Anlage zum Medien
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221 Anlage Zur Entwicklung der Medien in Deutschland zwischen 1998 und 2007 Wissenschaftliches Gutachten zum Kommunikations- und Medienbericht der Bundesregierung Zur Entwicklung der Medien in Deutschland zwischen 1998 und 2007 Wissenschaftliches Gutachten zum Kommunikations- und Medienbericht der Bundesregierung Endbericht Hamburg, 4. Juni 2008 1 KAPITELÜBERSICHT 0. VORWORT....................................................................................................................................... 5 1. EINZELNE MEDIENBEREICHE ............................................................................................... 11 1.1 1.2 1.3 1.4 1.5 2. PRINTMEDIEN ................................................................................................................................ 11 TONTRÄGER................................................................................................................................... 49 FILM UND VIDEO ........................................................................................................................... 61 RUNDFUNK .................................................................................................................................... 77 DIGITALE INTERAKTIVE MEDIEN ................................................................................................. 113 MEDIENÜBERGREIFENDE ASPEKTE.................................................................................. 145 2.1 2.2 2.3 2.4 2.5 2.6 3. ARBEITSMARKT ........................................................................................................................... 145 MEDIENRELEVANTE ASPEKTE DER TELEKOMMUNIKATION ......................................................... 159 WERBEFINANZIERUNG ................................................................................................................. 175 NACHRICHTENAGENTUREN.......................................................................................................... 193 URHEBERRECHTE......................................................................................................................... 199 JUGENDMEDIENSCHUTZ ............................................................................................................... 213 TRENDS UND PERSPEKTIVEN............................................................................................... 229 3.1 3.2 3.3 3.4 4. FUNKTIONEN DER MEDIEN .......................................................................................................... 235 WIRTSCHAFTLICHE UND TECHNISCHE ENTWICKLUNGEN ............................................................. 258 VIELFALT UND MEDIENQUALITÄTEN ........................................................................................... 283 REFORM DER KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENORDNUNG .......................................................... 329 ZUSAMMENFASSUNG .............................................................................................................. 369 4.1 4.2 4.3 4.4 ZUM STATUS DES GUTACHTENS .................................................................................................. 369 BEFUNDE UND TRENDS ................................................................................................................ 369 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ........................................ 376 REFORM DER KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENORDNUNG .......................................................... 378 3 0. VORWORT BEDEUTUNG UND VERFASSUNGSRECHTLICHE GRUNDLAGE ................................................ 5 FUNKTION DES VORLIEGENDEN GUTACHTENS .......................................................................... 6 GLIEDERUNG UND DATENGRUNDLAGE ......................................................................................... 6 MITWIRKENDE ........................................................................................................................................ 7 WORKSHOPS ............................................................................................................................................ 8 Die Bundesregierung hat dem Deutschen Bundestag auf dessen Beschluss einen Medien- und Kommunikationsbericht vorzulegen. Der letzte Bericht wurde – abgesehen von einem Kurzbericht im Jahre 2002 – 1998 präsentiert. Der nunmehr vorliegende Medien- und Kommunikationsbericht folgt dabei aufgrund des Bedarfs nach Orientierungswissen angesichts des Wandels, der für diesen Bereich der Gesellschaft charakteristisch ist, einem neuen Konzept. Der politische Bericht der Bundesregierung wird erstmals durch ein unabhängiges wissenschaftliches Gutachten ergänzt, mit dessen Erstellung die Bundesregierung das Hans-Bredow-Institut beauftragt hat. Der Bericht war ursprünglich zur Veröffentlichung 2005 geplant. Aufgrund der Neuwahlen im September 2005 konnte die alte Bundesregierung den Bericht nicht mehr veröffentlichen. Die vorliegende aktualisierte Fassung bezieht bis Anfang 2008 verfügbare Informationen ein. BEDEUTUNG UND VERFASSUNGSRECHTLICHE GRUNDLAGE Dass öffentliche Kommunikation funktioniert – Meinungs¬bildung ermöglicht und zur kulturellen Selbstverständigung beiträgt –, ist für ein demokratisches Gemeinwesen existentiell. Die Verfassung schützt daher in Art. 5 Abs. 1 GG den Kommunikationsprozess in verschiedenen Grundrechtsverbürgungen. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG stellt die Presse-, Rundfunk-, und Filmfreiheit und damit die massenmediale Vermittlung von Kommunikationsinhalten unter besonderen Schutz, während Satz 1 die Meinungs- und Informationsfreiheit gewährleistet. Die Bedeutung der Kommunikationsfreiheiten wird vom Bundesverfassungsgericht besonders hoch eingeschätzt; so zählt es die Meinungsfreiheit zu den „vornehmsten Menschenrechten überhaupt“. Auch die passive Seite der individuellen Kommunikationsfreiheit – die Informationsfreiheit – gehört zu den elementaren Grundfreiheiten, die die Verfassung sichert. Der Grund für diese Anerkennung der Kommunikationsfreiheiten liegt zum einen in Annahmen über Funktionsbedingungen kommunikativer Entfaltung in einer Demokratie begründet, zum anderen in der Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung des Einzelnen. Während bei der Meinungs- und Informationsfreiheit des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG in der Regel der Staat als potentieller Störer des Kommunika¬tionsprozesses im Vordergrund steht, werden die massenkommunikativen Freiheiten vom höchsten Deutschen Gericht als „Rundumfreiheiten“ verstanden: Für den Rundfunk geht es explizit davon aus, dass der Staat die verfassungsrechtliche Aufgabe hat, die Kommunikationsordnung so zu ge¬stalten, dass eine freie öffentliche und individuelle Meinungsbildung möglich bleibt und vor allem Vermachtungen des Kommunikationsprozesses vermieden werden. Diese Aufgabe obliegt nach der Kompetenzordnung des Grundgesetzes den Ländern, auch wenn Regelungen des Bundes sie an vielen Stellen beeinflussen. 5 0. Vorwort Da Kommunikation und Medien die gesamte Gesellschaft durchdringen, können sie überall gewünschte oder auch unerwünschte Wirkungen hervorrufen. Mit Blick auf die Kollisionen mit anderen – auch verfassungsrechtlich geschützten – Rechtsgütern können die Freiheiten des Satz 1 als auch die des Satz 2 beschränkt werden. Art. 5 Abs. 2 GG erlaubt Beschränkungen dieser Freiheiten durch allgemeine – d. h. vor allem sich nicht gegen bestimmte Kommunikationsinhalte richtende – Gesetze, Bestimmungen zum Schutze der Ehre und des Jugendschutzes. Daneben können auch andere Grundrechte – z.B. die Kunstfreiheit sowie das Recht auf informationelle Selbstbestimmung – oder Verfassungsgüter die Kommunikationsfreiheiten verfassungsimmanent beschränken. Soweit also kommunikative Tätigkeiten den Schutz des Art. 5 Abs. 1 GG genießen, dürfen sie nur im Rahmen dieser Schranken – die im Lichte der Bedeutung der Kommunikationsfreiheiten auszulegen sind – begrenzt werden. Absolut unzulässig ist jede staatliche Vorzensur (Art. 5 Abs. 2 Satz 2 GG). Staatliches Handeln, sei es fördernd, beschränkend oder gestaltend, bewegt sich also in einem aus gutem Grunde verfassungsrechtlich hoch sensiblen Feld, dessen normative Strukturen im Bericht so weit wie möglich berücksichtigt werden. FUNKTION DES VORLIEGENDEN GUTACHTENS Ziel des vorliegenden Gutachtens ist es vor allem, eine gut strukturierte, möglichst umfassende und neutrale Informationsquelle zur Verfügung zu stellen, auf deren Grundlage politische Handlungsbedarfe, -optionen und Rahmenbedingungen erkennbar werden. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Bedeutung von Kommunikation und Medien für Politik und Gesellschaft, nicht auf wirtschaftlichen Aspekten, die aber natürlich als strukturelle Voraussetzungen einbezogen werden. Die wissenschaftliche Betrachtung hat auch den Vorzug, die Entwicklung in Ihrer ganzen Breite betrachten zu können, ohne auf Gesetz¬gebungs¬zuständigkeiten, medienpolitische Empfindlichkeiten oder tradierte Deutungsmuster Rücksicht nehmen zu müssen. Angesichts der Konvergenz, die nun zunehmend nicht nur die Technik erfasst und, wenn nicht konvergente, so doch hybride Angebote ermöglicht, fällt die Definition der Bereiche, die in den Bericht einbezogen werden, schwer. Das Verschwinden klassischer Grenzen zwischen früher klar getrennten Bereichen des Medien- und Informations- und Kommunikationsbereiches macht für das wissenschaftliche Gutachten zum Kommunikations- und Medienbericht eine umfassende Beobachtung der Entwicklung erforderlich, um zentrale Handlungsfelder frühzeitig identifizieren zu können. Dabei werden möglichst alle Angebote und ihre Kontexte berücksichtigt, die dem Bereich der „öffentlichen Kommunikation“ zugeordnet werden können, d. h. es werden nicht nur traditionelle Medien berücksichtigt, sondern auch neue Angebotsformen, die auf Öffentlichkeit zielen, nicht aber Angebote wie die Transaktionen des E-Commerce, E-Learning oder der klassischen Telefonie. GLIEDERUNG UND DATENGRUNDLAGE Aus der geschilderten Funktion ergibt sich die Gliederung. Zunächst werden in einem deskriptiven Teil Informationen zusammengestellt, die einen Überblick über Stand und Entwicklung dieses Bereiches geben. Trotz der oben geschilderten Konvergenzentwicklung folgt er der traditionellen Logik unterschiedlicher Übertragungsmedien (Presse, Tonträger, Film, Rundfunk), ergänzt um den Bereich interaktiver Medien. Diese traditionelle Vorgehen erleichtert die Vergleichbarkeit mit früheren Berichten, fängt aber Konvergenz der Medien nur unvollkommen ein und spiegelt die tradierte Selbstbeschreibungen der jeweiligen Brachen, die sich aus den über sie erhobenen Daten ergeben. In Querschnittsbereichen werden Aspekte hinter die Klammer gezogen, die für mehrere oder alle Medienbereiche relevant sind. 6 0. Vorwort Da für den Bericht vorhandene Quellen ausgewertet wurden und diese überwiegend dieser hergebrachten Unterscheidung folgen, ist das Vorgehen an dieser Stelle alternativlos. Auch bei diesem pragmatischen Vorgehen zeigt sich, dass die Datenbasis in diesem hochrelevanten Bereich heterogen und an vielen Stellen eher dünn und veraltet erscheint. Der Bericht deckt soweit möglich den Bereich 1998–2007 ab, um die Kontinuität mit den alten Medienberichten zu wahren, greift aber gelegentlich auch weiter zurück, um Trends zu verdeutlichen, oder nimmt aktuelle Vorgänge auf. Schließlich wird die nüchterne Darstellung der Fakten um Analysen ergänzt, die Trends und Perspektiven, die wissenschaftlich diskutiert we¬rden, für die medienpolitische Debatte aufbereitet. MITWIRKENDE Das Institut hat vor der Erstellung des Berichtes fünf Workshops – je einen zu allen oben genannten Medienbereichen – mit Kolleginnen und Kollegen durchgeführt, um die Gliederung, die Datensammlung und die Analyse auf eine möglichst breite Grundlage zu stellen. Um aktuelle Trends öffentlicher Kommunikation aufzunehmen, hat das Institut im Rahmen der Aktualisierung des Berichtes Ende 2007 einen übergreifenden Workshop veranstaltet. Die dort gewonnenen Erkenntnisse sind an vielen Stellen eingeflossen und wir bedanken uns herzlich für die anregenden Diskussionen. Eine Liste der Teilnehmerinnen und Teilnehmer findet sich unten auf S. 8 f. Am Institut waren vor allem Joan Bleicher, Hardy Dreier, Stephan Dreyer, Christiane Eilders, Uwe Hasebrink, Thorsten Ihler, Barry Sankol, Jan Schmidt, Hermann-Dieter Schröder und Wolfgang Schulz für den Bericht verantwortlich. In Einzelfragen haben uns Leif Kramp, Till Kreutzer und Claudia Lampert unterstützt, für deren Expertise wir uns bedanken. Unser Dank gilt auch dem Team des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, die das Vorhaben federführend betreuen, für die außergewöhnlich konstruktive Zusammenarbeit. Wir alle hoffen, dass sich durch den Bericht eine taugliche Basis für das medienpolitische Handeln ergibt, die in künftigen Jahren fortgeschrieben werden kann, um die Entwicklung in diesem wichtigen Bereich dauerhaft transpa¬renter machen zu können. Hamburg, im Mai 2008 7 0. Vorwort WORKSHOPS (1) Experten-Workshop zur Situation der Presse am 30. Juni 2004 in der Akademie für Publizistik, Warburgstraße 8-10, 20354 Hamburg Teilnehmer 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. Bodo Franzmann; Stiftung Lesen, Mainz Prof. Dr. Jürgen Heinrich; Universität Dortmund Prof. Dr. Gerd G. Kopper; Universität Dortmund Prof. Dr. Johannes Ludwig; Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW), Hamburg Prof. Dr. Christoph Neuberger; Universität Münster Prof. Dr. Klaus Schönbach; University of Amsterdam Prof. Dr. Rudolf Stöber; Otto-Friedrich-Universität Bamberg Prof. Dr. Heinz-Reiner Treichel; Bergische Universität Wuppertal Dr. Andreas Vogel; Wissenschaftliches Institut für Presseforschung, Köln (2) Experten-Workshop „Online-Medien in der öffentlichen Kommunikation“ am 8. Juli 2004 in der Akademie für Publizistik, Warburgstraße 8-10, 20354 Hamburg Teilnehmer 1. Dr. Bernhad Batinic; Universität Marburg 2. Prof. Dr. Klaus Beck; Universität Greifswald 3. Prof. Dr. Christoph Degenhart; Universität Leipzig 4. Dr. Lutz Goertz; MMB Institut für Medien- u. Kompetenzforschung, Essen 5. Matthias Kempf; Universität München 6. Dr. Manfred Kops; Universität Köln 7. Prof. Dr. Friedrich Krotz; Universität Erfurt 8. Prof. Dr. Herbert Kubicek; Universität Bremen 9. Dr. Georg Lütteke; Zentralverband Elektrotechnik- u. Elektronikindustrie 10. Prof. Dr. Helge Rossen-Stadtfeld; Universität der Bundeswehr, München 11. Prof. Dr. Gerd Vowe; Technische Universität Illmenau (3) Experten-Workshop zur Situation in den Bereichen Film und Computerspiele am 1. Juli 2004 im Hans-Bredow-Institut, Heimhuder Straße 21, 20148 Hamburg Teilnehmer 1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8 Malte Behrmann; Rechtsanwalt, Berlin Prof. Dr. Knut Hickethier; Universität Hamburg Christoph Holowaty; Computec Media AG, MCV, Fürth Prof. Klaus Keil; Erich-Pommer-Institut, Potsdam Oliver Pasch; Cinemaxx AG, Mülheim Prof. Dr. Matthias Petzold; Universität Köln Prof. Dr. Wolfgang Seufert; Universität Jena 0. Vorwort 8. Cord Stukenberg; Detecon & Diebold Consultants, München (4) Experten-Workshop zur Situation in den Bereichen Musik und Urheberrechtsschutz am 9. Juli 2004 im Hans-Bredow-Institut, Heimhuder Straße 21, 20148 Hamburg Teilnehmer 1. 2. 3. 4. Prof. Dr. Reinhard Flender; New Classical Forschungsinstitut, Hamburg Till Kreutzer; i.e. Büro für informationsrechtliche Expertise, Hamburg Prof. Elmar Lampson; Universität Witten / Herdecke Prof. Dr. Helmut Rösing; Universität Hamburg (5) Experten-Workshop zu Ausdifferenzierung und Grenzverschiebungen der öffentlichen Kommunikation am 28.11.2007 im Gästehaus der Universität Hamburg, Rothenbaumchaussee 34, 20148 Hamburg Teilnehmer 1. 2. 3. 4. 5. 6. Prof. Dr. Michael Jäckel; Universität Trier Prof. Dr. Klaus Schönbach; Universität Amsterdam und Zeppelin University Friedrichshafen Prof. Dr. Wolfgang Mühl-Benninghaus; Humboldt-Universität zu Berlin Prof. Dr. Patrick Rössler M.A.; Universität Erfurt Prof. Dr. Barbara Thomaß; Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. Knut Hickethier; Universität Hamburg 9 1. EINZELNE MEDIENBEREICHE 1.1 PRINTMEDIEN 1.1.1 ANGEBOTE UND INHALTE ................................................................................................... 13 1.1.1.1 1.1.1.2 1.1.1.3 1.1.2 WIRTSCHAFT UND ORGANISATION ................................................................................. 24 1.1.2.1 1.1.2.2 1.1.2.3 1.1.2.4 1.1.3 ZEITUNGEN ............................................................................................................................ 32 Reichweite ............................................................................................................................. 32 Lesedauer.............................................................................................................................. 34 Weitere Merkmale der Zeitungsnutzung ............................................................................... 34 ZEITSCHRIFTEN ...................................................................................................................... 35 Reichweite ............................................................................................................................. 35 Lesedauer.............................................................................................................................. 35 BUCH ..................................................................................................................................... 35 Reichweite ............................................................................................................................. 35 Lesedauer.............................................................................................................................. 36 Lektürevorlieben ................................................................................................................... 36 RECHT UND REGULIERUNG................................................................................................ 37 1.1.4.1 1.1.4.1.1 1.1.4.1.2 1.1.4.1.3 1.1.4.1.4 1.1.4.2 1.1.4.2.1 1.1.4.2.2 1.1.4.2.3 1.1.4.2.4 1.1.4.3 1.1.4.3.1 1.1.4.3.2 1.1.5 ZEITUNGEN ............................................................................................................................ 24 ZEITSCHRIFTEN ...................................................................................................................... 27 PRESSEVERTRIEB ................................................................................................................... 29 BUCHHANDEL ........................................................................................................................ 30 NUTZUNG UND WIRKUNG.................................................................................................... 32 1.1.3.1 1.1.3.1.1 1.1.3.1.2 1.1.3.1.3 1.1.3.2 1.1.3.2.1 1.1.3.2.2 1.1.3.3 1.1.3.3.1 1.1.3.3.2 1.1.3.3.3 1.1.4 ZEITUNGEN ............................................................................................................................ 13 ZEITSCHRIFTEN ...................................................................................................................... 16 BÜCHER ................................................................................................................................. 21 RECHTSRAHMEN .................................................................................................................... 37 Europarechtliche Einflüsse ................................................................................................... 38 Pressebegriff ......................................................................................................................... 38 Regulierungskonzept ............................................................................................................. 39 Nicht-staatliche Regulierung ................................................................................................ 40 NOVELLIERUNGEN UND REFORMEN IM BERICHTSZEITRAUM ................................................. 40 Medienprivilegien: Zeugnisverweigerungsrecht................................................................... 40 Medienprivilegien: Datenschutzvorschriften für die Presse ................................................. 42 Buchpreisbindung ................................................................................................................. 43 Pflichtexemplare: Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek.......................................... 44 SONSTIGE RELEVANTE RECHTLICHE ENTWICKLUNGEN.......................................................... 44 Änderungen im Bereich des Bildnisschutzes......................................................................... 44 Gratiszeitungen ..................................................................................................................... 45 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 1.1................................................................................ 46 11 1. Einzelne Medienbereiche Tabellenverzeichnis Tabelle 1.1.1.1: Strukturdaten zur Entwicklung der Tagespresse 1997, 2001, 2004, 2006 und 2007 Tabelle 1.1.1.2: Zahl der Abonnementzeitungen in deutschen Großstädten 2007 (über 100.000 Einwohner; insgesamt 81) Tabelle 1.1.1.3: Titelzahl und Auflagen von Publikums- und Fachzeitschriften 1998-2007 Tabelle 1.1.1.4: Heftumfang Publikumszeitschriften 2000 bis 2006 im Vergleich Tabelle 1.1.1.5: Marktdaten für Fachzeitschriften 2001-2007 Tabelle 1.1.1.6: Anzeigenblätter in den Bundesländern (Stand: 01. Januar 2007) Tabelle 1.1.1.7: Zahl und Auflagen der bei der IVW gemeldeten Kundenzeitschriften Tabelle 1.1.1.8: Buchtitelproduktion Tabelle 1.1.1.9: Durchschnittsladenpreise der Neuerscheinungen (Erstauflagen) nach Sachgruppen 2006 (Werte in Euro) Tabelle 1.1.2.1: Auflagenentwicklung der Tagespresse 1997-2007 Tabelle 1.1.2.2: Konzentrationsgrad des Tageszeitungsmarktes 1995-2006 (anteilige Auflage in Prozent) Tabelle 1.1.2.3: Publikumszeitschriften: Konsolidierte Marktanteile der vier größten Konzerne 1995 bis 2006 Tabelle 1.1.2.4: Netto-Werbeumsätze der Publikumszeitschriften Tabelle 1.1.2.5: Anzahl der Verlage nach Umsatzgrößenklassen und steuerbarer Umsatz nach Umsatzgrößenklassen 2003, 2004 und 2005* (in 1.000 EUR) Tabelle 1.1.2.6: Im- und Export von Gegenständen des Buchhandels (in 1.000 EUR) Tabelle 1.1.3.1: Reichweite der Tageszeitungen von 1996 bis 2007 (in Prozent) 12 1.1. Printmedien Das Kapitel „Printmedien“ behandelt alle verkörperten Druckwerke der Massenkommunikation. Neben den periodisch erscheinenden Publikationen (Zeitungen und Zeitschriften) wird auch der Buchmarkt berücksichtigt, der im Sinne von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG Teil der Presse ist. Der Abschnitt „Angebote und Inhalte“ gibt dabei einen Überblick über die Entwicklung der einzelnen Printmedien im Hinblick auf die Zahl und die inhaltliche Vielfalt. Im Abschnitt „Wirtschaft und Organisation“ werden Marktdaten vorgestellt sowie insbesondere für die periodische Presse diejenigen Veränderungen dargestellt, die sich aus den Entwicklungen am Werbemarkt sowie der wachsenden Verbreitung des Internets ergeben. Der Abschnitt „Nutzung und Wirkung“ zeichnet die Entwicklung von Reichweiten und Lesedauer nach und stellt die Lektürevorlieben der Bevölkerung dar. Der Abschnitt „Recht und Regulierung“ schildert schließlich die rechtlichen Rahmenbedingungen für die wirtschaftliche Betätigung im Bereich der Printmedien sowie deren Änderungen im Berichtszeitraum. 1.1.1 Angebote und Inhalte 1.1.1.1 Zeitungen Für den Publikationstyp der Zeitung gibt es eine Vielzahl von Definitionen. Das Statistische Bundesamt zählte in der – im Jahr 1996 abgeschafften – Pressestatistik dazu „alle periodischen Veröffentlichungen, die in ihrem redaktionellen Teil der kontinuierlichen, aktuellen und thematisch nicht auf bestimmte Stoff- oder Lebensgebiete begrenzten Nachrichtenübermittlung dienen, also in der Regel mindestens die Sparten Politik, Wirtschaft, Zeitgeschehen, Kultur, Unterhaltung sowie Sport umfassen und im Allgemeinen mindestens zweimal wöchentlich erscheinen“ 1 . Zeitungen sind Printmedien, die im Hinblick auf ihre Erscheinungshäufigkeit, ihr Verbreitungsgebiet und ihre Verbreitungsart differenziert werden. Wichtige Merkmale der Zeitung sind die allgemeine Zugänglichkeit (Publizität) und die Disponibilität, die sich in der freien Wahl der genutzten Inhalte und der Unabhängigkeit der Nutzung von Ort und Zeit ausdrückt. Weitere Merkmale sind ihre Aktualität, die an den Erscheinungsrhythmus gekoppelt ist, und die Universalität. Letztere Definitionsbedingung führt beispielsweise dazu, dass das Handelsblatt erst seit der Ausweitung seines Themenspektrums 2001 von Schütz als publizistische Einheit bei den Tageszeitungen berücksichtigt wird 2 . Die Kategorie der publizistischen Einheit, die an die Existenz von Vollredaktionen gekoppelt ist, ist als Mittel zur Erfassung publizistischer Vielfalt jedoch mittlerweile umstritten, da die wesentliche Funktion der regionalen und lokalen Tageszeitungen in der auf das Erscheinungsgebiet bezogenen Information liegt. Andere lokale und regionale Medien, die komplementäre publizistische Angebote liefern, werden bei der Messung der lokalen und regionalen Informationsvielfalt nicht berücksichtigt, so dass Kritiker dieser Betrachtungsweise der sinkenden Zeitungsvielfalt eine steigende Angebotsvielfalt durch Anzeigenblätter, Lokalfunk oder andere Medien gegenüberstellen 3 . Hinzu kommt, dass verschiedene Kooperationsformen der Tageszeitungsverlage zusätzliche Varianten der Kombination von Inhalten ermöglichen, die von dieser Kategorisierung nicht erfasst werden. Beispiele sind etwa die „Syndication“, also die Weitergabe redaktioneller Inhalte im Austausch, oder die Erstellung gemeinsamer Inhalte durch direkte redaktionelle Kooperationen, unabhängig von wirtschaftlicher Verflechtung 4 . 1 Statistisches Bundesamt 1996, S. 6. 2 Schütz 2001, S. 605. 3 Vgl. z. B. Trebbe 1998; Katzenberger 1999. 4 Vgl. Moss 1998, S. 165 f. 13 1. Einzelne Medienbereiche Der Bundesverband der Deutschen Zeitungsverleger (BDZV) gab für das zweite Quartal 2007 die Zahl von 352 Tageszeitungen an, die eine Gesamtauflage von 20,8 Mio. Exemplaren verkauften. Dies waren 333 lokale und regionale Abonnementzeitungen, zehn überregionale Titel und neun Kaufzeitungen 5 . Die Struktur des Tageszeitungsmarktes (vgl. Tab. 1.1.1.1) in der Bundesrepublik ist historisch gewachsen. Auch als Resultat der alliierten Lizenzpolitik der Nachkriegszeit kam es zur Entwicklung einer Presselandschaft, die im Wesentlichen durch lokale und regionale Abonnementtageszeitungen und eine regionale Monopolbildung geprägt ist. In den meisten Fällen handelt es sich bei den Zeitungsverlagen um Familienunternehmen, die einen Generationswechsel vollzogen haben 6 . Tabelle 1.1.1.1: Strukturdaten zur Entwicklung der Tagespresse 1997, 2001, 2004, 2006 und 2007 1997 2001 2004 2006 2007 Verlagsbetriebe, die Tageszeitungen herausgeben 371 356 359 352 352 Darunter Abonnementzeitungen 361 346 345 338 343 6 8 8 8 10 355 338 337 330 333 10 10 14 14 k.A. 1.582 1.584 1.538 1.524 1.524 48 43 54 57 k.A. 135 136 138 136 136 7 7 11 10 k.A. 242 246 256 261 k.A. 55,1 55,9 58,3 59,4 k.A. 33,6 34,4 34,8 35,0 k.A. 41,1 41,9 42,1 42,5 k.A. davon überwiegend überregionale Verbreitung lokale/regionale Verbreitung Straßenverkaufszeitungen Ausgaben von Tageszeitungen davon Straßenverkaufszeitungen Vollredaktionen (publizistische Einheiten): davon Straßenverkaufszeitungen Ein-Zeitungs-Kreise (Anzahl) in % aller Kreise Bevölkerung der Ein-Zeitungs-Kreise in Mio. in % der Gesamtbevölkerung Quelle: Schütz 2005, S. 222 ff., Schütz 2007, S. 561, 577, 588 sowie BDZV 2007. 2006 gab es insgesamt 1.524 Ausgaben von Tageszeitungen in Deutschland, die von etwa 350 Verlagsbetrieben herausgegeben wurden. Da unterschiedliche Ausgaben einer Tageszeitung ein und denselben Mantelteil beziehen können, ist die Anzahl der Vollredaktionen jedoch deutlich geringer; solche publizistischen Einheiten gab es 2007 insgesamt 136. Die Zahl der Abonnementtageszeitungen ging im Vergleich zu 1997 um 18 zurück, und auch die Anzahl der Ausgaben von Tageszeitungen sank in den vergangenen zehn Jahren. Allerdings verbergen sich hinter diesen Trends einige gegenläufige Entwicklungen: Im Jahr 2000 kamen mit der „Financial Times Deutschland“ sowie dem „Handelsblatt“ (das sein inhaltliches Spektrum erweiterte) zwei neue Abonnementzeitungen mit überregionaler Verbreitung hinzu. Im Bereich Tageszeitungen gab es eine Ausweitung des Angebots bei den Straßenverkaufszeitungen, die jedoch die Rückgänge bei den Ausgaben der Abonnementzeitungen nicht kompensieren konnte. Die Auflagenentwicklung des Tageszeitungsmarkts zeigt seit 1997 kontinuierliche Rückgänge. Während dies bei regionalen und lokalen Abonnementtageszeitungen wie geschildert auch mit einem absoluten Rückgang der Ausgaben einhergeht, sind bei den Straßenverkaufs- 5 Vgl. BDZV 2007, S. 410. 6 Vgl. Böckelmann 2000. 14 1.1. Printmedien zeitungen und den überregionalen Tageszeitungen die Auflagenverluste trotz etwa gleich vieler oder sogar mehr gewordener Ausgaben sichtbar (vgl. ausführlicher Abschnitt 1.1.2.1). 2006 erschien in nahezu 60 Prozent der deutschen Städte und Landkreise nur noch eine einzige regionale Tageszeitung, 42,5 Prozent der deutschen Bevölkerung leben in einem solchen Gebiet (vgl. auch Tab. 1.1.1.2). Seit 1997 stieg die Zahl der Einzeitungskreise damit um 19. Dieses Zeitungsangebot im lokalen und regionalen Raum wird durch die überregionalen Abonnementtageszeitungen und die im Straßenverkauf verbreitete Boulevardpresse ergänzt, die zum Teil ihre Angebote je nach Erscheinungsort und jeweiliger Auflage variieren. Im Fall der BILD-Zeitung liefern beispielsweise regionale Redaktionen Inhalte für solche regionalisierten Ausgaben zu. Die überregionalen Abonnementtageszeitungen verbreiten allerdings in der Regel den weitaus größten Teil ihrer Auflage in der Nähe ihres Erscheinungsortes. Versuche, regionale Zusatzangebote auch in anderen Regionen zu etablieren, wurden meist wieder beendet – so hat beispielsweise „die tageszeitung“ (taz) im Sommer 2007 ihre Regionalausgabe für Nordrhein-Westfalen eingestellt. Tabelle 1.1.1.2: Zahl der Abonnementzeitungen in deutschen Großstädten 2007 (über 100.000 Einwohner; insgesamt 81) Städte mit nur einer Abonnementzeitung (n= 35) Augsburg Bottrop Braunschweig Bremerhaven Chemnitz Cottbus Freiburg Gelsenkirchen Göttingen Halle/Saale Hamm Heidelberg Heilbronn Herne Hildesheim Ingolstadt Karlsruhe Kassel Kiel Koblenz Leipzig Leverkusen Ludwigshafen Lübeck Magdeburg Mannheim Oldenburg Osnabrück Regensburg Rostock Saarbrücken Salzgitter Ulm Wolfsburg Wuppertal Städte mit zwei Abonnementzeitungen der gleichen Verlagsgruppe (n=12) Aachen BergischGladbach Erfurt Erlangen Essen Fürth Gera Hagen Jena Mülheim/Ruhr Oberhausen Würzburg München Münster Neuss Nürnberg Offenbach Paderborn Pforzheim Potsdam Recklinghausen Städte mit zwei Abonnementzeitungen (n=23) Bielefeld Bochum Bonn Darmstadt Dresden Hannover Köln Krefeld Mainz Mönchenglabach Remscheid Reutlingen Solingen Stuttgart Städte mit drei Abonnementzeitungen, darunter zwei der gleichen Verlagsgruppe (n=6) Dortmund Duisburg Moers Siegen Wiesbaden Witten Städte mit drei Abonnementzeitungen (n=4) Bremen Düsseldorf Frankfurt Hamburg Städte mit sechs Abonnementzeitungen, darunter zwei der gleichen Verlagsgruppe (n=1) Berlin Quelle: Schütz 2007, S. 582 f. 15 1. Einzelne Medienbereiche Nach 2000 kamen Tageszeitungen aus unterschiedlichen Gründen in wirtschaftliche Schwierigkeiten: Die gesamtwirtschaftliche Entwicklung, die zu einem Rückgang des Werbevolumens führte (vgl. Abschnitt 2.3), traf mit der steigenden Diffusion des Internets zusammen, das auf ökonomischen Märkten (vor allem im Bereich der Rubrikenanzeigen) wie auch auf publizistischen Märkten an Bedeutung gewann (vgl. ausführlicher Abschnitt 1.1.2.1). Die Tageszeitungsverlage haben bereits um die Jahrtausendwende mit einem Ausbau ihrer eigenen Online-Aktivitäten reagiert, so dass es nach Angaben des Bundesverbands deutscher Zeitungsverleger derzeit etwa 630 Online-Angebote von deutschen Tageszeitungen gibt 7 . Aber nicht nur online, sondern auch im Printbereich sind den Tageszeitungen Konkurrenten um die finanziellen und zeitlichen Budgets des Publikums erwachsen: Zum einen liefern Anzeigenblätter auf lokaler und regionaler Ebene kostenlos Informationen und spielen damit auf dem Lesermarkt eine wichtige Rolle. Dazu haben Akteure aus dem Ausland oder aus verlagsfremden Bereichen bereits Ende der neunziger Jahre in mehreren deutschen Städten versucht, Gratiszeitungen zu starten 8 . Das mit einer traditionellen Tageszeitung vergleichbare Angebot sollte allein aus Werbung finanziert werden. Dieser Versuch des Marktzutritts scheiterte zunächst am Widerstand der Zeitungsverleger, die mit wirtschaftlichen und juristischen Mitteln gegen die neuen Angebote vorgingen, doch 2003 entschied der Bundesgerichtshof in letzter Instanz zu Gunsten der Gratiszeitungen (vgl. Abschnitt 1.4.3.2). Bislang findet man abgesehen von der (nur wöchentlich erscheinenden) „LR-Woche“ des Verlagshauses „Lausitzer Rundschau“ jedoch nur Publikationen wie „Süddeutsche Zeitung Primetime“, „Handelsblatt am Abend“, „FTD Kompakt“ oder „Welt Kompakt“, die auf Lufthansa-Flügen sowie in ICEs frei erhältlich sind. Deutschland nimmt in dieser Hinsicht eine Sonderstellung ein; im September 2006 gab es in Europa inkl. Russland insgesamt 129 Ausgaben von Gratiszeitungen, die zumeist in städtischen Ballungsräumen als Pendlerzeitungen vertrieben werden und eine Auflage von etwa 19 Mio. erreichten 9 . Seit 2003 lässt sich zudem ein verstärkter Trend zu Tageszeitungen im kleineren Tabloid-Format beobachten, die mittlerweile in mehreren Ballungsräumen und Städten teils unabhängig, teils als Kompaktausgaben klassischer Tageszeitungen herausgegeben werden. Die Verlage bemühen sich damit, neue Lesergruppen zu erschließen und dem generellen Auflagenschwund entgegenzuwirken. 1.1.1.2 Zeitschriften Seit der Einstellung der amtlichen Pressestatistik ist die Datenlage zur Entwicklung der Zeitschriften in der Bundesrepublik sehr heterogen. Unter der Bezeichnung Zeitschrift wurden in der Pressestatistik praktisch alle periodischen Publikationsformen zusammengefasst, die nicht der Definition der Tageszeitung entsprachen und häufiger als jährlich erschienen. Darunter finden sich so unterschiedliche Angebote wie Publikumszeitschriften, Fachzeitschriften, die konfessionelle Presse, die Anzeigenblätter, die amtlichen Blätter sowie die kommunalen Amtsblätter. Die größte Titelzahl findet man unter den Fachzeitschriften, die höchsten Auflagen werden von Publikumszeitschriften erzielt. Daten zur Titelzahl liegen heute in erster Linie auf der Grundlage von Verbandsveröffentlichungen und den Daten der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. (IVW) vor, die als Service für die werbetreibende Wirtschaft Daten von bei ihr zur Überprüfung gemeldeten Titeln zur Verfügung stellt. Hierbei ergibt sich das Problem, dass nicht alle Publikationen erfasst werden und die existierenden Lücken nur schwer einzuschätzen sind. So fehlen in der Regel Titel, die nur in geringem Maße auf Werbeerlöse bei der Finanzierung setzen. 7 Vgl. BDZV 2007, S. 417. 8 Vgl. Pürer/Raabe 2007, S. 392 f. 9 Vgl. Haas 2006, S. 515 ff. 16 1.1. Printmedien Den IVW-Daten zufolge erschienen in Deutschland 2007 893 Publikumszeitschriften mit einer verbreiteten Auflage von 134,6 Mio. Exemplaren (vgl. Tab. 1.1.1.3). Die tatsächlich verkaufte Auflage lag bei 118,3 Mio. Exemplaren. Im gleichen Jahr gab es 1.117 IVW-geprüfte Fachzeitschriften mit einer verbreiteten Auflage von 23,5 Mio. sowie einer verkauften Auflage von 13,2 Mio. Exemplaren (zur Problematik der Zahlen in diesem Segment s. u.). Im Verlauf der vergangenen zehn Jahre hat in beiden Segmenten die Anzahl der Titel zugenommen, die Auflage (sowohl verbreitet als auch verkauft) dagegen abgenommen. Auf dem Zeitschriftenmarkt ist insbesondere im Segment der Publikumszeitschriften ein relativ intensiver Wettbewerb zu beobachten, allerdings wird er im Wesentlichen von den etablierten Unternehmen geprägt. Dabei ist eine wichtige Strategie der Angebotsausweitung die der „Line-Extension“, bei der zu bestehenden Angeboten neue ähnliche Titel hinzutreten. Beispiel für diese Strategie ist die „BILD-Familie“ des AxelSpringer-Konzerns, zu der im Jahr 2006 elf Zeitschriftentitel zählten 10 . Die Verlage tragen mit dieser Ausdifferenzierung des Angebotes also dazu bei, die Durchschnittsauflage der einzelnen Titel zu senken. Betrachtet man die Daten jedoch gattungsbereinigt, d. h. berücksichtigt man allein redaktionell ausgestaltete Kaufpublikationen, die mindestens viermal jährlich erscheinen und ein auf den deutschen Markt ausgerichtetes Heftkonzept haben, so zeigt sich, dass die Publikumspresse seit 2001 5,6 Prozent weniger Hefte verkauft hat, die Auflage ging bis 2005 von 91,02 Mio. Exemplaren auf 85,90 Mio. Exemplare zurück11 . Tabelle 1.1.1.3: Titelzahl und Auflagen von Publikums- und Fachzeitschriften 1998-2007 Fachzeitschriften Publikumszeitschriften Anzahl Verbreitete Auflage Verkaufte Auflage Anzahl Verbreitete Auflage Verkaufte Auflage 1998 809 142,5 126,5 1.080 26,4 17,1 1999 839 138,5 124,3 1.089 26,3 17,2 2000 847 138,9 124,4 1.094 27,7 17,9 2001 817 138,5 125,1 1.096 27,4 18,0 2002 831 139,8 126,0 1.088 26,1 17,1 2003 832 139,4 125,4 1.075 24,6 15,5 2004 850 137,6 123,6 1.065 23,5 14,5 2005 873 138,0 123,1 1.081 24,4 15,1 2006 888 136,7 122,3 1.089 22,5 12,8 2007 893 134,6 118,3 1.117 23,5 13,2 Quelle: BDZV 2007, S. 411 und http://www.daten.ivw.eu, zuletzt aufgerufen am 14.9.2007. Der Heftumfang der Publikumszeitschriften ist im Zeitraum zwischen 2000 und 2006 um etwa sieben Prozent gestiegen, was vor allem auf eine deutliche Ausweitung der redaktionellen Seiten zurückzuführen ist (vgl. Tab. 1.1.1.4). Die Zahl der Anzeigenseiten ist dagegen merklich gefallen, wobei insbesondere SchwarzWeiß-Anzeigen Verluste aufwiesen: Sie machen inzwischen nur noch etwa zehn Prozent aller Anzeigenseiten aus. Vierfarbige Anzeigen konnten ihre Seitenzahl in etwa halten, besitzen aber aufgrund des Rückgangs anderer Gestaltungsformen inzwischen einen Anteil von über 80 Prozent an allen Anzeigenseiten in Publikumszeitschriften. 10 Vgl. Vogel 2006, S. 391. 11 Vgl. Vogel 2006, S. 383. 17 1. Einzelne Medienbereiche Tabelle 1.1.1.4: Heftumfang Publikumszeitschriften 2000 bis 2006 im Vergleich 2000 Seiten Heftumfang gesamt 2004 Anteil Seiten 2006 Anteil Seiten Anteil Veränderung Seitenzahl 2000 zu 2006 872.023 100,0 895.524 100 930.190 100,0 +6,7 % davon redaktionelle Seiten 602.082 69,0 666.222 74,4 701.800 75,4 +16,6 % Anzeigenseiten 269.941 31,0 229.302 25,6 228.390 24,6 -15,3 % davon schwarz-weiß 45.884 17,0 28.060 12,3 22.083 9,7 -51,9 % Zusatzfarbe 19.518 7,2 6.023 2,6 4.651 2,0 -76,2 % 4-farbig 188.285 69,8 179.389 78,2 186.567 81,7 -1,0 % Beihefter 16.251 6,0 15.830 6,9 15.089 6,6 -7,2 % Quelle: VDZ nach ZAW 2007, S. 264. Zahlen für 2007 sind erst Mitte 2008 verfügbar. Eine höhere Titelanzahl bei deutlich geringeren Auflagen kennzeichnet das Segment der Fachzeitschriften. In der letzten Pressestatistik im Jahr 1994 wurden hierfür 3.589 Titel verzeichnet, die pro Quartal eine Gesamtauflage von ca. 89 Mio. Exemplaren erzielten. Die weite Definition des Statistischen Bundesamtes verzeichnete auch die wissenschaftlichen Fachzeitschriften, die in den Daten der IVW zum größten Teil fehlen. Dies liegt zum einen daran, dass der Differenzierungs- und Spezialisierungsgrad in diesem Pressesegment sehr hoch ist, so dass die Auflagen sehr niedrig sein können. Zum anderen gibt eine Vielzahl von Institutionen und Organisationen Fachzeitschriften heraus, die nicht als Verlag in Erscheinung treten und daher nicht am IVW-Verfahren teilnehmen. Schließlich ist auch von Bedeutung, ob Werbung für den jeweiligen Titel eine so bedeutende Erlösquelle ist, dass sich der Aufwand der IVW-Anmeldung und -Prüfung lohnt. Betrachtet man die Entwicklung der bei der IVW gemeldeten Titel, so zeigt sich zwischen 1997 und 2007 ein leichter Zuwachs an Titeln bei sinkender Auflage. Genauere Aufschlüsse bieten die Daten des Verbands der Deutschen Fachpresse, die allerdings in erster Linie solche Titel erfassen, die einen unmittelbaren Berufsbezug haben, ohne dabei Special-Interest-Titel im Sinne einer Publikumszeitschrift zu sein. Sie machten 2007 etwa zwei Drittel (65 Prozent) des gesamten Umsatzes von Fachverlagen aus; etwa ein Viertel (22 Prozent) entfielen auf Fachbücher, 8 Prozent auf elektronische Medien und 5 Prozent auf Dienstleistungen 12 . Auf der Grundlage von jährlichen Mitgliederbefragungen gibt der Verband an, dass im Jahr 2001 3.646 Titel mit einer Jahresauflage von 476 Mio. Exemplaren erschienen sind (vgl. Tabelle 1.1.1.5). Im Zuge der Anzeigenkrise fielen Titelzahl, Jahresauflage und Umsatz in den Folgejahren. In den letzten Jahren sind jedoch wieder Zuwächse zu beobachten, so dass 2007 die Titelzahl und die Jahresauflage wieder deutlich über dem Stand vom Anfang des Jahrzehnts liegen. Auch der Jahresumsatz hat das Niveau von 2001 wieder erreicht. 12 18 Vgl. Deutsche Fachpresse 2008. 1.1. Printmedien Tabelle 1.1.1.5: Marktdaten für Fachzeitschriften 2001-2007 Bundesland 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Zahl der Titel 3.646 3.563 3.623 3.637 3.687 3.753 3.899 Jahresauflage in Mio. Exemplaren 476 464 441 451 476 491 502 Umsatz in Mio. Euro darunter 1.987 1.887 1.797 1.781 1.838 1.913 1.988 1.074 966 877 865 902 956 1.016 847 863 865 863 878 892 900 Anzeigen Vertrieb Quelle: Deutsche Fachpresse 2008. Im lokalen Raum sind die Anzeigenblätter mittlerweile eine kostengünstige Ergänzung des örtlichen Zeitungsangebotes und werden in vielen Fällen von Unternehmen herausgegeben, die mit regionalen Tageszeitungsverlagen wirtschaftlich verflochten sind. Die meisten Titel erscheinen einmal wöchentlich und finanzieren sich praktisch vollständig aus Werbeerlösen. Die Umsätze der Branche stiegen bis zum Jahr 2000 stark an und erreichten etwa 1,8 Milliarden Euro. 2001 und 2002 schrumpfte der Umsatz, stieg in den Folgejahren aber wieder an und erreichte im Jahr 2006 mit 1,94 Milliarden Euro einen neuen Höchststand 13 . Die Entwicklung von Titelzahl und Auflage reagierte etwas zeitverzögert und sank von 90,8 Millionen (1.336 Titel) in 2001 auf 85,1 Millionen (1.288 Titel) in 2004. Das danach wieder einsetzende Wachstum führte zum Ansteigen auf 88,6 Millionen Exemplare im Jahr 2007, die sich auf 1.374 Titel verteilen. Eine Aufstellung nach Bundesländern findet sich in Tabelle 1.1.1.6. 13 Vgl. die Aufstellung der Branchendaten unter http://www.bvda.de/pages3/0201_l.jsp, zuletzt aufgerufen am 21.4.2008. 19 1. Einzelne Medienbereiche Tabelle 1.1.1.6: Anzeigenblätter in den Bundesländern (Stand: 01. Januar 2007) Anzahl Verlage Anzahl Titel Auflage in Mio. Baden-Württemberg 59 129 10,1 Bayern 86 200 12,8 Berlin (Ost + West) 6 15 3,2 Bremen 6 14 1,5 Hamburg 11 26 1,4 Hessen 50 88 6,8 Niedersachsen 67 141 9,0 Nordrhein-Westfalen 89 292 18,6 Rheinland-Pfalz 11 94 3,0 2 29 1,0 33 71 3,5 420 1.099 70,9 12 64 3,0 8 31 2,4 15 88 5,9 Sachsen-Anhalt 9 40 3,4 Thüringen 7 52 2,9 51 275 17,6 471 1.374 88,6 Bundesland Saarland Schleswig-Holstein Summe (West) Brandenburg Mecklenburg-Vorpommern Sachsen Summe (Ost) Deutschland gesamt Quelle: http://www.bvda.de, zuletzt aufgerufen am 2.12.2007. Ein Segment des Zeitschriftenmarktes, bei dem kein Rückgang zu beobachten ist, sind die Kundenzeitschriften (vgl. Tab. 1.1.1.7). Die Zahl der bei der IVW gemeldeten Publikationen aus dieser Gruppe ist zwischen 1997 und 2000 kontinuierlich gestiegen; danach gab es Schwankungen bei der Titelanzahl und der verbreiteten Auflage, die im Trend leicht zurückgingen. Ein großer Anteil der Auflage der Kundenzeitschriften, die Unternehmen vor allem im Rahmen von Marketingstrategien zur Kundenbindung und Imagepflege entwickeln und veröffentlichen, erreicht die Leser kostenlos, da in vielen Fällen die verteilenden Unternehmen für die Bereitstellung der Magazine an die Verlage zahlen. Der Anteil der IVW-gemeldeten Kundenzeitschriften ist jedoch auch in diesem Segment ausgesprochen gering. Nach einer Untersuchung des Hamburger Medieninstituts MMM gab es Ende 2002 im deutschsprachigen Raum 3.537 Kundenzeitschriften mit einer Gesamtauflage von mehr als 456 Mio. Exemplaren je Erscheinungsintervall, die Umsätze in Höhe von 4,4 Mrd. Euro erzielten 14 . 14 20 Vgl. ZAW 2003, S. 290. 1.1. Printmedien Tabelle 1.1.1.7: Zahl und Auflagen der bei der IVW gemeldeten Kundenzeitschriften Kundenzeitschriften Anzahl Verbreitete Auflage in Mio. Verkaufte Auflage in Mio. 1997 60 29,6 22,6 1998 72 52,7 43,3 1999 88 63,0 45,7 2000 93 64,1 46,2 2001 81 57,6 45,6 2002 81 63,4 50,7 2003 92 57,1 43,8 2004 85 51,1 42,8 2005 75 49,6 43,1 2006 78 51,4 45,1 2007 83 56,4 43,0 Quelle: http://daten.ivw.eu, zuletzt aufgerufen am 21. April 2008. 1.1.1.3 Bücher Die Entwicklung des Buchmarktes war zwischen 1997 und 2006 in Deutschland von zwei Trends gekennzeichnet: Einer wachsenden Zahl von Buchtiteln auf der einen Seite stand auf der anderen Seite eine rückläufige Zahl von selbstständigen Verlagsunternehmen gegenüber. Als Reaktion auf die wirtschaftliche Entwicklung ging auf dem Buchmarkt die Titelproduktion um die Jahrtausendwende zunächst zurück, erholte sich aber nach 2002 wieder und stieg bis 2006 auf 94.716 Titel an (vgl. Tab. 1.1.1.8). Die vergleichsweise späte Reaktion des Buchmarkts auf die konjunkturelle Entwicklung hängt in erster Linie mit der langfristigen Programmplanung der Anbieter zusammen, die erst mit großer zeitlicher Verzögerung umsteuern können. In den letzten Jahren hat sich auch das Verhältnis von Erst- zu Neuauflagen verändert; Letztere machten bis 2003 jeweils etwa ein Viertel aller Titel aus, doch der Anteil sank auf derzeit etwa 15 Prozent. Internationale Vergleiche sind aufgrund unterschiedlicher nationaler Datengrundlagen nur schwer und zudem meist mit einigem zeitlichen Abstand zu ziehen; 2004 lag Deutschland mit etwa 75.000 neu erschienenen Titeln hinter Großbritannien (161.000 Titel), das allerdings auch viele andere englischsprachige Länder beliefert, jedoch vor Frankreich (65.000) und Spanien (60.000) 15 . 15 Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2007, S. 70 f. 21 1. Einzelne Medienbereiche Tabelle 1.1.1.8: Buchtitelproduktion 1997 1998 1999 2000 2001* 2002 2003 2004 2005 2006 Gesamt 77.889 78.042 80.779 82.936 85.088 78.896 80.971 86.543 89.869 94.716 Erstauflage 57.680 57.678 60.819 63.021 64.618 59.916 61.538 74.074 78.082 81.177 Neuauflage 20.209 20.364 19.960 19.915 20.470 18.980 19.433 12.469 11.787 13.539 Verhältnis Erst- zu Neuauflage 74 : 26 74 : 26 75 : 25 76 : 24 76 : 24 76 : 24 76 : 24 86 : 14 87 : 13 85 : 15 * Ab 2001 zusätzliche Datenquelle: Verzeichnis Lieferbarer Bücher (VLB). Quelle: Deutsche Nationalbibliografie; Berechnungen: Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. 2006, S. 55, S.67 sowie 2007, S. 58. Zahlen für 2007 sind erst Mitte 2008 verfügbar. Im Vergleich der Neuerscheinungen pro Sachgruppe erreicht die Belletristik mit einem Anteil von 13,9 Prozent an allen im Jahr 2006 neu erschienenen Titeln die Spitzenposition vor der gesondert ausgewiesenen deutschen Literatur (10,7 Prozent) und dem Kinder- und Jugendbuch (8,2 Prozent) 16 . Bezogen auf den Umsatz dominiert die Belletristik sehr viel deutlicher: Sie machte 2006 etwa ein Drittel des Gesamtumsatzes mit Büchern in Sortimentsbuchhandel und Warenhäusern aus, gefolgt von Sachbüchern/Ratgebern (18 Prozent) und Kinder- bzw. Jugendbüchern (13 Prozent). Allerdings sind die Teilmärkte verschiedener Editionsformen unterschiedlich geprägt 17 : Der Umsatz im Hörbuchmarkt entfällt zu etwa drei Vierteln auf Belletristik (48 Prozent) und Kinder- und Jugendbuch (25 Prozent), der Markt mit Taschenbüchern wird zu etwa zwei Dritteln von der Belletristik (68 Prozent) bestritten. Im Bereich der Hardcoverausgaben liegt dagegen die Warengruppe Sachbuch/Ratgeber mit etwa 21 Prozent vor Belletristik (19 Prozent) und Kinder- und Jugendbuch (15 Prozent). Der Anteil der Taschenbücher bei den Erstauflagen schwankt stark zwischen den Sachgruppen. Im Bereich Belletristik und insbesondere bei der fremdsprachigen Literatur machten Taschenbücher zwischen etwa einem Viertel und etwa der Hälfte der Neuerscheinungen 2006 aus, während ihr Anteil unter sozial- oder naturwissenschaftlichen Titeln bei etwa 5 Prozent und weniger lag 18 . Die durchschnittlichen Ladenpreise sind in den Sachgruppen Literatur und Belletristik mit etwa 14 bzw. 13 Euro am niedrigsten, in den Sachgruppen Mathematik/Naturwissenschaft und Allgemeines/Informatik/Informationswissenschaft mit über 40 Euro am höchsten (vgl. Tab. 1.1.1.9). 16 Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2007, S. 62. 17 Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2007, S. 9. 18 Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2007, S. 66 f. 22 1.1. Printmedien Tabelle 1.1.1.9: Durchschnittsladenpreise der Neuerscheinungen (Erstauflagen) nach Sachgruppen 2006 (Werte in Euro) Mathematik, Naturwissenschaften 44,09 Allgemeines, Informatik, Informationswissenschaften 43,18 Sprache 35,08 Sozialwissenschaften 35,18 Technik, Medizin, angewandte Wissenschaften 33,40 Philosophie und Psychologie 25,88 Künste und Unterhaltung 23,27 Geschichte und Geografie 24,26 Religion 23,51 Literatur 14,36 Belletristik 13,03 Quelle: Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. 2007, S. 49. Zahlen für 2007 sind erst Mitte 2008 verfügbar. Nach den Angaben des Börsenvereins ist zwischen 1995 und 2006 der Anteil der Übersetzungen an den gesamten Erstauflagen von 14,2 auf 7,2 Prozent zurückgegangen 19 . Etwa zwei Drittel (65,6 Prozent) dieser Übersetzungen stammen aus dem Englischen und zehn Prozent aus dem Französischen. Andere Sprachen machen nur geringe Anteile von unter 3 Prozent aus. Übersetzt werden vor allem Werke der Belletristik; von 5.773 übersetzten Titeln im Jahr 2006 kamen 2.438 (42,2 Prozent) aus diesem Bereich, gefolgt von Titeln der Kinder- und Jugendliteratur, die 16,5 Prozent aller Übersetzungen ausmachen. Die Vergabe von Lizenzen für die Übersetzung deutscher Titel ins Ausland hat dagegen zwischen 1995 und 2006 stark zugenommen und sich von 4.173 auf 8.828 Titel mehr als verdoppelt 20 . Dominierten zwischen 2002 und 2004 noch das Koreanische und das Chinesische als wichtigste „Zielsprachen“, sind seit 2005 Polen und die Tschechische Republik führend, in die jeweils 7,7 Prozent der Lizenzen vergeben wurden. Die wichtigsten Sachgruppen bei Übersetzungen sind das Sachbuch, auf das mehr als ein Drittel (35,8 Prozent) aller Lizenzen entfallen, sowie das Kinder- und Jugendbuch (26,6 Prozent), das vor allem im asiatischen Raum populär ist. Unklar ist derzeit, wie sich in Zukunft Angebot und Nutzung von „E-Books“ entwickeln werden, also von Büchern, die nicht auf Papier, sondern einem (mobilen) elektronischen Endgerät gespeichert und gelesen werden können 21 . Dabei sind unterschiedliche technische Lösungen denkbar, denn neben reinen Lesegeräten ist inzwischen auch die notwendige Software für Personal Digital Assistants (PDAs) und einige Mobiltelefone verfügbar. Allerdings konkurrieren in diesem Bereich noch verschiedene Standards miteinander; zudem ist die Verwaltung von Zugriffs- bzw. Kopierrechten noch nicht zufrieden stellend gelöst, um sowohl den Bedürfnissen der Inhaber von Urheberrechten als auch der Konsumenten gerecht zu werden. Amazon brachte Ende 2007 ein eigenes Lesegerät namens „Kindle“ auf den Markt, das ein proprietäres eigenes Dateiformat verwendet, mit einem Preis von 400 Dollar jedoch vergleichsweise teuer ist. Der Durchschnittspreis für ein 19 Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2007, S. 72 ff. 20 Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2007, S. 78 ff. 21 Vgl. Schröder 2006. 23 1. Einzelne Medienbereiche eBook aus dem etwa 90.000 Titel umfassenden Katalog beträgt etwa 10 Dollar, zudem sind einige Tageszeitungen (darunter auch die Frankfurter Allgemeine) und Magazine im Angebot. 1.1.2 Wirtschaft und Organisation 1.1.2.1 Zeitungen Daten zur wirtschaftlichen Lage der Zeitungsverlage, die beim Bundeskartellamt und beim Statistischen Bundesamt vorliegen, sind zum großen Teil nicht zugänglich, da sie entweder aufgrund des Steuergeheimnisses nicht veröffentlicht werden oder aber Konkurrenten relevante Informationen über das Marktverhalten von Akteuren liefern könnten. Neben den Verbandspublikationen geben daher insbesondere die jährlich aktualisierten Strukturdaten zur Tagespresse von Walter J. Schütz Auskunft über Marktentwicklungen. Demnach ist die Verkaufsauflage aller deutschen Tageszeitungen zwischen 1995 und 2007 von 25 auf 21 Millionen Exemplare gesunken, ein Rückgang um 16 Prozent, der lokale bzw. regionale Abonnementzeitungen genauso betraf wie Straßenverkaufszeitungen (vgl. Tab. 1.1.2.1). Einzig überregionale Abonnementzeitungen konnten ihre Auflage im Betrachtungszeitraum deutlich steigern, wofür jedoch auch die Ausweitung der Titelzahl von sechs auf zehn (s. o.) verantwortlich ist. Zudem ist ihr Anteil an der verkauften Gesamtauflage der Tagespresse mit unter zehn Prozent relativ gering, während lokale und regionale Abonnementtageszeitungen im Jahr 2007 etwa 70 Prozent und Straßenverkaufszeitungen etwa 22 Prozent ausmachten. Tabelle 1.1.2.1: Auflagenentwicklung der Tagespresse 1997-2007 Verkaufsauflagen aller Tageszeitungen in Mio. Exemplaren 1997 1999 2001 2004 2007 24,6 24,1 23,7 21,7 20,8 5,9 5,8 5,7 5,0 4,6 18,7 18,3 18,0 16,7 16,2 0,8 0,8 1,0 0,9 1,6 17,9 17,5 16,9 15,8 14,6 darunter Straßenverkaufszeitungen Abonnementzeitungen davon überwiegend überregionale Verbreitung lokale/regionale Verbreitung Quelle: Schütz 2005, S. 222; Schütz 2007, S. 561, 577, 588 sowie BDZV 2007. Im Gegensatz zu den Zeitschriftenverlagen, die vor allem unter der schwierigen Situation auf dem Werbemarkt litten und ihre Wettbewerbsfähigkeit im Wesentlichen durch Kosteneinsparungen sichern konnten (s. u.), sehen sich die Tageszeitungsverlage in unterschiedlichem Ausmaß in ihrer Existenz strukturell bedroht. Die zurückgegangenen Werbeerlöse (vgl. auch Abschnitt 2.3) betreffen die Tageszeitungen ebenso, wie dies bei den anderen Werbeträgern der Fall ist. Bei den Tageszeitungen führte allerdings speziell das Abwandern vieler Kunden von Rubrikanzeigen in das Internet zu erheblichen finanziellen Einbußen, die entweder durch Einsparungen oder durch eine Verbesserung der Erlössituation ausgeglichen werden müssen. Hinzu kommt, dass mit dem Rückgang der Stellenanzeigen eine vor allem für die überregionalen Tageszeitungen wichtige Einnahmequelle im Rahmen der konjunkturellen Entwicklung Einbußen verzeichnete. So kam es dazu, dass diese Titel besonders stark vom Strukturwandel betroffen sind. Schätzungen zufolge wanderten im Zeitraum von 1994 bis 2006 etwa 60 Prozent der Stellenanzeigen, etwa 40 Prozent der Immobilienanzeigen und etwa ein Drittel der Kfz-Anzeigen von Printtiteln in das Internet 22 . 22 24 Vgl. Kolo 2007. 1.1. Printmedien Um auf die Konkurrenz um Aufmerksamkeit, Anzeigen- und Werbeerlöse zu reagieren, haben viele Tageszeitungsverlage in den vergangenen Jahren Online-Auftritte erstellt und ausgebaut, die mit ihren Printtiteln korrespondieren. Im Einzelfall sind die publizistischen und ökonomischen Strategien zwar durchaus unterschiedlich, doch in Bezug auf die redaktionellen Strukturen ist zu beobachten, dass die Integration von Printund Online-Redaktionen in einem gemeinsamen „Newsroom“ an Popularität gewinnt 23 . Dadurch sollen Synergieeffekte erzielt werden, indem beispielweise eine sich entwickelnde Nachricht kontinuierlich im Internet begleitet wird, gleichzeitig aber auch für die am Folgetag erscheinende Printausgabe aufbereitet wird. Multimediale Darstellungsformen (bspw. Videonachrichten) und neue Formate wie Redaktions- oder Kritikerweblogs werden ebenfalls populärer 24 ; in einigen Fällen werden auch online publizierte Wortmeldungen und Beiträge von Lesern in die Printausgabe übernommen (wie z. B. für die Rubrik „Best of Blogs“ des „Trierischer Volksfreund“). Weiterhin umstritten ist, inwieweit die Tageszeitungsverlage im Internet genug Einnahmen generieren können, um mögliche Verluste im Printbereich auszugleichen oder auch nur die bisherigen Kosten für das Online-Angebot zu erwirtschaften. Dieser ökonomische Druck steht mit publizistischen Überlegungen in Konflikt, Inhalte im Internet ohne Gebühren bereitzustellen, um die Reichweite des eigenen journalistischen Angebots zu erhöhen. Unter 82 westeuropäischen Tageszeitungen mit jeweils nationaler Reichweite stellte 2006 nur etwa ein Fünftel alle Inhalte kostenfrei ins Internet; die übrigen untersuchten Angebote hatten beispielsweise kostenpflichtige Archive eingerichtet oder boten an, die Inhalte der Printzeitung gegen eine Abonnementgebühr auch online abrufen zu können 25 . Der Ausbau der Online-Angebote von Tageszeitungen geschieht vor dem Hintergrund einer verschärften Konkurrenz durch andere Anbieter tagesaktueller Nachrichten im Internet, die teilweise mit anderen Printverlagen (wie z. B. bei „SPIEGEL Online“), teilweise mit Nachrichtenformaten anderer Mediengattungen (wie im Fall der Anbote von tagesschau.de oder heute.de) verbunden sind. Hinzu treten schließlich auch Akteure, die nur im Internet vertreten sind und sich beispielsweise als reine „Netzzeitung“ (vgl. http://www.netzeitung.de) verstehen oder aber Nachrichtenangebote aus unterschiedlichen Quellen aggregieren (wie es u. a. Google oder Yahoo! mit ihren News-Angeboten tun). Ausmaß und Habitualisierung von Verschiebungen in der Mediennutzung zeichnen sich allmählich ab, wie unten in Abschnitt 1.1.3 geschildert wird. Der wirtschaftliche Druck, der zurzeit auf den Tageszeitungsverlagen lastet, führt dazu, dass diese in unterschiedlicher Weise darum bemüht sind, Kosten einzusparen. Betroffen von dieser Entwicklung sind neben den Lieferanten vor allem die Beschäftigten. So kam es in den letzten Jahren vermehrt zur Einstellung von Lokal- und Regionalausgaben, außerdem ist eine vermehrte Kooperation zwischen den Verlagen zu beobachten. Der Konzentrationsgrad im Tageszeitungsmarkt hat sich in den vergangenen Jahren – von leichten Veränderungen nach oben und unten abgesehen – nicht wesentlich verändert: Etwa 56 Prozent der Auflage der deutschen Tageszeitungen kommen aus den zehn größten Verlagskonzernen (vgl. Tab. 1.1.2.2). Bei den Abonnementtageszeitungen erreichen die wichtigsten fünf Konzerne einen Anteil von etwa 29 Prozent an der Gesamtauflage, bei den Kaufzeitungen sind es vor allem aufgrund der dominanten Stellung der BILD-Zeitung rund 95 Prozent. Wie sich mit einem Blick auf die Entwicklung der größten Verlagsunternehmen zeigt, sind die Marktanteile zwischen den Gruppen ebenfalls weitgehend stabil, auch wenn 2006 die „Deutsche Druckund Verlagsgesellschaft“ (DDVG) Gruner + Jahr überflügelte und die Ippen-Gruppe vor allem im Bereich der Abonnementzeitungen deutliche Anteile hinzugewonnen hat. 23 Vgl. Meier 2007. 