"Die Lust auf Blut" von Anton Tschochner - Albertus
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"Die Lust auf Blut" von Anton Tschochner - Albertus
Albertus-Magnus-Gymnasium Regensburg Abiturjahrgang 2011-2013 SEMINARARBEIT Rahmenthema des Wissenschaftspropädeutischen Seminars: Luxus und Dekadenz Leitfach: Latein Thema der Arbeit: Die Lust auf Blut: Die Dekadenz der Masse bei römischen Spielen Verfasser/in: Kursleiter/in: Anton Tschochner OStRin Kemmeter Abgabetermin: 6. November 2012 Bewertung Note Notenstufe in Worten Punkte schriftliche Arbeit 32 befriedigend gut 7 10 Abschlusspräsentation Punkte x3 x1 Summe: Gesamtleistung nach § 61 (7) GSO = Summe:2 (gerundet) Datum und Unterschrift der Kursleiterin bzw. des Kursleiters 21 10 31 16 Inhaltsverzeichnis 1. Vom natürlichen Überlebenskampf zum inszenierten Spektakel bei den römischen Spielen S. 3 2. Gladiatorenkämpfe S. 4 2.1 Ursprung der Kämpfe S. 4 2.2 Ausbildung der Gladiatoren S. 6 2.3 Ablauf der Kämpfe S. 7 2.4 Gladiatorengattungen: Kampfkunst am Beispiel von retiarius und secutor S. 9 3. Tierhetzen S. 10 4. Funktionen der Spiele S. 12 4.1 Politischer Zweck S. 12 4.2 Unterhaltung der Bevölkerung: S. 14 Stellenwert moralischer und ethischer Prinzipien 5. Ähnlichkeit der römischen Spiele mit modernen Wettkämpfen S. 17 6. Der Mensch zwischen Vernunft und „grausamer Bestie“ S. 18 Literaturverzeichnis S. 19 Abbildungsverzeichnis S. 20 Erklärung S. 21 2 1. Vom natürlichen Überlebenskampf zum inszenierten Spektakel bei den römischen Spielen Schon die Vorfahren des Menschen mussten sich in einem ständigem Überlebenskampf gegenüber wilden Tieren und auch anderen Stämmen behaupten. So spricht Charles Darwin in seiner Evolutionstheorie von der natürlichen Selektion, vom „Survival of the fittest“, also dem Überleben des am besten Angepassten. Nur der Schnellste, Stärkste oder Schlauste setzt sich im Kampf um das Überleben gegenüber seinen Konkurrenten durch, es entwickelte sich ein Wettbewerb. Mit dem Entstehen menschlicher sozialer Gemeinschaften und vor allem der modernen Zivilisationen gab es diesen direkten Überlebenskampf für das Individuum der Gesellschaft immer weniger, doch die Tradition des Wettkampfs setzte sich fort: Im antiken Griechenland erlangte das olympische Kräftemessen große Bedeutung, bei dem die Athleten ihre Überlegenheit gegenüber den sportlichen Gegnern durch den Sieg in verschiedenen Sportarten demonstrieren wollten. Dagegen wurde im alten Rom der Überlebenskampf von Mensch und Tier in den Amphitheatern und Arenen in Form der römischen Spiele fortgeführt. Diese etablierten sich als Unterhaltungsindustrie für die breite Masse Roms, die sich am blutigen Spektakel der Inszenierungen erfreute. Aus heutiger Sicht ist die Begeisterung der Römer für die Spiele kaum verständlich, ja die römische Kultur bleibt heute fast nirgendwo so fragwürdig wie in der Betrachtung der Spiele auf Leben und Tod. Die offensichtliche Lust auf Blut wird oftmals als Gradmesser für die Dekadenz der römischen Masse herangezogen und als Argument benutzt, dass sittliche und moralische Tugenden im antiken Rom keinen Stellenwert hatten. In der folgenden Arbeit soll ein Überblick über die Entstehung, den Ablauf und das Wesen der römischen Gladiatorenspiele, sowie allgemeine Fakten über die Tierhetzen präsentiert werden. Besonderes thematisiert wird dabei die Möglichkeit der politischen Einflussnahme für Kaiser und Bevölkerung durch die Spiele. Zudem wird versucht, anhand verschiedener Stellungnahmen zeitgenössischer Schriftsteller und Philosophen die Art und Bedeutung der Spiele in Zusammenhang mit dem damaligen Moral und Ethikverständnis der römischen Gesellschaft zu diskutieren. Ein kritischer Blick auf Wettkampfarten heutiger Tage soll beleuchten inwieweit sich das Moral und Ethikverständnis der Moderne im Vergleich zum antiken Rom verändert hat. 3 2. Gladiatorenkämpfe 2.1 Ursprung der Kämpfe Aus welcher Tradition sich die Gladiatorenkämpfe entwickelt haben, ist historisch umstritten. Der erste dokumentierte Hinweis auf einen Gladiatorenkampf bezieht sich auf ein prunkvolles Leichenbegräbnis des Decimus Junius Pero im Jahr 264 vor Christus1 Angeblich kämpften dabei drei Gladiatorenpaare gegeneinander, die aus 22 Sklaven ausgewählt wurden. In der Folgezeit stieg die Zahl der Gladiatoren, sodass im Jahr 183 vor Christus bereits 60 Gladiatorenpaare bei der Bestattung des Publius Licinius gegeneinander antraten.2 Verschiedene schriftliche Quellen berichten von zahlreichen Gladiatorenkämpfen, die zu einer „ständigen Einrichtung bei Bestattungsfeierlichkeiten bedeutender Bürger“ wurden.3 Sicher ist, dass der Totenkult in irgendeiner Verbindung mit dem Ursprung der Gladiatorenkämpfe stand.4 Ob dabei der Totenkult der Etrusker mit den sogenannten Phersu-Kämpfern als Vorlage für diese besondere Art von Bestattungsfeierlichkeiten diente, ist nicht eindeutig belegbar. Umstritten ist auch die ursprüngliche Bedeutung dieser frühen Gladiatorenkämpfe. Tertullian, ein christlicher Philosoph aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus erklärt sie mit der Verpflichtung, dass das Blut des Begrabenen mit dem der Lebenden versöhnt werden sollte. Dass man an dieser Tradition festhielt, begründet Tertullian damit, dass das Töten eine Art von Vergnügung darstellte und somit über den Tod des Begrabenen hinwegtröstete. 