontakte bzw. der Nähe zu Kunden, zu anderen Hauptsitzen und unternehmensorientierten Dienstleistungen und zu politischen Einrichtungen. Die Tätigkeiten, die auf solche Kontakte nicht angewiesen sind, befinden sich in den so genannten Backoffices in
weniger zentralen und somit weniger teuren Lagen. Hauptsitze ausländischer bzw.
transnationaler Unternehmen sind in der Ile-de-France weniger stark vertreten und befinden sich eher in La Défense.
Bis zum 17. Jahrhundert bestand das Gebiet des 8. Arrondissements aus Feldern. Dann
wurden die Champs-Elysées eingerichtet und mehr und mehr Adlige zogen in dieses
Viertel, insbesondere im 19. Jahrhundert (http://www.frankreich-experte.de). Heute noch
ist dieses Viertel eines der vornehmsten in Paris und die Spitzenmieten für Büroflächen
sind hier am höchsten: bis ca. 640 Euro/qm pro Jahr – in La Défense liegen sie bei ca.
460 Euro/qm pro Jahr. Im europäischen Vergleich gibt es nur in London höhere Spitzenmieten, im West End liegen sie bei ca. 920 Euro/qm p.a.
Bei einem Gang durch das 8. Arrondissement fällt auf, dass das Pariser Geschäftszentrum vergleichsweise „unauffällig“ ist. Im Gegensatz beispielsweise zu amerikanischen
Großstädten, aber auch europäischen wie London, gibt es im Pariser Geschäftszentrum
wenig Hochhäuser, die Konzentration von Bürotätigkeiten ist nicht ganz so extrem.
Strenge Auflagen verbieten den Bau von Wolkenkratzern und verlangen die Erhaltung
der früheren Stadtpalais. Neue Bauten müssen sich in ihre Umgebung einfügen. So z.B.
im Falle des Bürogebäudes in der Rue Matignon, das in Abbildung 21 zu sehen ist. Die
Verbindung einer modernen Glasfassade mit falschen klassischen Ruinen ist Ausdruck
eines Kompromisses zwischen der Stadt Paris und dem Unternehmen, das das Haus
bauen ließ. Die Stadt Paris verlangte, dass sich die Fassade unauffällig in die Umgebung
einfügt, die ansässige Werbagentur wünschte sich ein kreatives Gebäude.
Abbildung 62: Bürogebäude in der Rue Matignon129.
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Im 8. Arrondissement befinden sich auch zahlreiche Vertreter des hochwertigen Einzelhandels und Modedesigner, so gibt es Geschäfte von Dior, Hermes oder Gucci. Auch
bedeutende Regierungseinrichtungen befinden sich im 8. Arrondissement: der Elyseepalast, seit 1873 offizielle Residenz des französischen Staatspräsidenten, das Innenministerium, die Botschaften Amerikas und Großbritanniens etc.
4.4.6.2 Finanzzentrum – 2. Arrondissement
Im zweiten Arrondissement befindet sich die Wertpapierbörse, die Bourse des Va-leurs
(4 place de la Bourse). Sie wurde 1724 gegründet und übernimmt 96 % aller Börsenhandlungen Frankreichs (Noin und White 1997 131). 1719 hatte John Law eine Privatnotenbank gegründet, die aber ein Jahr später zusammenbrach. Das Spekulieren mit Aktien war beim Publikum jedoch so beliebt geworden, dass man beschloss, eine offizielle
staatliche Börse zu schaffen (Michelin: 120). Ende des 19. Jahrhunderts haben sich viele
Banken in der Nähe der Börse angesiedelt, so auch die französische Staatsbank
(Banque de France), die 1800 gegründet worden war. Alle großen französischen Banken
haben eine Vertretung in Paris. Das Viertel zwischen dem Boulevard des Italiens und der
Rue de Rivoli wurde zum Finanzzentrum Frankreichs (www.parisbalades.com).
Abbildung 63: Die Wertpapierbörse130.
4.4.6.3 Bürostandortkonzentration – La Défense
Die ca. 800 ha große Büro- und Wohnstadt La Défense liegt westlich der Kernstadt in
der Petite Couronne im Departement Hauts-de-Seine. Sie befindet sich am (vorläufigen)
Ende der Königsachse. Das Gebiet erstreckt sich auf der Gemarkung von drei Gemeinden: Nanterre, Puteaux und Courbevoie. Der Name „La Défense“ geht zurück auf ein
Bronzedenkmal von Louis-Ernest Barrias von 1883 für die Verteidigung von Paris 1871,
das sich am Place de La Défense befindet.
Die Entscheidung, das Gebiet von La Défense vordringlich als Geschäfts- und Verwaltungszentrum zu entwickeln, wurde vom Generalrat des Département Seine im Jahre
1950 getroffen. Die Hauptbegründung war, dass Paris in seiner gewachsenen Struktur
über kein modernes Stadtzentrum im Sinne von CBD bzw. Downtown verfügt. La Défense wurde geplant, um eine Entlastung der Kernstadt zu ermöglichen. Es zogen auch ei-
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Aufnahme S.Hörz 2004.
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
nige Unternehmen von der Kernstadt hierher. Da es auf Gemarkung von drei Gemeinden
liegt, richtete man eine überkommunale Planungsbehörde ein. Die Bauarbeiten für das
an einem Haupteisenbahnknoten gelegene Gebiet wurden 1958 begonnen. Laut Pletsch
(2000: 120) wurden 415 ha Grundfläche enteignet, was 1.650 Grundstückseigentümer
betraf. 9.250 Familien und 480 Betriebe wurden umgesiedelt. Ein großer Teil des Gebiets hatte aus Bidonvilles, slumähnlichen Siedlungen, bestanden. 1958 sollte eine Weltausstellung in Paris stattfinden (letztlich fand sie in Brüssel statt), hierfür wurde als erstes
Gebäude von La Défense das CNIT errichtet. Dieses Centre Nationale des Industries et
Techniques, auch Palais de la Défense genannt, sollte ein „Schaufenster der französischen Industrie darstellen“ (Pletsch 2000: 118).
Die Planung von La Défense geht großteils auf Le Corbusier zurück. Es wurde beispielsweise seine Vorstellung von einer Trennung von Wohn-, Verkehrs-, Arbeits-, Versorgungsfunktion und die Idee vertikaler Anordnung verschiedener Kommunikationsebenen verwirklicht. So ist der Verkehr ganz strikt vom Rest getrennt und verläuft größtenteils unterirdisch. Auch Parkplätze, Ver- und Entsorgung etc. befindet sich unter der Ebene der Fußgänger.
La Défense ist zweigeteilt: es besteht aus einem Geschäfts- und einem Parkviertel. Das
Geschäftsviertel umfasst ca. 3 Millionen Quadratmeter Bürofläche, 1.500 angesiedelte
Unternehmen und ca. 150.000 Beschäftigte und ist somit das größte Dienstleistungszentrum Frankreichs. Pletsch (2000: 102) bezeichnet es als „bedeutendster
Wachstumspol des Dienstleistungssektors von ganz Frankreich“. Coy (2003: 63) spricht
von „eine(r) der weltweit größten geplanten Bürostandortkonzentrationen“. Hier konzentrieren sich vor allem hochwertige Dienstleistungen. 14 der 20 größten französischen
Wirtschaftsunternehmen haben ihren Sitz in La Défense, bzw. 13 der 50 größten Konzerne der Welt (Pletsch 2000: 116), so z.B. Elf Aquitaine, Esso, IBM Europe oder Fiat.
Es ist durchweg das Management, das sich am Standort La Défense befindet, produziert
wird hier nicht. Da es Großteils aus Bürohochhäusern besteht, deren Errichtung in der
Kernstadt nicht ohne weiteres möglich ist, wird es auch als „Pariser Manhattan“ bezeichnet (Noin und White 1997: 131). Im Geschäftsviertel befinden sich auch Wohnungen,
Sport- und Freizeitanlagen sowie Geschäfte. Sie sind eher in den niedrigeren Gebäuden
untergebracht. Während der Grande Arche de la Défense, das Wahrzeichen von La
Défense (Abbildung 8), das 1989 eingeweiht wurde, das Ministerium für Städte- und
Wohnungsbau beherbergt, gibt es sonst kaum öffentliche Einrichtungen. Zentrum des
Viertels ist eine Fußgängerzone auf einer riesigen Betonplattform, die als Promenade
stufenweise zur Seine abfällt und mit Plätzen und Grünanlagen verschönt ist. Sie durchzieht das gesamte Viertel in der Fluchtlinie der Königsachse (Esplanade Charles de
Gaulle, in Verlängerung dazu Le Parvis).
Das Parkviertel umfasst ca. 90 ha Fläche und liegt weiter westlich in der Ebene von Nanterre. Hier befinden sich in erster Linie Wohnblocks. Ca. 30.000 Menschen leben in La
Défense. Die Wohneinheiten sind alle in den 1970er und 1980er Jahren entstanden, beispielsweise die Tours Aillaud: 18 runde Turmbauten bis 100 m hoch, die ausschließlich
Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus beherbergen. Generell gibt es in La Défense
viele Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus. Im Parkviertel befinden sich auch Verwaltungseinrichtungen, Hochschulen, Sportanlagen, ein Krankenhaus und die Friedhöfe
von Puteaux und Neuilly, die parkähnlich umgestaltet wurden. Mittelpunkt des Viertels ist
der 24 ha große Parc André Malraux.
118
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 64: Die Tours Aillaud – Sozialwohnungen im Parkviertel von La Défense131.
Sowohl im Geschäfts- als auch im Parkviertel spielt Kunst als Teil städtebaulicher Gestaltung eine bedeutende Rolle. La Défense wird auch als „lebendiges Museum zeitgenössischer Kunst“ bezeichnet (Pletsch 2000: 141). Neben zahlreichen Skulpturen, Brunnen etc. gibt es hier auch mehrere Museen und eine staatliche Ballettschule.