24 Vgl. Büffel 2008; Wied/Schmidt 2008. 25 Vgl. Bleyen/Van Hove 2007. 25 1. Einzelne Medienbereiche Tabelle 1.1.2.2: Konzentrationsgrad des Tageszeitungsmarktes 1995-2006 (anteilige Auflage in Prozent) Rang Verlagsgruppe 1995 1997 2000 2002 2004 2006 Tageszeitungen gesamt 1. Axel Springer AG 23,3 23,7 23,6 23,4 22,7 22,5 2. Verlagsgruppe WAZ, Essen 5,5 5,9 6,0 6,1 6,0 5,6 3. Verlagsgruppe Stuttg. Zeitung/ Rheinpfalz/Südwest Presse 5,0 5,0 5,0 4,9 5,0 5,2 4. Ippen-Gruppe 2,7 2,7 2,9 3,8 3,9 4,1 5. Verlagsgruppe DuMont Schauberg, Köln 4,4 4,0 4,4 4,2 4,0 3,9 41,8 42,0 42,3 42,3 41,6 41,3 Marktanteil der Top 5 Verlagsgruppen* 6. Holtzbrinck, Stuttgart 2,5 2,5 2,5 3,4 3,6 3,7 7. Frankfurter Allgemeine Zeitung 2,9 3,0 3,0 2,9 3,1 3,0 8. Süddeutsche Zeitung, München 3,2 3,2 3,3 2,6 2,5 2,6 9. Madsack, Hannover 2,5 2,3 2,4 2,2 2,5 2,5 10. DDVG, Hamburg - - - - - 2,2 3,6 3,4 2,8 2,8 2,8 - 55,7 55,7 55,9 56,3 56,1 55,7 Gruner + Jahr, Hamburg Marktanteil der Top 10 Verlagsgruppen Abonnementzeitungen 1. Verlagsgruppe WAZ, Essen 7,2 7,8 7,9 7,9 7,7 7,1 2. Verlagsgruppe Stuttg. Zeitung/ Rheinpfalz/Südwest Presse 6,6 6,6 6,5 6,4 6,4 6,7 3. Axel Springer AG 6,3 6,2 6,3 6,0 6,0 6,2 4. Holtzbrinck, Stuttgart 3,6 3,6 4,2 4,4 4,7 4,8 5. Ippen-Gruppe - - - - - 4,2 27,5 27,8 28,8 28,8 28,8 29,0 78,2 80,5 81,0 81,5 81,1 80,4 Marktanteil der größten 5 Verlagsgruppen Kaufzeitungen 1. Axel Springer AG 2. Berliner Kurier/Hamburger Morgenpost1) 2,5 2,6 2,8 2,1 2,7 5,3 3. Verlagsgruppe DuMont Schauberg, Köln 6,9 5,3 4,8 4,5 4,4 4,3 4. Abendzeitung, München 3,4 3,3 3,3 3,4 3,6 3,8 5. Ippen-Gruppe 7,1 6,8 3,2 3,1 3,3 3,5 98,1 98,5 95,1 94,6 95,1 97,3 Marktanteil der fünf größten Verlagsgruppen 26 1.1. Printmedien * Wegen der unterschiedlichen Rangfolgen ergeben die Summenbildungen nicht zwingend die ausgewiesenen Werte. Die Rangfolge basiert allein auf den Werten im Jahr 2006. Außerdem sind Rundungseffekte zu berücksichtigen. 1) bis 2004 ohne Hamburger Morgenpost. Quelle: Röper 2004, S. 270; Röper 2006, S. 284. 1.1.2.2 Zeitschriften Die Datenlage zur wirtschaftlichen Situation der Zeitschriftenverlage ist sehr unterschiedlich. Am besten dokumentiert ist die Entwicklung auf dem Markt der Publikumszeitschriften, der im Hinblick auf Reichweiten, Umsätze und Auflagen der Titel auch das wichtigste Segment ist. Zu den übrigen Segmenten des Zeitschriftenmarktes lassen sich nur sehr wenige Aussagen machen, da hier zum einen neben Verlagen auch Unternehmen und Institutionen aus anderen Bereichen aktiv sind, zum anderen die Unternehmen selbst nur wenige Informationen veröffentlichen. Auch die Meldung zur IVW erfolgt bei diesen Titeln nicht in ähnlich großer Zahl, wie dies bei den Publikumszeitschriften der Fall ist. Aus diesem Grund sind diese Daten nur eingeschränkt dazu geeignet, die Entwicklung der jeweiligen Teilmärkte zu beschreiben. Bei der Betrachtung der Publikumszeitschriftenverlage werden Unternehmen berücksichtigt, die redaktionell gestaltete Kaufperiodika mit auf den deutschen Markt ausgerichteten Heftkonzepten veröffentlichen 26 . Es zeigt sich, dass es den vier größten Unternehmen, die Publikumszeitschriften veröffentlichen (Bauer, Springer, Burda und Gruner + Jahr), seit 1995 gelungen ist, ihren Marktanteil bei allen Publikumszeitschriften auf der Basis der verkauften Auflage bei etwa 60 Prozent zu stabilisieren (vgl. Tab. 1.1.2.3). Bis 2006 hat der Bauer-Konzern allerdings etwa 5 Prozentpunkte seines Marktanteils eingebüßt, während der Springer- und vor allem der Burda-Konzern Zugewinne verzeichnen konnten. Differenziert man bei den Publikumszeitschriften nach der Erscheinungsweise, so zeigt sich, dass die Verlagskonzerne im Segment der mindestens 14tägig erscheinenden Zeitschriften besonders erfolgreich sind, wo ihr Marktanteil im betrachteten Zeitraum sogar noch von 76,5 auf 79,6 Prozent anstieg. Marktzutritte neuer Titel, die nicht aus diesen vier Konzernen kommen, sind sehr selten, neue Titel erscheinen meist mit einem Intervall von mehr als 14 Tagen. In diesem Segment ist der Konzentrationsgrad auch geringer, da die vier betrachteten Verlage kombiniert nur auf einen Marktanteil von etwa 42 Prozent kommen. Allerdings ist dies ein Anstieg um mehr als zehn Prozentpunkte seit 1995. 26 Vgl. Vogel 2004, S. 322. 27 1. Einzelne Medienbereiche Tabelle 1.1.2.3: Publikumszeitschriften: Konsolidierte Marktanteile der vier größten Konzerne 1995 bis 2006 Konzern 1995 2000 2004 2006 Gesamt Bauer 25,6 22,3 21,1 20,7 Springer 13,8 15,4 16,3 16,1 9,3 10,8 13,5 15,5 Gruner + Jahr 10,9 10,1 9,5 10,6 Gesamt 59,6 58,6 60,4 62,9 Burda Mindestens 14-tägig Bauer 36,1 32,2 31,5 31,3 Springer 20,9 22,0 20,9 22,5 Burda 10,3 13,5 15,1 17,5 9,2 9,5 8,8 8,3 76,5 77,2 76,3 79,6 Gruner + Jahr Gesamt Seltener Bauer 6,4 7,4 6,7 7,0 Springer 0,9 5,6 9,8 7,9 Burda 7,4 6,9 11,2 13,0 Gruner + Jahr 14,1 11,1 10,5 13,7 Gesamt 28,9 31,0 38,2 41,6 Quelle: Vogel 2004, S. 322 ff. und Vogel 2006, S. 380. Zahlen für 2007/2008 sind erst Mitte 2008 verfügbar. Einen wesentlichen Beitrag zur Finanzierung der Zeitschriften leisten die Werbeerlöse. Besonders hoch ist der Anteil der Werbeerlöse an der Finanzierung bei Publikumszeitschriften und Anzeigenblättern, bei denen er zwischen 50 und 100 Prozent beträgt. Wissenschaftliche Fachzeitschriften, Kundenmagazine und konfessionelle Zeitschriften finanzieren sich hingegen in geringerem Ausmaß aus Werbung. Im Zeitraum seit 1998 kam es zu starken Schwankungen der Werbeerlöse, die bei den meisten Medien bis zum Rekordjahr 2000 kontinuierlich anstiegen, danach einen Einbruch verzeichneten und sich erst in den vergangenen beiden Jahren erholten. Je nach Bedeutung der Erlösform waren die verschiedenen Zeitschriftentypen unterschiedlich stark von dieser Entwicklung betroffen. Für die Publikumszeitschrift beispielsweise waren in den Jahren 2001 bis 2005 die Werbeerlöse jeweils im Vergleich zum Vorjahr gesunken. 2006 wuchsen sie erstmals wieder, erreichten allerdings noch nicht wieder den Stand von 1998 (vgl. Tab 1.1.2.4). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass die Verlagsgruppe Motorpresse mit 25 Titeln, die eine Auflage von ca. 2,2 Mio. Exemplaren haben, aufgrund von gefälschten Auflagenmeldungen zwischen dem vierten Quartal 2001 und dem vierten Quartal 2002 von der Zählung ausgeschlossen war, so dass die Vergleichbarkeit der Daten eingeschränkt ist. Zumindest für die vier großen Verlagskonzerne gilt jedoch, dass die Renditen nach einigen Krisenjahren wieder steigen, wofür neben strengem Kostenmanagement vor allem die Ausdehnung von Markenfamilien bzw. die Expansion durch Zukäufe im In- und Ausland verantwortlich ist. Beim Auslandsengagement an der 28 1.1. Printmedien Spitze liegt Gruner + Jahr, die im Jahr 2005 mehr als die Hälfte des Konzernumsatzes im Ausland erzielten, die übrigen Konzerne zwischen 16,1 Prozent (Springer) und 42,2 Prozent (Bauer) 27 . Tabelle 1.1.2.4: Netto-Werbeumsätze der Publikumszeitschriften Umsatz in Mio. Euro Veränderung zum Vorjahr in % 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 1.868,98 2.006,51 2.247,32 2.092,45 1.934,79 1.861,5 1.839,2 1.791,40 1.855,89 +4,2 +7,4 +12 -6,9 -7,5 -3,8 - 1,2 -2,6 +3,6 Quelle: Fachverband „Die Publikumszeitschriften“ im Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ), zitiert nach: ZAW 2006, S. 271. Für 2006/2007 s. http://www.zaw.de, zuletzt zugegriffen am 14. September 2007. Zahlen für 2007 sind erst Mitte 2008 verfügbar. 1.1.2.3 Pressevertrieb Zeitungen und Zeitschriften werden in der Bundesrepublik über unterschiedliche Distributionssysteme verbreitet. Die wichtigste Rolle spielt für die Verlage dabei das Presse-Grosso. Dieses System umfasste nach Angaben des Bundesverbands Presse-Grosso Anfang 2007 insgesamt 76 Pressegroßhändler, die rund 120.000 Verkaufsstellen mit Presseerzeugnissen belieferten 28 . Bei den Pressegrossisten handelt es sich um mittelständische Unternehmen, die über Gebietsmonopole für die Verbreitung von Presseerzeugnissen verfügen. In Verträgen mit den Zulieferern ist geregelt, dass innerhalb eines Verbreitungsgebietes ein Grossist de facto über ein regionales Monopol für die Auslieferung von Verlagsprodukten verfügt. Einzige Ausnahmen sind Berlin und Hamburg, wo es Konkurrenz zwischen Grossisten gibt. Im Gegenzug zu der Garantie eines Vertriebsgebietes unterliegen die Grossisten dem Kontrahierungszwang: Dieser umfasst die Pflichten, in dieser Region jede Verkaufsstelle zu beliefern und jedes Presseerzeugnis, das ein Verlag auf den Markt bringt, in das Vertriebsprogramm aufzunehmen. Außerdem verpflichtet das Remissionsrecht des Einzelhandels das PresseGrosso, nicht verkaufte Exemplare der Publikationen zurückzunehmen und gegebenenfalls an die Verlage zurückzuliefern, um die Verkaufsstellen von dem Risiko zu entbinden, nicht verkaufte Titel selbst zu entsorgen. Ohne das Remissionsrecht würden die Verkaufsstellen das Sortiment der Publikationen sonst auf die sich gut verkaufenden Titel begrenzen, so dass möglicherweise die Vielfalt in den Verkaufsstellen zurückgehen würde. Neben dem Presse-Grosso, mit dem mehr als die Hälfte der Zeitungen und Zeitschriften verbreitet werden, gibt es als weitere Vertriebswege den Pressegroßhandel, Bahnhofsbuchhandel, den werbenden Buch- und Zeitschriftenhandel, das verlagseigene Abonnementgeschäft sowie Lesezirkelunternehmen, die je nach Publikationstyp eine unterschiedliche Rolle spielen. So spielt die verlagseigene Zustellung in erster Linie für Tageszeitungen (wie z. B. die BILD-Zeitung) eine wichtige Rolle, während die übrigen Verbreitungsarten vor allem für Zeitschriftenverleger wichtige Vertriebskanäle sind 29 . 27 Vgl. Vogel 2006, S. 386. 28 Vgl. http://www.bvpg.pressegrosso.de/downloads/Presse-Grosso%20in%20Zahlen%202006.pdf, zuletzt aufgerufen am 15.1.2008. 29 Vgl. Dorn/Vogel 2001, S. 232 ff. 29 1. Einzelne Medienbereiche 1.1.2.4 Buchhandel Bei den auf dem Buchmarkt aktiven Unternehmen unterscheidet man zwischen herstellendem Buchhandel (Verlage), dem Zwischenbuchhandel und dem verbreitenden Buchhandel. Der Zwischenbuchhandel und der verbreitende Buchhandel spielen für die Distribution der Bücher die entscheidende Rolle. In diesem Abschnitt steht allerdings die Produktion des Literaturangebotes im Mittelpunkt. Amtliche Daten zur Entwicklung der Zahl der Buchverlage liegen einzig in Form der Umsatzsteuerstatistik vor, die allerdings nur Unternehmen erfasst, die einen Jahresumsatz von mehr als 17.500 Euro erzielen. Nach dieser Quelle gab es im Jahr 2005 2.812 steuerpflichtige Buchverlage (inkl. Adressbücher) – gegenüber den Vorjahren ein leichtes Plus, allerdings weiterhin etwa 900 Verlage weniger als 2001 30 . Auf der Grundlage des Verzeichnisses Lieferbarer Bücher (VLB) und des vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels herausgegebenen Adressbuchs für den deutschsprachigen Buchhandel gab es 2006 mehr als 22.000 Unternehmen, die im weitesten Sinne dem Buchhandel zuzurechnen sind, also Bücher herstellen oder verbreiten 31 . Etwa zwei Drittel davon sind Verlage, wobei jedoch auch zahlreiche Gebietskörperschaften, Universitätslehrstühle, Vereine und Institute darunter fallen, die nur sporadisch Publikationen herausgeben. Nach Angaben des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist die Zahl der Firmen, die ausschließlich oder überwiegend Bücher sowie Fach- und wissenschaftliche Zeitschriften verlegen, wesentlich kleiner und beträgt im Jahr 2007 etwa 6.000. Nach den Angaben der deutschen Nationalbibliografie waren im Jahr 2006 mit Blick auf die Erstauflagen die wichtigsten deutschen Verlagsstandorte Berlin (9.005 Titel) und München (8.852 Titel), mit deutlichem Abstand gefolgt von Stuttgart (4.709 Titel), Frankfurt am Main (4.028 Titel) und Hamburg (3.292 Titel). Nach Bundesländern bzw. Regionen aufgeschlüsselt dominiert Bayern, wo 2006 etwa ein Fünftel aller Erstauflagen produziert wurde, vor Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen, die jeweils etwa 17 Prozent der Titel auf sich vereinen. Allerdings erwirtschaften die nordrhein-westfälischen Verlage mit etwa 4 Mrd. Euro nahezu genauso viel Umsatz wie Bayern (2,2 Mrd. Euro) und Baden-Württemberg (2 Mrd. Euro) zusammen. Zusammen erzielen die Unternehmen aus den drei Bundesländern etwa 60 Prozent des gesamten Umsatzes der deutschen Buchverlage. Die Umsatzkonzentration zeigt sich jedoch nicht nur in regionaler Hinsicht. Die Daten der Umsatzsteuerstatistik zeigen, dass im Jahr 2005 28 Unternehmen, die etwa ein Prozent aller erfassten Buchverlage ausmachen, etwa 60 Prozent der Umsätze im Verlagsbereich erzielen (vgl. Tab. 1.1.2.5). Diese Umsatzkonzentration im Verlagsbereich ist nicht auf Deutschland beschränkt, da im Zuge von Übernahmen und Aufkäufen mittlerer und kleiner Verlage in den letzten Jahren vor allem international operierende Verlagskonzerne wie die britische Bloomsbury-Gruppe und die zur Bertelsmann AG gehörende Random-House-Gruppe ihr Portfolio vergrößerten. 30 Quelle ist die Umsatzsteuerstatistik 2000-2005, zitiert nach Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2007, S. 23. 31 Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2007, S. 22. 30 1.1. Printmedien Tabelle 1.1.2.5: Anzahl der Verlage nach Umsatzgrößenklassen und steuerbarer Umsatz nach Umsatzgrößenklassen 2003, 2004 und 2005* (in 1.000 EUR) 2003 UmsatzgrößenBuchverlage klasse** 2004 Umsatz Buchverlage 2005 Umsatz Buchverlage Umsatz 17.500 - 50.000 529 17.071 529 16.902 578 18.534 50.000 - 100.000 406 29.026 447 32.155 424 30.255 100.000 - 250.000 530 84.238 562 89.861 580 94.347 250.000 - 500.000 377 136.323 375 137.071 363 131.723 500.000 - 1 Mio. 250 175.729 260 184.693 264 189.077 1 Mio. - 2 Mio. 207 288.703 198 282.925 205 301.964 2 Mio. - 5 Mio. 190 601.523 185 575.476 185 577.846 5 Mio. - 10 Mio. 73 511.106 70 491.855 73 517.307 10 Mio. - 25 Mio. 83 1.299.800 85 1.333.936 76 1.156.430 25 Mio. - 50 Mio. 35 1.232.186 34 1.242.382 36 1.253.859 50 Mio. und mehr 30 6.428.625 26 5.914.051 28 6.435.141 2.710 10.804.330 2.771 10.301.308 2.812 10.706.482 Gesamt * Ohne Unternehmen mit Umsätzen unter 17.500 EUR. ** Ohne Mehrwertsteuer. Quelle: Umsatzsteuerstatistik 2000-2005 nach Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2007, S. 23, 31. Zahlen für 2006 sind erst Mitte 2008 verfügbar. Die Außenhandelsstatistik weist für den Austausch von Gegenständen des Buchhandels – dazu zählen Bücher, Zeitungen, Zeitschriften, Bilderbücher, Noten und kartografische Erzeugnisse – seit 2001 eine relative Stabilität auf (vgl. Tab. 1.1.2.6). Die Summe von Importen und Exporten betrug in den betrachteten Jahren jeweils zwischen 3,1 und 3,3 Mrd. Euro, verdeckt allerdings die gegenläufigen Entwicklungen bei Einfuhr und Ausfuhr: Der Import von Gegenständen des Buchhandels geht kontinuierlich zurück und betrug 2005 weniger als eine Milliarde Euro. Demgegenüber stieg der Export vor allem im Jahr 2005 deutlich an und erreichte einen Wert von etwa 2,3 Mrd. Euro. 31 1. Einzelne Medienbereiche Tabelle 1.1.2.6: Im- und Export von Gegenständen des Buchhandels (in 1.000 EUR) 2001 2002 2003 2004 2005 Summe Import und Export 3.163.469 3.273.598 3.133.296 3.097.689 3.283.577 Import gesamt 1.107.269 1.079.405 1.076.521 1.014.802 968.878 713.525 682.479 647.558 613.549 582.392 14.439 16.877 14.169 14.251 14.200 Zeitschriften 340.721 344.342 380.598 352.720 340.009 Bilderbücher 17.034 11.702 13.064 15.224 13.458 8.094 12.799 10.332 8.308 6.463 13.456 11.206 10.800 10.750 12.356 Export gesamt 2.056.200 2.194.193 2.056.775 2.082.887 2.314.699 Bücher 1.280.561 1.371.792 1.228.090 1.195.479 1.365.860 Zeitungen 111.817 115.967 110.316 108.563 110.486 Zeitschriften 624.611 665.397 670.842 717.285 775.632 Bilderbücher 10.837 10.367 8.328 7.694 8.020 Noten 15.483 17.336 19.146 22.306 25.344 Kartografische Erzeugnisse 12.891 13.334 20.053 31.560 29.357 Bücher Zeitungen Noten Kartografische Erzeugnisse Quelle: Börsenverein des Deutschen Buchhandels e.V. 2007, S. 52. Zahlen für 2006 sind erst Mitte 2008 verfügbar. Die wichtigsten Importeure von Büchern aus der Bundesrepublik sind aufgrund des gemeinsamen Sprachraums traditionell Österreich und die Schweiz, die 2005 jeweils für mehr als 260 Mio. Euro Bücher aus Deutschland importierten 32 . Danach folgen Großbritannien (114 Mio. Euro), Frankreich (105 Mio. Euro) und die Niederlande (100 Mio. Euro). Die wichtigsten Länder, aus denen Deutschland im Jahr 2005 Literatur importierte, sind Großbritannien (114 Mio. Euro) und die USA (84 Mio. Euro), gefolgt von Italien (50 Mio. Euro) und China (47 Mio. Euro). 1.1.3 Nutzung und Wirkung 1.1.3.1 Zeitungen 1.1.3.1.1 Reichweite An einem durchschnittlichen Werktag erreichten die Tageszeitungen 2007 gut drei Viertel (73,2 Prozent) der Bevölkerung (siehe Tabelle 1.1.3.1). Im westeuropäischen Vergleich ist dies ein sehr hoher Wert; nur in den skandinavischen Ländern sowie in Portugal (jeweils mehr als 80 Prozent) und in der Schweiz (77 Prozent) lesen täglich mehr Menschen Zeitung, während etwa in Irland (54 Prozent), Frankreich (43 Prozent) oder Spanien (42 Prozent) deutlich niedrigere Werte erzielt werden 33 . Gegenüber dem Jahr 1996 ist allerdings ein Rückgang der Reichweite um sieben Prozentpunkte zu beobachten. Diese Entwicklung betrifft annähernd alle Altersgruppen, wenn auch auf deutlich unterschiedlichem Niveau. Bei den 14- bis 19-Jährigen ist die 32 Vgl. Börsenverein des Deutschen Buchhandels 2007, S. 52 ff. 33 BDZV 2007, S. 421. 32 1.1. Printmedien Reichweite mittlerweile auf unter 50 Prozent gesunken. In allen Altersgruppen unter 50 Jahren haben Tageszeitungen im Berichtszeitpunkt mehr als zehn Prozentpunkte Reichweite verloren, wenn auch weiterhin gilt, dass diese umso höher ist, je älter die betrachteten Leser sind (vgl. Tab. 1.1.3.1). Vor allem unter jungen, nachrichteninteressierten und interneterfahrenen Personen ist seit 2001 der Anteil der Intensivleser von Tageszeitungen stark zurückgegangen, der der Intensivnutzer von Nachrichtensites im Internet dagegen stark angestiegen 34 . Tabelle 1.1.3.1: Reichweite der Tageszeitungen von 1996 bis 2007 (in Prozent) 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 14-19 Jahre 60,1 58,2 56,4 55,5 55,1 55,4 55,8 53,6 51,8 49,1 47,5 47,8 20-29 Jahre 70,9 69,7 68,1 66,6 65,8 66,1 65,0 63,2 61,5 60,3 58,2 58,6 30-39 Jahre 79,9 78,5 77,2 75,8 74,8 74,4 73,4 72,2 71,4 70,1 68,7 68,4 40-49 Jahre 85,9 85,0 84,0 82,8 82,3 81,8 80,8 79,7 78,4 77,2 76,1 74,4 50-59 Jahre 87,1 87,0 86,6 86,0 85,8 85,0 84,5 83,8 83,9 83,1 82,2 81,8 60-69 Jahre 87,5 87,3 86,6 85,9 86,2 86,1 85,7 84,8 84,8 85,0 84,2 84,5 70 und älter 83,8 83,4 83,2 83,9 84,5 84,5 84,0 82,7 83,7 83,3 82,8 83,1 Gesamt 80,7 80,0 79,1 78,3 78,0 77,9 77,3 76,2 75,7 74,8 73,7 73,2 Quelle: AG MA; BDZV 2007, S. 155; für 2004-2007: http://www.bdzv.de (zuletzt aufgerufen am 15. Januar 2008). Unklar bleibt zurzeit, wie sich eine neuerliche Einführung von Gratiszeitungen auf die Zeitungsnutzung auswirken würde, die aufgrund des BGH-Urteils möglich wäre. Erste Erfahrungen aus anderen europäischen Ländern 35 deuten darauf hin, dass zwar mit der Etablierung neuer Gratistitel die Nutzung etablierter Tageszeitungen (gemessen an der Auflage) zurückging, dies jedoch eher gering ausfiel bzw. auf andere Ursachen zurückzuführen ist. Dagegen konnte in einzelnen Fällen (wie dem Schweizer Titel „20 Minuten“) gezeigt werden, dass vor allem unter jungen Menschen Leser gewonnen werden konnten, die bislang keine Zeitung gelesen hatten. Für die Mediengattung „Printzeitung“ könnten daher Gratiszeitungen – mit einem Mindestmaß an publizistischer Qualität – insgesamt einen Gewinn darstellen, da sie auch unter veränderten Mediennutzungsbedingungen (hier insbesondere: steigender Zeitaufwand für Pendelfahrten im Vergleich zu häuslichen „Ruhezeiten“) Menschen an die Zeitung heranführen. Die Daten der Studie Massenkommunikation sind in der absoluten Höhe aufgrund methodischer Unterschiede nicht unmittelbar mit den oben genannten Ergebnissen der Media-Analyse vergleichbar, können aber die wesentlichen Trends bestätigen bzw. weiter differenzieren 36 : Die Reichweite der Tageszeitung (montags bis sonntags) ist danach in den alten Bundesländern zwischen 1970 (70 Prozent) und 1990 (71 Prozent) relativ stabil gewesen, sank seitdem aber deutlich auf 51 Prozent im Jahr 2005. Dieser Rückgang um immerhin 20 Prozentpunkte innerhalb von 15 Jahren betrifft alle Bevölkerungsgruppen, wobei vor allem die 14- bis 19Jährigen nur noch zu etwa einem Viertel (27 Prozent) von einer Tageszeitung erreicht werden, während es 1990 noch etwa die Hälfte (49 Prozent) waren. Bemerkenswert ist, dass der noch in den 70er-Jahren sehr deutliche Unterschied zwischen den Bildungsgruppen – damals lag die Reichweite bei den Personen mit der höchsten formalen Bildung um gut 20 Prozent 34 Vgl. Kolo/Meyer-Lucht 2007. 35 Vgl. Haas 2006, S. 518 ff.; Haller 2007. 36 Vgl. Reitze/Ridder 2006, S. 208. 33 1. Einzelne Medienbereiche über der Reichweite bei der Gruppe mit der niedrigsten formalen Bildung – in den 80er- und 90er-Jahren abnahm und schließlich im Jahr 2005 nahezu verschwand: Unter den Personen mit Volks- bzw. Hauptschulabschluss erreicht die Tageszeitung derzeit 51 Prozent, unter denen mit Abitur bzw. Studium 55 Prozent. Hier mag eine Rolle spielen, dass gerade in der Gruppe mit der höchsten Bildung die mit großem Abstand häufigste Internet-Nutzung zu beobachten ist, denn die Reichweite beträgt hier 50 Prozent im Vergleich zu 18 Prozent in der Gruppe mit formal niedriger Bildung. Nach wie vor hängt die Nutzung der Tageszeitung eng mit dem politischen Interesse zusammen: Die Reichweite bei denen, die sich als politisch stark interessiert bezeichnen, liegt bei 60 Prozent. Der Rückgang in den 90er-Jahren war in dieser Gruppe allerdings genauso stark wie bei den wenig Interessierten. 1.1.3.1.2 Lesedauer Die durchschnittliche Nutzungsdauer der Tageszeitung ist im Jahr 2005 mit 28 Minuten pro Tag gegenüber den vorangegangenen Erhebungszeiträumen in etwa stabil geblieben 37 . Angesichts der geringeren Reichweite kann daraus gefolgert werden, dass die verbliebene Leserschaft für die Zeitungslektüre mehr Zeit aufwendet als zuvor. Die Tageszeitung hat aber nicht am Trend der generellen Ausweitung der Mediennutzungsdauer teil, der den anderen tagesaktuellen Medien (Fernsehen, Hörfunk und seit 2000 das Internet) deutlich gestiegene Zuwendung bescherte. Der Anteil der Tageszeitung am gesamten Medienzeitbudget betrug 2005 nur noch etwa 5 Prozent, während er 1990 noch 8 Prozent, 1980 13 Prozent und 1970 sogar 16 Prozent betragen hatte. Die tägliche Lesedauer steigt mit dem Alter von neun Minuten bei den 14- bis 19-Jährigen auf 43 Minuten bei den ab 60-Jährigen 38 . Wie schon bei den Reichweiten fällt auf, dass die formal höher Gebildeten im Jahr 2005 in etwa genauso viel Zeit für die Zeitung aufwandten (29 Minuten) wie die formal geringer Gebildeten (28 Minuten). Letztere Gruppe wendet etwa genauso viel Zeit für das Internet auf, doch unter den formal höher Gebildeten beträgt die Nutzungsdauer des Internets inzwischen bereits 87 Minuten. Die höher Gebildeten widmeten der Zeitung im Jahr 2000 exakt so viel Zeit wie dem Internet. 1.1.3.1.3 Weitere Merkmale der Zeitungsnutzung Unter den Motiven, eine Tageszeitung zu lesen, dominiert die Informationsfunktion: 98 Prozent der Zeitungsleser stimmen der Aussage zu, dass sie die Zeitung lesen, weil sie sich informieren möchten 39 . Dieser Wert ist höher als bei allen anderen tagesaktuellen Medien, über beide Geschlechter sowie alle Alters- und Bildungsgruppen ähnlich hoch und signalisiert damit, dass die Informationsfunktion das herausragende Profilierungsmerkmal der Zeitung ist. Hinzu kommen die Motive „damit ich mitreden kann“ (79 Prozent), „weil ich Denkanstöße bekomme“ (63 Prozent) und „weil es mir Spaß macht“ (65 Prozent), die allerdings alle gegenüber 2000 leicht rückläufige Anteile verzeichnen. Das letzte, auf den ersten Blick überraschende Motiv verweist darauf, dass die oft unterstellte Opposition von Information und Unterhaltung auch für den Umgang mit der Tageszeitung nicht angemessen ist. Auch bei einer direkten Gegenüberstellung mit den anderen tagesaktuellen Medien zeigt sich, dass der Tageszeitung ein hoher Informationswert zugeschrieben wird. Für Motive wie „weil ich mich informieren möchte“, „damit ich mitreden kann“ und „weil es mir hilft, mich im Alltag zurechtzufinden“ erreicht sie nach dem Fernsehen die höchsten Werte. Allerdings sind die Anteile derjenigen Personen, die solche Motive im Medienvergleich am ehesten der Tageszeitung zuschreiben, ebenfalls rückläufig. Insbesondere das Internet konn- 37 Vgl. van Eimeren/Ridder 2005, S. 496. 38 Vgl. Reitze/Ridder 2006, S. 212. 39 Vgl. Ridder/Engel 2005, S. 429. 34 1.1. Printmedien te zwischen 2000 und 2005 in diesen Bereichen seine Bedeutung steigern, auch wenn es bislang über alle Bundesbürger hinweg noch nicht die „klassischen“ Massenmedien erreicht hat. Die Studie Massenkommunikation versucht, mit zwei verschiedenen Indikatoren die so genannte „Bindung“ an die tagesaktuellen Medien zu erfassen. Auf die Frage, wie stark man die Medien vermissen würde, wenn sie durch irgendwelche Umstände nicht verfügbar werden, lag die Tageszeitung (56 Prozent würden sie sehr stark oder stark vermissen) hinter dem Hörfunk (62 Prozent), aber vor dem Fernsehen (45 Prozent) und dem Internet (40 Prozent). Das heißt, trotz der gesunkenen Reichweiten gehört die Zeitung aus der Sicht der Mehrheit der Bevölkerung dazu – sie ist Bestandteil des Alltags, und es würde etwas fehlen, wenn sie nicht da wäre. Im direkten Vergleich dagegen, also auf die Frage, für welches der vier Medien man sich im Zweifel entscheiden würde, wählen nur 12 Prozent die Tageszeitung, 16 Prozent dagegen das Internet, 26 Prozent den Hörfunk und 44 Prozent das Fernsehen. Hier schlägt sich die Multifunktionalität des Fernsehens nieder, das sich neben der Information auch noch für vielfältige andere Zwecke gebrauchen lässt. 1.1.3.2 Zeitschriften 1.1.3.2.1 Reichweite Der Studie Massenkommunikation zufolge betrug die tägliche Reichweite von Zeitschriften im Jahr 2005 17 Prozent der Gesamtbevölkerung 40 . Dieser Wert hat sich zwar gegenüber der Erhebungswelle des Jahrs 2000 geringfügig um einen Prozentpunkt erhöht, lag jedoch 1995 in den alten Bundesländern noch bei 22 Prozent und in den neuen Ländern sogar bei 26 Prozent. Bei den Personen unter 40 Jahren ist die Reichweite von Zeitschriften unterdurchschnittlich und beträgt etwa 12 Prozent; unter den über 50-Jährigen dagegen 20 Prozent. Zwischen den Geschlechtern findet sich kein deutlicher Unterschied in der Reichweite von Zeitschriften. 1.1.3.2.2 Lesedauer Die mittlere Lesedauer für Zeitschriften ist im Langzeitvergleich weitgehend stabil und betrug im Jahr 2005 zwölf Minuten pro Tag 41 . Angesichts der zwischenzeitlich stark gestiegenen Titelzahl bedeuten diese stabilen Werte, dass die Nutzungswahrscheinlichkeit für die einzelne Zeitschrift stark abgenommen hat. Die noch 1990 deutlich ausgeprägtere Zeitschriftennutzung in den neuen Bundesländern hat sich seitdem dem niedrigeren Westniveau angeglichen. Ähnlich wie bei der Reichweite findet sich auch bei der Nutzungsdauer kein Geschlechts-, wohl aber ein Alterseffekt. Personen unter 40 Jahren nutzen Zeitschriften mit etwa 7 Minuten pro Tag unterdurchschnittlich, während bei den über 50-Jährigen mit 15 Minuten etwa die doppelte Nutzungsdauer vorliegt. 1.1.3.3 Buch 1.1.3.3.1 Reichweite Da es sich bei dem Buch nicht um einen Werbeträger handelt, liegen zur Nutzung von Büchern bei weitem nicht so differenzierte Daten vor, wie dies etwa für Fernsehen, Hörfunk und Zeitungen der Fall ist. Die Reichweite von Büchern betrug der Studie Massenkommunikation zufolge im Jahr 2005 23 Prozent, wobei der Anteil unter den Männern geringer (15 Prozent), unter den Frauen dagegen höher ausfällt (30 Prozent)42 . 40 Vgl. Reitze/Ridder 2006, S. 210 f. 41 Vgl. Reitze/Ridder 2006, S. 214 f. 42 Vgl. Reitze/Ridder 2006, S. 210 f. 35 1. Einzelne Medienbereiche Nähere Aufschlüsse über die Nutzung von Büchern im Medienvergleich liefert eine repräsentative Studie des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels und der ZDF Medienforschung 43 . Demnach lesen 21 Prozent der Bevölkerung ab 14 Jahren (fast) täglich privat in einem Buch, weitere 24 Prozent einmal bzw. mehrmals in der Woche. Nur zehn Prozent geben an, nie privat zu lesen. Auch hier ist ein Zusammenhang mit dem Geschlecht erkennbar: Frauen lesen tendenziell häufiger als Männer; 58 Prozent der weiblichen, aber nur 34 Prozent der männlichen Befragten lesen mindestens einmal in der Woche Bücher. Die Altersgruppen unterscheiden sich in dieser Hinsicht kaum, wenngleich Personen unter 30 sowie über 50 Jahren etwas häufiger zu den täglichen Buchlesern gehören. Stärker ist dagegen der Zusammenhang mit dem formalen Bildungsgrad: Unter Personen mit Hauptschulabschluss lesen 37 Prozent, unter denen mit mittlerem Abschluss 43 Prozent und unter denen mit Abitur bzw. Hochschulabschluss sogar 62 Prozent zumindest einmal in der Woche. In letztgenannter Gruppe ist der Anteil der „Buchverweigerer“ mit 4 Prozent auch besonders niedrig, während er unter den Personen mit Hauptschulabschluss 13 Prozent beträgt. 1.1.3.3.2 Lesedauer Die durchschnittliche Lesedauer pro Tag betrug der Langzeitstudie Massenkommunikation zufolge 1980 22 Minuten und sank bis 1995 auf 15 Minuten ab. Seitdem stieg sie jedoch wieder an und belief sich 2005 auf 25 Minuten 44 . Erneut zeigen sich Geschlechtsunterschiede: Frauen wenden mit durchschnittlich 33 Minuten pro Tag etwa doppelt so viel Zeit für Bücher auf wie Männer (16 Minuten). Bemerkenswert ist auch die starke Zunahme der Lesedauer in den Gruppen der unter 20-Jährigen (von 20 Minuten 2000 auf 35 Minuten 2005) sowie der über 60-Jährigen (von 20 auf 30 Minuten). Bereits 2000 hatte eine Studie der Stiftung Lesen die Buchlektüre zwischen 1992 und 2000 verglichen und darauf hingewiesen, dass die Buchlektüre kleinteiliger geworden ist. Es werden häufiger Pausen eingelegt, es werden ganze Passagen eines Buches übersprungen, es werden mehr Bücher parallel gelesen – Erscheinungen, die Bodo Franzmann in Anlehnung an analoge Verhaltensweisen im Umgang mit dem Fernsehen als „Lese-Zapping“ bezeichnet hat 45 . 1.1.3.3.3 Lektürevorlieben Die Lektüre von Büchern weist nach wie vor ein hervorgehobenes Image auf: Der Anteil derjenigen, die die Buchlektüre für wichtig halten, liegt deutlich über dem Anteil derjenigen, die tatsächlich lesen – ein Befund, der für das Fernsehen genau entgegengesetzt ausfällt 46 . Die der Studie der Stiftung Lesen aus dem Jahr 2000 zu entnehmenden Unterschiede in den Lektürepräferenzen zwischen den Geschlechtern spiegeln lebensweltliche Zusammenhänge und die Folgen geschlechtsspezifischer Sozialisation wider: Frauen lesen häufiger als Männer Ratgeber zu den Themen „Kochen, Backen, Diät- und Schlankheitskost“ (36 Prozent, Männer acht Prozent), „Gesundheit, gesunde Lebensführung, Sport, Fitness usw.“ (30 Prozent, Männer 15 Prozent) und „Kindererziehung, Partnerschaft, Aufklärung, Sexualität“ (14 Prozent, Männer sechs Prozent). Männer hingegen setzten sich deutlich ab bei Themen wie „Computer und Software (29 Prozent, Frauen elf Prozent), „Geld, Recht, Steuern, Haushaltsführung, Rentenfragen“ (27 Prozent, Frauen 18 Prozent), „Technik, Computer, Fahrzeuge, Raumfahrt“ (29 Prozent, Frauen acht Prozent) sowie „Politik, Gesellschaft, Wirtschaft“ (30 Prozent, Frauen 18 Prozent). 43 Vgl. Kochhan/Schengbier 2007. 44 Vgl. Reitze/Ridder 2006, S. 214 f. 45 Vgl. Stiftung Lesen 2001; Franzmann 2001. 46 S. Stiftung Lesen 2001. 36 1.1. Printmedien Im Bereich „unterhaltende Literatur/Bücher mit literarischem Anspruch“ lag die Unterkategorie „Moderne Literatur“ mit durchschnittlich 28 Prozent der Nennungen „häufig“ bzw. „gelegentlich“ vorn. Der größere Teil der Leser war hier weiblich (32 Prozent zu 23 Prozent). Platz zwei erreichten Bücher der Gruppe „Liebe, Schicksal, Heimat, Alltagsgeschichten“ mit 27 Prozent, hier mit einem deutlichen Mehr an weiblichen Lesern (41 Prozent zu 11 Prozent). Dem folgten die Krimis: Im Schnitt lasen 26 Prozent der Befragten „häufig“ oder „gelegentlich“ Krimis, dabei etwas mehr Männer als Frauen (27 Prozent zu 25 Prozent). Die Unterschiede in der Genrezuwendung zwischen den Geschlechtern korrespondieren auch mit Unterschieden in den Motiven und wahrgenommenen Folgen des Buchlesens. Dehm et al. (2005) unterscheiden auf Grundlage einer bevölkerungsrepräsentativen Studie vier „Lese-Erlebnistypen“: Die „begeisterten Kompensationsleser“ (16 Prozent) nutzen Bücher in hohem Maße zur Orientierung und um zu lernen bzw. Neues zu erfahren, berichten aber vor allem deutlich häufiger, dass sie beim Lesen in das Buchgeschehen eintauchen könnten. Frauen machen etwa drei Viertel dieses Lesetyps aus. Die „habituellen Wellnessleser“ (19 Prozent), die etwa zu zwei Dritteln weiblich sind, lesen vor allem als Ausgleich und zum Zeitvertreib, weil es als Abwechslung und emotionales Vergnügen erlebt wird. Die „informationssuchenden Selektivleser“ (22 Prozent), unter denen etwa zwei Drittel Männer sind, sind durch eine eher instrumentelle Bindung an das Lesen gekennzeichnet, da für sie Bücher vor allem neue Informationen und Orientierung bieten müssen. Die „zurückhaltenden Orientierungsleser“ schließlich sind die größte Gruppe (42 Prozent) und im Vergleich zu den übrigen Gruppen durch keine ausgeprägte Lese-Erlebnisdimension geprägt. 1.1.4 Recht und Regulierung Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG garantiert explizit die Freiheit der Presse; ihre Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung wird vom Bundesverfassungsgericht hervorgehoben 47 . Die Ausgestaltung des Presserechts ist gekennzeichnet von der Annahme, dass aufgrund der vielen miteinander konkurrierenden Presseprodukte und -unternehmen Meinungsvielfalt in diesem Bereich gesichert ist und es keiner spezifischen Vorkehrung des Staates bedarf. Insofern kennt das Presserecht keine Marktzutrittsregulierung und sieht kaum inhaltsbezogene Bindungen der Presse vor, anders als dies beim Rundfunkrecht der Fall ist. Auch die Presse erfüllt aber eine „öffentliche Aufgabe“, die von den Landespressegesetzen formuliert wird; aus ihr begründen sich auch bestimmte Privilegien, die Vertretern der Presse – wie anderer Medien – zustehen (s. Kap. 1.4.2). Neben dem staatlich gesetzten Rahmen besteht bei der Presse traditionell ein breit getragenes System der Selbstregulierung. 1.1.4.1 Rechtsrahmen Im Bereich der Presse ist zunächst zwischen dem Presserecht im weiteren Sinne, also allen Rechtsvorschriften, die in irgendeiner Form die Presse betreffen, und dem Presserecht im engeren Sinne zu unterscheiden. Als Presserecht im weiteren Sinne können Rechtsmaterien vom Steuerrecht bis zum Arbeitsrecht die Arbeit der Presse tangieren, so dass die folgenden Ausführungen sich auf strukturrelevante Schwerpunkte beschränken. Das Presserecht im engeren Sinne bilden diejenigen Vorschriften, die pressespezifische Regelungen enthalten oder aber einen engen Sachzusammenhang mit dem Pressewesen aufweisen. Eine Besonderheit bildet in Bezug auf den Vertrieb von periodischen Druckwerken das so genannte Presse-Grosso (s. oben 1.1.2.3), das in der Praxis vor allem kartellrechtliche Berührungspunkte hat. 48 Für den Bereich der Regelung der allgemeinen Rechtsverhältnisse der Presse folgte bis zum 1. September 2006 eine Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 75 Abs. 1 Nr. 2 GG. Der Bundesgesetzgeber 47 Vgl. BVerfGE 20, 162 (174 f.). 48 Kloepfer/Kutzschbach (1999). 37 1. Einzelne Medienbereiche hatte von dieser Kompetenz vor dem Hintergrund von Art. 75 Abs. 2 (Erfordernis bundesgesetzlicher Regelung) und der Beschränkung auf die „allgemeinen Rechtsverhältnisse“ nur in wenigen Bereichen Gebrauch gemacht (vgl. im Datenschutz etwa § 41 BDSG, s. Kap. 1.4.2.2). Mit der Föderalismusreform49 entfällt diese Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes, d. h. liegt die Gesetzgebungszuständigkeit ausschließlich auf Seiten der Länder. Den regulatorischen Schwerpunkt des Presserechts im engeren Sinne bilden daher die Landespressegesetze 50 . Zum Presserecht im weiteren Sinne gehört neben dem allgemeinen Zivilrecht insbesondere das Urheberrecht. 1.1.4.1.1 Europarechtliche Einflüsse Ein europäisches Presserecht im Sinne eines zusammenhängenden einheitlichen Regelwerkes gibt es nicht, vielmehr sind die Regelungen in einer Reihe von Rechtsnormen enthalten. Zu den europarechtlich relevanten Regelungsbereichen gehören etwa das Werberecht und Wettbewerbsrecht, das Fusions- und Kartellrecht, das Urheberrecht, aber auch das Arbeitsrecht und der Datenschutz. Wenn auch konkrete pressespezifische Europarechtsnormen nicht existieren, so zeigte doch eine im Jahr 2004 ergangene Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte die Bedeutung der Europäischen Menschenrechtskonvention für die Arbeit der Presse 51 . 1.1.4.1.2 Pressebegriff Zu unterscheiden ist der verfassungsrechtliche von dem einfachgesetzlichen Pressebegriff. Die Pressefreiheit im Sinne von Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG wird als Institution als solche verstanden und umfasst sämtliche für die inhaltliche und technische Herstellung sowie für die Verbreitung von Druckwerken eingesetzten personellen und sachlichen Mittel, also das Pressewesen in seiner Gesamtheit. Unter dem grundgesetzlichen Begriff der Presse sind hinsichtlich der Angebote alle zur Verbreitung an die Allgemeinheit bestimmten körperhaften Erzeugnisse zu verstehen, d. h. auch CDs, DVDs, Hörbücher etc. 49 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006, BGBl. I S. 2034. 50 Landespressegesetz Baden-Württemberg vom 14. Januar 1964, GBl. BW 1964 S. 11, zuletzt geändert durch Gesetz vom 4. Februar 2003, GBl. BW 2003, S. 108; Bayerisches Pressegesetz vom 3. Oktober 1949, BayGVBl. 1949, S. 243, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. April 2007, GVBl 2007, S. 281; Berliner Pressegesetz vom 15. Juni 1965, GVBl. Berlin 1965, S. 744, zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Juli 2003, GVBl. Berlin 2003, S. 252; Brandenburgisches Landespressegesetz vom 13. Mai 1993, GVBl Bbg I 1993, S. 162, zuletzt geändert durch Gesetz vom 10. Juli 2002, GVBl. Bbg I 2002, S. 57; Pressegesetz Bremen vom 16. März 1965, GBl. Bremen 1965, S. 63, zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. Dezember 2002, GBl. Bremen 2002 Nr. 67, S. 605, 613 f.; Hamburgisches Pressegesetz vom 29. Januar 1965, GVBl. HH 1965, S. 15, zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Oktober 2007, HmbGVBl. S. 385; Hessisches Pressegesetz vom 20. November 1958, GVBl. Hessen 1958 I S. 183, zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Dezember 2005, GVBl. Hessen 2005 I S. 838; Landespressegesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern vom 6. Juni 1993, GVBl. M-V 1993, S. 541, zuletzt geändert durch Gesetz vom 28. März 2002, GVBl. MV 2002, S. 154, 168; Niedersächsisches Pressegesetz vom 22. März 1965, Nds. GVBl. 1965, S. 9, zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. November 2001, Nds. GVBl. 2001, S. 701; Landespressegesetz NRW vom 24. Mai 1966, GVBl. NRW 1966, S. 340, zuletzt geändert durch Gesetz vom 29. April 2003, GVBl. NRW 2003, S. 252; Landesmediengesetz Rheinland-Pfalz vom 4. Februar 2005, GVBl. Rh.-Pf. 14. Februar 2005, S. 33; Saarländisches Mediengesetz vom 27. Februar 2002, ABl. Saarl 2002, S. 498, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25.04.07, ABl. Saarl 2007, S. 1062; Sächsisches Pressegesetz vom 3. April 1991, SächsGVBl. 1991, S. 125, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. März 2003, SächsGVBl. 2003, S. 38; Landespressegesetz Sachsen-Anhalt vom 14. August 1991, GVBl. LSA 1991, S. 261, zuletzt geändert durch Gesetz vom 18. November 2005, GVBl. LSA S. 698, 706; Landespressegesetz Schleswig-Holstein vom 19. Juni 1964, GVOBl. SH 1964, S. 71, zuletzt geändert durch Gesetz vom 31. Januar 2005, GVOBl. Schl.H. S. 105; Thüringer Pressegesetz vom 31. Juli 1991, GVBl. Th 1991, S. 271, zuletzt geändert durch Gesetz vom 21. Juni 2002, GVBl. Thüringen 2002, S. 279. 51 Urteil des EuGH v. 24.6.2004, Beschwerde Nr. 59320/00 (Caroline-Entscheidung). 38 1.1. Printmedien Der einfachgesetzliche Begriff der „Presse“ wird auf einfachgesetzlicher Ebene nicht definiert, vom (Rechts-)Verständnis des Pressebegriffs sind nach Rechtsprechung und Literatur aber alle verkörperten Massenmedien umfasst, deren geistige Sinngehalte den Empfängern in Form von körperhaften Vervielfältigungen zugänglich gemacht werden (sog. „Druckwerke“ 52 ). Verkörperte, aber nicht in Textform vorliegende Gedankeninhalte wie Musik-CDs oder Hörbücher unterfallen dem einfachgesetzlichen Pressebegriff nicht. Für periodisch erscheinende Druckwerke wie Tages- und Wochenzeitungen, Zeitschriften und Illustrierte existieren Sondervorschriften in den Landespressegesetzen. 1.1.4.1.3 Regulierungskonzept Vor dem Hintergrund der Stellung der Massenmedien im verfassungsrechtlichen Gefüge als Medium und Faktor einer freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung legt das Presserecht den Presseunternehmen verschiedene Medienlasten auf, um die verfassungsgemäße Ausübung ihrer Verantwortung zu gewährleisten. Zu diesen „Pflichten“ gehören etwa die wahrheitsgemäße und sachliche Berichterstattung und die Beachtung der journalistischen Sorgfalt 53 bei der Überprüfung der Herkunft und dem Wahrheitsgehalt einer Meldung. Grundlegende Pflichten ordnungsrechtlicher Natur stellen die Impressumspflicht 54 , die Gewährleistung von Gegendarstellungsansprüchen 55 und der Trennungsgrundsatz 56 im Hinblick auf Werbung und den redaktionellen Teil dar. Im Gegenzug zu den Medienlasten werden den Presseunternehmen und ihren Bediensteten Medienprivilegien zuerkannt, ohne die diese ihrer öffentlichen Aufgabe nicht oder nur unzureichend nachkommen könnten. So sehen die Landespressegesetze ausführliche Informations- und Auskunftsrechte der Presse gegenüber staatlichen Stellen vor 57 , in der Strafprozessordnung werden Journalisten von Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschränkungen flankierte Zeugnisverweigerungsrechte 58 zugestanden und im Datenschutzrecht den Presseunternehmen Datenschutzprivilegien 59 zuerkannt. Für Zusammenschlüsse von Presseunternehmen gilt das allgemeine Kartellrecht, das GWB 60 senkt allerdings vor dem Hintergrund der Bedeutung der Presse für die Meinungsbildung die Aufgreifschwelle der Fusionskontrolle durch das Bundeskartellamt in Fällen von Fusionen im Bereich der Zeitungen und Zeitschriften. Eine Novellierung – und Abschwächung – dieser pressespezifischen erhöhten Anforderungen des Fusionskontrollrechts im Rahmen der Siebten GWB-Novelle 61 wurde diskutiert, letztendlich aber nicht in die Novellierung einbezogen. 52 Vgl. rglm. § 7 LPG. 53 Rglm. § 6 LPG. 54 Rglm. § 8 LPG. 55 Rglm. § 11 LPG. 56 Rglm. § 10 LPG. 57 Rglm. § 4 LPG. 58 Vgl. §§ 53, 97 StPO. 59 Vgl. § 41 BDSG und statt vieler § 11a HmbPresseG, § 22a Berliner PresseG, § 12 LPG NRW. 60 Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen in der Fassung der Bekanntmachung vom 15. Juli 2005, BGBl. I S. 2114, zuletzt geändert durch Gesetz v. 18.12.2007, BGBl. I S. 2966. 61 Neufassung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen vom 15. Juli 2005, BGBl. I S. 2114. 39 1. Einzelne Medienbereiche 1.1.4.1.4 Nicht-staatliche Regulierung Der 1953 ursprünglich vor dem Hintergrund der Pläne zu einem Bundespressegesetz gegründete Deutsche Presserat 62 konnte im Laufe der Zeit seine Aufgabe als Beschwerdeorgan und Selbstkontrolleinrichtung ausweiten. So tritt der Presserat für die Pressefreiheit und den unbehinderten Zugang zu Nachrichtenquellen ein, stellt publizistische Grundsätze sowie Richtlinien für die redaktionelle Arbeit auf (Pressekodex 63 ) und behandelt Beschwerden über redaktionelle Veröffentlichungen und journalistische Verhaltensweisen auf dieser Basis. Seit 2002 ist der Presserat daneben die Selbstregulierungsinstanz im Bereich des Redaktionsdatenschutzes. Der Pressekodex sieht die Einhaltung gewisser Grundsätze bei der journalistischen Arbeit vor, etwa die Achtung vor der Wahrheit und Wahrung der Menschenwürde, eine gründliche und faire Recherche, die klare Trennung von redaktionellem Text und Anzeigen, die Achtung von Privatleben und Intimsphäre und die Vermeidung unangemessen sensationeller Darstellung von Gewalt. Insofern ergänzt er als reine Selbstregulierungsinstanz von Verlegern und Journalisten vor allem das staatliche Äußerungsrecht. Als Durchsetzungsmittel stehen dem Presserat die Instrumente des Hinweises, der Missbilligung und der Rüge zur Verfügung, wobei die Rüge in der Regel mit der Verpflichtung zum Abdruck ausgesprochen wird. Daneben bestehen mit dem Presse-Grosso Vertriebsstrukturen, die sich entfernt von staatlicher Regulierung entwickelt haben und vor allem auf Grundlage von Absprachen zwischen den Verbänden der Verleger, der Grossisten und des Einzelhandels beruhen. Aufgrund des Umstandes, dass für die Grossisten im Hinblick auf die Pressefreiheit der Verlage und die Informationsfreiheit der Nutzer grundrechtsverwirklichende Aspekte zugesprochen werden, ist die Vertriebsstruktur verfassungsrechtlich durchwirkt. 64 So ergeben sich etwa Neutralitätsgebote und Kontrahierungspflichten für die Grossisten, um Vermachtungen im Pressevertrieb entgegenzuwirken und neuen Akteuren den Marktzutritt zu gewährleisten. Aufgrund der Konzentrationsentwicklungen im Presseverlagssektor (s. oben) und der verlaglichen Reaktionen auf das gesellschaftliche Konsumverhalten (z.B. Pressevertrieb in Discountern) sind in den letzten Jahren – auch rechtliche – Herausforderungen für das traditionelle Grosso-System zu Tage getreten. 65 1.1.4.2 Novellierungen und Reformen im Berichtszeitraum Von den im Berichtszeitraum erfolgten Gesetzesänderungen und -novellierungen sollen hier diejenigen kurz genannt werden, die sich besonders durch ihre Relevanz für die praktische Arbeit von Pressemitarbeitern und Verlegern sowie für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Sektor ausgezeichnet haben. 1.1.4.2.1 Medienprivilegien: Zeugnisverweigerungsrecht Presse und Rundfunk sind, um ihre Aufgabe als Medium und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung zu erfüllen, auf Informationen angewiesen. Dabei sind insbesondere auch solche Informationen von Relevanz, die nur aus schwer zugänglichen oder anonymen Quellen gewonnen werden können. Dabei ist im Rahmen der Informationsbeschaffung nicht auszuschließen, dass Personen, die Beschuldigte in einem Strafverfahren sind oder sein können, der Presse als Informanten dienen. Solche Personen werden ihre Informationen aber nur unter der Prämisse preisgeben, dass die Vertraulichkeit ihres Verhältnisses zu den Medien gesichert ist. Das 62 http://www.presserat.de. 63 Publizistische Grundsätze (Pressekodex) vom Deutschen Presserat in Zusammenarbeit mit den Presseverbänden beschlossen und erstmals Bundespräsident Gustav W. Heinemann am 12. Dezember 1973 in Bonn überreicht; letzte Fassung vom 13. September 2006; abrufbar unter http://www.presserat.de/uploads/media/ Novellierter_Pressekodex.pdf (Stand: 20.12.2007). 64 BVerfGE 77, 346 (354 f.); vgl. Kloepfer/Kutzschbach (1999). 65 S. dazu Haller (2006), S. 215 ff. 40 1.1. Printmedien notwendige Vertrauensverhältnis zwischen Mitarbeitern der Presse und des Rundfunks einerseits und privaten Informanten andererseits wird nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts durch die nach Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Presse- und Rundfunkfreiheit geschützt 66 . Als einfachgesetzliche Umsetzung dieses verfassungsrechtlichen Schutzes ist in der Strafprozessordnung (StPO) 67 ein Zeugnisverweigerungsrecht normiert. Das Zeugnisverweigerungsrecht kollidiert allerdings mit dem ebenfalls verfassungsrechtlich geschützten Interesse an der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, so dass der Kreis der Zeugnisverweigerungsberechtigten auf das unbedingt erforderliche Maß begrenzt wird. Der Gesetzgeber hat auf die fortschreitende Entwicklung im Medienbereich – insbesondere im Hinblick auf publizistische Online-Angebote, deren Mitarbeiter bisher nicht von § 53 StPO umfasst waren – mit einer Änderung der einschlägigen StPO-Normen reagiert. Die §§ 53, 97 StPO wurden mit dem Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung 68 überarbeitet: Der novellierte § 53 Abs. 1 Nr. 5 Satz 1 StPO sieht vor, dass Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von Druckwerken, Rundfunksendungen, Filmberichten oder der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben, das Zeugnis verweigern dürfen. Nach dem neu eingefügten Satz 2 dieser Norm dürfen diese Personen das Zeugnis verweigern über die Person des Verfassers oder Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des sonstigen Informanten sowie über die ihnen im Hinblick auf ihre Tätigkeit gemachten Mitteilungen, über deren Inhalt sowie über den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand berufsbezogener Wahrnehmungen. Dies gilt nach dem ebenfalls neu eingefügten Satz 3 nur, soweit es sich um Beiträge, Unterlagen, Mitteilungen und Materialien für den redaktionellen Teil oder redaktionell aufbereitete Informations- und Kommunikationsdienste handelt. Nach der Neuregelung muss es sich bei den hergestellten Druckwerken nicht mehr um periodische handeln, so dass nunmehr alle Arten von Druckwerken (wie z. B. Bücher) von der Norm erfasst werden. Das Zeugnisverweigerungsrecht bezieht sich nach der Neuregelung nun auch auf selbst erarbeitetes Material. Nach dem zusätzlich eingefügten § 53 Abs. 2 Satz 2 StPO entfällt die Berechtigung zur Zeugnisverweigerung der in Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 genannten Personen über den Inhalt selbst erarbeiteter Materialien und den Gegenstand entsprechender Wahrnehmungen, wenn die Aussage zur Aufklärung eines Verbrechens beitragen soll oder wenn Gegenstand der Untersuchung eine (näher bestimmte) Straftat ist und die Erforschung des Sachverhalts oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Beschuldigten auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Der Zeuge kann nach Satz 3 jedoch auch in diesen Fällen die Aussage verweigern, soweit sie zur Offenbarung der Person des Verfassers oder Einsenders von Beiträgen und Unterlagen oder des sonstigen Informanten oder der ihm im Hinblick auf seine Tätigkeit nach Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 gemachten Mitteilungen oder deren Inhalts führen würde. Das inhaltlich weitgehende Zeugnisverweigerungsrecht hinsichtlich des selbst recherchierten Materials erfährt also im staatlichen Strafverfolgungsinteresse wegen des Gewichts der aufzuklärenden – abschließend aufgezählten – Straftaten eine Einschränkung. Das das Zeugnisverweigerungsrecht nach § 53 StPO flankierende Beschlagnahmeverbot gemäß § 97 StPO wurde ebenfalls überarbeitet. Der neue § 97 Abs. 5 Satz 2, 2. Hs. StPO sieht vor, dass die Beschlagnahme im Fall des Abs. 2 Satz 3, nach der sie unter näher bezeichneten Voraussetzungen ausnahmsweise doch gestattet ist, nur zulässig ist, wenn sie unter Berücksichtigung der Grundrechte aus Artikel 5 Abs. 1 Satz 2 GG nicht außer Verhältnis zur Bedeutung der Sache steht und die Erforschung des Sachverhaltes oder die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Durch die jetzt 66 BVerfGE 20, 162 (176); 77, 65 (80). 67 Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 07.04.1987 (BGBl. I S. 1074, ber. S. 1319), zuletzt geändert durch Gesetz vom 21.12.2007 (BGBl. I S. 3198). 68 Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 15.02.2002 (BGBl. I, S. 682 f.). 41 1. Einzelne Medienbereiche weitergehende Regelung in § 97 Abs. 5 Satz 2 StPO hat der Gesetzgeber dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz einen besonderen Stellenwert eingeräumt und zusätzlich eine Subsidiaritätsklausel eingefügt. Der Abwägung des Strafverfolgungsinteresses mit dem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG wird damit schon auf der Ebene des einfachen Rechts Raum gegeben. 1.1.4.2.2 Medienprivilegien: Datenschutzvorschriften für die Presse Journalisten sind in hohem Maße von Informationen abhängig: Journalismus beginnt mit der Recherche, vernetzt und bewertet die Informationen neu und mündet in eine Veröffentlichung, die archiviert wiederum als Recherchematerial für neue Veröffentlichungen zur Verfügung steht. Da die Medien einer „öffentlichen Aufgabe“ – freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung – nachkommen, werden Medienunternehmen in verschiedenen Bereichen der Redaktionsarbeit im Unterschied zu anderen Wirtschaftunternehmen Privilegien zugesprochen, darunter auch im Datenschutzrecht 69 , wo der Gesetzgeber einen möglichst schonenden Ausgleich zwischen der grundrechtlich geschützten Pressefreiheit und dem ebenfalls durch das Grundgesetz geschützten Recht auf informationelle Selbstbestimmung des Einzelnen finden muss. Mit dem Beschluss einer Novellierung des Bundesdatenschutzgesetzes am 6.4.2001 70 setzte der Gesetzgeber die Vorgaben der EG-Datenschutzrichtlinie 71 um. Der novellierte § 41 Abs. 1 BDSG sieht für den Bereich der Unternehmen und Hilfsunternehmen der Presse unter Rückgriff auf die Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes in diesem Bereich im Gegensatz zu der alten Fassung lediglich eine Rahmenvorschrift vor, die die Landesgesetzgeber dazu verpflichtet, dass für die Erhebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten durch diese Unternehmen zu ausschließlich eigenen journalistisch-redaktionellen oder literarischen Zwecken den Vorschriften aus § 5 (Datengeheimnis), § 9 (Datensicherheit) und § 38 a (Verhaltensregeln zur Förderung der Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften) des neuen BDSG entsprechende Regelungen einschließlich der darauf bezogenen Haftungsregelung entsprechend § 7 des neuen BDSG zur Anwendung kommen. Nach der Rahmensetzung für die Regelung der pressemäßigen Datenverarbeitung obliegt es den Landesgesetzgebern, die weitere Ausgestaltung dieses Bereichs nach Maßgabe der Anforderungen von Art. 9 der EG-Datenschutzrichtlinie vorzunehmen. Die Landesgesetzgeber sind der Aufforderung des § 41 Abs. 1 BDSG nachgekommen und erklären in den Landespressegesetzen lediglich die in § 41 Abs. 1 BDSG genannten Vorschriften bei der Datenverarbeitung zu ausschließlich eigenen journalistischredaktionellen oder literarischen Zwecken für anwendbar 72 . Um den dadurch einer staatlichen Kontrolle weitgehend entzogenen Redaktionsdatenschutz zu stärken, hat der Deutsche Presserat auf der Ebene der Selbstregulierung eigene Grundsätze für den Datenschutz bei der journalistisch-redaktionellen Arbeit aufgestellt, zu deren Einhaltung sich die Verlage freiwillig verpflichtet haben. So sieht der Pressekodex die Lauterkeit der Recherche, die Achtung der Persönlichkeitsrechte, insbesondere der Privat- und Intimsphäre sowie die Berichtigung falscher Daten und Auskunftsrechte der betroffenen Person vor. Daneben ist die Übermittlung personenbezogener Daten zwar grundsätzlich erlaubt, die Daten sind jedoch mit dem Hinweis auf die ausschließliche Nutzung zu journalistisch-redaktionellen Zwecken zu versehen. Zur Einhaltung dieser Grundsätze nutzt der Presserat präventive Instrumente, insbesondere Bera69 Bundesdatenschutzgesetz in der Fassung der Neubekanntmachung vom 24.01.2003 (BGBl. I Nr.3 S.66), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 22. August 2006 (BGBl. I S. 1970). 70 Gesetz zur Änderung des Bundesdatenschutzgesetzes und anderer Gesetze vom 18.05.2001 (BGBl. I S. 904, 2002 I S. 2252). 71 Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24.10.1995 zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr, ABl. EG Nr. L 281, S. 31 ff. 72 Vgl. statt vieler § 11a HmbPresseG, § 22a Berliner PresseG, § 12 LPG NRW. Zum Datenschutz in Redaktionen auch Kloepfer 2005, S. 118 ff. 42 1.1. Printmedien tung, sowie nachträgliche Beschwerdeverfahren, in denen ein Beschwerdeausschuss des Presserats die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften des Pressekodexes auf Antrag eines Betroffenen hin überprüft. 1.1.4.2.3 Buchpreisbindung Vor dem Hintergrund der wichtigen Rolle des Buches für die soziokulturelle Entwicklung der Gesellschaft wird im Bereich der Buchpreisbildung von dem Prinzip der Preisermittlung durch Angebot von Nachfrage abgerückt: Die Einschränkung des freien Spiels der Marktkräfte erfolgt durch Gesetz zu Gunsten einer Buchpreisbindung. Dem kulturpolitischen Hintergrund Rechnung tragend und mit dem Ziel, die vor allem nationale Buchhandelslandschaft wettbewerbsfähig zu halten, hat der Gesetzgeber mit dem Buchpreisbindungsgesetz (BuchPrbG) 73 nunmehr Regelungen zur Preisbindung von Verlagserzeugnissen geschaffen. Zuvor war eine Buchpreisbindung in Deutschland nur auf privatrechtlicher und freiwilliger Ebene realisiert worden, was Bedenken in Bezug auf die Konformität mit europäischem Kartellrecht hervorrief. Zweck des Gesetzes ist nach § 1 Satz 1 der Schutz des Kulturgutes Buch. Inwiefern von dem gesetzlichen Buchbegriff auch Online-Bücher (sog. E-Books) und Hörbücher (sog. Audiobooks) umfasst sind, lässt das Gesetz offen. Die Festsetzung verbindlicher Preise beim Verkauf an Letztabnehmer (§ 2 Abs. 3) sichert nach Satz 2 den Erhalt eines breiten Buchangebots. Zudem gewährleistet das Gesetz nach Satz 3 zugleich, dass dieses Angebot für eine breite Öffentlichkeit zugänglich ist, indem es die Existenz einer großen Zahl von Verkaufsstellen fördert. Der Anwendungsbereich des Gesetzes wird nach § 2 Abs. 1 auch auf Produkte wie Musiknoten, kartografische Produkte oder kombinierte Objekte, bei denen eines der genannten Erzeugnisse die Hauptsache bildet, ausgedehnt. Fremdsprachige Bücher fallen nach § 2 Abs. 2 nur dann unter das BuchPrbG, wenn sie überwiegend für den Absatz in Deutschland bestimmt sind. Der Preisbindung ist unterworfen, wer gewerbsoder geschäftsmäßig nicht gebrauchte Bücher an Letztabnehmer verkauft (§ 3 BuchPrbG). Den freien Warenund Handelsverkehr innerhalb der EU berücksichtigend werden grenzüberschreitende Verkäufe nach § 4 Abs. 1 BuchPrbG von der Preisbindung ausgenommen, sofern kein Umgehungsgeschäft vorliegt (Abs. 2). Die konkrete Preisfestsetzung regelt § 5 BuchPrbG. Besondere Festsetzungen für den Buchvertrieb sind in § 6 des Gesetzes vorgesehen. Als Ausnahmetatbestand normiert § 7 BuchPrbG, dass bestimmte Verkaufsarten der Buchpreisbindung entweder nicht oder nur eingeschränkt unterfallen. Die Dauer der Preisbindung beträgt nach § 8 Abs. 1 des Gesetzes in der Regel 18 Monate. Zur Vermeidung und Ahndung von Verstößen gegen das Gesetz normiert § 9 BuchPrbG Schadensersatz- und Unterlassungsansprüche. Flankierend gewährt § 10 BuchPrbG ein Einsichtsrecht in Geschäftsbücher und -unterlagen für im Buchverlagswesen tätige Gewerbetreibende, die andere Unternehmen des Verstoßes gegen die Buchpreisbindung begründet verdächtigen. In der Praxis kontrolliert wird die Umsetzung der rechtlichen Vorgaben durch so genannte Preisbindungstreuhänder, die von den Verlagen mit der Aufsicht beauftragt werden und Verstoßende abmahnen können. Eine erste Änderung hat das BuchPrbG im Juli 2006 erfahren 74 , nachdem der Bundesrat vor alles aus fiskalischen Überlegungen eine Neufassung des § 7 Abs. 3 BuchPrbG vorschlug. Aufgrund der organisatorischen Veränderungen bei der Lernmittelfreiheit – in vielen Bundesländern kaufen die Schulen nicht mehr aus eigenen Mitteln Lehrbücher ein, sondern aus von den Eltern erhobenen Umlagen – sollte so klargestellt werden, dass auch in Fällen der Beschaffung zum Eigentum der öffentlichen Hand Nachlässe zu gewähren sind. Daneben sieht das geänderte Gesetz im neuen § 7 Abs. 1 Nr. 5 Ausnahmen von der Preisbindung im Rahmen 73 Gesetz zur Regelung der Preisbindung bei Verlagserzeugnissen vom 02.09.2002 (BGBl. I S. 3448), zuletzt geändert durch Gesetz vom 14. Juli 2006 (BGBl. I S. 1530). 