Populäre Kulturen, Popkulturen, Populäre
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Populäre Kulturen, Popkulturen, Populäre
Performativität und Medialität Populärer Kulturen Marcus S. Kleiner • Thomas Wilke (Hrsg.) Performativität und Medialität Populärer Kulturen Theorien, Ästhetiken, Praktiken Herausgeber Marcus S. Kleiner Universität Siegen, Siegen, Deutschland ISBN 978-3-531-18357-2 DOI 10.1007/978-3-531-19023-5 Thomas Wilke Universität Halle, Halle/Saale, Deutschland ISBN 978-3-531-19023-5 (eBook) Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. 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Perspektiven einer kritischen Phänomenologie ............49 Jens Schröter The Wire: Szenen performativer Mediatisierung ...................................................................75 Susanne Binas-Preisendörfer Zur Bedeutung von Performativität und Medialität in der Produktion und Aneignung populärer Musikformen: allgemeine und historische Einlassungen ............93 Herbert Schwaab Imitation of Life. Theoretische Anmerkungen zum Aspekt der Performance und Improvisation in der Filmkomödie und der Sitcom .....................................................107 ÄSTHETIKEN Marcus Stiglegger Fetisch – Tabu – Performance. Provokative Kulturtechniken in der Performanz und Medialität schwarzromantischer Subkulturen .............................................................127 Christofer Jost & Lisa Huwyler Live-Performance und Staridentität. Am Beispiel der Rockband Muse ..........................149 6 Inhalt Olaf Sanders Aufbruch und Tod im Hamburger Hafen. Über Performativität, Medialität und Bildung am Beispiel zweier ästhetischer Figuren des Darstellers Dschingis Bowakow .....177 Patricia Feise-Mahnkopp Zwischen ‚Meta-Pop‘, ‚religioider‘ Kunst und Kult: Zur Sozio-Ästhetik der „Matrix“-Filmtrilogie........................................................................191 Marcus S. Kleiner Apocalypse (Not) Now? Performative Bildungsprozesse in Populären Medienkulturen – am Beispiel der US-amerikanischen Fernseh-Serie „The Walking Dead“ ....................................225 Stefan Meier ‚Das essende Auge‘. Visuelle Stile des Kochens als performative und populärkulturelle Praxis ......................................................................................................................... 253 Moritz Baßler & Martin Butler Doubt to Stand. Die Stimme von Marcus Wiebusch ........................................................... 277 Rolf Großmann 303, MPC, A/D. Popmusik und die Ästhetik digitaler Gestaltung .................................... 299 Benjamin Beil Die Sehnsucht nach dem Pixelklumpen. Retro-Gaming und das populärkulturelle Gedächtnis des Computerspiels ..............................................................................................319 PRAKTIKEN Ivo Ritzer Bubblegum and Beer. Zur Inszenierung und Performativität von Neo-Rock’n’Roll ....... 339 Franziska Buhre Im Schauen tanzen. Anmerkungen zur Aushandlung von Performativität und Medialität in einem populären Tanz .............................................................................. 357 Inhalt 7 Annemarie Matzke ‚Das Theater wird Pop nicht finden’ – Medialität und Popkultur am Beispiel des Performance-Kollektivs She She Pop ............................................................................. 373 Malte Pelleter »Chop that record up!