5 Dagegen folgert Servius im vierten Jahrhundert nach Christus, dass durch die Kämpfe von der Grundidee des Menschenopfers abgewichen wurde, da es möglich wurde, sich durch die Überlegenheit im Kampf der Opferung zu entziehen. 6 Jedenfalls war die Bestattung und die Begegnung mit dem Tod angesichts einer relativ kurzen Lebenserwartung und den vielen kriegerischen Auseinandersetzungen ein wichtiges Element im römischen Alltag. Entsprechend war die Bestattung eines einflussreichen römischen Bürgers den Hinterbliebenen eine Möglichkeit zur Demonstration der eigenen Macht und des Wohlstands. Dies drückte sich zunächst in einem Trauerzug mit Musikern aus und einer laudatio funebris (Trauerrede), die der Erstgeborene an 1 Vgl. Köhne (2000), S. 16. Ebd. S.17. 3 Ebd. S.16. 4 Junkelmann (2000b), S. 36. 5 Ebd. S. 33. 6 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gladiator (03.11.2012) 2 4 den Rostra des Forum Romanum zur Ehre des Verstorbenen hielt.7 Die Einführung von Gladiatorenkämpfen sollten in diesem Zusammenhang wohl ursprünglich als Sinnbild für römische Militärtugenden, wie Mut, Tapferkeit, Standhaftigkeit und Siegeswillen des Verstorbenen stehen. 8 Oft hatte der Hinterbliebene im Testament auch die Ausrichtung einer Bestattung mit Gladiatorenkampf verfügt, sodass für die Nachkommen oder Erben die Erfüllung dieses Teils eine wichtige Pflicht (munus) war.9 Die Verweigerung der gewünschten Bestattung wäre eine Schande für die Ausrichter gewesen und wäre in der römischen Gesellschaft kaum akzeptiert worden. Schon bald erkannten römische Politiker die Popularität dieser Kämpfe bei der Bevölkerung und versuchten über entsprechende Veranstaltungen sich Aufmerksamkeit und Anerkennung bei den Bürgern zu sichern. 10 Anfangs fanden die blutigen Darbietungen meist auf dem Forum Romanum statt. Die Bühne für die Kämpfe wechselte aber nach der Errichtung von Sitztribünen und schließlich nach dem Bau der Amphitheater. Auch damit entwickelte sich die Tradition des Blutvergießens am Grab mehr und mehr zum öffentlichen Spektakel für die Massen Roms. Bis 44 vor Christus war die Veranstaltung von Gladiatorenkämpfen ausschließlich privat organisiert, die sogenannten munera. Dies änderte sich aber mit der Ermordung Cäsars, als der Senat beschloss, erstmals öffentlich finanzierte Gladiatorenspiele als ludi cereales abzuhalten. 11 Hintergrund dafür war wohl, angesichts der Staatskrise, die Bevölkerung durch aufwändig inszenierte Spektaktel zu unterhalten und damit zufrieden zu stellen. Dieses Prinzip wurde ab dieser Zeit beibehalten und die Durchführung von Gladiatorenkämpfen wurde unter der Herrschaft der Kaiser zu einem kostspieligen, kaiserlichen Privileg. Kaiserkult und Gladiatorenkampf war in der Folgezeit eng miteinander verknüpft, eine Tradition, die bis zum Ende der Kämpfe im fünften Jahrhundert nach Christus fortbestand. Deshalb war auch Kritik an den blutigen Kämpfen schwer möglich, weil diese gleichzeitig einen Angriff auf die absolutistische Stellung des Kaisers bedeutete. 7 Vgl. http://www.geocities.ws/films4/massenspektakel.html (03.11.2012) Vgl. Cic. Tusk. 2, 32-34. 9 Vgl. Köhne (2000), S. 16. 10 Vgl. Junkelmann (2000b), S. 37. 11 Ebd. S. 39. 8 5 2.2 Ausbildung der Gladiatoren Da die Kampfvorführungen mit der Zeit immer größere Dimensionen annahmen und sich zu öffentlich massenwirksamen Spielen (ludi) entwickelten, wurde ein immer größer werdender organisatorischer Aufwand notwendig. Daraus resultierte auch die zunehmende Professionalisierung der Gladiatorenkämpfe und damit die Entstehung von Gladiatorenschulen Bei den ersten Kämpfern handelte es sich um Kriegsgefangene, Sklaven oder verurteilte Verbrecher (damnatio ad ludum gladiatorum).12 Auch später wurden in erster Linie Kriegsgefangene und Sklaven zu Gladiatoren ausgebildet. Aber auch römische Bürger meldeten sich als auctorati, die dann als Gladiatoren ihre Freiheit aufgeben mussten. Durch die Ablegung eines Eids gaben sie ihre Freiheit auf, um daraufhin während den Kämpfen in der Arena „[g]ebrannt, gebunden und mit dem Schwert getötet“ zu werden, überliefert Seneca in seinen Briefen.13 Im gesamten römischen Reich gab es mehr als 100 Gladiatorenschulen, die berühmtesten waren in Capua, Ravenna oder Pompeji. 14 Die Schulen wurden von lanistae (Gladiatorenmeistern) geleitet, die meist auch die Besitzer der Schulen waren und ihre Gladiatoren an die Veranstalter von Gladiatorenkämpfen vermieteten. Doctores und magistri, meist ehemalige Gladiatoren, leiteten die Kampfausbildung der Schüler, denen sie strenge Regeln und Ordnungen vorgaben. 15 Ziel der Ausbildung war, den Kampf nach genau vorgegebenen Regeln bestreiten zu können und ein Höchstmaß an körperlicher Fitness zu erreichen. 