La Défense ist hervorragend verkehrlich angebunden. An die Kernstadt besteht eine unterirdische Verbindung per Metro und R.E.R. (Regionalbahn). Auch die Eisenbahn
(SNCF) sowie 20 Buslinien stehen zur Verfügung. Was den motorisierten Individualverkehr anbelangt, verläuft in Drittel des Straßennetzes unterirdisch. Es gibt eine Autobahn
und eine Art Ringstraße um den Bereich von La Défense herum. 26000 Parkplätze stehen zur Verfügung. Allerdings kommen 60 % der Pendler mit öffentlichen Verkehrsmitteln (Pletsch 2000: 276).
Pletsch (2000: 135) beschreibt drei Generationen von Hochhäusern. Diese lassen sich
bei einem Gang durch das Geschäftsviertel leicht ausmachen. Die erste Phase brachte
sehr uniforme Wolkenkratzer hervor, in der zweiten Generation, die vor allem in den 70er
Jahren lag, wurden riesige Hochhäuser gebaut – die höchsten in La Défense überhaupt , in denen kunstlichterhellte Großraumbüros dominierten. Die dritte Phase setzte nach
einer langen schwierigen Zeit von Öl- und Wirtschaftskrise ab den 80ern ein. Merkmale
sind individuellere Arbeitsbereiche und Büros mit natürlichem Licht. „…so wurde die Uniformität der ersten durch die Monumentalität der zweiten und die Individualität der dritten
Phase abgelöst“ (Pletsch 2000: 135). Insgesamt gibt es in La Défense eine außergewöhnliche architektonische Vielfalt - Architekten der ganzen Welt haben sich hier ihre
Denkmäler gesetzt.
Das beeindruckendste Gebäude ist sicherlich La Grande Arche de La Défense, die den
momentanen Abschluss der Königsachse darstellt. Es hatte unter verschiedenen Präsidenten bereits einige Wettbewerbe zu diesem Projekt gegeben, die Realisierung scheiterte aber meist an einem Machtwechsel. Schließlich wurde es als eines der Prestigeprojekte von Mitterand verwirklicht und zwischen 1985 und 1989 erbaut. Eingeweiht wurde
das Gebäude im Rahmen eines Weltwirtschaftsgipfels zur 200-Jahr Feier der Revolution.
Architekt ist der Däne Johann Otto von Spreckelsen. Der Kubus ist 110 m hoch und
300.000 Tonnen schwer, er ist mit Glas und weißem Carrara-Marmor verkleidet. Den
Triumphbogen überragt La Grande Arche um das Doppelte, Notre Dame würde in die
131
Aufnahme C.Meyer 2004.
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Mitte des Kubus passen. Neben Büros beherbergt es eine Stiftung für Menschenrechte
und wie oben erwähnt ein Ministerium. Das Gebäude befindet sich in einem leicht versetzten Winkel zur Fluchlinie der Achse (6,3 Grad), der exakt der Winkelabweichung des
Louvre am anderen Ende entspricht.
Abbildung 65: Hochhäuser der 3. Generation: Kupka, Société Générale und La Pacific – alle zu
Beginn der 1990er entstanden132.
Abbildung 66: La Grande Arche de la Défense133.
Was beim Rundgang durch la Défense auffällt, ist die Tatsache, dass weite Teile sehr
unbelebt sind und fast steril wirken. So gibt es bis auf den Bereich des Place de la
Défense kaum Einzelhandel oder Gastronomie. Das Einkaufszentrum „Les Quatre
Temps“ wird im Michelin Reiseführer (1996: 106) als das größte Europas beschrieben,
bei Pletsch (2000: 140) als eines der größten Europas, das Kino „Dôme Imax“ gar als
größtes der Welt (Pletsch 2000: 142). Doch beim Besuch im Sommer 2004 war das Kino
geschlossen, das Einkaufszentrum zählt heute wohl auch nicht mehr zu den größten
Europas. An einigen Stellen im Geschäftsviertel hatte man den Eindruck, Gebäude, Infrastrukturen etc. werden nicht gepflegt und verfallen zunehmend.
132
Aufnahme C.Meyer 2004.
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Aufnahme S.Hörz 2004.
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Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
4.4.7 Tourismus
„Leben wie Gott in Frankreich.“ Dieses viel gehörte Zitat bringt zum Ausdruck, wie schön
es in Frankreich doch sein muss. Und in der Tat: Frankreich ist eines der beliebtesten
Urlaubsziele weltweit. Im Jahr 2001 kamen 76,5 Mio. ausländische Touristen in das
Land, um die vielen kulturellen Sehenswürdigkeiten anzuschauen, die vielfältigen Landschaften zu nutzen (Radtouren, Ski fahren) oder auch, um sich an den Küsten (Atlantikküste, Côte d’Azur) zu erholen. Dagegen liegen die Touristenzahlen der USA (50,9 Mio.)
und Deutschland (19 Mio.) weiter zurück (PLETSCH 2003: 277).
Heute ist der Tourismus einer der bedeutendsten Wirtschaftszweige. Allein 11,6 % des
weltweiten Bruttosozialprodukts werden im Tourismussektor erzeugt (www.eduvinet.de).
Der Anteil des Tourismus am Bruttoinlandsprodukt beträgt in Frankreich 7 % (Deutschland: 0,6 %). Neben den positiven wirtschaftlichen Folgen (Schaffung von Arbeitsplätzen,
Devisenbringer, verbesserte Infrastruktur) gibt es jedoch auch negative Auswirkungen
(Import von Produkten, Luftbelastung durch Abgase). Weltweit sind über 200 Mio. Menschen im Tourismussektor beschäftigt. Diese hohe Anzahl der Beschäftigten ist eine
Folge der Steigerung der Reiseintensität. Dabei steigt vor allem die Anzahl der Kurzreisen, die zwischen zwei und vier Tage dauern. Schon heute unternehmen 23 % der Bevölkerung neben der Urlaubsreise eine zusätzliche Kurzreise und weitere 21 % sogar
mehrere Kurzreisen. Die bevorzugte Konzentration dieser Kurzreisen sind städtische
Ziele. Durch seine in vielerlei Hinsicht überragende Stellung bezüglich der Anzahl an
Sehenswürdigkeiten ist Paris mit der Ile-de-France zu einem der beliebtesten Ziele des
Städtetourismus geworden.
4.4.7.1 Städtetourismus
Der Begriff des Städtetourismus stammt aus der Tourismusgeographie, einer noch eher
jungen Disziplin innerhalb der Geographie. EBERHARD (in BECKER et al. 2003: 193)
versteht unter Städtetourismus „die Beziehungen und Erscheinungen, die sich aus dem
vorübergehenden Aufenthalt Ortsfremder in Städten ergeben.“ Der Stadt als Raum für
Tourismus und Freizeit wurde erst im Laufe der 1970er-Jahre Beachtung geschenkt.
Davor ging man davon aus, dass die Stadt für die Erholung nicht in Frage kommt, sondern dass man lieber hinaus ins Grüne fährt. Doch durch die Errichtung von Naherholungsgebieten und Freizeiteinrichtungen (Erlebnisbäder, Minigolfanlagen, Kur- und Wellnesshotels…) rückte die Erholungsfunktion der Stadt zusehends in den Mittelpunkt des
Interesses und die Städte gewannen dadurch an Attraktivität.
Durch die weit gefasste Definition des Begriffs „Städtetourismus“ erkennt man, dass der
Tourismus in Städten verschiedene Ursachen und Ausprägungen haben kann. Bei der
Gliederung der Städtetourismusarten werden die Aufenthaltsdauer und die Reisemotivation als Unterscheidungskriterien angewandt. Zusätzlich ist der Städtetourismus nur ein
Oberbegriff, unter dem zahlreiche Tourismusarten subsumiert werden können (Geschäfts-, Kongress-, Sightseeing- oder Shoppingtourismus). Städte mit über 100.000
Einwohnern werden in Frankreich von mehr als der Hälfte der touristischen Ankünfte
bevorzugt, obwohl sie nur 5 % der kulturellen Sehenswürdigkeiten enthalten. In Deutschland ist die Stadt als Touristenziel weniger beliebt (27 % der touristischen Ankünfte), was
möglicherweise an der geringen Attraktivität der deutschen Städte liegt.
121
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
In Frankreich erhält Paris seinen hohen Stellenwert durch die „Multioptionalität“ (Sehenswürdigkeiten, Geschäfte, kulturelle und sportliche Angebote, Ausstellungsflächen).
Um die Attraktivität zusätzlich noch zu steigern, stützt man sich unter anderem auf die
klassischen Marketingtechniken. So nutzte man das wachsende Interesse am Industriebzw. Techniktourismus seit Mitte der 80er Jahre, um dasselbe Publikum nun auch auf
historische Sehenswürdigkeiten aufmerksam zu machen. Ein weiterer Anziehungspunkt
sind die „Grands projets“ (z.B. Grande Arche), die von international renommierten Architekten in Paris in den letzten zwei Jahrzehnten errichtet wurden. „Doch die Attraktivität
dieser Städte für Touristen bezieht sich nicht nur oder nicht einmal überwiegend auf moderne Bauten unter-schiedlicher Entstehung. Die Mischung von Bauten unterschiedlicher
Entstehung, Funktion und Stilelemente macht den Reiz großer Städte aus“ (GAEBE in
BECKER et al. 1993: 64). Es ist also auch die große Spannweite innerhalb eines Interessengebietes dafür ausschlaggebend, dass Paris diesen hohen Stellenwert einnimmt.
Die Attraktivität der Sehenswürdigkeiten schlägt sich in den Besucherzahlen nieder (vgl.
Tabelle 19). Dabei liegt Notre-Dame weit vor dem Eiffelturm, der allerdings im Gegensatz zu Notre-Dame keinen Eintritt kostet.
Tabelle 19:
Besucherzahlen von ausgesuchten Sehenswürdigkeiten in Paris134.
Notre-Dame
Eiffelturm
Sacré Coeur
Louvre
Centre Pompidou
Versailles
Arc de Triomphe
Tour Montparnasse
La Grande Arche
Stade de France
12.000.000
6.200.000
6.000.000
5.700.000
5.500.000
2.700.000
1.300.000
522.000
365.000
136.000
Eines der zahlreichen Beispiele, die ein beliebtes Ziel der Touristen darstellen, ist das
Montmartre-Viertel. Von der höchsten natürlichen Erhebung Paris (129 m) hat man einen
weit reichenden Ausblick auf die Stadt. Zudem haben die verwinkelten Gassen mit fast
dörflichem Charakter einen Aspekt bewahrt, der im übrigen Stadtgebiet im Zuge der
Haussmann’schen Umgestaltung vielerorts verloren gegangen ist.