« Zum Sampling als performative Medienpraxis ..........................391 Thomas Wilke Put the needle on the record! Zur Performativität und Medialität des Scratchens ......415 Ramón Reichert Die Macht der Vielen. Eine performative Perspektivierung der kollaborativen Kommunikationskultur im Web 2.0........................................................................................ 435 FAZIT UND AUSBLICK Thomas Wilke Interdisziplinäre Wege und Grenzen der Forschungen zur Performativität und Medialität Populärer Kulturen......................................................................................... 453 Kurz-Viten .....................................................................................................................................477 Vorwort Performativität und Medialität als eine Forschungsperspektive zu betrachten, die das Eigensinnige und Grundcharakteristika Populärer Kulturen hervorhebt, war die Idee und schließlich der Gegenstand einer Tagung, die die Herausgeber gemeinsam organisierten und die im Dezember 2010 in Halle/Saale stattfand. Die Tagung liefert einen Beitrag zum formulierten Anliegen der »AG Populärkultur und Medien« in der Gesellschaft für Medienwissenschaft (GfM), deren (Mit-)Sprecher Marcus S. Kleiner ist, eine systematische Konturierung und eine grundlegende Verankerung der Populärkulturforschung im Kontext der Medien- und Kulturwissenschaften zu leisten. Das Hallesche Institut für Medien e.V. in Person von Prof. Dr. Reinhold Viehoff und die Fachschaft der Martin-Luther-Universität waren durch ihre finanzielle Unterstützung maßgeblich an der Realisierung der Tagung beteiligt gewesen, wofür wir ihnen an dieser Stelle herzlich danken. Ebenso bedanken wir uns bei Jana Horn, Stefanie Sachsenröder, Christiane Rasch für ihre personelle Unterstützung während der Tagung. Schließlich möchten die Herausgeber Henriett Wilke für die redaktionelle Bearbeitung der Beiträge danken. Der vorliegende Band dokumentiert nun nicht nur die Tagung selbst, sondern zeigt durch eine materialreiche Einarbeitung weiterer Beiträge ein anschlussfähiges und trotzdem heterogenes popkulturelles Forschungsprogramm. Alle Beiträge eint eine Problematisierung ihrer Gegenstände, so dass hier weder der Versuch eines Gesamtbildes unternommen wurde, noch eine additive Reihung populärkultureller Themen und Gegenstände. Auch unserer Lektorin, Frau Barbara Emig-Roller, danken wir ganz herzlich für ihr Vertrauen und ihre Unterstützung bei der Realisierung des vorliegenden Bandes. Die Herausgeber Marcus S. Kleiner & Thomas Wilke „They‘re forming in a straight line | They‘re goin through a tight wind | The kids are losing their minds | Blitzkrieg Bop | They‘re piling in the backseat | They‘re generation steam heat | Pulsating to the back seat | Blitzkrieg Bop | Hey Ho Lets Go | Shoot em‘ in the back now | What they want, I don‘t know | They‘re all reved up and ready to go | Hey Ho, Lets Go.“ The Ramones – Blitzkrieg Bop. Auf: Ramones. Sire (UK/USA) & Philips (Europa) 1976 Populäre Kulturen, Popkulturen, Populäre Medienkulturen als missing link im Diskurs zur Performativität von Kulturen und Kulturen des Performativen Einleitung Marcus S. Kleiner 1. Performativität, Performanz, Performance Mit dem Ausruf der Ramones Hey! Ho! Let’s go!1 endete meine Einleitung zum Band „Methoden der Populärkulturforschung“ (Kleiner 2012a: 35). An diesem Ende setze ich an, um einen Einstieg in die Auseinandersetzung mit der Performativität