16 Trainiert wurde beispielsweise mit hölzernen Waffen, die schwerer waren, als die, die in der Arena zum Einsatz kamen. Die für die Waffengattung typischen Bewegungsabläufe als auch Kampftechniken wurden zunächst an hölzernen Pfählen und später gegen andere Gladiatoren trainiert. 17 Durch die Einrichtung der Schulen und die professionelle Ausbildung und Betreuung der Gladiatoren wurde es möglich, dass sich eine regelrechte Vergnügungsindustrie entwickeln konnte. Aus der gesicherten Versorgungslage und der guten medizinischen Betreuung der Gladiatoren erklärt sich auch, warum gegen Ende der römischen Republik fast die Hälfte aller Gladiatoren ehemals freie römische Bürger waren. Andererseits kosteten die Ausbildung und die Abhaltung der Gladiatorenspiele 12 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gladiator (03.11.2012) Sen. Epist. 37, 1. 14 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Gladiator (03.11.2012) 15 Vgl. Junkelmann (2000a), S. 40f. 16 Ebd. S.41. 17 Ebd. 13 6 den Staat einen großen Teil seiner Finanzen. Alternativ hätten mit entsprechenden Summen Projekte für das Allgemeinwohl vorangetrieben oder die arme Bevölkerung besser unterstützt werden können. Offensichtlich waren die Investitionen in das Gladiatorenwesen und damit für das Konzept Brot und Spiele aber erfolgversprechender für den Staat, wie es sich anhand der immerhin über 500 Jahre andauernden Geschichte der Gladiatorenkämpfe mitverfolgen läßt. 2.3. Ablauf der Kämpfe Die Gladiatorenkämpfe stellten den Hauptprogrammpunkt der ludi dar und fanden somit nach Tierhetzen, Hinrichtungen, athletischen Wettbewerben oder komischen Einlagen als abschließender Höhepunkt am Nachmittag statt.18 Der Auftakt, das Vorspiel (prolusio), diente der Einstimmung des Publikums und der Aufwärmung der Athleten, die mit hölzernen Waffen (rudes) gegeneinander fochten. 19 Danach begann der eigentliche Kampf mit den todbringenden scharfen Waffen. Dabei war die kriegerische Auseinandersetzung zwischen einem Gladiatorenpaar ursprünglich keineswegs ein „wildes Handgemenge“, sondern „ein zwar höchst brutaler, doch höchst differenzierter, genauen Regeln unterworfener Kampfsport.“20 Um die Einhaltung der leges pugnandi zu gewährleisten, gab es zwei Schiedsrichter, den summa rudis und den secunda rudis, sowie Bodenlinien aus weißem Kalk (lineae albae), die die Bewegungsabläufe der Gladiatoren bestimmten. 21 Diese Vorschriften für das Gefecht erhöhten die Chancengleichheit zwischen den Gladiatoren mit dem Ziel, den Zuschauern einen möglichst spannenden Kampf bieten zu können. Die kriegerische Auseinandersetzung wurde dadurch in die Länge gezogen und besonders zelebriert bis zum Schluss das meist blutige Ende den Höhepunkt für die Besucher darstellte: Die Entscheidung über Leben und Tod des Besiegten. Der Veranstalter der Kämpfe (editor) hatte dabei die Entscheidungsmacht, wobei er sich jedoch in der Regel nach der Stimmung im Zuschauerraum richtete.22 Hatte der Besiegte ein tapferes, spannendes und faires Schauspiel präsentiert, so zeigte die Masse ihre Gunst durch das Schwenken ihrer Togen und Tücher und die Ausrufe „missum!“, „mitte!“ 18 Vgl. Junkelmann (2000a), S.71. Ebd. S.72. 20 Junkelmann (2000b), S.134. 21 Vgl. Junkelmann (2000a), S.73. 22 Ebd. S.74. 19 7 und der Gladiator wurde daraufhin lebend aus der Arena entlassen. 23 Wurde dem Unterlegenen allerdings die missio nicht gestattet, wurde der Todgeweihte vom siegreichen Gladiator nach einem bestimmten Ritual hingerichtet, wobei der Verlierer seine virtus wenigstens im Tod beweisen sollte.24 Das Publikum gab dem editor das Signal durch den Ruf „iugula!“ (stich ihn ab) und das Signal des umgedrehten Daumens (pollice verso), wie es auch im berühmten Gemälde Jean-Leon Gérômes zu sehen ist.25 26 Allerdings liegt in letzterer Geste wohl ein Irrtum vor, da der Künstler Gérôme fälschlicherweise annahm, „dass das Abb. 1: Das berühmte Gemälde „pollice verso“ von Jean-Leon Gérôme lateinische „pollice verso“ nach unten gedreht bedeutete.“27 Richtig übersetzt heißt pollice verso der nach oben gestreckte Daumen, der als Zeichen für ein gezogenes Schwert den Tod des Besiegten symbolisierte.28 Gnade mit dem Unterlegenen versprach dagegen das Zeichen pollice compresso favor indicabatur, also der Daumen, der gegen die geschlossene Faust gepresst wird, so wie es auf einem römischen Medaillon aus dem zweiten Jahrhundert nach Christus zu sehen ist.29 30 Die Wandlung der Gefechte vom „kunstvollen Duell“ zum „Menschenschlachten“ beklagt der Philosoph Abb. 2: Das römische Medaillon zeigt einen Gladiatorenkampf, bei dem der Verlierer die missio erkämpft hat. Seneca in seinen Briefen an Lucilius: Der Gelehrte kritisiert das blutige Spektakel, das er bei einem mittäglichen Besuch eines Amphitheaters erlebt. „Regeln und Techniken werden mittlerweile missachtet und „Das Ende für die Kämpfer ist der 23 Vgl. Junkelmann (2000a), S.73. Ebd. S.74. 25 Ebd. 26 Vgl. Abb. 1. 27 http://www.pm-magazin.de/r/gute-frage/war-%C2%BBdaumen-runter%C2%AB-fr%C3%BCher-dastodesurteil (03.11.2012) 28 Ebd. 29 Ebd. 30 Vgl. Abb. 2. 24 8 Tod.