Vortrag 2 - Blog der Suchthilfe Aachen
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Vortrag 2 - Blog der Suchthilfe Aachen
Aktionstage „Sucht hat immer eine Geschichte“ 24. November 2011 Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen und die Folgen für die Familie Vortrag: Peter Schlimpen Suchthilfe Aachen Jugend- und Drogenberatung Herzogstraße 4 52070 Aachen Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen und die Folgen für die Familie „Unsere Jugend achtet das Alter nicht mehr, zeigt bewusst ein ungepflegtes Aussehen, sinnt auf Umsturz, zeigt keine Lernbereitschaft“ (Ägyptische Erzieherfibel um 2000 v. Chr.) Wie entwickelt sich das jugendliche Gehirn? Gehirn: Vor 250.000 Jahren erreichte das menschliche Gehirn seine jetzige Größe Vorher war der Mensch mit 8 oder 9 Jahren erwachsen- seitdem gibt es Jugendliche →100 Milliarden Neuronen mit bis zu einer halben Trillion von Verbindungen Wie entwickelt sich das jugendliche Gehirn? Die graue Hirnsubstanz (Nervenzellkörper) nimmt bis zum 12. Lebensjahr zu → unzählige Verbindungen entstehen → Das Gehirn ist mit 12 Jahren am größten > Danach wird Gehirn bis zum 20. Lebensjahr wieder kleiner Wie entwickelt sich das jugendliche Gehirn? Jede Sekunde baut das Gehirn während der Pubertät 30.000 Schaltstellen ab, Neurone vernetzen sich und Myelin – die weiße Gehirnsubstanz hüllt die Axiome ein=> je dicker diese Fettisolierung, desto schneller die Übertragung Wie entwickelt sich das jugendliche Gehirn? Effizienz: → wenig genutzte Verbindungen werden gekappt, viel genutzte gestärkt ! Wie entwickelt sich das jugendliche Gehirn? Pubertät : Umbau des Gehirns und Wachstumsschub vor allem im präfrontalen Cortex (Stirnhirn) Wie entwickelt sich das jugendliche Gehirn? Präfrontaler Cortex = Stirnhirn Zuständig u. a. für: Prioritätensetzung moralische Erwägungen Impulskontrolle Handlungsplanung Strategieentwicklung Erlernen von Regeln Erhaltung der Konzentration Wie entwickelt sich das jugendliche Gehirn? Umwandlung im Stirnhirn - dem obersten Kontrollzentrum – dauert bis zum Alter von 24 Jahren Amygdala - „Angstzentrum“ und Nucleus auccumbens („Belohnungszentrum“) reifen schon früher Wie entwickelt sich das jugendliche Gehirn? → Hirnregionen für emotionalen „kicks“ sind früher reif als die die Emotionen kontrollierenden Bereiche. → Verbindungen zwischen emotionalen Gebieten und dem Stirnhirn bei Jugendlichen schwächer ausgeprägt Wie entwickelt sich das jugendliche Gehirn? → Das jugendliche Gehirn ist eine Baustelle ohne Bauleiter- Stirnhirn schwächelt noch → anfällig für riskante Verhaltensweisen, z.B. Suchtmittelkonsum Wie wirken Drogen im Gehirn? 1954: Mäuse „mochten“ elektrische Impulse an einer bestimmten Stelle im Gehirn. - Mäuse drückten Taste 3000 Mal in der Stunde → „Orgasmuszentrum“ der Maus gefunden Wie wirken Drogen im Gehirn? „Glückszentrum“ Alle Suchtstoffe versetzen dieses Zentrum bei allen Tieren in Erregung => „Suchtzentrum“→ „Belohnungszentrum“ Haben Menschen das auch? Wie wirken Drogen im Gehirn? 1997: Bildgebende Verfahren: Bilder von Gehirnregionen Enge Röhre: Angstzentrum entdeckt Kokain-Abhängige im Entzug - Injektion von Kokain in der Röhre → welches Zentrum leuchtet auf ? Wie wirken Drogen im Gehirn? → Nucleus accumbens ! Wie wirken Drogen im Gehirn? Warum haben wir dieses Zentrum? 2001: Schokolade Musik Junge Männer- Porsche: leuchtet auf, Kleinwagen: es geht aus Geld (80 cent) Wie wirken Drogen im Gehirn? System springt an: - wenn etwas Positives passiert: =>Präfrontaler Cortex produziert Endorphine und Dopamin= Belohnung, Spaß, Euphorie - Neurotransmitter- Dopamin: Nervenzellen im Frontalhirn werden aktiviert „Arbeitsgedächtnis“ Wie wirken Drogen im Gehirn? -Verbindungen „Synapsen“ zu anderen Nervenzellen werden stärker→ „Knubbel“ -Lernen = Änderung der Verbindungen zwischen Nervenzellen Wie wirken Drogen im Gehirn? Nucleus accumbens sorgt für - besseres Funktionieren des Frontalhirns = besseres Lernen Ist kein Glückszentrum sondern: Lernturbo (Man lernt was gut für uns ist) Wie wirken Drogen im Gehirn? Belohnungszentrum = Hauptmotivationssystem des Menschen Nahrung / Konsum Sex Sozialer Erfolg Suchtmittel Wie wirken Drogen im Gehirn? Glück: Konsum wird langweilig („hedonistische Tretmühle“) Gesellschaft mit guten Leuten Musik Bewegung… Wirkung von Kokain u. Amphetaminen Kokain: • Erhöhung der DopaminDopamin Menge= Steigerung des Wohlgefühls • Erhöhung der NoradrenalinNoradrenalin Menge= Verstärkung der Wachheit Wirkung von Kokain • Wirkung von Kokain Wirkung von Kokain/ Ecstasy • Erhöhung der SerotoninSerotonin Menge= frühes Beenden von Unlust • Ecstasy: Leerung der Serotoninspeicher Konsequenzen aus der Neurobiologie: Konsequenzen: - Konkurrieren Sie nie mit einer Droge - Rückfallvorbeugung: „Suchtgedächtnis“ - Achtsamkeit gegenüber Triggern Zusammenhang von Drogenpräferenz, Persönl.merkmalen und fam. Bindungsstrukturen Sucht = - bio-psycho-soziales Phänomen - lässt sich auf allen 3 Ebenen anders beschreiben! 1. Bio= Bio Körper, Physiologie 2. Psycho= Psycho Bewusstsein, Persönlichkeit 3. Sozial= Sozial Kommunikation soz. Systeme Zusammenhang von Drogenpräferenz, Persönl.merkmalen und fam. Bindungsstrukturen Systemtheorie: - Dynamik von Selbstmedikation der „Nebenwirkungen der Selbstmedikation“ (Schwertl 1998, Klein 2005) - Pathologie der Wahlfreiheit, d.h. nicht mehr wählen zu können Psychische Ebene Erhalt /Ermöglichung von: - Wohlgefühl und Lust Geselligkeit (vs. Einsamkeit) Sicherheit (vs. Zweifel, Beunruhigung) Angstverminderung Schmerzverminderung Schlaf Bewusstseinsveränderung Autonomie Familienerhalt Psychische Ebene Ausblendung/ Verminderung von: - Angst Aggression Unruhe Unlustgefühle Traumafolgen Wahrnehmung Bindungsverlustängsten Hoffnungslosigkeit/ Depression Veränderungsdruck Scham Zusammenhang von Drogenpräferenz und Persönlichkeitsmerkmalen Soziale Ebene Es gibt nicht die typische Suchtfamilie, aber: - Themen, Regeln, Muster, Auffälligkeiten in Suchtsystemen: - Menschen verhalten sich unter akutem Konsum anders (geringere Merkfähigkeit, veränderte Konzentration u. Stimmung etc.) als nüchtern Soziale Ebene - Die Mitspieler in Suchtssystemen müssen sich somit auf solche Verhaltensunsicherheiten einstellen - Bsp. Im Vergleich sind schon die ersten Blickkontakte von substituierten Müttern zu ihren Kindern wesentlich verzögert und keine adäquate Antwort auf die Kinder. - Bindungsforschung: Bindungsforschung 1. Sicher 2. Unsicher 3. Desorganisiert (Ainsworth, Bowlby) Soziale Ebene - Interaktionen in den Familiensystemen ändern sich. ⇒ generalisierbare Muster bilden sich heraus (Lösungen, Rituale…) - verhaltensbezogene, oft auch psychische Folgen des Konsums sind für die Familienmitglieder oft größer als für die Abhängigen (Junker 2011) Soziale Ebene Familie/Partnerschaft & Sucht: häufige Muster: - Ein Elternteil/Partner unterstützt Suchtkranken mit Geheimhaltungstendenzen - Eltern/Partner übernehmen häufig sehr viel Verantwortung und schützen Süchtige vor Eigenverantwortung Soziale Ebene - Partner von Suchtkranken stammen häufig selbst aus suchtbelasteten Familien. Sie führen somit das als Kind Erlernte als Erwachsene fort. - Zwischen Eltern und Kindern ergeben sich oft symmetrische Eskalationen: http://drogenguide.blogspot.com/2 011/05/suchtige-eltern.html Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen Zwei extreme Bindungsmuster zwischen Eltern und süchtigen Kindern: 1. Verwöhnung/Bindung → wenig Selbstvertrauen 2. Ausstoßung/ Vernachlässigung → Suche nach Wärme u. Geborgenheit (H. Stierlin „Eltern u. Kinder“ 1980) Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen Familiäre Bindungsstrukturen: „… Aus Studien ist bekannt, dass drogenabhängige junge Menschen meist eng verstrickt sind mit ihren Herkunftsfamilien, auch wenn sie geographisch von ihnen getrennt leben…“ (Rosmarie Welter- Enderlin, Juli 1982) Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen „… Bezogen auf das Symptom Drogenabhängigkeit nehmen wir an, dass die Familie in einem Konflikt zwischen Ablösung und Bindung stehengeblieben ist. So gilt es, sowohl das Erwachsenwerden- Können von Jugendlichen als auch die Autonomie der Eltern durch