74 Gesetz zur Änderung des Buchpreisbindungsgesetzes vom 14. Juli 2006 (BGBl. I S. 1530). 43 1. Einzelne Medienbereiche von Räumungsverkäufen vor und macht in § 7 Abs. 1 Nr. 4 konkretere Vorgaben zum Vorliegen im Preis reduzierter Mängelexemplare. 1.1.4.2.4 Pflichtexemplare: Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek Zur Sicherung einer lückenlosen Überlieferung und Archivierung von Publikationen aus Deutschland sammelt seit 1913 „Die Deutsche Bibliothek“ umfassend die hier erschienenen Publikationen. Gewährleistet wurde die Vollständigkeit der Sammlung aufgrund der gesetzlichen Verpflichtung der Verlage, Pflichtexemplare an die Bibliothek abzutreten (Gesetz über die Deutsche Bibliothek 75 ). Daneben bestehen in den Ländern landesrechtliche Pflichtexemplarvorschriften für die jeweiligen Landesbibliotheken. Aufgrund der technischen Entwicklung, insbesondere der Veröffentlichung von Medienwerken in digitaler Form in öffentlichen Netzen wie dem Internet, ist das Gesetzeswerk im Sommer 2006 novelliert worden. Das – aufgrund der Namensänderung – nunmehr „Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek (DNBG)“ 76 lautende Gesetzeswerk nimmt die bis dahin bestehenden Pflichtexemplarvorschriften auf und erweitert diese auch auf Medienwerke in unkörperlicher Form, d. h. alle Darstellungen in öffentlichen Netzen. Nach dem In-Kraft-Treten des DNBG am 29. Juni 2006 war zunächst unklar, wie weit die Abgabepflichten reichen und wie das technische Verfahren der Abgabe verlaufen soll. In den darauffolgenden Monaten hat die Deutsche Nationalbibliothek ein Verfahren entwickelt, die es Verlagen und anderen abgabepflichtigen Stellen ermöglicht, Exemplare eigener Netzpublikationen über ein Online-Verfahren an die Bibliothek abzugeben. 1.1.4.3 Sonstige relevante rechtliche Entwicklungen 1.1.4.3.1 Änderungen im Bereich des Bildnisschutzes Bei zunehmender Visualisierung in der öffentlichen Kommunikation nimmt auch die Bedeutung der Regelungen zu, die die Gewinnung und Veröffentlichung von Bildmaterial steuern. Die Zulässigkeit der Veröffentlichung von Abbildungen von Personen richtet sich nach den Vorschriften des Kunsturhebergesetzes (KUG) 77 . Demnach muss der Abgebildete grundsätzlich seine Einwilligung in die Veröffentlichung gegeben haben (§ 22 KUG). Das Gesetz sieht allerdings einige Ausnahmen von dem Einwilligungserfordernis vor, etwa bei Bildnissen aus dem Bereich der Zeitgeschichte oder Bildnissen von öffentlichen Versammlungen (§ 23 Abs. 1 KUG). Derartige Bilder dürfen ohne Einwilligung des Betroffenen veröffentlicht werden, solange dadurch nicht ein berechtigtes Interesse des Abgebildeten verletzt wird. Ein solches Interesse werden regelmäßig etwa Aufnahmen aus dem Intimbereich des Abgebildeten verletzen. Die Veröffentlichung von Abbildungen aus dem Bereich der Intimsphäre sind nach den Vorschriften des KUG zwar unzulässig und gem. § 33 KUG strafbar, die Bildaufnahme selbst allerdings blieb bisher strafrechtlich unbewehrt. Der Gesetzgeber hat mit dem Strafrechtsänderungsgesetz zum Schutz der Intimsphäre 78 einen neuen § 201a (Verletzung des höchstpersönlichen Lebensbereichs durch Bildaufnahmen) in das Strafgesetzbuch (StGB) eingeführt, der die Anfertigung derartiger Aufnahmen ab dem 6. August 2004 unter Strafe stellt. 75 Gesetz über die Deutsche Bibliothek in der Fassung vom 31.3.1969, BGBl. I S. 265, zuletzt geändert durch die Siebente Zuständigkeitsanpassungs-Verordnung vom 29.10.2001, BGBl. I S. 2785. 76 Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek vom 22. Juni 2006, BGBl. I S. 1338. 77 Gesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der bildenden Künste und der Photographie vom 09.01.1907 (RGBl. S. 7; BGBI. III 440-3), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16.02.2001 (BGBI. I S. 280). 78 Sechsunddreißigstes Strafrechtsänderungsgesetz (36. StrÄndG) vom 30.07.2004 (BGBl. I S. 2012 f.). 44 1.1. Printmedien Kritik an der Vorschrift wurde unter anderem im Hinblick auf das Fehlen einer individuellen Abwägung geübt, da insbesondere bei Aufnahmen aus dem Bereich des investigativen Journalismus ein erhöhtes Informationsinteresse bestehen könnte (zur Problematik des Bildnisschutzes s. Kap. 1.4.3.1). Kontrovers diskutiert wurde daneben auch ein im Jahr 2004 getroffenes Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR), der sich mit der Veröffentlichung von Abbildungen Prominenter aus deren Privatbereich beschäftigte 79 . Das Gericht, das über die Rechtmäßigkeit der Veröffentlichung derartiger Aufnahmen von Caroline v. Hannover zu befinden hatte, kam zu dem Schluss, dass ein diese Art der Berichterstattung rechtfertigendes, sachlich begründetes Interesse der Allgemeinheit nicht vorliege und daher das Privatleben bzw. die Privatsphäre der abgelichteten Person zu schützen sei. Presseverbände und Verlegerorganisationen sahen daraufhin die Gefahr, dass Berichterstattung über Prominente – darunter insb. Politiker – durch das Urteil erheblich eingeschränkt werden könnte und werteten dies als empfindlichen Eingriff in die Pressefreiheit. Das Bundesverfassungsgericht wies kurze Zeit später in einem anderen, nicht den Pressebereich betreffenden Urteil darauf hin, dass deutsche Gerichte sich bei ihren Entscheidungen zwar mit den Urteilen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte auseinandersetzen müssen, die EGMR-Urteile jedoch keine sie bindende Wirkung hätten 80 . Sie dienten deutschen Gerichten als „Auslegungshilfen für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze der Verfassung“. Die Aufgabe der nationalen Gerichte bestehe darin, die Urteile „schonend“ in ihre Rechtsprechung einzubeziehen. Die Bundesregierung legte gegen das Urteil des EGMR keine Rechtsmittel ein. 1.1.4.3.2 Gratiszeitungen Nachdem Ende der 90er-Jahre die ersten rein anzeigenfinanzierten Gratiszeitungen mit Redaktionsteil an den Markt kamen und über Zeitungsboxen und per Handverteilung kostenlos ausgegeben wurden, waren kurze Zeit später die wettbewerbsrechtlichen Klagen der klassischen Tageszeitungsverlage anhängig. Im November 2003 entschied der BGH 81 in letzter Instanz zu Gunsten der Gratiszeitungen, die aufgrund negativer vorinstanzlicher Urteile oder aufgrund wirtschaftlicher Verluste den Betrieb bereits in 2001 eingestellt hatten. In dem Urteil stellte der BGH klar, dass der unentgeltliche Vertrieb einer allein anzeigenfinanzierten Tageszeitung in der Regel nicht wettbewerbswidrig ist und den herkömmlichen Tageszeitungsverlagen, die sich teilweise durch Verkauf finanzieren, kein entsprechender Abwehranspruch zusteht. Vielmehr müssten die betroffenen Verlage, die ohnehin in ihren Kernverbreitungsgebieten auf dem Lesermarkt häufig keinem oder keinem wesentlichen Wettbewerb ausgesetzt sind, Nachteile und Gefährdungen der eigenen Position aufgrund neuartiger wettbewerbskonformer Maßnahmen grundsätzlich hinnehmen. 79 Urteil des EuGH v. 24.6.2004, Beschwerde Nr. 59320/00 (Caroline-Entscheidung). 80 BVerfG, Entscheidung vom 14.10.2004, 2 BvR 1481/04. 81 BGH-Urteile vom 20.11.2003 – I ZR 151/01 (20 Minuten Köln) und I ZR 120/00 (Zeitung zum Sonntag), AfP 2004, S. 255 ff. 45 1. Einzelne Medienbereiche 1.1.5 Quellenangaben zu Kapitel 1.1 Bleyen, Valérie-Anne/Van Hove, Leo (2007): Western European newspapers and their online revenue model: An overview. In: First Monday, Jg. 12, Nr. 12. Abrufbar unter http://www.uic.edu/htbin/cgiwrap/bin/ojs/index.php/fm/article/ view/2014/1899, zuletzt aufgerufen am 15.1.2008. Böckelmann, Frank (2000): Wem gehören die Zeitungen. Konstanz. 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Berlin. 47 1.2 TONTRÄGER 1.2.1 ANGEBOTE UND INHALTE ................................................................................................... 50 1.2.2 WIRTSCHAFT UND ORGANISATION ................................................................................. 52 1.2.3 NUTZUNG UND WIRKUNG.................................................................................................... 55 1.2.3.1 1.2.3.2 1.2.3.3 1.2.3.4 1.2.3.5 TECHNISCHE VORAUSSETZUNGEN AUF NUTZERSEITE ........................................................... 55 REICHWEITE UND NUTZUNGSDAUER ..................................................................................... 55 KÄUFER VON TONTRÄGERN................................................................................................... 56 NUTZUNG VON HÖRBÜCHERN................................................................................................ 56 PERSPEKTIVEN DER MUSIKNUTZUNG..................................................................................... 57 1.2.4 RECHT UND REGULIERUNG................................................................................................ 58 1.2.5 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 1.2................................................................................ 59 Tabellenverzeichnis Tabelle 1.2.1.1: Umsatzanteile der Repertoires 1998-2007 Tabelle 1.2.1.2: Umsatzanteile der Tonträgerarten in % vom Gesamtumsatz zu Endverbraucherpreisen Tabelle 1.2.2.1: Musikabsatz in Deutschland in Mio. Stück hochgerechnet auf den Gesamtmarkt 19982007 49 1. Einzelne Medienbereiche Der Begriff der Tonträger umfasst alle Formen digitaler und analoger Audio-Trägermedien wie Schallplatten, Musikkassetten (MC), Compact Disc (CD), Mini Disc (MD), Digital Compact Cassette (DCC), Digital Audio Tape (DAT), Digital Versatile Disc (DVD) sowie alle Datenträger, die Audio-Daten enthalten (z. B. Magnetband, Disketten, CD-R oder MP3-Dateien). Schwerpunktmäßig werden Tonträger mit Musik im weitesten Sinne assoziiert, der Begriff umfasst neben diesen Musiktonträgern aber auch Worttonträger, deren kulturelle und wirtschaftliche Rolle stetig wächst (s. Kap. 1.2.3.4). Dieser Berichtsteil konzentriert sich vor allem auf die Produktion und Verbreitung von Musik, er beschäftigt sich nicht mit der Situation der Musikschaffenden und dem Musikstandort Deutschland insgesamt, da kaum Datenmaterial zur Entwicklung in diesem Bereich verfügbar ist (s. Kap. 3.2.6). 1.2.1 Angebote und Inhalte Der Markt für Tonträger in der Bundesrepublik wird vor allem durch Unterhaltungsmusik, die so genannte „U-Musik“, geprägt. Darüber hinaus gibt es die so genannte Ernste Musik („E-Musik“). Diese Bezeichnungen sind allerdings nicht unproblematisch, da eine Zuordnung zu den unterschiedlichen Kategorien nicht trennscharf möglich ist und die beiden Segmente des Marktes sich strukturell stark unterscheiden. Etwa 90 Prozent des Umsatzes im Tonträgerbereich werden mit Unterhaltungsmusik erzielt. Die Anzahl der Neuerscheinungen aus den Bereichen Klassik und Popmusik betrug im Jahr 2006 insgesamt 17.200 Stück, wobei Importprodukte nicht erfasst werden 82 . Das Gesamtangebot belief sich auf 88.015 Singles und Alben, was gegenüber 1997 (54.612 Stück) eine deutliche Steigerung bedeutet. Betrachtet man die Herkunft der Titel, die in die „Top 100“-Charts für Singles gelangen, zeigt sich seit den 90er-Jahren ein leichter Anstieg des Anteils nationaler Produktionen: Seit 2003 liegt ihr Anteil jeweils leicht über 50 Prozent. Wenngleich sich die Lücke in den vergangenen Jahren ebenfalls deutlich geschlossen hat, liegt bei den Alben der Anteil der internationalen Produktionen jedoch weiterhin höher; rund 55 Prozent des Angebotes sind internationale, also in der Regel englischsprachige Produktionen. Im Vergleich mit den USA, wo 2002 der Anteil internationaler Produktionen bei ca. fünf Prozent lag, und mit Frankreich (38 Prozent) ist dies ein hoher Wert; Großbritannien, Spanien und Italien wiesen 2002 jedoch ähnliche Anteile für nicht-einheimische Produktionen auf 83 . Eine Differenzierung der Unterhaltungsmusik in einzelne Genres zeigt, dass Pop und Rock weiterhin gemeinsam mehr als 50 Prozent des gesamten Umsatzes auf sich vereinen können. Allerdings ist ihr kombinierter Umsatzanteil von etwa 60 Prozent 1998 auf etwa 55 Prozent gefallen, wobei insbesondere das Pop-Genre an Gewicht verloren hat. Umsatzgewinne zeigen sich vor allem im neuen Genre der Hörbücher, die 2007 7,2 Prozent des Gesamtumsatzes erzielten. Auch Kinderprodukte konnten ihren Anteil steigern, während die übrigen Genres bei den Umsatzanteilen weitgehend stabil sind (s. Tabelle 1.2.1.1). 82 Vgl. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft 2007. 83 Schmidt 2003, S. 51. 50 1.2. Tonträger Tabelle 1.2.1.1: Umsatzanteile der Repertoires 1998-2007 Genre (in Prozent) 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Pop 45,7 45,5 44,0 42,7 43,6 40,9 38,3 37,1 36,8 34,5 Rock 14,1 14,3 14,6 15,6 15,9 15,9 18,5 19,2 17,9 20,2 Schlager 7,7 6,4 6,9 7,3 7,2 6,9 7,8 6,8 8,3 8,2 Klassik 9,6 8,7 8,3 7,5 7,2 6,9 7,8 7,9 8,3 7,7 - - - 0,9 2,1 2,6 3,5 5,0 6,5 7,2 Kinderprodukte 4,1 4,5 4,8 6,3 6,3 6,5 6,4 6,1 5,9 6,2 Dance 6,5 7,7 8,7 7,9 6,2 6,6 5,6 5,3 4,7 4,0 Jazz 1,1 1,8 1,6 1,4 1,8 1,8 1,8 1,9 1,7 2,2 Country/Folk 1,1 1,3 1,3 1,2 1,3 1,8 1,4 1,7 1,9 1,8 Volksmusik 1,9 1,9 2,3 2,5 1,8 1,9 2,2 2,0 1,7 1,6 Soundtrack 2,6 2,3 2,5 2,2 2,5 2,3 1,6 1,7 1,5 1,6 Weihnachten 1,4 1,3 1,1 1,1 1,0 1,2 1,1 1,3 1,0 1,1 Instrumental 1,7 1,3 0,9 1,0 1,0 0,7 1,1 1,0 1,0 0,7 Sonstige 2,5 2,9 3,0 2,4 4,2 2,4 2,6 3,0 2,8 3,0 Hörbücher Quelle: Dopp 2003, S. 28 und Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft e.V. 2008, S. 47. Bei den Tonträgern hat sich in den 90er-Jahren die CD etabliert, mit der seitdem kontinuierlich etwa 80 Prozent des Umsatzes bei Tonträgern erzielt werden (vgl. Tabelle 1.2.1.2). Dieser Bedeutungsgewinn ging vor allem zu Lasten der Vinyl-Langspielplatten und der Musikkassetten, die 2007 praktisch keine Rolle im Gesamtmarkt mehr spielen. Auch der Umsatzanteil von Singles ging kontinuierlich zurück, während die DVD inzwischen einen Anteil von etwa zehn Prozent hält. In den letzten Jahren hat die Phonoindustrie zudem weitere Vertriebskanäle im Internet erschlossen, wo Online-Nutzer einzelne Musiktitel oder ganze Alben gegen die Entrichtung einer Gebühr herunterladen konnten. Seit 2006 werden auch die Umsatzanteile für Titel erhoben, die auf mobilen Endgeräten, insbesondere Mobiltelefonen, abgespielt werden können. 51 1. Einzelne Medienbereiche Tabelle 1.2.1.2: Umsatzanteile der Tonträgerarten in % vom Gesamtumsatz zu Endverbraucherpreisen Tonträger 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 CD 85 85 85 85 83 79 80 83 81 81 Single 11 12 11 11 10 8 7 5 4 3 MC* 4 3 3 3 2 3 2 1 1 1 LP 0 0 1 1 0 1 0 0 0 0 DVD - - - - 5 9 10 9 9 9 Download - - - - - - 1 2 3 4 Mobile - - - - - - - - 2 2 * Ab 1999 inkl. Absatz Mini Disc (MD). Quelle: Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft 2008, S. 14. 1.2.2 Wirtschaft und Organisation Bis zum Jahr 1997 konnte die Tonträgerindustrie kontinuierlich steigende Absatz- und Umsatzzahlen verzeichnen. Bis 1999 gelang es zumindest, die Absatzzahlen bei sinkenden durchschnittlichen Preisen auszuweiten. Seitdem hat die Tonträgerindustrie erhebliche Einbußen bei Verkaufs- und Umsatzzahlen zu verzeichnen. Der Gesamtumsatz des Phonomarktes in Deutschland ging von 2,7 Milliarden Euro 1997 auf 1,65 Milliarden im Jahr 2007 zurück, obwohl in den vergangenen Jahren auch Musik-Downloads (seit 2004) und Musik für mobile Endgeräte (seit 2006) mit erfasst werden 84 . Eine Aufschlüsselung der abgesetzten Stückzahlen nach einzelnen Trägermedien gibt weiteren Aufschluss über die Verschiebungen des Marktes (vgl. Tabelle 1.2.2.1). So ging vor allem die Zahl der verkauften Singles, CDs und Musikkassetten (MC) seit 1998 deutlich zurück, was auch durch den Zuwachs beim neuen Trägermedium DVD nicht aufgefangen wurde. In der Summe wurden 2007 über 100 Millionen physische Tonträger weniger verkauft als noch 1998. Mit dem Download im Internet sowie Titeln für mobile Endgeräte sind in den letzten Jahren neue Vertriebskanäle bzw. Angebotsformen entstanden, die trotz wachsender Popularität die Einbußen bei den physischen Tonträgern nicht kompensieren können. Zwischen 1998 und 2007 ist so der gesamte Musikabsatz um mehr als 20 Prozent auf 230 Millionen Stück gesunken. 84 52 Vgl. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft 2008. 1.2. Tonträger Tabelle 1.2.2.1: Musikabsatz in Deutschland in Mio. Stück hochgerechnet auf den Gesamtmarkt 1998-2007 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 56,8 56,9 54,0 51,8 38,9 26,8 23,3 17,8 15,9 10,7 206,8 209,7 206,1 184,6 178,7 146,8 145,5 147,6 149,5 148,6 26,6 21,5 20,5 22,3 14,3 15,5 13,2 8,7 5,8 4,6 0,6 0,6 0,9 1,1 1,1 1,1 0,8 0,7 0,6 0,7 DVDAudio/SACD – – – 0,1 0,2 0,6 0,3 0,5 0,2 0,2 DVDMusikvideo – – 0,6 1,5 3,8 9,0 11,5 12,9 14,2 13,6 VHSMusikvideo 1,2 1,0 0,6 0,6 3,2 1,9 1,2 0,8 0,1 0,0 292,0 289,7 282,7 262 240,2 201,7 195,8 189,0 186,3 178,4 Einzeltracks – – – – – – 7,5 19,7 25,2 35,2 Bundles – – – – – – 0,4 1,4 1,9 2,6 Summe Downloads – – – – – – 7,9 21,1 27,1 37,8 292,0 289,7 282,7 262,0 240,2 201,7 203,7 210,1 213,4 216,2 Audio Singletrack – – – – – – – – 4,0 4,7 Klingeltöne – – – – – – – – 11,9 8,3 Ring Back Tunes – – – – – – – – 1,3 1,2 Summe Mobile – – – – – – – – 17,2 14,2 292,0 289,7 282,7 262,0 240,2 201,7 203,7 210,1 230,6 230,4 Physische Tonträger Single CD 1) MC Vinyl-LP Summe physische Tonträger Downloads Summe physische Tonträger und Downloads Mobile Total 1) Die Marktabdeckung der MC-Daten liegt seit 2002 unter 91 %. CD/MC/LP/DVD-Audio/SACD. Quelle: Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft 2008, S. 19. 2) Aus der Sicht der Musikindustrie ist der Grund für die starken Einbußen in erster Linie bei der illegalen Verbreitung von Musik über das Internet und das Kopieren von CDs zu suchen. Sie sieht dies vor allem durch die Ergebnisse der jährlich durchgeführten „Brennerstudie“ bestätigt, nach der allein im Jahr 2006 244 Mio. CD-Rohlinge und 31 Millionen DVD-Rohlinge mit Musik bespielt wurden 85 . Die Gesamtzahl der gebrannten Rohlinge ist gegenüber den Vorjahren zwar gesunken, doch ist dies zumindest in Teilen auf die immer weiter 85 Vgl. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft/GfK 2007. 53 1. Einzelne Medienbereiche verbreiteten DVD-Brenner zurückzuführen: Eine DVD bietet deutlich mehr Speicherplatz als eine CD, so dass weniger Rohlinge benötigt werden. Für den Rückgang der verkauften Exemplare kann jedoch neben dem Zugang zu Raubkopien noch eine Vielzahl von anderen Einflüssen eine Rolle spielen. So sinkt die Zahl der Ersatzkäufe für vorher in den Haushalten existierende Schallplatten kontinuierlich, und auch der Nachholbedarf in den neuen Bundesländern ist mittlerweile gedeckt, so dass ein Rückgang der Umsätze ohnehin zu erwarten war. Möglich erscheint auch, dass sich gerade in den jüngeren Zielgruppen die Nutzungsgewohnheiten verändert haben, da diese mittlerweile eine Vielzahl unterschiedlicher audiovisueller Angebote bei gleich bleibendem Medienbudget nutzen (s. Kap. 3.1.1). Wissenschaftliche Studien zum Zusammenhang zwischen dem Download von Musik und dem Erwerb zeigen bisher widersprüchliche Ergebnisse. So scheint z. B. bei einigen Bevölkerungsgruppen die Bereitschaft zum Kauf von Musikangeboten insgesamt zurückzugehen, so dass der alleinige Grund für die Umsatzeinbußen nicht ausschließlich in der Online-Verbreitung zu sehen ist 86 . Zudem erfüllen der kostenlose Download, der kostenpflichtige Download und der CD-Kauf im Vergleich jeweils unterschiedliche Gratifikationen, insbesondere in Hinblick auf die erwartete Klangqualität 87 . Eine wichtige Rolle für den Erfolg der illegalen immateriellen Verbreitung von Musik können auch die fehlenden Angebote der Musikindustrie spielen, die auf die neue Entwicklung nur langsam reagierte und nun erlebt, wie ein Teil des Umsatzes von branchenfremden Unternehmen erwirtschaftet wird: So hat sich etwa mit der Auswertung von Musik in Form von Klingeltönen mittlerweile ein neues Segment der Audioindustrie fest etabliert, das in Teilen von den traditionellen Akteuren unabhängig ist. Bezüglich des Downloads von Musiktiteln gibt die Brennerstudie der Musikindustrie weiteren Aufschluss: Im Jahr 2006 wurden etwa 465 Millionen Titel aus dem Internet heruntergeladen, davon 80 Prozent über Tauschbörsen, also unter Missachtung der Verwertungsrechte der Rechteinhaber und ohne Entgeltzahlungen an die Phonoindustrie 88 . Zwar nutzen 42 Prozent aller Personen, die Musik aus dem Internet laden, ausschließlich oder zum Teil kostenpflichtige Downloads, doch da die durchschnittlich auf diesem Weg erworbene Titelzahl deutlich niedriger liegt als bei der Nutzung von Tauschbörsen (7 gegenüber etwa 100 Titeln pro Jahr), entfielen nur sechs Prozent des gesamten Downloadaufkommens auf kostenpflichtige Musiktitel. Der Elektrofachmarkt ist weiterhin der wichtigste Vertriebsweg – 2006 wurden 30 Prozent des Gesamtumsatzes dort erzielt –, doch das Internet hat seit 2001 seinen Anteil von 6,6 Prozent auf 17,9 Prozent steigern können. Deutlich rückläufig waren in diesem Zeitraum die Anteile, die Kauf- und Warenhäuser (von 12,1 auf 8,3 Prozent) und der Medienfacheinzelhandel (von 9,6 auf 4,2 Prozent) am Gesamtumsatz hatten. Für die Zukunft ist zu erwarten, dass das Internet seinen Stellenwert als Vertriebskanal für Musik weiter ausbauen wird. Dafür ist nicht zuletzt verantwortlich, dass im Zuge aktueller Veränderungen in den Nutzungsweisen des Netzes der Stellenwert von Plattformen wie MySpace oder YouTube weiter steigt 89 . Diese Angebote bieten einerseits etablierten Künstlern und ihren Vermarktern die Gelegenheit, Bindungen an die Hörer bzw. Konsumenten auszubauen und bspw. die Veröffentlichung von neuen Alben und Musikvideos dort zu begleiten, wo sich die Fans online treffen und miteinander austauschen. Andererseits entstehen dort Räume für bisher unbekannte Künstler, sich eine Fangemeinde zu schaffen und ihre Musik – auch abseits der Plattenfirmen und Musikvertriebe – zu vermarkten. Die Konzentration auf dem internationalen Musikmarkt hat sich in den vergangenen Jahren weiter verstärkt, so dass 2005 nur vier Unternehmen, die „major labels“, 75 Prozent der Marktanteile auf sich vereinten: 86 Vgl. Oberholzer/Strumpf 2004. 87 Vgl. Hartmann et al. 2007. 88 Vgl. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft/GfK 2007. 89 Vgl. IFPI 2007. 54 1.2. Tonträger Universal Music (26 Prozent), EMI (12 Prozent), Warner Music (12 Prozent) sowie die 2004 durch eine Fusion entstandene Sony Bertelsmann Music Group (BMG; 25 Prozent)90 . Neben den so genannten „Majors“ gibt es noch eine Vielzahl weiterer Unternehmen auf dem deutschen Markt, über die allerdings nur sehr wenige Informationen vorliegen. Zu ihnen zählen neben den Unternehmen der Tonträgerindustrie und dem Tonträgerhandel unter anderem Unternehmen aus den Bereichen Management und Veranstaltungen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Verlagen, die sich in diesem Bereich spezialisiert haben und z. B. Noten herausgeben. Außerdem gibt es Verbände und Organisationen, die die Interessen der Musikindustrie vertreten. Hierzu zählen der Deutsche Musikverleger-Verband, der Deutsche Komponistenverband und die Verbände der Tonträgerhersteller. Außerdem gibt es mit der Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH (GVL), der Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte (GEMA) und der Verwertungsgesellschaft Musikedition (VG Musikedition) drei Verwertungsgesellschaften, die die Interessen der Urheber vertreten. 1.2.3 Nutzung und Wirkung 1.2.3.1 Technische Voraussetzungen auf Nutzerseite Die technischen Voraussetzungen für die Nutzung von verschiedenen Tonträgern sind weitestgehend gegeben. Der jüngsten Welle der Langzeitstudie Massenkommunikation zufolge verfügen 87 Prozent der Bevölkerung in ihrem Haushalt über einen CD-Player 91 . Leicht zurückgegangen ist die Verbreitung von Kassettenrekordern (von 89 Prozent 2000 auf 81 Prozent 2005), während sich technologische Innovationen wie MP3Player (von fünf auf 26 Prozent) und DVD-Player (von elf auf 63 Prozent) in den letzten Jahren stark verbreitet haben. Hinzu kommen PCs (71 Prozent) bzw. Notebooks (30 Prozent) sowie Mobiltelefone (in der Langzeitstudie nicht erhoben), die ebenfalls für das Abspielen von Musik genutzt werden können. Die deutsche Bevölkerung verfügt also über eine große Vielfalt an Möglichkeiten, Musik abzuspielen, und kann entsprechende Angebote in vielen unterschiedlichen Lebenslagen, etwa zu Hause, bei der Arbeit, beim Sport oder unterwegs, nutzen. 1.2.3.2 Reichweite und Nutzungsdauer Die Langzeitstudie Massenkommunikation ermittelte für die erfassten Tonträger – CD, Schallplatte, Musikkassette und MP3-Dateien – im Jahr 2005 eine Reichweite von 28 Prozent 92 . Anders gesagt: Täglich nutzt mehr als ein Fünftel der Bevölkerung mindestens einmal einen Tonträger. Dieser Wert liegt deutlich über denen der vorangegangenen Erhebungen (1980: 18 Prozent; 1985: 16 Prozent; 1990: 15 Prozent; 1995: 16 Prozent, 2000: 21 Prozent). Auch für die Nutzungsdauer verzeichnete die Studie einen bemerkenswerten Anstieg: Von etwa 14 Minuten Tonträgernutzung am Tag bei den Erhebungen von 1980 bis 1995 stieg diese auf durchschnittlich 36 Minuten pro Tag im Jahr 2000 und 45 Minuten im Jahr 2005 93 . Dieser eklatante Anstieg dürfte zum einen methodisch bedingt sein – durch den Wechsel von persönlichen Interviews zu Telefoninterviews sind generell Zuwächse bei den eher nebenbei genutzten auditiven Medien zu beobachten gewesen. Zum anderen wird dieser Zuwachs jedoch auch auf die gestiegene Bedeutung digitaler Tonträger zurückzu- 90 Vgl. Borgmeyer 2007, S. 6 f. 91 Vgl. Reitze/Ridder 2006, S. 24. 92 Vgl. Ridder/Engel 2005, S. 426. 93 Vgl. van Eimeren/Ridder 2005, S. 499. 55 1. Einzelne Medienbereiche führen sein; neben der weiten Verbreitung der CD betrifft dies vor allem in den letzten Jahren die Zunahme der Bedeutung von MP3s bzw. generell des Computers und mobiler Abspielgeräte. Die mit Abstand höchste Reichweite erzielen Tonträger bei den 14- bis 19-Jährigen (61 Prozent), es folgen die 30- bis 39-Jährigen (49 Prozent), wobei die Reichweite bei formal besser Gebildeten höher liegt als bei weniger Gebildeten 94 . Die geringsten Reichweiten erzielen Tonträger im Bereich der ab 60-Jährigen (15 Prozent). Diese Reichweitenunterschiede schlagen sich auch in der Hördauer nieder: Während 14- bis 19Jährige im Jahr 2005 im Schnitt 120 Minuten pro Tag Tonträger nutzten, waren es bei den ab 60-Jährigen nur 20 Minuten. 1.2.3.3 Käufer von Tonträgern Dem jüngsten Jahreswirtschaftsbericht der Phonographischen Wirtschaft zufolge lag der Anteil der Musikkäufer an der Gesamtbevölkerung im Jahr 2007 bei 41 Prozent 95 . Der Anteil der Gelegenheitskäufer, die bis zu drei Titel, Alben etc. im Jahr kaufen, ist in den vergangenen Jahren leicht zurück gegangen (von etwa 30 Prozent 2002 auf 26 Prozent 2007). Dagegen sind die Anteile der Durchschnittskäufer (vier bis neun Stück pro Jahr; etwa 10 Prozent) und der Intensivkäufer (mehr als neun Tonträger pro Jahr; etwa fünf Prozent) in den vergangenen Jahren stabil geblieben. Für diese Entwicklung bei gleichzeitig zu beobachtender Ausdehnung der Nutzungsdauer von Musik (s.o.) wird insbesondere die Zunahme illegaler Kopien verantwortlich gemacht (s. Kap. 2.2). Im Hinblick auf den Kauf von Tonträgern liegt die Gruppe der 30- bis 39-Jährigen vorn: 2007 gehörten etwa 62 Prozent dieser Gruppe zu den Käufern. Unter den 20- bis 29-Jährigen (2007: 51 Prozent) und den 10bis 19-Jährigen (42 Prozent) ist der Anteil der Tonträgerkäufer in den letzten Jahren dagegen gesunken, während die 40- bis 49-Jährigen (51 Prozent) sowie die ab 50-Jährigen (27 Prozent) stabile Anteile halten. Auch die Repertoireverteilung nach Altersgruppen bestätigt Befunde aus den Vorjahren: Das Segment Dance (inkl. Hip-Hop und Rap) dominiert bei den bis 20-Jährigen, 20- bis 29-Jährige bevorzugen Rock, Pop und Dance, 30- bis 39-Jährige Rock und Pop. Bei den 40- bis 49-Jährigen sind alle Segmente bis auf Dance relativ gleichmäßig vertreten, d. h. bei dieser Gruppe und vor allem bei den ab 50-Jährigen findet auch das KlassikSegment seine Käufer; daneben bevorzugen die Älteren Schlager und Volksmusik 96 . Die in diesen Zahlen zum Ausdruck kommenden mit dem Alter variierenden Musikvorlieben sind Grund dafür, dass das Publikum für Musik sehr stark fragmentiert ist (siehe dazu auch die entsprechenden Konsequenzen für die Programmentwicklung beim Hörfunk, Kap. 1.4.3). 1.2.3.4 Nutzung von Hörbüchern Bei den bisherigen Darstellungen ist nur insgesamt von Tonträgern die Rede gewesen. Dabei kann unterstellt werden, dass es sich in den allermeisten Fällen um die Nutzung von Musik handelt. In den letzten Jahren hat jedoch das spezielle Segment der „Hörbücher“ besondere Aufmerksamkeit erregt 97 . Präzise definiert ist der Begriff „Hörbuch“ nicht, der kleinste gemeinsame Nenner besteht aber darin, „Worttonträger“ in Abgrenzung zu Musiktonträgern zu bezeichnen 98 . Da diese Tonträgerart im Medienensemble eine andere Stellung einnimmt als reine Musikmedien, soll sie hier gesondert behandelt werden. Eine aktuelle Studie des Börsenver- 94 Vgl. Reitze/Ridder 2006, S.210. 95 Vgl. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft 2008, S. 39. 96 Vgl. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft 2008, S. 40. 97 Vgl. Oehmichen 2003, S. 238 ff. 98 Vgl. Fey 2003, S. 231. 56 1.2. Tonträger eins des Deutschen Buchhandels und der ZDF Medienforschung ermittelte für 2007 einen Anteil von 30 Prozent der Bevölkerung, die zumindest selten Hörbücher hören, acht Prozent sogar einmal in der Woche oder öfter 99 . Etwa ein Drittel der Frauen gegenüber nur einem Viertel der Männer gehört zu den Nutzern von Hörbüchern; zudem hängt die Nutzung mit dem Alter (je jünger, desto häufiger) und mit der formalen Bildung (je höher, desto häufiger) zusammen. Die Wechselwirkungen zwischen Hörbüchern und der Nutzung von Radio-Hörspielen haben zwei Vergleichsstudien des Hessischen Rundfunks in den Jahren 1996 und 2002 untersucht 100 . Sie zeigen eine deutliche Veränderung zu Gunsten des Hörbuchs und zu Ungunsten des Radio-Hörspiels bzw. der Radio-Lesung. Während die Zahl der Erwachsenen, die angaben, bereits ein Radio-Hörspiel gehört zu haben, von 69 Prozent im Jahr 1996 auf 45 Prozent im Jahr 2002 gesunken ist, stieg der Anteil derjenigen, die mindestens ein Hörbuch gehört hatten, im gleichen Zeitraum von 13 Prozent auf 30 Prozent an. Die monatliche Reichweite von Lesungen oder Hörspielen im Radio sank von 14,3 auf 6,8 Prozent, die Monatsreichweite von Hörbüchern stieg von 4,4 auf 9,4 Prozent. Radio-Hörspiele oder -Lesungen erzielen die höchsten Monatsreichweiten bei den Älteren ab 50 Jahren (im Jahr 2002: 7,1 Prozent); demgegenüber erreichen die Hörbücher die meisten Hörer unter den 30- bis 49-Jährigen (2002: 13,9 Prozent). 1.2.3.5 Perspektiven der Musiknutzung Die skizzierten Angaben zur Musiknutzung sind im Hinblick auf Prognosen zur künftigen Entwicklung der Hörgewohnheiten und zu dem in den letzten Jahren beobachtbaren Trend zur Missachtung von Urheberrechten uneindeutig. Dies weist darauf hin, dass die Kategorie „Musik“ zu grob ist, um sinnvolle Aussagen über erwartbare Trends zu machen. Innerhalb dieser Kategorie sind zumindest zwei Hauptfunktionen zu unterscheiden: Musik als omnipräsente Alltagsbegleitung und Musik als Gegenstand gezielter Freizeitbeschäftigung. Auf der einen Seite ist Musik im Alltag annähernd omnipräsent geworden. Öffentliche Räume werden zunehmend mit Musik beschallt; was mit Kaufhäusern und Hotels begann, wird mittlerweile mit Bahnhöfen und Plätzen fortgeführt. Die meistgehörten Radioprogramme definieren sich über ihre Musikfarbe und sind darauf ausgerichtet, über den ganzen Tag hinweg einem einheitlichen Musikformat zu folgen. In allen diesen Zusammenhängen ist Musik rein funktional definiert, sie fungiert als emotional angenehmer Hintergrund für die Verrichtungen des Alltags. Sie ist dagegen, von Ausnahmen abgesehen, nicht der eigentliche Gegenstand der Tätigkeit. Die entsprechenden für die Nutzer kostenfreien Bereitstellungsformen von Musik dürften den Eindruck, dass es sich bei Musik um eine allzeit verfügbare kostenlose Dienstleistung handelt, eher noch verstärken. Davon zu unterscheiden ist, quantitativ nicht so ausgeprägt wie die erste Art, der gezielte Umgang mit Musik, der diese zum Gegenstand der jeweiligen Aktivität nimmt, so zur gezielten Stimmungsregulation, zur Auseinandersetzung mit der Musik oder den Komponisten bzw. Interpreten. Hier liegt der Wert in der Musik selbst, es kommt auf Qualität an, auf die genaue Passung mit den Interessen der Hörer. Auch wenn gerade diese Form der Musiknutzung insbesondere – aber bei weitem nicht nur – von Jüngeren unter Missachtung von Urheberrechten praktiziert wird, eröffnet sie doch am ehesten Anknüpfungspunkte für das Argument, dass Musik nicht kostenlos sein kann. Der erfolgreiche Versuch einiger Künstler, ihre Musik gegen eine freiwillige Gebühr zu vertreiben, weist in die Richtung, die früheren und offenbar nicht mehr akzeptierten Zahlmodelle enger an den von den Nutzern wahrgenommenen Wert der Musik zu koppeln und auf diese Weise die wirtschaftliche Basis für die Musikproduktion zu stabilisieren. 99 Vgl. Kochhan/Schengbier 2007. 100 Vgl. Oehmichen 2003. 57 1. Einzelne Medienbereiche Es spricht wenig dafür, dass die beiden Hauptverwendungsformen von Musik sich gegenseitig systematisch behindern; sie verlaufen parallel. Es entwickeln sich feine Unterschiede in den Nutzungskontexten von Musik. Dies wird etwa in einer Studie deutlich, die bei Nutzern von Musiktauschbörsen erkundet, worin sie den besonderen Nutzen von Musik, die über die Tauschbörse heruntergeladen wird, und dem Kauf von CDs sehen 101 . Es zeigt sich, dass auch diese Nutzergruppe durchaus bestimmte Vorteile beim CD-Kauf sieht; dieser ist gegenüber dem Download verknüpft mit höherer Qualität, mit den zusätzlich zur Musik gelieferten Booklets, die ihre eigene inhaltliche und ästhetische Qualität besitzen, sowie mit der als größer wahrgenommenen Repertoirebreite. Insofern besteht Anlass zu der Annahme, dass beide Vertriebsformen nebeneinander bestehen bleiben. 1.2.4 Recht und Regulierung Das deutsche Recht kennt kein spezifisches „Tonträgerrecht“. Der gesetzliche Rahmen, in dem sich Komponisten, Musiker, Verlage und Hersteller bewegen, wird neben dem allgemeinen Zivilrecht vor allem durch das Urheberrechtsgesetz vorgeprägt; dieser Bereich ist wiederum europarechtlich geprägt durch eine Vielzahl von EU-Richtlinien. 102 Durch das Mitwirken vieler verschiedener Personen und Akteure bei der Komposition, Produktion, Herstellung und dem Vertrieb von Tonträgern entstehen bei jedem dieser Mitwirkenden Urheber- bzw. Leistungsschutzrechte. Daraus folgt, dass an Tonträgern viele Rechte (der Musikurheber, der ausübenden Künstler, der Tonträgerhersteller etc.) zu berücksichtigen sind. In der wirtschaftlichen Praxis ist das sog. Tonträgerherstellerrecht (§§ 85 ff. UrhG) besonders relevant, das dem Tonträgerhersteller das ausschließliche Recht vermittelt, die erstmalige Fixierung von Tönen auf einem Träger (meist einem Masterband) zu vervielfältigen, zu verbreiten und öffentlich zugänglich zu machen. Dabei ist der organisatorische und wirtschaftliche Aufwand einer solchen Leistung geschützt, so dass die Tonträgerherstellerrechte in der Regel den Labels zustehen. Zum Urheberrecht im Ganzen siehe auch das Kapitel 2.5. Der Bereich der Tonträger ist ebenfalls von den Diskussionen um die Musik- oder Radioquote betroffen (s. dazu Kap. 1.4.4.2.8). Daneben wird auch in Bezug auf U-Musik über systematische Fördermöglichkeiten nachgedacht, die über die bisherigen Förderungen auf kommunaler Ebene sowie im Bereich der Länder und des Bundes hinausgehen. 101 Siehe Trepte u. a. 2004. 102 Vgl. nur Richtlinie 92/100/EWG des Rates v. 19.11.1992 über das Vermietrecht und Verleihrecht sowie bestimmte dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte im Bereich des geistigen Eigentums, ABl. Nr. L 346/61; Richtlinie 93/83/EWG des Rates v. 27.9.1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, ABl. Nr. L 248/15; Richtlinie 93/98/EWG des Rates v. 29.10.1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABl. Nr. L 290/9; Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, ABl. Nr. L 77/20; Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.10.1998 über den Rechtsschutz von Mustern und Modellen, ABl. Nr. L 289/28; zuletzt Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. Nr. L 167/10; auch die Informationsrichtlinie ist insoweit relevant: Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. Nr. L 167/10. 58 1.2. Tonträger 1.2.5 Quellenangaben zu Kapitel 1.2 B.A.T. Freizeit-Forschungsinstitut (2003): Freizeit-Monitor 2003. Daten zur Freizeitforschung. Hamburg. Borgmeyer, Christian (2007): Die Medienbranche im digitalen Zeitalter. Chancen und Risiken der technologischen Entwicklung. Saarbrücken. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft (2007): Jahreswirtschaftsbericht 2006. Online verfügbar unter http://www.ifpi.de/wirtschaft/jahreswirtschaftsbericht_2006.pdf, zuletzt aufgerufen am 15.10.2007. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft (2008): Musikindustrie in Zahlen 2007. Berlin. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft/GfK (2007): Brennerstudie 2007. Abrufbar unter http://www.musikindustrie.de/uploads/media/ms_branchendaten_brennerstudie_2007.pdf, zuletzt aufgerufen am 15.1.2008. Dopp, Bernd (2003): Repertoirebereiche und Konsumenten. In: Moser, Rolf/Scheuermann, Andreas (Hrsg.), Handbuch der Musikwirtschaft. Starnberg/München. S. 27 ff. Fey, Antje (2003): Das Buch fürs Ohr wird populär. Hörbuch: Definition,. Marktentwicklung und Marketingstrategien. In: Media Perspektiven 5/2003, 231. Hartmann, Thilo et al. (2007): Nutzen und Kosten von Online-Optionen der Musikbeschaffung. In: Schramm, Holger (Hrsg.): Medien & Kommunikationswissenschaft. 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In: Media Perspektiven, Nr. 10/2005, S. 490-504. 59 1.3 FILM UND VIDEO 1.3.1 ANGEBOTE UND INHALTE ................................................................................................... 62 1.3.2 WIRTSCHAFT UND ORGANISATION ................................................................................. 63 1.3.2.1 1.3.2.2 1.3.2.3 1.3.2.4 1.3.3 NUTZUNG .................................................................................................................................. 68 1.3.3.1 1.3.3.2 1.3.4 KINONUTZUNG ...................................................................................................................... 68 VIDEO- UND DVD-NUTZUNG ................................................................................................ 69 RECHT UND REGULIERUNG................................................................................................ 71 1.3.4.1 1.3.4.1.1 1.3.4.1.2 1.3.4.1.3 1.3.4.1.4 1.3.4.2 1.3.4.2.1 1.3.4.2.2 1.3.4.2.3 1.3.4.2.4 1.3.5 WIRTSCHAFT UND ORGANISATION DER FILMTHEATER .......................................................... 63 WIRTSCHAFT UND ORGANISATION DER FILMVERLEIHER ....................................................... 64 ONLINE-VERWERTUNG VON FILMEN ..................................................................................... 65 WIRTSCHAFTLICHE BEDEUTUNG DES AUDIOVISUELLEN FILMERBES ..................................... 67 RECHTSRAHMEN .................................................................................................................... 71 Europarechtliche Einflüsse ................................................................................................... 71 Einfluss des Urheberrechts auf die Praxis............................................................................ 72 Regulierungskonzept ............................................................................................................. 72 Nicht-staatliche Regulierung ................................................................................................ 72 NOVELLIERUNGEN UND REFORMEN IM BERICHTSZEITRAUM ................................................. 72 Filmförderungsgesetz (FFG) ................................................................................................ 73 Deutscher Filmförderfonds (DFFF) ..................................................................................... 73 Jugendschutz & Filmfreigaben durch die FSK ..................................................................... 74 Aufnahme von Vorschriften zur Film- und Fernsehförderung in den RStV .......................... 74 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 1.3................................................................................ 75 Tabellenverzeichnis Tabelle 1.3.1.1: Erstaufgeführte deutsche Langfilme 1998-2006 Tabelle 1.3.1.2: Verleihumsatz und Zahl der Spielfilme nach Herstellungsländern Tabelle 1.3.2.1: Bestandsentwicklung der Kinoleinwände und Sitzplätze 2002-2006 Tabelle 1.3.2.2: Kino- und Video-/DVD-Markt im Vergleich. (Umsätze in Mio. Euro) Tabelle 1.3.2.3: Einnahmen und Ausgaben der FFA von 2000-2006 in Tsd. Euro Tabelle 1.3.2.4: Übersicht Filmförderung von Bund und Ländern 2007 (Haushaltsansätze in Mio. Euro) Tabelle 1.3.3.1: Filmtheaterbesucher 1996-2007 Tabelle 1.3.3.2: Kinogängeranteil in der deutschen Bevölkerung nach Altersgruppen (in Prozent) Tabelle 1.3.3.3: Kinobesucher und Marktanteile deutscher Filme 1998-2007 61 1. Einzelne Medienbereiche Das Kapitel „Film und Video“ umfasst die Entwicklung in den Bereichen Filmproduktion, -vertrieb und vorführung und -vermietung sowie die dazu nötigen Trägermedien. Aufgrund der besonderen kulturellen Bedeutung nationaler Produktionen ist die Förderung des deutschen Films ein zentraler Bestandteil der Filmpolitik; entsprechende Daten werden ebenfalls dokumentiert. Schließlich werden die Kinobesucherzahlen vor dem Hintergrund des Booms von Video und DVD erläutert und der rechtliche Rahmen dargestellt. 1.3.1 Angebote und Inhalte Für die Einordnung als deutscher Film muss eine Produktion die in den §§ 15 Abs. 2, 16 und 16a des FFG formulierten Kriterien erfüllen. Dazu zählen z. B. die Beteiligung von Unternehmen mit Sitz oder Niederlassung in Deutschland oder deutscher bzw. europäischer Regisseure, die Wahl der Innen-Drehorte und der Sprachfassung (vgl. zur regionalen Verteilung der Film- und Fernsehproduktion auch Abschnitt 2.1). Die Produktion deutscher Filme hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen: Seit 1998 stieg die Anzahl der deutschen Langfilme, die in den Kinos erstaufgeführt wurden, von 70 auf 174 im Jahr 2006 an (vgl. Tabelle 1.3.1.1). Diese Steigerung umfasst sowohl das Angebot an Dokumentarfilmen als auch von Spielfilmen; Letztere machten 2006 über zwei Drittel aller erfassten Langfilme aus. Das Verhältnis deutscher Produktionen zu deutsch-ausländischen Koproduktionen an der Gesamtanzahl der Spielfilme betrug 2006 etwa zwei Drittel zu einem Drittel. Tabelle 1.3.1.1: Erstaufgeführte deutsche Langfilme 1998-2006 1998 2000 2002 2004 2006 70 94 117 121 174 20 19 33 34 52 50 75 84 87 122 deutsche Produktion 39 47 39 60 78 deutsch-ausländische Koproduktion 11 28 45 27 44 Langfilme gesamt davon Dokumentarfilme Spielfilme davon Quelle: http://www.spio.de/index.asp?SeitID=24, zuletzt aufgerufen am 15. Januar 2008. Trotz dieser Zunahme deutscher Produktionen dominieren in den Kinos nach wie vor ausländische und hier insbesondere US-amerikanische Filme (vgl. Tabelle 1.3.1.2). Dies gilt insbesondere für den Verleihumsatz; etwa 150 US-amerikanische Filme setzten gegenüber 122 deutschen Spielfilmen mehr als das Dreifache um. Allerdings konnten deutsche Produktionen ihren Anteil am Verleihumsatz von unter zehn Prozent im Jahr 2000 auf etwa 21 Prozent 2006 steigern. 62 1.3. Film und Video Tabelle 1.3.1.2: Verleihumsatz und Zahl der Spielfilme nach Herstellungsländern 2000 Umsatz in Mio. Euro Deutschland 2002 Anzahl der Filme Umsatz in Mio. Euro 2004 Anzahl der Filme Umsatz in Mio. Euro 2006 Anzahl der Filme Umsatz in Mio. Euro Anzahl der Filme 33,5 75 39,7 84 85,4 87 77,8 122 290,0 165 348,7 123 296,0 166 261,0 151 18,3 21 10,2 15 14,4 10 8,5 19 Frankreich 3,2 34 11,0 27 8,9 27 3,8 19 Italien 0,7 4 0,4 2 0,3 4 0,3 6 Sonstige Länder 8,9 74 10,0 70 5,4 74 11,0 76 354,6 305 380,3 321 410,4 368 362,4 393 USA Großbritannien Gesamt Quelle: Spitzenorganisation der Filmwirtschaft 2006, S. 24; Spitzenorganisation der Filmwirtschaft 2007, S. 28. 1.3.2 Wirtschaft und Organisation 1.3.2.1 Wirtschaft und Organisation der Filmtheater Die wirtschaftliche Situation im Kinobereich wird zum einen durch die Entwicklung der Publikumszahlen (vgl. Abschnitt 1.3.3) und zum anderen durch die technische Entwicklung geprägt. So wuchs die Anzahl von Leinwänden zwischen 1997 und 2000 kontinuierlich an (vgl. Tabelle 1.3.2.1). Seitdem ist der jährliche Zuwachs deutlich geringer; 2006 war sogar ein Rückgang zu beobachten. Dennoch liegt die absolute Anzahl der Kinoleinwände mit etwa 4.850 beinahe 20 Prozent über dem Wert von 1997. Bis zum Jahr 2002 bedeutete dies auch den Anstieg der Zahl der Sitzplätze, hier ist seit 2003 jedoch ein Rückgang zu verzeichnen. Tabelle 1.3.2.1 verdeutlicht zudem die besondere Stellung der Multiplexkinos, die ihr Publikum mit einer Vielzahl von Leinwänden und gastronomischen Zusatzangeboten bedienen und dabei meist auf amerikanische Publikumserfolge setzen. Vor allem bis 2001 konnten diese Spielstätten ihre verschiedenen Marktanteile zum Teil deutlich ausbauen; seitdem ist nur noch leichtes Wachstum bzw. Stagnation festzustellen, aber auf hohem Niveau: Obwohl dieser Kinotyp nur etwa ein Viertel aller in Deutschland vorhandenen Leinwände anbietet, erreicht er einen Zuschaueranteil von 45 Prozent, der Umsatzanteil liegt sogar leicht darüber. Im Zuge des seit einigen Jahren vollzogenen Einsatzes neuer digitaler Technik in den Kinos steht eine erneute Verschärfung des Wettbewerbes bevor. 103 103 Vgl. Reber 2007. 63 1. Einzelne Medienbereiche Tabelle 1.3.2.1: Bestandsentwicklung der Kinoleinwände und Sitzplätze 2002-2006 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 4.284 4.435 4.651 4.783 4.792 4.868 4.868 4.870 4.889 4.848 4.832 797 803 845 874 884 885 878 864 859 847 837 Anzahl Spielstätten k. A. k. A. k. A. k. A. 137 139 143 145 144 144 144 Anteil an Leinwänden (in %) 11,8 16,4 20,6 24,3 26,1 25,8 26,7 26,2 26,7 26,9 k.A. Anteil am Gesamtbesuch (in %) 22,5 30,3 34,4 40,4 45,4 42,9 44,1 45,3 46,9 46,0 47,2 Anteil am Gesamtumsatz (in %) 2,5 33,6 38,5 44,2 48,4 46,3 46,6 47,4 50,0 49,1 49,5 Leinwände gesamt Sitzplätze gesamt (in 1.000) Multiplexkinos Quelle: Spitzenorganisation der Filmwirtschaft 2007, S. 31. Für 2007: FFA 2008b, S. 1. 1.3.2.2 Wirtschaft und Organisation der Filmverleiher Neben den Filmtheatern bestimmen vor allem die Verleihunternehmen das Angebot in den deutschen Kinos. Ungefähr 90 Unternehmen sind in diesem Bereich tätig, von denen die Hälfte aber nur einen oder zwei Filme im Jahr betreuen; neun Unternehmen betreuen mehr als zwölf Filme im Jahr. 104 In den letzten Jahren hat sich die Auswertungsstrategie zumindest für einen Teil der Filme auch deutlich verändert: Einige Top-Titel starten mit einer sehr großen Anzahl von Kopien im Kino und werden so in kürzerer Zeit ausgewertet, als dies in früheren Jahren der Fall war. In der Regel handelt es sich um aufwändige Produktionen, für die in sehr kurzer Zeit ein enormer Marketingaufwand betrieben wird, um möglichst schnell die Erlöse auf der Auswertungsstufe Kino zu realisieren. Hinzu treten jedoch weitere Verwertungsvarianten, insbesondere auf Video und (in den vergangenen Jahren deutlich stärker) auf DVD. Für die Filmproduzenten ist der Umsatz, der auf diesem Weg erzielt wird, eine gleich- bzw. höherwertige Erlösquelle als das Kinogeschäft: Die Anbieter von Videos auf VHS und DVD erwirtschafteten seit Ende der 90er-Jahre bis 2004 kontinuierlich steigende Umsätze und übertrafen im Jahr 2002 zum ersten Mal das Umsatzvolumen von Kinobetreibern und Filmverleih (s. Tab. 1.3.2.2). 2005 und 2006 gab es wieder leicht rückläufige Zahlen, die jedoch weiterhin die Summe der Umsätze von Filmverleihern und Kinobetreibern deutlich übertreffen. Tabelle 1.3.2.2: Kino- und Video-/DVD-Markt im Vergleich. (Umsätze in Mio. Euro) 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 Filmverleiher 354 339 354 389 420 384 410 328 362 Kinos 818 808 825 987 960 850 893 745 814 Videoanbieter1) 862 860 934 1.147 1.400 1.555 1.747 1.687 1.591 1) Bezogen auf den Gesamtumsatz aus Verleih- und Verkaufskassetten in Videotheken, Warenhäusern und ähnlichen Verkaufs- und Vermietstellen. Die Zeitreihe Video wurde bis 2003 vom Bundesverband Video korrigiert. Quelle: SPIO 2007, S. 22, 34 u. 49. 104 64 SPIO 2007, S. 28. 1.3. Film und Video 1.3.2.3 Online-Verwertung von Filmen Die wachsende Verbreitung von leistungsfähigen Internet-Breitbandverbindungen (vgl. Kapitel 2.2) wird sich zukünftig auch auf den Filmmarkt auswirken. Dies betrifft einerseits die fortschreitende Konvergenz von Fernsehapparat und Computer, andererseits den Ausbau von Video-on-Demand-Angeboten im Internet, an denen öffentlich-rechtliche Anstalten wie private Anbieter beteiligt sind. 105 Darüber hinaus drängen Videoon-Demand-Dienste in den Markt, die Filme und Serien per Download zum Kauf oder Verleih anbieten, was auf Dauer Auswirkungen auf die Video- und DVD-Nutzung haben könnte. Über die Nutzung der AbrufPortale liegen indes keine veröffentlichen Zahlen vor. Viel Aufmerksamkeit hat in den letzten Jahren der (illegale und legale) Download von Filmen über das Internet gefunden. Der Sorge, dass es der Filmwirtschaft mit ihrem Angebot ähnlich ergehen könnte wie der Musikindustrie (vgl. Kapitel 1.2), treten die Konzerne unter anderem mit der Strategie entgegen, ihr Angebot selbst online verfügbar zu machen und zum anderen die Kaufprodukte durch zusätzliche Beigaben attraktiv zu machen. Darüber hinaus beteiligen sich die Anbieter von Kinofilmen intensiv an der Diskussion über Urheberrechte und bemühen sich, insbesondere vor dem Hintergrund der besonderen Verletzlichkeit der Filmauswertung durch Raubkopien vor dem Kinostart, geeignete technische Verfahren zu entwickeln, die ihre wirtschaftlichen Interessen schützen. Die nicht immer parallele Auswertung der Filme in unterschiedlichen Verbreitungsgebieten führt dazu, dass in einigen Ländern bereits Kinofilme im Pay-per-View- oder Pay-TV existieren können. Um zu verhindern, dass diese Fassungen den Kinomarkt bedrohen, wird bei der Fernsehausstrahlung mittlerweile ein technisches Verfahren eingesetzt, das eine hochwertige Aufnahme als Grundlage für eine etwaige Vervielfältigung verhindert. Über die tatsächliche quantitative Bedeutung der Filmdownloads über das Internet liegen sehr unterschiedliche Angaben vor. Wie aber eine Studie für die Filmförderungsanstalt (FFA) zur Verfügbarkeit aktueller Kinofilme zum Download ergab, kann man mittlerweile davon ausgehen, dass nahezu alle Filme, die auf ein größeres Publikumsinteresse stoßen, zum Kinostart auch – zumeist illegal – im Netz verfügbar sind. 106 Die besser überblickbaren Zahlen der legalen Downloads von Filmen dokumentieren zwar, dass aufgrund technischer Schwierigkeiten der Download von Filmen bei weitem nicht die Ausmaße erreicht hat, wie dies bei Musik der Fall ist; die großen Zuwachsraten deuten aber auf ein erhebliches Potenzial dieses Verbreitungsweges für Filme hin. 107 Die oben angesprochene Ausweitung des Kaufmarktes hat für die Entwicklung der für die Filmförderung zur Verfügung stehenden Mittel positive Folgen, da die Mittel aus der Filmabgabe der Videowirtschaft in den Haushalt der Filmförderungsanstalt und dort neben freiwilligen Beiträgen der Fernsehveranstalter den größten Einnahmeposten ausmachen (vgl. Tabelle 1.3.2.3). Dadurch konnte auch die Summe der Fördermaßnahmen zwischen 2000 und 2006 nahezu verdoppelt werden. 105 Seit 2007 bietet etwa das ZDF in seiner Online-Mediathek ungefähr die Hälfte des eigenproduzierten Programms für sieben Tage nach Ausstrahlung zur Ansicht an. Einige Formate bleiben länger verfügbar, ebenso bei den ARD-Anstalten, die bestimmte Sendungen wie unter anderem „Beckmann“ oder „Panorama“ sowie die „Tagesschau“ über längere Dauer mittels einer Archivfunktion anbieten. Während die Web-Inhalte der öffentlich-rechtlichen Sender kostenfrei abrufbar sind, haben die privaten Anbieter virtuelle Vertriebsportale wie „RTL Now“ (RTL) und „Maxdome“ (ProSiebenSat.1) gestartet, um ihr Programmvermögen zu vermarkten. 106 Vgl. Turecek/Bärner/Roters 2007, S. 346. 107 Vgl. BVV 2007, S. 17. 65 1. Einzelne Medienbereiche Tabelle 1.3.2.3: Einnahmen und Ausgaben der FFA von 2000-2006 in Tsd. Euro 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 78.741 73.169 75.485 71.169 77.374 77.115 66.223 1.717 4.423 4.422 4.171 3.757 4.798 3.103 17.332 20.221 20.397 19.601 20.691 19.200 16.311 Filmabgabe der Videowirtschaft (§ 66a FFG) 6.989 10.046 13.736 15.458 16.252 19.276 17.853 Filmabgabe der Videowirtschaft (Vergleich vom 23.12.1999) 24.835 1.039 137 31 0 0 0 Rückzahlung und Tilgung 3.195 2.923 3.878 4.095 9.135 6.739 6.693 Entnahme aus Rückstellungen 5.851 1.262 102 0 1.500 0 0 Überschüsse aus dem Vorjahr 5.575 21.444 20.017 16.738 4.049 8.330 4.189 Zuführungen der Fernsehsender 11.867 10.405 10.658 9.927 13.239 15.734 15.913 Sonstige Zuführungen 1.379 1.406 2.138 1.148 7.183 897 836 36.427 52.621 53.631 56.428 53.624 73.125 68.005 3.313 3.062 3.015 3.034 3.254 3.179 3.319 32.234 48.678 49.691 52.547 46.903 67.879 62.045 Rückstellungen 383 869 925 900 3.467 2.067 2.641 Immobilienerwerb 497 12 0 0 0 0 0 Summe der Einnahmen Zinsen und Verwaltungseinnahmen Filmabgabe Ausgaben gesamt Verwaltungskosten Förderungsmaßnahmen Quelle: FFA 2007. Zahlen für 2007 sind ab Sommer 2008 verfügbar. Die Filmförderungsanstalt fördert den deutschen Film und stärkt den Bestand einer nationalen Filmwirtschaft. Neben dieser Förderinstitution und dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien sind die Bundesländer mit einer Vielzahl eigener Fördermaßnahmen an der Bestandssicherung des deutschen Films aktiv (vgl. Tabelle 1.3.2.4; zur Änderung durch das FFG s. Kapitel 1.3.4.2.1). Auch die beim Publikum besonders beliebten und wirtschaftlich überaus erfolgreichen Produktionen der letzten Jahre wie z. B. „Der Schuh des Manitu“ oder „Good bye Lenin“ wurden wie der ganz überwiegende Teil der programmfüllenden deutschen Filmprojekte mit Mitteln der Filmförderung finanziert. 66 1.3. Film und Video Tabelle 1.3.2.4: Übersicht Filmförderung von Bund und Ländern 2007 (Haushaltsansätze in Mio. Euro) Haushaltsansatz Bundesbeauftragter für Kultur und Medien 92,221) Filmförderungsanstalt 76,98 Filmstiftung NRW 34,69 Medienboard Berlin-Brandenburg 29,75 FFF-Bayern 27,35 Mitteldeutsche Medienförderung 17,66 Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein 10,83 Nordmedia 10,57 Medien- und Filmgesellschaft Baden-Württemberg mbH Summe 8,47 308,52 1) Darin enthalten: 60 Millionen Euro für den Deutschen Filmförderfonds (DFFF). Quelle: FFA 2008b. 1.3.2.4 Wirtschaftliche Bedeutung des audiovisuellen Filmerbes Eine bedeutende Funktion erfüllt die Förderung des Bundes und der Länder zudem bei der Restaurierung und damit ermöglichten Vermarktung von historischen Film- und Fernsehproduktionen. Ein Beispiel für die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privatwirtschaftlichen Partnern ist die Neuveröffentlichung von Rainer Werner Fassbinders 14-teiligem Fernsehfilm „Berlin Alexanderplatz“ auf sechs DVDs. Die digitale Restaurierung der 15-stündigen Produktion wurde auf den Berliner Filmfestspielen 2007 vorgeführt und sorgte weltweit für Aufsehen. Möglich wurde die aufwändige Überarbeitung von Bild und Ton unter Zuhilfenahme neuer Remastering-Technologien durch öffentliche Fördergelder. Neben der Kulturstiftung des Bundes und der FFA beteiligten sich auch die Filmstiftung Nordrhein-Westfalen, das Medienboard BerlinBrandenburg und der FilmFernsehFonds Bayern sowie German Films mit Unterstützung des Museum of Modern Art in New York und die Rainer Werner Fassbinder Foundation an der finanziellen Realisierung des Projektes. Das große internationale Interesse führte bis Ende 2007 zum erfolgreichen Verkauf der Auswertungsrechte an 14 Staaten, darunter Frankreich, Großbritannien, Italien und die USA. Die Vermarktung älterer Produktionen hat sich zu einem Geschäftszweig entwickelt, der mittels der DVDVeröffentlichung von Katalogtiteln aus Film und Fernsehen auf dem nationalen Markt, aber auch im Hinblick auf internationale Lizenzverkäufe wächst. Während beispielsweise ein Großteil der US-amerikanischen Fernsehserien und viele non-fiktionale Unterhaltungsformate auch retrospektiv bereits auf den internationalen Heimvideo-Märkten erhältlich sind, gibt es in Deutschland diesbezüglich noch erhebliches Wachstumspotenzial. Bisher wurden neben den Arbeiten Rainer Werner Fassbinders auch einige weitere digital überarbeitete Produktionen aus der deutschen Film- und Fernsehgeschichte wie die Filme Volker Schlöndorffs und Fritz Langs „Metropolis“ international vermarktet. Langs Stummfilm wurde überdies als erster Spielfilm in das Weltdokumenterbe der UNESCO aufgenommen. 