Handout zum frühen Christentum und zur Christianisierung
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Handout zum frühen Christentum und zur Christianisierung
Rom-Exkursion, Oktober 2008 Luzius Thöny Christianisierung und Frühes Christentum 0.1 Frühe Kirchengeschichte 0.1.1 Die Anfänge • zw. 27-29 in röm. Provinz Judäa: Johannes der Täufer • “das Ende naht” • wird ca. 30 von Herodes geköpft • jüdischer Schreiner lässt sich taufen, wird selber als Prediger aktiv • schart einige Schüler um sich und gründet eine jüdische “Sekte” • Wirkungszeit während ca. 2 Jahren • Hinrichtung auf Veranlassung des Statthalters von Judäa, Pontius Pilatus, ca. 33 (Anklagepunkt: “Volksverhetzung”) • Quellen: praktische keine nichtchristlichen Zeugnisse • Testimonium Flavianum: “Um diese Zeit lebte Jesus, ein Mensch voll Weisheit, wenn man ihn überhaupt einen Menschen nennen darf. Er tat nämlich ganz unglaubliche Dinge und war der Leh- Der gute Hirte, Deckenmalerei, 3. Jh, Katakombe S. Callisto rer derjenigen Menschen, welche gern die Wahrheit aufnahmen; so zog er viele Juden und viele aus dem Heidentum an sich. Er war der Messias.” 0.1.2 Aufstieg zur Weltreligion • nach der Hinrichtung folgt ein beispielloser Aufstieg zur Weltreligion • Urgemeinde in Jerusalem, rasante Ausbreitung im östl. Mittelmeerraum • Kanonisierung des NT zw. 45 und 140 • ab ca. 313 in Rom toleriert • ab 380 röm. Staatsreligion Tauroktonie (Stiertötung), Mithrasrelief Neuenheim, 2. Jh., Badisches • im MA Ausbreitung nach fast ganz Europa Landesmuseum Karlsruhe • in der frühen Neuzeit Ausbreitung durch Kolonialisierung und Missionierung nach Amerika und in die übrige Welt • heute ca. 1.5-2 Mia. Anhänger • wahrsch. grösste Weltreligion • spielte eine zentrale Rolle in der Herausbildung der westlichen Kultur • entscheidende Phasen in der langen und turbulenten Geschichte der Religion waren die Zeit unmittelbar nach Jesus' Hinrichtung mit den Aktivitäten der Apostel im östlichen Mittelmeerraum sowie die Zeit des frühen Christentums in Rom • Konkurrenz durch eine Vielzahl an Kulten/Religionen - Aufstieg des Christentums keineswegs selbstverständlich • vgl. z.B. Mithraskult - im ganzen röm. Reich verbreitet, in Rom nicht verfolgt, im 3. Jh. von Kaiser Aurelian kurzzeitig zur Staatsreligion gemacht, aber dann 391 verboten. Was ist Wahrheit?, Nikolaj Nikolajewitsch Ge, 1831 1 Rom-Exkursion, Oktober 2008 Luzius Thöny 0.1.3 Apostolisches Zeitalter und pränizäische Phase • Apostolisches Zeitalter: Phase von ca. 30 bis zur Kanonisierung des NT um 130 • Missionarische Tätigkeit der Apostel unter der Leitung von Simon Petrus (Jünger) und Paulus (erster und wichtigster “Theologe” des Urchristentums; bekehrt im Damaskuserlebnis) • Nietzsche/Arendt über Paulus: “eigentlicher Gründer des Christentums” • Abgrenzung vom Judentum - Christen und Juden werden ca. seit 100 in der röm. Literatur geschieden • Urgemeinde in Jerusalem, geleitet von Jakobus dem Gerechten (Bruder - d.h. Cousin? Stiefbruder? - von Jesus), zerstoben nach dem Judenaufstand (jüd.-d.-röm. Krieg) um das Jahr 70 Der heilige Paulus, Hs. aus dem 9. Jh. • frühe Kirchen direkt von Aposteln oder deren Schülern geleitet, z.B. in Jerusalem, in Ephesus, in Alexandria • Beschneidungskontroverse, Paulus und Petrus vehement für die Bekehrung von Nicht-Juden • Abgrenzungen zwischen Juden und Christen • Christenverfolgungen und Märtyrer seit frühester Zeit zunächst durch innerjüdische Streitigkeiten, dann besonders in Rom unter Nero und später unter Trajan • Märtyrer: Stephanus, Jakobus der Ältere u.a. • Kanonisierung des NT (Evangelien, Apostelgeschichte, Paulusbriefe, Offenbarung, . . . ) • zentrale Punkte des Glaubens: Göttlichkeit von Jesus, Jesus als Grabstele der Licinia Amias, frühes 3. Jh., Griechisch: ΙΧΘΥC ΖΩΝΤΩΝ, Latein: Sohn Gottes, als Retter, Dreieinigkeit (nach NT, Taufen nach LICINIAE AMIATI BE / NE MERENTI VIXIT der Dreieinigkeit seit dem 1. Jh.), Eschatologie: Baldiges Weltende, Wiederkunft Jesu (Parusie) • auch Frauen und Sklaven aufgenommen • Apostolische Väter: frühchristl. Autoren wie Clemens von Rom, Ignatius von Antiochien, usw. (Bindeglied zwischen Aposteln und späteren Kirchenvätern) • ab Tertullian († ca. 215) wird das Christentum “bodenständig in der lateinischen Welt” (Moeller 2008:55) 0.1.4 Spätantike • Erstes Konzil von Nicäa im Jahr 325: von Kaiser Konstantin I. einberufen; Streit um Arianismus; alle 1800 Bischöfe der damaligen christlichen Kirche eingeladen, ca. 300 sind gekommen; wichtige theologische Deklarationen: Jesus als “Gott”, Dreieinigkeit • wachsende Kluft zwischen Juden und Christen • Beginn der adversus Judaeos Literatur • Steitpunkte: theologische Dispute; Missionseifer der Christen; Konstantin und die “nizäischen Väter” halten das Bekenntnis von Nizäa Juden fanden, dass sich die Christen mit sich mit fremden Federn schmückten (Monotheismus, isreal. Gott, AT); Christen machten Juden für die Hinrichtung von Jesus verantworlich 2 Rom-Exkursion, Oktober 2008 Luzius Thöny 0.1.5 Christentum in Rom • Paulus' Römerbrief ca. 58 • “eine der ältesten christlichen Gemeinden überhaupt” (Moeller 2008:55), soll von Petrus gegründet worden sein • die frühen römischen Bischofe sprachen Griechisch • Bischof Clemens I (od. Clemens von Rom), 88-97 • Brand von Rom in 64, Nero beschuldigte Christen (Verfolgungen) • Märtyrium von Petrus und Paulus in Rom (gemäss Kirchentradition) • Gründe für die Verfolgung: Christen (wie auch Juden) verweigerten, einen anderen Gott als den ihren anzubeten • Judentum litt zwar ebenfalls (Verstösse aus Rom 19 und 49), Papyrus aus einer Sammlung der Paulus-Briefe, 3. Jh. wurde aber im Gegensatz zum Christentum nicht als “illegal” betrachtet • Verfolgungen unter Domitian (Ende 1. Jh.), Trajan (um erste Jahrhundertwende) • Marcion wird ca. 150 exkommuniziert - verwarf altes Testament und den “Judengott”, nähe zur Gnostik • um 170 schreibt Tatian seine Evangelienharmonie in Rom, übersetzt sie später auf Syrisch • um 250 bezeugen Zahl und Ausdehnung der Katakomben eine beträchtliche Christengemeinschaft 64. n. Chr.: Rom brennt • Brief des Bischofs Cornelius belegt einen grossen Klerus mit zahlreichen Aufgabenbereichen: Priester, Diakonen, Subdiakonen, Akolythen, Exorzisten, Lektoren, Kustoden • Schätzungen: Um 250 eine Christengemeinde von 30'000? (A. von Harnack) • “verbreitete sich in allen Gesellschaftsschichten, [...] drang in die Führungsstrukturen des Kaiserreiches, die Ideale und die Kultur der römischen Welt ein” (Nicolai et al. 1998:25) • Kontroverse: Verhältnis zwischen Jesus und Gott (Gott untergeordnet? Gott selber? Vor Geburt praeexistent?) • Wichtige Impulse und Normierungen gehen von Rom aus (Bekräftigung der Autorität des Bischofamtes) römische Münze mit Diokletian, geprägt in 300 oder 301 in Treveri (Trier) • Verfolgungen unter Valerian (257/258), anschl. “kleiner Kirchenfriede”, neue Verfolgungen anfangs 4. Jh. unter Diokletian • Häuser abgerissen, Schriften verbrannt, Christen festgenommen, gefoltert, verbrannt und zu Gladiatorenkämpfen gezwungen • “Toleranzedikt” von Milan im Jahr 313 beendete die Verfolgungen und garantiert Glaubensfreiheit - Kaiser Konstantin (Westen) und Kaiser Licinius (Osten) • Kaiser Konstantin (306-337) bekehrte sich zum Christentum, unter ihm wurde das Christentum zur führenden Religion in Rom • Theodosius I ernannte das nizäische Christentum zur