Stärkung der elterlichen Kompetenz zu fördern. …“ (Rosmarie Welter-Enderlin, Juli 1982) Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen → Versuch, mit unlösbar erscheinenden familiären u. inneren Konflikten fertig zu werden ↪ bindende fam. Kräfte = Sucht als Ausdruck der Autonomie ohne reale Trennung von der Familie (Thomasius/Schindler/Sack, 2002) Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen ↪ Ausstoßende fam. Kräfte = Erfüllung von Intimitäts- und Versorgungswünschen durch das Suchtmittel, ohne Gefahr der Zurückweisung (Thomasius/Schindler/Sack, 2002) Was können Eltern tun? Systemische Interventionen: → Klärung der Anliegen aller beteiligten Familienmitglieder (Frage: Hauptkundin?) → Verhinderung symmetrischer Eskalationen „Entweder… oder“ → gemeinsamer Auftrag Eltern- Coaching: Autonomie und Lebensraum der Eltern fördern - Durch Stärkung der elterlichen Kompetenz: - z.B. Training in Bezug auf Provokationen des Jugendlichen (Drogenkonsum, finanzielle Erpressung, Schuldinduktion…) - Individuen mit dem Recht auf eigenen Raum außerhalb ihrer Elternrolle (Abbau von Schuldgefühlen) Eltern- Coaching - Durch neue Definition der Problematik ihres Kindes (z.B. Umdeutung des Symptoms Drogenabusus als Appell an die Erwachsenen, Stellung zu beziehen) - Bestärkung der Eltern in Verantwortung für das Aufwachsen ihres Kindes - =>elterliche Präsens Woran können Eltern Konsum/ risk. Verhalten erkennen? - Anspruch falsch, da Jugendliche die Drogen/Suchtexperten sind - Eltern, die ihre Kinder aufmerksam begleiten, können erkennen, wenn Jugendliche abgleiten Woran können Eltern Konsum/ risk. Verhalten erkennen? - Sehr schnelle, gravierende Veränderungen in kurzer Zeit (halbes Jahr): - Körper: rper Abmagerung, Verwahrlosung, rote Augen Woran können Eltern Konsum/ risk. Verhalten erkennen? - Pers Persö önlichkeit: nlichkeit - Vernachlässigung von Schule u. Freizeitaktivitäten - abrupte Stimmungswechsel - Extrem passives oder aggressives Verhalten - Vergesslichkeit Woran können Eltern Konsum/ risk. Verhalten erkennen? - Soziale Ebene: - Verlust des „realen“ Freundeskreises (Online- Sucht) - Wechsel des kompletten Freundeskreises (oft zu Älteren) Dies alles kann aber auch Auswirkung der Pubertät oder sonstiger Veränderungen sein (Bsp.: Familiale Belastungen) An wen können Eltern sich wenden? - Generell bei Verdacht auf Drogenkonsum: Jugend- und Drogenberatung → aber auch bei sonstigen jugendspezifischen Problematiken: z.B. bei: - Kommunikationsstörung zw. Eltern u. Kindern - Extrem passiven/aggressivem Verhalten - Schulverweigerung http://www.salzburg.com/online/lifestyle/ gesundheit/MangelndesSelbstbewusstsein-machtaggressiv.html?article=eGMmOI8VfvzV GjuskLtHuwvSuMdVZudeYxV5kV2&img =&text=&mode=& Jugend- und Drogenberatung - Zuständig: Für Jugendliche, die illegale Drogen konsumieren, und ihre Angehörigen - Bei Alkohol und Medikamenten: bis zum 21. Lebensjahr - Online-Sucht: wenn Jugendliche noch im elterlichen Haushalt leben Wie bekommt man Zugang zu Jugendlichen und Eltern? - Neugier - Neutralität – größtmögliche Ergebnisoffenheit - Sucht als Lösungsversuch (mögliche Funktionalitäten herausarbeiten) Wie bekommt man Zugang zu Jugendlichen und Eltern? - Weg von der globalen Attribution („schwacher Charakter, labil, willenschwach, Suchtcharakter“) ↪ differenzierten Betrachtung konkreter Verhaltensweisen und der Stärken/Schwächen von Jugendlichen u. Eltern ⇒ motivierende Gesprächsführung Quellen Junker, Stefan: Stefan „Sucht sucht System“, Vortrag Jahrestagung der DGSF, Bremen, September 2011. Klein, Rudolf: Rudolf „Familie und Sucht“, Vortrag, ARGE- Tagung „Brennpunkt Familie“ Linz, 2007 Schweitzer, J.; J von Schlippe, A.: „ Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung II“, Göttingen 2007. Spitzer, Manfred: Manfred Vortrag, „Glück ist…“ März 2010 (Galia Hörbücher). Stierlin, Stierlin, H.: H „Eltern und Kinder“, Ffm 1980. WelterWelter- Enderlin, Enderlin, Rosemarie: Rosemarie „Familienarbeit mit Drogenabhängigen“ aus „Familiendynamik“, Juli 1982. Suchtmittelkonsum bei Jugendlichen Vielen Dank fürs Zuhören!