Montmartre, der Märtyrerberg, ist aber auch ein wichtiges Stück Pariser Stadtgeschichte.
Der Legende nach wurde der heilige Dionysius, der erste Erzbischof von Paris, am Fuße
des Montmartre im Jahre 272 enthauptet. Er soll dann seinen Kopf aufgehoben und seinen Foltergang noch weitere sechs Kilometer nach Norden fortgesetzt haben, bis zu der
Stelle, wo später der Vorort Saint-Denis entstand und wo am Ende dieses Märtyrerweges die Kathedrale erbaut wurde, die zur Grabstätte der meisten französischen Könige
geworden ist. Im Mittelalter befanden sich auf dem Hügel ein Nonnenkloster und ein
134
www.laurif.org
122
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Dorf, in dem Windmühlen standen und Weinbau betrieben wurde; später wurde in Steinbrüchen außerdem Gips abgebaut. Erst 1860 wurde das Dorf eingemeindet, wobei damals noch 30 Windmühlen in Betrieb waren. Das Flair und die niedrigen Mieten des
Weindorfes zogen junge, meist mittellose Künstler und Literaten an. Nach dem ersten
Weltkrieg zogen die meisten Künstler dann nach Montparnasse, während Montmartre
zum Synonym des Pariser Nachtlebens wurde.
Im Mittelalter befanden sich auf dem Hügel ein Nonnenkloster und ein Dorf, in dem
Windmühlen standen und Weinbau betrieben wurde; später wurde in Steinbrüchen außerdem Gips abgebaut. Erst 1860 wurde das Dorf eingemeindet, wobei damals noch 30
Windmühlen in Betrieb waren. Das Flair und die niedrigen Mieten des Weindorfes zogen
junge, meist mittellose Künstler und Literaten an. Nach dem ersten Weltkrieg zogen die
meisten Künstler dann nach Montparnasse, während Montmartre zum Synonym des Pariser Nachtlebens wurde.
Der Place du Tertre (vgl. Abbildung 67) bildet das eigentliche Herz des MontmartreViertels. Während es hier in den Morgenstunden noch recht ruhig zugeht, schieben sich
ab mittags die Besucherströme durch. Angelockt werden die Touristen vor allem durch
die vielen Künstler und Maler, die sich jedoch weitestgehend dem Kommerz verschrieben haben.
Den wörtlich zu nehmenden Höhepunkt von Montmartre bildet jedoch Sacré Coeur
(Abbildung 68). Mit sechs Millionen Besuchern liegt sie auf dem dritten Platz in der Beliebtheitsskala der Touristen. Die Kirche wurde zwischen 1876 und 1914 als Zeichen der
Sühne für den verlorenen Krieg gegen Deutschland 1870/71 und den niedergeschlagenen Aufstand der Kommunarden 1871 erbaut. Sie wurde über einem Massengrab ermordeter Aufständischer errichtet. Im 83 m hohen Campanile hängt mit 18,5 t eine der
schwersten Glocken der Welt. Von den Stufen von Sacré Coeur und dem Vorplatz hat
man einen herrlichen Blick über die Dächer von Paris.
Abbildung 67: Place du Tertre135.
135
Aufnahme C.Klaus 2004.
123
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 68: Sacré Coeur136.
4.4.7.2 Wichtigkeit des Tourismus für die Ile-de-France
Die Ile-de-France wird jährlich von 10 Mio. ausländischen Touristen besucht. Davon
kommen 87 % aus Europa, insbesondere aus Großbritannien und aus Deutschland
(www.eduvinet.de). Zusätzlich besuchen noch 6 Mio. Franzosen ihre Hauptstadt. Diese
große Zahl ist deshalb nicht weiter verwunderlich, weil 90 % aller Urlaubsaufenthalte der
Franzosen in Frankreich stattfinden. Dazu gehören aber auch Tagungen und Kongresse.
Im Vergleich dazu liegt Berlin mit 11 Mio. Touristen (davon 6 Mio. Deutsche) doch weit
hinter Paris zurück (www.deutschertourismusverband.de).
Die Wichtigkeit des Tourismus spiegelt sich auch in der regionalen Verteilung der Hotelübernachtungen wider (vgl. Abbildung 69). Die überragende Bedeutung der Hauptstadtregion erklärt sich nahe liegend aus den hohen Anteilen der Besucher von Paris, wobei
sich hier Geschäfts-, Besichtigungs- und Bildungstourismus stark überlagern. Hinsichtlich der absoluten Anzahl der Übernachtungen hat die Region PACA die Hauptstadtregion jedoch überflügelt. Das liegt vor allem an der großen Anzahl der Campingübernachtungen, die an der Mittelmeerküste gemacht werden. Allerdings werden dort auf Grund
der billigeren Preise mehr Übernachtungen je Reise getätigt als in Paris.
4.4.7.3 Wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus anhand der Hotelstruktur
Die wirtschaftliche Bedeutung des Tourismus für die Ile-de-France erkennt man unter anderem
an der Anzahl der Hotelzimmer (vgl.
Tabelle 20). Die Region Ile-de-France hat mit mehr als 149 000 Hotelzimmern mehr, als
die darauf folgenden Regionen PACA und Rhône-Alpes zusammen. Die Region mit den
136
Aufnahme C. Klaus 2004.
124
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
wenigsten Hotelzimmern ist Limousin. Der Anteil der Hotelzimmer von Paris (in Bezug
auf die Ile-de-France) beträgt dabei 55 % (www.laurif.org).
Auch die hohe Anzahl an Hotelzimmern in den 4-Sterne- oder Luxushotels ist beachtlich.
In Paris gibt es 138 4-Sterne-Hotels und fünf Luxushotels. Amerikaner und Japaner bevorzugen vor allem diese Sorten von Hotels, wohingegen die Europäer eher auf 1-Sternbis 3-Sterne-Hotels zurückgreifen. Die Geschäftsleute, die einen großen Anteil an den
Gesamtübernachtungen haben, übernachten ebenso in Hotels der gehobenen Kategorie. Da viele Firmen ihren Hauptsitz auch in der Hauptstadt haben, ist der Geschäftstourismus eine wichtige Einkommensquelle für das Hotelgewerbe. Paris besitzt zudem das
größte europäische Kongreßzentrum. Der Umsatz aus dem jährlichen Geschäftstourismus beläuft sich somit auf 3,3 Mrd. Dollar (www.diplomatie.gouv.fr).
Abbildung 69: Regionale Verteilung der Hotelübernachtungen 2000137.
Tabelle 20:
Anzahl der Hotelzimmer 2003138.
Region
Ile-de-France
Limousin
Rhônes-Alpes
PACA
Anzahl d. Hotelzimmer
149 019
5 258
71 778
68 628
137
PLETSCH 2003: 274
138
http://www.insee.fr
125
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Insgesamt gibt es in der Ile-de-France 2.230 Hotels; das sind 11,9 % aller Hotels in
Frankreich (Berlin: 445 Hotels, 1,1 %). Die Übernachtungszahlen (Ile-de-France: 19,4 %
aller getätigten Übernachtungen in Frankreich; Berlin: 4,1%) sind ebenfalls ein Indiz für
den wirtschaftlichen hohen Stellenwert der Ile-de-France. Durch den starken Tourismus
gibt es viele Arbeitsplätze. Allein im Hotelgewerbe sind es 47.000. Die herausragende
Stellung von Paris spiegelt sich auch im Preis der Hotelzimmer wider: In Berlin kostet ein
Hotelzimmer durchschnittlich 103€, in Paris sind es dagegen 185€.
Hotel George V: Das Hotel George V gehört zur Hotelkette Four Seasons, die Hotels auf
allen Kontinenten unterhält. Dieses Hotel ist ein Beispiel für die Kategorie der Luxushotels. Sie haben sich vor allem im ersten und achten Arrondissement angesiedelt, da sich
hier auch die luxuriösen Geschäfte niedergelassen haben (vgl. Abbildung 70). Selbst an
dieser Hotelkette kann man erkennen, dass Paris zu den Weltstädten gehört, da das
Einzelzimmer im Four Season Hotel in Berlin „nur“ 305€ kostet, in Paris bereits 550€.
Bei unserem Besuch bekamen wir eine Führung, bei der wir erfahren haben, dass sich in
Paris 650 Angestellte (darunter 40 Auszubildende) um das Wohl der Gäste kümmern.
Das 1928 errichtete, achtstöckige Gebäude befindet sich in der Avenue George V. Die
prachtvollen Räumlichkeiten vereinen Art-deco-Ambiente mit restaurierten Gobelins aus
dem 17. Jahrhundert und edles Interieur mit modernstem Komfort. Das Hotel besitzt 245
Gästezimmer (Abbildung 17), darunter 61 Suiten; 30 davon mit eigener Terrasse. Das
Restaurant „Le Cinq“ ist mit Michelin-Sternen bedacht. Zur Ausstattung gehören zudem
noch ein Health-Club mit luxuriösem Spa und eine 1.194m² Konferenz- und Veranstaltungsfläche.
Abbildung 70: Verteilung der Luxushotels in Paris139.
139
Office du Tourisme Paris 2004.
126
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 71: Gästezimmer in George V.140
4.5 Verkehrssituation in der Kernstadt – Verkehrsangebot in der
Kernstadt
Das Funktionieren jeder Stadt und ihrer Agglomeration hängt von zahlreichen Infrastruktursystemen ab. Sie müssen an die Bedürfnisse von vielen Menschen und zahlreichen
Unternehmen angepasst sein. Zudem müssen sie im Laufe der Zeit mit dem Wachstum
der Bevölkerungszahlen, dem ökonomischen Wachstum und den technischen Fortschritten erneuert, modernisiert und neu ausgerichtet werden. Hierzu gehört im Besonderen
das Verkehrssystem.