108 Dabei zeigt das Beispiel der internationalen DVDVermarktung der „Heimat“-Trilogie von Edgar Reitz, dass Katalogtitel aus Deutschland im Ausland erfolg- 108 Das Register „Memory of the World“ der UNESCO soll als „Weltgedächtnis“ der Menschheit fungieren, indem es im Internet dauerhaft auf bedeutsame Kulturdokumente einzelner Nationen verweist und die betreffenden Bewahrungsstellen mit einem Zertifikat bzw. einer Plakette auszeichnet (vgl. Edmondson 2002). 67 1. Einzelne Medienbereiche reich im hohen Preissegment positioniert werden können. Die Förderung von Digitalisierungsanstrengungen im Bereich des audiovisuellen Erbes kann somit zur Stärkung der heimischen Wirtschaftsbetriebe auf nationaler und internationaler Ebene beitragen, womit auch der verbesserten Zugänglichkeit und Verbreitung bedeutender kultureller Erzeugnisse Vorschub geleistet wird. 1.3.3 Nutzung 1.3.3.1 Kinonutzung Mit der Wiedervereinigung setzten einschneidende Veränderungen der deutschen Filmlandschaft ein. Das Angebot erreichte in den neuen Bundesländern ein neues Publikum, und die Neustrukturierung der ostdeutschen Kinolandschaft trug dazu bei, dass sich die Kinolandschaft insgesamt veränderte. So entstanden neben den traditionellen Kinos zahlreiche neue Spielstätten in Ostdeutschland. Die Besucherzahlen der Kinos stiegen in den 1990er-Jahren an und erreichten im Jahr 2001 ihren Spitzenwert von 177,9 Mio. Besuchern, 109 fielen seitdem allerdings wieder und betrugen 2007 125,4 Millionen. Im Durchschnitt ging jeder Deutsche im Jahr 2007 1,5-mal ins Kino. Tabelle 1.3.3.1: Filmtheaterbesucher 1996-2007 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 143,1 148,9 149,0 152,5 177,9 163,9 149,0 156,7 127,3 136,7 125,4 Veränderungen gegenüber Vorjahr in Prozent --- +4,0 +0,1 +2,4 +16,6 -7,9 -9,1 +5,2 -18,8 +7,4 -9,0 Anzahl der Kinobesuche pro Person und Jahr 1,7 1,8 1,8 1,9 2,2 2,0 1,8 1,9 1,5 1,7 1,5 Anzahl in Mio. Quelle: Spitzenorganisation der Filmwirtschaft 2007, S. 43; eigene Berechnungen. Der Anteil der Deutschen, die mindestens einmal pro Jahr ins Kino gehen, ist in den letzten Jahren trotz einiger Schwankungen leicht angestiegen und betrug 2007 39 Prozent (vgl. Tabelle 1.3.3.2). Kinofilm war und ist insbesondere das Medium der Jüngeren. Bis 2000 erreichte das Kino die Gruppe der 16- bis 19Jährigen besser als alle anderen Altersgruppen; die entsprechenden Anteile der Kinogänger von über 80 Prozent waren im gesamten betrachteten Zeitraum der deutliche Spitzenwert. Seit 2004 werden die jüngeren Altersgruppen nicht mehr in fünf-, sondern in zehn-Jahres-Schritten zusammengefasst. Die Teenager sowie die 20-30jährigen haben seitdem in etwa ähnliche Anteile von Kinogängern, die um die 70 Prozent schwanken. Für die übrige Bevölkerung gilt: Je älter die betrachteten Gruppen, desto geringer ist der Anteil der Kinogänger. Jedoch zeigt sich im Langzeitvergleich, dass die gravierenden Unterschiede zwischen den Altersgruppen schrittweise abnehmen. 110 109 Dieser Spitzenwert wird u. a. auf den herausragenden Erfolg des Films „Der Schuh des Manitu“ zurückgeführt. 110 Vgl. Keil/Milke 2007. 68 1.3. Film und Video Tabelle 1.3.3.2: Kinogängeranteil in der deutschen Bevölkerung nach Altersgruppen (in Prozent) 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Unter 10 Jahre 37 37 40 38 36 41 k. A. 10-15 Jahre 66 70 67 60 79 67 55 16-19 Jahre 81 83 81 89 80 73 68 20-24 Jahre 69 79 76 85 85 78 70 25-29 Jahre 62 65 63 67 75 75 65 30-39 Jahre 43 47 44 50 64 58 40-49 Jahre 31 35 29 34 47 50-59 Jahre 16 19 14 17 6 8 6 34 37 34 60 Jahre und älter Gesamt 2004 2005 2006 2007 k. A. k. A. k. A. k. A. 69 66 70 63 72 63 68 65 52 54 51 57 53 44 39 44 39 45 41 25 26 26 20 18 20 16 7 11 11 13 37 44 42 38 43 39 43 39 Quelle: FFA 2003, 2008a sowie SPIO 2003. Die in Abschnitt 1.3.1 dargestellten Entwicklungen in Bezug auf Angebot und Umsatzanteile von deutschen und amerikanischen Filmen zeigen sich in ähnlicher Tendenz auch in Bezug auf die Anteile am Besuchermarkt: Seit 1998 ist ein Ansteigen des Besuchs deutscher Filme zu beobachten (vgl. Tabelle 1.3.3.3). 2004 und 2006 hatten diese jeweils einen Marktanteil von etwa einem Viertel aller Kinobesuche, im Jahr 2007 betrug der Anteil 18,9 Prozent und lag damit in etwa auf dem Wert der Jahre 2003 und 2005. Tabelle 1.3.3.3: Kinobesucher und Marktanteile deutscher Filme 1998-2007 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Besucher in Mio. 23,9 13,5 19,8 18,0 30,9 19,0 25,3 36,7 21,5 34,7 23,4 Marktanteil deutscher Filme in % 17,3 9,5 14,0 12,5 18,4 11,9 17,5 23,8 17,1 25,8 18,9 Quelle: Fünfjahresvergleiche der FFA 1997 bis 2001 sowie 2002 bis 2007; abrufbar unter http://www.ffa.de/start/index.phtml?page=marktdaten, zuletzt aufgerufen am 15.3.2008. 1.3.3.2 Video- und DVD-Nutzung Seit Mitte der 80er-Jahre hat der Videorekorder in deutschen Haushalten ein Plateau von etwa zwei Dritteln der Haushalte erreicht; Anfang 2007 lag der Wert bei 67 Prozent der Haushalte. 111 Gemessen an dieser hohen technischen Verbreitung ist die tatsächliche Nutzung von Video und DVD jedoch vergleichsweise gering: Die Langzeitstudie Massenkommunikation wies für das Jahr 2005 eine tägliche Reichweite von vier Prozent und eine durchschnittliche Nutzungsdauer von fünf Minuten pro Tag und pro Person aus. 112 Den Ergebnissen der GfK-Zuschauerforschung zufolge nutzten im Jahr 2006 an einem durchschnittlichen Wochentag 17,5 Prozent der Personen in Haushalten mit Videorekorder das Gerät für mindestens eine Minute zur Wiedergabe von Kassetten. 113 Wie in den Vorjahren lässt sich beobachten, dass mehr Fremdkassetten (Leih- oder Kaufkassetten) als selbst aufgenommene Kassetten abgespielt werden. Im Jahr 2006 gaben fünf Prozent der Perso111 Vgl. Turecek/Bärner/Roters 2007, S. 347; BVV 2007, S. 3. 112 Vgl. Reitze/Ridder 2006, S. 36, 46. 113 Vgl. Turecek/Bärner/Roters 2007, S. 350. 69 1. Einzelne Medienbereiche nen, die einen Videorekorder besitzen, an, selbst aufgenommene Kassetten abgespielt zu haben, während zwölf Prozent eine Fremdkassette abspielten. 114 Aus den Daten der Fernsehzuschauerforschung darüber, wie viel die Haushalte mit Videorekorder aufzeichnen, lässt sich folgern, dass nur etwa die Hälfte der per Video aufgezeichneten Programme auch tatsächlich später gesehen wird. Die Hauptabspielzeiten des Videorekorders liegen werktags in der späten Prime Time, also zwischen 21 und 22 Uhr, sowie an Wochenenden. Die letzten Jahre sind geprägt durch die rasante Verbreitung der DVD. Die Ausstattungsquote der Haushalte mit DVD-Playern betrug nach Angaben der GfK Anfang 2007 bereits 69 Prozent; damit gibt es mittlerweile mehr Haushalte mit DVD-Playern als mit Videorekordern. Andere Datenquellen gehen von noch höheren Ausstattungsquoten von bis zu 78 Prozent aus. 115 Bezieht man Heimcomputer und Spielekonsolen, die zur Wiedergabe von DVDs genutzt werden können, mit ein, kann man annähernd von einer Vollversorgung der deutschen Haushalte mit Geräten zur DVD-Wiedergabe sprechen. 116 Auch die Nutzung von VHSRekordern zur Aufzeichnung von Fernsehprogrammen geht im Zuge der Verbreitung von DVD- und Festplattenrekordern zunehmend zurück. Wie die Studie „Jugend, Information, (Multi-)Media“ 117 aus dem November 2007 zeigt, sind bereits 42 Prozent der Haushalte, in denen Jugendliche im Alter zwischen 12 und 19 Jahren leben, mit einem DVD-Rekorder ausgestattet, die Hälfte davon verfügt zudem über eine integrierte Festplatte. Im DVD- und VHS-Verleihmarkt überwiegen Männer, die 2006 für 62 Prozent des Gesamtumsatzes verantwortlich waren. Hauptnutzer von Videotheken sind nach wie vor die 20- bis 29-Jährigen mit 43 Prozent 118 . Im Verleih von DVDs dominieren vor allem publikumsträchtige internationale Produktionen (insbesondere US-amerikanische), womit dieser Teilmarkt ein Abbild des Kinomarktes darstellt. Deutsche Produktionen sind eher selten auf den ersten zehn Plätzen zu finden. 2002 gelang dies der Komödie „Der Schuh des Manitu“ (Platz 1 der VHS-Charts und Platz 2 der DVD-Rangliste) und 2003 der Produktion „Good bye Lenin“, die sich im DVD-Verleih auf Platz acht platzieren konnte, in den VHS-Charts aber nicht unter die ersten zehn kam. Bei Verleih von VHS-Kassetten, die am Gesamtverleihumsatz nur noch einen unbedeutenden Anteil haben, ist in den letzten Jahren der Trend zu beobachten, dass diese Technik am ehesten für Kinder genutzt wird. Unter den Käufern von DVDs hat seit 2002 der Anteil von Frauen leicht zugenommen, beträgt mit 37 Prozent jedoch weiterhin deutlich weniger als der Anteil männlicher Käufer. 119 Ausgeprägter ist die Verschiebung in der Altersstruktur: Der Anteil von Käufern über 40 Jahren stieg von 26 Prozent (2002) auf 43 Prozent (2006), was aus der Perspektive der Branche für eine zunehmende Diversifizierung der Käufersegmente spricht: Die DVD breitet sich Schritt für Schritt aus den besonders technikaffinen Segmenten (Jüngere, Männer) in breite Bevölkerungsschichten aus. Entsprechend den unterschiedlichen Käufergruppen unterscheiden sich VHS- und DVD-Kaufmarkt deutlich hinsichtlich der erfolgreichsten Produktionen. Im DVD-Bereich stehen vor allem internationale Unterhaltungsproduktionen im Vordergrund, im Jahr 2006 z. B. „Harry Potter und der Feuerkelch“, „Fluch der Karibik 2“ sowie die „Der Herr der Ringe“-Trilogie. Der VHS-Kaufmarkt ist hingegen mittlerweile weitgehend von Kinderfilmen geprägt; 2006 waren unter den zehn meistverkauften VHS-Kaufkassetten acht Kinderfilme. 120 114 Vgl. ebd. 115 Vgl. ag.ma 2007. 116 Vgl. Turecek/Bärner/Roters 2007, S. 347. 117 Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2007. 118 Vgl. BVV 2007, S. 14. 119 Vgl. BVV 2007, S. 4. 120 Vgl. Turecek/Bärner/Roters 2007, S. 349. 70 1.3. Film und Video 1.3.4 Recht und Regulierung Der Bereich der Film- und Videowirtschaft wird – ähnlich dem Tonträgermarkt – nicht spezifisch reguliert, ein „Filmrecht“ im engeren Sinne gibt es, mit Ausnahme der im Filmförderungsgesetz konkretisierten Filmförderung für Drehbücher, die Produktion und den Vertrieb deutscher Filme und die Regelung von Sperrfristen für deutsche Produktionen zum Schutz der einzelnen Verwertungsstufen nicht. Praktische Relevanz haben allerdings auch hier vor allem das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte (s. dazu Kapitel 2.5). Daneben spielt für die Verbreitung von Filmen das Jugendschutzrecht eine wichtige Rolle (Kapitel 2.6). 1.3.4.1 Rechtsrahmen Die Filmfreiheit ist aufgrund der Bedeutsamkeit für die Kultur und die Meinungsbildung in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG ausdrücklich geschützt. Der Filmbegriff unterliegt dabei dem Wandel der Technik: Während unter „Film“ früher durch die Art der Verkörperung von Informationen die Fixierung von Bilderreihen auf Streifen aus Zelluloid verstanden wurde, so ist in Zeiten elektronischer Speicherung und Übertragung analoger oder digitaler Daten ein weiteres Verständnis durch bewegt erscheinende Bilder getreten. Zur Abgrenzung taugt – wie bei den anderen Medien auch – der Verbreitungsmodus. Kennzeichnend ist – in Anlehnung an eine herkömmliche Besonderheit des „Kinofilms“ – die Gebundenheit des Orts des Vorführens („Abspielens“) in der Öffentlichkeit. Film ist nach diesem Verständnis die für die Allgemeinheit geeignete und bestimmte Produktion und ortsgebundene Verbreitung von Informationen in Form von Darbietungen aller Art (in Wort, Ton und Bild) mit Hilfe von Bewegtbildern. 1.3.4.1.1 Europarechtliche Einflüsse Im Bereich des Urheberrechts hat die Europäische Union eine Vielzahl von Richtlinien erlassen, die mitteloder unmittelbar auf das deutsche Urheberrecht Einfluss genommen haben. 121 Relevanz für die Gestaltung des deutschen Urheberrechts hatte dabei im Berichtszeitraum die 2001 erlassene EU-Informationsrichtlinie (s. auch Kapitel 2.5). 122 Die Bedeutung des EU-Beihilfrechts nimmt daneben zu, nachdem EuGHEntscheidungen bestimmte Mindestanforderugen an nationale Filmförderinstrumente stellten. 123 121 Vgl. nur Richtlinie 92/100/EWG des Rates v. 19.11.1992 über das Vermietrecht und Verleihrecht sowie bestimmte dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte im Bereich des geistigen Eigentums, ABl. Nr. L 346/61; Richtlinie 93/83/EWG des Rates v. 27.9.1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, ABl. Nr. L 248/15; Richtlinie 93/98/EWG des Rates v. 29.10.1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABl. Nr. L 290/9; Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, ABl. Nr. L 77/20; Richtlinie 98/71/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 13.10.1998 über den Rechtsschutz von Mustern und Modellen, ABl. Nr. L 289/28; zuletzt Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. Nr. L 167/10. 122 Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. Nr. L 167/10. 123 Vgl. etwa ABl. 1998/C 11/08; ABl. 1998/C 253/11; ABl. 1998/C 279/04; ABl. 1999/C 120/02; ABl. 1999/C 272/04; ABl. 2000/C 134/03; ABl. Nr. L 89/37. 71 1. Einzelne Medienbereiche 1.3.4.1.2 Einfluss des Urheberrechts auf die Praxis Neben den allgemeinen urheberrechtlichen Bestimmungen sieht das Urheberrechtsgesetz 124 in Teil 3 besondere Bestimmungen für Filme vor, die den im Vergleich zu Presse oder Tonträgern gesteigerten Anforderungen an die Rechteübertragungen bei Herstellung und Vertrieb eines Filmwerkes gerecht werden. So konkretisieren die dortigen Vorschriften etwa den Umfang der Rechteübertragung insbesondere an die Filmhersteller (i. d. R. Produzenten). Da Rechteübertragungen in aller Regel ohnehin in urheberrechtlichen (Arbeits-)Vertragsklauseln enthalten sind, übernimmt das Urheberrecht in der Praxis die Funktion von Vermutungsregeln für diejenigen Fälle, in denen keinerlei weitere Absprachen getroffen wurden. Hinzu kommt die fortschreitende Internationalisierung der Akteure in der Filmwirtschaft, wodurch das nationale Urheberrecht wegen des geografisch begrenzten Anwendungsbereiches in internationalen Kontexten in den Hintergrund tritt. Für die deutsche Filmwirtschaft und Filmschaffenden vor Ort ist und bleibt das nationale Urheberrecht weiterhin relevant. Weiteren Einfluss haben urheberrechtliche Vorgaben im Bereich der Herstellung, des Angebots und der Nutzung von Raubkopien (s. dazu unten Kap. 2.5). 1.3.4.1.3 Regulierungskonzept Innerhalb der urhebervertragsrechtlichen Leitlinien und des allgemeinen Zivilrechts sind die an einer Rechteübertragung Beteiligten in ihren Absprachen frei. Insoweit stellt sich die Praxis der Urheberrechts-, Arbeitsund Werkverträge als vor allem marktgesteuert dar. Im Filmbereich gelten teilweise Ausnahmen von den Vorgaben des Urhebervertragsrechts, die dem Produzenten das Lizenzmanagement erleichtern sollen (vgl. §§ 88 ff. UrhG). Im Bereich des Jugendschutzes vergeben die Obersten Landesjugendbehörden auf der Grundlage der FSK-Entscheidungen verbindliche Altersfreigaben für Filmvorführungen und Filme auf Trägermedien. Daneben kann die Bundesprüfstelle BPjM nicht gekennzeichnete, jugendgefährdende Filme indizieren (zum Jugendschutz s. Kapitel 2.6). 1.3.4.1.4 Nicht-staatliche Regulierung Eine institutionalisierte Selbstkontrolle im Bereich der Filmwirtschaft existiert mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) 125 im Bereich des Jugendschutzes (s. Kapitel 2.6). Eine darüber hinausgehende Institution der Selbstregulierung besteht nicht. 1.3.4.2 Novellierungen und Reformen im Berichtszeitraum Von den im Berichtszeitraum erfolgten Gesetzesänderungen und -novellierungen sollen hier diejenigen kurz genannt werden, die sich besonders durch ihre Relevanz für die praktische Arbeit von Filmschaffenden und weiteren Akteuren der Verwertungsketten sowie für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Sektor ausgezeichnet haben. Entsprechende Entwicklungen im Hinblick auf das Urheberrechtsgesetz finden sich in Kapitel 2.5. Erwähnenswert ist daneben der durch die Föderalismusreform 126 bedingte Wegfall der Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bereich Film. Nunmehr haben hier ausschließlich die Länder die Gesetzgebungszuständigkeit; davon unbenommen ist die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bereich der Wirtschaft, auf die sich dieser bei Erlass des FFG stützte (s. u.). 124 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. September 1965, BGBl. I S. 1273, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Dezember 2007, BGBl. I S. 1273. 125 http://www.fsk.de. 126 Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 22, 23, 33, 52, 72, 73, 74, 74a, 75, 84, 85, 87c, 91a, 91b, 93, 98, 104a, 104b, 105, 107, 109, 125a, 125b, 125c, 143c) vom 28. August 2006, BGBl. I S. 2034. 72 1.3. Film und Video 1.3.4.2.1 Filmförderungsgesetz (FFG) Nach dem Einbruch des Marktanteils deutscher Filme in den 70er-Jahren hat der Gesetzgeber vor dem Hintergrund der Gefahr einer kulturellen Verengung von Filminhalten rechtliche Maßnahmen zur Förderung der deutschen Filmproduktion eingeleitet. Durch das so entstandene Filmförderungsgesetz (FFG) 127 wurden Akteure, die vom Kinofilm profitieren, zur Zahlung eines angemessenen Beitrags zur Finanzierung der Produktion und der Verbreitung von Kinofilmen verpflichtet. Das FFG sieht eine gesetzliche Abgabe der Kinobetreiber und Videoprogrammanbieter sowie freiwillige Beiträge der öffentlich-rechtlichen und privaten Fernsehsender sowie von Anbietern individueller Zugriff- und Abrufdienste an die Filmförderungsanstalt 128 vor, die diese Gelder zur Förderung des deutschen Films und zur Verbesserung der Struktur der deutschen Filmwirtschaft nutzt. Unterstützt werden viele am Film beteiligte Gruppen, so z. B. Autoren, Produzenten, Verleiher und Kinobetreiber, nicht aber Regisseure. Die am 01. Januar 2004 in Kraft getretene Novelle des FFG 129 hat das System der Filmförderung reformiert, die Förderbereiche neu gewichtet und die Einnahmen der Filmförderungsanstalt erhöht. Daneben wurde die Referenzfilmförderung erweitert, also die Förderung für Hersteller von Produktionen, die entweder ein großes Publikum in das Kino locken konnten oder aber international bedeutsame Preise oder Festivalerfolge erhalten haben. Außerdem sind eine verstärkte Außenvertretung, ein verbessertes Marketing des deutschen Films sowie die Möglichkeit der Lockerung von Sperrfristen zur Auswertung von geförderten Kinofilmen etwa im Fernsehen Bestandteile der FFG-Novelle. Aufgrund der Erhöhung der Kinoabgabe auf durchschnittlich rund 2,6 Prozent des Bruttoumsatzes hat der Hauptverband Deutscher Kinobetreiber e.V. vor dem Hintergrund einer Ungleichbehandlung von Kinobetreibern und Fernsehveranstaltern, die ihre Abgaben lediglich auf freiwilliger Basis leisten, die Novelle scharf kritisiert. Im Jahre 2007 begannen die Diskussionen um eine Novellierung des FFG, an der sich bis Ende 2007 eine Vielzahl von Akteuren mit positiven wie mit kritischen Stellungnahmen beteiligte. Schwerpunkte der Stellungnahmen bildeten die Ausweitung der Auswertungsplattformen und damit der Vergrößerung der Zahlergruppen, die mögliche Anpassung der Beitragshöhen, die mögliche Modernisierung und Anpassung der Auswertungsfenster sowie die mögliche bessere Förderung von Marketingmaßnahmen. Das FFG wird im Laufe des Jahres 2008 novelliert und soll in neuer Fassung am 1. Januar 2009 in Kraft treten. Neben der Bundesförderung durch das FFG und die BKM-eigene Filmförderung einschließlich des DFFF (s. unten) fördern auch die einzelnen Bundesländer die Filmwirtschaft durch landeseigene Filmförderanstalten. Weitere Fördermaßnahmen sind daneben Preisverleihungen. 1.3.4.2.2 Deutscher Filmförderfonds (DFFF) Die am 01. Januar 2007 in Kraft getretene Richtlinie des BKM „Anreiz zur Stärkung der Filmproduktion in Deutschland“ (Deutscher Filmförderfonds) sieht die Möglichkeit staatlicher Zuwendungen für Filmhersteller mit Sitz oder Niederlassung im Inland vor, wenn mindestens 25 Porzent der Herstellungskosten im Inland ausgegeben werden. Die parallel zu der Filmförderung nach dem FFG mögliche Zuwendung in Form einer Produktionskostenerstattung ist auf bis zu 20 Prozent der deutschen Herstellungskosten und maximal 4 Millionen Euro pro Filmvorhaben begrenzt. Die Abwicklung erfolgt über die FFA. Dem DFFF stehen in den Jahren 2007 bis einschließlich 2009 jährlich 60 Millionen Euro zur Verfügung. Mit dem Deutschen Filmförder- 127 Filmförderungsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 24. August 2004, BGBl. I S. 2277. 128 http://www.filmfoerderungsanstalt.de. 129 Viertes Gesetz zur Änderung des Filmförderungsgesetzes vom 22. Dezember 2003, BGBl. I. S. 2771. 73 1. Einzelne Medienbereiche fonds sollen die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Filmwirtschaft erhalten und nachhaltige Impulse für den Produktionsstandort Deutschland gesetzt werden. Die Etablierung des DFFF stieß in der Filmwirtschaft auf relativ breite Zustimmung, kritisiert wurde vor allem von Seiten kleiner unabhängiger Produzenten und der Verleiher die aus ihrer Sicht zu stark auf die Seite der (Groß-)Produktion fokussierte Maßnahme, da für den Verleih eine Zuwendung über den DFFF nicht in Betracht kommt. 1.3.4.2.3 Jugendschutz & Filmfreigaben durch die FSK Die Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) ist eine Organisation der freiwilligen Selbstkontrolle nach dem JuSchG 130 (s. Kapitel 2.6). Die von der FSK ausgesprochenen Altersfreigaben für Kinofilme werden von den Ländern als eigene Entscheidung der zuständigen Obersten Landesjugendbehörde übernommen (vgl. § 14 Abs. 6 JuSchG). Die FSK-Ausschüsse sprechen Freigaben nach der gesetzlichen Vorgabe aus, dass Filme und vergleichbare Bildträger, „die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen“, nicht für ihre Altersstufe freigegeben werden dürfen. Hierbei ist grundsätzlich das Wohl der jüngsten Jahrgänge einer Altersgruppe zu beachten. Ebenso sind nicht nur durchschnittliche, sondern auch gefährdete Kinder und Jugendliche zu berücksichtigen. Die Altersfreigaben sind im Jugendschutzgesetz geregelt (§ 14 Abs. 2 JuSchG) und sehen Freigaben ohne Altersbeschränkung, ab sechs Jahren, ab zwölf Jahren und ab sechzehn Jahren vor. Das frühere Kennzeichen „Nicht freigegeben unter 18 Jahren“ wird nach der Jugendschutzgesetz-Novelle im Jahr 2003 mit „Keine Jugendfreigabe“ betitelt. Gekennzeichnete Filme, Videos und DVDs werden von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) nicht indiziert. Die Novellierung des JuSchG war 2003 Bestandteil einer umfassenden Reform des Jugendmedienschutzes; derzeit wird über eine Änderung des JuSchG diskutiert (s. dazu ausführlich Kapitel 2.6). 1.3.4.2.4 Aufnahme von Vorschriften zur Film- und Fernsehförderung in den RStV Um das kulturelle Gewicht des Films für den Rundfunk allgemein hervorzuheben und die Bedeutung der Filmförderung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk für die kulturelle Vielfalt, die Verbesserung der Produktionsqualität und der Sicherung eines vielfältigen Produktionsmarktes zu verdeutlichen, wurde § 6 RStV durch den 7. RÄStV 131 um zwei neue Absätze ergänzt. In Abs. 1 wird klargestellt, dass die Fernsehveranstalter innerhalb ihres Programmauftrags zur Sicherung von deutschen und europäischen Film- und Fernsehproduktionen als Kulturgut sowie als Teil des audiovisuellen Erbes beitragen. Der neue Abs. 4 enthält die ausdrückliche Ermächtigung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, sich nach Maßgabe bestimmter Voraussetzungen an Filmförderungen zu beteiligen. Insofern wird die bestehende Praxis der Filmförderaktivitäten der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten anerkannt, allerdings lässt die neue Vorschrift es ausreichen, wenn die Beteiligung das Angebot an sendefähigen Programmen ganz allgemein fördert, ein direkter Zusammenhang zwischen einer Beteiligung und der eigenen Programmbeschaffung muss nicht vorliegen. Landesrechtliche Regelungen zur Filmförderung durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, die teilweise über die Ermächtigung in § 6 Abs. RStV hinausgehen, bleiben von der Vorschrift unberührt. 130 Jugendschutzgesetz vom 23. Juli 2002, BGBl. I S. 2730. 131 Siebter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge, s. etwa GBl. HH 17/Nr. 12 v. 03.03.2004, S.108; GVBl. Berlin 2003 Nr. 47 v. 17.12.2003, S. 613; GVBl. NRW 2004 Nr. 3 v. 30.01.2004, S. 34. 74 1.3. Film und Video 1.3.5 Quellenangaben zu Kapitel 1.3 ag.ma – Arbeitsgemeinschaft Media-Analyse e. V. (2007): Media-Analyse 2007 Radio I. Frankfurt/Main. Bundesverband Audiovisuelle Medien (BVV) (2004): Business Report 2003/2004. Abrufbar unter http://www.bvvmedien.de/facts/JWB2003.pdf, zuletzt aufgerufen am 25.3.2005. Bundesverband audiovisueller Medien (BVV) (2007): BVV-Business-Report 2006/2007. Der deutsche Video-Markt. Abrufbar unter http://www.bvv-medien.de/jwb_pdfs/JWB2006.pdf, zuletzt aufgerufen am 15.1.2008. Edmondson, Ray (2002): Memory of the World. General Guidelines to Safeguard Documentary Heritage. Paris: UNESCO. Filmförderungsanstalt (FFA) (2003): Die Kinobesucher 2002. Berlin. Filmförderungsanstalt (FFA) (2007): Geschäftsbericht 2006. Berlin. Filmförderungsanstalt (FFA) (2008a): Die Kinobesucher 2007. Berlin. Filmförderungsanstalt (FFA) (2008b): FFA-info, Ausgabe 1/08 vom 06. Februar 2008; abrufbar unter http://www.filmfoerderungsanstalt.de/downloads/publikationen/ffa_intern/FFA_info_1_2008.pdf Keil, Klaus/Milke, Felicitas (2007): Demografie und Filmwirtschaft. Studie zum demographischen Wandel und seinen Auswirkungen auf Kinopublikum und Filminhalte in Deutschland. Potsdam. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (Hg.) (2007): JIM 2007. Jugend, Information, (Multi-)Media. Basisstudie zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger in Deutschland. Stuttgart: MPFS. Reber, Ursula (2007): Ökonomie des digitalen Kinos. Wirtschaftliche Analyse aktueller Marktanbieter. Saarbrücken. Reitze, Helmut/Ridder, Christa-Maria (2006): Massenkommunikation VII. Eine Langzeitstudie zur Mediennutzung und Medienbewertung 1964-2005. Frankfurt. Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) (2003): Filmstatistisches Jahrbuch 2003. Baden-Baden. Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) (2007): Filmstatistisches Jahrbuch 2007. Baden-Baden. Turecek, Oliver/Bärner, Helmut/Roters, Gunnar (2007): Videomarkt und Videonutzung 2006. Eine Zwischenbilanz des Strukturwandels. In: Media Perspektiven 7/2007, S. 345-352. 75 1.4 RUNDFUNK 1.4.1 ANGEBOTE UND INHALTE ................................................................................................... 79 1.4.1.1 1.4.1.1.1 1.4.1.1.2 1.4.1.1.3 1.4.1.2 1.4.1.3 1.4.2 WIRTSCHAFT UND ORGANISATION ................................................................................. 85 1.4.2.1 1.4.2.2 1.4.2.2.1 1.4.2.2.2 1.4.3 ÖFFENTLICH-RECHTLICHER RUNDFUNK ................................................................................ 86 PRIVATER RUNDFUNK ........................................................................................................... 88 Privates Fernsehen ............................................................................................................... 88 Privater Hörfunk................................................................................................................... 89 NUTZUNG UND WIRKUNG.................................................................................................... 90 1.4.3.1 1.4.3.1.1 1.4.3.1.2 1.4.3.2 1.4.3.2.1 1.4.3.2.2 1.4.4 HÖRFUNK .............................................................................................................................. 79 Öffentlich-rechtliche Hörfunkprogramme............................................................................. 79 Private Hörfunkprogramme.................................................................................................. 79 Digitalradio........................................................................................................................... 81 FERNSEHEN............................................................................................................................ 83 BÜRGERMEDIEN..................................................................................................................... 85 HÖRFUNK .............................................................................................................................. 90 Reichweite und Hördauer ..................................................................................................... 90 Umgang mit dem Radio......................................................................................................... 91 FERNSEHEN............................................................................................................................ 92 Reichweite und Sehdauer ...................................................................................................... 92 Umgang mit dem Fernsehen ................................................................................................. 93 RECHT UND REGULIERUNG................................................................................................ 94 1.4.4.1 1.4.4.1.1 1.4.4.1.2 1.4.4.1.3 1.4.4.1.4 1.4.4.1.5 1.4.4.1.6 1.4.4.1.7 1.4.4.2 1.4.4.2.1 1.4.4.2.2 1.4.4.2.3 1.4.4.2.4 1.4.4.2.5 1.4.4.2.6 1.4.4.2.7 1.4.4.2.8 1.4.4.2.9 1.4.4.2.10 1.4.4.2.11 RECHTSRAHMEN .................................................................................................................... 94 Gesetzgebungskompetenzen .................................................................................................. 95 Europarechtliche Einflüsse ................................................................................................... 96 Rundfunkbegriff..................................................................................................................... 97 Duales System ....................................................................................................................... 97 Regulierungskonzept ............................................................................................................. 98 Nicht-staatliche Regulierung ................................................................................................ 99 Verhältnis von Rundfunkrecht und Telekommunikationsrecht.............................................. 99 NOVELLIERUNGEN UND REFORMEN IM BERICHTSZEITRAUM ................................................. 99 Anpassung des Rechtsrahmens für Rundfunk und Telemedien ............................................. 99 Änderungen der rechtlichen Grundlagen für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten ...... 100 Novellierung des Deutsche-Welle-Gesetzes ........................................................................ 103 Strukturveränderungen auf Ebene der Landesmediengesetze............................................. 104 Organisatorische Anpassungen bei Zulassung und Medienaufsicht................................... 105 Vielfalt & Konzentrationskontrolle ..................................................................................... 105 Lokale und regionale Programminhalte ............................................................................. 105 Nationale Hörfunkquote...................................................................................................... 106 Programmgrundsätze.......................................................................................................... 106 Übertragung von Großereignissen und Kurzberichterstattungsrecht................................. 107 Änderung der Vorschriften für Werbung und Gewinnspiele............................................... 107 77 1. Einzelne Medienbereiche 1.4.4.2.12 1.4.4.2.13 1.4.4.2.14 1.4.4.2.15 1.4.4.2.16 1.4.4.2.17 1.4.5 Jugendschutz ....................................................................................................................... 107 Auskunfts- und Informationsrechte ..................................................................................... 108 Zeugnisverweigerungsrecht, Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbote ....................... 108 Belegungsvorschriften für digitale Übertragungsplattformen ............................................ 108 Regulierung von Annex-Diensten des digitalen Fernsehens ............................................... 109 Datenschutz......................................................................................................................... 110 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 1.4.............................................................................. 111 Tabellenverzeichnis Tabelle 1.4.1.1: Private Hörfunkprogramme nach Bundesländern (Stand: 31.12.2006) Tabelle 1.4.1.2: Programmstrukturen der meistgenutzten Fernsehprogramme im Herbst 2007 Untersuchungszeitraum eine Kalenderwoche; Angaben in Prozent der Gesamtsendezeit Tabelle 1.4.2.1: Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Rundfunks in Deutschland 1995 bis 2006 Tabelle1.4.2.2: Kostendeckungsgrad der privaten Rundfunkveranstalter 2000-2006 (in Prozent) Tabelle 1.4.2.3: Unternehmensgruppen mit Beteiligungen an mehreren Hörfunkprogrammen Tabelle 1.4.3.1: Tägliche Reichweite (Hörer gestern in Prozent) und Hördauer (Minuten pro Tag) des Radios 1995 bis 2007* Tabelle 1.4.3.2: Tägliche Reichweite (Seher gestern in Prozent) und Sehdauer (Minuten pro Tag) des Fernsehens 1995 bis 2007 Tabelle 1.4.3.3: Anteile der Fernsehprogramme an der Fernsehnutzung (Zuschauer ab 3 Jahre, Montag bis Sonntag, rund um die Uhr) 78 1.4. Rundfunk Dieses Kapitel ist dem Hörfunk und dem Fernsehen gewidmet, es geht um Angebote, Veranstalter und Nutzer öffentlich-rechtlichen, privat-kommerziellen und nicht-kommerziellen Rundfunks. Der Bereich der Angebote und Inhalte gibt einen Überblick über die Zahl der Hörfunk- und Fernsehprogramme und deren Publikumsausrichtung, das Unterkapitel „Wirtschaft und Organisation“ stellt die verschiedenen Veranstaltergruppierungen und die Entwicklung nach dem Einbruch des Werbemarktes dar. Bei Nutzung und Wirkung ist insbesondere auf Rundfunk-Reichweiten und die Entwicklung der Nutzungsdauer hinzuweisen. In rechtlicher Hinsicht werden neben den Grundlagen der Rundfunkordnung vor allem die Änderungen durch die in Kraft getretenen Rundfunkänderungsstaatsverträge aufgezeigt. 1.4.1 Angebote und Inhalte 1.4.1.1 Hörfunk Das Hörfunkangebot ist in Deutschland vorrangig regional gegliedert. Die Landesrundfunkanstalten sind jeweils für ein Bundesland (Bayerischer Rundfunk, Hessischer Rundfunk, Radio Bremen, Saarländischer Rundfunk, Westdeutscher Rundfunk) oder für mehrere Bundesländer (Mitteldeutscher Rundfunk, Norddeutscher Rundfunk, Rundfunk Berlin-Brandenburg, Südwestrundfunk) zuständig. Beim privaten Rundfunk ist die Zulassung von Veranstaltern Sache der Länder. Berlin und Brandenburg haben dafür eine gemeinsame Landesmedienanstalt eingerichtet; Gleiches gilt seit 2007 auch für Hamburg und Schleswig-Holstein. Alle anderen Länder haben jeweils eine eigene Landesmedienanstalt und bei der Ausgestaltung des privaten Hörfunks jeweils eigene Schwerpunkte gesetzt. Gemessen an der Bevölkerungszahl ist die Zahl der Hörfunkprogramme in Deutschland relativ gering. Je eine Million Einwohner gibt es rund vier Radioprogramme. Ähnlich ist es in Großbritannien. Demgegenüber gibt es in Italien 28, in Frankreich 31, in Spanien 45 und in den USA 46 Hörfunkstationen je eine Million Einwohner 132 . 1.4.1.1.1 Öffentlich-rechtliche Hörfunkprogramme Die in der ARD zusammengeschlossenen neun Landesrundfunkanstalten veranstalteten 2006 insgesamt 64 Hörfunkprogramme, davon 8 ausschließlich digital verbreitete 133 . Zwei bundesweite Programme stammen vom Deutschlandradio. Hinzu kommt die Deutsche Welle als Rundfunkanstalt des Bundes, die Programme speziell für das Ausland in etwa 30 Sprachen erstellt und verbreitet. Die Landesrundfunkanstalten bieten für ihr Sendegebiet jeweils drei bis acht Hörfunkprogramme, die inhaltlich sehr unterschiedlich profiliert sind. Meist hat jeweils ein Programm für das ganze Sendegebiet seinen Schwerpunkt auf Rock-/Popmusik, ein zweites auf Klassik und Kultur, ein drittes auf Nachrichten, ein viertes auf Musik für Jugendliche. Bei den Rundfunkanstalten, die für mehrere Bundesländer zuständig sind, kommt für jedes Bundesland ein eigenes regionales Programm hinzu. Etwa die Hälfte der öffentlich-rechtlichen Programme enthält auch Hörfunkwerbung, für deren Zeitrahmen allerdings enge Grenzen gelten (vgl. § 15 RStV sowie einzelne landesrechtliche Vorgaben). 1.4.1.1.2 Private Hörfunkprogramme Zum Jahresende 2006 gab es in Deutschland 232 private Hörfunkprogramme, die von den Landesmedienanstalten zugelassen waren und analog ausgestrahlt wurden; 67 Programme wurden digital ausge- 132 Vgl. Bauer 2004, S. 26; Goldhammer 2003, S. 12. 133 Vgl. VPRT 2006, S. 84. In den Hörfunkstatistiken des ARD-Jahrbuchs werden lediglich die mindestens landesweiten analog verbreiteten Programme ausgewiesen. 79 1. Einzelne Medienbereiche strahlt (vgl. Tab. 1.4.1.1). Hinsichtlich ihrer Programmausrichtung sind die privaten Hörfunkprogramme vornehmlich an Programmformaten orientiert, die sich im amerikanischen Hörfunkmarkt entwickelt haben und Musikfarbe und Altersgruppe der Hörerinnen und Hörer verbinden. Das vorherrschende Format ist Adult Contemporary (AC) mit aktueller Rock- und Popmusik, ohne Ecken und Kanten, mit kurzer Moderation und häufigen Spielaktionen für die Hörerbindung in der Zielgruppe der 25- bis 49-Jährigen, die zugleich die kaufkräftige Kernzielgruppe für die Hörfunkwerbung darstellen. Ein wichtiger Typ von Programmformaten ist auch das Contemporary Hit Radio (CHR), das sich vorrangig an 14- bis 29-jährige Teens und junge Erwachsene wendet, viele aktuelle Hits enthält und sich durch hohes Tempo und wenig Wort auszeichnet (ähnlich wie manche Jugendprogramme der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten). Nach einer Zusammenstellung der Landesmedienanstalten werden 2006 von 232 erfassten Programmen allein 89 dem Programmformat AC zugeordnet, weitere 43 Programme boten spezielle Abwandlungen dieses Formats, für die es ebenfalls eingeführte Bezeichnungen gibt. 45 Programme wurden dem CHR-Format und seinen Varianten zugeordnet 134 . Mit 153 Hörfunkprogrammen war 2006 die Mehrheit lokal oder regional ausgerichtet (vgl. Tab. 1.4.1.1). Allein in Bayern wurden 65 Programme dieses Typs gezählt. In Nordrhein-Westfalen sind es 46 Lokalfunkanbieter nach dem landesspezifischen „Zwei-Säulen-Modell“. Hier ist der Veranstalter ein Verein, der nach den Regeln des Rundfunkgesetzes die Vielfalt sichern soll, während die lokalen Zeitungsverleger (als mögliche Wettbewerber auf dem Werbemarkt) und die Kommunen die Möglichkeit zur wirtschaftlichen Beteiligung an einer Betreibergesellschaft bekommen haben 135 . Auch in Sachsen, Baden-Württemberg, Berlin/Brandenburg, Rheinland-Pfalz und im Saarland gibt es lokalen oder regionalen privaten Hörfunk. 134 ALM 2005, S. 311. 135 Vgl. Donges/Steinwärder 1998. 80 1.4. Rundfunk Tabelle 1.4.1.1: Private Hörfunkprogramme nach Bundesländern (Stand: 31.12.2006) Terrestrisch analog verbreitete Programme Bundesland Digitalradios* Bundesweit Landesweit Lokal/ Regional Insgesamt Baden-Württemberg 6 2 16 24 16 Bayern 3 1 65 69 18 Berlin/Brandenburg 7 16 4 27 3 Bremen - 1 - 1 - Hamburg 3 4 - 7 1 Hessen 1 6 - 7 7 Mecklenburg-Vorpommern - 2 - 2 - Niedersachsen - 3 - 3 1 Nordrhein-Westfalen 2 1 46 49 1 Rheinland-Pfalz - 3 3 6 - Saarland 1 2 2 5 7 Sachsen - 4 17 21 4 Sachsen-Anhalt - 4 - 4 7 Schleswig-Holstein 1 3 - 4 2 Thüringen - 3 - 3 - 24 55 153 232 67 Summe * Alle über DAB ausgestrahlten Programme, auch wenn es sich nicht um originäre Programme handelt. Quelle: ALM 2007, S. 310. Aktuellere Daten liegen zum Redaktionsschluss nicht vor. Betrachtet man das Programmangebot für das jeweilige Verbreitungsgebiet, so ist die Auswahl für das Publikum und der Wettbewerb unter den Anbietern meist sehr begrenzt. Dies führt zu einer Homogenisierung der Programme. Nur in Gebieten mit größerer Konkurrenz, vor allem in Berlin, entstehen Spartenprogramme, die sich auf andere Musikrichtungen und andere Zielgruppen ausrichten 136 . Programmvielfalt kann im privaten Hörfunk aber auch dort entstehen, wo Veranstalter nicht nur eines, sondern mehrere Hörfunkprogramme anbieten, so dass sie aus wirtschaftlichen Gründen motiviert sind, unterschiedliche Zielgruppen zu bedienen. Dies ist in Hessen, in Sachsen und in Rheinland-Pfalz zu beobachten 137 . 1.4.1.1.3 Digitalradio Durch die digitale Übertragung des Radiosignals können die Übertragungskapazitäten besser genutzt werden. Dies verspricht zwei technische Vorteile: Die Übertragungsqualität wird verbessert, und es kann dem Publikum im gleichen Frequenzbereich eine größere Anzahl von Programmen angeboten werden. Auf der EUEbene wurde 1985 mit der Entwicklung digitalen Rundfunks begonnen. 1995 wurde der entsprechende technische Standard festgelegt (DAB). Nach mehrjährigen Pilotprojekten begann 1999 der Regelbetrieb. Inzwischen ist in allen Bundesländern digitaler Hörfunk empfangbar, wenn auch noch nicht flächendeckend. 136 Vgl. Bauer 2004, S. 13 ff.; Czygan 2003, S. 84 ff. 137 Bauer 2004, S. 16. 81 1. Einzelne Medienbereiche Ende 2006 wurden in Deutschland 67 private Hörfunkprogramme digital ausgestrahlt (s. Tab. 1.4.1.1). Angesichts der schwer erkennbaren Vorteile und der hohen Kosten der Empfangsgeräte ist das Publikum bislang kaum zu entsprechenden Investitionen bereit. Schätzungen über die Zahl der in Deutschland vorhandenen DAB-Empfänger variieren zwischen 200.000 und 546.000. 138 Auch aus der Sicht der Veranstalter ist die Einführung des digitalen Hörfunks ambivalent. Weil das Frequenzspektrum bei der Digitalisierung besser genutzt wird, gibt es die Chance, mehr Programme kostengünstig zu verbreiten. Andererseits haben die Veranstalter das Risiko, dass sie stärkerem Wettbewerb ausgesetzt werden. Wegen der höheren Kosten durch den parallelen Sendebetrieb im analogen und im digitalen Modus haben diverse private Hörfunkveranstalter die digitale Verbreitung eingestellt. Vor diesem Hintergrund ist nicht absehbar, ob der digitale Hörfunk bei Anbietern und Nutzern so viel Anklang finden wird, dass die für 2015 in Aussicht genommene Abschaltung der analogen Hörfunkübertragung im UKW-Bereich 139 tatsächlich zustande kommen wird. Die Medienanstalt Berlin-Brandenburg hat sich bereits im Dezember 2004 dafür ausgesprochen, den bisherigen Ansatz für digitales Radio nach dem bisher verfolgten DAB-Ansatz (Digital Audio Broadcasting) aufzugeben 140 . Stattdessen seien inzwischen alternative Lösungen möglich, die auch das Frequenzspektrum noch besser nutzen, insbesondere DVB-H (eine Weiterentwicklung des terrestrischen digitalen Fernsehens für Handheld-Geräte) und DMB (Digital Multimedia Broadcasting, eine Weiterentwicklung von DAB). Die nordrhein-westfälische Landesanstalt für Medien (LfM) hat sich dezidiert gegen einen Abbruch der DABVersorgung ausgesprochen und verbesserte gesetzliche Rahmenbedingungen sowie eine öffentliche Förderung aus den Rundfunkgebühren verlangt 141 . Anfang 2005 hat auch die Technische Kommission der Landesmedienanstalten eine Stellungnahme vorgelegt, in der mehrere Optionen verglichen werden. Danach haben die gegenwärtigen DAB-Netze wegen ihrer geringen Feldstärke den Nachteil, dass sie eine mit UKW vergleichbare Empfangsqualität in Gebäuden (Inhouse-Empfang) nicht gewährleisten; gleichwohl sei das standardisierte DAB-System den gegenwärtigen Nutzungsgewohnheiten am besten angepasst, wenn auch mit etwas höheren Verbreitungskosten als DVB-H 142 . Im Oktober 2007 haben die ARD, die Arbeitsgemeinschaft Privater Rundfunk und das Deutschlandradio in einer gemeinsamen „Mainzer Erklärung“ die Absicht bekundet, dass ab 2009 Hörfunk und Ergänzungsinformationen im weiterentwickelten Standard DAB+/DMB über drei Multiplexe mit jeweils 15 Hörfunkangeboten verbreitet werden sollen; für die Zeit ab 2011 wird der Ausbau durch weitere Multiplexe angestrebt. Die Gesamtkonferenz der Landesmedienanstalten hat im November 2007 umfangreiche Leitlinien für eine zukünftige Gestaltung des terrestrischen Hörfunks in Deutschland beschlossen. Andererseits hat die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) in ihrem Ende 2007 vorgelegten 16. KEF-Bericht die Gebührenanmeldungen der Rundfunkanstalten nebst anderem um die Kosten für DAB gekürzt, da „eine Fortführung der DAB-Finanzierung in Form des bisherigen Entwicklungsprojekts nicht in Frage kommt“. 143 Im Forum Digitale Medien, dessen Geschäftsführung beim Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie liegt, wird die weitere Digitalisierung des Hörfunks auch mit der Geräteindustrie diskutiert. 138 Vgl. KEF 2008. 139 BMWA/BMBF 2003, S. 25. 140 Vgl. MABB 2004. 141 Vgl. LfM 2004, S. 3 f. 142 TKLM 2005, S. 6, 9 f. 143 Vgl. KEF 2007, S. 114. 82 1.4. Rundfunk Auch für die Frequenzbereiche im Langwellen-, Mittelwellen- und Kurzwellenbereich wird die Digitalisierung mit dem Ziel besserer Übertragungsqualität bei geringeren Verbreitungskosten vorbereitet. Von dem internationalen Konsortium DRM (Digital Radio Mondiale), in dem seit 1998 Rundfunkveranstalter wie die Deutsche Welle und die BBC und zahlreiche Gerätehersteller mitwirken, wird die Technik bereits erprobt. 1.4.1.2 Fernsehen Mehr als 90 Prozent der Haushalte in Deutschland empfangen Fernsehprogramme mittels Kabel oder Satellit, die eine große Zahl von Kanälen verbreiten können. Die Kabelnetze wurden und werden schrittweise ausgebaut, so dass sie zusätzliche Kapazitäten für die digitale Verbreitung von Fernsehprogrammen, aber auch für Internet-Zugang und Telefonie bieten. Eigene deutsche Rundfunksatelliten gibt es nicht, aber über die Satelliten von Astra und Eutelsat sind für die Haushalte und Hausgemeinschaften mit Satellitenantenne zahlreiche deutschsprachige Programme analog oder digital empfangbar. In jüngster Zeit ist IPTV (Internet Protocol TV) hinzugekommen, die Verbreitung von Fernsehprogrammen per Internet. Die Verfügbarkeit von Fernsehprogrammen, Video on Demand und anderen Diensten wird vom jeweiligen Telekommunikationsunternehmen kontrolliert 144 . Die verschiedenen Verbreitungswege eröffnen vielen Veranstaltern die Möglichkeit, ein überregionales Publikum anzusprechen. Das gilt gleichermaßen für die öffentlich-rechtlichen und die privaten Fernsehprogramme. Eine Differenzierung der Fernsehprogramme erfolgt kaum mehr regional, sondern eher danach, ob es sich um Vollprogramme mit vielfältigem Inhalt für ein breites Publikum oder um Spartenprogramme mit einem spezifischen Programmzuschnitt handelt. Beim privaten Rundfunk kommt die Unterscheidung zwischen frei empfangbarem (werbefinanziertem) und verschlüsseltem (Pay-TV) Programm hinzu. Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben 2006 in Deutschland insgesamt 20 Fernsehkanäle bundesweit angeboten 145 , darunter sechs Kanäle, die ausschließlich digital verbreitet werden. Die privaten Veranstalter haben 2006 bundesweit 60 frei empfangbare Programme ausgestrahlt, davon 17 Vollprogramme, 33 Spartenprogramme und 10 Teleshopping-Kanäle 146 . 58 Pay-TV-Kanäle haben Programminhalte gezeigt, für die besondere Zahlungsbereitschaft besteht, insbesondere Spielfilme, Sportübertragungen und Erotik. Daneben gab es 18 landesweite und 111 regionale oder lokale Fernsehprogramme, die in ihren jeweiligen Verbreitungsgebieten das verfügbare Fernsehangebot um eine lokale bzw. regionale Komponente erweitern. 144 Anders als in Frankreich, Spanien und Italien steckt die Etablierung von IPTV in Deutschland noch in den Anfängen; für 2010 wird eine Reichweite von 1,3 Mio. Haushalten prognostiziert, vgl. Breunig 2007, S. 480. 145 Ohne das Auslandsprogramm der Deutschen Welle. Zwischen 2002 und 2005 hat es für den Fernsehmarkt in den USA und Kanada darüber hinaus das deutschsprachige German TV gegeben, an dem ARD, ZDF und Deutsche Welle beteiligt waren, das aber wegen unzureichender Abonnentenzahlen wieder eingestellt wurde. 146 ALM 2007, S. 194. 83 1. Einzelne Medienbereiche Tabelle 1.4.1.2: Programmstrukturen der meistgenutzten Fernsehprogramme im Herbst 2007 Untersuchungszeitraum eine Kalenderwoche; Angaben in Prozent der Gesamtsendezeit Programmcharakteristik Sendungen ARD ZDF RTL Sat.1 Pro Sieben VOX RTL II Kabel1 95,4 95,0 74,2 79,2 79,1 82,2 72,8 76,7 Fernsehpublizistik 44,7 58,3 37,6 23,3 34,5 40,3 19,6 16,0 fiktionale Unterhaltung 37,2 25,7 22,8 39,5 28,1 34,6 35,4 47,7 non-fiktionale Unterhaltung 4,4 3,6 11,1 14,9 13,6 6,7 9,2 7,5 Sportsendungen 1,1 1,2 0,9 - - - - - Kindersendungen 8,0 5,8 1,8 1,3 2,9 - 8,6 5,5 Religiöse Sendungen 0,0 0,4 - 0,2 - 0,6 - - Werbung u. Sponsoring 1,7 1,5 21,3 15,4 14,6 13,1 22,2 18,1 Programmtrailer etc. 2,9 3,5 4,5 5,4 6,3 4,7 5,0 5,2 Gesamt 100 100 100 100 100 100 100 100 darunter Quelle: Weiß/Trebbe 2008, S. T11. Hinzu kommen 19 lokale Spartenprogramme und 86 kleine Lokalsender, die weniger als 10.000 Haushalte erreichen 147 . Zu den Programminhalten der acht am meisten genutzten Fernseh-Vollprogramme werden im Auftrag der Landesmedienanstalten regelmäßige Untersuchungen vorgenommen. Danach unterscheiden sich öffentlichrechtliche und private Programme nicht nur bei der Werbung, sondern auch im Anteil der Fernsehpublizistik, also der Informationssendungen im weitesten Sinne, die bei ARD und ZDF 45 bzw. 58 Prozent der Sendezeit ausmachen. Bei den privaten Programmen ist der Informationsanteil erheblich geringer, am geringsten bei RTL II und Kabel 1 (vgl. Tab. 1.4.1.2). Auffällig ist, wie unterschiedlich die öffentlich-rechtlichen und die privaten Programme Politik und andere kontroverse Themen behandeln. ARD und ZDF verwendeten im Herbst 2007 zwischen 9 und 11 Prozent ihrer gesamten Sendezeit für die politische Publizistik, die privaten Programme weniger 3 Prozent. 148 Eine langfristige Betrachtung deutet darauf hin, dass bei herausragenden Ereignissen der Abstand im Umfang der politischen Publizistik zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Programmen noch zunimmt. 149 Ein besonderer Programmtyp im Fernsehen sind Angebote, die als so genanntes Teleshopping ausschließlich Waren- und Dienstleistungsangebote präsentieren. Sie gelten als Mediendienste, die nicht den Regeln des Rundfunkrechts unterliegen, weil sie für die Meinungsbildung eine geringere Bedeutung haben. Ende 2006 gab es 10 solcher Teleshopping-Kanäle. Bei der Fernsehübertragung hat eine allmähliche Umstellung von analoger auf digitale Ausstrahlung zunächst bei der Satellitenübertragung (ab 1996) und bei der Kabelverbreitung (ab 1997) eingesetzt, jeweils ergänzend zur weiter bestehenden analogen Verbreitung. Im Herbst 2002 wurde im Raum Berlin/Potsdam die Digitalisierung der terrestrischen Ausstrahlung begonnen und wenig später der analoge Sendebetrieb einge147 ALM 2007, S. 261. 148 Weiß/Trebbe 2008, S. G38. 149 Wegen des Kriegsbeginns im Irak wurde im Frühjahr 2003 deutlich mehr Zeit auf kontroverse Themen verwendet; vgl. Trebbe 2004, S. 59 ff. und S. 84 und Weiß/Trebbe 2008, S. G38. 84 1.4. Rundfunk stellt. Die Umstellung auf digitale Ausstrahlung wurde schrittweise vorangetrieben; bis Ende 2008 sollen die Sendegebiete des terrestrischen digitalen Fernsehens mindestens 90 Prozent der Bevölkerung erreichen; ab 2009 soll es keine analoge terrestrische Fernsehübertragung mehr geben (s. Kap. 2.2.1.1). 1.4.1.3 Bürgermedien Neben den professionell gestalteten Programmangeboten der Rundfunkanstalten und der kommerziellen Veranstalter gibt es zahlreiche Angebote, bei denen es nicht nur um die Qualität des Programmangebots, sondern auch, oder sogar vorrangig, um die Möglichkeit zur Mitwirkung an der Programmgestaltung geht 150 . Vorrangig sind die 66 offenen Kanäle zu nennen, von denen allein 50 auf das Fernsehen spezialisiert sind. Daneben sind 35 nichtkommerzielle Lokalradios zu verzeichnen. Außerdem gibt es einige Ausbildungskanäle und mehr als 50 Hochschulradios mit unterschiedlicher rundfunkrechtlicher Grundlage, die z. T. mit kommerziellen oder nichtkommerziellen Lokalradios zusammenarbeiten. 1.4.2 Wirtschaft und Organisation Die wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland wird im Auftrag der Landesmedienanstalten regelmäßig untersucht. Wie aus Tab. 1.4.2.1 zu entnehmen ist, betrug der Produktionswert der Rundfunkveranstalter in Deutschland 2006 rund 16,5 Mrd. Euro, das sind 61 Prozent mehr als 1995. Dieser Wert umfasst vor allem Rundfunkgebühren, Werbeeinnahmen, Erträge aus Abonnementgebühren beim Pay-TV sowie Umsätze aus weiteren Unternehmensaktivitäten, z. B. Teleshopping und Merchandising (Verkauf von werbewirksamen Nebenprodukten) 151 . Knapp die Hälfte des Produktionswertes entfiel 2006 auf den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Zum Tätigkeitsfeld der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gehört neben der Veranstaltung der Programme traditionell der Betrieb von Klangkörpern und die Produktion von Programmen in eigenen Produktionseinrichtungen. Größere Atelierbetriebe wie Bavaria Film oder Studio Hamburg werden als eigenständige Unternehmen geführt, die am Markt tätig werden und nicht nur für die Rundfunkanstalten produzieren, sondern auch für private Veranstalter. Wie andere Tochtergesellschaften sind sie in den Angaben zu den Rundfunkanstalten nicht enthalten. 150 Vgl. zum Folgenden ALM 2007, S. 426 ff. 151 Gebühren für Kabelanlagen und Ausgaben für Rundfunktechnik sind hier nicht enthalten. 85 1. Einzelne Medienbereiche Tabelle 1.4.2.1: Gesamtwirtschaftliche Bedeutung des Rundfunks in Deutschland 1995 bis 2006 Produktionskennziffern Rundfunk insgesamt Öffentlichrechtlicher Rundfunk Privater Rundfunk 1995 1995 1995 2006 2006 Fernsehen* Hörfunk* 2006 2006 2006 8.267 12.725 3.759 Mrd. Euro Produktionswert Veränderung 1995/2006 10.231 16.484 +61 % 6.138 8.217 +34 % 4.093 +102 % +71 % +36 % Vorleistungen 7.306 11.048 3.691 5.534 3.615 5.514 9.175 1.873 Bruttowertschöpfung 2.925 5.436 2.447 2.683 478 2.753 3.550 1.886 36.262 46.405 30.278 29.143 8.984 17.262 29.597 16.808 +32 % ±0 % 119,9 112,2 +35 % +38 % Zahl der Erwerbstätigen Veränderung 1995/2006 Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen (in Tausend Euro) Veränderung 1995/2006 +28 % 80,7 +45 % -4 % 117,1 80,8 +14 % +92 % 92,1 53,2 +200 % 159,5 * Die Aufteilung in Hörfunk und Fernsehen ist z. T. geschätzt, da die Rundfunkanstalten die Daten in ihrer Rechnungslegung nicht durchgängig nach Hörfunk und Fernsehen aufteilen. Quellen: ALM (Hrsg.): Beschäftigte und wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 1995/1996, Berlin 1997; W. Seufert: Wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 2006/2007, Berlin 2008; eigene Berechnungen. Angaben über 2007 waren zum Redaktionsschluß noch nicht verfügbar. Mittelfristig zeigt sich besonders beim privaten Rundfunk ein starkes Wachstum: Hier ist zwischen 1995 und 2006 der Produktionswert um 102 Prozent und die Zahl der Erwerbstätigen um 92 Prozent gestiegen. Die Bruttowertschöpfung je Erwerbstätigen im privaten Rundfunk hat sich im gleichen Zeitraum verdreifacht, obwohl es zwischenzeitlich durch den allgemeinen Einbruch am Werbemarkt (s. Kap. 2.3) und die unter den Erwartungen gebliebene Nachfrage nach Pay-TV erhebliche Verluste gegeben hat, die auch zur Insolvenz und zur Auflösung der Kirch-Gruppe beigetragen haben. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist im gleichen Zeitraum der Produktionswert um 34 Prozent gestiegen, die Zahl der Erwerbstätigen hingegen um 4 Prozent zurückgegangen. 1.4.2.1 Öffentlich-rechtlicher Rundfunk Die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks erfolgt ganz überwiegend durch Rundfunkgebühren; in geringerem Umfang kommen Einnahmen aus Werbung und Sponsoring sowie sonstige Erträge hinzu. Die Deutsche Welle als Bundesrundfunkanstalt, die für die Berichterstattung im Ausland zuständig ist, wird nicht durch Rundfunkgebühren, sondern durch Mittelzuweisungen aus dem Bundeshaushalt finanziert. Die Rundfunkgebühr wird unterteilt in eine Grundgebühr und eine Fernsehgebühr. Wird ein Fernsehgerät genutzt oder zur Nutzung bereitgehalten, ist stets die gesamte Rundfunkgebühr zu zahlen. Die Rundfunkgebühren waren vom 1. Januar 2001 an auf eine Grundgebühr von 5,32 Euro und eine Fernsehgebühr von 10,82 Euro festgesetzt worden. Im Dezember 2003 hat die KEF ihren 14. Bericht vorgelegt und zum Jahresbeginn 2005 eine Erhöhung der Rundfunkgebühr auf eine monatliche Gesamtgebühr von 17,24 Euro vorgeschlagen, davon 5,57 Euro Grundgebühr und 11,67 Euro Fernsehgebühr 152 . Im Oktober 152 86 KEF 2003, S. 445. 1.4. Rundfunk 2004 haben die Ministerpräsidenten den 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag vereinbart, in dem mit Wirkung vom 1. April 2005 eine Grundgebühr von 5,52 Euro und eine Fernsehgebühr von 11,51 Euro festgelegt werden. Damit war es im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag erstmals zu einer Abweichung von der Empfehlung der KEF gekommen 153 . Als Grund für die Abweichung gaben die Staatsvertragsgeber die Berücksichtigung der allgemeinen wirtschaftlich angespannten Lage und Einsparpotenziale bei den Anstalten an. In dem darauf von den ARD-Anstalten, dem ZDF und Deutschlandradio angestrengten Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht stellten die Verfassungsrichter fest, dass das derzeitige Verfahren aus Bedarfsanmeldung, KEFEmpfehlung und parlamentarischer Letztentscheidung auf Grundlage der KEF-Empfehlung verfassungsrechtlich zulässig ist. Das Verfahren schließt aus Sicht des Gerichts auch grundsätzlich Abweichungen des Gesetzgebers von dem Gebührenvorschlag der KEF nicht aus. Allerdings müssen dafür Gründe vorliegen, „die vor der Rundfunkfreiheit Bestand haben“. 154 Reine programmbezogene oder allgemeine medienpolitische Zwecke seien insofern nicht zulässig. Zudem trifft den Gesetzgeber im Abweichungsfalle eine erhöhte Begründungspflicht, etwa die konkrete Darlegung einer etwaigen unangemessenen Belastung der Rundfunkgebührenzahler. Die durch den 8. RÄStV nicht in verfassungskonformer Weise entstandene Differenz im Gebührenaufkommen von 2005 bis 2009 (insgesamt ca. 440 Millionen Euro) muss bei der nächsten Bestimmung der Rundfunkgebühren im Jahr 2009 berücksichtigt werden.. In ihrem 16. Bericht, der im Dezember 2007 vorgelegt wurde, hat die KEF für den Zeitraum 2009 bis 2012 eine Gebührenerhöhung um 0,95 Euro auf 17,98 Euro monatlich als erforderlich erachtet. 