und Medialität Populärer Kulturen, von Popkulturen und Populären Medienkulturen zu finden. Gleichwohl, um den forschungslogischen Zusammenhang zwischen beiden Bänden hervorzuheben. Bei Ramones-Konzerten wurde aus dieser Aufforderung eine Sprachhandlung, eine Auff ührung und Ausführung zugleich, in der Sprechen und Handeln zusammenfallen. Hiermit kann die sprachtheoretische Herkunft des Performativitätskonzepts angezeigt werden, das auf Austins (1962) Sprechakttheorie zurückgeht. Diese geht davon aus, dass das Sprechen einer Sprache einerseits ein regelgeleitetes Verhalten bedeutet und andererseits der Vollzug eines Sprechaktes die Grundeinheit der sprachlichen Kommunikation darstellt, nicht aber das Wort oder der Satz. 1 Bei der japanischen Pop-Punk Band Shonen Knife, die bekennende Ramones-Fans sind, wird daraus im Song „Riding On The Rocket (auf Let’s Knife, 1992, Virgin)“: „Iko, iko everybody let’s go.“ Dieses Zitat überführt, auch in der und gerade durch die spezifische Transformation, bei Konzerten der Band, v.a., weil es vom Publikum als Ramones-Zitat erkannt wird, die Performativität des Ramones-Songs und seine Live-Präsentation in die Musik und Konzertwirklichkeit von Shonen Knife. Hieran lässt sich die spezifische Performativität einer anderen Qualität von Popkulturen anzeigen: die Bedeutung von Zitation bzw. Pop als Zitat-Pop. Für Austin (1962) hingegen sind performative Akte, auch wenn er dies selbst in gewisser Hinsicht modifiziert, nicht wiederholbar, Wiederholung in Form von Zitation ist parasitär und unernst. Vgl. zur Kritik an Austins Ausschluss der Iterabilität und der These, dass Iterabilität die Voraussetzung für gelingende Performativität ist, Derrida (2001: 39f.). In den bisherigen Performativitätsforschungen hat keine Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang von Iterabilität, Zitat und Performativität im Feld von Populären Kulturen, Popkulturen und Populären Medienkulturen stattgefunden. Ebenso wenig im Kontext populär- und popkulturwissenschaftlich orientierter Studien, obwohl Zitat und Wiederholung Leitbegriffe wissenschaftlicher Popanalysen, aber auch journalistischer Popbetrachtungen sind. M. S. Kleiner, T. Wilke (Hrsg.), Performativität und Medialität Populärer Kulturen, DOI 10.1007/978-3-531-19023-5_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2013 14 Marcus S. Kleiner Austin führt den Begriff des Performativen als Neologismus ein – weiterentwickelt wird er u.a. von Searle (1969, 1989, 1995) und Habermas (1971, 1984).2 Austin (1962) unterscheidet zwischen konstativen Äußerungen („Das ist eine Schallplatte.“) und performativen Äußerungen („Hiermit erkläre ich Sie zu Mann und Frau.“).3 Sprachliche Äußerungen dienen für Austin nicht nur dem Zweck, einen Sachverhalt zu beschreiben oder eine Tatsache zu behaupten, sondern mit ihnen werden Handlungen vollzogen. Performatives Sprechen vollzieht das, was es sagt, vorausgesetzt, der Sprecher ist dazu autorisiert – wie etwa Joey Ramone als Musikstar und Frontmann der Band Ramones, also als exklusives, vorbildliches soziales Subjekt, auf das man, etwa als Fan, in Konzertsituationen hört und an dem man sein Verhalten orientiert. Sprache ist „selbstreferentiell, insofern sie das bedeute[t], was sie tu[t], und sie [ist] wirklichkeitskonstituierend, indem sie die soziale Wirklichkeit herstell[t], von der sie sprich[t]“ (Fischer-Lichte 2004: 32). Sprache besitzt hierbei ein transformatorisches