“31 Die Lust auf Blut des Publikums führt dazu, dass der Tod für die Gladiatoren das unausweichliche Resultat ist. Ausrufe aus der Masse wie „Schlage, peitsche, brenn ihn!“, „Warum stirbt er so lustlos?“, „Warum rennt er so lustlos ins Messer?“ verdeutlichen dies und zeigen die Ausartung der munera und der ludi in bestimmten Jahrhunderten der römischen Geschichte deutlich. 32 Insgesamt waren die Überlebenschancen eines Gladiators in den verschiedenen Epochen der römischen Geschichte daher höchst verschieden und schwankten zwischen 50% bis 80% Überlebenswahrscheinlichkeit für den Besiegten. 33 2.4 Gladiatorengattungen: Kampfkunst am Beispiel von retiarius und secutor Zur Ritualisierung und dem Regelwerk der Gladiatorenkämpfe gehörte auch, dass die Gladiatoren als unterschiedliche aber vorschriftsgemäß ausgerüstete Kämpfer paarweise aufeinander trafen. Das Kampfpaar retiarius (Netzkämpfer) gegen secutor (Verfolger) hebt sich dabei von den anderen Gladiatorenpaaren ab. So kann man die Kampfausrüstung des Netzkämpfers kaum mit der von anderen Gladiatorentypen vergleichen. Er ist leicht daran zu identifizieren, dass er weder Helm, noch Schild, noch Beinschienen trägt.34 Seine Kampfausrüstung bestand aus einer mannshohen dreizackigen Gabel (fuscina), einem Wurfnetz (iaculum) und einem langen Dolch (pugio).35 Sein spezieller Kampfpartner war normalerweise der secutor, der sich in der Kampfausrüstung deutlich vom retiarius abhebte: Er war im Gegensatz zum Netzkämpfer, der von seiner Schnelligkeit lebte, mit 15-18 kg schwerer Gesamtausrüstung bewaffnet und dadurch oft schwerfällig. 36 Das Kurzschwert (gladius), das Schild der römischen Legionäre (scutum), der Armschutz (manica) und die Beinscheine (ocrea) verliehen dem Secutor ein militärisches Erscheinungsbild.37 38 Eine Besonderheit war, Abb. 3: Bronzestatue eines secutor mit aufgeklappten typischen Helm, Kurzschwert, Schild, Armschutz und Beinschiene 31 Sen. Epist. 7, 4. Sen. Epist. 7, 5. 33 Vgl. Junkelmann (2000a), S.76. 34 Ebd. S.64. 35 Ebd. S.65. 36 Vgl. Junkelmann (2000b), S.110. 37 Ebd. 38 Vgl. Abb.3. 32 9 dass der Helm rundgeformt war, um dem Wurfnetz des retiarius keine Angriffsfläche zu bieten. Außerdem hatte der Helm in der Regel nur sehr kleine Sichtlöcher, die das Sichtfeld des Kämpfers stark einschränkten. Dass sich ein Kampfpaar aus zwei extrem verschiedenartigen Gegnern zusammensetzt, entspricht einem Prinzip, das in der kaiserlichen Gladiatur allgemein verbreitet war und versprach offensichtlich besonders unterhaltsame Kämpfe. Durch die Gegenüberstellung des schwerbewaffneten secutor und des retiarius mit seiner „Fischerausrüstung“, „steigerte man dieses System auf gerade zu bizarre Weise“, natürlich immer mit dem Ziel, Chancengleichheit herzustellen, den Kampf möglichst aufregend und spannend zu inszenieren und dem Publikum dadurch ein Spektakel zu bieten. 39 Doch die Schilderungen des Philosophen Seneca in den Briefen an Lucilius, zeigen wiederum wie sehr sich die Kämpfe im Laufe der Geschichte des römischen Imperiums zeitweise von den ursprünglichen Regeln entfernten. Die Zelebration des Kampfes ist der Lust nach Blut gewichen. Auf sarkastische Art und Weise spiegelt der Philosoph die Gesinnung im Volk wieder: „Nicht Helm, nicht Schild wehrt das Schwert ab. Wozu Schutzwaffen? Wozu Technik? All das hält den Tod nur auf!“ 40 Zudem wurden die Regeln der Ausrüstung für die ursprünglichen Gladiatorengattungen vernachlässigt, „die meisten ziehen die normalen, nach Wunsch zustande gekommenen Paarungen vor.“41 Ohne die festgelegten Kampfpaarungen und Gefechtsausrüstung glich der Gladiatorenkampf, der als brutaler Kampfsport ursprünglich festen Regeln gehorchte, damit zeitweise eher einem wilden blutigen Schlagabtausch. 3. Tierhetzen Die Tierhetzen (venationes) nahmen wohl mit den Punischen Kriegen gegen Karthago ihren Anfang, da erstmals exotische Tiere wie Elefanten erbeutet und im Rahmen der Triumphzüge zur Schau gestellt wurden. 42 Fielen sie in größerer Zahl an, entledigte man sich der Tiere eben durch die Tierhetzen, die venationes (Jagden), die eine ganze Reihe von Arenadarbietungen umfassten, natürlich immer mit dem Zweck die Zuschauer bestmöglich zu unterhalten. 39 Junkelmann (2000a), S.64. Sen. Epist. 7, 4. 41 Ebd. 42 Vgl. Junkelmann (2000a), S.77. 40 10 Viele Darbietungen der venationes werden auf einem Mosaik, welches im archäologischen Museum von Tripolis zu finden ist, dargestellt. Zum Beispiel konnten die venatores ihre Jagdfertigkeit bei der Verfolgung von ungefährlichen Wildtieren, wie Rehen, Wildeseln oder Abb. 4: Ausschnitt aus dem Mosaik im archäologischen Museum von Tripolis: Jagd auf ein Wildtier Straußen mit Wurfspeeren oder Spießen demonstrieren.43 Der Kampf von Tier gegen Tier wurde ebenfalls als Disziplin in der Arena präsentiert. Dabei fanden die Römer vor allem Gefallen an der Gegenüberstellung von großen und gefährlichen Tieren. 44 Auf dem Mosaik ist zu erkennen, dass ein Bär Abb. 5: Ausschnitt aus dem Mosaik im archäologischen Museum von Tripolis: Kampf zwischen einem Bär und einem Stier, die zusammengekettet wurden.. und ein Stier sogar zusammengekettet wurden, um diese zum Kampf miteinander zu zwingen. 