Das Verkehrssystem der Region Paris wird im Laufe dieses Kapitels anhand der auf der
Exkursion angesprochenen Themen in den Unterkapiteln öffentlicher Personenverkehr,
Individualverkehr und Verkehrsneuplanung näher beleuchtet. Dabei wird jeweils erst eine
allgemeine Einführung zu dem jeweiligen Thema geliefert, bevor die Besonderheiten des
zum Thema ausgewählten und besuchten Standorts folgen.
4.5.1 Öffentlicher Personenverkehr
Einen wichtigen Teil des Verkehrssystems insbesondere von Agglomerationsräumen
stellt der öffentliche Personenverkehr dar. Im Folgenden werden daher die auf der Exkursion besprochenen Aspekte Eisenbahn, anhand des Standort Gare Montparnasse,
und ÖPNV, anhand Métro und RER, betrachtet.
140
http://www.fourseasons.com 2004.
127
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
4.5.1.1 Eisenbahn
Die Bahnhöfe hatten im Haussmannschen Urbanisierungskonzept eine besondere Rolle
inne. Nach ihrem Verlauf richteten sich sowohl die Straßenleitlinien als auch die Wegeführung. Zudem war die Lage der Bahnhöfe wichtig für den Stellenwert ganzer Stadtviertel, da die Bahnhöfe gewissermaßen die erste „Visitenkarte“ einer Stadt darstellen.
Die erste Eisenbahnlinie in Paris vom Tivoli-Bahnhof nach St. Germain wurde 1837 eröffnet. Bereits zwei Jahre später konnte die zweite Linie nach Versailles in Betrieb genommen werden. Zur Jahrhundertmitte war ein Kranz von sechs Bahnhöfen entstanden,
dessen Ziel v.a. die Fernanbindung war. Es gibt keinen einzelnen Hauptbahnhof, da im
Kriegsfall kein zentrales Angriffsobjekt existieren sollte. Diese Entscheidung bewirkt bis
heute, dass man als Durchreisender die Stadt nur selten direkt durchqueren kann und
zum Umsteigen gezwungen ist, um seine Reise fortzusetzen, da die direkte Verbindung
zwischen den Bahnhöfen bis jetzt nicht erfolgt ist. Die Wirtschaftskrise der 1930er Jahre
und der Zweite Weltkrieg verschlechterten den Zustand der Eisenbahn. Bereits 1938
wurde das unrentable Geschäft vom Staat übernommen und seitdem von der SNCF
(Société Nationale des Chemins de Fer) betrieben. Trotzdem war der Schienenverkehr
bis nach dem Zweiten Weltkrieg der dominierende Verkehrsträger (BRÜCHER 1992: 80,
PLETSCH 2000: 249, SCHÜLE 1997: 180).
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist zur Aufgabe der Bahnhöfe, v.a. des „Gare Montparnasse“ und des „Ligne de Sceaux“, neben den Fernverbindungen, immer mehr die
Vorortversorgung dazugekommen (SCHÜLE 1997: 180). In den letzten Jahrzehnten hat
das Netzwerk große Investitionen erhalten. Diese dienten dazu, die Linien aus dem 19.
Jahrhundert zu modernisieren und zusätzliche Linien wie den TGV zu ermöglichen. Heute ist Paris das Hauptfernreisezentrum in Europa, was sowohl die Passagiere als auch
die Waren angeht (NOIN und WHITE 1997: 147). Die SNCF befördert rund 85 Mio. Reisende pro Jahr im Fernverkehr (BAEDECKER 1999: 23).
Zur Besprechung dieses Themas eignet sich der Gare Montparnasse im südlichen Teil
von Paris, da dieser Standort zudem die Weiterentwicklungen des Eisenbahnwesens
zeigt. Der Bahnhof befindet sich, wie schon am Namen abzulesen ist, im MontparnasseViertel. Dieses Gelände diente lange Zeit als Steinbruch, bevor sich dort im 16. Jh. Studenten niederließen. Haussmann schloss das Viertel im 19. Jh. mit dem Bau der Rue
Rennes und den Boulevards de Raspail und d´Arago an den innerstädtischen Bereich
an. Durch diese Maßnahme wurde Montparnasse schon früh ein wichtiger Verkehrsknotenpunkt im Süden von Paris. Noch vor dem Ersten Weltkrieg entdeckten Künstler das
Viertel für sich und zogen von Montmartre hierher (DROSTE-HENNINGS und DROSTE
2003: 334/5). Der Bahnhof (vgl. Abbildung 72) selbst ist ursprünglich einer der ältesten in
Paris und stammt aus dem Jahre 1840. Im Laufe der Zeit wurde die Station mehrfach
um- bzw. neu gebaut. So wurde in den 1960er Jahren das Gelände letztmals neu organisiert - und gleichzeitig der Tour Montparnasse gebaut - bevor in den 1990er Jahren ein
neuer Teil hinzugefügt wurde. Es handelt sich dabei um einen neuen Bahnhofstrakt, den
Gare de Vaugirard, von dem der TGV Atlantique in Richtung Bretagne und Westfrankreich abfährt. Ein Teil der Gleise wurde mit dem Jardin de l´Atlantique überdacht, der
somit einen Park in Form von hängenden Gärten darstellt. Aufgrund der U-förmigen Bebauung durch drei Gebäude, dem Air France Hauptsitz im Westen, ein Gebäude mit
1.000 Appartements im Osten und dem Bahnhofshauptgebäude im Norden, ist diese
128
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Gartenanlage von außen nicht einzusehen (DROSTE-HENNINGS und DROSTE 2003:
335/6, THE PARIS PAGES 2004 (Internet)).
Die Befördertenzahlen des Gare Montparnasse betrugen 1988 im Vorstadtverkehr ~26
Mio. Passagiere pro Jahr und im Fernverkehr ~11,5 Mio. pro Jahr. Zum Vergleich dazu
kommt der Gare de Lyon mit dem höchsten Passagieraufkommen aller Pariser Bahnhöfe
auf jährlich etwa 35 Mio. Passagiere im Fernverkehr und knapp 40 Mio. in den Vorortzügen (PLETSCH 2000: 249). Dabei muss allerdings bedacht werden, dass der Gare Vaugirard damals noch nicht gebaut war und daher heute die Passagierzahlen aufgrund des
TGV-Verkehrs höher liegen dürften.
Abbildung 72: Gare Montparnasse (Blick vom Tour Montparnasse)141.
4.5.1.2 Öffentlicher Personennahverkehr
Im ÖPNV in der Ile-de-France gibt es zwei Gesellschaften, den SNCF und den RATP
(Régie Autonome des Transports Parisiens). Sie transportieren im Jahr rund 3,5 Mrd.
Fahrgäste (BAEDECKER 1999: 23). Der VVS in Stuttgart hat zum Vergleich hingegen
308 Mio. Fahrgäste pro Jahr (VVS 2004). Seit dem Jahr 1975 gibt es die carte orange.
Damit ist es möglich, eine Woche bzw. einen Monat lang jedes öffentliche Verkehrsmittel
in einer oder mehreren Zonen zu benutzen. Diese Vereinheitlichung bedeutet u.a. einen
Anreiz, mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren (BASTIÉ 1980: 66, NOIN und
WHITE 1997: 151). 60 % aller ÖPNV-Fahrten entfallen auf Métro und RER, 25 % auf
den Bus und 10 % auf die Vorortbahnen (NOIN und WHITE 1997: 152). Im Rahmen der
141
www.community.webshots.com 2004
129
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Exkursion wurden die öffentlichen Verkehrsmittel Métro anhand der Neuentwicklung
Météor und der RER am Standort Châtelet - Les Halles näher besprochen.
Die Vorgeschichte der Métro ist geprägt von einer Kontroverse zwischen der Stadt Paris
und dem französischen Staat. So wollte der Staat die sechs Kopfbahnhöfe durch den
Stadtkern hindurch verbinden. Er erhoffte sich dadurch, das räumliche Wachstum des
Ballungsraums außerhalb von Paris zu steigern und gleichzeitig das Bevölkerungs- und
Machtpotential der Stadt einzudämmen. Die Stadt wollte hingegen kein Eisenbahnnetz
auf ihrem Boden, da die Eisenbahngesellschaft und damit indirekt der Staat Einfluss auf
Paris gehabt hätte. In diesem Streit setzte sich die Stadt durch, und so kam es zum Bau
der Métro, die 1900 zur Weltausstellung eröffnet wurde (BRÜCHER 1992: 90).
Dies war im Vergleich z.B. zu London, das schon 1863 seine U-Bahn hatte, relativ spät.
Der Ausbau der Métro ging in der Folgezeit schnell voran, so dass beim Ausbruch des
Ersten Weltkrieges schon große Teile des heutigen Netzes fertig gestellt waren (THEIßEN 1988: 18). Die Linien folgten meist den Straßen, da das französische Bodenrecht
das Eigentum bis weit ins Erdinnere vorsieht (SCHÜLE 1997: 183). Die Erweiterungen
des Netzes wurden anfangs hauptsächlich in der Stadt vorgenommen und erst ab 1934
in den Vororten (BAEDECKER 1999: 22). Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen die Investitionen stark ab, da die Métro bei der Verkehrsplanung nicht berücksichtigt wurde. In
dieser Phase wurde der gesamte ÖPNV politisch vernachlässigt und der Entwicklung
des Autoverkehrs untergeordnet. Bis zum Anfang der 1970er Jahre wurde das Netz daher nur noch wenig verbessert. 1962 ließ sich feststellen, dass 1/4 der Bahnen noch von
der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg stammten. Die starke Überalterung, die auch die technische Infrastruktur betraf, führte dazu, dass die Befördertenzahlen absanken (SCHÜLE
1997: 184, THEIßEN 1988: 18/19).