Potential. Austin (1962) fokussiert somit nicht den möglichen Sprachgebrauch, sondern das wirkliche Sprechen (vgl. Krämer 2001: 148). Das Performativitätskonzept von Austin übt Kritik am Repräsentationsmodell der Sprache, denn Sprache bezieht sich für ihn „nicht einfach auf die Welt, sondern ist ein Geschehen in der Welt [Hervorhebung im Original – MSK]“ (ebd.: 131). Dieser repräsentationskritische Ansatz intendiert, die kategorische Trennung zwischen Zeichen und Bezeichnetem zu subvertieren.4 2 3 4 Vgl. hierzu Krämer (2001, 2002); Krämer/Stahlhut (2001); Wirth (2002a/b); Hempfer (2011). Im Kontext meiner Einleitung, die keine linguistische und sprachphilosophische Diskussion des Performativitätskonzepts führt, ist die vergleichende Auseinandersetzung zwischen der Dichotomie konstativ/performativ und der Trias lokutionärer/illokutionärer/perlokutionärer Sprechakt bei Austin (1962) nicht relevant (vgl. Hempfer 2011). Ebenso wenig eine vergleichende Diskussion des Ansatzes von Austin mit der linguistischen Unterscheidung von Kompetenz und Performanz, die Chomsky (1965) eingeführt hat, um die zwei für ihn grundlegenden Dimensionen der Sprache differenziert zu analysieren (vgl. hierzu und zu ihrer Modifikation Lehmann 2007). Mit dem Kompetenzbegriff bezeichnet Chomsky die Kenntnis des SprecherHörers von seiner Sprache, also das Sprachvermögen, wie es allen Personen einer Sprachgemeinschaft zu eigen ist. Performanz meint die Aktualisierung dieses Vermögens in konkreten Sprachhandlungen und Sprechsituationen (vgl. zur Kritik an Chomsky Krämer 2001, 2002; vgl. zur Kritik an der Kritik von Krämer Hempfer 2011). Zudem kann an dieser Stelle auch nicht auf Derridas (2001) Austin-Lektüre und Butlers (1991, 1995, 1998, 2002) von dieser beeinflussten gendertheoretischen Weiterentwicklung, mit dem Fokus auf Macht, Identität und Körper, des Performativitätskonzepts eingegangen werden (vgl. zum Themenfeld Gender, Medien, Performativität etwa Seier 2007). Krämer (2009: 3f.) erläutert die repräsentationskritische Bedeutung der Sprechakttheorie von Austin wie folgt: „Wo immer wir Zeichen gebrauchen, diese hervorbringen, umformen, löschen oder deuten, vollzieht sich mehr als ‚nur‘ ein Zeichenprozess. Es gibt keine reinen Zeichenhandlungen. Wohlgemerkt, es geht hier nicht um die Auswirkungen von Zeichenprozessen: Gerade die sprachtheoretische Unterscheidung zwischen der Perlokution, verstanden als den außersprachlichen Wirkungen des Sprechens, und der Illokution, verstanden als eine Wirkungsmacht, die dem Sprechen unmittelbar im Akt seines Vollzuges zukommt, erinnert daran, dass es beim Performativen nicht um ‚Effekte‘ zu tun ist, die eine symbolische Handlung nach sich zieht, sondern um eine Kraft, die im Augenblick der Rede wirksam wird. [...] [D] Populäre Kulturen, Popkulturen, Populäre Medienkulturen 15 Performative Aussagen, die weder Beschreibungen oder Feststellungen sind, also keine referentielle Funktion besitzen wie konstative Äußerungen („Joey Ramone war Sänger der Band The Ramones.