155 Der Gebühreneinzug erfolgt durch die gemeinsame Gebühreneinzugszentrale der Rundfunkanstalten (GEZ). Im Jahre 2006 hat sie 7,3 Mrd. Euro an Rundfunkgebühren eingenommen, davon waren 138 Mio. Euro für die Landesmedienanstalten vorgesehen 156 .Die Werbeerträge der ARD-Werbetöchter betrugen im gleichen Jahr 172 Mio. Euro aus dem Werbefernsehen und 190 Mio. Euro aus der Hörfunkwerbung 157 , beim ZDF waren es 125 Mio. Euro 158 . Obwohl die Bedarfe unter den Landesrundfunkanstalten erheblich variieren können, werden die Rundfunkgebühren bundeseinheitlich festgesetzt, und die Verteilung auf die Landesrundfunkanstalten erfolgt nach der jeweiligen Zahl der gebührenpflichtigen Geräte. Eine gewisse Umverteilung wird dann unter den ARDAnstalten durch den Finanzausgleich zu Gunsten der kleinsten Rundfunkanstalten vorgenommen 159 , deren Volumen seit 2001 reduziert und ab 2007 auf ein Prozent des ARD-Nettogebührenaufkommens begrenzt wird 160 . Da langfristig die Zahl der Personen je Haushalt abnimmt und dadurch die Zahl der Haushalte stetig zunimmt, steigen die Anzahl der gebührenpflichtigen Rundfunkgeräte und damit die Gebühreneinnahmen teil- 153 Dieses Vorgehen war umstritten; auch der juristische Dienst des sächsischen Landtages hat in einem Gutachten verfassungsrechtliche Bedenken geltend gemacht, vgl. epd medien 16/2005 vom 2. März 2005, S. 16 ff. Dennoch wurde der Staatsvertrag bis Ende März 2005 von allen Bundesländern ratifiziert. 154 BVerfG, Urteil v. 11.09.2007, 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06. 155 KEF 2007, S. 13. 156 GEZ 2007, S. 37. 157 ARD-Jahrbuch 2007, S. 390 f. 158 ZAW 2007, S. 301. 159 Zum ARD-Finanzausgleich vgl. Steinwärder 1998, S. 243 ff. 160 Vgl. Art. 6 Nr. 7 i. V. m. Art. 9 Abs. 2 des 8. RÄStV. Als Kritik an der geringen Höhe des Finanzausgleiches vgl. KEF 2007, S. 200 f. Auf der ARD-Hauptversammlung im April 2008 wurde eine Veränderung der Beiträge zum Finanzausgleich verabredet, mit der HR und MDR als die kleineren unter den gebenden ARD-Anstalten entlastet werden sollen. Zugleich sollen die Zulieferungsquoten zum Ersten Programm modifiziert werden. 87 1. Einzelne Medienbereiche weise auch unabhängig von einer Erhöhung der Rundfunkgebühren. Derartige Entwicklungen werden bei der Festlegung des Gebührenbedarfs berücksichtigt. Die Bezieher bestimmter Sozialleistungen können gemäß § 6 RfGebStV auf Antrag von der Rundfunkgebühr befreit werden. Zum Jahresende 2006 waren 3,5 Mio. Hörfunkgeräte und 3,2 Mio. Fernsehgeräte von den Gebühren befreit; das entspricht beim Hörfunk 8,2 Prozent und beim Fernsehen 8,7 Prozent der angemeldeten Geräte 161 . 1.4.2.2 Privater Rundfunk Der überwiegend aus Werbung finanzierte private Rundfunk war ab 2001 von dem Einbruch auf dem Werbemarkt (vgl. Kap. 2.3) nachhaltig betroffen. Wie Tab. 1.4.2.2 zeigt, ist sowohl beim Fernsehen als auch beim Hörfunk der durchschnittliche Kostendeckungsgrad zwischen 2000 und 2002 erheblich zurückgegangen. Im Jahre 2004 war die Summe der Erträge bei den bundesweiten Fernsehprogrammen und den landesweiten, regionalen oder lokalen Hörfunkprogrammen bereits wieder höher als die Summe der Aufwendungen. 2006 gilt dies erstmals auch für die lokalen Fernsehprogramme. Tabelle1.4.2.2: Kostendeckungsgrad der privaten Rundfunkveranstalter 2000-2006 (in Prozent) 2000 2002 2004 2006 Bundesweit 98 88 110 116 Landesweit 91 70 87 100 Lokal 94 96 87 102 Bundesweit 86 61 94 89 Landesweit 130 114 117 123 Lokal 108 98 109 113 Fernsehen Hörfunk Quellen: ALM 2002, S. 85 ff.; ALM 2004, S. 76 ff.; ALM 2006, S. 71 ff., Seufert 2007, S. 7-11. Jüngere Daten sind zum Redaktionsschluss nicht verfügbar. 1.4.2.2.1 Privates Fernsehen Das private Fernsehen ist überwiegend auf ein bundesweites Publikum ausgerichtet, und es liegt im Interesse der Veranstalter, zur Abdeckung eines möglichst großen Publikums und zur Mehrfachverwertung von Programmvermögen mehrere Programme parallel anzubieten. Wegen der Risiken der Konzentration sind im Rundfunkstaatsvertrag jedoch Maßnahmen festgelegt, die eine übermäßige Meinungsmacht verhindern. Dazu gehört die Einrichtung der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK), die am 15. Mai 1997 ihre Arbeit aufgenommen hat. Die KEK ist ein Gremium von sechs weisungsunabhängigen Sachverständigen des Rundfunk- und Wirtschaftsrechts (§ 35 Abs. 3 RStV). Sie ist neben der Konferenz der Direktoren der Landesmedienanstalten zuständig für die abschließende Beurteilung von Fragestellungen der Sicherung von Meinungsvielfalt im Zusammenhang mit der bundesweiten Veranstaltung von Fernsehprogrammen (§ 36 Abs. 1 Satz 1 RStV). Die KEK hat keine eigene Rechtspersönlichkeit, sondern erhält für konkrete Zulassungs- und Aufsichtsverfahren den Status eines Organs der zuständigen Landesmedienanstalt (§ 35 Abs. 1, 2 Satz 2 RStV). Neben den Einzelfallentscheidungen hat die KEK die Aufgabe, jeweils im Abstand von drei Jahren einen Bericht über die Entwicklung der Konzentration und über Maßnahmen zur Sicherung 161 88 GEZ 2007, S. 37. 1.4. Rundfunk der Meinungsvielfalt im privaten Rundfunk vorzulegen. Dies ist in den Jahren 2000, 2003 und 2006 geschehen 162 . Die Kirch-Gruppe mit ihren Unternehmen im Bereich Filmrechte, Fernsehen, Pay-TV und Fernsehproduktion und einer 40-Prozent-Beteiligung am Axel-Springer-Verlag, deren Verbindlichkeiten mit 6,5 Mrd. Euro beziffert wurden, ist 2002 in die Insolvenz geraten und aufgelöst worden. Die Unternehmensteile wurden an unterschiedliche Interessenten veräußert. Damit sind auch der Pay-TV-Veranstalter Premiere und die ProSiebenSat.1 Media AG nicht mehr in einer Hand. Im frei zugänglichen Fernsehen sind es weiterhin zwei Unternehmensgruppen, die neben den öffentlichrechtlichen Anstalten die größten Marktanteile auf sich vereinigen: die mehrheitlich zum BertelsmannKonzern gehörende RTL Group (mit variierenden Anteilen bei den Programmen RTL, RTL II, Vox, Super RTL und n-tv) und ProSiebenSat.1 Media AG (mit den Programmen Sat.1, ProSieben, Kabel1, N24 und NEUN LIVE), die zunächst mit der Kirch-Gruppe verbunden war, nach deren Insolvenz zeitweilig von Haim Saban beherrscht wurde und sich seit 2007 im Besitz der Lavera Holding befindet, die wiederum von den Finanzinvestoren Permira und KKR kontrolliert wird. Die werbefinanzierten Programme weiterer Anbieter haben bundesweit eine untergeordnete Bedeutung. Für 2007 hat die KEK festgestellt, dass der Marktanteil der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten an der Sehdauer der Zuschauer ab sechs Jahren 43,6 Prozent betragen hat. Auf die Programme mit Beteiligung der RTL Group entfielen 25,3 Prozent, auf die der ProSiebenSat.1 AG 20,8 Prozent. Alle weiteren Fernsehprogramme erreichten zusammen nur noch einen Marktanteil von 10,3 Prozent 163 . Im Pay-TV hat weiterhin Premiere als Programmveranstalter und als Betreiber einer digitalen Plattform eine herausragende Stellung. Die Mehrheit hielt zeitweilig die Permira-Investmentgruppe mit mehreren Fondsgesellschaften; inzwischen ist die Premiere AG überwiegend im Streubesitz. Größter Anteilseigner mit 16,7 Prozent ist seit Januar 2008 die News Corp von Rupert Murdoch, der bereits 1999 über die britische Tochter BSkyB bei KirchPayTV eingestiegen war, im Zuge der Kirch-Insolvenz diese Beteiligung aber abschreiben musste. 2005 hat Premiere Gewinn gemacht; 2006 gab es u. a. wegen des Wegfalls der BundesligaRechte und höherer Kosten ein negatives Ergebnis. Die Zahl der Abonnenten wird zum 30.9.2007 mit 4,17 Mio. angegeben, davon 3,47 Mio. direkte Kunden von Premiere und 640.000 Bundesliga-Abonnenten über arena und Unitymedia. 1.4.2.2.2 Privater Hörfunk Der private Hörfunk wird ganz überwiegend aus Werbung finanziert. Es gibt zwar auch verschlüsselte Musikkanäle ohne Moderation oder Nachrichten, wie sie etwa von Premiere oder DMX Music angeboten werden. Ihre Adressaten sind aber weniger die privaten Haushalte als Handel und Gastronomie, die diese Kanäle als Klangteppich einsetzen können. Obwohl viele Landesmediengesetze die Zahl der Hörfunkprogramme pro Veranstalter begrenzen, zeichnet sich auch im Hörfunkbereich ein Konzentrationsprozess ab. Dies ist u. a. dadurch bedingt, dass die Landesmedienanstalten im Interesse der Vielfaltssicherung die Lizenzen häufig an Konsortien erteilt haben, in denen inzwischen kleine Anteilseigner häufig ihre Anteile an größere abgegeben haben. Der Bericht der KEK weist elf Unternehmensgruppen mit bedeutenden Beteiligungen an mehreren bundes- oder landesweiten Hörfunkprogrammen auf (vgl. Tab. 1.4.2.3), darunter die RTL Group, die im Jahre 2002 die Hörfunkbeteiligungen der 162 Vgl. KEK 2000, KEK 2004, KEK 2007. 163 KEK, Zuschaueranteile für das Jahr 2007; abrufbar unter http://www.kek-online.de/cgi-bin/esc/zuschauer.html. Der Zuschaueranteil von Premiere wird für 2007 nicht ausgewiesen. Für 2006 wird er von der KEK mit 2,1 Prozent angegeben. 89 1. Einzelne Medienbereiche Holtzbrinck-Gruppe übernommen hat. Nach wie vor handelt es sich überwiegend um Minderheitsbeteiligungen. Tabelle 1.4.2.3: Unternehmensgruppen mit Beteiligungen an mehreren Hörfunkprogrammen Unternehmensgruppen mit Beteiligungen im privaten Hörfunk Zahl der Hörfunkprogramme mit direkter oder indirekter Beteiligung Erläuterungen Axel-Springer-Konzern 31 Minderheitsbeteiligungen (z. T. über Regiocast) Oschmann-Gruppe 28 Vorwiegend lokale Programme in Bayern und Regionalprogramme in MecklenburgVorpommern RTL Group 24 2 Programme mit 100 Prozent Beteiligung, 3 Mehrheitsbeteiligungen, sonst Minderheitsbeteiligungen Burda-Konzern 24 3 Programme mit Mehrheitsbeteiligung, sonst Minderheitsbeteiligungen WAZ-Gruppe 16 Lokalsender in NRW Moira Rundfunk GmbH 13 Landes-, Regional- und Lokalsender NRJ – Energy-Holding 9 Lokalsender in urbanen Räumen Verlagsgruppe Madsack 9 Minderheitsbeteiligungen Nordwest Medien GmbH 8 Minderheitsbeteiligungen Zeitungsgruppe Ippen 6 Minderheitsbeteiligungen Frank Otto Medienbeteiligungs GmbH 4 Lokal- und Regionalprogramme Quelle: Die Landesmedienanstalten 2007, S. 124 ff. 1.4.3 Nutzung und Wirkung 1.4.3.1 Hörfunk 1.4.3.1.1 Reichweite und Hördauer Das Radio gehört zu den gut etablierten technischen Medien, 99 Prozent der Deutschen haben zu Hause mindestens ein Radiogerät, drei Viertel haben drei und mehr verschiedene Gerätearten (Stereoanlage, Radiowecker, Autoradio etc.) zu Hause 164 . Immerhin 84 Prozent der ab 14-Jährigen leben in Haushalten, die über mindestens ein Autoradio verfügen. Die Reichweite des Hörfunks liegt seit den 1970er-Jahren im Bereich zwischen 75 und 82 Prozent der Bevölkerung. Die Hördauer von zuletzt 200 Minuten pro Tag dokumentiert, dass dieses Medium große Flächen des Tages begleitet (s. Tab. 1.4.3.1). Diese Werte liegen im europäischen Vergleich recht hoch; nach älteren Erhebungen (1999) erzielt das Radio nur im Vereinigten Königreich und in Irland eine höhere Reichweite als 164 90 Vgl. dazu und zum Folgenden: Media Perspektiven Basisdaten 2007. 1.4. Rundfunk in Deutschland, während etwa in Spanien und Dänemark täglich nur weniger als 60 Prozent der Bevölkerung vom Radio erreicht werden 165 . Hinsichtlich der Reichweite unterscheiden sich die verschiedenen Bevölkerungsgruppen relativ wenig: Nur bei den 14- bis 19-Jährigen und in der Gruppe mit der geringsten formalen Bildung liegen die Reichweiten unter 70 Prozent. Am besten erreicht werden die Altersjahrgänge zwischen 40 und 69 Jahren mit jeweils über 80 Prozent. In der Hördauer dagegen schlägt sich nieder, dass das Radio von den verschiedenen Gruppen in unterschiedlicher Weise in den Alltag integriert wird. Während die 14- bis 19-Jährigen täglich 95 Minuten Radio hören, sind es bei den 40- bis 49-Jährigen im Durchschnitt 215 Minuten. Deutlich geringer als bei der deutschen Bevölkerung sind Reichweite und Hördauer bei Migranten. Dabei zeigen sich deutliche Unterschiede je nach Herkunft. Während z.B. nur 22 Prozent der Türken täglich das Radio einschalten, beträgt die Tagesreichweite der polnischen Migranten 72 Prozent. 166 1.4.3.1.2 Umgang mit dem Radio Charakteristisches Merkmal der Hörfunknutzung ist es, dass die Hörer nur relativ selten das Programm wechseln. Trotz der seit Mitte der 80er-Jahre erfolgten erheblichen Ausweitung der Zahl der verfügbaren Programme ist die Zahl der jeweils genutzten Programme gering. Das tägliche Repertoire umfasst im Durchschnitt 1,6 Programme, innerhalb der letzten 14 Tage wurden im Durchschnitt 4 verschiedene Programme gehört. Dieser stabile Befund hat mit dazu geführt, dass die dominante Programmstrategie im Hörfunk der letzten Jahre darin bestand, möglichst „durchhörbare“ Programme zu gestalten, die keinen Anlass zum Um- oder Abschalten bieten. Umgekehrt hat diese Strategie wiederum eben diese Art des Nutzungsverhaltens verstärkt: Wenn keine Anlässe zum Umschalten geboten werden, wird auch weniger umgeschaltet. Unter einer solchen strategischen Prämisse bleibt für „Einschaltprogramme“, die darauf abzielen, dass ihr Zielpublikum zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Sendung hören will, kaum Platz. Tabelle 1.4.3.1: Tägliche Reichweite (Hörer gestern in Prozent) und Hördauer (Minuten pro Tag) des Radios 1995 bis 2007* 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Reichweite 80,0 79,8 82,5 81,6 82,2 79,0 79,3 79,5 79,0 79,2 79,3 77,1 79,4 Hördauer 167 169 177 172 179 209 203 202 196 196 193 186 200 * Der im Vergleich zu den anderen Jahren auffällige Sprung bei der Hördauer im Jahr 2000 wird auf den in diesem Jahr vorgenommenen Methodenwechsel der MA vom persönlichen Interview zum computergestützten Telefoninterview zurückgeführt. Quellen: AG.MA, Klingler/Müller 2007, www.mediadaten.de. Entscheidendes Kriterium für die Programmauswahl und damit auch für die Programmgestaltung ist die Musikfarbe. Insbesondere die Altersgruppen unterscheiden sich eklatant in der Art der Musik, die sie bevorzugen. In der Konsequenz und angesichts der genannten geringen Umschalthäufigkeit sind die meisten deutschen Hörfunkprogramme explizit auf eine bestimmte Altersgruppe zugeschnitten, indem ein Musikmix angeboten wird, der den Vorlieben eben dieser Altersgruppe am besten entspricht. Die oben genannten Zahlen zur Reichweite und Hördauer dokumentieren, dass die Radionutzung eng an die Berufstätigkeit gekoppelt ist. In der Tat entfällt ein großer Teil der Radionutzung (2007 waren es 42 Pro- 165 IP 2000. 166 Oehmichen 2007. 91 1. Einzelne Medienbereiche zent) auf Situationen außerhalb des eigenen Haushalts, meist sind dies also Situationen bei der Arbeit oder beim Autofahren. Auch wenn das Radio zu Hause genutzt wird, so heißt das nicht, dass es als Freizeitaktivität geschieht. So entfallen der Studie Massenkommunikation zufolge insgesamt 80 Prozent der Radionutzung auf Situationen, die nicht der Freizeit zugerechnet werden – alle anderen Medien, insbesondere das Fernsehen als klares Freizeitmedium, aber auch die Zeitung und das Internet, verteilen sich doch zumindest zu gleichen Teilen auf Freizeit und Nicht-Freizeit 167 . Aus diesem Grunde wird das Radio oft als „Nebenbeimedium“ bezeichnet, das durch den Tag begleitet. Dies schlägt sich auch in den Reichweiten im Tagesverlauf nieder: Vom frühen Morgen an bis in den Nachmittag steht das Radio in der Nutzung im Vordergrund, erst ab ca. 18 Uhr wird es in der Reichweite vom Fernsehen überflügelt. 1.4.3.2 Fernsehen 1.4.3.2.1 Reichweite und Sehdauer Auch Fernsehgeräte gehören zur Normalausstattung deutscher Haushalte, 98 Prozent der Deutschen haben zu Hause mindestens ein Fernsehgerät, zumindest das meistgenutzte Gerät ist stets ein Farbfernsehgerät und ist mit einer Fernbedienung ausgerüstet. Der Anteil der Haushalte mit zwei und mehr Fernsehern liegt seit 2004 bei etwa 39 Prozent. Der größte Teil der Zuschauer empfängt Fernsehprogramme über Kabel (49,8 Prozent), weitere 45,0 Prozent über eine Satellitenantenne und nur noch 5,2 Prozent allein über terrestrische Verbreitung. Im Durchschnitt konnten die deutschen Fernsehzuschauer im Herbst 2006 unter 55 Fernsehprogrammen wählen. Tabelle 1.4.3.2: Tägliche Reichweite (Seher gestern in Prozent) und Sehdauer (Minuten pro Tag) des Fernsehens 1995 bis 2007 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Gesamt 70,7 71,4 71,5 71,9 71,9 72,6 72,3 73,4 73,3 74,2 73,6 73,0 71,7* Erwachsene 72,2 72,9 73,2 73,5 73,5 74,1 73,8 75,0 75,1 76,0 75,4 74,7 73,5 Kinder 3-13 Jahre 60,4 61,0 59,5 61,1 61,1 61,7 61,1 61,6 59,6 60,8 58,8 58,7 57,4* Gesamt 175 183 183 185 185 190 192 201 201 210 211 212 208 Erwachsene 186 195 196 198 198 203 205 215 217 225 226 227 221* 95 101 95 97 97 97 98 97 93 93 91 90 87 Reichweite Sehdauer Kinder 3-13 Jahre * 1.1.-30.11.2007. Quellen: AGF/GfK-Fernsehforschung; Zubayr/Gerhard 2007, S. 188, Media Perspektiven Basisdaten 2007, S. 74. Täglich nutzen etwa 72 Prozent der Deutschen ab drei Jahren das Fernsehen. Bei den Erwachsenen sind es 74 Prozent, zwei Prozentpunkte unter dem Höchstwert im Jahre 2004. Bei den Kindern liegt die Reichweite langfristig stabil bei etwa 60 Prozent. Die Sehdauer der Erwachsenen ist von 1995 bis 2007 sehr deutlich gestiegen, der 2006 erreichte Wert von 227 Minuten stellt einen historischen Spitzenwert dar (Tab. 1.4.3.2). Im 167 92 Reitze/Ridder 2006, S. 59. 1.4. Rundfunk europäischen Vergleich liegt die Fernsehnutzung in Deutschland im oberen Mittelfeld. Nach wie vor wird etwa in Italien, Polen und Großbritannien deutlich länger ferngesehen, während in den skandinavischen Ländern, den Benelux-Ländern, in Österreich und der Schweiz deutlich weniger ferngesehen wird 168 . Das Ausmaß der Fernsehnutzung fällt in verschiedenen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich aus. Ein wesentlicher Faktor ist das Alter: Mit zunehmendem Alter wird deutlich mehr ferngesehen. Außerdem zeigt sich, wenn auch nicht so stark ausgeprägt, ein Zusammenhang mit der formalen Bildung: Je höher die formale Bildung, desto weniger wird ferngesehen. Ein großer Unterschied, der allerdings auf eine ganze Reihe komplexer Ursachen zurückgeht, zeigt sich zwischen Ost- und Westdeutschland: In Ostdeutschland lag 2006 die tägliche Fernsehnutzung 42 Minuten über der im Westen, damit war der Unterschied so groß wie nie zuvor. Zwischen Männern und Frauen lassen sich hinsichtlich der Sehdauer keine markanten Unterschiede beobachten, sehr wohl aber hinsichtlich der bevorzugten Angebote. 1.4.3.2.2 Umgang mit dem Fernsehen Anders als beim Hörfunk wird beim Fernsehen mit der Fernbedienung sehr oft hin- und hergeschaltet. Die Fernsehnutzung verteilt sich auf zahlreiche Programme, wenngleich doch trotz der großen Zahl verfügbarer Kanäle einige wenige Programme eindeutig im Vordergrund stehen (siehe Tabelle 1.4.3.3). Nach einer Phase starker Rückgänge für ARD und ZDF in der Folge der Etablierung privater Rundfunkveranstalter ist die Situation seit Mitte der 90er-Jahre relativ stabil. Zuwächse hatten die dritten Programme der Landesrundfunkanstalten, die zusammengenommen mittlerweile der Spitzengruppe angehören. Ein Trend liegt darin, dass die sonstigen kleineren Programme einen zunehmenden Teil der Fernsehnutzung auf sich vereinigen können. Mit der weiteren Ausbreitung des digitalen Fernsehens und damit zusätzlicher Programme dürfte dieser Trend weiter anhalten. Tabelle 1.4.3.3: Anteile der Fernsehprogramme an der Fernsehnutzung (Zuschauer ab 3 Jahre, Montag bis Sonntag, rund um die Uhr) 1990 1995 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Das Erste (ARD) 30,7 14,6 14,3 13,9 14,3 14,1 13,9 13,5 14,2 13,4 ZDF 28,4 14,7 13,3 13,2 13,9 13,4 13,6 13,5 13,7 12,9 9,0 9,7 12,7 13,2 13,3 13,6 13,7 13,6 13,5 13,5 RTL 11,8 17,6 14,3 14,7 14,6 14,9 13,8 13,2 12,8 12,4 Sat.1 9,2 14,9 10,2 10,1 9,9 10,2 10,3 10,9 9,8 9,6 ProSieben 1,2 9,9 8,2 8,0 7,0 7,0 7,0 6,7 6,6 6,6 RTL II - - 4,0 4,0 3,8 4,6 4,9 4,3 3,8 3,9 VOX - - 2,8 3,1 3,3 3,4 3,7 4,2 4,8 5,7 Kabel1 - - 5,5 5,0 4,5 4,2 4,0 3,8 3,6 3,6 9,7 18,8 14,4 14,8 15,4 14,6 15,1 16,3 17,2 18,4 Dritte (8 Prog.) Sonstige* * Umfasst bis 1997 auch die Anteile von RTL II, VOX und Kabel1. Quelle: AGF/GfK-Fernsehforschung. Die genannten Marktanteile fallen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen sehr unterschiedlich aus. Während ARD und ZDF sowie die dritten Programme vor allem bei den älteren Zuschauergruppen hohe Marktan- 168 IP 2003. 93 1. Einzelne Medienbereiche teile erzielen, steht RTL bei der werberelevanten Zielgruppe der 14- bis 49-Jährigen mit Abstand als Marktführer da. Ein ganz anderes Bild weist auch die Teilgruppe der Kinder auf, in der Super RTL mit 23,7 Prozent Marktanteil eindeutig vorn liegt; es folgen KIKA mit 12,1 und RTL mit 8,3 Prozent 169 . Als erfolgreichste Einzelsendungen des deutschen Fernsehens haben sich in den letzten Jahren meist Ausgaben der ZDF-Unterhaltungsshow „Wetten, dass...?“ sowie Fußball-Länderspiele erwiesen, es sind nur diese Sendungen, die Marktanteile von um die 50 Prozent und Zuschauerzahlen von 15 Mio. und mehr erzielen können. 2006 setzte sich das durchschnittliche Fernsehmenü der Deutschen aus 85 Minuten Unterhaltungsund Fictionnutzung und 59 Minuten Informationsnutzung zusammen 170 . Der Rest der Nutzung entfällt auf Sport, Werbung und Sonstiges. 1.4.4 Recht und Regulierung Im Vergleich vor allem zum Pressemarkt, bei dem das BVerfG aufgrund eines ausreichenden Wettbewerbs keine Pflicht zur positiven Sicherung von Meinungsvielfalt sieht, trifft den Gesetzgeber im Rundfunkbereich die verfassungsrechtliche Pflicht, die Rundfunkordnung derart auszugestalten, dass „das Gesamtangebot der inländischen Programme der bestehenden Meinungsvielfalt im wesentlichen entspricht“ 171 . Zahlreiche Entscheidungen des Gerichtes haben diesen Auftrag konkretisiert. Durch diesen Ausgestaltungsauftrag ist das einfachgesetzliche Rundfunkrecht wesentlich weiter ausdifferenziert. Daneben prägen natürlich auch die für andere Medien relevanten, allgemeinen rechtlichen Rahmenbedingungen wie der Jugendmedienschutz die Tätigkeit in Rundfunkunternehmen. 1.4.4.1 Rechtsrahmen Den maßgeblichen Rechtsrahmen für die Veranstaltung von Rundfunk bilden die Vorschriften des Rundfunkstaatsvertrages 172 sowie der Landesmedien- und Landesrundfunkgesetze 173 . Daneben bestehen spezielle 169 Feierabend/Klingler 2007, S. 207. 170 Zubayr/Gerhard 2007, S. 194. 171 Vgl. BVerfGE 12, 205 (262). 172 Vgl. etwa Rundfunkstaatsvertrag vom 31. August 1991, GVBl. Th 1991, S. 636, in der Fassung des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrags, GVBl. Th 2006, S. 710; Rundfunkstaatsvertrag vom 31. August 1991, Nds. GVBl. 1991, S. 313, in der Fassung des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrags, Nds. GVBl. 2007, S. 60. 173 Vgl. Gesetz über die Entwicklung, Förderung und Veranstaltung privater Rundfunkangebote und anderer Mediendienste in Bayern (Bayerisches Mediengesetz – BayMG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. Oktober 2003, Bay. GVBl., S. 799, zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. Dezember 2006, Bay. GVBl., S. 1008; Staatsvertrag über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks vom 29. Februar 1992, Berlin GVBl., S. 150, bzw. Brandenburg GVBl., S. 142, in der Fassung des Dritten Staatsvertrages zur Änderung des Staatsvertrages über die Zusammenarbeit zwischen Berlin und Brandenburg im Bereich des Rundfunks vom 4. Dezember 2006 bzw. 10. Januar 2007, Berlin GVBl., S. 131, bzw. Brandenburg GVBl., S. 75; Bremisches Landesmediengesetz (BremLMG) vom 22. März 2005, GVBl. Bremen, S. 71; Landesmediengesetz Baden-Württemberg (LMedienG) vom 19.07.1999, BaWü GBl. S. 273, ber. S. 387, zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes zum Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag und zur Änderung medienrechtlicher Vorschriften vom 14.02.2007, BaWü GBl. S. 108; Staatsvertrag über das Medienrecht in Hamburg und Schleswig-Holstein (Medienstaatsvertrag HSH) vom 13. Juni 2006, HmbGVBl. 2007, S. 47 bzw. GVOBl. Schl.H. 2007, S. 108, in der Fassung des Ersten Staatsvertrags zur Änderung des Staatsvertrages über das Medienrecht in Hamburg und Schleswig-Holstein (Erster Medienänderungsstaatsvertrag), HmbGVBl. 2007, S. 91, bzw. GVOBl. Schl.-H. 2007, S. 270; Gesetz über den privaten Rundfunk in Hessen (Hessisches Privatrundfunkgesetz – HPRG) vom 25. Januar 1995, Hess GVBI. I, S. 87 ff., zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes zur Änderung des Hessischen Privatrundfunkgesetzes und des Gesetzes über den Hessischen Rundfunk vom 5. Juni 2007, GVBl. I., S. 294 ff.; Landesmediengesetz Nordrhein-Westfalen (LMG NRW) vom 2. Juli 2002, GV. NRW 2002, S. 334, zuletzt geändert durch das Gesetz zur Änderung des Landesmediengesetzes Nordrhein-Westfalen (LMG NRW) – 12. Rundfunkänderungsgesetz – vom 5. Juni 2007, GV. NRW, S. 192; Mediengesetz des Landes 94 1.4. Rundfunk gesetzliche Regelungen für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, teils in Landesmediengesetze integriert, teils als eigenständige Staatsverträge 174 . 1.4.4.1.1 Gesetzgebungskompetenzen Die Gesetzgebungskompetenz für den Rundfunkbereich liegt mangels einer ausdrücklichen Kompetenzzuweisung an den Bund bei den Ländern (Art. 30, 70 GG). Aufgrund dieser Tatsache kommen – mit Ausnahme für Anbieter bundesweiten Rundfunks, für die vor allem der von allen Ländern verabschiedete RStV maßgeblich ist – in den unterschiedlichen Bundesländern verschiedene Landesmediengesetze zur Anwendung. In Abgrenzung zur Kompetenz der Länder zur Rundfunkregulierung hat der Bundesgesetzgeber die Kompetenz zur Gesetzgebung für die Telekommunikation (s. Kap. 2.2), also hier der Transportwege für Rundfunksignale, so dass es insbesondere in Überlappungsbereichen (z. B. der Frequenzregulierung) zu Kooperations- und Einbeziehungspflichten der Akteure der beiden Gesetzgebungsebenen kommt (s. Kap. 3.5). Zudem gibt der Bund mit dem Deutsche-Welle-Gesetz 175 der Auslandsrundfunkanstalt Deutsche Welle die gesetzliche Grundlage. Sachsen-Anhalt (MedienG LSA) vom 18. November 2004, GVBl. LSA, S. 778, zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 8. Februar 2007, GVBl. LSA, S. 18; Niedersächsisches Mediengesetz (NMedienG) vom 1. November 2001, Nds. GVBl. Nr.31/2001, S. 680, zuletzt geändert durch Gesetz v. 7.6.2007, Nds. GVBl. Nr.15/2007, S. 207; Landesmediengesetz Rheinland-Pfalz (LMG) vom 04. Februar 2005, Rh.-Pf. GVBl. S. 23; Rundfunkgesetz für das Land Mecklenburg-Vorpommern (Landesrundfunkgesetz- RundfG M-V) vom 20. November 2003, GVOBI. M-V, S. 510, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19. Februar 2007, GVOBl. M-V S. 67; Gesetz über den privaten Rundfunk und neue Medien in Sachsen (Sächsisches Privatrundfunkgesetz – SächsPRG) vom 9. Januar 2001, SächsGVBl. 2001, S. 69, ber. 684, zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Januar 2007, SächsGVBl. S. 18; Saarländisches Mediengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 2002, Amtsbl. Saarl., S. 498 ff., S. 754, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. April 2007, Amtsbl. Saarl., S. 1062; Thüringer Landesmediengesetz (ThürLMG) in der Fassung der Neubekanntmachung vom 05. März 2003, GVBl. Th 2003, S. 117. 174 Landesgesetz zu dem Staatsvertrag über den Rundfunk im vereinten Deutschland (ARD-StV) vom 10. Dezember 1991, GVOBl. S-H 1991, S. 596, zuletzt geändert durch Gesetz vom 22.02.2007, GVOBl. S-H, S. 123; Gesetz über die Errichtung und die Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts „Der Bayerische Rundfunk" (BayRG – Bayerisches Rundfunkgesetz) in der Fassung vom 22. Oktober 2003, BayGVBl., S. 792, zuletzt geändert durch Gesetz vom 11.12.2006, BayGVBl., S. 1008; Gesetz über den Hessischen Rundfunk (HR-Gesetz) vom 2. Oktober 1948, GVBl. Hessen, S. 123, zuletzt geändert durch Gesetz vom 05.06.2007, GVBl. Hessen, S. 300; Staatsvertrag über den Mitteldeutschen Rundfunk (MDR-StV) vom 25. Juni 1991, GVBl. LSA, S. 111, zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.03.2002, GVBl. LSA, S. 130, 156; Staatsvertrag über den Norddeutschen Rundfunk (NDR-StV) vom 17./18. Dezember 1991, HmbGVBl. 1992, S. 39, zuletzt geändert durch Änderungsstaatsvertrag vom 1. bis 2. Mai 2005, HmbGVBl., S. 264; Gesetz über die Errichtung und die Aufgaben einer Anstalt des öffentlichen Rechts – Radio Bremen – (RBG) in der Fassung vom 01. Juli 2002, Brem. GBl. S. 209; Staatsvertrag über die Errichtung einer gemeinsamen Rundfunkanstalt der Länder Berlin und Brandenburg (RBB-StV) vom 25. Juni 2002, GVBl. Berlin 2002, S. 331; für den Saarländischen Rundfunk s. Saarländisches Mediengesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. Februar 2002, Amtsbl. Saarl., S. 498 ff., S. 754, zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. April 2007, Amtsbl. Saarl., S. 1062; Staatsvertrag über den Südwestrundfunk (SWR-StV) vom 21. Juli 1997, GVBl. BW 1997, S. 300, zuletzt geändert durch Art.4 Abs.2 iVm Art.14 des Gesetzes Nr.1632 zur Reform der saarländischen Verwaltungsstrukturen vom 21.11.07, Saarl. Amtsbl. S. 2393; Gesetz über den „Westdeutschen Rundfunk Köln“ (WDR-Gesetz) in der Fassung vom 30.11.2004, GV. NRW, S. 770. 175 Deutsche-Welle-Gesetz (DWG) vom 16.12.1997, BGBl. I S. 3094, zuletzt geändert durch Gesetz vom 15.12.2004, BGBl. I S. 3456; zusammengeführt als Deutsche-Welle-Gesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. Januar 2005, BGBl. I S. 90. 95 1. Einzelne Medienbereiche 1.4.4.1.2 Europarechtliche Einflüsse Das Rundfunkrecht ist stark geprägt durch europäisches Recht. So schlagen insbesondere die Vorschriften der EG-Fernsehrichtlinie „Fernsehen ohne Grenzen“ 176 und der Europaratskonvention 177 , im Bereich des Digitalen Fernsehens auch solche der Rahmenrichtlinie 178 , der Zugangsdiensterichtlinie 179 und der Universaldienstrichtlinie 180 im nationalen Recht durch. Im Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks wird die Anwendbarkeit der Regelungen über staatliche Beihilfen und der Transparenzrichtlinie 181 diskutiert (s. Kap. 1.4.4.2.1.3). Ein Novellierungsentwurf zur Reformierung und der Ausweitung der EG-Fernsehrichtlinie zu einer technikneutralen Richtlinie für audiovisuelle Mediendienste wurde nach mehrjährigen Diskussionen im November 2007 endgültig verabschiedet und trat am 19.12.2007 in Kraft 182 ; die Frist für die Umsetzung der Vorgaben durch die Mitgliedstaaten in nationales Recht beträgt zwei Jahre. Inhaltlich sieht die so genannte AVMSD-Richtlinie eine abgestufte Regulierung von linearen (Fernsehprogramm) und nicht-linearen (Abrufdienste) audiovisuellen Mediendiensten vor; der Anwendungsbereich wurde insoweit – weniger weit als ursprünglich vorgesehen – ausgedehnt. Vom Anwendungsbereich erfasst werden nun auch fernsehähnliche Dienste wie Fernsehen auf Abruf, Internet- oder Handy-Fernsehen – wenn auch insgesamt schwächere Anforderungen an nicht-lineare Dienste als an lineare Dienste gestellt werden. Leichte Anpassungen nimmt die EU-Vorgabe an den quantitativen Werberegelungen vor. Für größere Diskussionen sorgte die Entscheidung, zwar an dem Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm festzuhalten und Produktplatzierungen grundsätzlich zu verbieten, Ausnahmen davon aber unter konkreten Voraussetzungen für bestimmte lineare Dienste zuzulassen (z. B. in Filmen, Serien, Sportsendungen und Sendungen der leichten Unterhaltung). Bei der Frage nach der konkreten Umsetzung in den Mitgliedstaaten bleibt diesen aber ein gesetzgeberischer Spielraum. Weitere Aspekte der Richtlinienreform betreffen die Konkretisierung von Jugendmedienschutzvorgaben für lineare Dienste sowie die Verpflichtung der Schaffung von Zugangsbeschränkungen auf Seiten der Anbieter von nicht-linearen audiovisuellen Mediendiensten. Daneben soll die Richtlinie die Sperrung unzulässiger Inhalte auch über Grenzen der Mitgliedstaaten hinweg vereinfachen. Leicht angepasst werden die Vorgaben für ein einheitliches Recht auf Gegendarstellung und Kurzberichterstattung. 176 Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Juni 1997 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. EG Nr. L 202 vom 30.07.1997, S. 60. 177 Europäisches Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen vom 15. Mai 1989. 178 Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste, ABl. EG Nr. L 108 v. 24.04.2002, S. 33. 179 Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung, ABl. EG Nr. L 108 v. 24.4.2002, S. 7. 180 Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie) ABl. EG Nr. L 108 v. 24.4.2002, S. 51. 181 Richtlinie 2000/52/EG der Kommission vom 26. Juli 2000 zur Änderung der Richtlinie 80/723/EWG über die Transparenz der finanziellen Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und den öffentlichen Unternehmen, ABl. EG Nr. L 193, S. 75. 182 Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. EG L 332 v. 18.12.2007, S. 27. 96 1.4. Rundfunk 1.4.4.1.3 Rundfunkbegriff Der Begriff des „Rundfunks“ lässt sich aus verfassungsrechtlicher Perspektive (Art. 5 Abs. 1 GG) nicht abschließend definieren 183 . Rundfunk wird durch die elektromagnetische Verbreitungsform geprägt, durch die eine räumliche und/oder zeitliche Distanz zwischen Anbieter und Nutzer überwunden wird, wobei Inhalte jeglicher Art übermittelt werden und diese sich an die Allgemeinheit wenden 184 . Der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff wird weit verstanden und ist entwicklungsoffen 185 . Die Rundfunkgesetze der Länder orientieren sich in ihren Begriffsbestimmungen regelmäßig am Wortlaut von § 2 Abs. 1 RStV, der folgende Definition anführt: „Rundfunk ist die für die Allgemeinheit bestimmte Veranstaltung und Verbreitung von Darbietungen aller Art in Wort, in Ton und in Bild unter Benutzung elektrischer Schwingungen ohne Verbindungsleitung oder längs oder mittels eines Leiters.“ Diese einfachgesetzliche Begriffsdeutung gibt nur einen gewissen Anhaltspunkt für den verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff, kann diesen aber nicht abschließend definieren 186 . Für den Rundfunkbegriff ist aber allgemein nicht wesentlich, in welcher Technik (analog/digital, Hörfunk/Fernsehen) oder über welche Plattform (Terrestrik/Satellit/Breitbandkabel/DSL/UMTS etc.) das Programm verbreitet wird. Ebenfalls unerheblich ist, ob das Angebot verschlüsselt und bzw. oder nur gegen Entgelt (Pay-TV) angeboten wird. Abgrenzungsprobleme, insbesondere im Hinblick auf Telemedien, kreisen um das Tatbestandsmerkmal „Darbietungen aller Art“, die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) orientiert sich bei der Dienstedifferenzierung an den Kriterien Aktualität, Breitenwirkung und Suggestivkraft. Im Hinblick auf die Frage, ab wann Internet-TV Rundfunk im Sinne des RStV darstellt, stützen die Landesmedienanstalten ihre Entscheidung auf die Menge der theoretisch möglichen gleichzeitigen Nutzer; 187 können zeitgleich mehr als 500 Personen das Angebot nutzen, so handelt es sich nach dieser Ansicht um Rundfunk. Angesichts der Konvergenz, nicht zuletzt aber auch aufgrund der europarechtlichen Differenzierungen 188 , geraten traditionelle Abgrenzungen gerade im Rundfunkbereich zunehmend unter Druck (s. Kap. 3.4). Im November 2004 haben Bund und Länder die „Eckpunkte zur Fortentwicklung der nationalen Medienordnung“ 189 vereinbart. Danach werden die Vorschriften der künftigen Medienordnung weiterhin unabhängig vom Verbreitungsweg entwicklungsoffen ausgestaltet und vereinfacht. Hinsichtlich der Regelungsdichte, aber auch der staatlichen Kontrolle, wird an der Unterscheidung von „Neuen Diensten“ (sog. Telemedien) und Rundfunk festgehalten. 1.4.4.1.4 Duales System Seit der Einführung privater Rundfunkveranstalter 1984 wird das Nebeneinander von öffentlich-rechtlich und privatwirtschaftlich organisiertem Rundfunk als Duales System bezeichnet, wobei die öffentlich-rechtlich ausgestaltete Seite die private Veranstaltung in ihrer jetzigen Form aus verfassungsrechtlichen Gründen be183 Vgl. BVerfGE 74, 297 (350 f.), 83, 238 (302). 184 Vgl. Bethge, in Sachs (2007), Art, 5, Rn. 90a. 185 Vgl. BVerfGE 74, 297 (350), 83, 238, (302). 186 Schulz, in Hahn/Vesting 2007, § 2, Rn. 10 ff. 187 Vgl. „Überarbeitung des dritten Strukturpapiers / Internet-Radio und IP-TV“, von der DLM beschlossen am 27.06.2007, abrufbar unter http://www.alm.de/fileadmin/forschungsprojekte/GSPWM/Beschluss__IP-TV.pdf [Stand: 20.01.2008]. 188 Vgl. Castendyk/Böttcher 2008, S. 13 (14 ff.). 189 Abrufbar unter http://www.bundesregierung.de/nn_774/Content/DE/Artikel/2001__2005/2005/11/2005-11-02eckpunkte-zur-fortentwicklung-der-nationalen-medienordnung.html. 97 1. Einzelne Medienbereiche dingt: Die gegenüber dem Standard beim öffentlich-rechtlich Rundfunk gelockerten rechtlichen Bindungen für den Privatfunk (Verringerung der programmlichen Anforderungen auf einen „Grundstandard gleichwertiger Vielfalt“) gelten nur so lange und so weit, als ein an den bisherigen (höheren) Anforderungen orientierter öffentlich-rechtlicher Rundfunk die Aufgabe der Grundversorgung erfüllt 190 . Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten werden aufgrund von Landesgesetzen oder Staatsverträgen errichtet, interne Aufsichtsgremien sind staatsferne und gruppenplural zusammengesetzte Räte, die Finanzierung erfolgt ebenfalls staatsfern aus Rundfunkgebühren. 1.4.4.1.5 Regulierungskonzept Die Rundfunkfreiheit ist für die freiheitlich-demokratische Grundordnung von schlechthin konstituierender Bedeutung 191 . Der Rundfunk ist Medium und Faktor der öffentlichen Meinungsbildung 192 . Der parlamentarische Gesetzgeber ist gehalten, dem dienenden Charakter der Rundfunkfreiheit Rechnung zu tragen und eine positive Ordnung zu schaffen, die sicherstellt, dass der Rundfunk organisatorisch wie programminhaltlich pluralistischen Anforderungen gerecht wird. Zu diesem Zweck sind materielle, organisatorische und prozedurale Regelungen notwendig, die an der Aufgabe der Rundfunkfreiheit orientiert sind 193 . Aufgrund dieser verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Rundfunkregulierung sehen die Rundfunkgesetze der Länder eine ausdifferenzierte Marktzutrittsregulierung für private Rundfunkveranstalter vor. So postulieren die Landesgesetze für Rundfunkveranstalter ein Verbot mit Erlaubnisvorbehalt (Rundfunkzulassung) 194 ; für bundesweite Veranstalter gilt ab dem 01. September 2008 der Vorbehalt der §§ 20, 20a RStV. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass nur solche Veranstalter zugelassen werden, die ein Mindestmaß an inhaltlicher Ausgewogenheit erwarten lassen. Zulassung sowie Aufsicht über die privaten Hörfunkund Fernsehveranstalter erfolgt über die jeweils zuständige Landesmedienanstalt, die über die Einhaltung der rundfunkrechtlichen Vorschriften wacht und gegebenenfalls Regulierungs- und Ordnungsinstrumente, mit dem Entzug der Sendelizenz als ultima ratio, einsetzen kann. Die Landesmedienanstalten sind staatsfern organisiert und verfügen über gruppenplural zusammengesetzte Entscheidungsorgane oder Expertengremien. Die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM), der Zusammenschluss aller 14 Landesmedienanstalten, koordiniert die Tätigkeit vor allem mit Blick auf bundesweite Veranstalter. Dazu greifen die Anstalten auf besondere zentrale Kommissionen zurück, die als Organe der jeweiligen Anstalt handeln und von den Gesetzgebern im Zuge der Straffung des Föderalismus eingerichtet wurden, so – zukünftig – im Bereich der Zulassung und Aufsicht (ZAK), sowie der Zuweisungs- und Belegungsentscheidungen (GVK), und bereits seit längerem im Bereich der Medienkonzentration (KEK) und des Jugendschutzes (KJM). Zu den Entwicklungstendenzen s. Kap. 3.4. Die Anstalten des öffentlich-rechtlichen Rundfunks werden qua Gesetz eingerichtet und unterliegen aus Gründen der Rundfunkfreiheit einer nur beschränkten Rechtsaufsicht durch die Länder. Die Hauptaufsicht obliegt hier insofern den internen Gremien der Anstalten. 190 Vgl. etwa BVerfG 73, 118 (158 f.). 191 BVerfGE 35, 202 (219). 192 BVerfGE 12, 205 (260). 193 Vgl. BVerfGE 57, 295 (320); 83, 238 (296); 95, 220 (236). 194 S. etwa §§ 17 ff. MStV HSH; § 23 Abs. 1 MStV B.-Bbg.; § 4 Abs. 1 LMG NRW; das Saarland bildet mit einer Zulassungsfiktion die Ausnahme, vgl. §§ 43, 44 SaarlMedienG. 98 1.4. Rundfunk 1.4.4.1.6 Nicht-staatliche Regulierung Im Bereich des Jugendschutzes hat sich die Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) etabliert, die als erste Selbstkontrolleinrichtung nach dem neuen JMStV 195 anerkannt wurde und nun auch im Rahmen des Konzeptes einer staatlich regulierten Selbstregulierung (s. Kap. 2.6) tätig wird 196 . 1.4.4.1.7 Verhältnis von Rundfunkrecht und Telekommunikationsrecht Im Unterschied zu der Telekommunikationsordnung, die sich nach der Privatisierung der Bundespost an einem an wettbewerblichen Zielvorgaben ausgerichteten Wirtschaftsmarkt orientiert (s. dazu Kap. 2.2), ist die Ausgestaltung der Rundfunkordnung von der Prämisse gekennzeichnet, dass die Rundfunkfreiheit nicht primär im Interesse der Veranstalter, sondern im Interesse umfassender freier Meinungsbildung gewährleistet ist. Durch die unterschiedlichen Gesetzgebungskompetenzen (Rundfunk: Länder; Telekommunikation: Bund) kommt es, insbesondere in konvergenten Bereichen, zu Überschneidungen von Anwendungsbereichen. Die Kopplung der beiden Materien gelingt hier noch nicht immer reibungsfrei (s. dazu auch Kap. 3.4). An dieser Schnittstelle liegen auch die in Zukunft vermutlich an Bedeutung zunehmenden Annexdienste digitalen Fernsehens. Durch die Digitalisierung der Übertragungsplattformen und der Endgeräte haben sich im Bereich der Rundfunkübertragung neue Dienstleister und Angebote – wie etwa Set-Top-Boxen-Hersteller, Plattformbetreiber, Multiplexing- und Zugangsberechtigungssysteme (sog. Conditional-Access-Dienste) sowie Navigatoren- und EPG-Angebote – herausgebildet, deren Einordnung in das bisherige Medien- und Telekommunikationsrecht (vgl. z. B. § 53 RStV und § 50 TKG im Hinblick auf CA-Dienste) mitunter schwer fällt. 1.4.4.2 Novellierungen und Reformen im Berichtszeitraum Von den im Berichtszeitraum erfolgten Gesetzesänderungen und -novellierungen sollen hier diejenigen kurz genannt werden, die sich besonders durch ihre Relevanz für die praktische Arbeit von Rundfunkveranstaltern und deren Mitarbeitern sowie für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Sektor ausgezeichnet haben. Dazu gehören in erster Linie die Änderungsstaatsverträge zum Rundfunkstaatsvertrag sowie Novellen der Rundfunkgesetze der Länder. 1.4.4.2.1 Anpassung des Rechtsrahmens für Rundfunk und Telemedien Mit dem 9. RÄStV 197 , der parallel zum Telemediengesetz des Bundes verabschiedet wurde, sind die vormals im MDStV enthaltenen Vorschriften für Mediendienste größtenteils in den RStV übernommen worden – seitdem lautet der Langtitel des Gesetzeswerks „Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien“. Vorschriften eingefügt wurden dabei insbesondere im Hinblick auf den Anwendungsbereich (§ 2 Abs. 1 S. 3), allgemeine Vorgaben für Telemedien (§ 54), Datenschutz bei journalistisch-redaktionellen Zwecken (§ 57), Informationspflichten und -rechte (§ 55), das Gegendarstellungsrecht (§ 56), Werbung und Sponsoring (§ 58) und die Aufsicht (§ 59). Gleichzeitig wurde der MDStV aufgehoben. Zur Vereinheitlichung des Rechtsrahmens für Telemedien s. auch Kap. 1.5.4.2.3. 195 Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien vom 20. Januar 2003, GVBl. Nds. 2002, S. 706; GVBl. Bbg I 2003/03, S. 21; BayGVBl. Nr. 5/2003, S. 147. 196 http://www.fsf.de. 197 Neunter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge, z. B. GVOBl. M-V 2007, S. 67; Hess. GVBl. 2007 I, S. 206. 99 1. Einzelne Medienbereiche 1.4.4.2.2 Änderungen der rechtlichen Grundlagen für öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten 1.4.4.2.2.1 Aufgabe und Auftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks Nach einer Debatte über die rundfunkrechtliche Zulässigkeit von Online-Aktivitäten öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten wurden die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF und Deutschlandradio durch den 4. RÄStV 198 dazu ermächtigt, im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung Mediendienste „mit vorwiegend programmbezogenem Inhalt“ anzubieten 199 . Damit griff der Gesetzgeber eine Formulierung auf, wie sie bereits in den Regelungen zur Herausgabe von Programmzeitschriften durch die Rundfunkanstalten existierte; er verzichtete dabei aber auf die Übernahme des dort neben dem Programmbezug enthaltenen Merkmals der „Erforderlichkeit“. In der Begründung hieß es, dass Dienste ohne einen solchen Programmbezug „nicht zulässig“ seien. Werbung und Sponsoring finden nach dieser Vorschrift in den Mediendiensten der Rundfunkanstalten nicht statt. Am Ende umfassender Diskussionen sah der 7. RÄStV 200 in § 11 RStV eine Präzisierung des Programmauftrags des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vor – nicht zuletzt auch als Reaktion auf die Diskussion auf der europarechtlichen Ebene im Hinblick auf die Definition des Aufgabenbereichs des gebührenfinanzierten Rundfunks (s. Kapitel 1.4.4.2.1.2). Mit einer neu eingefügten Generalklausel umfasst der Programmauftrag neben Grundsätzen wie der Wirkung als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung und der Verpflichtung zu umfassender Information, Bildung, Beratung, Unterhaltung und Kultur auch die ausdrückliche Ermächtigung zum Angebot von programmbegleitenden Druckwerken und Mediendiensten mit programmbezogenem Inhalt. Bei der Erfüllung dieses Auftrags haben die Anstalten die Grundsätze der Objektivität und Unparteilichkeit der Berichterstattung, die Meinungsvielfalt sowie die Ausgewogenheit der Angebote und Programme zu berücksichtigen. Die Regelungen zu Druckwerken und Online-Angeboten wurden also insoweit verändert, als dass bei dem Erfordernis des programmbezogenen Inhalts der Zusatz „vorwiegend“ gestrichen und der Begriff der Programmbegleitung eingefügt wurde. Für die weitere Konkretisierung des Programmauftrags sieht der RStV vor, dass die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio jeweils Satzungen oder Richtlinien zur näheren Ausgestaltung ihres jeweiligen Auftrags erlassen, die zu veröffentlichen sind. Alle zwei Jahre haben diese öffentlich-rechtlichen Veranstalter außerdem einen Bericht über die Erfüllung ihres jeweiligen Auftrags, über die Qualität und Quantität der Angebote und Programme sowie die geplanten Schwerpunkte der jeweils anstehenden programmlichen Leistungen zu veröffentlichen. Laut Begründung ist es Aufgabe der zuständigen Organe, regelmäßig bei der Erstellung von Selbstverpflichtungen die Besonderheiten des öffentlich-rechtlichen Programmauftrages herauszuarbeiten und im Detail fortzuentwickeln. Da dieses Modell einer gestuften Auftragsdefinition ein Novum im deutschen Rundfunkrecht darstellt, soll die Anwendung der Vorschrift nach drei Jahren durch die Länder überprüft werden. 198 S. etwa GVBl. HH 2000 Nr. 7 v. 01.03.2000, S. 43; GVBl. Berlin 2000 Nr. 10 v. 15.03.2000, S. 257; GVBl. NRW 2000 Nr. 26 v. 12.05.2000, S. 393. 199 Vgl. § 4 ARD-StV, § 4 ZDF-StV, § 4 DLR-StV. 200 Siebter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge, s. etwa GVBl. HH 2004 17/Nr. 12 v. 03.03.2004, S. 108; GVBl. Berlin 2003 Nr. 47 v. 17.12.2003, S. 613; GVBl. NRW 2004 Nr. 3 v. 30.01.2004, S. 34. 100 1.4. Rundfunk Bereits der 4. RÄStV 201 sah durch eine Novellierung des § 19 Abs. 3 RStV die ausdrückliche Ermächtigung der ARD-Rundfunkanstalten sowie des ZDF vor, ihre derzeit verbreiteten Programme in digitalen Bouquets anzubieten. Auch zukünftige Angebote werden von der Ermächtigung erfasst. Damit trägt der Gesetzgeber der aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG fließenden Bestands- und Entwicklungsgarantie des öffentlichrechtlichen Rundfunks auch im Bereich des digitalen Fernsehens Rechnung. Beschränkt werden die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten dabei gemäß § 19 Abs. 4 auf den Umfang von drei analogen Fernsehkanälen. Mit dem 8. RÄStV 202 wurde eine quantitative Obergrenze festgelegt, bis zu der die Landesrundfunkanstalten Fernseh- und Hörfunkprogramme veranstalten dürfen (§ 19). Stichtag für die Bestimmung der zulässigen Programmanzahl war der 1. April 2004. Eine Reduktion des Ist-Zustandes vom 1. April 2004 ist nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts zulässig, ebenso die Umbenennung oder die Neuausrichtung eines Programms im Rahmen des gesetzlichen Auftrags. In der Anlage zum 8. Rundfunkänderungsstaatsvertrag befinden sich zudem die strukturellen Selbstbindungen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, in denen sich die Sender eine Deckelung ihrer Ausgaben für ihre Online-Angebote auf 0,75 Prozent ihres Gesamthaushalts auferlegen. Eng verknüpft mit der Frage nach dem derzeitigen Programmauftrag sind die Diskussionen um die Schaffung von „Mediatheken“ bei ZDF und ARD bzw. den Landesrundfunkanstalten; bei diesen Online-Angeboten halten die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten viele ihrer ausgestrahlten Sendungen einige Tage lang, teilweise auch länger, für eine kostenlose Nutzung vor. Weitergehende Änderungen der gesetzlichen Vorgaben im Hinblick auf die Selbstbestimmung des Programmauftrags bzw. der programmbezogenen Selbstverpflichtung durch die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ergeben sich aus den Anforderungen der EU-Kommission im Rahmen des europarechtlichen Beihilfeverfahrens (s. dazu Kap. 1.4.4.2.1.3). 1.4.4.2.2.2 Rundfunkfinanzierung & Rundfunkgebühr Die Hauptfinanzquelle für öffentlich-rechtlichen Rundfunk sind die Gebühren, die ihre Grundlagen im Rundfunkgebührenstaatsvertrag 203 sowie dem Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag 204 finden. Gebührenpflichtig ist danach jeder, der ein Rundfunkgerät zum Empfang bereithält – unabhängig davon, ob es zum Empfang konkret genutzt bzw. welcher Sender eingeschaltet wird. Die sich daraus unter anderem ergebende Problematik einer möglichen Rundfunkgebührenpflicht von Computern hängt eng mit der Einstufung von bestimmten Mediendiensten in den Bereich des Rundfunks zusammen (s. Kap. 3.4.2.3.2). Die Höhe der Gebühren wird im Rahmen eines staatsfernen Verfahrens zwischen Bedarfsanmeldungen durch die Rundfunkanstalten und einer Überprüfung durch die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten (KEF) vorgeschlagen und von den Länderparlamenten bzw. –regierungen festgesetzt. Im 5. RÄStV wurde die Höhe der Rundfunkgebühr im Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag neu festgesetzt (s. Kap. 1.4.2.1). Daneben wurden Änderungen im Rundfunkfinanzausgleich vorgenommen. Der 6. RÄStV sah eine Verbesserung der Information der Landesparlamente über die Situation des öffentlich-rechtlichen 201 S. etwa GVBl. HH 2000 Nr. 7 v. 01.03.2000, S. 43; GVBl. Berlin 2000 Nr. 10 v. 15.03.2000, S. 257; GVBl. NRW 2000 Nr. 26 v. 12.05.2000, S. 393. 202 Achter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge, s. etwa HessGVBl. 2005 I S. 119; GVOBl. S.-H. 2005, S. 14. 203 Art. 4 des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinigten Deutschland v. 31.8.1991, zuletzt geändert durch den Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, in Kraft getreten am 01.03.2007. 204 Art. 5 des Staatsvertrages über den Rundfunk im vereinigten Deutschland v. 31.8.1991, zuletzt geändert durch den Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag, in Kraft getreten am 01.03.2007. 101 1. Einzelne Medienbereiche Rundfunks vor. Durch den damals vorgesehenen § 5 a RGebStV wurden die in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, das ZDF und das Deutschlandradio dazu verpflichtet, den Länderparlamenten mindestens alle zwei Jahre über ihre wirtschaftliche und finanzielle Lage schriftlich Bericht zu erstatten. Diese Berichte müssen eine Darstellung der Geschäftsfelder von Tochter- und Beteiligungsgesellschaften sowie der strukturellen Veränderungen und zukünftigen Entwicklungsperspektiven der Anstalten enthalten. Durch den 8. RÄStV wurde die Rundfunkgebühr erneut angehoben. Zur rechtlichen Diskussion um die geringere als von der KEF geforderte Anhebung sowie zum verfassungsgerichtlichen Urteil dazu s. Kap. 1.4.2.1. Im Hinblick auf die Diskussion, inwieweit auch Internet-PCs als Rundfunkempfänger behandelt werden, wurde durch den 4. RÄStV zunächst klargestellt, dass PCs mit Internetanschluss, mit deren Hilfe man prinzipiell Radiosender online empfangen kann und die damit grundsätzlich der Gebührenpflicht unterliegen würden, zunächst bis zum 31.12.2003 von der Gebührenpflicht befreit sind. Im 7. RÄStV wurde das Moratorium für Internet-PCs um drei Jahre bis zum 31. Dezember 2006 verlängert, die Vorschrift wurde dann im 8. RÄStV dahingehend geändert, dass ab dem 1. Januar 2007 auch onlinefähige Rechner, die Rundfunk wiedergeben können, als gebührenpflichtige Empfangsgeräte behandelt werden. Parallel zu den Entscheidungen über die Höhe der Rundfunkgebühren fanden Diskussionen statt, die neben einer Vereinfachung der Hörfunk- und Fernsehgebühren alternative Anknüpfungspunkte einer Rundfunkgebühr zum Gegenstand hatten, etwa Gebührenpflichten pro Haushalt („Mediengebühr“) oder pro Kopf („Kopfpauschale“, „Medienabgabe“) 205 . Daneben wurden auch Finanzierungsformen über Steuern des Bundes oder der Länder vorgeschlagen. Auf der Ministerpräsidentenkonferenz im Oktober 2007 wurde beschlossen, sich bei der Prüfung möglicher alternativer Modelle auf die „Haushaltsabgabe“ und einer „vereinfachten Rundfunkgebühr“ zu konzentrieren. 1.4.4.2.2.3 Rundfunkgebühren: EU-Beihilfeverfahren Nach mehreren Beschwerden zu unterschiedlichen Aspekten der gesetzlichen Finanzierungsausgestaltung der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten leitete die EU-Kommission 2005 ein Beihilfeverfahren gegen Deutschland ein. Hintergrund des Streites waren unterschiedliche Ansichten von Kommission sowie Bund und Ländern darüber, ob es sich bei der Finanzierung öffentlich-rechtlicher Rundfunkanstalten durch Rundfunkgebühren um eine Beihilfe nach Art. 87 Abs. 1 EG handelt. Im Gegensatz zu Bund und Ländern geht die Kommission davon aus, dass die Rundfunkgebühren in Deutschland eine solche Beihilfe sind 206 , und diese Beihilfe nur gerechtfertigt sein kann, wenn die Voraussetzungen des Art. 86 Abs. 2 EG vorliegen; ansonsten würde es sich um eine europarechtlich unzulässige Beihilfe handeln. Ende 2006 einigten sich Bund und Länder mit der Kommission unter Umgehung der Klärung der grundsätzlichen Beihilfefrage auf eine Verfahrenseinstellung, im Gegenzug verpflichtete die Kommission Deutschland zur gesetzlichen Umsetzung bestimmter vorher gemachter Zugeständnisse. So erkennt die Kommission hier die zum Zeitpunkt der Entscheidung geltende Rechtslage als europarechtskonform an, dass die gesetzliche Auftragsdefinition gemäß § 11 Abs. 1 RStV allgemein und breit gehalten ist und von den Anstalten selbst rechtsverbindlich konkretisiert wird. 207 In Bezug auf digitale Angebote und Telemedien haben die Länder das Verfahren zur Konkretisierung und Ausgestaltung des Online-Auftrags öffentlich-rechtlicher Anstalten allerdings zu konkretisieren und die öffentlich-rechtlichen Anstalten zu verpflichten, für alle neuen digitalen und veränderten digitalen Angebote einen dreistufigen Test durchzuführen. In diesem 3-Stufen-Test ist durch die Anstalt zu prüfen, inwieweit das Angebot vom Programmauftrag gedeckt ist, es in qualitativer Hinsicht zum 205 Zum so genannten „Hessischen Modell“ vgl. Marwitz 2008. 206 Vgl. K (2007) 1761 endg. Rz. 150. 207 K (2007) 1761 endg. Rz. 224. 102 1.4. Rundfunk publizistischen Wettbewerb beiträgt sowie eine Einschätzung des Angebot-Aufwands. Die so entstandene Angebotsplanung ist vorab durch anstaltsinterne Gremien zu genehmigen und die Vereinbarkeit mit den rechtlichen Vorgaben von den Ländern festzustellen. Neben dieser Umstellung der Verfahren von Programmauftragskonkretisierung und Selbstverpflichtung sollen gesetzliche Vorgaben etabliert werden, die zu einer erhöhten Transparenz im Hinblick auf Geldflüsse und zu einer besseren Trennung von Tätigkeiten führen, die in öffentlich-rechtlichem Auftrag erbracht werden, und solchen, die kommerziellen Tätigkeiten zuzurechnen sind (z. B. Werbung). Die Frist für die Umsetzung der Vorgaben läuft bis April 2009. 1.4.4.2.2.4 Sonstige Änderungen Durch den 5. RÄStV 208 wurde eine Änderung in § 8 ARD-Staatsvertrag vorgenommen, die eine einheitliche Handhabung des Gegendarstellungsrechtes ermöglicht und parallele Ansprüche gegen mehrere Landesrundfunkhäuser ausschloss. Daneben wurde im ARD- und ZDF-Staatsvertrag klargestellt, dass Werbung und Sponsoring im Teletext der öffentlich-rechtlichen Rundfunkprogramme unzulässig ist. Im 8. RÄStV wurde den Rundfunkanstalten die Verwendung von kostenpflichtigen Telefonmehrwertdiensten untersagt. Der Entwurf des 10. RÄStV 209 sieht im Hinblick auf die Ermittlung von rundfunkgebührenpflichtigen Personen eine vereinfachte Weitergabe von bestimmten Vertragsdaten nichtöffentlicher Stellen an die Landesrundfunkanstalten bzw. die GEZ vor (z. B. Pay-TV-Abonnements). 1.4.4.2.3 Novellierung des Deutsche-Welle-Gesetzes Vor dem Hintergrund der medienpolitischen Diskussion über die Novellierung von Aufgabe und Finanzierung der Deutschen Welle wurde 2004 das Deutsche-Welle-Gesetz novelliert 210 . Die Deutsche Welle selbst hatte im Vorfeld ebenfalls Anstrengungen unternommen, den eigenen Auftrag und das Selbstverständnis, mit dem er erfüllt wird, weiter zu explizieren und zu konkretisieren. Aufgrund des Bündels unterschiedlicher Ziele, die die Deutsche Welle im Hinblick auf die Konkretisierung ihres Auftrags von den inländischen Rundfunkanstalten unterscheidet (z. B. die Schwerpunkte interkulturelle Kommunikation und Angebote in Krisenregionen), versucht das Deutsche-Welle-Gesetz 211 eine Optimierung des Prozesses der Auftragskonkretisierung zu erreichen. Dabei muss das Deutsche-Welle-Gesetz die Gratwanderung zwischen der Programmautonomie der Deutschen Welle und der durch die Finanzierung aus dem Staatshaushalt bedingten Budgethoheit des Parlamentes schaffen. Dieser Gegensatz lässt sich verfassungskonform durch einen Prozess regulierter Selbstregulierung auflösen, in dem Auftragskonkretisierung und Finanzierung in einem gesetzlich gesteuerten Verfahren gesetzlich vorgezeichnet werden. So sieht das DWG einen generalklauselartigen und umfassenden Programmauftrag mit nur wenigen, abstrakten Vorgaben zu Funktion und Auftrag der Anstalt vor, die weitere Konkretisierung erfolgt durch die Anstalt selbst in einem gesetzlich vorgeschriebenen Abstimmungsverfahren: Zunächst erstellt die Deutsche Welle für einen Zeitraum von vier Jahren eine Aufgabenplanung, in der sie Programmziele, Schwerpunktvorhaben und deren Gewichtung zur Erfüllung ihrer Aufgabe nach Zielgebieten, Zielgruppen, Verbreitungswegen und Angebotsformen darlegt. Den Entwurf ihrer Aufgabenplanung leitet sie dem Bundestag und der Bundesregierung zu, die daraufhin zu den inhaltlichen Aspekten der Aufgabenplanung Stellung nimmt. Die Deutsche 208 Gesetz zu dem Fünften Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Fünfter Rundfunkänderungsstaatsvertrag), s. etwa GVBl. NRW 2000, S. 706; GVBl. S-H 2000, S. 638; Hess. GVBl. I 2000, S. 474. 209 Zehnter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge (Zehnter Rundfunkänderungsstaatsvertrag); Stand: 31.10.2007. 210 Gesetz zur Änderung des Deutsche-Welle-Gesetzes vom 15. Dezember 2004, BGBl. I S. 3456. 211 Deutsche-Welle-Gesetz in der Bekanntmachung vom 25. Januar 2005, BGBl. I S. 90. 