Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug
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Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug
Nachqualifizierung im Südwestverbund Eine Chance für Straffällige in Hessen, Rheinland-Pfalz und Saarland FACHTAGUNG Nachqualifizierung im Strafvollzug. Tagung für Vollzugspraktiker und externe Kooperationspartner 24. November 2011 im Heinrich Pesch Haus, Ludwigshafen Martin Zaschel, Justizministerium Rheinland-Pfalz, Mainz Vortrag „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und aus dem Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union gefördert. Martin Zaschel „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ Sehr geehrte Damen und Herren, als Vertreter des gastgebenden Landes fällt mir die Aufgabe zu, in diese Fachtagung mit einem Blick auf das Thema „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ einzuleiten. Es geht um Gefangenenarbeit und Gefangenenbildung. Das Leitmotiv des heutigen Tages ist die Nachqualifizierung, aber Nachqualifizierung stellt natürlich nur einen kleinen Ausschnitt beruflicher Bildung, einen kleinen Ausschnitt vollzuglicher Bildung dar. Ich werde mich in meinem Vortrag mit generellen Entwicklungslinien und Fragestellungen befassen. Stellen wir die Henne-oder-Ei-Frage, „Was war zuerst da, die Gefangenenarbeit oder die Gefangenenbildung?“, dann kann man – im Unterschied zur Henne - eindeutig sagen, die Gefangenenarbeit war lange vor der Gefangenenbildung da. Dabei hatte Arbeit über Jahrhunderte ein wenig positives Image, der Begriff leitete sich nicht umsonst von „arvum“, lat. für Ackerland, ab und meinte schwere körperliche Tätigkeiten. In vielen europäischen Sprachen, auch im Gemeingermanischen, Alt- und Mittelhochdeutschen ist der jeweilige Begriff Arbeit wortgeschichtlich mit Begriffen wie Mühsal, Qual, oder gar Knechtschaft und Sklaverei verwandt. Wie sieht es nun aber konkret mit der Gefangenenarbeit aus? Im Altertum hätte sich ein Gefangener über Gefangenenarbeit, und das war stets Zwangsarbeit, wahrscheinlich gefreut. Wer zu Zwangsarbeit verurteilt wurde, war noch einmal davongekommen. Schließlich ist das Strafsystem drakonisch, selbst für – aus heutiger Sicht – einfachste Delikte, insbesondere Eigentumsdelikte, drohte der Tod. Wer seine Schulden nicht rechtzeitig zahlte, wurde Eigentum des Gläubigers. Die Strafen waren so hart, weil die staatliche Rechtspflege die private Blutrache ersetzen sollte. Neben der Geldstrafe gab es Prügel- und andere Körperstrafen. Mit den Jahrhunderten oder sollte man sagen, mit der Ausbreitung des römischen Imperiums, wird aber die Verhängung von Arbeiten im Bergwerk, im Straßenbau und in der Gladiatorenschule immer häufiger. Es werden Arbeitskräfte benötigt. Von den drei geschilderten Optionen „Bezahlen“ oder „Arbeiten“ oder „Hingerichtetwerden“ haben sicherlich viele Gefangene, insbesondere diejenigen, die zur Zahlung nicht fähig waren, die Gefangenenarbeit als geringeres Übel angesehen. Die „ordentliche 2 von 13 Martin Zaschel „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ 3 von 13 Haftstrafe“ ist im Altertum unbekannt, die Zeit im Gewahrsam überbrückt die Zeit zwischen Begleichung der Schuld und Hinrichtung. Dass wir noch heute von in Vorzeiten erbrachten Leistungen der Gefangenen profitieren, das sei in Dankbarkeit hier erwähnt. Die „via appia“ ist durch Gefangenen-Zwangsarbeit entstanden und ein Blick auf eine historische Karte zeigt die Ausdehnung des römischen Straßenbaus und den damit verbundenen Bedarf an Arbeitskräften. Quelle: kleuske at nl.wikipedia Die Vermutung liegt daher nahe, dass die „Humanisierung“ des