“), sind, im Unterschied zu diesen, weder wahr noch falsch, sie erlangen ihren Sinn durch die Handlungen, die mit ihnen vollzogen werden, nicht durch ihre Funktion, Aussagen über Sachverhalte zu treffen, die entweder wahr oder falsch sein müssen, um sinnvoll zu sein. Die Beurteilung des Ausrufs Hey! Ho! Let’s go! als wahr oder falsch ist unmöglich und sinnlos. Bei nicht performativen Äußerungen existiert keine strukturelle Kopplung von Sprechen und Handeln. Für sie gilt die Beurteilung ihres Sinngehalts durch die Unterscheidung von wahr und falsch. Die „Gelingensbedingungen“ für performative Äußerungen sind somit nicht nur „sprachliche, sondern vor allem [...] institutionelle [und] [...] soziale Bedingungen“, d.h. die Kontexte, in denen sie geäußert und vollzogen werden. Performative Äußerungen stehen im Bezug zu diesen institutionellen und sozialen Kontexten: „Die performative Äußerung richtet sich immer an eine Gemeinschaft, die durch die jeweils Anwesenden vertreten wird“ (Fischer-Lichte 2004: 32). Diese Kontexte sind niemals absolut und geschlossen, vielmehr stellen sie durchlässige, lose gekoppelte und zeitpunktjustierte Kontingenzgemeinschaften dar – wie etwa bei Konzerten. Performative Äußerungen können nur glücken oder missglücken. Hiermit zeigt Austin an, dass Sprechen und Handeln immer mit der Möglichkeit des Scheiterns konfrontiert und damit nicht sicher oder definitiv kalkulierbar sind, sondern riskant, weil sie, wie Krämer und Stahlhut (2001: 45) betonen, „die Anfälligkeit aller Kriterien und das Ausgesetztsein aller definitiven Begriffe für die Unentscheidbarkeiten, die Unwägbarkeiten und Vieldeutigkeiten, die mit dem wirklichen Leben verbunden sind“, veranschaulichen.5 Die performative Äußerung bedeutet immer die Auf- und Ausführung eines „sozialen Aktes“ (vgl. ebd.). Die performative Äußerung Hey! Ho! Let’s go erzeugt konstitutiv andere Effekte in einer universitären Seminar- oder Vorlesungssituation oder bei einer Bundestagsdebatte (unpassend), als bei einem Ramones-Konzert (passend). Sie würde im universitären und parlamentarischen Kontext missglücken, im Unterschied zur Konzertsituation, weil performative Äußerungen für Austin (1962) immer von den passenden Umständen abhängen und sozial akzeptiert sein müssen.6 „Der Ort der Auff ührung“ 5 6 ie Kraft der Rede, in der diese sich als mehr erweist, denn bloße Rede zu sein, ist eine den Sprechern in ihrer sozialen Situierung zukommende Handlungsmacht, auch wenn deren Gelingen jeweils angewiesen bleibt auf das Wechselspiel zwischen historisch sedimentierten Sprachgebräuchen, kulturellen Kontexten und Anerkennungsverhältnissen. [...] [D]as menschliche Tun genau dann angemessen begriffen ist, wenn es in den Termini des Erzeugens, Machens, Produzierens, Hervorbringens beschrieben wird: und eben diese Emphase des Hervorbringens greift nun über auf die Domäne der symbolische Handlungen.“ Konsequenterweise bringt Austin (1962) sein dichotomisches Begriffspaar konstativ/performativ selbst (bedingt) zum Scheitern durch ihre Ersetzung durch die Trias lokutionärer/illokutionärer/perlokutionärer Sprechakt. An dieser Stelle ließen sich Austins Überlegungen mit denen von Goffman (vgl. u.a. 1971a/b, 1983) zum Theatermodell bzw. zur Theatralität des Sozialen, zur Bedeutung von Interaktionsritualen, zu sozialen Situationsdefinitionen usw. konstruktiv verbinden, um der performativen 16 Marcus S. Kleiner weist, wie Fischer-Lichte (2004: 34) am Beispiel einer Performance in einer Kunstgalerie herausstellt, „ausdrücklich auf die Institution“ hin, „die [...] als Rahmen fungiert, innerhalb dessen die Auff ührung von allen Beteiligten vollzogen wird.