45 Doch die in den Massen beliebteste Variante der venatio war zweifelsohne die Blutigste: Die Kämpfer mussten zu Fuß meist mit einem beidhändig geführten Spieß gegen gefährliche Raubtiere, meist Tiger, Leoparden, Bären oder Löwen bis zur Entlassung aus der Arena durch das Publikum kämpfen. 46 Um dem Zuschauer ein möglichst blutiges Spektakel zu bieten, mussten die Wildtiere bis zum Kampf hungern, sodass sie im Kampf aggressiv und blutrünstig waren. Zudem wurden die Raubtiere während des Kampfes durch bestiarii (Gehilfen) mit Peitschen und Fackeln aufgestachelt. 47 Im Mosaik treibt der bestiarii einen verurteilten Verbrecher Abb. 6: Ausschnitt aus dem Mosaik im archäologischen Museum von Tripolis: Ein bestiarii treibt den Verurteilten auf einen Löwen zu. sogar selbst durch Peitschenschläge auf einen Löwen zu. 48 43 Vgl. Abb. 4. Vgl. Junkelmann(2000a), S.78. 45 Vgl. Abb. 5. 46 Vgl. Junkelmann(2000a), S.78. 47 Ebd. S.77. 48 Vgl. Abb. 6. 44 11 Darüber hinaus wurden Verbrecher, die ad bestias verurteilt wurden, also zum Tod in der Arena, fast nackt, ohne Waffen und teilweise gefesselt den wilden Tieren vorgeführt.49 50 Die Grausamkeit wie die Verbrecher in der Arena hingerichtet werden, ist aus heutiger Sicht nicht hinnehmbar. Für Staatsoberhäupter und Kaiser diente diese Art der Todesstrafe für Kriminelle, die vor zehntausenden in den Arenen des römischen Reichs hingerichtet wurden, neben dem blutigen Spektakel für das Volk Abb. 7: Ausschnitt aus dem Mosaik im archäologischen Museum von Tripolis: Gefesseltes Opfer wird Raubtier vorgeführt auch zur Abschreckung zukünftiger Straftäter. 4. Funktionen der Spiele 4.1 Politischer Zweck Neben dem bloßen Interesse an den Kämpfen in den Arenen und dem damit verbundenen Unterhaltungswert für das Volk nahmen die römischen Spiele auch politische Dimensionen an und wurden als Machtinstrument benutzt. So kritisiert der römische Dichter Juvenal in seinen Satiren die Einstellung des römischen Volkes zur Politik. Er schreibt, dass sich die römischen Bürger zurückgezogen und ängstlich von jeglichem politischen Mitbestimmungsrecht oder Interesse entfernen und sich nur „panem et circenses“, also Brot und Spiele wünschen. 51 Dieser Ausdruck steht heute noch für die Manipulation der Bevölkerung durch politische oder wirtschaftliche Machthaber, die die Massen beispielsweise durch Steuersenkungen, Wahlgeschenke oder eben aufwändig inszenierte Großveranstaltungen von den wirklichen politischen oder sozialen Missständen ablenken wollen. 52 Der Rhetoriker Fronto berichtet über die Unschlüssigkeit des Kaisers Trajan, ob er seine Untertanen am besten mit Getreidespenden, Geldgeschenken oder den ludi zufrieden stellen könne. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass allein durch die Spiele alle Bevölkerungsschichten der römischen Masse auf seine Seite gebracht werden könnten. 53 In den epistulae ad Caesarem, rät der Historiker Sueton Caesar, er solle die Bevölkerung durch die 49 Vgl. Abb. 6. Vgl. Abb. 7. 51 Vgl. http://www-gewi.uni-graz.at/spectatores/entry?id=296&action=detail (03.11.2012) 52 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Panem_et_circenses (03.11.2012) 53 Vgl. http://www-gewi.uni-graz.at/spectatores/entry?id=633&action=detail (03.11.2012) 50 12 Ausrichtung von ludi beschäftigen, um die Einmischung der Masse in politische Angelegenheiten zu verhindern. 54 Die Echtheit der Briefe ist allerdings umstritten. Doch nicht nur die Machthaber konnten die ludi nutzen, um politischen Einfluss auszuüben, auch das Volk nutzte diese öffentlichen Veranstaltungen als Machtinstrument. Neben der Entscheidungsmacht für das Volk hinsichtlich der Frage auf Leben und Tod für die Gladiatoren, konnte die versammelte Menschenmenge ihren gemeinsamen Forderungen in Anwesenheit des Kaisers Ausdruck verleihen und somit die Machthaber des Imperiums unter Druck setzten. Es wird unter anderem davon berichtet, dass die Lieblinge Cäsars in der Arena ausgepfiffen oder mit Schweigen bedacht wurden, da sich Caesar im Volk zu dieser Zeit keiner großen Beliebtheit erfreute.55 Sueton erzählt in seiner Kaiserbibliographie über Caligula von Zuschauern, die öffentlich in der Arena Steuersenkungen forderten. Als Reaktion ließ der Kaiser diese öffentlich in der Arena hinrichten, was dann wohl ein Hauptmotiv für Caligulas Gegner war, eine Verschwörung gegen ihn zu anzuzetteln. 56 Außerdem war die Popularität des Staatsoberhaupts auch eng damit verknüpft, ob dieser die erfolgreiche Ausrichtung der ludi gewährleistete. Beträchtliche Geldmengen zum Beispiel für Gladiatorenschulen oder die Restauration und Erbauung von Amphitheatern investierten die Kaiser, um sich beim Volk beliebt zu machen. Doch die Erwartungen der römischen Masse an einen guten Kaiser gingen noch darüber hinaus. Beispielsweise wurde die Anwesenheit des Staatsoberhaupts bei den Spielen in der Hauptstadt erwartet, wenn er sich in Rom aufhielt. 