Strafvollzugs in der römischen Antike, sprich: die Umwandlung von Todesstrafen in Zwangsarbeit, auch wirtschaftliche Ursachen hatte. Gefangene durften ihre Quelle: Andrein, with the assistance of EraNavigator Zeitgenossen allerdings nicht nur durch Straßenbau oder Arbeiten im Bergwerk erfreuen, es gab noch weitere Einsatzfelder, beispielsweise den Zirkus maximus. Nicht zuletzt die dort über Jahrhunderte hinweg geleistete Gefangenenarbeit erfreut sich noch heute in Kino und Comix großen Interesses und weckt nostalgische Gefühle an frühe Klassikerlektüren. Asterixfiguren. Quelle: comedix.de Martin Zaschel „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ 4 von 13 Hier liegen die Wurzeln der Gefangenenbildung, schließlich war vielen Gefangenen der Kampf mit Dreizack und Keule, der Kampf gegen Mensch und Tier, unbekannt. Die körperlichen Auseinandersetzungen im Zirkus gestalteten sich anfangs wohl etwas einseitig, insofern war es nur folgerichtig, die Gefangenen in Gladiatorenschulen kämpferisch unterweisen zu lassen. Diese berufliche Qualifizierung endete wahrscheinlich nicht in einem Zertifikat der Handwerkskammer für das Gladiatorenwesen, sondern letztendlich tödlich, bedeutete aber, dass gewisse Unternehmer oder (Quelle: Röm-Germ. Museum, Köln) staatliche Institutionen zu Investitionen in ihre Gefangenen bereit waren. Dass die Zielsetzung dieses wirtschaftlich organisierten Gefangenenwesens egoistischer, oder staatserhaltender, Natur war, und man nicht die Bildung des Gefangenen im Fokus hatte, das ist kein Makel der Antike, sondern findet sich in vielen Ländern der Welt noch heute wieder. Auffallend für die europäische Rechtsgeschichte ist die hohe Bedeutung von Eigentum, wirtschaftlichem Nutzen und Geld als Regulationsinstrument. Geld und Arbeit, gemeinnützige Arbeit, sollen den Rechtsfrieden wieder herstellen, sollen Gerechtigkeit schaffen. Die folgende Grafik von 2009 veranschaulicht den Stellenwert von Geldstrafen im Sanktionskatalog nach allgemeinem Strafrecht. Es sind immerhin über 80% der Fälle, die sich offensichtlich monetär regulieren lassen. Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung Martin Zaschel „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ Warum Gefangene zur Arbeit eingesetzt werden, scheint evident. Aber wo findet man eine schriftliche Begründung? Ich fand in Thomas Morus’ Utopia, dem Werk „über die beste Staatsverfassung“, und da im Kapitel zur Rechtsprechung, folgende Erklärung: „... die schwersten Verbrechen ahnden sie in der Regel mit Zwangsarbeit, weil das ihrer Meinung nach für die Verbrecher nicht weniger hart und für den Staat vorteilhafter ist, als wenn man die Schuldigen eilends schlachtet und auf der Stelle beseitigt. Denn einmal nützen sie durch ihre Arbeit mehr als durch ihren Tod, und dann schrecken sie durch ihr warnendes Beispiel andere länger vor einer ähnlichen Missetat ab.“ (Zitiert nach: Heinisch, Klaus J.: Der utopische Staat, Reinbek 1970, S. 83) In der Zivilgesellschaft befreit sich der Begriff Arbeit allmählich aus dem Zusammenhang von Mühsal, Pein und Unfreiheit. Als Sicherung des Titelholzschnitt aus Thomas Morus' Roman Utopia, 1516 Lebensunterhaltes und der Verbesserung der Lebensbedingungen dienend wurde Arbeit über das Mittelalter und die Reformationszeit hinweg zunehmend positiv konnotiert. Die Reformation wandte sich gegen den Müßiggang und hatte damit auch die Adeligen im Blick. In der Aufklärung wird Güte und Ertrag von Arbeit schließlich endgültig dem göttlichen Schicksal entrissen und mit individuellen Leistungsmerkmalen wie Fleiß, Tugend und Strebsamkeit verknüpft. Das Jahrhundert der Aufklärung revolutioniert