“ Das Gleiche gilt für Konzerte und alle anderen Orte, an denen Populäre Kulturen, Popkulturen und Populäre Medienkulturen aufgeführt werden und performativ wirklichkeitskonstituierend sind. Performativität ist immer räumlich und zeitlich situiert, kann dabei aber konkrete Raum- und Zeitverhältnisse transformieren – wie etwa die Zitation der Ramones durch die japanische Band Shonen Knife. Performative Äußerungen sind somit keine ausschließlich sprachlichen Ereignisse, sondern vielmehr grundlegend soziale Handlungen.7 Bedeutung erlangen performative Äußerungen durch diese soziale Handlungen, in dem in den „ursprünglichen Performativa [...] nicht einfach gesprochen, sondern im Sprechen etwas inszeniert [wird]“ (ebd.: Produktion und Reproduktion gesellschaftlicher Wirklichkeit sowie deren Konstruktion und Rekonstruktion in den sowie durch die Medien nachzuspüren. Die Nähe zwischen Austin und Goffman besteht auch darin, dass Austin „den Vollzug performativer Akte als ritualisierte öffentliche Aufführung“ (Fischer-Lichte 2004: 41) aufaßt. Dieser Spur folge ich in meinem Beitrag „Apocalypse (not) now? Performative Bildungsprozesse in Populären Medienkulturen – am Beispiel der US-amerikanischen TV-Serie ,The Walking Dead’“. Darüber hinaus werde ich hier fallanalytisch das von Fischer-Lichte (2004: 356ff.) herausgestellte Verhältnis von Performativität, Grenze, Schwelle und Grenzüberschreitung diskutieren. Pilz (2000: 405) hebt hervor, dass künstlerische Performances wesentlich Grenzen und Grenzerfahrungen adressieren: „Die P. sucht die Grenzen von Kunst und Leben, Kunst und Politik, Kunst und Natur aufzusprengen und als Grenzen in Erfahrung zu bringen. Solcherart Grenz- und Übergangserfahrungen, die mit dem Begriff der Liminalität belegt wurden, sind strukturbildendes Moment aller Performances [...] und [zielen] auf die Reaktivierung existentieller Erfahrungen“. In meinem Beitrag werde ich die Bedeutung der Inszenierung von Grenzen und Grenzerfahrungen am Beispiel Populärer Medienkulturen diskutieren. 7 Im Kontext der Popmusik etwa wird immer wieder das Verhältnis von Musik, Sprache und Handeln thematisiert, so etwa im Song Science (1997, auf: Heavy Soul, Island Records) von Paul Weller: „And I‘ve got my thoughts to position | But do I know how to act? [...] And all the study in the world | Doesn‘t make it science [...] Words can‘t do. What action does louder [...].“ Einerseits wird hierbei implizit die Auffassung von Kultur als Text zurückgewiesen, andererseits aber auch der performative Aspekt der Sprache, also das Sprachhandeln, den Austin betont, zugunsten des Primats der vermeintlich sprachfreien Handlungen relativiert. Allerdings geschieht dies wiederum in der Sprache des Songtextes, stellt also einen performativen Selbstwiderspruch dar, kann andererseits aber auch eine Sprachhandlung erzeugen, wenn der Songtext als Appell aufgefasst und umgesetzt wird: „Musik wird Sprache wird Musik. Sprachähnlichkeit der Musik und Musikalisierung der Sprache“ (Brandstätter 2008: 161), kann Handlung werden, müsste man ergänzen. Brandstätter (ebd.) fährt fort, bezieht sich hierbei aber ausschließlich auf klassische Musik und die Musikalität der Sprache, etwa am Beispiel der Lyrik, wenngleich ihre Aussage auch auf Popmusik angewendet werden kann: „Musik spricht zu uns, sie vermag uns Botschaften zu übermitteln. Der sprachähnliche Charakter ist jedoch nicht in jeder Art von Musik gleich wirksam. Es gibt Musik, die stärker unser körperliches Empfinden aktiviert und andere, die uns geradezu sprachlich fassbare Botschaften zu vermitteln scheint.