103 1. Einzelne Medienbereiche Welle beschließt dann die Aufgabenplanung unter der Berücksichtigung der eingegangenen Stellungnahmen, wobei sie eine Begründungspflicht für nicht aufgenommene Stellungnahmen trifft. 1.4.4.2.4 Strukturveränderungen auf Ebene der Landesmediengesetze Unabhängig von den durch die Novellierungen des RStV erforderlichen Änderungen der Rundfunkgesetze der Länder haben einzelne Bundesländer diese Gesetze im Berichtszeitraum komplett reformiert 212 . Hauptgegenstand der Novellen waren dabei die Umstrukturierung der Medienaufsicht, Änderungen im Zulassungsverfahren sowie die Stärkung von Anbietern, die Programme in der Zulassungsregion produzieren. 1.4.4.2.4.1 Pluralistische Gremien vs. Expertenmodell Einige Landesrundfunkgesetz-Novellen 213 sahen Änderungen der Organisationsstruktur der jeweiligen Landesmedienanstalt derart vor, dass mehrköpfige Sachverständigengremien die bisher gesellschaftlich plural besetzten Gremien ablösen oder diese um Expertenwissen ergänzen (vgl. Kap. 3.4.4.1.2). Die Verfassungsmäßigkeit dieses Experten- oder Ratsmodells wurde im Hinblick auf die Gewährleistung der Staatsfreiheit des Rundfunks in Frage gestellt 214 . Andere sehen das Expertenmodell grundsätzlich als geeignete Ausgestaltung der Rundfunkaufsicht an. Der Gesetzgeber habe bei der Ausformung aber – und darauf konzentriert sich die Kritik an derzeit praktizierten Modellen dieser Art – verfassungsrechtliche Vorgaben bei der Umsetzung zu beachten. Diese betreffen namentlich die organisatorische Gewähr zur Sicherung eines Grundstandards gleichgewichtiger Vielfalt, die Verhinderung einseitiger Einflussnahme und die Wahrung des Gebotes der Staatsfreiheit bei Konstitution und Arbeit des Gremiums. 1.4.4.2.4.2 Verbot mit Erlaubnisvorbehalt vs. Führerscheinmodell Kernpunkt einiger Landesmediengesetznovellen war, dass die Entscheidung über die rundfunkrechtliche Zulassung der Rundfunkveranstaltung von der Frage der Zuweisung von Übertragungskapazitäten entkoppelt wird. Eine Beurteilung der Frage, welchen Beitrag ein Programm zur Vielfalt leistet, findet dabei erst auf der zweiten Stufe, d. h. bei der Zuweisung von konkreten Übertragungskapazitäten, statt. Auf der ersten Stufe werden lediglich Zulassungsvoraussetzungen und -hindernisse geprüft. Dieses neu eingeführte Konzept wirft Fragen vor dem Hintergrund der verfassungsrechtlichen Anforderungen an den Rundfunkgesetzgeber auf, wie vor allem kommunikative Mindestvoraussetzungen bei der Rundfunkveranstaltung zu gewährleisten sind. 1.4.4.2.4.3 Rechtliche Vorteile für Standortproduktionen Bei Zuweisungsentscheidungen knüpften einige der Landesrundfunkgesetze neben Vielfaltskriterien an lokale Bezüge des Veranstalters an. So sollten etwa solche Programme vorrangig ausgewählt werden, die die studiotechnische Abwicklung des Programms in dem entsprechenden Bundesland durchführen. Derartige Entscheidungskriterien gaben Anlass zu Diskussionen, insbesondere vor dem Hintergrund der europarechtlichen Zulässigkeit solcher Vorschriften. 212 S. etwa Thüringer Landesmediengesetz (ThürLMG) vom 5. März 2003, GVBl. Th 2003, S. 117; Gesetz zur Neuordnung des hamburgischen Medienrechts vom 2. Juli 2003, GVBl. HH 2003, S. 27; Landesmediengesetz Nordrhein-Westfalen (LMG NRW) vom 2. Juli 2002, GVBl. NRW 2002, S. 334. 213 In Sachsen (vgl. § 31 Abs. 1 SPRG) und in Berlin-Brandenburg (vgl. § 9 MStV B.-B.). 214 Dazu SächsVerfGH, ZUM-RD 1997, 531, 538 ff.; Gebel 1993; Rossen 1992. 104 1.4. Rundfunk 1.4.4.2.5 Organisatorische Anpassungen bei Zulassung und Medienaufsicht Der Entwurf des 10. RÄStV sieht eine Reform der Zulassung und Aufsicht durch die Landesmedienanstalten im Hinblick auf bundesweite Rundfunkveranstalter vor. Während bisher jede einzelne Landesmedienanstalt anhand der RStV-Vorgaben einen bundesweiten Veranstalter zulassen konnte und diesen dann zu beaufsichtigen hatte, zentralisiert die Novelle (§§ 35 ff.) deren Zulassung und Aufsicht bei der Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK), bei der Auswahl unter mehreren Bewerbern für Frequenzzuweisungen entscheidet die Gremienvorsitzendenkonferenz (GVK). Die Entscheidungen der Kommissionen sind bindend; die Landesmedienanstalt, bei der die Zulassung beantragt wurde, vollzieht diese im Anschluss. Insbesondere soll mit der Einrichtung der ZAK eine zentrale Stelle geschaffen werden, die dem teilweise vorgebrachten Vorwurf des bisher möglichen „Forum Shoppings“ begegnen kann und eine einheitliche Zulassungs- und Aufsichtspraxis gewährleisten soll. Auch im Hinblick auf die Vergabe von Übertragungskapazitäten sieht der Entwurf des 10. RÄStV zentralisierende Elemente vor. Durch die §§ 20 f., 50 bis 51 a RStV werden Verfahren etabliert, die eine bundesweit einheitliche Zuweisung von Übertragungskapazitäten ermöglichen; bisher hatten die Landesmedienanstalten derartige Vergabeverfahren untergesetzlich koordiniert. 1.4.4.2.6 Vielfalt & Konzentrationskontrolle Vor dem Hintergrund eines steigenden Konzentrationsgrades im Rundfunkbereich sowie des Einstiegs von Unternehmen mit beträchtlicher Marktmacht aus medienrelevanten verwandten Märkten auch in den Rundfunkbereich (s. Kap. 1.4.2.2.1) sah der 6. RÄStV 215 eine Reform der Konzentrationskontrolle zur Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht vor. Von vorherrschender Meinungsmacht ging der RStV zuvor dann aus, wenn die einem Unternehmen zurechenbaren Programme einen Zuschaueranteil von 30 Prozent bzw. dessen geringfügiger Unterschreitung bei Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung auf medienrelevanten verwandten Märkten erreichen. Zwar hielt der RStV nach wie vor an dem Zuschaueranteilsmodell und der 30-Prozent-Marke fest, jedoch wurde die bisherige Geringfügigkeitsklausel bei Unternehmen mit marktbeherrschender Stellung in medienrelevanten verwandten Märkten durch eine 25-Prozent-Hürde ersetzt. Bei der Berechnung eines ggf. vorliegenden Erreichens dieser Grenze werden allerdings zwei Prozentpunkte abgezogen, wenn in dem dem Unternehmen zurechenbaren Vollprogramm mit dem höchsten Zuschaueranteil Fensterprogramme gemäß § 25 Abs. 4 RStV in angemessenem Umfang aufgenommen sind, mindestens jedoch in dem Umfang wie zuvor. Bei einer gleichzeitigen Aufnahme von Sendezeiten für Dritte nach § 26 Abs. 5 RStV werden weitere drei Prozent abgerechnet (zur darüber hinausgehenden Förderung lokaler und regionaler Programminhalte siehe sogleich Kap. 1.4.4.2.5). Vor dem Hintergrund der Bedeutung der Drittsendezeiten für die Konzentrationskontrolle sieht § 31 RStV konkrete Verfahren für die Auswahl von Fensterprogrammen vor, die durch den 9. RÄStV weiter angepasst wurden und den Landesmedienanstalten weitgehende Letztentscheidungsrechte in Bezug auf die Auswahl des Fensterprogrammanbieters zugestehen. 1.4.4.2.7 Lokale und regionale Programminhalte Als Reaktion auf Zentralisierungsbestrebungen und Einsparmaßnahmen der bundesweiten privaten Fernsehveranstalter im Hinblick auf regionale Fensterprogramme sah der 7. RÄStV 216 vor, dass in den beiden bun- 215 Vgl. etwa GVBl. Rh-Pf 2002 Nr. 16 v. 24.09.2002, S. 360; GVBl. NRW 2002 Nr. 22 v. 09.08.2002, S. 372; GVBl. M-V 2003 v. Nr. 13 v. 19.07.2002, S. 461. 216 Siebter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge, s. etwa GVBl. HH 17/Nr. 12 v. 03.03.2004, S. 108; GVBl. Berlin 2003 Nr. 47 v. 17.12.2003, S. 613; GVBl. NRW 2004 Nr. 3 v. 30.01.2004, S. 34. 105 1. Einzelne Medienbereiche desweit verbreiteten reichweitenstärksten Fernsehvollprogrammen Fensterprogramme aufzunehmen sind, und zwar mindestens im zeitlichen und regional differenzierten Umfang der Programmaktivitäten zum 1. Juli 2002 (§ 25 Abs. 4 Satz 1 RStV). Diese Sicherung der Regionalfensterprogramme soll eine möglichst hohe Anzahl verschiedener Fensterprogramme mit unterschiedlichen regionalen Inhalten gewährleisten. Durch den 8. RÄStV wurde zusätzlich zu der Bonusregelung des § 26 Abs. 5 RStV aus dem 6. RÄStV (s. Kap. 1.4.4.2.4) eine Vorschrift in § 25 Abs. 4 aufgenommen, die das Forstbestehen von Regionalfensterprogrammen gewährleisten soll. So werden die beiden bundesweit verbreiteten reichweitenstärksten Fernsehvollprogramme durch die Vorschrift dazu verpflichtet, mindestens im zeitlichen und regionalen Umfang der Programmaktivitäten am Stichtag des 1. Juli 2002 nach Maßgabe des jeweiligen Landesrechts Fensterprogramme zu veranstalten. Eine Reduktion dieser Programmaktivitäten ist dadurch nicht mehr möglich. Inhaltliche Vorgaben sehen die Aufnahme von Inhalten zur aktuellen und authentischen Darstellung der Ereignisse des politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Lebens in dem jeweiligen Land vor. Die Unabhängigkeit des Fensterprogrammveranstalters soll dabei durch eine eigene Zulassung der zuständigen Landesmedienanstalt gesichert werden. Im Gegenzug fallen gem. § 52 Abs. 3 Nr. 2 RStV Programme mit Regionalfenstern in den so genannten Must-Carry-Bereich (s. unten Kap. 1.2.4.2.9) und müssen in digitalen Kabelanlagen weiterverbreitet werden. 1.4.4.2.8 Nationale Hörfunkquote Im Rahmen der Diskussion einer Hörfunkquote, die Radioveranstalter zum Ausstrahlen eines gewissen Prozentsatzes nationaler Künstler oder deutschsprachiger Musik verpflichten würde, kam es nicht zu der Übernahme einer entsprechenden Vorschrift in den 7. RÄStV. Hinzuweisen ist in diesem Zusammenhang aber auf die Protokollerklärung der Länder Baden-Württemberg, Bayern, Brandenburg, Hamburg, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein zu § 11 RStV im 7. RÄStV 217 . Darin erwarten die Länder von den Hörfunkveranstaltern, insbesondere von den in der ARD zusammengeschlossenen Rundfunkanstalten und dem Deutschlandradio, eine stärkere Berücksichtigung von deutschsprachiger Musik und deshalb eine Förderung auch neuerer deutschsprachiger Musikangebote durch ausreichende Sendeplätze in den Programmen. (Zum Hintergrund und zur rechtswissenschaftlichen Diskussion um eine Hörfunkquote s. Kap. 4.3.2.3.2.1.) 1.4.4.2.9 Programmgrundsätze Mit dem 4. RÄStV 218 wurde erstmals ein für alle Rundfunksender geltender Grundstandard von Programmgrundsätzen festgelegt, der die Anbieter zur Einhaltung und Beachtung gewisser Grundwerte verpflichtet, wie etwa die Achtung der Menschenwürde, einen Beitrag zur Stärkung der Achtung vor Leben, Freiheit und körperlicher Unversehrtheit und die Beachtung der sittlichen und religiösen Überzeugungen der Bevölkerung (§ 3 RStV). 217 Siebter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge, s. etwa GVBl. HH 17/Nr. 12 v. 03.03.2004, S. 108; GVBl. Berlin 2003 Nr. 47 v. 17.12.2003, S. 613; GVBl. NRW 2004 Nr. 3 v. 30.01.2004, S. 34. 218 S. etwa GVBl. HH 2000 Nr. 7 v. 01.03.2000, S. 43; GVBl. Berlin 2000 Nr. 10 v. 15.03.2000, S. 257; GVBl. NRW 2000 Nr. 26 v. 12.05.2000, S. 393. 106 1.4. Rundfunk 1.4.4.2.10 Übertragung von Großereignissen und Kurzberichterstattungsrecht Durch die Einführung von § 5a RStV im 4. RÄStV 219 (jetzt: § 4 RStV) wurden Fernsehveranstalter, die Großereignisse nur verschlüsselt und gegen besonderes Entgelt ausstrahlten, verpflichtet, eine gleichzeitige oder geringfügig zeitversetzte Ausstrahlung des Ereignisses in mindestens einem frei empfangbaren und allgemein zugänglichen Fernsehprogramm zu ermöglichen. Dadurch wurde in Umsetzung des Artikels 3 a Abs. 1 Satz 1 der EG-Fernsehrichtlinie gewährleistet, dass die Übertragung von Großereignissen auch im frei empfangbaren Fernsehen erfolgt. Die von der Vorschrift umfassten Großereignisse werden konkret aufgezählt, zu ihnen gehören etwa die Olympischen Sommer- und Winterspiele, Halbfinal- und Finalspiele der Fußball-Europa- und -Weltmeisterschaften sowie Heim- und Auswärtsspiele der deutschen Fußballnationalmannschaft. Als Reaktion auf das Urteil des BVerfG 220 zur Unzulässigkeit der Unentgeltlichkeit des Kurzberichterstattungsrechts in einigen Landesmediengesetzen sah § 5 Abs. 7 RStV eine Vorschrift zur Ausübung dieses Rechts bei berufsmäßig durchgeführten Veranstaltungen gegen Entgelt vor. 1.4.4.2.11 Änderung der Vorschriften für Werbung und Gewinnspiele Der Entwurf des 10. RÄStV führt mit § 8 a eine Norm in Bezug auf im Rundfunk veranstaltete Gewinnspiele ein, die grundsätzliche Anforderungen an Transparenz und Teilnehmerschutz aufstellt. Nach einigen Diskussionen um die Rechtmäßigkeit bestimmter Praktiken im Rahmen von einzelnen Gewinnspielen oder ganzen Gewinnspielsendungen sieht die Vorschrift vor, dass insbesondere Angaben zu Kosten, Teilnahmebedingungen, Spielgestaltung und Auflösung gemacht werden. Die Teilnahmekosten werden dabei gesetzlich auf 0,50 Euro begrenzt. Flankiert werden die Vorgaben von Auskunftsrechten der aufsichtsführenden Stellen gegenüber dem Veranstalter. Die Landesmedienanstalten werden zudem durch § 46 Abs. 1 RStV ermächtigt, konkretisierende Richtlinien und Satzungen zum Bereich der Gewinnspiele zu erlassen – insbesondere im Hinblick auf die Ahndung von Verstößen und die Bedingungen der Teilnahme Minderjähriger (zum Jugendschutz s. auch Kap. 2.6). Zu den Änderungen der Werbevorschriften vgl. im Einzelnen Kap. 2.3.3.4. 1.4.4.2.12 Jugendschutz Im 4. RÄStV 221 wurden die Jugendschutzregelungen dahingehend geändert, dass Sendungen unzulässig sind, die gegen Tatbestände des Strafgesetzbuches verstoßen. Zuvor zählte der RStV ausdrücklich umfasste einzelne Straftatbestände auf. Als Auffangregelung für Sendungen, die nicht ausdrücklich unzulässig waren, trat § 3 Abs. 1 Nr. 5 RStV hinzu, der Sendungen dann für unzulässig erklärte, wenn diese in sonstiger Weise die Menschenwürde verletzen. Mit Umsetzung des 4. RÄStV hielt daneben die akustische Ankündigungs- bzw. optische Kennzeichnungspflicht für jugendschutzrelevante Sendungen Einzug. Der 5. RÄStV beinhaltete eine klarstellende Regelung zu Programmankündigungen für jugendschutzrelevante Sendungen im digitalen Fernsehen. Zum mit Einführung des JMStV novellierten, derzeitigen Jugendschutzrecht siehe ausführlich Kap. 2.6.1. 219 S. etwa GVBl. HH 2000 Nr. 7 v. 01.03.2000, S. 43; GVBl. Berlin 2000 Nr. 10 v. 15.03.2000, S. 257; GVBl. NRW 2000 Nr. 26 v. 12.05.2000, S. 393. 220 BVerfGE 97, 228. 221 S. etwa GVBl. HH 2000 Nr. 7 v. 01.03.2000, S. 43; GVBl. Berlin 2000 Nr. 10 v. 15.03.2000, S. 257; GVBl. NRW 2000 Nr. 26 v. 12.05.2000, S. 393. 107 1. Einzelne Medienbereiche 1.4.4.2.13 Auskunfts- und Informationsrechte Im Rahmen des 9. RÄStV 222 wurde mit § 9a RStV eine Vorschrift aufgenommen, die Rundfunkveranstaltern – und über den Verweis in § 55 Abs. 3 auch Anbietern von journalistisch-redaktionell gestalteten Telemedien – bundesweit einheitliche Auskunftsrechte gegenüber Behörden um ihrer Funktion für die öffentliche Meinungsbildung willen zugesteht. Derartige Regelungen sahen für den Rundfunk bereits zuvor die Landespresse- und Landesmediengesetze sowie die gesetzlichen Grundlagen der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten vor, auch der MDStV etablierte für bestimmte Mediendienste in § 15 MDStV solche Auskunftsrechte. Mit § 9 a wurde hier insofern eine länder- und anbieterübergreifend einheitliche Regelung geschaffen. 1.4.4.2.14 Zeugnisverweigerungsrecht, Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbote Die Privilegierung von Medienmitarbeitern in Strafverfahren gilt auch für Mitarbeiter von Rundfunkprogrammen. Die Novellierung des Zeugnisverweigerungsrechts sowie der Vorschriften über Durchsuchungsund Beschlagnahmeverbote (s. Kap. 1.4.2.1) wirkt sich auch auf diesen Bereich aus. 1.4.4.2.15 Belegungsvorschriften für digitale Übertragungsplattformen Die digitale Distribution von Rundfunkinhalten muss auch rechtlich begleitet werden, um etwa Umsetzungsszenarien zeitlich zu gewährleisten und auf neu auftretende Risiken für die öffentliche Kommunikation zu reagieren. Im Hinblick auf die Digitalisierung der Kabelnetze wurden durch den 4. RÄStV Vorschriften hinsichtlich der Belegung dieser Netze in den RStV eingefügt, wobei § 52 RStV die Kabelkapazitäten in drei Bereiche teilt: So hat der Kabelbetreiber die für das jeweilige Land gesetzlich bestimmten Fernsehprogramme des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie die Übertragungskapazität eines analogen Fernsehkanals für die im jeweiligen Bundesland zugelassenen regionalen und lokalen Fernsehprogramme und offenen Kanäle zur Verfügung zu stellen (Must-Carry-Bereich). Seit dem 8. RÄStV fallen in den Must-Carry-Bereich auch die Kapazitäten, die für die Übertragung derjenigen privaten Rundfunkprogramme nötig sind, die ein Regionalfenster gemäß § 25 RStV enthalten. Für den Umfang von einem Drittel der Kabelkapazitäten hat der Kabelbetreiber daneben ein vielfältiges Programmangebot anhand von Belegungsgrundsätzen wie der Berücksichtigung der Interessen der angeschlossenen Teilnehmer und unter angemessener Berücksichtigung von Mediendiensten zusammenzustellen (Can-Carry-Bereich; zum Konzept der Vielfaltssicherung im Kabel s. auch Kap. 3.3.1.2.4). Über die Belegung der restlichen Kapazitäten kann der Betreiber im Rahmen der allgemeinen Gesetze frei entscheiden. Die endgültige Belegung hat er der zuständigen Landesmedienanstalt im Voraus und unter Offenlegung der Einspeisungs- und Weiterleitungsentgelte anzuzeigen. Die Gestaltung der Entgelte für die Einspeisung von öffentlich-rechtlichen sowie regionalen und lokalen Programmen ist daneben im Rahmen des Telekommunikationsgesetzes so zu gestalten, dass auch regionale und lokale Angebote zu angemessenen und chancengleichen Bedingungen verbreitet werden können. Der durch den 5. RÄStV 223 neu eingefügte § 52a RStV, der bestimmte Grundsätze für die Zuweisung digitaler terrestrischer Übertragungskapazitäten im Fernsehen vorsah, sollte den bisher in analoger Technik terrestrisch verbreiteten Veranstaltern Bestandsschutz gewähren, indem ihre Angebote bei der erstmaligen Zuweisung digitaler terrestrischer Übertragungskapazitäten vorrangig zu berücksichtigen sind. Auch müssen die 222 Neunter Staatsvertrag zur Änderung rundfunkrechtlicher Staatsverträge, z. B. GVOBl. M-V 2007, S. 67; Hess. GVBl. 2007 I, S. 206. 223 S. etwa GVBl. NRW 2000 Nr. 53 v. 15.12.2000, S. 706; GVOBl. S-H 2000 Nr. 18, S. 638; GVBl. Hessen 2000 v. 26.09.2000, S. 474. 108 1.4. Rundfunk technischen Übertragungskapazitäten für diese Programme im Verhältnis zu den anderen digitalen Übertragungskapazitäten gleichwertig sein. Der 6. RÄStV 224 sah in einem novellierten § 52a eine Ermächtigung der ARD-Anstalten und des ZDF vor, ihre analogen terrestrischen Programme unter Berücksichtigung ihrer Verpflichtung zur Versorgung der Bevölkerung mit Rundfunk schrittweise einzustellen, um den Ausbau und die Zuweisung digitaler terrestrischer Übertragungskapazitäten zu ermöglichen. Der Entwurf des 10. RÄStV reagiert auf technische Weiterentwicklungen im Bereich der Rundfunkübertragung. Bestanden zuvor im RStV ausschließlich Regelungen im Hinblick auf die Vergabe terrestrischer Frequenzen und die Belegung von analogen und digitalen Breitbandkabelnetzen (s. oben), werden durch die Novellierung auch neuartige Übertragungstechnologien wie IPTV erfasst und Regelungen für so genannte Plattformbetreiber etabliert, die Angebote verschiedener Rundfunkveranstalter und Telemedienanbieter über eine Übertragungsplattform zur Verfügung stellen (z. B. bei Handy-TV). Die Anpassung der Vorschriften (§§ 52 ff.) erfolgt insofern mit dem Ziel, die verschiedenen Wettbewerber auf den unterschiedlichen Plattformen gleichzustellen und verstärkt länderübergreifende Entscheidungen zu ermöglichen. Inhaltlich übernehmen die neuen Vorschriften für Plattformbetreiber die bisher im Bereich der Kabelnetze geltenden, oben beschriebenen Konzepte größtenteils. Damit spielt auch bei den neuen Distributionsplattformen der Aspekt der Vielfaltssicherung eine tragende Rolle. 1.4.4.2.16 Regulierung von Annex-Diensten des digitalen Fernsehens Mit der fortschreitenden Digitalisierung der Rundfunkübertragungswege gewinnen auch Dienstleistungen und neu hinzutretende Angebote in diesem Bereich an Bedeutung. So haben zunehmend etwa auch die Hersteller bzw. Anbieter von Zugangsberechtigungssystemen (Conditional Access), Basisnavigatoren, elektronischen Programmführern, Multiplexing- und Billing-Dienstleistern sowie Programmierer von Softwareschnittstellen (API, Application Protocol Interface) Einfluss auf die Chance, die ein kommunikativer Inhalt besitzt, im Rundfunk öffentlich zu werden. Im 4. RÄStV wurde der Begriff der chancengleichen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen bei den Zugangsdiensten im Bereich des digitalen Fernsehens in § 53 RStV, der für Anbieter von Zugangsberechtigungssystemen und Basis-Navigatoren gilt, konkretisiert: Danach mussten derartige Anbieter allen Veranstaltern ihre Dienste zu chancengleichen, angemessenen und nichtdiskriminierenden Bedingungen anbieten. Nach § 53 Abs. 1 Satz 2 RStV a. F. war nur dann Diskriminierungsfreiheit gewährleistet, wenn die Decoder über zugangsoffene Schnittstellen verfügten, die Dritten die Herstellung und den Betrieb eigener Anwendungen erlaubten. Die Schnittstellen mussten dem Stand der Technik, insbesondere einheitlich normierten europäischen Standards entsprechen. In Navigatoren war daneben auf die Angebote der öffentlichrechtlichen und der privaten Anbieter gleichgewichtig hinzuweisen. Anbieter, die bei der Bündelung und Vermarktung von Programmen eine marktbeherrschende Stellung innehatten, durften Nachfrager nicht unbillig behindern oder gleichartige Anbieter ohne sachlich gerechtfertigten Grund unterschiedlich behandeln. Daneben wurden den Diensteanbietern Anzeige-, Offenlegungs- und Auskunftspflichten gegenüber der zuständigen Landesmedienanstalt auferlegt. Abs. 7 der damaligen Vorschrift ermächtigte die Landesmedienanstalten zum Erlass von übereinstimmenden Satzungen zur Konkretisierung der Vorschriften zur Zugangsfreiheit im digitalen Fernsehen. Eine entsprechende Satzung haben alle Landesmedienanstalten erlassen. Durch den 7. RÄStV wurde in § 39a RStV festgelegt, dass die Landesmedienanstalten im Rahmen der Erfüllung ihrer Aufgaben mit der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (jetzt: Bundesnetzagentur) und mit dem Bundeskartellamt über die ohnehin bestehende Pflicht zur Amtshilfe hinaus zusammen- 224 Vgl. etwa GVBl. Rh-Pf 2002, S. 360; GVBl. NRW 2002, S. 372; GVBl. M-V 2003, S. 461. 109 1. Einzelne Medienbereiche arbeiten. Dabei sind auf deren Anfrage Erkenntnisse zu übermitteln, die für die Erfüllung der Aufgaben dieser Behörden erforderlich sind. Soweit die Landeskartellbehörden zuständig sind, gilt die Regelung für die Zusammenarbeit mit diesen entsprechend. Damit soll eine Zielvorgabe der Reform der Medienordnung in Bund und Ländern verwirklicht werden, nach der an den Nahtstellen von Medien-, Kartell- und Telekommunikationsrecht die Zusammenarbeit der zuständigen Behörden verbessert werden soll (s. Kap. 3.4.4.1). Daneben sieht der 7. RÄStV eine regelmäßige Überprüfung der Vorschriften in §§ 52, 53 RStV vor, erstmalig zum 31.3.2007. Im Rahmen des 8. RÄStV wurde der § 53 RStV komplett novelliert – nicht zuletzt, um die Änderungen im novellierten TKG zu berücksichtigen (s. Kap. 2.4.2.3.1). Während das Telekommunikationsrecht seit der TKG-Novelle die technischen Rahmenbedingungen von Zusatzdiensten digitalen Fernsehens regulatorisch einfasst, stellt der novellierte § 53 RStV Vorschriften für die inhaltlichen Aspekte dieser Dienste bzw. Angebote auf. Kernpunkt des § 53 RStV war und ist die Sicherung der Zugangsfreiheit und damit der Vielfalt: So verbietet Abs. 1 die unbillige Behinderung oder sachlich nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung von Anbietern von Rundfunk oder Telemedien bei der Verbreitung ihrer Angebote durch Zugangsberechtigungssysteme, durch Schnittstellen für Anwendungsprogramme, durch Basisnavigatoren oder aufgrund der Ausgestaltung von Entgelten. Flankiert wird der Grundsatz der Nichtdiskriminierung durch eine die von der Vorschrift verpflichteten Akteure umfassende Anzeigepflicht gegenüber der zuständigen Landesmedienanstalt (Abs. 2). Aufgrund solcher Anzeigen, aber auch nach einer Information durch die Bundesnetzagentur (vormals RegTP) oder durch die Beschwerde eines Programmveranstalters kann die jeweilige Landesmedienanstalt ein Verfahren einleiten, an dessen Ende die im Einvernehmen mit der Bundesnetzagentur zu treffende Entscheidung steht, ob ein Verstoß gegen das Gebot in Abs. 1 vorliegt (Abs. 3, 4). Darüber hinaus ermächtigt Abs. 6 die Landesmedienanstalten wie bisher, übereinstimmende Satzungen zur Konkretisierung der Abs. 1 bis 4 zu erlassen. Kritisiert wird von wissenschaftlicher Seite an dem neuen § 53 RStV vor allem ein unklarer Anwendungsbereich der Norm sowie die fehlende ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage für die zuständigen Landesmedienanstalten bei Verstößen gegen die Regelung des Abs. 1. Im noch durch die Länder zu ratifizierenden Entwurf des 10. RÄStV sieht § 52f allerdings die ausdrückliche Ermächtigung der Landesmedienanstalten von aufsichtsrechtlichen Maßnahmen gegenüber Plattformbetreibern vor; daneben etabliert die Novellierung umfassende Ordnungswidrigkeitentatbestände für diesen Bereich. 1.4.4.2.17 Datenschutz Mit dem 4. RÄStV 225 wurden erstmals bereichsspezifische Datenschutzvorschriften für den Rundfunk inkorporiert, die sich allerdings in großen Teilen an den Datenschutzregeln in anderen Medienbereichen orientieren. So galt seitdem auch für den Rundfunkbereich neben dem Prinzip der Datenvermeidung und -sicherheit der Grundsatz, dass personenbezogene Daten nur erhoben, verarbeitet oder genutzt werden dürfen, sofern das Gesetz dies ausdrücklich erlaubt oder der Betroffene eingewilligt hat. Gleichzeitig mit In-Kraft-Treten des Telemediengesetzes mit umfangreichen Transparenz-, Aufklärungs- und Informationspflichten seitens der datenverarbeitenden Stelle (s. Kap. 1.5.4.2.3) wurden durch den 9. RÄStV bereichsspezifische Datenschutzvorschriften im RStV gestrichen, seitdem erklärt § 47 Abs. 1 RStV die entsprechenden Vorgaben im TMG für anwendbar. Lediglich das Auskunftsrecht des Nutzers bezüglich seiner gespeicherten Daten sieht § 47 Abs. 2 RStV noch vor. 225 110 S. etwa GVBl. HH 2000 Nr. 7 v. 01.03.2000, S. 43; GVBl. Berlin 2000 Nr. 10 v. 15.03.2000, S. 257; GVBl. NRW 2000 Nr. 26 v. 12.05.2000, S. 393. 1.4. Rundfunk 1.4.5 Quellenangaben zu Kapitel 1.4 ALM Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in Deutschland (Hrsg.) (2007): ALM Jahrbuch 2006. Landesmedienanstalten und privater Rundfunk in Deutschland. Berlin. ALM Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in Deutschland (Hrsg.) (2005): ALM Jahrbuch 2004. Landesmedienanstalten und privater Rundfunk in Deutschland. Berlin. ALM Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten in Deutschland (Hrsg.) 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In: Media Perspektiven 4/2007, S. 187 ff. 112 1.5 DIGITALE INTERAKTIVE MEDIEN 1.5.1 ANGEBOTE UND INHALTE ................................................................................................. 115 1.5.1.1 1.5.1.2 1.5.2 WIRTSCHAFT UND ORGANISATION ............................................................................... 120 1.5.2.1 1.5.2.2 1.5.3 INTERNET UND ONLINE-ANGEBOTE ..................................................................................... 120 BILDSCHIRMSPIELE .............................................................................................................. 123 NUTZUNG ................................................................................................................................ 125 1.5.3.1 1.5.3.1.1 1.5.3.1.2 1.5.3.2 1.5.4 INTERNET UND ONLINE-ANGEBOTE ..................................................................................... 115 BILDSCHIRMSPIELE .............................................................................................................. 119 ONLINE-MEDIEN.................................................................................................................. 125 Zahl und Struktur der Online-Nutzer .................................................................................. 125 Umgang mit Online-Angeboten........................................................................................... 128 BILDSCHIRMSPIELE .............................................................................................................. 130 RECHT UND REGULIERUNG.............................................................................................. 132 1.5.4.1 RECHTSRAHMEN .................................................................................................................. 132 1.5.4.1.1 Europarechtliche Einflüsse ................................................................................................. 132 1.5.4.1.2 Nationaler Rechtsrahmen ................................................................................................... 133 1.5.4.1.3 Anwendungsbereiche und Diensteabgrenzung.................................................................... 134 1.5.4.1.4 Regulierungskonzept ........................................................................................................... 134 1.5.4.1.5 Nicht-staatliche Regulierung .............................................................................................. 135 1.5.4.2 NOVELLIERUNGEN UND REFORMEN IM BERICHTSZEITRAUM ............................................... 135 1.5.4.2.1 Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz (EGG)................................................................. 135 1.5.4.2.2 Mediendienstestaatsvertrag ................................................................................................ 137 1.5.4.2.3 Elektronischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz (ElGVG) mit Telemediengesetz (TMG) ............................................................................................................................ 138 1.5.4.2.4 Neunter Rundfunkänderungsstaatsvertrag (RStV) .............................................................. 139 1.5.4.2.5 Fernabsatzgesetz und Schuldrechtsmodernisierungsgesetz ................................................ 140 1.5.4.2.6 Signaturgesetz ..................................................................................................................... 141 1.5.4.2.7 Zugangskontrolldiensteschutzgesetz (ZKDSG) ................................................................... 141 1.5.4.2.8 Zeugnisverweigerungsrecht, Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbote ....................... 141 1.5.5 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 1.5.............................................................................. 143 Tabellenverzeichnis Tabelle 1.5.1.1: Anzahl der Online-Angebote deutscher Tageszeitungen Tabelle 1.5.1.2: Meistverlinkte Online-Angebote in der deutschsprachigen Blogosphäre (Februar 2008) Tabelle 1.5.2.1: IVW-Kennzahlen für Internetangebote (2002-2007; jeweils November) Tabelle 1.5.2.2: Meistbesuchte redaktionelle bzw. nutzergenerierte Internetangebote (März 2008) Tabelle 1.5.2.3: Marktentwicklung PC- und Videospiele (2000-2006) 113 1. Einzelne Medienbereiche Tabelle 1.5.3.1: Computerausstattung und Online-Nutzung im Zeitverlauf (in Prozent der deutschen Wohnbevölkerung ab 14 Jahren) Tabelle 1.5.3.2: Ort der Internetnutzung (ab 14 Jahren in Prozent) Tabelle 1.5.3.3: Internetzugang 1997 bis 2007 (in Prozent der Internetnutzer ab 14 Jahren) Tabelle 1.5.3.4: Durchschnittliche Verweildauer bei der Online-Nutzung 1997 bis 2007 (Online-Nutzer ab 14 Jahren in Deutschland) Tabelle 1.5.3.5: Nutzung verschiedener Online-Anwendungen (mindestens einmal wöchentlich genutzt; in Prozent der Online-Nutzer ab 14 Jahren) Tabelle 1.5.3.6: Genutzte Web-2.0-Angebote 2007 (mindestens selten genutzt, in Prozent der OnlineNutzer ab 14 Jahren) 114 1.5. Digitale Interaktive Medien Die Verbreitung digitaler interaktiver Medien hat in den vergangenen Jahren bereits deutliche Auswirkungen auf zahlreiche Bereiche der Medienwirtschaft gezeigt und besitzt weiterhin eine hohe Dynamik. Schwerpunkte dieses Abschnitts sind Befunde zur Entwicklung von onlinebasierten Angeboten und ihrer Nutzung, die in jüngster Zeit durch das „Web 2.0“ einen weiteren Schub bekommen haben, sowie zur wachsenden Bedeutung von Bildschirmspielen. 1.5.1 Angebote und Inhalte 1.5.1.1 Internet und Online-Angebote Aufgrund seiner technischen Architektur ist das Internet als Plattform für eine Reihe von unterschiedlichen Kommunikationsformen geeignet, die von der interpersonalen bzw. „one-to-one“-Kommunikation (z. B. über E-Mail oder Instant Messaging) über gruppenbezogenen Austausch (z. B. durch Chats oder Diskussionsforen) bis hin zur massenmedialen Verbreitung von Inhalten an ein disperses Publikum reicht. Hinzu kommen vielfältige Möglichkeiten computervermittelter Transaktionen, die beispielsweise im E-Commerce oder EGovernment zu finden sind. Mediensystem und -wirtschaft werden dadurch weniger klar von anderen Branchen und Kommunikationssphären abgrenzbar. Im E-Commerce setzte die Produktkategorie „Medien, Bildund Tonträger“ 2006 in Deutschland etwa 1,8 Milliarden Euro um und liegt damit hinter Bekleidung (2,8 Mrd. Euro) auf dem zweiten Platz 226 . Für Medienprodukte wie Bücher, CDs und DVDs ist also im Internet ein neuer Vertriebsweg entstanden. Für etablierte Akteure wie Verlage, Rundfunksender oder Filmproduzenten sind digitale interaktive Medien jedoch ein zweischneidiges Schwert: Sie gewinnen einerseits Möglichkeiten bzw. Kanäle hinzu, um ihre Inhalte zu verbreiten oder auch neue Angebote zu entwickeln, die sich der veränderten Kommunikationssituation anpassen. So ist bis 2003 beispielsweise die Anzahl der Online-Angebote deutscher Tageszeitungen deutlich angestiegen (vgl. Tabelle 1.5.1.1), aber auch Wochenzeitungen, Zeitschriften oder Rundfunkanstalten haben ihre Webpräsenzen ausgebaut und bieten dort oft tagesaktuelle Informationen an. Im Vergleich zur analogen Herstellung kann an verschiedenen Stellen eines digitalisierten Produktionsprozesses eingegriffen werden, um einzelne Teile eines Angebotes für unterschiedliche Verwertungsformen aufzubereiten. Dies ist z. B. bei der Verwendung von digitalisierten Szenen in Spielfilmen und Bildschirmspielen der Fall, betrifft aber auch den Nachrichtenmarkt, wenn Bilder oder Originaltöne als Einzelbestandteile vermarktet werden. Eine solche Differenzierung der Angebote bedeutet, dass sich vor allem die Zahl der Zugangsmöglichkeiten zu Inhalten erhöht, während ein Zuwachs an Vielfalt nicht im gleichen Ausmaß zu beobachten ist. Tabelle 1.5.1.1: Anzahl der Online-Angebote deutscher Tageszeitungen 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 39 103 138 160 230 390 401 631 633 631 629 630 Quelle: BDZV 2007, S. 417. Andererseits erwächst hinsichtlich der Produktion und Distribution von Medieninhalten den „klassischen“ Akteuren des Mediensystems aber auch neue Konkurrenz. Die wachsende Verbreitung von breitbandigen und per „Flatrate“ abgegoltenen Internetverbindungen in Kombination mit gesunkenen Barrieren zum Publizieren und Austauschen von Inhalten im Netz hat zu einem enormen Zuwachs an nutzergenerierten Inhalten geführt, die um Aufmerksamkeit konkurrieren. Teilweise haben sich spezielle Plattformen für die massenhafte Publi- 226 Vgl. TNS Infratest Forschung 2007, S. 279. 115 1. Einzelne Medienbereiche kation von Fotos, Videos und Audiodateien durch Internetnutzer etabliert (User-generated-contentPlattformen). Während ihre Nutzung inzwischen durch bevölkerungsrepräsentative Studien abgedeckt wird (vgl. Abschnitt 1.5.1.1), ist die Ermittlung (auch ungefährer) Angebotszahlen nur sehr schwer möglich, weil es inzwischen eine Vielzahl von Plattformen, aber auch eigenständiger Softwarelösungen zum Publizieren eigener Inhalte gibt. Für Weblogs beispielsweise ermittelte im Februar 2008 der unabhängige Dienst „blogcensus.de“ etwa 130.000 deutschsprachige Angebote, die innerhalb der vergangenen zwei Monate, und etwa 200.000 Angebote, die innerhalb der vergangenen sechs Monate aktualisiert worden waren 227 . Auf der Plattform MyVideo.de waren nach Angaben der Betreiber im November 2007 über 3,3 Millionen Nutzer registriert und etwa 1,6 Millionen Videos verfügbar. Das Angebot des Konkurrenten sevenload.de umfasste über eine Million Bilder und Videos, die von über 220.000 registrierten Nutzern bereitgestellt werden; Clipfish.de verzeichnete Anfang 2008 etwa 570.000 registrierte Nutzer und etwa 550.000 Videos. Diese Zunahme des medialen Angebots durch Dienste des Web 2.0 lässt sich auch als Ausweitung von Öffentlichkeiten deuten, da neben den professionell ausgebildeten Experten in Redaktionen, Marketingabteilungen oder PR-Agenturen nun weitere Personen Informationen, Meinungen und Erfahrungen im Internet verfügbar machen und verbreiten können. Die Mehrzahl der Angebote bildet „persönliche Öffentlichkeiten“, die Informationen aufgrund ihrer persönlichen anstatt einer gesamtgesellschaftlichen Relevanz auswählen und publizieren. Sie erreichen ein vergleichsweise kleines Publikum, das entweder spezialisierte thematische Interessen teilt oder den Urheber eines Weblogs, Podcasts, Urlaubsvideos o. Ä. persönlich kennt. Nur manche dieser neuen Angebote verstehen sich explizit als Konkurrenz zu etablierten Medien, und oft erfüllen Weblogs, Podcasts oder Videoplattformen eher komplementäre Funktionen 228 : Sie greifen professionell produzierte Nachrichten, Informationen und Inhalte auf und kommentieren, kritisieren und/oder verbreiten diese weiter. So gehören beispielsweise die redaktionell produzierten Angebote von SPIEGEL Online, heise.de und WELT Online neben der Wikipedia zu den Seiten, die am stärksten von deutschsprachigen Weblogs verlinkt werden (vgl. Tabelle 1.5.1.2). Die beiden deutschsprachigen Weblogs, die gemessen an der Anzahl eingehender Links die meiste Aufmerksamkeit auf sich ziehen, folgen erst auf Rang 15 (Basic Thinking) und 16 (BILDblog). 227 Vgl. http://www.blogcensus.de. 228 Vgl. z. B. die Forschungssynopse zum Verhältnis von Weblogs und Journalismus bei Neuberger/Nuernbergk/ Rischke 2007. 116 1.5. Digitale Interaktive Medien Tabelle 1.5.1.2: Meistverlinkte Online-Angebote in der deutschsprachigen Blogosphäre (Februar 2008) Angebot Eingehende Links von Weblogs Wikipedia, die freie Enzyklopädie 26.740 SPIEGEL ONLINE 15.244 heise online 7.796 WELT ONLINE 4.431 sueddeutsche.de 4.053 ZEIT online 3.741 FAZ.NET 3.378 stern.de 2.887 die tageszeitung 2.761 tagesschau.de 2.550 FOCUS Online 2.546 Golem.de: IT-News für Profis 2.531 Bild.T-Online.de 2.291 Tagesspiegel Online 2.133 Basic Thinking 2.055 BILDblog 1.984 ZDF.de 1.913 FINANCIAL TIMES DEUTSCHLAND 1.889 WDR.de 1.753 Standard.at 1.712 Anmerkung: Angegeben ist die Anzahl der Links von deutschsprachigen Weblogs auf das entsprechende Angebot, die zwischen August 2007 und Januar 2008 gesetzt wurden. Quelle: www.deutscheblogcharts.de; eigene Berechnungen. Die Zunahme der im Internet verfügbaren Medieninhalte geht also einerseits auf nutzergenerierte, andererseits auf professionell produzierte Angebote zurück. Beim Zugang zu diesen Informationen und multimedialen Inhalten spielen Suchmaschinen als zentrale Gatekeeper die entscheidende Rolle, wobei Google alleine etwa 90 Prozent aller Suchanfragen auf sich vereint und Konkurrenten wie Yahoo! (3,3 Prozent) und die MSN-Suche (1,9 Prozent) weit abgeschlagen liegen 229 . Über diese Monopolstellung von Google hinaus sind verschiedene Aspekte des Suchmaschinenmarkts problematisch, da sich viele der Suchmaschinenanbieter dem Nutzer als „Black Box“ darstellen. Die Funktionen, die zur Ermittlung und Rangfolge der Suchergebnisse führen, sind nicht im Detail bekannt und mögliche inhaltliche Filterungen nicht transparent. Die Verflechtung der Suchmaschinenanbieter untereinander, die z. B. gemeinsam bestimmte technische Grundlagen nutzen, sowie ein fortschreitender Konzentrationsprozess sorgen dafür, dass die jeweilige Anbieterkonstellation ebenfalls unklar ist 230 . So arbeitete Yahoo! in der Vergangenheit mit dem Suchdienst von Microsoft zusam- 229 Vgl. http://www.webhits.de/deutsch/index.shtml?webstats.html, zuletzt aufgerufen am 16.1.2008; generell zum Folgenden auch Machill/Beiler 2007. 230 Vgl. Neuberger 2005, S. 7. 117 1. Einzelne Medienbereiche men und übernahm die Suchmaschinen Inktomi und Overture; Letztere hatte zuvor den Anbieter der Suchmaschine Altavista erworben. Ein Übernahmeangebot von Microsoft wurde im Frühjahr 2008 von Yahoo! allerdings abgelehnt. Unternehmen wie Google und Yahoo! agieren jedoch nicht nur auf dem Suchmaschinenmarkt, sondern haben ihr Angebot in den vergangenen Jahren teilweise umfangreich ausgebaut. Durch eigene Softwareentwicklungen sowie Aufkäufe vereinen sie inzwischen ein Portfolio von Anwendungen, das von E-Mail über soziale Netzwerkanwendungen bis hin zu Bilder- bzw. Videoplattformen und -anwendungen reicht. Die Integration und Verknüpfung von Daten über unterschiedliche Anwendungen eines Anbieters hinweg bietet zwar einerseits Potenzial für innovative Dienstleistungen (bspw. durch die Integration von „Google Earth“ in den Fotodienst „Picasa“, um Aufnahmen mit Geodaten zu versehen), steigert aber auch die Bedenken von Kartellrechtlern und Datenschützern (s. dazu unten Kap. 1.5.4.2.2). Zwei weitere Varianten, sich in der Vielzahl der online verfügbaren Informationen zu orientieren, haben sich in den vergangenen Jahren etabliert und ergänzen die Selektionsleistungen professioneller redaktioneller Gatekeeper: Zum einen ist hier die automatisierte Aggregation von individuellen Handlungen der Nutzer zu nennen, die Verknüpfungen zwischen ähnlichen Inhalten sichtbar machen kann. Im Bereich des E-Commerce hat vor allem Amazon dieses Prinzip bereits seit längerer Zeit implementiert; hier werden die Kaufentscheidungen anderer Kunden benutzt, um Empfehlungen für verwandte Produkte zu geben. Medienplattformen wie YouTube, MyVideo oder Flickr nutzen ähnliche Funktionen, oft ergänzt durch das „tagging“, also die Charakterisierung bzw. Verschlagwortung von Inhalten durch die Nutzer selbst. Aus der Aggregation dieser individuell vergebenen Schlagworte und Kategorien entstehen eigene Ordnungssysteme (auch als „Folksonomies“ 231 bezeichnet), die eine Alternative zu zentral oder rein hierarchisch gepflegten Kategorienschemata bieten. Zum anderen verbreitet sich die RSS-Technologie 232 immer weiter, die den Austausch von Daten erleichtert und es dem Nutzer ermöglicht, eine bestimmte Webseite bzw. Teile davon mit Hilfe eines speziellen Programms (dem „Feed-Reader“) am Computer oder auf anderen Endgeräten zu abonnieren. Ähnlich wie bei der E-Mail prüft der Feed-Reader in regelmäßigen Abständen, ob neue Inhalte auf einer abonnierten Webseite vorliegen, die dann ganz oder in Auszügen gelesen werden können, ohne dass die Seite selbst im Browser aufgerufen werden muss. Solche RSS-Feeds werden einerseits von etablierten Medienanbietern bereitgestellt, so dass man beispielsweise über neue Artikel im Sport-Ressort einer Online-Zeitung informiert wird, sind aber andererseits vor allem bei Weblogs und Podcasts verbreitet. Dadurch bietet sich dem Nutzer die Gelegenheit, ein individualisiertes Medienrepertoire zusammenzustellen, das professionell erstellte Informationen, spezialisierte nutzergenerierte Inhalte wie auch Aktualisierungen der Online-Journale von Freunden und Bekannten an einer Stelle bündelt. Während die Aggregation von Konsumentscheidungen automatisiert abläuft, setzen Folksonomies und die Individualisierung von Medienrepertoires mit Hilfe von RSS stärkere Aktivitäten auf Nutzerseite voraus. Entsprechende Routinen sind derzeit vor allem unter den stark internetaffinen Nutzern verbreitet, bei denen sich die Produktion und Rezeption von Inhalten und Metadaten immer stärker verschränken. Diese aktiven Nutzer sind mehrheitlich jung und haben tendenziell formal höhere Bildungsabschlüsse (vgl. Abschnitt 1.5.3.1). Für die kommenden Jahre ist jedoch davon auszugehen, dass sich mit der weiteren Senkung von technischen Hürden Praktiken der aktiven Gestaltung eigener Inhalte weiter verbreiten und damit das mediale Angebot weiter wächst. Dies wird auch durch Strategien der etablierten Akteure des Mediensystems gefördert, die in einer 231 Der Begriff „Folksonomy“ ist ein Kunstwort, das aus der Kombination von „folks“ und „taxonomy“ gebildet ist und darauf verweist, dass die Kategorisierung durch die Masse der Nutzer selbst geleistet wird. 232 RSS steht wahlweise für „Really Simple Syndication“ oder „Rich Site Summary“. 118 1.5. Digitale Interaktive Medien zunehmend konvergierenden Medienumgebung das aktive Publikum und dessen nutzergenerierte Inhalte in ihre Wertschöpfungsnetzwerke einbinden. So etablieren Redaktionen Weblogs und Podcasts als eigene zusätzliche Kommunikationskanäle, binden Nachrichtenseiten Links zu Social-Bookmarking-Diensten (Verschlagwortungsseiten) wie del.icio.us ein, um die Verbreitung ihrer Informationen zu fördern, oder entdecken und vermarkten Produzenten ihre Musikkünstler und Filme mit Hilfe von Community-Plattformen wie MySpace.com. 1.5.1.2 Bildschirmspiele Zu Bildschirmspielen zählen alle Formen interaktiver digitaler Spiele, die mit Hilfe eines Bildschirms oder Displays genutzt werden, also beispielsweise PC-Spiele, Konsolen- bzw. Videospiele, Handy-Spiele oder Browser-Games. Aufgrund der starken Konkurrenz und der hohen Entwicklungskosten (vgl. Kapitel 1.5.2.2) insbesondere für diejenigen Spiele, die die jeweils aktuellen technischen Möglichkeiten möglichst vollständig ausschöpfen sollen, stehen Publisher und Entwickler unter einem ähnlichen Premierendruck wie Filmanbieter. Ihnen blieben aber in der Vergangenheit weitere Märkte für die Auswertung ihrer Produkte verschlossen, lediglich Spielideen und -prinzipien sowie die Pflege einer Community über einen längeren Zeitraum ermöglichten es, aus der Vorlage eines erfolgreichen Spiels über das Einzelprodukt hinaus Erlöse zu erzielen. So etablierte sich (auch) bei Computerspielen eine große Serialität: Spiele wurden in verschiedenen Variationen mit den gleichen Hauptfiguren und ähnlichen Inhalten und Steuerungselementen entwickelt. Einige dieser Serien haben mittlerweile Millionenauflagen erzielt, und auch weniger gelungene Folgen finden in einer stabilen Fangemeinde ihren Absatz. Zu Bestsellern wie Tomb Raider, Civilization, Command & Conquer oder Myst, die weltweit millionenfach verkauft wurden, gibt es jeweils mehrere Fortsetzungen. In den letzten Jahren etablierten sich daneben aber auch crossmedial veröffentlichte Titel, die sehr hohe Verkaufszahlen erreichen. Spiele zu Filmen wie Spider Man, Harry Potter oder Star Wars zählen zu den erfolgreicheren Spielen und werden auf allen Plattformen veröffentlicht. Umgekehrt sind einige populäre Computerspiele zu Vorlagen für entsprechende Kinofilme geworden, bei denen die Filmindustrie von den Rechteinhabern der Spiele die erforderlichen Lizenzen erwarb. So ist Lara Croft, die Heldin des Computerspiels Tomb Raider, in mehreren Filmen zu sehen gewesen. Weitere Beispiele für die Verfilmung von Spieleinhalten sind Resident Evil, Alone in the Dark, Final Fantasy und Doom. Technologische Konvergenz, insbesondere die wachsende Bedeutung digitaler Produktionsverfahren in der Filmbranche, sorgt dafür, dass Filmszenen ohne merklichen Bruch in Computerspiele übertragen, umgekehrt aber auch Einstellungen und Effekte aus Computerspielen in Filmen Einzug halten können. Noch in den Anfängen befindet sich eine weitergehende Form der crossmedialen Aufbereitung und Vermarktung von Inhalten, die als „transmedia storytelling“ 233 bezeichnet werden kann und beispielsweise bei den US-amerikanischen Serien „Lost“ und „Heroes“ zum Einsatz kommt: Eine Geschichte wird auf unterschiedlichen Medienplattformen (z. B. im Film, in einem Computerspiel und in einem Comic) erzählt, wobei die jeweiligen Inhalte erst zusammen genommen ein komplettes Bild ergeben. In Form des Genre-Konzepts bestehen weitere Parallelen zwischen Bildschirmspielen und Filmen, auch wenn die Konstruktion von Genres in der Spielebranche in erster Linie vor dem Hintergrund des Marketings stattfindet. Die Zuordnung zu einem Genre soll vor allem Orientierung für die Käufer bieten und anzeigen, welche Elemente den Schwerpunkt des Spiels bilden. Eine gängige Einteilung, die innerhalb der Kategorien weiter differenziert werden kann, nennt Action, Abenteuerspiele, Strategiespiele, Simulationen, Sportspiele und sonstige. Die „Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle“ (USK) unterscheidet dagegen Action-Adventure, klassisches Adventure, Arcade, Denkspiel, Genremix, Gesellschaftsspiel, Jump ’n Run, Kinder-/Kreativspiel, 233 Vgl. Jenkins 2006, S. 93 ff. 119 1. Einzelne Medienbereiche Management, Rollenspiel, Shooter, Simulation, Sportspiel und Strategie 234 . Diese beiden Beispiele zeigen, dass eine trennscharfe Differenzierung von Spiele-Genres sowie die eindeutige Zuordnung eines Spiels zu einem gegebenen Genre oft schwierig ist. Eine weitere Möglichkeit, das Spieleangebot zu differenzieren, setzt an der Technologie an, die für das Spiel benötigt wird. In dieser Hinsicht treten neben die Computer- und Konsolenspiele auch Handyspiele, die auf den vorrangig zur interpersonalen Kommunikation gedachten Mobiltelefonen gespielt werden können; sie werden in den jeweiligen Abschnitten zur Mobilkommunikation dieses Berichts behandelt. In gewisser Weise quer zu der „technischen Plattform“ dazu liegt dagegen das Phänomen der Online-Spiele 235 , worunter solche Spiele verstanden werden können, die mit Hilfe des oder über das Internet gespielt werden. Diese sind nicht auf den PC beschränkt, sondern finden sich auch auf den gängigen Spielekonsolen der 3. Generation, die internetfähig sind. Das gemeinsame Spielen kann wiederum unterschiedliche Formen annehmen und vom einfachen Vergleich der individuellen Spielergebnisse (z. B. in online gepflegten „Highscorelisten“) über die Kooperation oder Konkurrenz in kleineren Gruppen (z. B. in Taktikspielen) bis hin zu den virtuellen Welten der „Massively Multiplayer Online Role Playing Games“ (MMORPGs) reichen. Letztere sind nicht nur in finanzieller Hinsicht sehr erfolgreich (vgl. Kapitel 1.5.2.2), sondern werfen aufgrund der Dauerhaftigkeit der jeweiligen Spielumgebung (das Geschehen in der virtuellen Welt entwickelt sich weiter, auch wenn ein Spieler nicht aktiv ist) und der großen Teilnehmerzahlen neuartige soziale, wirtschaftliche und rechtliche Fragen auf: Wer besitzt beispielsweise die Rechte an einem Gegenstand, der innerhalb einer solchen Spielewelt erworben bzw. „erspielt“ wird, wer die Rechte an einer Spielfigur, die einen gewissen Erfahrungsgrad und damit spezifische Fähigkeiten erworben hat? Da solche Gegenstände und Spielfiguren zunehmend auf eigenen Marktplätzen oder Auktionen gehandelt und in realer Währung bezahlt werden, entstehen neuartige juristische und soziale Konflikte. 1.5.2 Wirtschaft und Organisation 1.5.2.1 Internet und Online-Angebote Nach der Euphorie der späten 90er-Jahre und dem Platzen der so genannten Internet-Blase an der Börse kehrte 2001 bei vielen Anbietern zunächst Ernüchterung über die wirtschaftliche Bedeutung des Internets ein, wobei den publizistischen Medienangeboten insbesondere die fehlende Zahlungsbereitschaft der Nutzer für redaktionell erstellte Inhalte Probleme bereitete und noch bereitet. Die Investitionen in Online-Werbung blieben zwar hinter den hohen Erwartungen aus den neunziger Jahren zurück, erreichten jedoch im Jahr 2007 Schätzungen zufolge etwa 2,7 Milliarden Euro, wobei die Suchwortvermarktung inzwischen eine ähnliche Größenordnung besitzt wie die „klassische“ Online-Werbung über Banner oder auch Sponsoring (vgl. auch Abschnitt 2.3.1.2.6) 236 . Verbunden mit dem Schlagwort des „Web 2.0“ hat zudem seit etwa 2005/2006 die Investitionsdynamik der Internetbranche wieder zugenommen. Davon profitieren einerseits Unternehmensneugründungen, die verbesserte Chancen auf eine Risikokapitalfinanzierung besitzen. Zum anderen investieren etablierte Medienkonzerne in onlinebasierte Plattformen, auf denen Nutzer eigene Inhalte generieren. So hat beispielsweise die RTL-Tochter „RTL Interactive“ im Juni 2006 die Videoplattform Clipfish.de gestartet und die „Burda Digital Ventures“-Gesellschaft in die konkurrierende Plattform sevenload.de investiert. Besondere 234 Vgl. http://www.usk.de/91_Die_Genres_der_USK.htm, zuletzt aufgerufen am 15.1.2008. 235 S. dazu Schmidt/Dreyer/Lampert 2008. 236 Vgl. OVK 2007. 120 1.5. Digitale Interaktive Medien Aufmerksamkeit erregte Anfang 2007 die Übernahme der studentischen Community studiVZ durch den Holtzbrinck-Konzern für geschätzte 85 Millionen Euro. Zur etablierten Online-Werbung treten dadurch zwei weitere Erlösstrategien. Einerseits lassen sich die eigenen Wertschöpfungsnetzwerke ergänzen, indem beispielsweise erfolgreiche Videos einschlägiger OnlinePlattformen auch im Fernsehen gesendet (wie z. B. bei der „MyVideo“-Show auf Sat.1 oder „Clipfish TV“ auf RTL) oder im Internet Fernsehsendungen (wie z. B. die ProSieben-Sendung „Popstars on Stage“ auf MyVideo.de) bzw. andere Medieninhalte (wie Musikvideos von Sony BMG bei Clipfish.de) weiter vermarktet werden. Andererseits können Medienkonzerne auch versuchen, die umfangreichen personenbezogenen Nutzerdaten, die auf ihren Community-Plattformen anfallen, für die Vermittlung stark zielgruppenorientierter Werbung zu nutzen. Allerdings ist in diesem Fall noch unklar, inwieweit in den kommenden Jahren die Sensibilisierung der Nutzer für den Schutz der eigenen persönlichen Daten steigt und eine als zu offensichtlich empfundene Ausnutzung für kommerzielle Zwecke auf Protest stoßen wird. Einen ersten Eindruck gaben die Auseinandersetzungen um die allgemeinen Geschäftsbedingungen von studiVZ, die Ende 2007 neu gefasst wurden und dem Anbieter sehr weit gehende Rechte bei der Vermarktung einräumen sollten. Heftige Kritik von Verbraucher- und Datenschützern, aber auch von den Nutzern selbst, führte nach wenigen Tagen zu einer Abschwächung. Die „Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern“ (IVW) nimmt seit 1997 auch die Reichweitenmessung für werbetragende Online-Angebote vor. Die Zahl der tatsächlich geprüften Angebote ist in den letzten Jahren angestiegen, allerdings immer noch relativ klein: Im November 2007 waren neben 44 Verwertungsgemeinschaften und Netzwerken 506 einzelne Angebote gemeldet (vgl. Tab. 1.5.2.1). Im Durchschnitt entfielen auf die gemeldeten Angebote etwa 4 Millionen Visits, also zusammenhängende Nutzungsvorgänge – etwa das Vierfache des Vergleichswerts von 2002. Tabelle 1.5.2.1: IVW-Kennzahlen für Internetangebote (2002-2007; jeweils November) Gemeldete Angebote a) Durchschnittliche Anzahl der Visits b) Rangfolge der fünf visitstärksten Angebote 2002 2003 2004 2005 2006 2007 396 383 401 400 456 506 1.011.896 1.619.873 2.147.706 2.963.285 3.515.673 4.010.896 c) c) c) c) T-Onlinec) MSN T-Online T-Online T-Online T-Online SPIEGEL ONLINE MSN MSN MSN MSN MSN AOLc) SPIEGEL ONLINE AOLc) AOLc) Yahoo! Yahoo! heise online mobile.de SPIEGEL ONLINE ProSieben Online ProSieben Online studiVZ mobile.de AOL Homepage Bild.de SPIEGEL ONLINE AOL ProSieben Online a) Ohne Netzwerke und Vermarktungsgemeinschaften; b) Durchschnittswert aller durch die IVW gemessenen Angebote; c) Nur Contentangebot. Quelle: www.ivw-online.de; eigene Berechnungen. Die IVW unterscheidet bei ihren Messungen inzwischen sieben inhaltliche Haupt-Kategorien: redaktioneller Content, nutzergenerierter Content, E-Commerce, Kommunikation, Suchmaschinen/Verzeichnisse, Spiele und Diverses. Für diese werden auch die Page Impressions (PI) erhoben, also der Abruf einzelner Seiten eines Angebots während eines Visits. Unter den erfolgreichen Anbietern von redaktionellen Inhalten sind neben 121 1. Einzelne Medienbereiche Zugangsprovidern wie T-Online oder dem Microsoft Network, die eigene Portale betreiben, vor allem die Auftritte traditioneller Medien wie BILD, SPIEGEL, RTL oder Stern (vgl. Tab. 1.5.2.2). Letztere erzielen auch den überwiegenden Teil all ihrer Seitenabrufe mit redaktionellen Inhalten. Die drei erfolgreichsten Angebote mit nutzergenerierten Inhalten sind die Community-Plattformen schülerVZ, studiVZ und Lokalisten, auf denen Nutzer Informationen zu ihrer Person einstellen und soziale Beziehungen zu anderen Mitgliedern abbilden, pflegen und neu knüpfen können. Diese Angebote sowie die Videoplattform MyVideo erzielen nahezu alle ihre Seitenzugriffe mit nutzergenerierten Inhalten und liegen teilweise um ein vielfaches vor den Zugriffen, die redaktionelle Inhalte erreichen. Aber auch T-Online, bei denen nutzergenerierte Inhalte nur etwa 15 Prozent aller Seitenabrufe ausmachen, hat aufgrund der insgesamt sehr hohen Zugriffszahlen in diesem Bereich eine Spitzenposition. Tabelle 1.5.2.2: Meistbesuchte redaktionelle bzw. nutzergenerierte Internetangebote (März 2008) Redaktioneller Content Mio. PI Usergenerierter Content Anteil an allen PI in % Mio. PI Anteil an allen PI in % T-Online Contentangebot 980,4 30,26 schülerVZ 6.439,8 99,60 Bild.de 568,2 91,35 StudiVZ 5.932.9 99,45 SPIEGEL ONLINE 511,9 97,85 Lokalisten 1.105,7 86,17 MSN 352,4 64,04 MyVideo 721,6 97,23 yahoo 334,8 30,25 T-Online Contentangebot 410,6 12,67 RTL.de 332,2 71,85 Spin.de 249,4 50,31 AOL 246,4 50,00 Clipfish.de 143,4 79,81 Arcor.de 208,7 61,01 gesichterparty.de 137,1 55,49 ProSieben Online 183,7 39,66 StayFriends 120,6 87,26 Sport1 179,2 97,30 JUX.de 98,9 79,86 Quelle: www.ivw-online.de; eigene Berechnungen. Auch für nicht-publizistische Anbieter von Medieninhalten, also z. B. Künstler und Produzenten aus der Musik- oder Filmbranche, ist das Internet inzwischen zu einem wichtigen Faktor geworden, der unterschiedliche Funktionen (Distribution, Kundenbindung, Rekrutierung von Talenten) erfüllt. Digitale Inhalte lassen sich über das Internet praktisch ohne Qualitätsverluste verbreiten; die oben bereits angesprochene Zunahme von leistungsfähigen Breitbandverbindungen, aber auch die Ausweitung von Übertragungskapazitäten der Mobilfunknetze machen vor allem multimediale Angebote wie Live-Streams von Video- oder Audioinhalten immer leistungsfähiger. Auf Community-Seiten wie MySpace oder studiVZ, in Diskussionsforen und Weblogs tauschen sich zudem Konsumenten über die rezipierten Inhalte aus, empfehlen Künstler oder Werke weiter und tragen so im günstigsten Fall dazu bei, die Popularität von Bands und Filmen weiter zu erhöhen. Problematisch für die etablierten Produzenten und ihre Geschäftsmodelle ist dabei einerseits, dass die gleichen Technologien auch die illegale Verbreitung von urheberrechtsgeschützten Inhalten ermöglichen, und andererseits, dass ihre Mittlerrolle zwischen Künstler und Publikum nicht mehr zwingend notwendig ist. Kulturschaffende können sich mit Hilfe des Internets selbst vermarkten oder ihre Inhalte von vorneherein für die unentgeltliche 122 1.5. Digitale Interaktive Medien Nutzung freigeben, indem sie sie zum Beispiel unter eine „Creative Commons“-Lizenz stellen, die das Weiterverbreiten und/oder Bearbeiten für nicht-kommerzielle Zwecke ausdrücklich erlaubt 237 . 