57 Außerdem hatte sich der Gebieter während der Darbietungen ausschließlich auf das Geschehen in der Arena zu konzentrieren.58 Zeigte der Herrscher in den Augen der Masse jedoch nicht das richtige Maß an Interesse für die Spiele, konnte das Staatsoberhaupt schnell in Ungnade in der Bevölkerung fallen. Sowohl Kaiser Tiberius, der kaum Interesse an öffentlichen Veranstaltungen zeigte und sogar das Ausmaß der ludi durch begrenzte Prämien für Gladiatoren und Tierkämpfer einzuschränken versuchte, als auch Caligula, der aus Sicht des Volks zu viel Begeisterung für die Spiele empfand, machten sich durch ihr Auftreten unbeliebt.59 Die Beliebtheit des Machthabers beim Volk war ja schließlich wichtig, um möglichen Revolten vorzubeugen, Kritiken 54 Vgl. Wiedemann (1992), S. 169. Ebd. S.167. 56 Vgl. Cassius Dio 59,28, 11. 57 Vgl. Wiedemann (1992), S.172. 58 Ebd. S.173 59 Wiedemann (1992), S.173. 55 13 sowohl von Beratern, als auch von Feinden zu entkräften uns so eventuelle Zugriffe auf den Kaiserthron aussichtslos zu machen. Das Machtverhältnis zwischen Publikum und Kaiser lässt sich insgesamt als ein ausgewogenes Wechselspiel beschreiben. „In der Arena als dem Ort, an dem die Macht des Kaisers mit der des römischen Volks in Konflikt geriet, waren Kaiser und Volk gleichermaßen exponiert.“60 Jedes Großereignis stellte damit das komplexe Verhältnis zur Schau, wie die Macht zwischen Volk und dem Staatsoberhaupt oder einflussreichen Personen verteilt war. 4.2 Unterhaltung der Bevölkerung: Stellenwert moralischer und ethischer Prinzipien „Die Würde des Menschen ist unantastbar“ und "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit" heißt es in den Artikeln 1(1) und 2(2) des deutschen Grundgesetzes.61 Auch in den meisten anderen Ländern der Welt ist dieser Gedanke elementar für die Rechte der einzelnen Person in einer Nation geworden. Im alten Rom jedoch, das in vielen anderen Bereichen von Wissenschaftlern als hochentwickelt und modern eingestuft wird, wurde dieser Grundsatz der Menschenwürde und das Recht auf Leben durch die Ausrichtung der grausamen ludi mit Füßen getreten. „Bei weitem die widerlichste Art von blutigem Sport, die je erfunden worden ist“, so beurteilt der Altphilologe und Autor Michael Grant das Wesen der römischen Spiele. 62 Jegliche Unterhaltungsspektakel wie Massenhinrichtungen, Tierhetzen und vor allem die Gladiatorenkämpfe werfen heute einen Schatten auf die römische Kulturnation. Die Menschenverachtung gegenüber Unfreien und Sklaven und das erschreckende blutige Ausmaß der Spiele, die über Jahrhunderte hinweg einen wichtigen Teil der römischen Kultur darstellten, kann nicht mit unseren heutigen Moralvorstellungen in Einklang gebracht werden. Während heutzutage jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit unabhängig von Geschlecht, Abstammung, Rasse, Sprache, Heimat und Herkunft, Glaube und religiösen oder politischen Anschauungen haben sollte, galt dieser Grundsatz im alten Rom nur für Bürger des Reichs. 63 Römische Philosophen wie Cicero, Seneca und Epiktet sprachen zwar von der Idee der natürlichen Gleichheit des 60 Wiedemann (1992), S.178. http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_1.html (03.11.2012) 62 Junkelmann (2000b), S.5. 63 Vgl. http://www.gesetze-im-internet.de/gg/BJNR000010949.html art3,3 (03.11.2012) 61 14 Menschen und legten damit den Grundstein für den Corpus Iuris Civilis, des römischen Rechtskatalogs, doch Sklaven, Nichtrömern und Gladiatoren standen die Menschenrechte nicht zu.64 Gladiatoren waren aus der römischen Gesellschaft ausgeschlossen, sie waren infamis vor dem römischen Gesetz, die als Personen im alltäglichen Leben verachtet wurden. Dies lag schon daran, dass, wie bereits oben erwähnt, Kriegsgefangene und Verbrecher hauptsächlich im Gladiatorenwesen kämpften. Mitleid gegenüber den Verbrechern der Gesellschaft empfand die Masse des Publikums nicht, obwohl diese teils auf grausame und perfide Art hingerichtet wurden. Insgesamt wurden anscheinend die Grausamkeiten gegenüber den Ausgestoßenen akzeptiert, ja sie waren erwünscht, damit die Ausrichtung der blutigen Unterhaltungsindustrie gewährleistet werden konnte. Es galt sogar, dass „die Fähigkeit, dem Blutvergießen in der Arena zuzuschauen, als wichtiger Teil des römischen Charakters angesehen wurde.“65 Öffentliches Blutvergießen nicht mit anschauen zu können, wurde als moralische Schwäche interpretiert und sogar als kindlich betrachtet. Gleichzeitig wurden die Gladiatoren allerdings auch wegen ihrer Leistungen als Helden von den Massen verehrt, sodass einige Ruhm und Anerkennung erlangten. 66 67 Marcus Tullius Cicero ächtet in seinen Gesprächen im Tuskulum die Gladiatoren einerseits als „verkommene Menschen und Barbaren“, doch er erkennt andererseits, dass diese als Vorbild für wahre Mannhaftigkeit für die Bürger Roms gelten sollten. 68 Er bewundert die virtus, die Tapferkeit der Kämpfer, wie sie Schmerzen und sogar den Tod ohne Klagen hinnehmen. 69 Dieses exemplum virtutis, das der Unterlegene dem Publikum im Tod beweisen musste, stellte so zum Beispiel für Cicero und auch Seneca den Höhepunkt und auch die Faszination des Gladiatorenwesens da. „Erst auf diese Weise wurde aus einer bloßen Unterhaltung, einer reinen Demonstration agonistischer Geschicklichkeit ein Drama von tieferer Bedeutung.