“ Die Handlungsdimension spielt in ihren Überlegungen zur Ästhetik der Transformation allerdings keine Rolle, ist aber der für den hier diskutierten Kontexten entscheidende. Populäre Kulturen, Popkulturen, Populäre Medienkulturen 17 143). Entscheidend für das Glücken performativer Äußerungen ist die Wiederholung und Aktualisierung der sozialen Kontexte, die sie adressieren, der Handlungen, die sie hervorrufen, ebenso wie der sozialen Gewohnheiten, die sie repräsentieren bzw. intendieren. Der Ausruf Hey! Ho! Let’s go wurde nur durch seine permanente Wiederholung sowie Aktualisierung bei Konzerten und v.a. durch die Annahme des Publikums, aber auch durch ihre Zitation und Diskussion im Popmusikjournalismus, zu einer ritualisiert performativen Sprachhandlung, die kontinuierlich glückt, gerade durch die „Abhängigkeit der Präsenz von der Wiederholung“ (Seier 2007: 61). Das Publikum verstand, um das Vorausgehende auf das Eingangsbeispiel zu beziehen, den Ausruf des Sängers Joey Ramone entsprechend als unmittelbare Aufforderung, die Arme zu heben, sie der Band entgegen zu strecken und ihre Körper zum Rhythmus der Musik in Bewegung zu setzen – führte diese Aufforderung (zumeist) unmittelbar aus.8 Sprachhandlungen und körperliche Handlungen durchdringen sich hierbei, Sprache wird inkorporiert und schafft Handlungskörper.9 Wahrnehmung und Körper, Medialität und Performativität sind „reziproke Vollzugsformen“ (Arbeitsgruppe „Medien“ 2004: 130). Performative Äußerungen stellen, wie Seier (2007: 42) betont, eine „Übereinstimmung von Welt und Wort“ her. Zudem war die mehrfache Wiederholung dieses Ausrufs ein wiederkehrendes Ritual bei Ramones-Konzerten. Diese Sprachhandlung schaffte eigensinnige Konzert-Wirklichkeiten.10 Performativität wurde, ausgehend von diesen linguistischen und sprachphilosophischen Grundlegungen, zu einem kulturellen Leitbegriff und zu einem der Schlüsselbegriffe für alle Disziplinen, für die die Gleichsetzung von Kultur mit Text und von Zeichen mit Repräsentation fraglich geworden ist. Aber nicht nur Sprechhandeln ließ sich bei ihren Konzerten beobachten, sondern auch die Auff ührung sowie Inszenierung von Popmusik und Popkultur selbst: Pop als Performance und Performance-Pop. Hiermit wird die kunst- und theaterwissenschaft liche Herkunft des Performativitätskonzepts adressiert.11 Für Austin (1962) hat Performativität 8 Das Verhältnis von Musik und Körper spielt in der Pomusik eine konstitutive Rolle. Musik ist immer zugleich ein Appell, sich in Bewegung zu setzen, die Musik zu inkorporieren, die ästhetische Distanz beim Hören aufzulösen – so etwa im Song Let’s Dance von David Bowie (1983, auf: Let’s Dance, EMI America Records). Bei Konzerten verdoppelt sich dieser Appell, denn Bowie führt ihn selbst auf bzw. setzt ihn demonstrativ um, fordert damit mit dem Song und mit seiner Inkorporation des Songs, das Publikum auf, zu tanzen, wodurch gleichzeitig eine Sprechhandlung mit aufgeführt wird. „Musik wird Körper wird Musik: Transformation von Musik in Bewegung, körperhafte Musik und musikalisierte Körper“ (Brandstätter 2008: 172ff.). 9 Vgl. hierzu, mit gendertheoretischer Akzentuierung, Butler (1990, 1991). Vgl. Fischer-Lichte (2004: 9-30, 63-126, 129-186). 10 Eine Reflexion und Ausdehnung seiner Überlegungen auf Ton, Laut, Klang, Geräusch, Stimme, Bild usw. findet bei Austin allerdings nicht statt. 