das Rechtswesen und alles Andere, was eine Gesellschaft ausmacht: seine Religion, seine Anthropologie, seine Erziehung und auch seinen Strafvollzug. „Ihr, die ihr im 18. Jahrhundert lebt, und vor allem ihr, deren Leben darin beginnt, erkennt euer Glück“, schrieb der Zeitgenosse François Jean de Chastellux in seinem Werk „De la Félicité Publique“. Für die Gefangenen brachte das 18. Jahrhundert allerdings erst mal wenig Erfreuliches. Was berichtet wird, ist schockierend, dass es berichtet wird und dass Verbesserungsvorschläge gemacht werden muss man aber als aufklärerischen Erfolg werten. 5 von 13 Martin Zaschel „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ Dass das Nicht-Arbeiten mit einem Makel versehen wird, bedeutet auch für die Gefangenenarbeit einen Einschnitt. Nicht mehr bloß zur Strafe und wirtschaftlichen Genugtuung soll der Gefangene arbeiten, sondern zu seinem charakterlichen Besten, zu seinem eigenen, charakterlichen Besten. Das bedeutet nichts weniger, als das der Gefangene als Individuum betrachtet wird, das jedem Einzelnen individuelle Merkmale zukommen. Das ist nichts Geringeres als die Übertragung der größten Leistung der europäischen Mentalitäts- und Ideengeschichte auf die Gefangenen, nämlich die Schaffung des erziehbaren, formbaren, sich-selbst verantwortlichen, nicht bloß einem göttlichen Schicksal ergebenen Individuums. Der englische Gefängnisreformer John Howard hat mit seinem Ausspruch, „make them diligent and they will be honest“, mach’ sie fleißig oder arbeitsam und sie werden ehrlich, sprich: straffrei sein, Karriere gemacht. Howard (1726 – 1790) lebt zunächst in Müßiggang vom väterlichen Vermögen, bis er auf einer Weltreise in französische Gefangenschaft geriet. Durch die hier gemachten Erfahrungen entschied er sich, zur Reform von Gefängnissen beizutragen und besuchte zahlreichen Einrichtungen in John Howard verschiedenen Ländern. Einige Jahre war er als „High Sheriff“ für das „Gefängniswesen“ zuständig. Bis heute ist die Ansicht verbreitet, dass Untätigkeit, Faulheit, Arbeitslosigkeit in einem direktem Zusammenhang mit Delinquenz stehen. Statistisch gesehen ist die Anzahl der inhaftierten Menschen ohne Schulund Berufsabschlüsse, ohne der Haft vorangehende Erwerbstätigkeit signifikant hoch, andererseits führen Merkmale wie „ohne Beruf“ und „ohne Arbeit“ auch zu einer höheren Inhaftierungsrate als „mit Berufsabschluss“ und „mit Arbeit“. Bildungsmangel und Beschäftigungslosigkeit sind nicht die Bedford Gaol, 1820; mehrfach von Howard besucht Ursachen von Straffälligkeit, begünstigen diese jedoch. Was die Entlassung und sogenannte Legalbewährung angeht, hier zeigen kriminologische Untersuchungen 6 von 13 Martin Zaschel „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ eindeutig, dass schulische und berufliche Bildungsprozesse im Strafvollzug der erfolgreichen Integration in die Gesellschaft dienen. Die Bildungsmaßnahmen für sich allein sind aber nicht ausreichend, vielmehr bedarf es individueller Behandlungskonzepte, die sich ganzheitlich den Persönlichkeitsmerkmalen des Gefangenen widmen, die zur Straffälligkeit beigetragen haben. Die persönlichkeitsformende Kraft der Arbeit steht aber noch lange im Hintergrund, im Vordergrund steht die Arbeitsleistung des Gefangenen für die Gesellschaft. Im 18. Jahrhundert beginnen jedoch zahlreiche Autoren damit, die uferlose, ausbeuterische Arbeit begrenzen zu wollen, in der Gesellschaft und im Gefängnis. Léon Faucher schreibt in seinem Buch über die Reform der Gefängnisse: „Der Tag der Häftlinge beginnt im Winter um sechs Uhr morgens, im Sommer um fünf Uhr. Die Arbeit dauert zu jeder Jahreszeit neun Stunden täglich. Zwei Stunden sind dem Unterricht gewidmet.