“70 Augenscheinlich sahen viele gebildete Personen in den Kämpfen eine hohe Schule der Selbsterziehung, die eine körperliche Ertüchtigung fördern sollte. Vermutlich diente 64 Vgl. http://www.global-ethic-now.de/gen-deu/0c_weltethos-und-politik/0c-02-menschenrechte/0c02-112-rom.php (03.11.2012) 65 Wiedemann (1992), S.141. 66 Ebd. S.133. 67 Vgl. Junkelmann (2000b), S.133. 68 Cic. Tusk. 69 Ebd. 70 Junkelmann (2000b), S.22. 15 so eine Einstellung aber eher als Schutzbehauptung zur Rechtfertigung der grausamen Kämpfe. Für die große Masse bedeuteten die Spiele bloße Unterhaltung, die durch die Spannung des Kampfes gewährleistet wurde, insbesondere durch „das Erleben von Gefahr, Wunden, spektakulärem Tod und nicht minder spektakulärem Überleben“ 71 Wie sehr der Wunsch nach einem spannend inszenierten Kampf zu der primitiven Lust nach Blut ausartet, kritisiert Seneca in den erwähnten Briefen an Lucilius.72 Auch von anderen „bestimmte[n] Gruppen oder Personen in besonderen Zusammenhängen“ wurde immer wieder starke Kritik an den Gladiatorenspielen, Tierhetzen und Massenhinrichtungen an sich ausgeübt. 73 Später waren insbesondere die römischen Christen und Juden vehemente Gegner der blutigen Darbietungen, eine Tatsache die schließlich im fünften Jahrhundert nach Christus zu einem Verbot der ludi führte. Der jüdische Historiker Josephus verurteilt die Spiele in ihrem Kern: Es ist „reine Gottlosigkeit, Menschen den wilden Tieren vorzuwerfen, um den Zuschauern Freude zu bereiten.“74 Interessanterweise können Schriften einiger antiker Philosophen und Geschichtsschreiber, sowie bestimmter Bevölkerungsgruppen nicht belegen, dass im Volk „ eine allgemeine, weit verbreitete Abneigung gegen die Unmenschlichkeit der Spiele“ im alten Rom zu erkennen war. 75 Dies bezieht sich auch auf die Aussagen Ciceros, der in den Gesprächen im Tuskulum anführt, dass zwar „manchem eine Gladiatorenvorstellung [als grausam] und unmenschlich erscheint“, er bezieht sich dabei aber nicht auf die Verbrecher und von der Gesellschaft ausgeschlossenen, sondern lediglich auf die auctorati, also ehemals freie Bürger Roms. 76 Oft kritisieren Philosophen durch ihre Aussagen nicht die ludi an sich, sondern vielmehr bestimmte Teilaspekte. Cicero wiederum tadelt die Spiele nicht aus moralisch-ethischen Gründen, sondern er kritisiert, dass die hohen finanziellen Mittel für die Spiele als Freizeitbeschäftigung für die Massen Roms keine andere, besser geeignete Verwendung finden.77 Zusammenfassend gesehen, hatten die römischen Spiele offensichtlich für lange Zeit, ungeachtet der moralischen Bedenken einiger weniger, einen sehr hohen Stellenwert in allen Gesellschaftsschichten. 71 Junkelmann (2000b), S.23. Vgl. Sen. Epist. 7, 3-5. 73 Wiedemann(1992), S.132. 74 Ebd. S.149. 75 Ebd. S.132. 76 Cic. Tusk. 110. 77 Vgl. Wiedemann(1992), S. 140. 72 16 5. Ähnlichkeit der römischen Spiele mit modernen Wettkämpfen Betrachtet man die imposanten Arenen der römischen Antike, allen voran das amphitheatrum flavium, das Kolosseum in Rom, so drängen sich Vergleiche mit modernen Sport und Unterhaltungsveranstaltungen gerade zu auf. 50‘000 Zuschauer, die durch 80 verschiedene Eingänge den Weg in das Stadion finden konnten, fasste das Stadion und kann damit in seiner Größe mit heutigen Schauplätzen verglichen werden. 78 modernen sportlichen Abb. 8: Modell des amphitheatrum flavium sportlichen 79 Auch die Wettbewerbe können manchen Großveranstaltungen zugeordnet werden: Dem Gladiatorenkampf kommen Kampfsportarten wie Boxen, Kickboxen, Karate etc. noch am nächsten, wobei die Gemeinsamkeit darin besteht, dass ein gewaltsamer Wettkampf als Spektakel für die Zuschauer präsentiert wird. Dies wird wie im alten Rom dadurch ermöglicht, dass es immer einen Sieger gibt und die Boxer körperlich beziehungsweise durch die Einhaltung bestimmter Regeln möglichst keinen eindeutigen Vorteil gegenüber ihrem Gegner haben. Letztendlich kann der Boxsport aber nicht mit der Gladiatur verglichen werden, war doch der Tod im Kampf Mann gegen Mann die Regel des Unterlegenen. Im Gegensatz dazu entspricht der iberische Stierkampf, der erst ab Anfang dieses Jahres offiziell in Katalonien verboten wurde, angesichts des tödlichen Ende des Schauspiels den antiken venationes.80 Nur den entschiedenen Protesten von Tierschutzorganisationen ist es zu verdanken, dass ein Gesetz zum Verbot des Stierkampfes letztendlich gegenüber den Anhängern durchgesetzt werden konnte, die den Stierkampf als wichtiges Kulturgut verteidigten.. Doch auch außerhalb von organisierten Großveranstaltungen, bei denen besonders spektakuläre und am besten noch nie dagewesene Unterhaltung geboten werden soll, 78 Vgl. Abb 3. Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/kolosseum (03.11.2012) 80 Vgl. http://www.spiegel.de/panorama/corrida-verbot-in-katalonien-tod-dem-stierkampf-a708886.html (03.11.2012) 79 17 finden sich Elemente der römischen Spiele im modernen Leben wieder. Zerstörung und Blut haben nach wie vor eine beträchtliche Anziehungskraft, wie sich anhand von Katastrophen-Tourismus oder den vielen Schaulustigen bei Verkehrsunfällen verfolgen lässt. Darüber hinaus berichten Medien und Presse oft von öffentlichen Hinrichtungen, oder Folterungen zum Beispiel in China, im Iran, oder in anderen Ländern. Dennoch lässt sich zusammenfassend sagen, dass die römischen Spiele in ihrer Grausamkeit einzigartig waren, da die blutige Gewalt zur öffentlichen Unterhaltung der Allgemeinheit diente. 6. Der Mensch zwischen Vernunft und „grausamer Bestie" In der Menschheitsgeschichte waren und sind Grausamkeiten gegen die eigene Art an der Tagesordnung, worin sich der Mensch wesentlich von den meisten anderen Lebewesen unterscheidet. Dichter wie Friedrich Schiller bezeichnen den Menschen im Gegensatz zu den Tieren als schrecklich. "Gefährlich ist´s den Leu zu wecken, verderblich ist des Tigers Zahn; doch der größte aller Schrecken, ist der Mensch in seinem Wahn.“ 81 Friedrich Nietzsche geht in seinem Werk „Also sprach Zarathustra“ noch ein Stück weiter als er behauptet: „Der Mensch nämlich ist das grausamste Tier. Bei Trauerspielen, Stierkämpfen und Kreuzigungen ist es ihm bisher am wohlsten geworden auf Erden; und als er sich die Hölle erfand, siehe, da war das sein Himmel auf Erden.“82 Trotz aller Regeln, die der menschlichen Vernunft entspringen, trotz aller religiöser Gebote und staatlicher Gesetze, die das menschliche Zusammenleben „human“ gestalten sollen, gelingt es bis heute nicht Gewalt von Menschen gegen Menschen und Grausamkeiten auszuschließen. 81 82 http://meister.igl.uni-freiburg.de/gedichte/sch_fv04.html (03.11.2012) Nietzsche ZA. 464. 18 Literaturverzeichnis Primärliteratur: Adamietz (1993) Juvenal, Satiren, hg. u. übers. v. J. Admietz in: http://wwwgewi.uni-graz.at/spectatores/entryßid=296&action=detail (03.11.2012). Fink (2007) Seneca, Epistulae morales ad Lucilium. Briefe an Lucilius, Band 1, lateinisch-deutsch, hg. u. übers. v. G. Fink, Düsseldorf 2007. Hoenn (1952) Marcus Tullius Cicero, Gespräche im Tuskulum, eingeleitet und neu übertragen von Karl Büchner, hg. v. K. Hoenn, Zürich 1952. Schlechta (1954) Friedrich Nietzsche, Werke in drei Bänden, Band 2, hg. v. K. Schlechta, München 1954. Sekundärliteratur: Köhne (2000) E. Köhne, Brot und Spiele. Die Politik der Unterhaltung, in: E. Köhne, M. Junkelmann, W. Stroh, C. Ewigleben, V. Albers, Gladiatoren und Caesaren. Die Macht der Unterhaltung im antiken Rom, hg. v. E. Köhne, Hamburg 2000, S.13-38. Junkelmann (2000a) M. Junkelmann, Familia Gladiatoria. Die Helden des Amphitheaters, in: E. Köhne, M. Junkelmann, W. Stroh, C. Ewigleben, V. Albers, Gladiatoren und Caesaren. Die Macht der Unterhaltung im antiken Rom, hg. v. E. Köhne, Hamburg 2000, S. 39-80. Junkelmann (2000b) M. Junkelmann, Das Spiel mit dem Tod. So kämpften Roms Gladiatoren, Mainz am Rhein 2000. Wiedemann (1992) T. Wiedemann, Kaiser und Gladiatoren. Die Macht der Spiele im antiken Rom, Darmstadt 1992. Internetquellen: Cassius Dio/ 59,28,11: http://penelope.uchicago.edu/Thayer/E/Roman/Texts/Cassius_Dio/59*.html (03.11.2012) Friedrich Schiller/ Das Lied von der Glocke: http://meister.igl.uni-freiburg.de/gedichte/sch_fv04.html (03.11.2012) 19 Fronto/Princ. hist. 17: http://www-gewi.uni-graz.at/spectatores/entry?id=633&action=detail (03.11.2012) Gesetze im Internet/Art.3: http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_3.html (03.11.2012) Gesetze im Internet/Art.1: http://www.gesetze-im-internet.de/gg/art_1.html (03.11.2012) Global-ethic: http://www.global-ethic-now.de/gen-deu/0c_weltethos-und-politik/0c-02menschenrechte/0c- 02-112-rom.php (03.11.2012) P.M. Magazin: http://www.pm-magazin.de/r/gute-frage/war-%C2%BBdaumen-runter%C2%ABfr%C3%BCher-das-todesurteil (03.11.2012) Schipp: http://www.geocities.ws/films4/massenspektakel.html (03.11.2012) Spiegelonline: http://www.spiegel.de/panorama/corrida-verbot-in-katalonien-tod-dem-stierkampf-a708886.html (03.11.2011) Wikipedia/Gladiator: http://de.wikipedia.org/wiki/Gladiator (03.11.2012) Wikipedia/Kolloseum: http://de.wikipedia.org/wiki/kolosseum (03.11.2012) Wikipedia/Panem et circenses: http://de.wikipedia.org/wiki/Panem_et_circenses (03.11.2012) Abbildungsverzeichnis: Abb.1:http://gallery-allart.do.am/Art_1/JeanLeon_Gerome/Gladiator/0140.jpeg Abb.2:www.class.ulg.ac.be/images2/medaillon.jpg Abb.3:http://www.utexas.edu/courses/introtogreece/gladiators/img25secutor. Abb4.Abb7:http://www.livius.org/a/libya/zliten/dar_buc_ammera_gladiators_tripoli_ mus12.jpg Abb5.Abb.6:http://www.livius.org/a/libya/zliten/dar_buc_ammera_gladiators_tripoli _mus05.JPG Abb.8:http://subject.jccssyl.edu.hk/subjects/history/subhtml/library/images/Rome/CO LOSSEUM.jpg 20 Erklärung zur Seminararbeit Hiermit erkläre ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel verwendet habe. Insbesondere versichere ich, dass ich alle wörtlichen und sinngemäßen Übernahmen aus anderen Werken als solche kenntlich gemacht habe. Regensburg den ......................... ........................................... Unterschrift 21