Die Métro hat einige weitere Nachteile. Zum einen ist das Streckennetz nicht an die Bedürfnisse angepasst, denn das Netz geht auch heute noch wenig über die Stadtgrenzen
hinaus (vgl. Tabelle 21). Daher kann die Métro den Pendlerverkehr zwischen den Vororten und Paris nicht aufnehmen. Zudem ist das Tunnelprofil zu eng für die Vorortzüge und
den RER, was sich aus dem Machtkampf zwischen der Stadt und dem Staat erklärt. Die
Stadt wollte verhindern, dass eine Eisenbahn auf ihrem Gebiet verkehrt. Weitere Probleme sind die geringe Länge der Bahnsteige für maximal vier Wagen mit rund 800 Plätzen und dass da die Taktung nicht beliebig gesteigert werden kann. Es existieren außerdem einige Planungsfehler im Métrosystem. Dies betrifft u.a. die Umsteigebahnhöfe. Hier
wurde weder die Möglichkeit eingeplant, auf der einen Seite ein- und auf der anderen
Seite auszusteigen, noch wurden die Umsteigestationen übereinander angelegt, was
nun zu langen Wegen beim Umsteigen führt. In den letzten Jahren wurden einige Modernisierungen und Erweiterungen, allerdings nur um wenige Kilometer, durchgeführt,
um die Métro besser anzupassen (SCHÜLE 1997: 186/7, THEIßEN 1988: 19-21). Diese
Entwicklung lässt sich anhand Tabelle 21 nachvollziehen. So wurde das Métronetz zwischen 1949 und 1960 in der Ile-de-France gerade um 3 km ausgeweitet, in der Stadt
Paris blieb es sogar nahezu gleich. Von 1960 bis 1998 kann aus der Tabelle hingegen
eine Verlängerung des Netzes um ~40 km von 169 km auf 211 km in der Ile-de-France
abgelesen werden. Dabei entfällt knapp die Hälfte der Vergrößerung auf das Gebiet der
Stadt Paris. Trotz aller Nachteile ist die Pariser Métro bis heute ein Vorbild für die ganze
Welt und bietet in der Innenstadt ein dichtes Netz, bei welchem der Abstand zwischen
den einzelnen Stationen nie größer als 500 m ist.
130
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Tabelle 21:
Entwicklung des ÖPNV (1949-1998)142.
Zu den Modernisierungen im Bereich des ÖPNV gehört die vollautomatische Métrolinie
14, Météor (= Métro Est-Ouest Rapide), die in der momentanen Ausdehnung von den
Stationen Saint-Lazare bis Bibliothèque François Mitterrand reicht und auf der Exkursion
als Standort für die Besprechung der Métro und ihrer Weiterentwicklungen diente. Der
Baubeginn dieses Projekts war in den 1990er Jahren. Im Oktober 1998 wurde das erste
Teilstück von Madeleine bis Bibliothèque François Mitterrand mit einer Länge von 1,7 km
eröffnet. Die Gründe für den Bau des Météor sind zum einen die Entlastung der Métrolinie 1 und des RER A mit rund 8.000 Personen pro Stunde und Richtung und zum anderen die bessere Verknüpfung zwischen den hier verkehrenden RER- und Métrolinien.
Seit dem Dezember 2003 ist der 2.Teil des Projekts, die Erweiterung von Madeleine
142
BASTIÉ 2004: 379
131
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
nach Saint-Lazare, in Betrieb. Der Météor legt die 8 Stopps von seiner Anfangs- bis zu
seiner Endstation in 11 Minuten zurück und erreicht damit eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 40 km/h (SPG MEDIA LIMITED 2004 (Internet)). Dies entspricht dem
Doppelten des Métrodurchschnitts, wobei berücksichtigt werden muss, dass die Métro
mehr Haltestellen auf einer vergleichbaren Strecke versorgen muss. Der Météor hat als
vollautomatische Métrolinie keinen Fahrer. Die Fahrer können durch Fortbildungen in
den Kontrollzentren eingesetzt werden, wo sie per Computer und Überwachungskameras den reibungslosen Ablauf kontrollieren und notfalls eingreifen können. Zu dem Sicherheitskonzept gehören auch die Glastüren an jeder Station, die sich erst öffnen, wenn
die Bahn steht und zum Einsteigen bereit ist (vgl. Abbildung 73).
Abbildung 73: Météorhaltestelle mit Sicherheitsglastüren143.
Für die Zukunft ist ein weiterer Ausbau der Linie 14 nach Süden zur neuen Station Olympiades geplant, die im Sommer 2006 in Betrieb genommen werden soll. Die Kosten
für das Gesamtprojekt Météor werden mit ungefähr 1 Mrd. € beziffert (SPG MEDIA LIMITED 2004 (Internet), JANBERG 2004 (Internet)).
Bei der näheren Betrachtung des RER, der mit einem auf die Vororte ausgedehnten,
regionalen Métrosystem vergleichbar ist, stellt sich die Frage, warum das bestehende
Métronetz nicht ausgebaut wurde. Denkbare Gründe sind die Konkurrenz zwischen
RATP und SNCF, die unterschiedlichen Spurweiten und die „Überalterung“ der Métro.
Ein weiterer möglicher Grund ist nach SCHÜLE (1997) ein sozialer Umstand, da der
RER als Transportmittel für die „aufsteigenden Dienstleister aus den begüterten Vororten“ gedacht war. „Den Mief der Métro wollte man ihnen ersparen“ (SCHÜLE 1997: 187).
Der RER stellt also eine Ergänzung von Métro und Eisenbahn dar mit dem Ziel, Paris mit
den Vororten besser zu verbinden. Im Jahr 1969 wurde der erste Abschnitt des RER, die
Linie A zwischen Boissy-Saint-Léger und Nation, eröffnet. Für den RER wurden in Paris
neue aufwändige Anschlüsse gebaut, aber sonst meist die bestehenden Anschlüsse
ausgebaut. Das System des RER unterliegt einem großen Widerspruch. Auf der einen
143
BVG 2004 (Internet)
132
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Seite soll er fern liegende Orte schnell bedienen und auf der anderen die einzelnen Vororte versorgen. Dieser Tatsache wird z.T. dadurch Rechnung getragen, dass es durchgehende und nichtdurchgehende Züge gibt. Der RER stellt mit den nichtdurchgehenden
das erste funktionierende Vorortsystem dar und erreicht eine durchschnittliche Geschwindigkeit von 70-90 km/h (SCHÜLE 1997: 189/90, THEIßEN 1988: 21).
Zur Besprechung dieser Thematik wurde auf der Exkursion die Station Châtelet-Les Halles gewählt, da diese einen wichtigen Verkehrsknotenpunkt des ÖPNV darstellt und die
Ausmaße des ÖPNV in Paris somit gut verdeutlichen kann. Hier treffen sich drei Hauptstrecken des RER-Netzes (Linie A, B und D) und vier Métrolinien. Damit handelt es sich
mit ~800.000 Personen pro Tag, die hier umsteigen, um eine der wichtigsten Umsteigestationen der Ile-de-France.
Abbildung 74 zeigt die 30 wichtigsten Einsteigestationen in die Métro des täglichen
Pendlerverkehrs. Dabei kommt die Bedeutsamkeit der Umsteigehaltestelle Châtelet-Les
Halles jedoch nicht zur Geltung, da bei dieser Abbildung nur die „Ersteinsteiger“ und
nicht die Umsteiger dargestellt werden (DROSTE-HENNINGS und DROSTE 2003: 374,
PLETSCH 2000: 183, U2M SERVICES INTERNET 2004: 4 (Internet)).
Abbildung 74: Die 30 wichtigsten Stationen im Métroverkehr (Direkteinsteiger ohne Umsteiger
- 1998)144.
4.5.2 Individualverkehr
Die Bedingungen für das Automobil in Paris waren mit den breiten Boulevards, den weitläufigen Plätzen und den prunkvollen Brücken ideal. Bis zu den 1930er Jahren war das
Auto wegen des Geldes jedoch nur ein Verkehrsmittel unter anderen. Nach dem Zweiten
144
BASTIÉ 2000: 388
133
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Weltkrieg begann allerdings die Ausdehnung des städtischen Raums um Paris. Dies verlangte auch nach einer Beschleunigung der Transporte, wofür das Auto durch seine größere Geschwindigkeit und Flexibilität ideal war (SCHÜLE 1997: 189/90).
In der Ile-de-France gibt es heute (1990) rund 5,2 Mio. Fahrzeuge (NOIN und WHITE
1997: 155). Im Vergleich dazu waren es in Stuttgart (2002) 348.842 Kraftfahrzeuge
(STUTTGART 2004). In der Region Ile-de-France werden 2/3 des gesamten Verkehrsaufkommens vom Individualverkehr getätigt, was zu kaum lösbaren Problemen
führt (THEIßEN 1988: 22). Ein Grund dafür ist, dass der ÖPNV nur einen Teil der Mobilitätsbedürfnisse der Bevölkerung befriedigen kann. Im zentralen Bereich, v.a. in der Stadt
Paris und entlang der radialen Straßen, besitzt er eine hohe Effizienz. Dies ändert sich in
den inneren und äußeren Vororten, wo die Versorgungssituation durch den ÖPNV um
einiges schlechter ist. Somit ist der Privatverkehr unvermeidlich. Ein Indiz dafür ist, dass
der Autobesitz mit zunehmender Entfernung vom Zentrum zunimmt. In der Stadt Paris
hatten 1990 46 % der Haushalte ein Automobil, in der Petite Couronne 68 % und in der
Grande Couronne bereits 82 % (NOIN und WHITE 1997: 155).
Abbildung 75: Place Charles de Gaulle (Blick vom Arc de Triomphe)145.
Ein geeigneter Standort zur Besprechung des Individualverkehrs ist der auch auf der
Exkursion gewählte Place Charles de Gaulle, da der Arc de Triomphe einerseits einen
guten Überblick bietet, und andererseits der Platz als ein „Symbol des ewigen Verkehrschaos“ (PRINZ 2001: 82) in Paris mit 200.000 Fahrzeugen am Tag gilt (NOIN und WHITE 1997: 155). Auf Abbildung 75 ist von diesem Verkehrschaos nur wenig zu sehen, was
sich damit begründen lässt, dass dieser Standort auf der Exkursion an einem Samstagmittag besucht wurde. Der Name des typischen haussmannschen Sternplatzes lautete
früher Place d´Etoile (Etoile = Stern), welcher nach der Erweiterung von 5 auf 12 zusammenlaufenden Straßen völlig gerechtfertigt war. Nach dem Tod Charles von de
145
Aufnahme S.Hörz 2004.