1.5.2.2 Bildschirmspiele Die Produktion von Spielen wird von einem Netzwerk spezialisierter Akteure durchgeführt, in dem je nach technischer Plattform unterschiedliche Mitbestimmungsmöglichkeiten für die Akteure bestehen. Generell lassen sich Entwickler und Publisher voneinander unterscheiden, wenngleich die Tätigkeitsfelder der betreffenden Unternehmen nicht immer scharf voneinander getrennt sind: Spieleentwickler können eigene Vertriebsbereiche aufbauen, während Publisher auch Eigentümer von Entwicklungsstudios sein bzw. diese in ihr Unternehmen eingliedern können. Bei den Entwicklern von Spielen werden First-, Second- und ThirdParty-Developer unterschieden. Der erste Fall bedeutet, dass der Entwickler vollständig zu einem Hardwareanbieter gehört und auf diese Weise optimale Informationen über die Gestaltung der Hardware erhält. Diese Konstellation ist in erster Linie bei den Anbietern von Spielekonsolen zu finden, also bei Microsoft, Nintendo und Sony, kann aber auch für die wachsende Branche der Handygames beobachtet werden. Second-PartyDeveloper sind entweder fest z. B. durch Exklusivverträge mit einem Hardwareanbieter aus dem Konsolenbereich verflochten oder durch langfristige Verträge an ein solches Unternehmen gebunden. Third-PartyDeveloper schließlich sind von den Hardwareanbietern unabhängige Unternehmen, die Spiele entwickeln und dann in Kooperation mit Publishern vermarkten. Diese Variante der Entwicklung und Verwertung von Spielen ist für den PC-Markt der Normalfall. Der überwiegende Teil der in Deutschland erhältlichen Titel wird von ausländischen Entwicklern hergestellt, der Marktanteil deutscher Eigenentwicklungen liegt unter 10 Prozent. In den Fällen, in denen ein deutsches Entwicklerteam erfolgreiche Spiele auf den Markt bringt, wird es oft zum Übernahmeziel ausländischer Unternehmen. Der Marktanteil ausländischer Publisher auf dem deutschen Markt liegt nach Branchenschätzungen bei mehr als 75 Prozent. Diese sorgen auch für eine länderspezifische Anpassung der Spiele, die so genannte Lokalisierung, um neben den unterschiedlichen Ansprüchen der jeweiligen nationalen Spielergemeinde auch den jeweils geltenden rechtlichen Vorgaben zu entsprechen. Die Zahl der veröffentlichten Titel stieg von 2.969 im Jahr 2000 auf 3.857 im Jahr 2007 238 . Im gleichen Zeitraum stieg der Gesamtumsatz mit PC- und Videospielen in Deutschland von 874 Mio. auf 1.362 Mio. Euro (vgl. Tabelle 1.5.2.3). Die Games-Branche erzielte damit einen deutlich höheren Umsatz als die Kinobranche, die mit dem Verkauf von Eintrittskarten 2007 etwa 0,8 Mrd. € umsetzte 239 . Tabelle 1.5.2.3: Marktentwicklung PC- und Videospiele (2000-2006) 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Stückzahlen in Mio. 33,6 34,3 29,8 33,6 38,5 41,2 44,7 49,9 Wert in Mio. € 874 833 794 869 997 1.049 1.126 1.362 Quelle: BIU 2008. Die wachsende wirtschaftliche Bedeutung der Spielebranche, die auch Innovationen für andere Bereiche (wie das eLearning oder die Simulationstechnik) erzeugt, hat in den vergangenen Jahren zu ersten regionalen Fördermaßnahmen geführt. So fördert das Medienboard Berlin-Brandenburg seit 2006 in dem „Medienboard- 237 Vgl. Lessig 2004; Benkler 2006. 238 Vgl. Gamesmarkt 06/2008, S. 27. 239 Vgl. FFA 2008. 123 1. Einzelne Medienbereiche Pilotprogramm Digitale Inhalte" auch die Entwicklung von Spielen nach inhaltlichen und standortbezogenen Gesichtspunkten. Hamburg unterstützt seit 2007 die Produktion von Spieleprototypen mit bis zu 100.000 Euro, um Entwicklern die Suche nach einem Publisher und damit die weitere Finanzierung eines Entwicklungsprojekts zu erleichtern. Auf Bundesebene wird derzeit unter Federführung des Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien die regelmäßige Vergabe eines Deutschen Computerspielpreises vorbereitet, um in Anlehnung an den Deutschen Filmpreis qualitativ hochwertige sowie kulturell und pädagogisch wertvolle Spiele zu fördern. Daran soll sich auch die Spielewirtschaft beteiligen, die nach der Auflösung des „Verband für Unterhaltungssoftware Deutschland“ (VUD; 1993-2004) vom „G.A.M.E. Bundesverband der Entwickler von Computerspielen“ (gegründet 2004) sowie dem „Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware“ (BIU; gegründet 2005) vertreten wird, in denen sich Entwickler bzw. Publisher von Computer- und Videospielen organisieren. Eine Analyse der Spielebranche hat zu berücksichtigen, dass sich die jeweiligen Märkte für Computerbzw. für Video-/Konsolenspiele in einigen Punkten wesentlich unterscheiden. Im PC-Bereich sind Anbieter von Computerhardware zumeist unabhängig von den Softwareentwicklern, zudem werden Computer in der Regel auch für andere Tätigkeiten als das Spielen verwendet. Computerspiele müssen daher für unterschiedliche technische Konfigurationen entwickelt werden und die technischen Innovationen im Laufe der Entwicklungszeit von etwa 1,5 bis 2,5 Jahren berücksichtigen. Die tatsächlichen Entwicklungskosten eines Spiels belaufen sich regelmäßig auf mehr als 1 Mio. €, in einigen Fällen kostet die Entwicklung von Spielen Beträge im zweistelligen Millionenbereich. Die Preisgestaltung im Bereich der PC-Spiele erfolgt in mehreren Schritten: Spiele starten meist mit einem recht hohen Preis von ca. 50 Euro in den Handel, innerhalb kurzer Zeit jedoch wird dieser Preis in mehreren Stufen gesenkt, bis das Spiel nach zwei bis drei Jahren als Teil einer Spielesammlung oder als kostenlose Beigabe einer Spielezeitschrift endet. Dadurch ergibt sich ein vergleichsweise geringer Durchschnittspreis für ein Computerspiel; er lag im Jahr 2007 bei 19,80 € 240 . Einen Sonderfall stellen die Online-Spiele dar, deren Erlösmodelle nicht auf den Verkauf einer einzelnen Version des Spiels beschränkt sind 241 . Vor allem im Bereich der onlinebasierten Rollenspiele hat sich ein Abonnementmodell etabliert, das monatliche Teilnahmegebühren (von etwa zehn bis 15 Euro) vorsieht. Daneben besteht die Möglichkeit der Werbefinanzierung über das „Ingame-Advertising“, also das Einbetten von Werbebotschaften in ein Spiel, sowie des Verkaufs von Dienstleistungen und Objekten, die innerhalb des Spiels angeboten werden und dem Spieler Vorteile eröffnen 242 . Im Gegensatz zu Computerspielen werden Videospiele auf einer Plattform genutzt, die bis vor kurzem noch ausschließlich für das Spieleangebot entwickelt wurde. Bei diesen Spielekonsolen handelt es sich um proprietäre Technologien, und Softwareanbieter müssen entsprechende Lizenzen erwerben, um einen Titel für die jeweilige Plattform anbieten zu können. Dadurch haben die Konsolenanbieter ein hohes Maß an Kontrolle über die für die jeweiligen Plattformen verfügbaren Titel und können das Angebot populärer Spiele steuern. Zurzeit teilen sich drei Wettbewerber den Konsolenmarkt auf: Microsoft, Nintendo und Sony. Dabei ist Microsoft als jüngster Wettbewerber mit zwei Varianten seiner Hardware vertreten, der Xbox und der Xbox 360. Sony bietet mittlerweile vier verschiedene Versionen der PlayStation an: die technisch überholten PlayStation One und PlayStation 2, die aktuelle Konsole PlayStation 3 sowie die mobile Spielekonsole PlayStation Portable (PSP). Sowohl die Xbox 360 als auch die PlayStation 3 sind technisch sehr leistungsfähig und erlauben ähnlich wie der PC einen multifunktionalen Einsatz, der neben der Verwendung als Spielekonsole beispielsweise auch das Abspielen von DVDs oder (mit entsprechenden Erweiterungen) das Auf- 240 Vgl. BIU 2008. 241 Vgl. Müller-Lietzkow 2007. 242 Vgl. Thomas/Stammermann 2007. 124 1.5. Digitale Interaktive Medien zeichnen als Personal Video Recorder (PVR) möglich macht. Dennoch bleiben Konsolen im Schwerpunkt auf Unterhaltung ausgelegt, was sich im Namen der PlayStation ausdrückt, die bewusst als Gegensatz zur Workstation (dem Vorläufer des PCs) benannt wurde. Sowohl Microsoft als auch Sony bemühen sich offenbar, mit ihren Konsolen einen prominenten Platz im Wohnzimmer in der Nähe des Fernsehers zu erobern. Der frühere Marktführer Nintendo bemüht sich, weiterhin seine gute Marktstellung im Kinderzimmer zu behalten und darüber hinaus neue Zielgruppen zu erschließen. Mit dem neuen Bedienkonzept der Konsole Wii gelingt es dem Unternehmen offenbar, beide Ziele umzusetzen. Der kabellose Kontroller der Konsole wird in den Spielen für die Simulation der jeweils erforderlichen Bewegung eingesetzt, d. h. er wird wie ein Baseballschläger geschwungen oder wie eine Bowlingkugel bewegt. Diese Form des „Action-Plays“ erschloss für diese Konsole neue Zielgruppen und trägt zum enormen wirtschaftlichen Erfolg von Nintendo bei. Auch der erheblich günstigere Verkaufspreis im Vergleich zur Konkurrenz macht die Plattform für neue Zielgruppen interessant. Der kabellose Kontroller der Wii ist eine Weiterentwicklung von bereits in der Vergangenheit üblichen Steuergeräten wie Lenkrädern oder Joysticks; in Einzelfällen gab es in der Vergangenheit auch spezielle Pistolen für die Konsolennutzung mit einzelnen Spielen. Neben den genannten stationären Konsolen existieren zudem eine Reihe tragbarer Konsolen, wobei der bereits in den 1980er-Jahren eingeführte Game Boy von Nintendo in seinen verschiedenen Varianten weltweit mehr als 160 Millionen mal verkauft wurde. Die Dominanz des Game Boy als mobile Spielekonsole – der Marktanteil beträgt mehr als 90 Prozent – wird in der Zukunft vor allem in der jungen Zielgruppe stabil bleiben, da sich eventuelle Wettbewerber eher auf ältere Kunden konzentrieren. So waren Kombinationen aus mobiler Spielplattform und Handy wie der N-Gage von Nokia offensichtlich zur Zerstreuung junger Erwachsener geplant, die für Unterhaltungsdienste zahlungsbereit sind. Zudem sorgt die schnelle technische Entwicklung der Mobiltelefone dafür, dass auch diese Geräte in einigen Zielgruppen zur ernsthaften Konkurrenz der Game-only-Plattformen werden. Das Geschäftsmodell bei Spielekonsolen beruht bisher darauf, zunächst die Hardware in möglichst großer Zahl beim Publikum zu verbreiten. Dafür nehmen die Anbieter auch in Kauf, dass die Preise der Konsolen nicht kostendeckend sind, weil die Erlöse über den Verkauf der Software erwirtschaftet werden. Im Vergleich zu Computerspielen sind Konsolenspiele daher wesentlich teurer und kosteten 2006 im Durchschnitt 36,13 € 243 . In der Zukunft könnte sich das Geschäftsmodell des Konsolenmarktes ändern, wenn die Integration von Online-Funktionen zum Beispiel auch die Abrechnung über monatliche Abo-Gebühren vorsieht. 1.5.3 Nutzung 1.5.3.1 Online-Medien Die Online-Medien, bei denen es bisher insbesondere um das Internet geht, haben seit Mitte der 90er-Jahre das verfügbare Spektrum medienvermittelter Kommunikation spürbar erweitert. Wie immer in Frühphasen neuer technischer Medien ist zunächst der Diffusionsprozess nachzuzeichnen, der Prozess also, im Zuge dessen sich mehr und mehr Mitglieder der Gesellschaft entschließen, die technischen Voraussetzungen für die Nutzung der neuen Dienste zu schaffen und diese dann tatsächlich zu nutzen. 1.5.3.1.1 Zahl und Struktur der Online-Nutzer Eine der Voraussetzungen für den Zugang zum Internet ist die Verfügbarkeit eines Computers zu Hause. Die entsprechende Geräteausstattung verbessert sich weiterhin (siehe Tabelle 1.5.3.1, 1. Zeile) – es bleibt aber auch festzustellen, dass auch 2007 noch gut 40 Prozent der Bevölkerung zu Hause keinen Computerzugang 243 Vgl. BIU 2008. 125 1. Einzelne Medienbereiche haben. Die Zahl der Internetnutzer liegt geringfügig darüber und beträgt im Frühsommer 2007 etwa 63 Prozent der Bevölkerung über 14 Jahren. Anders ausgedrückt: 40,8 Millionen Menschen gingen 2007 zumindest gelegentlich online. 244 Die Hauptphase der Internetverbreitung in Deutschland lag um die Jahrtausendwende, als zunächst jährliche Zuwachsraten von über 60 Prozent, später immer noch im zweistelligen Prozentbereich zu beobachten waren. 2003 waren mehr als 50 Prozent der Deutschen online; seitdem liegen die jährlichen Zuwachsraten deutlich niedriger (bei etwa 5 Prozent), was auf eine gewisse Sättigung hindeutet. Damit liegt, je nach der betrachteten Bevölkerung und der Definition von „Internetnutzung“, Deutschland in international vergleichenden Studien im Mittel- bzw. Vorderfeld. Vor allem in den skandinavischen Staaten, den USA sowie einigen asiatischen Ländern (wie z. B. Südkorea) ist die Internet-Penetration noch weiter fortgeschritten 245 . Tabelle 1.5.3.1: Computerausstattung und Online-Nutzung im Zeitverlauf (in Prozent der deutschen Wohnbevölkerung ab 14 Jahren) 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 1) Computer zu Hause 23,7 28,2 40,2 43,4 48,6 53,3 57,5 59,7 60,0 60,9 Online-Nutzer (zumindest gelegentlich) 10,4 17,7 28,6 38,8 44,1 53,5 55,3 57,9 59,5 62,7 Zuwachsrate gegenüber Vorjahr +61 +68 +64 +36 +14 +22 +4 +5 +3 +5 Männlich 15,7 23,9 36,6 48,3 53,0 62,6 64,2 67,5 67,3 68,9 Weiblich 5,6 11,7 21,3 30,1 36,0 45,2 47,3 49,1 52,4 56,9 14-19 Jahre 15,6 30,0 48,5 67,4 76,9 92,1 94,7 95,7 97,3 95,8 20-29 Jahre 20,7 33,0 54,6 65,5 80,3 81,9 82,8 85,3 87,3 94,3 30-39 Jahre 18,9 24,5 41,1 50,3 65,6 73,1 75,9 79,9 80,6 81,9 40-49 Jahre 11,1 19,6 32,2 49,3 47,8 67,4 69,9 71,0 72,0 73,8 50-59 Jahre 4,4 15,1 22,1 32,2 35,4 48,8 52,7 56,6 60,0 64,2 60 Jahre und älter 0,8 1,9 4,4 8,1 7,8 13,3 14,5 18,4 20,3 25,1 In Ausbildung 24,7 37,9 58,5 79,4 81,1 91,6 94,5 97,4 98,6 97,6 Berufstätig 13,8 23,1 38,4 48,4 59,3 69,6 73,4 77,1 74,0 78,6 1,7 4,3 6,8 14,5 14,8 21,3 22,9 26,3 28,3 32,0 2) Online-Nutzung in verschiedenen Gruppen: Rentner/nicht berufstätig Quellen: 1) www.ard.de: Medien Basisdaten (zuletzt aufgerufen am 16. September 2007); 2) ARD/ZDF-Online-Studie 2007. Die Aufschlüsselung der Online-Nutzung nach verschiedenen Bevölkerungsgruppen (siehe Tabelle 1.5.3.1, Zeile 4 ff.) dokumentiert von Beginn an bestehende gravierende Unterschiede, die sich bis heute er244 Alternative Quellen für repräsentative Zahlen zur Internetnutzung in Deutschland sind insbesondere der von TNS Infratest jährlich erhobene „(N)Onliner Atlas“ (vgl. http://www.nonliner-atlas.de) sowie die Erhebungen des Statistischen Bundesamts zur „Entwicklung der Informationsgesellschaft“, die Aussagen auch auf Haushaltsebene treffen (vgl. Statistisches Bundesamt 2007). Beide Untersuchungen kommen zu ähnlichen Nutzungsanteilen wie die ARD/ZDF-Online-Studie. 245 Vgl. TNS Infratest Forschung (2007), S. 179 f. 126 1.5. Digitale Interaktive Medien halten haben. Nicht zuletzt aufgrund der Bedeutung institutionell geprägter Zugänge zum Internet, etwa am Arbeitsplatz sowie an (Hoch-)Schulen, liegen jüngere und berufstätige Teile der Bevölkerung sowie Männer in der Online-Nutzung deutlich vorn. Gleichwohl lassen sich in den letzten Jahren auch in den Gruppen, die seltener einen Zugang haben, Zuwächse erkennen. Die an der unterschiedlichen Verbreitung von Internetzugängen anknüpfende Diskussion um die Problematik eines möglichen „Digital Divide“ wird im Rahmen dieses Berichts in einem gesonderten Kapitel behandelt (s. Kapitel 7.1.3). Im Berichtszeitraum hat sich die Nutzung des Internets in den privaten Haushalten als Normalfall durchgesetzt (siehe Tabelle 1.5.3.2). 1997 nutzte mehr als die Hälfte aller damaligen Onliner das Internet ausschließlich über einen Zugang am Arbeitsplatz, 2007 waren es weniger als zehn Prozent. Demgegenüber stieg der Anteil derjenigen Personen, die das Netz nur zu Hause nutzen, von etwa einem Viertel auf etwa die Hälfte. Tabelle 1.5.3.2: Ort der Internetnutzung (ab 14 Jahren in Prozent) 1997 1999 2001 2003 2005 2007 Nur an Arbeitsplatz/Uni/Schule 59 29 22 13 14 9 Nur zu Hause 27 42 46 46 49 52 Sowohl als auch 14 29 32 41 37 38 Quelle: ARD-Online-Studie 2007. Privatkunden nutzen das Internet in der Regel mit Hilfe eines spezialisierten Anbieters („Internet Service Provider“), der die Verbindung über Wähl- und Funkverbindungen oder Breitbandzugänge zur Verfügung stellt, darüber hinaus aber auch weitere Dienstleistungen wie Domain- und Webhosting oder Mail-Adressen anbieten kann. In den letzten Jahren haben sich vor allem breitbandige Internetzugänge gegenüber der Einwahl per Modem oder ISDN durchgesetzt: Dieser Verbindungstyp, der datenintensive Anwendungen wie Videoplattformen, Internetradio oder den Download umfangreicher Programmpakete erst möglich macht, wird zwischenzeitlich von etwa 60 Prozent der deutschen Internetnutzer eingesetzt (vgl. Tabelle 1.5.3.3 sowie Kapitel 2.2). Tabelle 1.5.3.3: Internetzugang 1997 bis 2007 (in Prozent der Internetnutzer ab 14 Jahren) 1997 1998 1999 2000–02 2003 2004 2005 2006 2007 Modem 80 64 56 n. e. 35 34 25 25 18 ISDN 19 34 43 n. e. 40 40 38 24 20 - - - n. e. 24 24 36 48 59 Breitband/DSL Quelle: Gscheidle/Fisch 2007, S. 394. Daten für die Jahre 2000 bis 2002 nicht erhoben. Die durchschnittliche Verweildauer der Online-Nutzer betrug 2003 118 Minuten, wobei man sich im Schnitt etwa fünf Tage pro Woche im Internet bewegte (vgl. Tabelle 1.5.3.4). Im Zuge der Internet-Diffusion stieg die durchschnittliche Verweildauer bis 2003 zunächst an. Seitdem sinkt sie wieder leicht, worin sich widerspiegelt, dass neu hinzukommende Nutzergruppen geringere Zeitbudgets für das Internet aufwenden. Zudem zeigen sich Unterschiede nach dem Geschlecht – Männer haben eine höhere durchschnittliche Verweildauer als Frauen – und nach dem Alter: Personen unter 30 Jahren nutzen das Internet im Durchschnitt 155 Minuten pro Tag, 30- bis 49-Jährige 112 Minuten und Personen über 50 Jahren nur 88 Minuten am Tag 246 . Trotz die- 246 Vgl. van Eimeren/Frees 2007, S. 376. 127 1. Einzelne Medienbereiche ser Unterschiede wird das Internet, gerade aufgrund der verstärkten Nutzung im privaten Bereich, zu einer ernsthaften Konkurrenz für die anderen Medien (siehe dazu das gesonderte Kapitel 7.1.1 über Konvergenz und Zusammenspiel alter und neuer Medien). Tabelle 1.5.3.4: Durchschnittliche Verweildauer bei der Online-Nutzung 1997 bis 2007 (Online-Nutzer ab 14 Jahren in Deutschland) 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Verweildauer Montag bis Sonntag in Min./Tag 76 77 83 91 107 121 138 129 123 119 118 Ø Anzahl Tage pro Woche mit Online-Nutzung 3,3 3,6 3,9 4,5 4,3 4,5 4,4 4,2 4,5 4,8 5,1 Quelle: ARD/ZDF-Online-Studie 2007. 1.5.3.1.2 Umgang mit Online-Angeboten Der Umgang mit dem „Universalmedium Internet“ kann sehr unterschiedlich ausfallen, und Nutzergruppen entwickeln verschiedene Umgangsweisen mit der Vielfalt an Angeboten und Inhalten. Sowohl die ARD/ZDFOnline-Studie als auch die Daten des Statistischen Bundesamts belegen allerdings, dass zwei Dienste für die meisten Internetnutzer wichtig sind: E-Mail sowie die von Suchmaschinen unterstützte Recherche nach Informationen. Andere Dienste wie z. B. Homebanking, die Teilnahme an Online-Auktionen, der DateiDownload oder die Kommunikation in Foren, Chats u. Ä. sind demgegenüber deutlich weniger verbreitet (vgl. Tabelle 1.5.3.5). 128 1.5. Digitale Interaktive Medien Tabelle 1.5.3.5: Nutzung verschiedener Online-Anwendungen (mindestens einmal wöchentlich genutzt; in Prozent der Online-Nutzer ab 14 Jahren) 2001 2003 2005 2006 2007 80 73 78 78 79 k. A. k. A. k. A. 75 76 Zielgerichtete Suche nach Angeboten 59 52 53 50 57 Surfen 51 51 50 45 38 Homebanking 31 32 37 35 34 Download von Dateien 34 29 23 21 23 An Gesprächsforen/Chats teilnehmen 18 18 16 20 20 6 16 19 18 18 k. A: 17 11 12 14 11 11 11 12 11 5 8 12 12 13 k. A. 7 6 11 11 5 6 6 8 6 k. A. 10 6 7 14 Kartenservice 7 3 5 4 3 Gewinnspiele 9 4 4 3 k. A. Kontakt-/Partnerbörsen k. A. k. A. 5 3 5 Live im Internet fernsehen k. A. 2 2 2 2 E-Mail Suchmaschinen Online-Auktionen Audiodateien anhören Computerspiele im Internet Online-Shopping Internetradio hören Buch-/CD-Bestellungen Videos im Internet Quelle: ARD/ZDF-Online-Studien 2001, 2003, 2005, 2006 und 2007. Mit der anhaltenden Verbreitung des Internets haben sich Nutzergruppen oder -typen herausgebildet, die sich im Umgang mit der Technologie, aber auch in der online verbrachten Zeit deutlich voneinander unterscheiden. Die OnlineNutzerTypologie (ONT) auf Grundlage der ARD/ZDF-Online-Studie nennt als Basistypen den „aktiv-dynamischen Nutzer“ sowie den selektiv-zurückhaltenden Nutzer, die 2007 jeweils etwa 50 Prozent aller Onliner ausmachten 247 . Beide Typen lassen sich weiter untergliedern; unter den aktivdynamischen Nutzern finden sich z. B. die „routinierten Infonutzer“, die das Internet vorrangig als Informationsquelle für berufliche oder private Zwecke nutzen, oder die „jungen Hyperaktiven“, die das Netz als Kommunikations- und Informationsmedium voll in ihren Alltag integriert haben. Unter den selektivzurückhaltenden Nutzern finden sich „Selektivnutzer“ sowie „Randnutzer“, deren Internetnutzung sich auf einige wenige Angebote und Funktionen beschränkt. Erst in den Anfängen befindet sich die statistische Erfassung der Web-2.0-Nutzung. Bislang vorliegende Daten zeigen, dass es sich – gemessen an der öffentlichen Diskussion um diesen Begriff – noch um ein Minderheitenphänomen handelt. Ausnahmen bilden die Online-Enzyklopädie Wikipedia, die von etwa der Hälfte aller Onliner zumindest selten genutzt wird, sowie Videoportale wie YouTube, das etwa ein Drittel der Internetnutzer erreicht (vgl. Tab. 1.5.3.6). Anwendungen wie Weblogs, Netzwerkplattformen oder virtuelle Spie- 247 Vgl. van Eimeren/Frees 2007, S. 366 ff. 129 1. Einzelne Medienbereiche lewelten à la Second Life weisen demgegenüber eine deutlich geringere Verbreitung auf. Allerdings zeigen sich deutliche Unterschiede in verschiedenen Altersgruppen: Personen bis 30 Jahre, insbesondere Teenager, nutzen deutlich häufiger entsprechende Anwendungen als ältere Onliner. Schließlich ist zu beachten, dass die Nutzung von Web-2.0-Anwendungen zwei unterschiedliche Modi kennt: Aktive Partizipation umfasst z. B. das Erstellen von eigenen Beiträgen in einem Weblog, das Ändern eines Artikels bei Wikipedia oder das Einstellen eines Videos auf einer einschlägigen Plattform. Passive Partizipation meint dagegen das bloße Rezipieren von Informations- oder Unterhaltungsangeboten, das andere Personen auf einem Web-2.0-Angebot bereitstellen – etwa 40 Prozent der Nutzer des Web 2.0 fallen in letztere Gruppe 248 . Tabelle 1.5.3.6: Genutzte Web-2.0-Angebote 2007 (mindestens selten genutzt, in Prozent der Online-Nutzer ab 14 Jahren) Gesamt Männl. Weibl. 14-19 20-29 30-39 40-49 50-59 Ab 60 Wikipedia 47 50 44 82 58 50 41 32 24 Videoportale (z. B. YouTube) 34 41 26 69 56 35 24 14 7 Fotogalerien (z. B. Flickr) 15 16 13 26 20 11 11 9 13 Private Netzwerke (z. B. MySpace) 15 19 11 40 29 12 6 4 6 Weblogs 11 15 7 18 19 14 7 5 4 Berufliche Netzwerke (z. B. Xing) 10 12 8 11 16 12 9 5 5 Lesezeichensammlungen 3 4 2 3 5 4 2 2 1 Virtuelle Spielewelten (z. B. Second Life) 3 4 2 7 6 4 1 0 0 Quelle: ARD/ZDF-Online-Studie 2007. 1.5.3.2 Bildschirmspiele Einen allgemeinen Überblick über die Verbreitung von Bildschirmspielen in der Bevölkerung ab 14 Jahren bietet die Verbrauchs- und Medienanalyse (VuMa) 249 . Danach gaben 29,7 Prozent der Deutschen an, zumindest „selten“ ein Computer- oder Videospiel zu spielen; 6,1 Prozent der Bevölkerung spielen mehrmals pro Woche. Der Anteil der „Spieler“ ist bei Männern (37,4 Prozent) höher als bei Frauen (22,3 Prozent), bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen (14-29 Jahre; 64,1 Prozent) deutlich höher als bei 30- bis 49-Jährigen (36,7 Prozent) und insbesondere bei ab 50-Jährigen (8,1 Prozent). Zu ähnlichen Erkenntnissen kommt auch die regelmäßig aufgelegte „Allensbacher Computer- und Technik-Analyse“ (ACTA), die ebenfalls repräsentative Zahlen für die Bevölkerung ab 14 Jahren liefert. Die jüngste Erhebung aus dem Jahr 2007 belegt einerseits die hohe Verbreitung des Computerspielens in der Altersgruppe der Teenager (76 Prozent der 14- bis 19Jährigen spielen Computer- oder Konsolenspiele), andererseits aber auch die Verbreitung in älteren Bevölkerungsgruppen: 59 Prozent der 20- bis 29-Jährigen, 43 Prozent der 30- bis 39-Jährigen, 33 Prozent der 40- bis 49-Jährigen und noch 20 Prozent der 50- bis 64-Jährigen spielen Computer- oder Konsolenspiele 250 . 248 Vgl. Gerhards/Klingler/Trump 2008. 249 Vgl. VuMa Arbeitsgemeinschaft 2008. 250 Vgl. Hottner 2007, S. 5. 130 1.5. Digitale Interaktive Medien Auch wenn der Anteil von älteren und weiblichen Spielenutzern steigt, befasst sich ein Großteil der empirischen Studien mit der Gruppe der Kinder und Jugendlichen. Entsprechende Fragestellungen erhalten auch dadurch gesellschaftliche Relevanz, dass im Zusammenhang mit spektakulären Gewalttaten Jugendlicher oft die zahlreichen gewalthaltigen Bildschirmspiele als mögliche Mitverursacher in die Diskussion gebracht werden. Darauf soll an anderer Stelle in diesem Bericht eingegangen werden (siehe Kap. 6.1.1). Für die Hauptnutzergruppe der Kinder und Jugendlichen lassen sich nähere Informationen den Studien „Jugend, Information, Multimedia“ (JIM) und „Kinder + Medien, Computer + Internet“ (KIM) entnehmen, die seit 1998 bzw. 1999 das Medienverhalten der 12- bis 19-Jährigen (JIM) und 6- bis 13-Jährigen (KIM) untersuchen. Der JIM 2007 zufolge besitzen 45 Prozent der Jugendlichen eine stationäre Spielekonsole, 63 Prozent hatten eine im Haushalt zur Verfügung 251 . Computer sind noch weiter verbreitet: 67 Prozent der Jugendlichen können über einen eigenen PC verfügen, 98 Prozent leben in einem Haushalt mit Zugang zu einem Computer. Beim Gerätebesitz zeigen sich allerdings auch Geschlechtsunterschiede: 72 Prozent der Jungen, aber nur 62 Prozent der Mädchen verfügen über einen eigenen Computer. Bei den Spielekonsolen ist das Verhältnis 59 zu 30 Prozent. Die Unterschiede zwischen den verschiedenen Schulformen weisen in unterschiedliche Richtungen: Gymnasiasten und Realschüler besitzen häufiger einen Computer als Hauptschüler, diese dagegen wie Realschüler häufiger eine Spielekonsole als Gymnasiasten. 58 Prozent der Jungen und 28 Prozent der Mädchen gaben 2007 an, täglich oder mehrmals pro Woche Computerspiele zu spielen. Online-Spiele werden von 24 Prozent der Jungen und 4 Prozent der Mädchen zumindest mehrmals pro Woche genutzt; bei Handyspielen beträgt der entsprechende Anteil 11 Prozent für die Mädchen und 18 Prozent für die Jungen. Unter den 6- bis 13-Jährigen nutzen 84 Prozent zumindest einmal die Woche den Computer, 30 Prozent sogar (fast) jeden Tag 252 . Das Spielen, alleine oder mit anderen, ist dabei die häufigste Tätigkeit am Computer; bezogen auf alle Kinder dieser Altersgruppe spielen 60 Prozent zumindest einmal die Woche, dagegen 27 Prozent (unter den Mädchen: 35 Prozent) nie am Computer. Die beliebtesten Genres waren in dieser Altersgruppe 2006 Simulationen (39 Prozent der Computerspieler) und Strategiespiele (31 Prozent), die genauso wie Sportspiele von Jungen bevorzugt werden. Mädchen spielen tendenziell lieber Gesellschaftsspiele oder „Jump & Run“-Spiele am Computer. Die Internetnutzer machen in dieser Altersgruppe 72 Prozent aus; unter ihnen finden sich 40 Prozent Kinder, die mindestens einmal pro Woche alleine Online-Spiele spielen. 25 Prozent spielen zumindest einmal die Woche mit anderen zusammen über das Internet. Die Erkenntnisse der beiden zitierten Studien zur Spielenutzung von Kindern und Jugendlichen zeigen bereits, dass das weit verbreitete Bild des isolierten Computerspielers einen wesentlichen Aspekt unterschlägt: Computerspiele sind für viele ihrer Nutzer Gelegenheit, sich mit anderen Personen zu messen bzw. zu kooperieren. Dies kann einerseits in Situationen der Kopräsenz geschehen, wenn mehrere Spieler ein Computer- oder Konsolenspiel nutzen, andererseits (bedingt durch die Netzwerkfähigkeit vieler Spiele) auch online geschehen. Laut der ACTA 2007 spielen neun Prozent der Computerspieler ausschließlich online und weitere 24 Prozent sowohl online als auch offline 253 . Das bevorzugte Genre der Online-Spieler sind Rollenspiele (von 68 Prozent) und hier insbesondere „World of Warcraft“, gefolgt von Actionspielen (46 Prozent), Strategiespielen (35 Prozent) und Sport-/Rennspielen (14 Prozent) 254 . Zwei weitere Formen des gemeinsamen Spielens seien in diesem Zusammenhang besonders hervorgehoben: Spieler kommen für so genannte LAN-Partys an einem gemeinsamen Ort zusammen, vernetzen ihre Rechner miteinander und spielen gemeinsam, oft über ein gesamtes Wochenende hinweg. Die Größe dieser LAN-Partys kann von kleinen Gruppen, die sich privat 251 Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2007a. 252 Vgl. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest 2007b. 253 Vgl. Hottner 2007, S. 18. 254 Vgl. Quandt/Wimmer 2007, S. 178. 131 1. Einzelne Medienbereiche organisieren, bis hin zu aufwändig organisierten Großveranstaltungen mit mehreren hundert oder gar tausend Spielern reichen, die als Kristallisationspunkt für eine eigene (Jugend-)Szene dienen 255 . Sie hat Berührungspunkte mit einem weiteren relativ jungen Phänomen, dem E-Sport. Darunter fallen Formen des Computerspielens, das sich an den Trainings-, Wettkampf- und Ligastrukturen anderer Sportarten orientiert, also durch einen vergleichsweise hohen formalen Organisationsgrad gekennzeichnet ist. Schätzungen zufolge gibt es in Deutschland 1,2 bis 1,5 Millionen in Gruppen organisierte Teams („Clans“), die gemeinsam an derartigen Veranstaltungen teilnehmen 256 . E-Sport ist vor allem in Asien sehr populär, wo mehr als 1,2 Mio. Spieler an Wettbewerben teilnehmen, die teilweise auch im Fernsehen übertragen werden. Das weltweit größte E-SportTurnier, die „World Cyber Games“, findet 2008 in Köln und damit erstmals in Deutschland statt. 1.5.4 Recht und Regulierung Art. 5 Abs. 1 GG nennt nur die traditionellen Medien Presse, Rundfunk und Film ausdrücklich. Vor dem Hintergrund eines dynamischen Medienverständnisses werden aber auch andere Formen öffentlicher Kommunikation geschützt, auch wenn angesichts nun erkennbarer Konvergenzentwicklungen die Einordnung im Einzelnen und ihre Folgen noch nicht eindeutig erscheinen. Die Funktionen der Medienfreiheiten unter den veränderten Bedingungen zu konkretisieren und umzusetzen ist eine zentrale Herausforderung, deren Bewältigung die Verfassung gebietet. Wie oben ersichtlich umfasst der Begriff der interaktiven Medien eine Vielzahl verschiedener Dienstetypen (z. B. Telemedien, Computer- und Videospiele, Zusatzdienste des digitalen Fernsehens), die auf ganz unterschiedlichen technischen Plattformen (etwa Fernseher, Computer, Handy) genutzt werden können. Im Hinblick auf die Grundrechte unterfallen diese Dienste dem verfassungsrechtlichen Rundfunkbegriff (s. oben Kap. 1.4.4.1.3). Während in der Vergangenheit regelhaft für einen Dienstetyp alle medienspezifischen Regelungen in einem Gesetzeswerk vereint wurden, führt die technische Konvergenz – insbesondere die Übertragung gleicher Inhalte auf unterschiedlichen Plattformen – nicht etwa zu einer Vereinheitlichung der rechtlichen Regelungen, sondern zu einer weiteren Differenzierung sowohl der sich herausbildenden Dienstetypen als auch nach Regelungszielen. 1.5.4.1 Rechtsrahmen 1.5.4.1.1 Europarechtliche Einflüsse Einfluss auf den nationalen Rechtsrahmen bei interaktiven Medien haben insbesondere die 2001 erlassene ECommerce-Richtlinie 257 und die Richtlinien des Telekommunikations-Richtlinienpakets 258 von 2002, und 255 Vgl. Hepp/Vogelsang 2007. 256 Vgl. Müller-Lietzkow/Bouncken/Seufert 2006, S. 161 f. 257 Richtlinie 2000/31/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt, ABl. EG Nr. L 178 v. 17.7.2000, S. 1 ff. 258 Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), ABl. EG Nr. L 108 v. 24.4.2002, S. 33 ff.; Richtlinie 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste (Genehmigungsrichtlinie), ABl. EG Nr. L 108 v. 24.4.2002, S. 21 ff.; Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie), ABl. EG Nr. L 108 v. 24.4.2002, S. 7 ff.; Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elekt- 132 1.5. Digitale Interaktive Medien hier insbesondere die Zugangsrichtlinie 259 . Seit dem In-Kraft-Treten der AVMS-Richtlinie 260 Ende 2007 werden auch Vorgaben dieser Richtlinie in Bezug auf bestimmte interaktive Medien in den Mitgliedstaaten umzusetzen sein: Die dadurch novellierte vormalige EG-Fernsehrichtlinie macht nunmehr Vorgaben für lineare und nicht-lineare audiovisuelle Mediendienste, worunter auch fernsehähnliche Angebote wie z. B. InternetTV fallen.(s. auch Kap. 1.4.4.1.3). Die Schwerpunkte der E-Commerce-Richtlinie lagen in der Festsetzung der Zulassungsfreiheit der Dienste der Informationsgesellschaft sowie in der Verpflichtung der Mitgliedstaaten, das Herkunftslandprinzip und den Gerichtsstand bei Streitigkeiten festzuschreiben. Daneben sieht die Richtlinie die Einführung von Transparenzvorschriften in Bezug auf Diensteanbieter und Auftraggeber kommerzieller Kommunikationen vor, konkretisiert die Stufen der Verantwortlichkeit für Informationsinhalte und gewährleistet die Möglichkeit von elektronischen Vertragsschlüssen. Daneben besteht für den Gesetzgeber aufgrund der „Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften und der Vorschriften für die Dienste der Informationsgesellschaft“ 261 die Pflicht, der EU-Kommission Gesetzesänderungen im Bereich der Telemedien vorab anzuzeigen, die auf diese Weise einen einheitlichen europäischen Rechtsrahmen in diesem Sektor etablieren will. 1.5.4.1.2 Nationaler Rechtsrahmen Den derzeitigen nationalen Rechtsrahmen für interaktive Medien bilden vor allem die Vorschriften des Telemediengesetzes 262 (bis März 2007: Teledienstegesetz 263 ) des Bundes sowie die telemedienspezifischen Vorgaben des Rundfunkstaatsvertrags 264 (bis März 2007: Mediendienstestaatsvertrag 265 ) der Länder. Insbesondere der in Zusammenarbeit von Bund und Ländern vereinheitlichte Rechtsrahmen für vormals zu differenzierende Teledienste und Mediendienste hat für den Bereich der Telemedien überblickbarere Vorgaben und Strukturen geschaffen (s. unten Kap. 1.5.4.1.3). Daneben finden – abhängig von der jeweiligen Diensteart und ronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie), ABl. EG Nr. L 108 v. 24.4.2002, S. 51 ff.; Entscheidung Nr. 676/2002/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen Rechtsrahmen für die Funkfrequenzpolitik in der Europäischen Gemeinschaft (Frequenzentscheidung), ABl. EG Nr. L 108 v. 24.4.2002, S. 1 ff. 259 Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie), ABl. EG Nr. L 108 v. 24.4.2002, S. 7 ff. 260 Richtlinie 2007/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2007 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit, ABl. EG L 332 v. 18.12.2007, S. 27. 261 Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 zur Änderung der Richtlinie 98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften, ABl. EG Nr. L 217, S. 18 ff. 262 Telemediengesetz vom 26. Februar 2007, BGBl. I S. 179. 263 Teledienstegesetz vom 22. Juli 1997, BGBl. I S. 1870, zuletzt geändert durch das Gesetz über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr vom 14.12.2001, BGBl. I S. 3721. 264 Rundfunkstaatsvertrag vom 31. August 1991, GVBl. Th 1991, S. 636, in der Fassung des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrags, GVBl. Th 2006, S. 710; Rundfunkstaatsvertrag vom 31. August 1991, Nds. GVBl. 1991, S. 313, in der Fassung des Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrags, Nds. GVBl. 2007, S. 60. 265 Staatsvertrag über Mediendienste vom 12. Februar 1997, GVBl. Bbg. 1997 I S. 75, zuletzt geändert durch Gesetz vom 13.02.2003, GVBl. Bbg. 2003 I S. 21, 31; GVBl. BW, S. 93; GVBl. HH 2003, S. 27. 133 1. Einzelne Medienbereiche -nutzung – verschiedene bereichsspezifische Vorschriften des Signaturgesetzes 266 , des Telekommunikationsgesetzes 267 , des Zugangskontrolldienstegesetzes 268 sowie des Urheberrechtsgesetzes Anwendung (zum Urheberrecht s. Kap. 2.5). Die für diesen Bereich ebenfalls relevanten Regelungen des Jugendmedienschutzes im JMStV und JuSchG werden an anderer Stelle behandelt (s. Kap. 2.6). 1.5.4.1.3 Anwendungsbereiche und Diensteabgrenzung Im Zuge des Zusammenwachsens verschiedener Kommunikationsdienste und Verbreitungstechnologien entstanden Mitte der neunziger Jahre neue Zuordnungsprobleme. Die Gesetzgeber des Bundes und der Länder hatten im Zusammenhang mit der Schaffung des Mediendienstestaatsvertrags der Länder (MDStV) und des Teledienstegesetzes des Bundes (TDG) versucht, bestimmte Erscheinungen mit neuen Begriffen zu versehen, ohne dass dabei immer ein rechtsdogmatisch in jeder Hinsicht eindeutiges System der Zuordnung entstand (s. Kap. 3.4.1). Die dadurch nötige Abgrenzung von Rundfunk, Mediendiensten und Telediensten führte zu nicht unerheblichen Schwierigkeiten; zwar waren TDG und MDStV in zeitlicher und inhaltlicher Abstimmung erlassen und die Regelungskonzepte einander angeglichen worden, die Vielfalt der technisch vermittelten Kommunikationsangebote und die laufenden Veränderungen im Zuge der Konvergenzprozesse führten aber zu immer neuen Zweifelsfragen der Zuordnung. Mit dem In-Kraft-Treten von Telemediengesetz (TMG) und dem Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien (RStV) am 1. März 2007 haben Bundes- und Landesgesetzgeber den Rechtsrahmen für Tele- und Mediendienste vereinheitlicht: Während das TMG vor allem technische und wirtschaftliche Anforderungen an die so genannten Telemedien stellt, macht der RStV spezielle Vorschriften in Bezug auf die in Telemedien angebotenen Inhalte. Die vorher nötige Differenzierung zwischen Tele- und Mediendiensten erübrigt sich damit. Ist der fragliche Dienst an die Allgemeinheit gerichtet, so kommt es für die weitere Einordnung darauf an, ob er die Qualität einer Darbietung i. e. S. hat (in diesem Fall liegt Rundfunk mit teils erhöhten Anforderungen vor) oder ob dies nicht der Fall ist, d. h., dass die publizistische Relevanz zwar zu bejahen, aber gering ist (dann handelt es sich um ein Telemedium). Für derartige Grenzfälle sieht § 20 Abs. 2 RStV vor, dass wenn und soweit Informations- und Kommunikationsdienste dem Rundfunk zuzuordnen sind, die Anbieter solcher Dienste einer rundfunkrechtlichen Zulassung durch die zuständige Landesmedienanstalt bzw. die ZAK bedürfen (s. dazu oben Kap.1.4.4.2.5). Die Landesmedienanstalten können prüfen, ob es sich bei einem Angebot um Rundfunk handelt; der Anbieter muss nach der positiven Feststellung innerhalb von drei Monaten einen Zulassungsantrag stellen oder das Angebot so ausgestalten, dass kein Rundfunk mehr vorliegt. Daneben sind Anbieter von Telemedien berechtigt, im Vorfeld derartiger Feststellungsverfahren einen Antrag auf rundfunkrechtliche Unbedenklichkeit zu stellen, um im Vorwege mehr Rechtssicherheit hinsichtlich ihrer einfachrechtlichen Einordnung und Behandlung zu erlangen. 1.5.4.1.4 Regulierungskonzept Die Regulierung der Telemedien ist von der grundsätzlichen Annahme geprägt, dass die Bedeutung dieser Dienste für die freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung nicht – bei journalistisch-redaktionell ge- 266 Gesetz über Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 16.5.2001, BGBl. I S. 876. 267 Telekommunikationsgesetz (TKG) v. 22.6.2004, BGBl. I S. 1190. 268 Gesetz über den Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten vom 19.3.2003, BGBl. I S. 1090. 134 1.5. Digitale Interaktive Medien stalteten Telemedien zumindest noch nicht – derart hoch ist, dass hier eine Ausgestaltung wie beim Rundfunk nötig erscheint. Insofern statuieren die Vorschriften grundsätzlich Marktzutrittsfreiheit, die Vorgaben im TMG beschränken sich neben der Festsetzung des Herkunftslandsprinzips auf die Regelung der Haftung sowie Vorschriften zur Anbietertransparenz und zum Datenschutz. Der RStV sieht insbesondere für journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote erhöhte, an das Presserecht angelegte Anforderungen vor. Dazu gehören etwa die Einhaltung anerkannter journalistischer Grundsätze, die Nennung einer redaktionell verantwortlichen Person sowie Gegendarstellungsrechte von durch die Berichterstattung betroffenen Personen. Im Gegenzug erhalten derartige Anbieter aber auch medienspezifische Privilegien wie Auskunftsrechte gegenüber Behörden und eine erleichterte Verarbeitung personenbezogener Daten zu journalistisch-redaktionellen Zwecken. 1.5.4.1.5 Nicht-staatliche Regulierung Im Online-Bereich hat sich mit der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter (FSM) eine Institution für den Bereich des Jugendschutzes etabliert. Die FSM betreibt eine Beschwerdestelle und klärt OnlineNutzer über technische Schutzmechanismen auf. Die Mitglieder der FSM sichern in einer Selbstverpflichtungserklärung zu, die Zugänglichmachung und Vermittlung von verbotenen Inhalten (z. B. Pornografie, volksverhetzende und jugendgefährdende Inhalte) zu unterlassen und etwaige Sanktionen der FSM zu akzeptieren. Die FSM hat sich neben ihrer freiwilligen Tätigkeit auch als Einrichtung der Selbstkontrolle im Rahmen des Konzeptes der regulierten Selbstregulierung des JMStV anerkennen lassen (s. unten Kap. 2.6.2.2.3). Daneben haben sich insbesondere vor dem Hintergrund von Verbraucherschutzinteressen eine Vielzahl an Siegelmarken wie etwa „Trusted Shops“ oder „EuroLabel/EHI – Geprüfter Online-Shop“ herausgebildet, die dem Shop die Einhaltung bestimmter Kriterien wie z. B. Daten- oder Liefersicherheit bescheinigen, da derartige Siegel neben der Förderung des Verbrauchervertrauens auch eine verbesserte Stellung im Wettbewerb bewirken können. 1.5.4.2 Novellierungen und Reformen im Berichtszeitraum Von den im Berichtszeitraum erfolgten Gesetzesänderungen und -novellierungen sollen hier diejenigen kurz genannt werden, die sich besonders durch ihre Relevanz für die Entwicklung von Diensten und Inhalten interaktiver Medien sowie für die wirtschaftliche Entwicklung in diesem Sektor ausgezeichnet haben. 1.5.4.2.1 Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz (EGG) Mit dem EGG 269 erfolgte 2001 die Umsetzung der Vorgaben aus der E-Commerce-Richtlinie in nationales Recht. Die von dem EGG in erster Linie geänderten Gesetze sind das Teledienstegesetz (TDG) und das Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG, s. Kap. 1.5.4.2.6). Das Kernstück der Umsetzung der E-Commerce-Richtlinie waren die Einführung des Herkunftslandprinzips, die Regelung der Verantwortlichkeit der Diensteanbieter und die Ergänzung des TDG um bußgeldbewehrte Informations- und Transparenzpflichten. 1.5.4.2.1.1 Herkunftslandprinzip Das in § 4 Abs. 1 TDG (jetzt: § 3 TMG) niedergelegte Herkunftslandprinzip bedeutet für die in Deutschland niedergelassenen Anbieter und ihre Teledienste, dass diese den Anforderungen des deutschen Rechts auch dann unterliegen, wenn die Dienste in einem anderen Staat innerhalb der Europäischen Gemeinschaft erbracht 269 Gesetz vom 14. Dezember 2001 über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG), BGBl. 2001 I S. 3721 ff. 135 1. Einzelne Medienbereiche werden. Gleiches gilt entsprechend für ausländische Anbieter und ihre Teledienste. Ziel dieser Normen ist es, den freien Dienstleistungsverkehr von Telediensten im europäischen Binnenmarkt nicht einzuschränken. 1.5.4.2.1.2 Informations- und Transparenzpflichten Die Vorschriften des TDG wurden durch das EGG um eine Reihe von zusätzlichen Informationspflichten für geschäftsmäßige Angebote von Telediensten erweitert, d. h. für Angebote, die im Rahmen einer nachhaltigen und nicht nur gelegentlichen Tätigkeit erbracht werden. Die Informationspflicht gem. § 6 TDG (jetzt: § 5 TMG) umfasst neben Name, Anschrift, vertretungsberechtigter Person und Kontakt des Anbieters bei spezifischen Tätigkeiten auch Register und Registernummer, bei aufsichtspflichtigen Tätigkeiten die Nennung der zuständigen Aufsichtsbehörde, die Umsatzsteueridentifikationsnummer und umfassende Aufklärung über anzuwendende berufsrechtliche Regelungen bei den freien Berufen. Die Informationen müssen leicht erkennbar, unmittelbar erreichbar und ständig verfügbar sein. Sie müssen daher an gut wahrnehmbarer Stelle stehen und ohne langes Suchen jederzeit auffindbar sein. Für den Bereich der kommerziellen Kommunikation, also der Werbung im weiteren Sinne, sieht § 7 TDG (jetzt: § 6 TMG) darüber hinaus vor, dass derartige Inhalte klar als solche identifizierbar sind und die Person erkennen lässt, in deren Auftrag die kommerzielle Kommunikation erfolgt (zum Trennungsgebot s. Kap. 2.3.2). Daneben müssen Angebote zur Verkaufsförderung wie Preisnachlässe, Zugaben und Geschenke sowie Preisausschreiben oder Gewinnspiele mit Werbecharakter klar als solche erkennbar sein, die Bedingungen für deren Inanspruchnahme sollen klar und unzweideutig angegeben werden. 1.5.4.2.1.3 Haftungsvorschriften Die Regelungen der E-Commerce-Richtlinie zu der Haftung für Inhalte von Diensten der Informationsgesellschaft gingen über die Vorschriften der bis dahin geltenden Version des TDG hinaus, so dass der Gesetzgeber auch hier Änderungen vornehmen musste. So ergab sich im Hinblick auf die Voraussetzungen des § 9 Abs. 1 TDG (jetzt: 8 Abs. 1 TMG) Anpassungsbedarf, wann nämlich eine haftungsprivilegierte reine Durchleitung angenommen werden kann. Die ist dann der Fall, wenn der Dienstleister die Übermittlung nicht veranlasst, den Adressaten der übermittelten Informationen nicht ausgewählt und auch die übermittelten Informationen nicht ausgewählt oder verändert hat. Ähnlich verhält es sich mit dem novellierten § 10 TDG (jetzt: § 9 TMG), durch den der Tatbestand der Zwischenspeicherung zur beschleunigten Übermittlung von Informationen (Caching) konkretisiert wurde: Ein Caching-Dienstleister ist demnach nicht verantwortlich für die zwischengespeicherten Inhalte, wenn er die Information nicht verändert, die Bedingungen für den Zugang zu der Information beachtet und die Regeln für die Aktualisierung der Information berücksichtigt hat. Die Haftungsprivilegierung setzt zudem voraus, dass der Diensteanbieter die erlaubte Anwendung von Technologien zur Sammlung von Daten über die Nutzung der Information nicht beeinträchtigt, d. h. etwa Maßnahmen zur Nutzerzahlenerfassung unterläuft. Im Übrigen übernahm die TDG-Novelle die Verantwortlichkeitskonzeption der bisherigen Gesetzesfassung, die nicht frei von wissenschaftlicher Kritik und praktischen Abgrenzungsschwierigkeiten war und ist 270 . Dies ist insoweit besonders erwähnenswert, da die Haftungsregelungen unmittelbar – oder mittelbar über gerichtliche Entscheidungen – faktisch strukturbildenden Charakter für die gesamte Branche haben. 270 136 Vgl. m. w. N. etwa Köster/Jürgens 2002, Kudlich 2002, Schneider 2004, Stender-Vorwachs 2003. 1.5. Digitale Interaktive Medien 1.5.4.2.1.4 Teledienstedatenschutzgesetz (TDDSG) Mit der Novelle des Teledienstedatenschutzgesetzes im Rahmen des EGG 271 (s. oben) wurden die datenschutzrechtlichen Pflichten der Diensteanbieter sowie deren Rechte bezüglich der Speicherung von Bestands-, Nutzungs- und Abrechnungsdaten weiter konkretisiert. Daneben wurden die Auskunftsrechte der Nutzer und die Überarbeitung des Katalogs für Ordnungswidrigkeiten novelliert. Aufgrund einer Absprache von Bund und Ländern wurden die inhaltlich gleichen Regelungen in den MDStV übernommen, so dass sich das zum TDDSG Gesagte auf den Datenschutz in Mediendiensten übertragen lässt. In Bezug auf den Anwendungsbereich wird durch die Novellierung klargestellt, dass die Vorschriften ausschließlich für den Bereich der Datenverarbeitung zwischen Anbieter und Nutzer bzw. Verbraucher gelten, nicht jedoch für Fälle, in denen personenbezogene Daten ausschließlich zu beruflichen oder dienstlichen Zwecken oder zur Steuerung von Arbeits- oder Geschäftsprozessen innerhalb von oder zwischen Unternehmen oder öffentlichen Stellen erhoben oder verarbeitet werden. Auch die Novelle der datenschutzrechtlichen Vorschriften hält an dem nutzerorientierten Grundprinzip fest, dass die Erhebung oder Verarbeitung von personenbezogenen Daten nur dann erlaubt ist, wenn der Betroffene in die Datenverarbeitung eingewilligt hat oder das Gesetz dies ausdrücklich gestattet. Aufgrund dieser Einwilligungszentrierung stellt das Gesetz hohe Anforderungen an den Einwilligungsvorgang. So treffen den Anbieter weit reichende Informations- und Transparenzpflichten, wenn er dem Nutzer die Möglichkeit zu einer elektronischen Einwilligung anbietet. Flankiert werden diese Pflichten nun auch von bußgeldbewehrten Sanktionen. Mit In-Kraft-Treten von 9. RÄStV und TMG, das die TDDSG-Vorschriften übernimmt, wurden das TDDSG und der MDStV aufgehoben (s. unten). 1.5.4.2.2 Mediendienstestaatsvertrag Durch die verschiedenen Rundfunkänderungsstaatsverträge wurden jeweils auch Anpassungen am Mediendienstestaatsvertrag (MDStV) vorgenommen, die hier kurz nachgezeichnet werden. Die Anpassungen des Mediendienstestaatsvertrages aufgrund des 4. RÄStV betrafen die Umsetzung der Änderungsrichtlinie zur EG-Fernsehrichtlinie im Hinblick auf Teleshoppingkanäle, die Neufassung der Bestimmung über unzulässige Sendungen, im Hinblick auf den Jugendschutz in Anlehnung an die Änderungen des Rundfunkstaatsvertrages, die Anpassung des Katalogs der Ordnungswidrigkeiten und die Einfügung einer Strafbestimmung in Anlehnung an die entsprechende Bestimmung des Rundfunkstaatsvertrages. Der 5. RÄStV enthielt hinsichtlich des MDStV neben kleineren Änderungen die Anpassung der Verjährung von Ordnungswidrigkeiten und die Notifizierungspflicht gemäß der EU-Notifizierungsrichtlinie 272 bei nachfolgenden Änderungen am Gesetz. Der 6. RÄStV beinhaltete die Anpassungen des MDStV, die sich aus der ECommerce-Richtlinie und der Novelle des TDDSG ergaben. So wurde auch im MDStV – wie zuvor im TDG (s. oben) – das Herkunftslandsprinzip verankert, die Regelungen zur Verantwortlichkeit der Diensteanbieter wurden angepasst, und die Informationspflichten für geschäftsmäßige Mediendienste und kommerzielle Kommunikationen wurden weiter konkretisiert. Die Datenschutzvorschriften wurden inhaltsgleich aus dem TDG in den MDStV übernommen (s. Kap. 1.5.4.2.2). Mit In-Kraft-Treten des 9. RÄStV wurde der MDStV aufgehoben (s. unten). 271 Gesetz vom 14. Dezember 2001 über rechtliche Rahmenbedingungen für den elektronischen Geschäftsverkehr (Elektronischer Geschäftsverkehr-Gesetz – EGG), BGBl. 2001 I S. 3721 ff. 272 Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juli 1998 zur Änderung der Richtlinie 98/34/EG über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften; ABl. EG Nr. L 217, S. 18 ff. 137 1. Einzelne Medienbereiche 1.5.4.2.3 (TMG) Elektronischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz (ElGVG) mit Telemediengesetz Vor dem Hintergrund der 2004 von Bund und Ländern beschlossenen Eckpunkte zur Fortentwicklung der Medienordnung wurden mit dem Elektronischer-Geschäftsverkehr-Vereinheitlichungsgesetz (ElGVG) die Bundesregelungen im Bereich der Teledienste angepasst. Auf Länderseite erfolgte der parallele gesetzgeberische Schritt mit dem 9. RÄStV (s. unten Kap. 1.5.4.2.4). Das ElGVG überführte die oben beschriebenen Vorgaben des TDG in das neu geschaffene Telemediengesetz (TMG) und formulierte den Anwendungsbereich neu aus: Statt nur Teledienste erfasst der Anwendungsbereich des TMG alle Telemedien. Darüber hinaus wurden neben rein redaktionellen Änderungen weitere kleinere inhaltliche Anpassungen an den ehemaligen TDG-Vorschriften vorgenommen. 1.5.4.2.3.1 Abgrenzung zu Rundfunkdiensten und TK-Diensten Wie oben dargestellt, entfällt durch die Vereinheitlichung der Rechtsrahmen für Telemedien in TMG und RStV die vormals nötige Zuordnung eines Angebots zum Bereich der Tele- oder Mediendienste. Dennoch nötig bleiben die Abgrenzungen zu Rundfunkdiensten und zu telekommunikativen Diensten, die unter den Anwendungsbereich des TKG fallen (Telekommunikationsdienste gem. § 3 Nr. 24 TKG) und telekommunikationsgestützte Dienste (§ 3 Nr. 25 TKG). § 1 Abs. 1 TMG stellt insoweit klar, dass die Vorschriften des TMG für derartige Dienste nicht gelten. In der Praxis führt die Zuordnung konkreter Angebote zu diesen verbleibenden Dienstekategorien nicht selten zu Abgrenzungsproblemen (s. unten Kap. 3.4.2). 1.5.4.2.3.2 Konkretisierung der Informationspflichten bei geschäftsmäßigen Telemedien Während § 6 TDG ausführliche Informationspflichten solchen Telediensteanbietern auferlegte, die den Teledienst geschäftsmäßig erbrachten, konkretisiert der jetzige § 5 TMG in Satz 1 die Geschäftsmäßigkeit insofern, als geschäftsmäßige Teledienste in der Regel solche sind, die gegen Entgelt angeboten werden. Das Merkmal der Entgeltlichkeit setzt dabei eine irgendwie geartete wirtschaftliche Gegenleistung voraus. Für rein private Internetseiten oder Angebote von gemeinnützigen Vereinen gelten die Informationspflichten des § 5 TMG insofern nicht; für diese Angebote können aber nichtsdestotrotz die Informationspflichten aus § 55 Abs. 1 RStV gelten (s. unten Kap. 1.5.4.2.4). 1.5.4.2.3.3 Transparenz- und Informationspflichten bei kommerziellen Kommunikationen per E-Mail Der neu eingeführte § 6 Abs. 2 TMG verpflichtet den Absender von E-Mail-Werbung zu erhöhten Transparenzpflichten. So darf in der Kopf- und Betreffzeile weder der Absender noch der kommerzielle Charakter der Nachricht verschleiert oder verheimlicht werden, indem der Empfänger über Absender oder kommerziellen Inhalt der Nachricht in die Irre geführt werden. Die Vorschrift ist zusätzlich bußgeldbewehrt. 1.5.4.2.3.4 Übernahme der Verantwortlichkeitsvorschriften Das ElGVG übernimmt die abgestuften Verantwortlichkeits- und Haftungsvorschriften der §§ 5 bis 11 TDG. Diese Regelungen sahen sich bereits zu TDG-Zeiten teils heftiger Kritik ausgesetzt, die Virulenz wurde verstärkt durch Gerichtsurteile, die die Privilegierungen der Regelungen für Anbieter, die keine eigenen Inhalte zur Verfügung stellen, durch weit reichende Überwachungspflichten faktisch auszuhebeln vermochten. Die Problematik der unveränderten Übernahme sah der Gesetzgeber ausweislich der amtlichen Begründung wohl, erklärt diese aber mit dem Abwarten der für Ende 2007 geplanten Evaluation der Umsetzung der Vorgaben der E-Commerce-Richtlinie durch die EU-Kommission. 273 273 138 S. Begründung zum Entwurf des ElGVG, BT-Drs. 16/3078, S. 11 f. 1.5. Digitale Interaktive Medien 1.5.4.2.3.5 Aufnahme von Datenschutzbestimmungen aus dem TDDSG und dem MDStV Die §§ 11 bis 15 TMG übernehmen die bis dahin im TDDSG und im MDStV enthaltenen Datenschutzvorschriften bis auf wenige kleinere Ausnahmen: So wurde klargestellt, dass vom Nutzerbegriff in § 11 Abs. 2 TMG ausschließlich natürliche Personen umfasst sind. Daneben wurden einzelne Regelungen für Telemedien ausgeschlossen, die gleichzeitig den Datenschutzvorschriften des TKG unterliegen, um Doppelregulierung zu vermeiden. Außerdem passte das ElGVG die Anforderungen an elektronische Einwilligungen dem Wortlaut der TKG-Vorschrift an. Mit Blick auf die noch umzusetzende EU-Enforcement-Richtlinie (s. Kap. 2.5.2.1) wurde zudem § 14 Abs. 2 TMG erweitert, der Diensteanbietern verbietet, sich bei der Verweigerung der Erfüllung von Auskunftsersuchen von Verfassungsschutzbehörden, Bundesnachrichtendienst oder vom Militärischen Abschirmdienst auf datenschutzrechtliche Vorgaben zu berufen. Dies war bisher nur für Zwecke der Strafverfolgung möglich. Über § 47 RStV gelten die Datenschutzvorschriften des TMG auch für Rundfunkangebote. Erwähnenswert erscheint, dass das in § 21 MDStV vorgesehene Konzept von Datenschutz-Audits weder in das TMG noch in den RStV übernommen wurde. Die Möglichkeit der Einrichtung von Auditstellen, bei denen Anbieter von Telemedien ihre Datenschutzkonzepte und technischen Einrichtungen durch externe Sachverständige bewerten und die Ergebnisse veröffentlichen lassen konnten, wird nunmehr gesetzlich nicht ausdrücklich geregelt. Während im IuK-Bereich öffentlicher Stellen sich bereits eine gewisse Audit-Praxis abzeichnet und sich Gütesiegel herausbilden, befinden sich praktische Ansätze im Bereich privater Akteure noch in Frühstadien. Ein im September vorgelegter Referentenentwurf zu einem Bundesdatenschutzauditgesetz 274 wird derzeit diskutiert. 1.5.4.2.4 Neunter Rundfunkänderungsstaatsvertrag (RStV) Das „Gegenstück“ auf Seiten der Länder zu dem Telemediengesetz des Bundes war der Neunte Rundfunkänderungsstaatsvertrag, mit dem die bisher im MDStV enthaltenen Vorschriften für Telemedien in einen eigenen Abschnitt des Rundfunkstaatsvertrags – offizielle Bezeichnung: Staatsvertrag für Rundfunk und Telemedien – aufgenommen wurden (§§ 54 bis 61 RStV). Der Anwendungsbereich des Staatsvertrags wird auf Telemedien erweitert (zu Abgrenzungsschwierigkeiten zu anderen Diensten s. oben), gemäß § 1 Abs. 1 RStV gelten für Telemedien nur die Abschnitte IV. (Revision, Ordnungswidrigkeiten), V. (Übertragungskapazitäten) und VI. (Telemedienspezifische Regelungen) sowie § 20 Abs. 2 RStV (dazu s. Kap. 1.5.4.1.3). Im Wesentlichen behält der Telemedien-Abschnitt des RStV die normativen Vorgaben des MDStV bei, nur in wenigen kleineren Punkten erfolgte eine inhaltliche Änderung. So sieht § 54 Abs. 2 RStV die Pflicht zur Beachtung der anerkannten journalistischen Grundsätze vor, die nunmehr an die journalistisch-redaktionelle Gestaltung eines Telemediums ansetzt. Die Vorgängervorschrift des § 11 Abs. 2 MDStV knüpfte hier noch an den Verbreitungsweg („Verteildienste“) an. Der Änderung der Regelung trägt insofern die Stärkung der Technologieneutralität der Vorschrift Rechnung. Der Bereich der gesetzlichen Adressaten von Informationspflichten in den §§ 55 RStV wurde leicht angepasst: So nimmt die Vorschrift aus Gründen der Privatsphäre solche Anbieter von Telemedien von der Informationspflicht aus, die ausschließlich persönlichen oder familiären Zwecken dienen (z. B. Meinungsbeiträge in Foren). § 57 weitet das Datenschutzprivileg von Unternehmen der Presse und deren Hilfsunternehmen, das in den einzelnen Landespressegesetzen bzw. Landesmediengesetzen statuiert ist (s. Kap. 1.1.4.2.17), auch auf deren Telemedienangebot aus. 274 Vgl. Entwurf eines Bundesdatenschutzauditgesetzes, Stand 07. September 2007; abrufbar unter https://www.datenschutzzentrum.de/bdsauditg/20070907-entwurf-bdsauditg.pdf. 139 1. Einzelne Medienbereiche In § 59 Abs. 1 wird die Datenschutzaufsicht teilweise angepasst: Die Sätze 2 und 3 stellen ein Primat der Selbstregulierung fest. So sind staatliche Aufsichtsbehörden für die Datenschutzaufsicht nicht zuständig, soweit sich ein betroffenes (Presse-)Unternehmen dem Pressekodex und der Beschwerdeordnung des Deutschen Presserates unterworfen hat (Satz 3); für die Datenschutzaufsicht im journalistisch-redaktionellen Bereich des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind die dort zuständigen internen Stellen verantwortlich (Satz 2). Für alle anderen Anbieter bleibt es bei einer Aufsicht durch die im jeweiligen Bundesland zuständigen Behörden (s. dazu auch Kap. 3.4.4.1.3). An der Ermächtigung der Aufsichtsbehörde zum Erlass von Anordnungen zu Sperrungen einzelner Telemedien hält § 59 Abs. 3 fest, im Hinblick auf die Wahrung der Pressefreiheit beschränkt Satz 6 dieses Aufsichtsinstrument allerdings im Hinblick auf Telemedien, die ausschließlich Inhalte periodischer Druckerzeugnisse enthalten. Sperrungsanordnungen können hier nur unter den Voraussetzungen der §§ 97 Abs. 5 S. 2, 98 StPO erfolgen. 