“ Bildung ist noch ein Privileg der jungen Gefangenen, die im Lesen, Schreiben und in der Mathematik unterrichtet werden. Die 2 Stunden Unterricht gibt es zusätzlich zum 8-9 stündigen Arbeitstag. Die Bemühungen, die Mühen schier unerträglicher Arbeitsfron in Tretmühlen, Bergwerken, Mooren und Gefängnisbetrieben zu lindern, dauerten allerdings bis weit ins 20. Jahrhundert an. Der englische Stufenstrafvollzug ab 1857 sah für den Gefangenen in den ersten 9 Monaten strenge Einzelhaft ohne jegliche Vergünstigungen, verbunden mit harter Arbeit, Unterricht und Zuspruch des Gefängnisgeistlichen zum Zweck der sittlichen Umkehr des Inhaftierten vor. Bildung, wenn man das Wort an dieser Stelle überhaupt gebrauchen möchte, ging also Hand in Hand mit der Arbeit, bereitete sicherlich genauso viel Vergnügen und stiftete auch genauso viel Nutzen. Dabei gingen doch in dieser Zeit Pädagogik und Anthropologie einen wesentlichen Schritt vorwärts, und ließen so Arbeit und Bildung, und damit theoretisch auch Gefangenenarbeit und Gefangenenbildung, enger zusammen kommen. Leider haben wir dieses geistige Band weder im Strafvollzug noch im gesamten Bildungssystem unseres Landes verwirklicht. 7 von 13 Martin Zaschel „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ 8 von 13 Ich spreche vom Pädagogen Pestalozzi (1746 - 1827) , der um 1800 die Formulierung, „Bildung von Kopf, Herz und Hand“ verwendete. Nach Pestalozzi müssen alle Anlagen des Menschen angesprochen, kultiviert und gefördert werden. Pestalozzi hat die Idee der Volksbildung vertreten und sich als Anwalt der Gesamtheit, auch der sozial Randständigen und Unterdrückten, „dem leidenden Teil der Menschheit“, verstanden. Während andere, wie Goethe, den Gedanken der Gelehrtenbildung nachgehen, vertritt er Vorstellungen von Elementarbildung für alle und zieht mutig gegen die Sitten und Gesetze der Gesellschaft zu Felde, die er für mitverantwortlich für Elend, Doppelmoral, Furcht, Unwissenheit und gesellschaftliche Ächtung hält. Der Mensch ist für ihn nicht „von Natur aus gut“, sondern in sich zwiespältig und ambivalent. Die Schlussfolgerungen für die Bildung und Erziehung sind, sich Erstens nicht bloß formalen Abschlüssen zu widmen, sondern den Schwerpunkt auf die Persönlichkeitsbildung zu setzen, und Zweitens, nicht in didaktisch-methodisch einseitigen Maßnahmen zu verharren, sondern den Triebkräften des Menschen, der Dreiheit, Kopf, Herz und Hand, ihre Berechtigung zu geben. Die Gedanken Pestalozzis sind heute fester Bestandteil der europäischen Philosophie und Pädagogik, haben aber in einem nach Ordnungskriterien und einfach messbaren Ergebnissen strebenden Bildungs- und Strafvollzugssystem wenig Nachhaltigkeit erfahren. Gefangenenarbeit und Gefangenenbildung sind mit Pestalozzi nicht zu trennen und eindeutig mehr als die mechanistische Monotonie der Fakturierung, mehr als die Berufsausbildung in Betrieb und Berufsschule und mehr als die Unterweisung im Schulsaal. Pestalozzi schaffte einen psychologisch fundierten Ansatz der Menschenbildung, der neben der intellektuellen Bildung, der neben der sittlichen Bildung auch den Körper, die Hand, die Bewegung zur Wirksamkeit kommen lässt. Alle Kräfte gefördert Martin Zaschel „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ würden es dem Individuum ermöglichen, sich zu entfalten und schließlich seinen Platz in der Gesellschaft einzunehmen. Dieses anthropologische Verständnis von Arbeit wird später u.a. von Marx und Engels weiterentwickelt. Engels schrieb in dem Aufsatz „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“: „... Arbeit ist die Quelle allen Reichtums, sagen die politischen Ökonomen. ... Aber sie ist noch unendlich mehr als dies. Sie ist die erste Grundbedingung alles menschlichen Lebens, und zwar in einem solchen Grade, daß wir in gewissem Sinn sagen müssen: Sie hat den Menschen selbst geschaffen.“ Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte postuliert entsprechend 1948 in Artikel 23 „Jeder hat das Recht auf Arbeit...“ Um Missverständnisse zu vermeiden, das Recht auf Arbeit meinte nicht das Recht auf einen Arbeitsplatz. Das Grundgesetz kennt weder das Eine noch das Andere. Jedenfalls noch nicht. Die deutschen Strafvollzugsexperten im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert hatten erkannt, dass Gefangenenarbeit, um tatsächlich einen erzieherisch wertvollen Beitrag zur Resozialisierung leisten zu können, anders organisiert werden musste. Der Arbeitseinsatz sollte der außervollzuglichen Arbeitspraxis zumindest nahe kommen, es sollten Weiterbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten geschaffen werden, was eine Modernisierung und Maschinisierung der Arbeitsbetriebe in den Anstalten bedeutete. Arbeit sollte nicht mehr zwecklos sein, sie sollte außerdem individuellen Fähigkeiten und Bedürfnissen wie Alter, Bildungsgrad, Gesundheit etc. angepasst werden. So wurde, oder besser, blieb Arbeit „das erste Mittel des neuartigen Erziehungsstrafvollzuges, wie ihn die Grundsätze über den Vollzug der Freiheitsstrafe von 1923 konzipierten“ (Marcus Sonntag: Die Arbeitslager in der DDR. S. 52). Die Weimarer Reformprogramme sahen auch Verbesserungen in der Gefangenenbildung vor. Die Anstellung von Fürsorgern bzw. Sozialpädagogen, eine bessere Qualifizierung und Auswahl der Beamten sollten der Reform ebenso Rechnung tragen wie religiöser Unterricht, Selbststudium, Lesen von Büchern und auch Zeitungen, Vorträge und Theateraufführungen in der arbeitsfreien Zeit. Der gesamte Strafvollzug hatte Erziehungsarbeit zu leisten, der Gefangene war über eine bescheidene Selbstverwaltung als 9 von 13 Martin Zaschel „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ Subjekt am Alltagsgeschehen zu beteiligen. Sogar die Entlassenenfürsorge sollte verbessert werden. Nur, wie Marcus Sonntag in den der Historie gewidmeten Kapiteln seiner 2011 erschienenen Dissertation „Die Arbeitslager der DDR“ zusammenfasst, die Reformbemühungen waren von vornherein zum Scheitern verurteilt, da weder die Öffentlichkeit noch die große Masse der Vollzugsbediensteten gewillt waren, derartige Experimente mitzumachen. Unter dem Nationalsozialismus wurde dann rückgebaut, die Fürsorger wurden entlassen, die Zeitungen wieder abbestellt. Die Liberalisierung des Strafvollzugs hatte Zwangspause. Dennoch waren die theoretischen Grundlagen endgültig gelegt und die Bundesrepublik nahm tatsächlich Vieles aus dem o.g. Reformkatalog wieder auf. Wie sah der Stellenwert von Gefangenenarbeit und Gefangenenbildung in der BRD aus? Ende der 60er Jahre befreite sich die BRD endgültig von den Zuchthäusern, die mit einer besonders schweren und harten Arbeit aufgewartet hatten. Die wirtschaftlich ergiebige Arbeit des Gefangenen hat nach wie vor Primat. Dennoch sind im alten, für die gesamte BRD gültigen Strafvollzugsgesetz von 1978 jetzt Maßnahmen der Aus- und Weiterbildung der Gefangenen vom Rang her den wirtschaftlich ergiebigen Arbeiten gleichgestellt. Bis heute merkt man in den Vollzugseinrichtungen, dass betriebswirtschaftliche Kennzahlen einen höheren Stellenwert als Bildungsgesichtspunkte einnehmen. Vieles im Strafvollzugsgesetz von 1978 war wohl ohnehin recht idealistisch gedacht, hierzu zähle ich auch die Maßnahmen der beruflichen Ausbildung und