134
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Gaulle wurde der Platz zu seinen Ehren in Place Charles de Gaulle umbenannt. Von der
Dachplattform des Arc de Triomphe, dem ehemaligen Abschluss der am Louvre beginnenden Ost-West-Achse, ist die zentrale Position des Platzes im Westen von Paris gut
nachzuvollziehen. So ist dieser Teil der Stadt als verkehrstechnisch empfindlichster Teil
zu sehen, da Staus an diesem Kreisverkehr Auswirkungen auf nahezu die ganze Stadt
haben, da von hieraus der gesamte westliche Teil der Stadt erschlossen wird (DROSTEHENNINGS und DROSTE 2003: 305, PLETSCH 2000: 202/3).
4.5.3 Verkehrsneuplanung: Verbindung von Individualverkehr und ÖPNV
Dieses Kapitel wird einen Einblick in die Neuplanung von Verkehrsstrukturen anhand von
La Défense, das im Rahmen der Exkursion besucht wurde, geben. Das Dienstleistungszentrum La Défense liegt westlich von Paris und wurde seit Ende der 1950er Jahre gebaut. Die Planung des Projekt orientiert sich an den Ideen von Le Corbusier, der eine
Trennung von Wohn-, Verkehrs-, Arbeits- und Versorgungsfunktionen in seinen Stadtmodellen vorgesehen hatte. Diese Ideen wurden auch beim Bau der Verkehrsinfrastruktur in weiten Teilen verwirklicht (PLETSCH 2000: 274).
Bei der Planung der Verkehrsführung wurde nach den Erfordernissen für den Durchgangs- und den Anliegerverkehr in verschiedene Systeme differenziert wie auf Abbildung
76 zu sehen ist. Der Durchgangsverkehr wurde in einem geradlinigen Tunnel unter dem
Viertel durchgeleitet. Parallel zu diesem laufen auch die Linien der Métro und des RER,
die verlängert oder neu geplant wurden. Weiterhin wurde auch der KfZ-Anliegerverkehr
durch die Anlage einer birnenförmig verlaufenden Ringstraße, die Ableitungen an den
Tunnelzugängen besitzt, von den sonstigen städtischen Funktionsbereichen getrennt.
Der Zugang zu den einzelnen Vierteln kann damit kreuzungsfrei von der Ringstraße erfolgen. Die Ringstraße wurde von Anfang an als Einbahnstraße konzipiert, da schon vor
dem Ausbau von La Défense am Pont de Neuilly mit ~60.000 Fahrzeugen pro Tag eines
der höchsten Verkehrsaufkommen der Hauptstadtregion herrschte und Behinderungen
damit verhindert werden sollten. La Défense besitzt rund 26.000 Parkplätze und von den
22 km Gesamtlänge des neu angelegten Straßennetzes befindet sich rund ein Drittel
unterirdisch (PLETSCH 2000: 120-124).
Der ÖPNV, besonders die Anbindung durch die Métro und den RER waren bei den Planungen sehr wichtig, da eine hohe Anzahl an Pendlern erwartet wurde. Sehr günstig war
dabei, dass die Bahntrasse, die St. Lazare und St. Germain-en-Laye verbindet schon
über La Défense führte und diese Trasse für die Métrolinie 1 und den RER A erweitert
werden konnte. Die Zentralstation von La Défense ist die Grande Arche de La Défense,
die von etwa 150.000 Fahrgästen am Tag frequentiert wird. Die Bedeutung des ÖPNV
für La Défense zeigt sich darin, dass 60% der 140.000 Beschäftigen von La Défense den
ÖPNV nutzen, um ihren Arbeitsplatz zu erreichen (PLETSCH 2000: 126/7+275/6+281).
135
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Abbildung 76: Sektoren- und Verkehrsplan von La Défense146.
4.5.4 Fazit
Zusammenfassend konnte auf der Exkursion festgestellt werden, dass im Bereich der
Eisenbahn bei zahlreichen Bahnhöfen, wie dem besuchten Gare Montparnasse, immer
mehr die Aufgabe der Vorortversorgung neben den Fernverbindungen dazugekommen
ist. Beim ÖPNV bleibt festzuhalten, dass die Métro einige strukturelle Nachteile und fehlende Modernisierungen und Erweiterungen aufweist. Es wird allerdings versucht, diesen
negativen Aspekten durch Neuentwicklungen wie dem Météor entgegenzuwirken. Der
RER lässt sich als Ergänzung der Métro darstellen, da diese aufgrund ihrer Struktur nicht
in der Lage ist, den Pendlerverkehr aufzunehmen.
Beim Individualverkehr zeigt sich, dass er im zentralen Bereich, d.h. v.a. der Stadt Paris,
aufgrund des gut ausgebauten ÖPNV nur eine geringe Rolle spielt. In den inneren und
äußeren Vororten überwiegt er hingegen und ist unvermeidlich, da das Angebot des
ÖPNV hier nicht ausreicht, um das tägliche Verkehrsaufkommen aufzunehmen.
146
PLETSCH 2000: 125.
136
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Die Verkehrsprobleme werden wohl auch in den nächsten Jahren in der Ile-de-France
und v.a. in Paris selbst zu den dringlichsten und am schwersten zu lösenden gehören.
Damit stellt Paris keinen Einzelfall dar, denn die meisten Großstädte haben mit ähnlichen
Problemen zu kämpfen. Die Lösungsansätze sind ebenfalls vergleichbar mit denen anderer Städte, wie z.B. die Erhöhung des Anreizes öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen.
Das Besondere an der Situation von Paris ist die Tatsache, dass ein Teil der Probleme
auf die zentralistische Struktur der landesweiten Verkehrssysteme mit Ausrichtung auf
Paris zurückzuführen ist. Zudem hat der bereits erwähnte Streit zwischen dem Staat und
der Stadt Paris zu zahlreichen Problemen geführt, mit denen Paris heute noch zu kämpfen hat.
5 Methodischer Exkurs – Zwei Erhebungen aktueller
Strukturen
5.1 Beobachtungsbogen zur Stadtteilanalyse
Die in Kapitel 4.2.7 Ergebnisse zur Differenzierung von Wohnstandorten in der Pariser
Kernstadt beruhen auf einer Erhebung mittels des in Abbildung 77 dargestellten Beobachtungsbogens. Der Beobachtungsbogen dient den Beobachtern zum einen als Hilfsmittel bei der Untersuchung und zum anderen dient er zur kurzfristigen Ergebnissicherung. Das Bewerten verschiedenster Indikatoren unterstützt die Beobachter dabei, sich
einen breit gefächerten Gesamteindruck von den Verhältnissen in den Arrondissements
zu machen. Neben den Gebäuden, die auf Zustand, Struktur, Geschosshöhe und Bauzeit untersucht werden, sollen also auch Qualität des Einzelhandelsangebots und Freizeitflächen genauer untersucht werden. Allerdings weist der benutzte Beobachtungsbogen qualitative Schwächen auf. So wird zweimal die Qualität des Einzelhandelsangebots
abgefragt. Die Variable Geschosshöhe lässt gar keine Aussage über die Bevölkerungsverteilung bzw. Bevölkerungsstruktur zu. Bei anderen Variablen sind die Bewertungsmuster ungenau angegeben oder führen zu Schwierigkeiten beim Ausfüllen. Des Weiteren ist die Auflistung der „Weiteren Indikatoren“ nicht zielorientiert genug und liefert so
nur sehr schwache Ergebnisse für die Gesamtuntersuchung. Neben dem Beobachten
wäre auch eine Befragung der Bewohner sinnvoll gewesen. Die Befragung hätte sicherlich aufschlussreichere Ergebnisse geliefert als das reine Beobachten. Dennoch gibt der
Bogen einen ersten groben Einblick in die jeweiligen Arrondissements und erlaubt trotz
der aufgeführten Schwächen interessante Aussagen über die Bevölkerungsverteilung.
So können mit den Variablen Gebäudestruktur und Gebäudezustand Aussagen über die
vermutliche Einkommensklasse der ansässigen Bewohner gemacht werden.
Für die Untersuchungen der einzelnen Arrondissements standen 15 Studenten zur Verfügung. Für das 19. Arrondissement wurden 15 Beobachtungsbogen zurückgegeben und
für das 16. Arrondissement 13 Bögen. Die Studenten wurden in Dreiergruppen aufgeteilt.
Jede Dreiergruppe musste dann pro Arrondissement einen Straßenzug untersuchen. Auf
eine gesonderte Schulung hinsichtlich des Beobachtens wurde verzichtet. Lediglich eine
kleine Erläuterung hinsichtlich der Aufgabenstellung wurde zu Beginn der Untersuchungen gegeben. Auch die zu knapp anberaumte Zeit schränkte die Studenten stark ein, um
137
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
eine genauere Untersuchung der Stadtteile durchzuführen. So mussten sich die Studenten oftmals mit groben Abschätzungen weiterhelfen.
Abbildung 77: Der genutzte Beobachtungsbogen.
5.2 Kartierung der Champs-Elysees
5.2.1 Grundlagen der Kartographie und Zielsetzung
Die Aufgabe der Kartographie ist das Sammeln, Verarbeiten, Speichern und Auswerten
von raumbezogenen Informationen sowie deren Veranschaulichung durch kartographische Darstellungen. Dabei unterscheidet man die theoretische von der praktischen sowie
die topographische von der thematischen Kartographie (WILHELMY 2002: 13f.). Die auf
der Exkursion Paris durchgeführte Kartierung auf den Champs-Élysées zählt hiernach
zur praktischen thematischen Kartographie.
Eine Karte ist das verebnete, maßstäblich verkleinerte und erläuterte Modell räumlicher
Informationen, je nach Zweck generalisiert (vereinfacht) und inhaltlich begrenzt. Thematische Karten visualisieren auf einer inhaltlich entsprechend reduzierten und überarbeiteten topographischen Grundlage spezielle Themen mit dem Ziel einer bestimmten Aussage (ARNBERGER 1977: 13). Eine Karte wird dem chorologischen Charakter der Geographie besser gerecht als das gesprochene oder geschriebene Wort, da mit ihr das
„räumliche Nebeneinander“ auch nebeneinander dargestellt werden kann, und nicht, wie
bei der Textform, als „Nacheinander“.