11 Vgl. u.a. Féral (1982); Phelan (1993); Carlson (1996); Fischer-Lichte (1998, 2001, 2004); Mersch (2002). Auch in diesem Kontext ist eine Verbindung zu den Arbeiten von Goffman möglich, denn in beiden Fällen steht die Erforschung der „Inszenierung von Kultur“ (und Gesellschaft) 18 Marcus S. Kleiner mit theatraler Performance nichts zu tun. Aus der Perspektive von Fischer-Lichte (2002: 291) hingegen ist das performative, konkret das postdramatische Theater, im Gegensatz zum Sprechtheater, die „performative Kunst schlechthin“ (vgl. Lehmann 1999). Sie betont hierbei, mit Bezug auf die Arbeiten von Max Hermann (u.a. 1914, 1981), die zentrale Bedeutung der Auff ührung, bei der die leibliche Ko-Präsenz von Akteuren und Zuschauern entscheidend ist, durch die eine Simultaneität von Produktion und Rezeption entsteht, die Zuschauer an der Bedeutungsproduktion beteiligt sind: „Unmittelbare Konsequenz ist die Plurimedialität des Theaters [...], die eine Handlungs- und Geschehenskonstitution über mehrere ,Medien’, semiotische Systeme und/oder ,Kanäle’ ermöglicht, die jeweils eine Simultaneität von Produktion und Rezeption voraussetzen wie etwa Gestik, Mimik, Bühnenbild und Beleuchtung, Klangeffekte, Gerüche bis hin zum wechselseitgen ,Anfassen’ von Schauspielern und Publikum als Nutzung des haptischen Kanals“ (Hempfer 2011: 24f.). „Plurimedialität“ ist auch in jeder Konzertsituation gegeben: mit Blick auf die Präsentation der Band, der Musik und des Bühnengeschehens; hinsichtlich der akustisch-visuellen Vergemeinschaftung, also der Interaktion von Band und Zuschauern; hinsichtlich des Photographieren und Filmens mit Handys und Digital Kameras durch die Fans oder die professionelle Bild- und Filmdokumentation durch Medienvertreter; nicht zuletzt durch die Rezeption durch Journalisten. Durch den Auff ührungsbegriff soll, wie Fischer-Lichte (2004: 41ff.) erklärt, eine Ästhetik des Performativen fundiert werden – der vorliegend Band präsentiert zahlreiche Beiträge zu einer Ästhetik des Performativen im Feld Populärer Kulturen, von Popkulturen und Populären Medienkulturen, die in Fischer-Lichtes Entwurf einer Ästhetik des Performativen, aber auch in der Konzeption von Mersch (2002), keine Beachtung finden. Ausgehend vom Performance-Konzept und dem Fokus auf Theater sowie Kunst, wird Performativität, als zunächst linguistisches und sprachphilosophisches situiertes Modell, inter- und transmedial generalisiert. Die Fokussierung des Performance-Modells ist ebenso repräsentationskritisch wie das Performativitätskonzept, weil mit einer Performance nicht intendiert wird, etwas zu repräsentieren, sondern die Performance und ihre Gegenstände im Status der Präsenz zu präsentieren, auf sich selbst als „ein spezifisches Raum- und Zeiterlebnis [...] im flüchtigen Moment seiner Auff ührung“ (Seier 2007: 59) zu verweisen, dabei den Betrachter aktiv zu involvieren und aus seiner ästhetischen Distanz zu lösen. Darüber hinaus wird mit dem Performance-Modell ein Werkbegriff zurückgewiesen, der das Kunstwerk als geschlossen und abgeschlossen begreift. und die „Kultur der Inszenierung“ (Fischer-Lichte 1998: 24) im Zentrum des Erkenntnisinteresses, sowie die Analyse der fließenden Grenzen zwischen Fiktion und Wirklichkeit. Besonders die Ausweitung des Performance-Konzepts vom Theater und der Kunst auf außertheatrale und außerkünstlerische Kommunikationen, Interaktionen, Identitätsbildungen, Wirklichkeitskonstruktionen usw. ist durch den Ansatz von Goffman möglich. Die Studien von Goffman spielen bisher im Kontext der Performativitätsforschung allerdings kaum eine Rolle.