beruflichen Weiterbildung, die expressis verbis von der Bundesanstalt für Arbeit finanziert werden sollten. Die Gesetzestexter hatten es nur leider unterlassen, in den Sozialgesetzbüchern die entsprechenden Regelungen einzustellen. Gedacht war, und teilweise war man damit gestern schon im übermorgen, dass Vollzugsbehörden und Arbeitsmarktverantwortliche Hand in Hand arbeiten. Wobei auch hier angemerkt werden muss, dass die Verzahnung beider Institutionen in den Bundesländern sehr unterschiedlich von statten ging. 10 von 13 Martin Zaschel „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ Gleichgestellt war neben der beruflichen Ausbildung auch der schulische Unterricht, der während der Arbeitszeit stattfinden sollte. Schulischer Unterricht umfasste im Sinne des Gesetzgebers von der Alphabetisierung bis zum Fernhochschulstudium alles. Der Stellenwert der Arbeit der Gefangenen ist nicht frei von Widersprüchen gewesen. Zum Einen galt die Arbeitspflicht, damit war die Arbeit Bestandteil des durch die Freiheitsentziehung auferlegten Strafübels (das ist Juristendeutsch und stammt nicht von mir), zum Anderen war Arbeit Bestandteil des Behandlungskonzeptes. Spannend wurde es nicht nur unter Juristen immer auch dann, wenn den Inhaftierten durch deren schuldhafte Verletzung die zugewiesene Arbeit zur Strafverschärfung wieder entzogen wurde. Und was sagt die neue Gesetzgebung zur Gefangenenarbeit und Gefangenenbildung? Die vielen Strafvollzugsgesetze, die derzeit durch die Föderalismusreform entstanden sind oder noch entstehen, gehen mit der Frage der Gefangenenarbeit und Gefangenenbildung unterschiedlich um. Die verpflichtende Teilnahme an Gefangenenarbeit und Gefangenenbildung wird von einigen Bundesländern aufgehoben. Die, die die Pflichten aufheben, sprechen davon, dass dem Charakter von „Arbeit als Teil der Strafe“ begegnet werden soll. Dies entspräche außerdem den europäischen Strafvollzugsgrundsätzen, die empfehlen, Gefangenenarbeit als einen positiven Bestandteil des Strafvollzugs zu betrachten, der nie zur Bestrafung eingesetzt werden dürfe. Diejenigen, die bei der Pflicht bleiben, wollen dadurch die zentrale Bedeutung der Beschäftigung betonen. Ein Recht auf Arbeit und Ausbildung gibt es nirgendwo. Ob Arbeitspflicht oder nicht, die Grundannahme, dass Arbeit Behandlung ist oder zumindest der Behandlung dient, wird von allen Strafvollzugsgesetzen in allen Bundesländern geteilt. Das Ziel ist gleich, die Wege sind unterschiedlich. Zusammenfassung und Ausblick Gefangene mussten schon immer arbeiten. Was einst Zwang und Pflicht war, erscheint vermehrt als Recht und Privileg. Die Begründung der Gefangenenarbeit entstammt nicht der Anthropologie und nicht partizipativem Gedankengut, sondern der Erkenntnis, dass Arbeit für viele Gefangene einen Rückfallvermeidungscharakter besitzt. Die Gefangenenarbeit steht unter einem Rechtfertigungsdruck, durch die Verzahnung mit Externen soll 11 von 13 Martin Zaschel „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ 12 von 13 ihre Effizienz erhöht und ihre rückfallvorbeugende Wirkung verstärkt werden. Wenn uns in Deutschland auch der Optimismus verlassen hat, dass Mann oder Frau, in orangene, gestreifte, oder rosa Uniformen gekleidet und mit Fußfesseln aneinander gereiht, beim Straßenbauen bessere Menschen würden, so doch nur, um Gefangenenarbeit als wesentlichen Bestandteil der Behandlungsarbeit am Gefangenen zu definieren. Gefangenenbildung hatte kaum je ein Eigenrecht, erst in der jüngsten Strafvollzugsgeschichte zieht die Gefangenenbildung mit der Gefangenenarbeit annähernd gleich. USA, chain gang Dass in den Strafvollzugsgesetzen Angebote von