Notwendig für jede Kartenerstellung ist eine gezielte Stoffauswahl, eine sog. Konkretisierung dreifacher Art: sachlich, räumlich und zeitlich (WILHELMY ebd.). Im Falle der hier
vorgenommenen Kartierung war die Erhebung der Daten sachlich auf die Flächennut-
138
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
zung, räumlich auf die Flurstücke an der Avenue des Champs-Élysées und zeitlich insofern begrenzt, als die Kartierung nur die Situation am Stichtag (02.10.2004) widerspiegelt. Folglich war das Ziel dieser Kartierung eine thematische Karte, die auf der Grundlage einer Flurkarte die räumliche Verbreitung der verschiedenen Flächennutzungen sowie
ihre qualitative bzw. quantitative Ausprägung darstellt.
5.2.2 Räumliche Einordnung der Champs-Élysées und des Kartierungsgebietes
Die Avenue des Champs-Élysées liegt im Westen von Paris im 8. Arrondissement. Sie
ist Teil eines über 6 km langen Straßenzugs in WNW-OSO-Richtung, der vom Place de
la Concorde bis zur Grande Arche de la Défense verläuft. Vom Place de la Concorde
über den Rond Point bis zum Place Charles de Gaulle (Place de l’Étoile) heißt dieser
Straßenzug „Avenue des Champs-Élysées“. Während östlich des Rond Point ein unbebautes Parkgebiet liegt, an das der Jardin des Tuileries angrenzt, befinden sich westlich
vom Rond Point die „eigtl. Champs-Élysées“: etwa 1.100 m lang und 71 m breit, nach
OSO von 58 auf 32 m NN abfallend, lückenlos mit sechs- und achtgeschossigen Gebäuden bebaut. Dieser Teil, westlich des Rond Point bis zum Place de l’Étoile, entspricht
dem Kartierungsgebiet.
5.2.3 Methodik der Kartierung
Als Kartengrundlage wurde eine Flurkarte von K. WIEK herangezogen, der 1967 über
einen geographischen Vergleich des Kurfürstendamms mit den Champs-Élysées promovierte. Diese Flurkarte wurde im Rahmen der Kartierung am 02.10.2004 hinsichtlich der
Grundstücksgrenzen nur leicht modifiziert, im Wesentlichen aber um die Abgrenzung der
Geschäftsflächen im Erdgeschoss erweitert. Jedoch dürfen weder die Grundstücksgrenzen noch die Geschäftsflächen als geometrisch exakt bzw. flächentreu betrachtet werden.
Die Erhebung der Flächennutzung auf der Avenue des Champs-Élysées im Erdgeschoss
sah die Aufnahme der Geschosszahl der Gebäude, eine stark vereinfachte Skizze der
Geschäftsflächen, die Betreiberart, die Branchenzuordnung und den Namen des Unternehmens vor (vgl. Klassifizierungsschlüssel im Anhang). Erwartet wurde eine Konzentration des hochpreisigen Einzelhandels und der hochrangigen Dienstleistungen. Entsprechend wurde auch der Klassifizierungsschlüssel ausgelegt. Er unterscheidet hinsichtlich
der Betreiberart zwischen Ein- und Mehrbetriebsunternehmen (Traditionalisten und Filialisten), sowie hinsichtlich der Branche zwischen Einzelhandel, sonstigen Dienstleistungen (ausgenommen Einzelhandel), Verwaltung und Wohnnutzung. Diese Letzteren, als
Branchenebene 1 benannt, wurden dann durch die Untergliederung in die Branchenebenen 2 bis 4 weiter differenziert.
139
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
BETREIBER
BRANCHENEBENE 1
BRANCHENEBENE 2
BRANCHENEBENE 3
BRANCHENEBENE 4
1 _ Fachgeschäft / Spezialgeschäft
1 _ Bäcker
2 _ Metzger
3 _ Sonstiges, nämlich:____
1 _ Lebensmittel
2 _ Supermarkt / Gemischtwarenladen
3 _ Sonstiges, nämlich:____
1 _ Warenhaus (z.B. Karstadt)
1 _ Einzelhandel
2 _ Konsumgüter
2 _ Kaufhaus (z.B. C&A)
1 _ Drogeriemarkt
2 _ Tabakwaren
3 _ Parfümeriewaren
4 _ Bekleidung:
a _ eine Marke führend (z.B.
Esprit)
b _ verschiedene Marken
führend
5 _ Schmuck / Uhren
6 _ Haushaltswaren / Stahlwaren /
Waffen
7 _ Möbel
8 _ Sportgeräte / Sportbekleidung
9 _ Musikinstrumente
10 _ Elektronik /
Telekommunikation
11 _ Sonstiges, nämlich:____
3 _ Sonstiges, nämlich:____
3 _ Besonderer Bedarf
1 _ Apotheke
2 _ Optik / Hörgeräte
3 _ Antiquitäten / Antiquariate
4 _ Kunst (Galerie, Atelier)
5 _ Sonstiges, nämlich:____
1 _ Unternehmensberatung /
Steuerberatung /
Wirtschaftsprüfung /
Vermögensberatung /
Vermögensverwaltung /
Personaldienstleistung /
Zeitarbeit
2 _ Rechtsanwalt / Notar
3 _ Kreditinstitut / Bank
4 _ Versicherung
5 _ Architekturbüro / Ingenieurbüro
6 _ Makler für:____
7 _ Übersetzung / Sprachschule
8 _ Design (Mode, Grafik, Foto)
9 _ Agentur (Film, Künstler, Models)
10 _ Werbeagentur / Marketing
11 _ Presse / Verlag / Medien
12 _ Friseursalon
13 _ Reisebüro
14 _ Reinigung
15 _ Internetcafé
16 _ Maßschneiderei für:____
1_
Traditioneller
Dienstleister /
Einzelbetrieb
2_
Filiale / Kette
2 _ Sonstige Dienstleistungen
17 _ Gastgewerbe
1 _ Hotel (Angabe der Sterne)
2 _ Restaurant (kein Fast Food)
3 _ Fast-Food-Restaurant
4 _ Café / Bistro
5 _ Imbissbude / Stehcafé
6 _ Eissalon
7 _ Diskothek
8 _ Bar
9 _ Kasino / Spielhalle
10 _ Theater / Kino
11 _ Sonstiges, nämlich:____
18 _ Gesundheitswesen
1 _ Allgemeiner Arzt
2 _ Facharzt
3 _ Zahnarzt
4 _ Heilpraktiker
5 _ Krankengymnastik / Massagepraxis /
Physiotherapie
6 _ „Wellness“ / Schönheitssalon / Solarium
7 _ Psychologe / Psychoanalytiker
8 _ Sonstiges, nämlich:____
19 _ Sonstiges, nämlich:____
3 _ Verwaltung
1 _ Politischer Art (z.B. Ministerium, Partei,
Gewerkschaft, Botschaft, ...)
2 _ Wirtschaftlicher Art (z.B. Unternehmenssitz,
Niederlassung, ...)
3 _ Sonstiges, nämlich:____
4 _ Wohnnutzung
5 _ Sonstiges
1 _ Museum
2 _ Gewerbe / Handwerk
3 _ Sonstiges, nämlich:____
5.2.4 Interpretation und Diskussion der Ergebnisse
Die drei Karten (vgl. Seiten 143ff) sind analog zur Gestaltung des Klassifizierungsschlüssels erstellt. Während die zwei ersten Karten das Einzelhandelssortiment und das
140
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
Dienstleistungsangebot auf den Champs-Élysées veranschaulichen, stellt die dritte Karte
die traditionellen Einzelhändler den Filialisten gegenüber. Aufgenommen wurden am
02.10.2004 die Nutzungen des EG und 1. OG; jedoch waren die Angaben zum 1. OG zu
lückenhaft, um in Form einer aussagekräftigen Karte dargestellt zu werden.
Schon bei der Aufnahme der Nutzungen fielen überraschend viele Brachflächen auf: insgesamt 11 Geschäftsflächen waren ungenutzt, wurden abgerissen oder zum Zeitpunkt
der Kartierung umgebaut. Zwei andere, in der Karte nicht als Brache gekennzeichnete
Flächen waren ebenso in ungenutztem Zustand, eine Filiale der Modemarke BOSS, die
im Herbst 2004 bezogen werden sollte, und eine von Louis Vuitton, die wegen Renovierungsarbeiten geschlossen war. Eine bedeutsame räumliche Konzentration der Brachflächen lässt sich aber nicht erkennen; allenfalls die Tendenz, dass sich am und in der Nähe des Rond Point (südöstliches Ende der Champs-Élysées) weniger konsumorientierte
Nutzungen wie auch Brachen leicht häufen. Am anderen Ende der Avenue, Richtung Arc
de Triomphe, scheinen sich hingegen eher hochpreisige Einzelhändler niedergelassen
zu haben. So waren im Westen BOSS, Louis Vuitton, Bang & Olufsen, Bally, Montblanc
und Cartier anzutreffen.
Wenn auch die Abgrenzung und Größe der einzelnen Flurstücke bzw. Ladenflächen –
wie oben schon angesprochen – flächenmäßig nicht genau genommen werden dürfen,
da sie vor Ort nach Augenmaß skizziert wurden, so erscheint trotzdem der mittlere Abschnitt der Avenue kleinteiliger als die beiden übrigen Bereiche – bedenkt man auch,
dass die Einkaufspassagen im Osten aus teilweise über 40 Einzelgeschäften bestehen.
Zusätzlich zu seiner Kleingliedrigkeit bildet der Osten der Champs-Élysées scheinbar
auch einen qualitativen Gegenpol zum hochpreisigen Westteil. Zwischen Rond Point und
der Rue de Berri befinden sich u.a. die Modediscounter Zara und GAP, zwei Warenhäuser, ein Disneystore sowie Mc Donalds und Planet Hollywood.