Staatsre- Theodosius I, auf der Silberplatte (Missorium) aus Almendralejo, Spanien ligion des römischen Reiches (380) 3 Rom-Exkursion, Oktober 2008 Luzius Thöny 0.2 Santa Maria Maggiore • wichtigste Marienkirche Roms • eine der vier (bzw. fünf ) Patriarchalbasiliken Roms und eine der sieben Pilgerkirchen • Momentaner Erzpriester: Kardinal Bernard Francis Law • exterritoriales Besitztum des Vatikans • wird vom Papst benutzt (z.B. für das Fest “Mariä Aufnahme in den Himmel”) • Basilica Liberiana: wurde ca. 350/360 durch Papst Liberius begonnen • Sage von der Erscheinung der Madonna - Santa Maria ad Nives • beherbergte die Versammlungen der frühen Christengemeinde • einzige Basilika, die ihre ursprüngliche Struktur behielt (auch Rom, Platz und Basilika Santa Maria Maggiore, Giovanni Paolo Pannini, 1744 nach dem Erdbeben von 1348) • heutige Kirche von Papst Sixtus III. von 432 bis 440 errichtet, im Anschluss an das Konzil von Ephesus (431), wo Maria die Bezeichnung “Gottesgebärerin” zuerkannt worden war (Köhler 2000:74) • Querschiff und Absis aus dem im 13. Jahrhundert • Campanile (Glockenturm) aus dem 14. Jh. (romanischer Stil) • diverse Abnauten im 16. Jh. (Cappella Sistina (nicht mit derjenigen im Vatikan zu verwechseln), Cappella Sforza, u.a.) und 17. Jh. (Cappella Paolina, Baptisterium) • Hauptfassade ist Barock (Architekt Ferdinando Fuga, 1741), auch barocke Chorfassade • Fussboden mit Marmor-Einlegearbeit aus dem 13. Jahrhundert (sog. Kosmaten) • Mosaiken aus dem 5. Jahrhundert (alttestamentl.), “an der Hochschiffwand im Triumphbogen der Apsis”, “zwischen Architrav und Fenstern” • Mosaiken aus der gleichen (?) Zeit auch auf dem “das Mittelschiff abschliessenden Triumphbogen” • Kassettenholzdecke wurde mit erstem “Inka-Gold” aus Amerika Grundriss der Santa Maria Maggiore ausgestattet (16. Jh.) • Mosaik in der Absis zeigt die Krönung der Jungfrau Maria (Jacopo Torriti, 1295), mit Teilen des Mosaiks aus dem 5. Jh. • Salus Populi Romani, byzantinisches Marienbild (angebl. ältestes Marienbild in Rom, wird fälschlich Lukas zugeschrieben) • Krypta: beherbergt einige Prominenz (Kirchenvater Hieronymus, Päpste, . . . ) • angeblich Reste der Jesus-Krippe in der Confessio frühchristliches Mosaik 4 Rom-Exkursion, Oktober 2008 Luzius Thöny 0.3 Katakomben • grossräumiger unterirdischer christlicher Friedhof • “enge Verflechtung von Gängen und Grabkammern”, Labyrinthe, bis vierstöckig, jüngere Korridore liegen unterhalb der älteren • röm. catacumbas, nach gr. κατὰ κύμβας ‘bei den Mulden’, auch cryptae • die meisten sind vorchristlichen Ursprungs • wurden während dem frühen MA fast alle wieder aufgegeben • über 60 Katakombenanlagen • Irrglaube, die Katakomben hätten als Zufluchtsort während der Verfolgungen gedient Inschrift für Bincentia (Vincentia), Christogramm, Korb, Taube mit Ölzweig, • ausschliesslich Grabstätten, Totenkult, als Stätten der Verehrung und ev. als Ort des Gottesdienst • ab Ende des ⒉ Jh. • Praxis unterirdischer Friedhöfe bereits von Etruskern, Sabinern und Römern (heidnische Hypogäen) bekannt • Tuffgestein: leicht zu bearbeiten, aber dennoch statisch belastbar • zunehmende Verbreitung von Erdbestattung, Gesetz verbot Friedhöfe innerhalb der Stadtgrenzen • Frescos und Skulpturen sind kunstgeschichtlich enorm wertvoll • Calixtus-Katakombe (gleichnamiger Diakon/Papst), “Papst- Fossor und ein zur Bestattung vorbereiteter Leichnam, graviert Grabplatte in der gruft” beherbergte Ende des ⒊ Jhs. die Gräber von neun Commodillakatakombe Bischöfen Roms • Priscilla-Katakombe: Grösster ihrer Zeit, erste Jahrzente des ⒊ Jhs., tausende von Gräbern • Loculi-Gräber (Nischen), grössere Nischen für Sarkophage und Mensa-Gräber, Familiengräber (cubicula) • Kolumbarien (“Taubenhäuser”) • Gräber sind bewusst schlicht und einheitlich (im Gegensatz zum röm. “Streben nach einer überzogenen Selbstdarstellung durch das eigene Grabdenkmal” • Inschriften, Malereien • Namen der Begräbnisstätten weisen auf Stiftung durch Privatpersonen (Domitilla, Priscilla, Praetextat, Bassilla, Thrason) Indiana Jones war auch schon da • Verwaltung der Gemeinschaftsfriedhöfe durch die kirchliche Autorität? Faltoniae Hilaritati, dominae filiae carissimae, quae hoc coemeterium a solo sua pecunia fecit et huhic religioni donavit 5 Rom-Exkursion, Oktober 2008 Luzius Thöny Cubiculum des Guten Hirten, Domitillakatakombe Bibliographie Saxer, Victor. Sainte-Marie-Majeure. Une basilique de Rome dans l'histoire de la ville et de son église. Rom 2001. Blasi, Anthony J. / Duhaime, Jean / Turcotte, Paul-André (Hrsg.) Handbook of Early Christianity. Walnut Creek (CA) 2002. Zangenberg, Jürgen / Labahn, Michael (Hrsg.) Christians as a Religious Minority in a Multicultural City. London 2004. Holloway, R. Ross. The Archaeology of Early Rome and Latium. London 1994. Bildnachweise Der gute Hirte - http://commons.wikimedia.org/wiki/Image:Good_shepherd_ 02b_close.jpg Mithrasrelief - http://upload.wikimedia.org/wikipedia/de/8/ 88/Mithrasrelief-Neuenheim.JPG Pontius Pilatus - http://commons.wikimedia. Keresztes, Paul. Imperial Rome and the Christians. Band I: From Herod the Great to about 200 A.D., II: From the Severi to Constantine the Great. 1989. org/wiki/Image:What-is-truth02.jpg?uselang=de Paulus - http://commons.wikimedia.org/wiki/Image:Paulus_St_Gallen.jpg? uselang=de Stele - http://commons.wikimedia.org/wiki/Image:Stele_Licinia_Amias_ Terme_67646.jpg Konzil von Nizea - http://en.wikipedia.org/wiki/Image:Nicaea_icon.jpg Papyrus - http://commons.wikimedia.org/wiki/Image:P46.jpg Brand von Rom - http://commons.wikimedia.org/wiki/Image:Great_Fire_of_ Rome.jpg Diokletian - http://commons.wikimedia.org/wiki/Image:DiocletianusFollis. jpg Theodosius - http://commons.wikimedia.org/wiki/Image:Theodosius-1-.jpg Piazza und Kirche Santa Maria Maggiore - http://de.wikipedia.org/wiki/ Bild:Giovanni_Paolo_Pannini_-_The_Piazza_and_Church_of_Santa_Maria_ Maggiore.jpg Klein, Richard (Hrsg.) Das frühe Christentum im römischen Staat. Darmstadt 1971. Köhler, Thomas. Das christliche Rom. Ein Führer zu Kirchen und Katakomben der Ewigen Stadt. Freiburg i. Br. 2000. Lee, A.D. Pagans and Christians in Late Antiquity. A Sourcebook. London 2000. Santa Maria Maggiore (Grundriss) - Köhler 2000:71 Mosaik aus Santa Maria Maggiore - http://commons.wikimedia.org/wiki/Image: Moeller, Bernd. Geschichte des Christentums in Grundzügen. Göttingen 2008. 9. Auf lage. Rome_Santa_Maria_Maggiore_4.jpg Bincentia - Nicolai et al. 1998:168 Fossor - Nicolai et al. 1998:160 Indy 3 - http://img.tomshardware.com/de/2006/01/25/sony_psp_tuning_ Nicolai, Vincenzo Fiocchi / Bisconti, Fabrizio / Mazzoleni, Danilo. Roms christliche Katakomben. Geschichte, Bilderwelt, Inschriften. Regensburg 1998. firmware_updates_amp_eigene_software/scumm-vm-indiana-jones.jpg Faltonia - Nicolai et al. 1998:23 Cubiculum - Nicolai et al. 1998:91 Ausbreitung des Christentums - Kinder, Hermann et al.: dtv-Atlas Weltgeschichte. München 2008. S. 106 Domitilla-Katakombe - Nicolai et al. 1998:18 Pavia, Carlo / Carpano, Claudio Mocchegiani. Unter den Strassen von Rom: ein archäologischer Führer zu den verborgenen Stätten der Antike und des frühen Christentums. Freiburg im Breisgau 1986. 6 Rom-Exkursion, Oktober 2008 Luzius Thöny 0.4 Anhang Ausbreitung des Christentums; Kleine Karten: Missionsreisen des Paulus Plan des Hypogäums der Flavii Aurelii A in der Domitillakatakombe 7