Grundbildung wie Deutschkurse oder Alphabetisierung genannt werden, kann als Ausdruck gewertet werden, den Straffälligen zu ihrem Grundrecht an gesellschaftlicher Teilnahme verhelfen zu wollen. Die Begründungen der Gesetze laufen allerdings eher darauf hinaus, Sprachkenntnisse etc. als Voraussetzungen für die Teilnahme am Arbeitsleben zu betrachten. Und das ist ein kleiner, aber feiner Unterschied. Die Bedeutung von Gefangenenarbeit und Gefangenenbildung in Deutschland hat m.E. nicht zuletzt dadurch ihren Charakter eines Erfüllungsgehilfen, weil es den Fachleuten nicht gelungen ist, über Jahrzehnte hinweg eine eigene Vorstellung von Vollzugspädagogik und vollzuglicher Bildung zu entwickeln. Arbeit und Bildung im Vollzug haben immer noch den Charakter von Reparaturleistungen für außervollzugliche Versäumnisse und Einrichtungen. Im Vollzug finden wir daher als Blaupausen ein bischen Arbeitstherapie, ein bischen Schulabschluss, ein bischen Berufsbildung, jedoch fehlt es an einer anthropologisch und soziologisch fundierten Theorie der Gefangenenbildung an sich. Nun mag es dafür ohnehin zu spät sein, da wir in Zeiten von dynamischen politischen und wirtschaftlichen Veränderungen stehen, und der Strafvollzug mit seinem eher gelassenen Habitus und seinem nicht wissenschaftsaffinen Selbstverständnis diese Leistung wohl nicht mehr wird erbringen können, die Bereitschaft hierzu einmal unterstellt. Dafür werden die Rückfallforschung und die Evaluation von Maßnahmen in Zukunft stärker Einfluss auf die genannten Arbeitsfelder nehmen. Martin Zaschel „Arbeit und Bildung im Erwachsenenvollzug“ 13 von 13 Arbeit und Bildung dienen daher primär der Legalbewährung des Straffälligen, sie sind nicht Selbstzweck, ihre Legitimation erhalten sie nicht durch Ideen und Anforderungen wie Lebenslanges Lernen, Bildungsgerechtigkeit, Inklusion und Partizipation. Das ist in einigen europäischen Ländern anders. In Norwegen, Finnland und Belgien sollen die Gefangenen nach Möglichkeit die selben Bildungschancen haben wie alle anderen Staatsbürger auch. Es soll Freiheit entzogen, nicht Bildung verbaut werden. Dass auch hier der Anspruch nicht automatisch vollzugliche Realität ist, soll – um aufkommendem Selbstzweifel bei hier Anwesenden vorzubeugen – ruhig eigens erwähnt werden. In der Lebensperspektive der meisten Gefangenen stellt der Strafvollzug nur eine Phase dar, bei einigen sind es auch mehrere Phasen. Daher sind alle gesellschaftlichen Institutionen aufgerufen, ihre Interventionsmöglichkeiten mit denen des Strafvollzugs zu verzahnen und abzustimmen, ebenso wie der Strafvollzug für eine tatsächliche Wirksamkeit darauf angewiesen ist, sein Denken und Tun in die Optionen und Realisationsmöglichkeiten anderer gesellschaftlicher Institutionen einzubetten. Ich hoffe, dass in meinen Ausführungen diese Anpassungsleistungen des Strafvollzugs hinreichend benannt wurden. Die Bemühungen, das vollzugseigene Arbeits- und Qualifizierungswesen in Einklang mit der Außenwelt zu bringen, sind notwendig und akzentuieren sich derzeit u.a. in Projekten wie der „Nachqualifizierung im Südwestverbund“. Der Rückfall hat zwar viele Väter: das soziale Umfeld, die Familie, Schulden, Sucht, Persönlichkeitsdefizite, das Freizeitverhalten u.a.m. Trotzdem: Arbeit und Bildung stellen für alle Interventionen des Vollzugs und für alle guten Vorsätze der Strafentlassenen eine wichtige Voraussetzung dar. Für diese die notwendigen Grundlagen zu schaffen, ist unser aller Aufgabe. Martin Zaschel Dieses Vorhaben wird aus Mitteln des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und aus dem Europäischen Sozialfonds der Europäischen Union gefördert.