Die Karte des Einzelhandelsangebots zeigt, dass die Champs-Élysées als „Modemeile“
nach wie vor stark von Bekleidungsgeschäften geprägt ist. Die Wertigkeit des Bekleidungseinzelhandels erstreckt sich dabei von mittelpreisigen Modemarken wie Zara oder
GAP über Benetton und Lacoste bis zu einzelnen kleinen Boutiquen des Hochpreissegments. Relativ geschlossen haben sich die Parfümerien im mittleren Nordteil zwischen
der Rue Washington und der Rue La Boétie angesiedelt. Im Vergleich mit der Karte der
Dienstleistungen (= sonstige Dienstleistungen, ausgenommen Einzelhandel) lässt sich
nicht nur im Hinblick auf etwa Parfümeriewaren oder Einkaufspassagen, sondern ganz
allgemein die Dominanz des Einzelhandels im Norden sowie das Vorherrschen der
Dienstleistungen in der Südhälfte feststellen, so z.B. die Verwaltung von Unternehmen,
Banken und öffentlichen Institutionen. Die einzigen beiden Hotels auf der Avenue, Claridge und Marriott, beide 4 Sterne führend, liegen im nördlichen Mittelfeld. Analog den
Bekleidungsgeschäften beim Einzelhandel häufen sich bei den Dienstleistungen jene
des Gastronomiegewerbes, v.a. Restaurants (17, davon 6 Fastfood) und Cafés (13).
Auf der Karte „Traditionalisten vs. Filialisten“, auf der alle Einzelhändler und sonstigen
Dienstleister soweit möglich und sinnvoll entweder den Ein- oder den Mehrbetriebsunternehmen zugeordnet wurden, sticht die überwiegende Mehrzahl von Filial/Einbetriebsgeschäften – besonders im Westen der Avenue – ins Auge. Der Nordosten
der Champs-Élysées ist un-verkennbar von Einkaufspassagen (7 Stück) geprägt, deren
Einzelnutzungen aufgrund der Vielzahl nicht kartiert werden konnten. Sie umfassen
141
Universität Stuttgart, Institut für Geographie. Iris Gebauer, Ralf Binder
meist von 5 bis über 40 Boutiquen, die mehrheitlich dem Einzelhandel (hier vor allem
dem Bekleidungsbereich) zuzuordnen sind. In den Karten erhielten sie rotblaue Schraffierungen, da hier Filialisten mit traditionellen Geschäften sowie Einzelhandel und sonstige Dienstleistungen gemischt auftreten. Nach Kriterien der Angebotsbreite und -tiefe
abgegrenzt fanden sich lediglich drei Warenhäuser; alle übrigen Einzelhändler für Konsumgüter führten nur eine Warengruppe, diese aber in großer Tiefe, und werden somit
als Kaufhäuser bezeichnet. Unter den mit „keine Angabe“ markierten Grundstücken im
Südosten befinden sich eine Bibliothek (öffentliche Dienstleistung) und ein Kunsthändler.
Insgesamt wurde die Erwartung einer Einkaufsstraße der Luxusklasse eher nicht bestätigt. Zwar sind stellenweise noch Unternehmen wie Cartier, Louis Vuitton, Gucci, Montblanc oder Bally ansässig, doch finden sich diese in indirekter Nachbarschaft von zwei
Mc Donald’s-Filialen, einem Planet Hollywood sowie Wechselstuben und Souvenirshops.
Vermutlich befindet sich die Avenue des Champs-Élysées also momentan in einem Umbauprozess, in einer Art Strukturwandel, der durch die Abwanderung hochwertiger Einzelhändler und Dienstleister in die am Rond Point mündende Avenue Montaigne durch
einen wachsenden Anteil des Niedrigpreissegments gekennzeichnet ist. Um aber diesen
Prozess im Zeitverlauf in seiner Qualität und Richtung eindeutig bestimmen, und die Beziehungen zwischen der Avenue des Champs-Élysées und der Avenue Montaigne aufzeigen zu können, sind weitere differenziertere Kartierungen in zeitlichen Abständen nötig.
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6 Fazit
In diesem Exkursionsbericht wurden räumliche Strukturen und Prozesse in großen städtischen Räume am Beispiel der Stadt Paris, ergänzt um Umlandstandorte, beschrieben
und Erklärungsansätze aufgezeigt. Die zentralen Ergebnisse werden im Folgenden zusammengefasst.
Tradierte städtebauliche Strukturen weisen in Paris eine große Persistenz auf. Obwohl
nur noch wenige Spuren von Gebäuden aus der römischen Zeit existieren, lassen sich
noch heute Grundrisse der damaligen Hauptverkehrsachsen nachvollziehen. Auch die
seit Jahrhunderten bestehende Spezialisierung der nördlich der Seine befindlichen Arrondissements auf den Handel und die Prägung der südlich davon gelegenen durch die
Universität blieb bis heute erkennbar. Schließlich zeigt sich auch am Beispiel der Königsachse, dass städtebauliche Entwicklung durch lang andauernde Kontinuitäten geprägte sein kann.
Die seit Jahrhunderten bedeutende Rolle des Staates hinsichtlich der Stadtentwicklung
kommt in Paris in vielerlei Hinsicht zum Ausdruck: Im 7.Arrondissement und in der Nähe
zu den Champs-Elysées konzentrieren sich staatliche Einrichtungen. Auch die großen
Plätze können als Symbol der großen Bedeutung des Staates verstanden werden. Die
aktive Rolle der Politik beim Stadtumbau zieht sich wie ein Roter Faden durch die Stadtgeschichte. Im Bericht genannte Beispiele für beobachtete Strukturen sind die Sanierungsmaßnahmen unter Haussmann, die Errichtung von La Défense, der Abriss von Les
Halles und die Neunutzung dieses Areals, die Umnutzung des Geländes von Bercy und außerhalb der Kernstadt - die Nutzungskonversion des Geländes des heutigen Stade de
France oder die Villes Nouvelles.
Die Kernstadt Paris hat immer noch eine bedeutende Funktion als Wohnstandort. Innerhalb des Stadtgebiets bestehen sehr starke Unterschiede bezüglich der Wohnqualität
der Arrondissements und der sozio-kulturellen Charakteristika ihrer Bewohner, wie am
Vergleich von 16. und 19. Arrondissement deutlich wird. Insgesamt existiert in der Kernstadt ein räumlicher Gegensatz zwischen eher statusniedriger Bevölkerung im Osten und
-höherer im Westen. Wegen der räumlichen Beengtheit in der Kernstadt und bedingt
durch Verdrängung von Wohnbevölkerung aus Paris setzt sich das „Ausfließen“ der
Stadt in das Umland immer weiter fort.
Weit fortgeschritten ist angesichts ungünstiger Standortbedingungen der Deindustrialisierungsvorgang in der Stadt Paris und auch im kernstadtnahen Umland findet fortgesetzt
Deindustrialisierung statt, beides beschleunigt durch staatliche Dezentralisierungsmaßnahmen. Der Park André Citroen ist ein Beispiel für den starken Rückgang industrieller
Funktionen in der Stadt, lediglich an wenigen Reststandorten, z.B. im 12.Arrondissement
sind Handwerk und Kleinindustrie verblieben. Mit der Deindustrialisierung entstanden
Industriebrachen, deren weitere Nutzung teilweise lange Zeit unklar blieb. In einigen Fällen hat der Staat für die weitere Nutzung gesorgt, wie z.B. das Finanzministerium in Bercy oder im Fall des Stade de France.
Überragend ist die Bedeutung von Paris in seiner Funktion als Dienstleistungsstandort.
Seine Stellung ist insbesondere auf zwei Eigenschaften zurückzuführen: die hohe touris-
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tische Attraktivität und die Tatsache, dass die Region Paris Europas Bürostandort Nummer eins ist. Paris und sein Umland sind bevorzugter Standort für die Verwaltungssitze
von überwiegend national tätigen Unternehmen, traditionell konzentrieren sie sich im
8.Arrondissement, heute auch in La Défense. Besonders stark ist die Konzentration von
Banken und Versicherungen. Morphographisch machen sich Unternehmenssitze und
Bürostandorte im Gegensatz zum CBD amerikanischer Städte in der Kernstadt Paris
wegen der restriktiven Vorgaben nicht bemerkbar, Hochhäuser gibt es praktisch nicht,
wohingegen es gerade die Hochhauskulisse ist, die La Défense auszeichnet. Paris verzeichnet dank herausragender Sehenswürdigkeiten weltweit die höchsten Besucherzahlen und ist bei Kongress- und Messereisen europaweit führend.
Die Kernstadt Paris ist noch immer stark durch den traditionellen Einzelhandel geprägt.
Ein Strukturwandel hin zu großflächigem Einzelhandel findet hier nur punktuell statt, es
finden sich an großflächigem Einzelhandel nur Kauf- und Warenhäuser. Wie andere
Großstädte weist Paris starke Funktionsspezialisierungen auf, wie z.B. die Konzentration
von Modeunternehmen im 8.Arrondissement. Eine Besonderheit sind die zahlreichen,
zum Teil schon lange existierenden Passagen, teilweise mit ausgeprägter Funktionsspezialisierung auf z.B. Briefmarken oder Kinderspielzeuge.
Die Verkehrssituation in der Kernstadt ist vergleichbar zu anderen Stadträumen dieser
Größenordnung und wird tendenziell durch die zentralistisch geprägte Raumstruktur verstärkt. Der motorisierte Individualverkehr (MIV) ist dank dem gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr und der Straßenschneisen des Haussmannscher Stadtumbaus relativ lange unproblematisch geblieben. Die aktuell notwendige Entlastung der
Verkehrsträger wird durch strukturelle Defizite der Metro und ihren Modernisierungsbedarf behindert. Inzwischen gibt es mit dem RER und anderer Schienentransportsystems
einige Ansätze, die bestehenden Mängel auszugleichen.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Paris mit seinen Funktionen von großer
Bedeutung weit über Frankreich hinaus besitzt und mit Recht als Global City bezeichnet
werden kann. Dafür sprechen z.B. die hohe Zahl von Hauptsitzen international tätiger
Unternehmen und internationaler Organisationen (z.B. UNESCO), die herausragende
Bedeutung als Banken- und Versicherungsstandort und die Rolle einer Verkehrsdrehscheibe von globaler Bedeutung147.
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