1.5.4.2.5 Fernabsatzgesetz und Schuldrechtsmodernisierungsgesetz Mit dem Fernabsatzgesetz 275 reagierte der Bundesgesetzgeber auf Vorgaben der EU-Fernabsatzrichtlinie 276 und regelte erstmals spezifisch Informationspflichten und Widerrufsrechte bei Verträgen, die über elektronische Kommunikationsmittel abgeschlossen wurden, also auch über Teledienste, Mediendienste und E-Mail. Dem Verbraucher waren danach bei Fernabsatzverträgen bestimmte Informationen zu übermitteln, und ihm wurde ein 14-tägiges Widerrufsrecht ohne Angabe von Gründen zugestanden. Schon ein Jahr später wurde das bis dahin eigenständige Fernabsatzgesetz durch das Schuldrechtsmodernisierungsgesetz 277 aufgehoben und die bisherigen Fernabsatzvorschriften komplett in das BGB (§§ 312b-312d BGB) inkorporiert. Da die Informationspflichten zumindest teilweise bereits vor der Lieferung der Waren oder Leistungen eintraten, wirkten sich die Vorschriften so zumindest mittelbar auf die Gestaltung der Kommunikationsmittel, also der Teleoder Mediendienste aus. So sieht etwa § 312e Abs. 1 BGB vor, dass Unternehmer, bei denen Fernabsatzverträge über Tele- oder Mediendienste geschlossen werden, technische Mittel zur Verfügung zu stellen haben, mit deren Hilfe der Kunde Eingabefehler vor Abgabe seiner Bestellung erkennen und berichtigen kann. Darüber hinaus treffen ihn konkrete Informationspflichten während des Bestellvorgangs, nach der Bestellung in einer Eingangsbestätigung und hinsichtlich der dauerhaften Abruf- und Speichermöglichkeit der AGB. Insbesondere im Hinblick auf die Ausgestaltung der Widerrufsbelehrungen nach den Vorgaben der BGB-InformationspflichtenVerordnung (BGB-InfoV) kam es im Berichtszeitraum zu Diskussionen. So hatte der Gesetzgeber in Anlage 2 zu § 14 BGB-InfoV ein Muster für eine Widerrufsbelehrung vorgesehen, allerdings wurde der von Anbietern genutzte Mustertext in mehreren Gerichtsurteilen für teilweise irreführend bzw. unwirksam erachtet. Eine Stärkung in Bezug auf seine Rechtmäßigkeit erhielt der Mustertext durch den BGH, dennoch wird derzeit der Entwurf eines novellierten Mustertextes diskutiert. 275 Fernabsatzgesetz vom 27. Juni 2000, BGBI. I S. 897 ff. 276 Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 1997 über den Verbraucherschutz bei Vertragsabschlüssen im Fernabsatz, ABl. EG Nr. L 144 S. 19 ff. 277 Schuldrechtsmodernisierungsgesetz vom 26.11.01, BGBl. 2001 I S. 3137 ff., in Kraft seit 01.01.2002. 140 1.5. Digitale Interaktive Medien 1.5.4.2.6 Signaturgesetz Mit der Novellierung des Signaturgesetzes 278 besteht in Deutschland ein Rechtsrahmen für elektronische Signaturen, durch die rechtsverbindliche Kommunikation und rechtsgültiger elektronischer Geschäftsverkehr stattfinden kann. Das novellierte Gesetz, mit dem der Bundesgesetzgeber seiner Umsetzungspflicht aus der Signatur-Richtlinie 279 nachkommt, löst das Signaturgesetz von 1997 ab und schreibt die notwendige Sicherheitsinfrastruktur für elektronische Signaturen vor, die in der Rechtsfolge der eigenhändigen Unterschrift gleichgestellt werden. Eckpunkte des Signaturgesetzes sind die Zulassungsfreiheit von Zertifizierungsdiensten bei Anzeigepflicht mit Untersagungsvorbehalt, deren Dokumentationspflichten und Haftung sowie Datenschutzanforderungen und das Einhalten von technischen Sicherheitsmaßnahmen. Als Akkreditierungs- und Aufsichtsbehörde von Zertifizierungsstellen fungiert die Bundesnetzagentur (vormals Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post). In einer kleinen SigG-Novelle 280 im Jahr 2004 beseitigte der Bundesgesetzgeber neben kleineren Änderungen vor allem auslegungsbedingte Unklarheiten, die dazu geführt hatten, dass insbesondere Banken und Krankenkassen Verfahren mit nicht-qualifizierten Signaturen (z. B. biometrische Unterschriftensysteme) nur zögerlich eingeführt hatten. Die Änderungen traten am 11. Januar 2005 in Kraft. 1.5.4.2.7 Zugangskontrolldiensteschutzgesetz (ZKDSG) Mit dem ZKDSG 281 soll die Zugangskontrolldienste-Richtlinie 282 umgesetzt werden. Durch die Richtlinie soll die gewerbsmäßige Verbreitung und Bewerbung von Vorrichtungen verhindert werden, die technische Maßnahmen zum Zugangsschutz von Fernseh- und Radiosendungen sowie von Telemedien auszuhebeln in der Lage sind. Zugangskontrollierte und damit vom Gesetz geschützte Dienste sind Rundfunkdarbietungen und Telemedien, die unter der Voraussetzung eines Entgelts erbracht werden und nur unter Verwendung eines Zugangskontrolldienstes genutzt werden können. In § 3 enthält das ZKDSG das strafbewehrte Verbot der Herstellung, Einfuhr und Verbreitung von Umgehungsvorrichtungen zu gewerbsmäßigen Zwecken, deren Besitz, die technische Einrichtung, die Wartung und der Austausch von Umgehungsvorrichtungen zu gewerbsmäßigen Zwecken sowie die Absatzförderung von Umgehungsvorrichtungen. 1.5.4.2.8 Zeugnisverweigerungsrecht, Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbote Die medienspezifischen Privilegien des Zeugnisverweigerungsrechts und der Durchsuchungs- und Beschlagnahmeverbote, die der Presse und dem Rundfunk aufgrund ihrer Bedeutung für die freie öffentliche und individuelle Meinungsbildung zugestanden werden, wurden Mediendiensten bisher vor der Annahme, dass die Bedeutung von Mediendiensten für die Meinungsbildung geringer ausfällt, nicht in gleichem Maße zugestanden. Inwiefern dies vor der möglicherweise stärker werdenden Funktion dieser Dienste – auch verfassungsrechtlich – noch gerechtfertigt erschien, war Gegenstand rechtswissenschaftlicher Diskussionen. Der Gesetz- 278 Signaturgesetz vom 16. Mai 2001, BGBl. I S. 876, zuletzt geändert durch Artikel 4 des Gesetzes vom 26. Februar 2007, BGBl. I S. 179. 279 Richtlinie 1999/93/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 1999 über gemeinschaftliche Rahmenbedingungen für elektronische Signaturen, ABl. EG Nr. L 13, S. 14 ff. 280 Erstes Gesetz zur Änderung des Signaturgesetzes (1. SigÄndG), BGBl. 2005 I, S. 2. 281 Gesetz über den Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten vom 19.3.2003, BGBl. I S. 1090, geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 26. Februar 2007, BGBl. I S. 179. 282 Richtlinie 1998/84/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den rechtlichen Schutz von zugangskontrollierten Diensten und von Zugangskontrolldiensten vom 20. November 1998; ABl. EG Nr. L 320, S. 54 ff. 141 1. Einzelne Medienbereiche geber reagierte 2002 auf die Entwicklung mit dem Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung 283 , wodurch seit dem 23.03.2002 ausdrücklich auch Personen, die bei der Vorbereitung, Herstellung oder Verbreitung von „der Unterrichtung oder Meinungsbildung dienenden Informations- und Kommunikationsdiensten berufsmäßig mitwirken oder mitgewirkt haben“ (§ 53 Abs. 1 Nr. 5, s. Kap. 1.4.2.1), einbezogen sind. 283 142 Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 15. Februar 2002, BGBl. I S. 682 f. 1.5. Digitale Interaktive Medien 1.5.5 Quellenangaben zu Kapitel 1.5 Benkler, Yochai (2006): The wealth of networks. How social production transforms markets and freedom. New Haven/ London. BITKOM (2007): Der deutsche PC- und Konsolenspiele-Markt. Präsentation, 29.1.2007. Abrufbar unter http://www.bitkom.org/files/documents/BITKOM_PK_Gaming_Praesentation_29.01.2007.pdf, zuletzt aufgerufen am 15.1.2008. Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware (BIU) (2008): Marktzahlen 2007 – Computer- und Videospiele. Abrufbar unter http://www.biu-online.de/fileadmin/user/dateien/BIU_-_Marktzahlen_2007_.pdf, zuletzt aufgerufen am 31.3.2008. Filmförderungsanstalt (FFA) (2008): FFA-info, Ausgabe 1/08 vom 06. Februar 2008; abrufbar unter http://www.filmfoerderungsanstalt.de/downloads/publikationen/ffa_intern/FFA_info_1_2008.pdf, zuletzt aufgerufen am 31.3.2008. Gerhards, Maria/Klingler, Walter/Trump, Thilo (2008): Das Social Web aus Rezipientensicht: Motivation, Nutzung und Nutzertypen. In: Zerfaß, Ansgar/Welker, Martin/Schmidt, Jan (Hrsg.): Kommunikation, Partizipation und Wirkungen im Social Web. Band 1: Grundlagen und Methoden – Von der Gesellschaft zum Individuum. Köln. S. 129 ff. Gscheidle, Christoph/Fisch, Martin (2007): Online 2007: Das „Mitmach-Netz“ im Breitbandzeitalter. In: Media Perspektiven, Nr. 8/2007, S. 393 ff. Hepp, Andreas/Vogelsang, Waldemar (2007): Die LAN-Szene. 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Einzelne Medienbereiche TNS Infratest Forschung (2007): Monitoring Informations- & Kommunikationswirtschaft. 10. Faktenbericht 2007. München/Berlin. Van Eimeren, Birgit/Gerhard, Heinz/Frees, Beate (2001): ARD/ZDF-Online-Studie 2001: Internetnutzung stark zweckgebunden. In: Media Perspektiven 8/2001, S. 382 ff. Van Eimeren, Birgit/Gerhard, Heinz/Frees, Beate (2003): Internetverbreitung in Deutschland: Unerwartet hoher Zuwachs. ARD/ZDF-Online-Studie 2003. In: Media Perspektiven 8/2003, S. 338 ff. Van Eimeren, Birgit/Gerhard, Heinz/Frees, Beate (2004): Internetverbreitung in Deutschland: Potenzial vorerst ausgeschöpft? ARD/ZDF-Online-Studie 2004. In: Media Perspektiven 8/2004, S. 350 ff. Van Eimeren, Birgit/Frees, Beate (2005): Nach dem Boom: Größter Zuwachs in internetfernen Gruppen. ARD/ZDFOnline-Studie 2005. In: Media Perspektiven 8/2005, S. 362 ff. Van Eimeren, Birgit/Frees, Beate (2006): Schnelle Zugänge, neue Anwendungen, neue Nutzer? ARD/ZDF-Online-Studie 2006. In: Media Perspektiven 8/2006, S. 402 ff. Van Eimeren, Birgit/Frees, Beate (2007): Internetnutzung zwischen Pragmatismus und YouTube-Euphorie. ARD/ZDFOnline-Studie 2007. In: Media Perspektiven 8/2007, S. 362 ff. VuMa Arbeitsgemeinschaft (2008): Verbrauchs- und Medienanalyse 2008. Frankfurt. Basisdaten abrufbar unter http://www.vuma.de/pdf/2008_basisauswertung.pdf, zuletzt aufgerufen am 15.1.2008. 144 2. MEDIENÜBERGREIFENDE ASPEKTE 2.1 ARBEITSMARKT 2.1.1 ARBEITSMARKT MEDIEN .................................................................................................. 146 2.1.2 MEDIENSTANDORTE IN DEUTSCHLAND ...................................................................... 147 2.1.3 ENTWICKLUNGEN IN AUSGEWÄHLTEN BRANCHEN ............................................... 149 2.1.3.1 2.1.3.2 2.1.3.3 WERBEWIRTSCHAFT ............................................................................................................ 149 RUNDFUNKWIRTSCHAFT ...................................................................................................... 150 FILM- UND FERNSEHPRODUKTION ....................................................................................... 153 2.1.4 KOMMUNIKATOREN IM STRUKTURWANDEL ............................................................ 154 2.1.5 AUS- UND WEITERBILDUNG.............................................................................................. 155 2.1.6 RECHT UND REGULIERUNG.............................................................................................. 156 2.1.6.1 2.1.6.2 2.1.7 KRITERIEN FÜR SCHEINSELBSTSTÄNDIGKEIT ....................................................................... 156 NOVELLE DES KÜNSTLERSOZIALVERSICHERUNGSGESETZES ............................................... 157 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 2.1.............................................................................. 158 Tabellenverzeichnis Tabelle 2.1.1.1: Erwerbstätige in Medienberufen 1995 und 2003 Tabelle 2.1.3.1: Beschäftigte in der Werbebranche 1999-2007 Tabelle 2.1.3.2: Arbeitslosenquote bei Werbefachleuten (jeweils Monat Dezember) Tabelle 2.1.3.3: Beschäftigte im Rundfunk 1995 bis 2006, jeweils am Jahresende Tabelle 2.1.3.4: Beschäftigung im Rundfunk in den vier wichtigsten deutschen Medienstädten 2004 Tabelle 2.1.3.5: Fernsehproduktionsfirmen und Produktionsvolumen 2006 nach Bundesländern Tabelle 2.1.3.6: Fernsehproduktionen 2006 nach Genre und Sitzland der Produzenten in Prozent Tabelle 2.1.5.1: Studierende im ersten Fachsemester medienbezogener Studiengänge* 145 2. Medienübergreifende Aspekte 2.1.1 Arbeitsmarkt Medien Der Weg in die Informationsgesellschaft wird oft von der Vorstellung begleitet, dass die Medien im Rahmen dieser Entwicklung zu einem Wirtschaftssektor werden, der einen erheblichen Bedeutungsgewinn im Hinblick auf die gesamtwirtschaftliche Rolle erleben wird. Bei der Beschreibung der Entwicklung der Medienwirtschaft mit dem Blick auf Beschäftigung und die regionale Verteilung ergibt sich aus dem stattfindenden Strukturwandel eine Reihe von Problemen. Die amtliche Statistik kennt keine Kategorie „Medienwirtschaft“, diese wird deshalb für die unterschiedlichen Studien immer wieder aufgrund der jeweiligen Fragestellung und der aktuellen Entwicklung neu rekonstruiert. Der beschriebene Mangel an amtlichen Statistiken zur Entwicklung der Informationsgesellschaft hat zu Aktivitäten der OECD und der EU geführt 284 . Die Zuordnung der traditionellen Wirtschaftsbereiche ist im Kontext der Konvergenzentwicklung von Medien, Informations- und Kommunikationstechnik und Telekommunikation schwierig. Dabei wird in einigen Studien die Fokussierung auf die so genannten TIMES-Märkte (Telekommunikation, Informationstechnologie, Medien & Entertainment und IT-Security) als Beschreibungskategorie verwendet. In der Regel werden bei derartigen Zusammenstellungen Daten aus Wirtschaftszweigen der Warenproduktion, der Dienstleistungen mit IKT-relevanten Waren und IKT-Dienstleistungen zusammengefasst. Auf der Grundlage der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen zeigt sich, dass der Anteil des Wertes der IKT-Güter an der Gesamtwirtschaft von 1995 bis 2000 von 3,2 auf 3,6 Prozent stieg. Diese Daten zeigen, dass in den betreffenden Branchen selbst ein dynamisches Wachstum zu beobachten war, der gesamtwirtschaftliche Effekt allerdings relativ gering ausfiel 285 . Die Dynamik der Entwicklung wird durch einen Blick auf die Umsatzsteuerstatistik bestätigt. Die Zahl der Unternehmen in den Wirtschaftsbereichen IKT-Warenproduktion, Dienstleistungen mit IKT-relevanten Waren und IKT-Dienstleistungen stieg zwischen 1994 und 2001 um 38,1 Prozent, in allen Wirtschaftsbereichen war hier eine Steigerung um 9,4 Prozent zu beobachten. Insbesondere bei den IKTDienstleistungen, zu denen auch die Telekommunikationsunternehmen zählen, gab es praktisch eine Verdoppelung der Zahl der Unternehmen. Die Umsatzsteuerstatistik zeigt allerdings auch, dass vor allem Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 50 Mio. Euro in diesen Branchen aktiv sind. Während in allen Wirtschaftsbereichen Unternehmen aus dieser Umsatzgrößenklasse 0,3 Prozent der Unternehmen stellen, die 57,9 Prozent der Umsätze erzielen, sind es im IKT-Bereich 0,7 Prozent der Unternehmen, die 72,7 Prozent der Umsätze erwirtschaften. Die große Bedeutung umsatzstarker Unternehmen spiegelt sich auch in der Beschäftigtenstatistik. Während in der Gesamtwirtschaft 4,1 Prozent der Unternehmen mehr als 50 Beschäftigte haben und damit 58,1 Prozent aller Beschäftigten stellen, sind es bei den Unternehmen aus dem IKT-Bereich 6,5 Prozent, mit 68,6 Prozent der Beschäftigten. Ende der neunziger Jahre wurde erwartet, dass die an der Konvergenzentwicklung beteiligten Branchen stark zu einer positiven Entwicklung der Beschäftigung beitragen würden 286 . Mittlerweile hat sich gezeigt, dass viele dieser Prognosen zu optimistisch waren. Zwar konnten in den Jahren 1998 bis 2001 Beschäftigungsgewinne beobachtet werden, in den Folgejahren jedoch ging die Beschäftigung in der Medienwirtschaft wieder zurück. Im Jahr 2003 gab es in Deutschland 0,6 Prozent weniger Beschäftigte in der Medienwirtschaft als im Jahr 2000 287 . Tabelle 2.1.1.1 verdeutlicht, in welchen Bereichen der Strukturwandel zwischen 1995 und dem Jahr 2003 zu starken Veränderungen der Beschäftigung geführt hat. Der Anteil der Erwerbstätigen in 284 Vgl. Schnorr-Bäcker 2004, S. 736. 285 Vgl. Schnorr-Bäcker 2004, S. 739. 286 Vgl. z. B. Booz Allen & Hamilton 1999. 287 Vgl. Schönert 2004, S. 3. 146 2.1. Arbeitsmarkt Medienberufen an allen Erwerbstätigen ist nur geringfügig um 0,1 Prozent gestiegen, die Entwicklung verlief jedoch in den Branchen recht unterschiedlich. Tabelle 2.1.1.1: Erwerbstätige in Medienberufen 1995 und 2003 1995 (in Tsd.) 2003 (in Tsd.) Insgesamt Selbstständige und mithelfende Familienangehörige Abhängig Erwerbstätige 200 9 191 159 11 148 Radio- und Fernsehtechniker/-innen 30 5 25 29 7 21 Buch-, Musikalienhändler/-innen 22 / 18 29 7 22 Verlagskaufleute 38 5 33 42 6 36 Werbefachleute 73 17 56 103 21 81 Publizisten/Publizistinnen 92 31 61 133 50 83 Medienberufe insgesamt 455 71 384 495 103 392 Erwerbstätige insgesamt 36.048 3.818 32.230 36.172 4.129 32.043 1,26 1,86 1,19 1,37 2,49 1,22 Druck- und Druckweiterverarbeitungsberufe Anteil der Erwerbstätigen in Medienberufen an der Gesamtwirtschaft in Prozent InsgeSelbst- Abhängig samt ständige und Erwerbsmithelfende tätige Familienangehörige Quelle: Statistisches Bundesamt: Leben und Arbeiten in Deutschland. Ergebnisse des Mikrozensus 2003. Wiesbaden 2004. Tabellenanhang zur Pressebroschüre, Tab. 30; eigene Berechnungen. Aktuellere Daten wurden bis zum Redaktionsschluss nicht veröffentlicht. Vor allem im Bereich der Druckereien und der Druckweiterverarbeitung ist als Ergebnis des Ausschöpfens der Rationalisierungspotenziale digitaler Technik der Strukturwandel auf Kosten der Arbeitsplätze gegangen. Zwischen 1995 und 2003 fielen hier 41.000 Stellen weg. Dagegen gab es massive Zuwächse bei Publizisten und Publizistinnen – bei den abhängig Beschäftigten um ein Drittel, viel stärker aber bei den Selbstständigen. Eine mögliche Erklärung dieser Entwicklung liegt zum einen im mittlerweile gewachsenen Ausbildungsangebot für diese Berufe, zum anderen trägt auch die Praxis der Auslagerung redaktioneller Tätigkeiten bei vielen Unternehmen zu dieser Entwicklung bei. Auch bei den Werbefachleuten hat sich die Zahl der Beschäftigten um mehr als 20 Prozent erhöht. Hier ist vor allem die Zahl der abhängig Beschäftigten erheblich gestiegen. 2.1.2 Medienstandorte in Deutschland Bei der folgenden Darstellung der Entwicklung wichtiger Medienstandorte werden Daten aus der amtlichen Statistik zusammengefasst: Eine zentrale Datenbasis ist dabei die Beschäftigtenstatistik, die die Bedeutung der einzelnen Standorte verdeutlicht. Im Anschluss an die Beschreibung der räumlichen Verteilung der Medienwirtschaft wird die Entwicklung der Arbeitsmärkte sowohl mit dem Blick auf einzelne Medien als auch auf einige Berufe im Mittelpunkt stehen. Die Medienwirtschaft in der Bundesrepublik ist räumlich stark konzentriert. In den fünf wichtigsten Standorten der Medienwirtschaft in der Bundesrepublik arbeiten mehr als 20 Prozent der Beschäftigten in den 147 2. Medienübergreifende Aspekte statistisch erfassten Wirtschaftszweigen Verlage, Druckereien, Vervielfältigung von Tonträgern, Postdienste, Fernmeldedienste, Softwarehäuser, Datenbanken, sonstige Datenverarbeitung, Werbung, Film- und Videoproduktion und Nachrichtenagenturen. Im Gegensatz zu den eingangs genannten Daten zur Entwicklung im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnik, die vor allem mit Blick auf die Konvergenzentwicklung eine stärkere Berücksichtigung bei der Beschreibung der Entwicklung der Medienwirtschaft verlangen, fokussiert dieser Abschnitt auf die klassischen Medien. Auch die hier genannten Kategorien enthalten Unschärfen im Hinblick auf die Beschäftigung in der Medienwirtschaft, differenziertere Daten liegen jedoch nur für einen Teil der Medienberufe vor. In der Beschäftigtenstatistik werden Selbstständige und freie Mitarbeiter nur unzureichend erfasst, so dass es vermutlich zu einer Unterschätzung des tatsächlichen Beschäftigungsvolumens kommt. 288 Die wichtigsten Medienstandorte in der Bundesrepublik sind die Städte Hamburg, Berlin, München, Köln und Frankfurt am Main. In diesen Städten sind mehr als sieben Prozent der Beschäftigten in der Medienwirtschaft tätig. In den zwanzig wichtigsten Städten arbeiten ca. 58,5 Prozent aller Beschäftigten in der Medienwirtschaft. Während im Bundesgebiet durchschnittlich 4,11 Prozent der Beschäftigten in der Medienwirtschaft tätig sind, sind es in diesen Standorten 6,37 Prozent. Im Vergleich zur Gesamtbeschäftigung sank die Zahl der Beschäftigten in der Medienwirtschaft weniger stark, allerdings waren die Medienstandorte überproportional stark von diesem Rückgang betroffen. So hatten z. B. Wuppertal, München, Hannover und Berlin einen Rückgang der Beschäftigung zu verzeichnen, während Bonn, Duisburg und Düsseldorf Zuwächse vorweisen konnten. Die einzelnen Medienbranchen sind dabei unterschiedlich stark in den einzelnen Standorten vertreten. Bei einer genauen Analyse der sechs Branchen EDV/Software, Verlage, Werbung, Fernmeldedienste, Radio/Fernsehen und Film auf der Grundlage der Beschäftigtenstatistik wird erkennbar, dass es eine räumliche Spezialisierung an einzelnen Standorten gibt: Mehr als 20 Prozent der Beschäftigten der Branche EDV/Software arbeiten in einer der fünf Städte München, Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main oder Köln. Mit Blick auf den Anteil an allen Beschäftigten in einer Stadt zeigt sich ein anderes Bild: Vor allem die Standorte München, Dortmund, Stuttgart, Bonn und Essen liegen im Vergleich zum Bundesdurchschnitt mit ca. zwei Prozent der Beschäftigten bei einem etwa doppelt so hohen Beschäftigtenanteil in dieser Branche. In der Branche Verlage sind es die Städte Hamburg, Stuttgart, München, Bielefeld und Nürnberg, in denen der Beschäftigtenanteil doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt ist. Auch in Bezug auf die räumliche Konzentration der Verlagswirtschaft zählen die Städte Hamburg, München und Stuttgart zu den wichtigsten Standorten, hinzu kommen hier Berlin und Frankfurt am Main. In diesen fünf Standorten arbeiten mehr als 25 Prozent der Beschäftigten der Verlagsbranche. Eine deutliche räumliche Konzentration offenbart sich auch für die Werbebranche. Hamburg, Düsseldorf, Berlin, Frankfurt am Main und München vereinen etwa 30 Prozent der Beschäftigten der Werbebranche auf sich. In den Städten Düsseldorf, Hamburg und Frankfurt am Main ist der Anteil der Beschäftigten in dieser Branche dreimal höher als im Bundesdurchschnitt, in Nürnberg und Köln sind es mehr als doppelt so viele. Eine große Differenz zwischen der absoluten Zahl der Beschäftigten in einer Branche und der relativen Bedeutung der Branche für einen Standort zeigt sich in der Branche Fernmeldedienste. Die mit Blick auf die Beschäftigung wichtigsten Standorte sind Berlin, Hamburg, Köln, München und Stuttgart. Hier arbeiten ca. 22 Prozent der Beschäftigten dieser Branche. Blickt man aber auf die Bedeutung an einzelnen Standorten, so zeigt sich, dass in dieser Branche in Leipzig und Dresden etwa drei Prozent der Beschäftigten tätig sind, dies ist etwa dreimal so viel wie im Bundesdurchschnitt. Auf den weiteren Plätzen folgen Stuttgart, Bonn und 288 148 Schönert/Willms 2001, S. 413. 2.1. Arbeitsmarkt Köln, auch in diesen Städten liegt der Anteil der Beschäftigten in der Branche Fernmeldedienste mehr als doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt. In der Rundfunkbranche, also bei Fernsehen und Hörfunk, liegt der Standort Köln sowohl im Hinblick auf die räumliche Konzentration als auch auf die relative Bedeutung der Branche an der Spitze. Mehr als 15 Prozent aller Beschäftigten dieser Branche sind in Köln zu finden, dort arbeiten neunmal so viele Arbeitnehmer in dieser Branche wie im Bundesdurchschnitt. 289 Neben Köln sind auch Hamburg, Berlin, München und Leipzig wichtige Standorte für diese Branche, insgesamt arbeiten in diesen Städten rund 45 Prozent aller Beschäftigten des Rundfunks. Auch bei der räumlichen Spezialisierung zeigt sich ein ähnliches Bild. Die Rundfunkwirtschaft hat neben Köln auch für Leipzig, Bonn, Hamburg und München besondere Bedeutung. Ein sehr ähnliches Bild ergibt sich für die Filmbranche. Hier ist der wichtigste Standort Berlin mit einem Anteil von 17 Prozent an der Beschäftigung in dieser Branche, darauf folgen Köln, München, Hamburg und Leipzig. Auch der Blick auf die räumliche Spezialisierung zeigt die herausragende Bedeutung dieser Standorte, in denen mehr als 40 Prozent der Beschäftigten tätig sind. Hier liegt der Anteil an allen Beschäftigten der Region zwischen 2,7 Prozent in Hamburg und 5,7 Prozent in Köln. Der Bundesdurchschnitt liegt bei etwa 1 Prozent. 2.1.3 Entwicklungen in ausgewählten Branchen Zu einigen Branchen der Medienwirtschaft liegen Daten von Verbänden oder Studien vor, die eine genauere Beschreibung der Entwicklung in den letzten Jahren zulassen. Dies sind die Werbebranche, die Rundfunkwirtschaft sowie die Film- und Fernsehproduktion. 2.1.3.1 Werbewirtschaft Die Nachfrage nach Werbung beeinflusst die Beschäftigung in dieser Branche unmittelbar. So ist es keine Überraschung, dass in den Jahren 1999 und 2000 besonders viele Beschäftigte in diesem Wirtschaftszweig tätig waren. Mittlerweile hat sich die konjunkturelle Entwicklung auf die Beschäftigung der Branche ausgewirkt, der Rückgang der Beschäftigung ist allerdings mittlerweile nicht mehr so stark, wie dies in den Jahren 2001 und 2002 der Fall war (Tab. 2.1.3.1). Ein Arbeitsfeld, das in den letzten Jahren stark gewachsen ist, in den Statistiken des Verbandes aber erst in jüngster Zeit aufgeführt wird, bildet das Telefonmarketing. Nach Angaben des ZAW gibt es in Call Centern etwa 170.000 entsprechend eingerichtete Arbeitsplätze, auf denen ca. 330.000 Mitarbeiter tätig sind. 289 Dabei noch nicht berücksichtigt ist der Umzug der Deutschen Welle von Köln in die benachbarte Stadt Bonn. 149 2. Medienübergreifende Aspekte Tabelle 2.1.3.1: Beschäftigte in der Werbebranche 1999-2007 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Kernbereiche des Werbegeschäfts Werbegestaltung Werbefachleute in Werbeagenturen, Grafik-Ateliers, Schauwerber, Werbefotografen, Film- und Lichtwerbung 130.000 130.000 135.000 134.325 132.310 131.648 132.759 133.900 134.570 Auftraggeber von Werbung Werbefachleute in Werbeabteilungen der Anbieter (Hersteller, Dienstleister, Handel) 37.000 37.000 38.000 37.810 37.243 37.057 37.229 37.615 37.803 Werbemittel-Verbreitung Werbefachleute bei Verlagen, Funkmedien, Plakatanschlagunternehmen 13.000 13.000 14.000 13.930 13.721 13.652 14.038 14.351 14.423 Zulieferbetriebe * Von Aufträgen der Werbewirtschaft abhängige Arbeitsplätze beispielsweise in der Papierwirtschaft und der Druckindustrie 183.000 180.000 174.000 173.130 170.533 169.680 167.599 167.599 165.923 Beschäftigte in der Werbebranche gesamt 363.000 360.000 361.000 359.195 353.807 352.037 351.625 353.465 352.719 Korrespondierende Bereiche * Hier nicht berücksichtigt sind die ca. 210.000 Telefonmarketing-Plätze in Call-Centern, die nach Schätzung des ZAW mit ca. 420.000 Mitarbeitern besetzt sind. Quelle: ZAW, für 2007: http://www.zaw.de/doc/Beschaeftigte_Werbewirtschaft.pdf Die Arbeitslosenquote bei Werbefachleuten ist im Vergleich zur Gesamtarbeitslosenquote gering (s. Tab. 2.1.3.2). Sie ist zwischen 1998 und 2003 deutlich angestiegen, inzwischen geht die Zahl der Arbeitslosen in der Branche wieder zurück. Tabelle 2.1.3.2: Arbeitslosenquote bei Werbefachleuten (jeweils Monat Dezember) 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Zahl der Arbeitslosen 4.401 4.687 4.809 6.990 9.024 9.449 8.892 9.014 7.775 7.682 Arbeitslosenquote 2,4 % 2,6 % 2,6 % 3,7 % 4,9 % 5,2 % 4,8 % 4,9 % 4,2 % 4,1 % Quelle: ZAW, für 2007: http://www.zaw.de/doc/Arbeitslosenquote_Werbung.pdf 2.1.3.2 Rundfunkwirtschaft In der Rundfunkwirtschaft sind die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten mit 29.000 festen Mitarbeitern gegenüber 17.000 bei den privaten Veranstaltern der wichtigste Beschäftigungsträger (vgl. die Angaben zu den Erwerbstätigen in Tab. 2.1.3.3). Die Entwicklung der Beschäftigtendaten im Rundfunkbereich seit Ende 1995 zeigt jedoch unterschiedliche Personalstrategien: Im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ist die Zahl der festen Mitarbeiter mit Vollzeitbeschäftigung rückläufig, die zunächst geringe Teilzeitbeschäftigung nimmt 150 2.1. Arbeitsmarkt deutlich zu. Demgegenüber ist beim privaten Rundfunk die Zahl der Erwerbstätigen von 1995 bis 2000 um 70 Prozent und von 2000 bis 2006 nochmals um 13 Prozent gestiegen. Beim privaten Rundfunk hatte die Teilzeitbeschäftigung von Anfang an eine höhere Bedeutung, sie ist bis 2002 stark angestiegen, seitdem geht die Zahl der Teilzeitbeschäftigten zugunsten der Vollzeitkräfte zurück. Insgesamt hat sich die Gesamtzahl der festen Mitarbeiter im Rundfunk seit 1995 um gut 17 Prozent auf 46.100 erhöht. Eine andere Entwicklung ist bei den sonstigen Mitarbeitern zu erkennen, bei denen es sich um Honorarkräfte (freie Mitarbeiter) und Praktikanten handelt. Vor allem die Zahl der Praktikanten ist seit 1995 bei den privaten Veranstaltern und seit 2000 auch bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten stark angewachsen; zum Jahresende 2006 waren insgesamt im Rundfunk 7.600 Praktikanten tätig. Die Zahl der Mitarbeiter mit regelmäßigen Honorartätigkeiten („feste Freie“) ist zwischen 1995 und 2000 deutlich angestiegen, seither jedoch besonders beim privaten Rundfunk wieder zurückgegangen. Die Zahl der sonstigen freien Mitarbeiter, die gelegentlich für verschiedene Auftraggeber tätig werden, hat sich beim privaten Rundfunk zwischen 1995 und 2006 auf ein Viertel reduziert. Diese Angaben sind allerdings nur begrenzt aussagekräftig, weil sie nichts darüber sagen, in welchem Umfang die freien Mitarbeiter jeweils tätig sind. 151 2. Medienübergreifende Aspekte Tabelle 2.1.3.3: Beschäftigte im Rundfunk 1995 bis 2006, jeweils am Jahresende 1995 2000 2002 2004 2006 1995-2000 2000-2006 Rundfunk insgesamt Anzahl Gesamtbeschäftigung 64.484 71.471 74.685 74.239 75.247 +10,8 +5,3 Erwerbstätige davon 39.262 44.507 46.089 46.004 46.405 +13,4 +4,3 34.854 36.211 35.392 35.018 37.036 +3,9 +2,3 Vollzeitbeschäftigte Veränderung in % Teilzeitbeschäftigte 3.087 6.049 8.348 8.421 6.714 +96,0 +11,0 Auszubildende 1.321 2.246 2.349 2.565 2.655 +70,0 +18,2 25222 26.964 28.596 28.235 28.842 +6,9 +7,0 4.322 7.602 +8,8 +61,8 11.158 15.469 15.938 14.393 14.714 +38,6 -4,9 -30,3 4,0 Sonstige Mitarbeiter davon Praktikanten feste freie Mitarbeiter sonstige freie Mitarbeiter 9.743 4.700 6.795 7.580 7.213 6.629 6.525 Anzahl Privater Rundfunk Gesamtbeschäftigung 5.078 Veränderung in % 16.557 22.652 23.307 21.932 23.336 +36,8 +3,0 8.984 15.252 16.441 16.589 17.262 +69,8 +13,2 Vollzeitbeschäftigte 7.274 11.068 10.655 11.062 13.310 +52,2 +20,3 Teilzeitbeschäftigte 1.157 2.998 4.652 4.434 2.758 +159,1 -8,0 553 1.185 1.134 1.092 1.194 +114,3 +0,8 7.573 7.400 6.866 5.343 6.074 -2,3 -17,9 753 1.119 1.057 1.207 1.629 +48,6 +45,6 feste freie Mitarbeiter 2.235 4.001 4.813 2.994 3.377 +79,0 -15,6 sonstige freie Mitarbeiter 4.585 2.280 996 1.142 1.068 -50,3 -53,2 Erwerbstätige davon Auszubildende Sonstige Mitarbeiter davon Praktikanten Anzahl Öffentlich-rechtlicher Rundfunk Veränderung in % Gesamtbeschäftigung 47.927 48.819 51.378 52.307 51.911 +1,9 +6,3 Erwerbstätige davon 30.278 29.255 29.648 29.415 29.143 -3,4 -0,4 27.580 25.143 24.737 23.956 23.726 -8,9 -5,6 Vollzeitbeschäftigte Teilzeitbeschäftigte Auszubildende Sonstige Mitarbeiter davon 1.930 3.051 3.696 3.986 3.956 +58,1 +29,7 768 1.061 1.215 1.473 1.461 +38,2 +37,7 17.649 19.564 21.730 22.892 22.768 +10,9 +16,4 Praktikanten 3.569 3.581 5.973 +0,3 +66,8 feste freie Mitarbeiter 8.923 11.468 11.125 11.399 11.337 +28,5 -1,1 sonstige freie Mitarbeiter 5.158 -12,5 +20,9 4.515 4.021 6.584 6.006 5.487 5.457 Quelle: Die Landesmedienanstalten 2006, S. 86; Seufert 2008; eigene Berechnungen. Aktuellere Daten waren bis zum Redaktionsschluss nicht verfügbar. 152 2.1. Arbeitsmarkt Betrachtet man die regionale Verteilung der Beschäftigung in der Rundfunkwirtschaft, so bestätigt sich hier das mit dieser Untersuchung gewonnene Bild der herausragenden Medienstandorte. Mehr als die Hälfte der im Rundfunk tätigen Beschäftigten arbeiten in den vier Städten Berlin, Hamburg, Köln und München (Tab. 2.1.3.4). Beim privaten Rundfunk ist vor allem das Fernsehen auf die großen Medienstädte konzentriert, während beim Hörfunk, der die Bundesländer und auch kleinere regionale und lokale Verbreitungsgebiete bedient, das Personal geografisch breiter verteilt ist. Tabelle 2.1.3.4: Beschäftigung im Rundfunk in den vier wichtigsten deutschen Medienstädten 2004 Deutschland Berlin 1) Hamburg Köln 2) München3) Summe der vier Städte Anzahl Beschäftigte im Rundfunk Gesamtbeschäftigung Ende 2004 74.239 6.692 5.333 15.624 11.020 38.669 Erwerbstätige Ende 2004 46.004 4.321 3.483 7.998 7.455 23.257 Öffentlich-rechtlicher Rundfunk 29.415 2.667 2.767 5.902 3.486 14.822 Privater Rundfunk davon 16.589 1.654 716 2.096 3.969 8.435 12.689 1.296 611 2.062 3.637 7.606 3.900 358 105 34 332 829 28.235 2.371 1.850 7.626 3.565 15.412 Fernsehen Hörfunk Sonstige Mitarbeiter Ende 2004 Anteil am Bundesgebiet in % Gesamtbeschäftigung Ende 2004 100 9,0 7,2 21,0 14,8 52,1 Erwerbstätige Ende 2004 100 9,4 7,6 17,4 16,2 50,6 Öffentlich-rechtlicher Rundfunk 100 9,1 9,4 20,1 11,9 50,4 Privater Rundfunk 100 10,0 4,3 12,6 23,9 50,8 Fernsehen 100 10,2 4,8 16,3 28,7 59,9 Hörfunk 100 9,2 2,7 0,9 8,5 21,3 100 8,4 6,6 27,0 12,6 54,6 davon Sonstige Mitarbeiter Ende 2004 1 ) Einschließlich Potsdam. 2) Einschließlich der Mitarbeiter der Deutschen Welle in Bonn. 3) Einschließlich Umland. Quelle: Die Landesmedienanstalten 2006, S. 105. Jüngere Daten sind nicht verfügbar, da die Nachfolgestudie keine Aufgliederung nach Medienstädten bietet. 2.1.3.3 Film- und Fernsehproduktion Die Zulieferung zu den Fernsehveranstaltern durch Film- und Fernsehproduktion wird in Deutschland von fast 700 Unternehmen betrieben. Es gibt jedoch eine hohe Konzentration: Die zehn größten Unternehmensgruppen haben 2006 zusammen ein Programmvolumen von 6.117 Stunden produziert und damit einen Marktanteil von 51,2 Prozent erreicht 290 . 290 Vgl. Formatt 2007, S. . 153 2. Medienübergreifende Aspekte Ähnlich wie beim Rundfunk zeigt sich bei den Unternehmen der Film- und Fernsehproduktion zudem eine starke regionale Konzentration. 361 der 453 Produktionsunternehmen hatten 1998 ihren Sitz in Bayern, Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen, im Jahr 2006 sind es 508 von 676 Unternehmen (vgl. Tab. 2.1.3.5). Im Jahre 2006 entfallen 83 Prozent des Produktionsvolumens auf diese vier Länder. Gemessen am hergestellten Programmvolumen sind Nordrhein-Westfalen mit 28 und Bayern mit 23 Prozent führend; es folgen Berlin mit 18 und Hamburg mit 13 Prozent. Hinsichtlich der produzierten Programmgenres hat NRW besondere Schwerpunkte in den Bereichen Entertainment und Fiction, Bayern in den Bereichen Information und Fiction, Berlin im Bereich Fiction und Hamburg im Bereich Entertainment (Tab. 2.1.3.6). Tabelle 2.1.3.5: Fernsehproduktionsfirmen und Produktionsvolumen 2006 nach Bundesländern Bundesländer Anzahl der Produktionsfirmen Produktionsvolumen in Minuten Durchschnittl. Prod.Volumen pro Firma Bayern 141 166.100 1.178 Berlin 153 131.500 860 70 91.600 1.308 Nordrhein-Westfalen 144 203.600 1.4.14 Zwischensumme 508 592.800 1.167 Sonstige Länder 168 124.800 743 Keine Angaben 2 145 k.A. 676 717.800 1.062 Hamburg Gesamt Quelle: FORMATT 2007. S. 32. Tabelle 2.1.3.6: Fernsehproduktionen 2006 nach Genre und Sitzland der Produzenten in Prozent Bundesländer Fiction Entertainment Information Sonstiges Gesamt Bayern 27,6 15,7 29,1 6,7 23,1 Berlin 26,3 12,0 12,7 47,7 18,3 7,1 17,7 13,2 10,7 12,8 31,2 43,3 15,0 14,9 28,4 Sonstige Länder 7,9 11,3 29,9 20,0 17,4 Keine Angaben 0,0 0,0 0,1 0,0 0,0 Gesamt 100 100 100 100 100 199.700 225.020 250.582 42.390 717.692 Hamburg Nordrhein-Westfalen Basis in Min. Quelle: FORMATT 2007, S. 105; eigene Berechnungen. Jüngere Daten sind zum Redaktionsschluss nicht verfügbar. 2.1.4 Kommunikatoren im Strukturwandel Der Einsatz des Computers hat seit den 80er-Jahren erheblichen Einfluss auf die Gestaltung der Arbeitswelt gehabt. Auch die Medienindustrie erlebt durch die Digitalisierung einen umfassenden Wandel traditioneller 154 2.1. Arbeitsmarkt Berufsbilder, das Verschwinden einiger Tätigkeiten und das Entstehen neuer Funktionen. In diesem Abschnitt sollen vor allem die Auswirkungen auf Berufsfelder, die mit der Online-Verbreitung von Inhalten zu tun haben, im Mittelpunkt stehen. In diesem Bereich zeigen sich die Dimensionen des Wandels besonders deutlich. Der Wandel der Medien, der durch neue Geschäftsmodelle, Mehrfachverwertung und die Veränderung der Zugangstechnologien stark geprägt ist, hat erhebliche Folgen auch für die im Mediensektor Beschäftigten. Engels kommt in einer Untersuchung zu den Tätigkeitsfeldern in Online-Medien zu einer differenzierten Typologie von Tätigkeitsfeldern, die von der traditionell geprägten redaktionellen Publizistik bis zur Websiteund Portalbetreuung reicht 291 . Insgesamt zeigt sich, dass sowohl die Übergänge zwischen den verschiedenen Tätigkeiten im Produktionsprozess als auch bei den jeweiligen beruflichen Rollen fließend sind, und dass die Einordnung von Tätigkeiten als redaktionelle Arbeit vor allem vor einem organisatorischen Hintergrund stattfindet. Diesen Befund bestätigt eine Untersuchung von Online-Journalisten in Deutschland. Hier zeigt sich, dass vor dem Hintergrund der bisher fehlenden erfolgreichen Erlösmodelle vor allem auf hohe organisatorische Effizienz in der Inhalteproduktion gesetzt wird. Online-Journalisten haben deshalb in geringerem Maße als ihre Kollegen in traditionellen Medien die Chance, neue Themen in die Diskussion zu bringen 292 . In einer Reihe von Untersuchungen wird außerdem festgestellt, dass neben den traditionellen Journalismus neue Anbieter getreten sind, die allerdings nur in geringem Maß Konkurrenz darstellen, da Journalismus mit Informationsqualität verbunden ist 293 . 2.1.5 Aus- und Weiterbildung In Zeiten des Multimediabooms waren viele Hoffnungen mit der Medienbranche als Bestandteil der zukünftigen Multimediawelt verbunden worden. Es wurden neue Ausbildungsberufe geschaffen, und bei Schulabgängern herrschte großes Interesse an diesen Bereichen. Leider erwiesen sich die Hoffnungen als übertrieben, die Dynamik der Entwicklung machte sich am Arbeitsmarkt nicht in der erwarteten Größenordnung positiv bemerkbar. Allerdings sorgt der Strukturwandel in vielen Bereichen auch für ständig wechselnde Qualifikationsanforderungen, die einerseits durch eine stärkere Spezialisierung der betreffenden Mitarbeiter ausgefüllt werden, andererseits entwickelt sich die Praxis einer umfassenden Basisausbildung, die kontinuierlich durch das Erlernen neuer Fertigkeiten und Kenntnisse nach dem Muster des lebenslangen Lernens erweitert und aktualisiert wird. 294 In diesem Zusammenhang spielen auch die medien- und kommunikationswissenschaftlichen Studiengänge an deutschen Hochschulen eine wichtige Rolle. Im Wintersemester 2006/2007 haben mehr als 4.000 Studierende ein entsprechendes Fachstudium begonnen; das ist gegenüber 1995 ein Anstieg um 66 Prozent (Tab. 2.1.5.1). In den Studiengängen Journalistik und Publizistik ist gegenüber dem Jahr 2000 ein Rückgang der Studienanfänger zu verzeichnen, in einem weiteren Bereich, der in der Hochschulstatistik als „Medienkunde, Kommunikations-/Informationswissenschaft“ bezeichnet wird 295 , hat sich die Zahl der Erstsemester seit 1995 fast verdoppelt von 1.820 auf 3.413. Die Studierenden dieser Fächer sind mehrheitlich und zunehmend Frauen. Den höchsten Männeranteil hat mit 41 Prozent das Fach Journalistik. Neben den Hochschulen gibt es noch eine Vielzahl weiterer öffentlicher und privatwirtschaftlicher Einrichtungen, die sich im Feld der Aus- und Weiterbildung für Kommunikationsberufe engagieren. Hierzu zäh- 291 Engels 2003, S. 240 f. 292 Löffelholz et al. 2003, S. 485. 293 Neuberger 2003, S. 137. 294 Vgl. Michel 2002. 295 Nicht zu verwechseln mit dem Fach Informatik mit seiner deutlich höheren Zahl von Studierenden. 155 2. Medienübergreifende Aspekte len neben den privaten Journalistenschulen auch einige spezialisierte Akademien sowie Weiterbildungsangebote an Hochschulen. Tabelle 2.1.5.1: Studierende im ersten Fachsemester medienbezogener Studiengänge* Journalistik Publizistik Medienkunde/ Kommunikations-/ Informationswissenschaften 406 192 1.820 2418 männlich 44,3 % 43,2 % 46,3 % 45,7 % weiblich 55,7 % 56,8 % 53,7 % 54,3 % 621 471 2.382 3.474 männlich 39,5 % 34,8 % 34,4 % 38,1 % weiblich 60,5 % 65,2 % 61,6 % 61,9 % 465 330 3.385 4.180 davon männlich 41,5 % 32,1 % 35,0 % 35,5 % weiblich 58,5 % 67,9 % 65,0 % 64,5 % 416 202 3.413 4.031 davon männlich 41,3 % 26,2 % 34,8 % 35,0 % weiblich 58,7 % 73,8 % 65,2 % 65,0 % Studienanfänger im SS 1995 und WS 1995/96 davon Studienanfänger im SS 2000 und WS 2000/2001 davon Studienanfänger im WS 2005/2006 Studienanfänger im WS 2006/2007 Summe * Alle Hochschulen; 1995 und 2000 Sommer- und Wintersemester, ab 2005 nur Wintersemester. Quelle: Statistisches Bundesamt, Fachserie 11, Reihe 4.1. 2.1.6 Recht und Regulierung Einen spezifischen Arbeitsrechtsrahmen für Medienschaffende gibt es nicht, dennoch gab es im Berichtszeitraum Gesetzesänderungen und -novellen, die sich auch auf den Medienbereich auswirkten. Hierzu zählen insbesondere die Einführung von Kriterien zur Ermittlung von Scheinselbstständigkeit in das Sozialgesetzbuch und die Novelle des Künstlersozialversicherungsgesetzes. 2.1.6.1 Kriterien für Scheinselbstständigkeit Mit dem am 1. Januar 1999 in Kraft getretenen „Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte" 296 hat der Gesetzgeber Kriterien aufgestellt, bei deren (teilweisem) Vorliegen ein selbstständig arbeitender Gewerbetreibender als Scheinselbstständiger eingestuft und damit einem Arbeitnehmer sozialversicherungsrechtlich ähnlich gestellt wird. Für den Arbeitgeber bedeutet dies parallel dazu, dass er alle relevanten Sozialabgaben wie für einen Arbeitnehmer zu entrichten hat. Aufgrund dieser 296 156 Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998 (BGBl. I S. 2032). 2.1. Arbeitsmarkt Vorschrift reduzierten insbesondere die privaten Medienunternehmen die Anzahl der freien Mitarbeiter, um der Gefahr einer Kostenexplosion zu entgehen. Im Rahmen nachfolgender Reformen der Vorschrift wurde später auf die konkrete Auflistung von Kriterien zu Gunsten einer generalklauselartigen Formulierung verzichtet. § 7 SGB IV sieht jetzt vor, dass unter sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung die nichtselbstständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, zu verstehen ist. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung als Arbeitnehmer sind dabei Weisungsgebundenheit und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers. Inwiefern sich diese Änderung in der Praxis bemerkbar macht, ist noch unklar. 2.1.6.2 Novelle des Künstlersozialversicherungsgesetzes Verlage, Rundfunkanstalten, Theater, Galerien, Werbeagenturen und alle übrigen Einrichtungen, die Werke selbstständiger Künstler und Publizisten verwerten, sind verpflichtet, einen bestimmten Prozentsatz ihrer Einkünfte an die Künstlersozialversicherung abzuführen. Die sog. Künstlersozialabgabe trägt zu der sozialen Absicherung freischaffender Autoren und Künstler bei. Durch die zweite Novelle des Künstlersozialversicherungsgesetzes (KSVG) 297 im Juli 2001 wurden freiberuflich arbeitende Künstlerinnen und Künstler sowie Publizistinnen und Publizisten sozial besser abgesichert. Als Reaktion auf Kritik in Bezug auf Lücken der sozialen Absicherung für ältere selbstständige Künstler gab die Novelle diesen Personen die Möglichkeit, sich in der Krankenkasse für Rentner zu versichern, wenn sie bereits vor 1983 ihre Tätigkeit aufgenommen haben. Vor dem Hintergrund der bei Künstlern und Publizisten häufigen Einkommensschwankungen wurden die Voraussetzungen für den Versicherungsschutz flexibler gestaltet. Eine dritte Novellierung des KSVG erfolgte im Sommer 2007. 298 Mit dem In-Kraft-Treten des Gesetzes am 15. Juni 2007 ist für die Überprüfung von abgabepflichtigen Arbeitgebern die Deutsche Rentenversicherung Bund zuständig. Vormals hatte diese Aufgabe die Künstlersozialkasse selbst übernommen. Der Gesetzgeber versprach sich mit dieser Reform, durch die nunmehr über 3.000 Prüfer für die Überprüfung der Abgaben nach dem KSVG zuständig sind, eine schnellere und nachhaltige Überprüfung von abgabepflichtigen Unternehmen – und damit nicht zuletzt eine Aufbesserung der Finanzen der Künstlersozialversicherung. Für die Überprüfung von Unternehmen ohne Beschäftigte im Rahmen des KSVG bleibt nach wie vor die Künstlersozialkasse verantwortlich. Auch wird die Überprüfungsquote im Hinblick auf die Versicherten erhöht und etwa das Vorliegen der Voraussetzungen einer Mitgliedschaft in der Künstlersozialkasse vermehrt überprüft. Zudem wurde der Bußgeldrahmen auf 50.000 EUR angehoben. 297 Zweites Gesetz zur Änderung des Künstlersozialversicherungsgesetzes und anderer Gesetze vom 13.06.2001 (BGBl. I S. 1027). 298 Drittes Gesetz zur Änderung des Künstlersozialversicherungsgesetzes und anderer Gesetze vom 12.06.2007 (BGBl. I S. 1034). 157 2. Medienübergreifende Aspekte 2.1.7 Quellenangaben zu Kapitel 2.1. Booz, Allen & Hamilton (1999): Fortschreibung der Ermittlung und Prognose von Multimediamärkten. Gutachten im Auftrag des BMWi. Die Landesmedienanstalten (Hrsg.) (2006): Beschäftigte und wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 2004. Berlin. Engels, Kerstin (2003): Kommunikationsarbeit in Online-Medien. Wiesbaden. FORMATT-Institut (2007): Aufwind in der Fernsehproduktion. Fernseh- und Filmproduktion in Deutschland 2005 und 2006. Online abrufbar unter www.mediendatenbank.nrw.de/mediadatabase/formattstudie_0506.pdf. Löffelholz, Martin/Quandt, Thorsten/Hanitzsch, Thomas/Altmeppen, Klaus-Dieter (2003): Onlinejournalisten in Deutschland: Zentrale Befunde der ersten Repräsentativbefragung deutscher Online-Journalisten. In: Media Perspektiven 10/2003, S. 477 ff. Michel, Lutz P. (2002): Arbeitsmarkt für „flexible Spezialisten“. Berufsbilder und Qualifikationsanforderungen in der Konvergenzbranche Multimedia. In: Medien und Kommunikationswissenschaft 50 (2002), S. 26 ff. Neuberger, Christoph (2003): Onlinejournalismus: Veränderungen – Glaubwürdigkeit – Technisierung. In: Media Perspektiven 3/2003, S.131 ff. Pätzold, Ulrich/Horst Röper (2006): Fernsehproduktionsmarkt Deutschland 2003 und 2004. In: Media Perspektiven 1/2006, S. 32 ff. Schnorr-Bäcker, Susanne (2004): Moderne Informations- und Kommunikationstechnologien in Deutschland 1995-2003. Teil 1: Informations- und Kommunikationstechnologien in der Wirtschaft. In: WiSta 7/2004, S. 736 ff. Schönert, Matthias (2004): Zur Lage der Medienwirtschaft in den deutschen Großstädten 2003. BAW-Monatsbericht 5/2004. Bremen. Schönert, Matthias/Willms, Werner (2001): Medienwirtschaft in regionalen Entwicklungsstrategien. In: Raumforschung und Raumordnung 5-6/2001, S. 412 ff. Seufert, Wolfgang (2008):Wirtschaftliche Lage des Rundfunks 2006. Im Erscheinen. Statistisches Bundesamt (2004): Leben und Arbeiten in Deutschland. Ergebnisse des Mikrozensus 2003. Wiesbaden; abrufbar unter http://www.destatis.de. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW) (1998): Werbung in Deutschland 1998. Bonn. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW) (2001): Werbung in Deutschland 2001. Bonn. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW) (2006): Werbung in Deutschland 2006. Berlin. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW) (2007): Werbung in Deutschland 2007. Berlin. 158 2.2 MEDIENRELEVANTE ASPEKTE DER TELEKOMMUNIKATION 2.2.1 WIRTSCHAFT UND ORGANISATION ............................................................................... 160 2.2.1.1 2.2.1.1.1 2.2.1.1.2 2.2.1.2 2.2.1.3 2.2.1.4 2.2.2 RECHT UND REGULIERUNG.............................................................................................. 167 2.2.2.1 2.2.2.2 2.2.2.2.1 2.2.2.2.2 2.2.2.2.3 2.2.2.3 2.2.2.3.1 2.2.2.3.2 2.2.2.3.3 2.2.3 DIGITALISIERUNG DER RUNDFUNKÜBERTRAGUNG .............................................................. 160 Digitalisierung der Fernsehübertragung ............................................................................ 160 Digitalisierung der Hörfunkübertragung............................................................................ 162 DER DEUTSCHE FERNSEHKABEL-MARKT ............................................................................. 162 BREITBAND-INTERNETANSCHLÜSSE .................................................................................... 164 MOBILKOMMUNIKATION ..................................................................................................... 164 VERHÄLTNIS VON TELEKOMMUNIKATIONS- UND RUNDFUNKRECHT ................................... 167 RECHTSRAHMEN .................................................................................................................. 167 Europarechtliche Einflüsse ................................................................................................. 168 Anwendungsbereich ............................................................................................................ 169 Regulierungskonzept ........................................................................................................... 169 NOVELLIERUNGEN UND REFORMEN IM BERICHTSZEITRAUM ............................................... 169 Telekommunikationsgesetz.................................................................................................. 169 Gesetz über Funkanlagen und TK-Endeinrichtungen ......................................................... 172 Rundfunkänderungsstaatsverträge...................................................................................... 172 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 2.2.............................................................................. 173 Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tabelle 2.2.1.1 Entwicklung der Empfangsebenen (in Prozent), TV-Haushalte 1992-2008, BRD gesamt Tabelle 2.2.1.2: Entwicklung der deutschen Digital-TV-Haushalte (2001-2007) Tabelle 2.2.1.3: Stand der Digitalisierung in den TV-Haushalten 2005-2007, in Prozent aller Haushalte Tabelle 2.2.1.4: Untergliederung der Netzebenen im Breitbandkabelnetz 159 2. Medienübergreifende Aspekte Wirtschaft und Organisation 2.2.1 Ein Kennzeichen des Strukturwandels der Medien ist die technische Konvergenzentwicklung, die auch die Verwischung der Grenzen zwischen den Telekommunikationsmärkten und den klassischen Medienmärkten bedeutet. Die aktuelle Entwicklung der Telekommunikation hat auf unterschiedlichen Ebenen Auswirkungen auf das Mediensystem. Gemeinsames Kennzeichen des Wandlungsprozesses ist die Steigerung der Kapazitäten der Übertragungsinfrastruktur durch den Einsatz digitaler Technik bei der Verbreitung von Rundfunk, in den klassischen Telefonnetzen und bei den Mobilfunknetzen. 2.2.1.1 Digitalisierung der Rundfunkübertragung Ein zentraler Aspekt der Netzentwicklung im Hinblick auf die Übertragung von Medieninhalten ist der Übergang von der analogen zur digitalen Rundfunkübertragung auf allen Verbreitungswegen. Als Grundlage für den Übergang zur digitalen Rundfunkübertragung gibt es in vielen Staaten so genannte Fahrpläne, die als Vorgabe für den zeitlichen Ablauf die Abstimmung zwischen den beteiligten Akteuren erleichtern und die Voraussetzungen für die Planungssicherheit bei Anbietern und Nachfragern schaffen sollen. In Europa wurde bereits mit dem Aktionsplan der Europäischen Union „eEurope 2005: Eine Informationsgesellschaft für alle“ im Jahr 2002 festgelegt, dass die Mitgliedstaaten bis Ende 2003 ihre Pläne für die Gestaltung des Übergangs veröffentlichen sollten. 299 2.2.1.1.1 Digitalisierung der Fernsehübertragung Die Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM), die seit 2005 jährlich einen Digitalisierungsbericht herausgibt, konstatiert eine Krise des digitalen Fernsehens in Deutschland, die u. a. in den hohen Kosten begründet ist, die den Zuschauern durch eine Grundverschlüsselung abverlangt werden können. 300 Die am weitesten verbreitete Distributionsinfrastruktur für Fernsehprogramme ist das Kabel, gefolgt von der Satellitenübertragung und der terrestrischen Übertragung. Ausgelöst durch die deutlich höhere Programmauswahl bei Kabel und Satellit nimmt die Zahl der Haushalte, die Fernsehen ausschließlich terrestrisch empfangen, stetig ab; auch die Digitalisierung des terrestrischen Fernsehens hat daran noch nichts geändert. Mitte der 1990er-Jahre hat die Dichte der Kabelanschlüsse ihren Höhepunkt erreicht, seither verliert auch das Kabel zugunsten des Satellitenempfangs, für den keine gesonderten Entgelte fällig werden (s. Tab. 2.2.1.1). Zudem bietet der Satellitenempfang heute die größere Programmauswahl: Nach den Ergebnissen der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung können Satellitenhaushalte durchschnittlich 72 Fernsehprogramme empfangen, Kabelhaushalte 45 und Haushalte mit rein terrestrischem Empfang dank der Digitalisierung 24 Programme. 301 Tabelle 2.2.1.1 Entwicklung der Empfangsebenen (in Prozent), TV-Haushalte 1992-2008, BRD gesamt 1992 1995 2000 2005 2006 2007 2008 Terrestrik 59,3 23,7 11,3 5,2 4,6 4,1 4,0 Kabel 34,0 58,4 56,2 55,9 55,5 54,0 53,3 Satellit 6,7 17,9 32,4 38,9 39,9 41,9 42,7 Quelle: http://www.AGF.de/fsforschung/methoden/empfangsebenen, zuletzt aufgerufen am 30. Januar 2008. 299 Kommission der Europäischen Gemeinschaften, Mitteilung KOM (2002) 263 endg., S. 22 (abrufbar unter http://ec.europa.eu/information_society/eeurope/2002/news_library/documents/eeurope2005/ eeurope2005_en.pdf [zuletzt aufgerufen am 18.01.2008]) 300 ALM 2007a, S. 14 f. 301 Vgl. http://www.mediendaten.de/relaunch/fernsehen/empfangspotentiale_anzahl.php. 160 2.2. Medienrelevante Aspekte der Telekommunikation Die Hochrechnung der AGF/GfK-Fernsehforschung weist für Januar 2008 bereits 30 Prozent Haushalte mit angeschlossenem Digital-Receiver aus. Bei einer Gesamtzahl von 35 Mio. Fernsehhaushalten wird das digitale Fernsehen in Deutschland damit gegenwärtig von mehr als 10 Mio. Fernsehhaushalten genutzt, darunter allein 4 Mio. Pay-TV-Abonnenten. Aber auch die bezahlpflichtigen fremdsprachigen Programme, digitale Zusatzprogramme von ARD und ZDF sowie die Digitalisierung der terrestrischen Verbreitung geben Anlass für die Nutzung digitalen Fernsehens. Marktforscher gehen inzwischen davon aus, dass 2012 bereits vier Fünftel der deutschen Fernsehhaushalte digitales Fernsehen nutzen werden. 302 Tabelle 2.2.1.2: Entwicklung der deutschen Digital-TV-Haushalte (2001-2007) Gesamt TV-HH in Mio. Anzahl HH mit angeschlossenem Digital-Receiver in Mio. Anteil Digital-HH an TV-HH gesamt in Prozent 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 34,10 34,37 34,54 34,83 34,99 35,02 34,99 2,20 2,53 3,42 5,65 7,21 8,91 10,41 6,4 7,4 9,9 16,2 20,6 25,4 29,7 Quelle: AGF/GFK Fernsehforschung; pc/tv Basis Fernsehpanel, jeweils Stichtag 1.1., abrufbar unter http://www.agf.de/daten/zuschauermarkt/digitaltv, letzter Zugriff am 30. Januar 2008. Tabelle 2.2.1.3: Stand der Digitalisierung in den TV-Haushalten 2005-2007, in Prozent aller Haushalte 2005 2006 2007 Terrestrik 4,4 5,3 9,9 Kabel 5,0 7,2 8,7 Satellit 16,7 19,5 24,4 Gesamt 26,1 32,0 43,0 Quelle: ALM 2007a, S. 53. Neben der Satellitenverbreitung erfolgt seit dem Jahr 2003 auch die Umstellung der terrestrischen Fernsehübertragung auf die digitale Übertragungstechnik (DVB-T). Das digitale terrestrische Fernsehen wird nach und nach regional begrenzt eingeführt. Dabei kommt es zu einer allmählichen Abschaltung der analogen Fernsehverbreitung mit der Folge, dass die Haushalte ein zusätzliches Empfangsgerät benötigen, das die digitalen Signale für die traditionellen Fernseher decodiert. Ende 2008 sollen die Verbreitungsgebiete von DVB-T mindestens 90 Prozent der Bevölkerung umfassen; einen analogen terrestrischen Sendebetrieb soll es ab 2009 nicht mehr geben. In ausgewählten Ballungsräumen beteiligen sich auch kommerzielle Fernsehveranstalter, 303 ansonsten bieten allein die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihre Programme über DVB-T an. Bei Kabelhaushalten hat insbesondere das Pay-TV-Angebot von Premiere die Anschaffung digitaler Receiver stimuliert. Auch beim Satellitenfernsehen ist der Einsatz digitaler Receiver stark angestiegen. Grund dafür ist auch die Tatsache, dass im Handel inzwischen kaum noch analoge Satelliten-Receiver angeboten werden. Bei Ersatz- und Neubeschaffungen erhöht sich damit stetig die Gesamtzahl der digitalen Satellitenhaushalte. Seit 2007 betreibt Premiere die Satellitenplattform Premiere Star, mit der Premiere-Abonnenten 17 302 Goldhammer/Schmid/Stockbrügger 2007, S. 3. 303 Vgl. http://www.ueberallfernsehen.de. 161 2. Medienübergreifende Aspekte zusätzliche Programme anderer Veranstalter als Paket beziehen können. Das eher langsame Digitalisierungstempo wird auch auf die Besonderheiten des deutschen Kabelmarktes zurück geführt. 2.2.1.1.2 Digitalisierung der Hörfunkübertragung Die Digitalisierung des Hörfunks wurde in Deutschland schon früh angestoßen. Auf der Funkausstellung 1989 wurde das Digitale Satellitenradio eröffnet, das 16 Hörfunkprogramme noch ohne Datenkommpression übertrug. 1999 wurde es eingestellt. Gegenwärtig wird Digitalradio über Astra-Satelliten auf zwei Arten übertragen. Zum einen als so genanntes ADR Astra Digital Radio auf den Tonunterträgern der analogen Fernsehprogramme, solange diese Fernsehübertragung noch angeboten wird, zum anderen nach dem Standard DVB-S der digitalen Fernsehübertragung über Satellit. Anders als beim Fernsehen erfolgt der Hörfunkempfang nach wie vor überwiegend terrestrisch mit analogen Empfängern. Die digitale Hörfunkübertragung nach dem DAB-Standard wurde seit 1995 in Pilotprojekten begonnen, und inzwischen leben fast 80 Prozent der Bevölkerung in DAB-Sendegebieten. Digital Multimedia Broadcasting (DMB), eine Erweiterung des DAB-Standards, die u. a. in Südkorea im Einsatz ist, wird in Deutschland in Pilotprojekten erprobt. Die Nutzung von DAB und der Absatz von DAB-Empfängern ist nach wie vor gering. Eine Abschaltung der analogen Hörfunkübertragung ist nicht absehbar. Vor diesem Hintergrund hat sich die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten in ihrer jüngsten Stellungnahme zu den Rundfunkgebühren dezidiert gegen die weitere Bereitstellung von Sondermitteln für die DAB-Ausstrahlung ausgesprochen 304 . Die Gesamtkonferenz der Landesmedienanstalten hat sich im November 2007 dafür ausgesprochen, in einer konzertierten Aktion zum Jahresanfang 2010 einen neuen Start des digitalen Hörfunks zu unternehmen. 305 Die Digitalisierung des Hörfunks kommt grundsätzlich auch für die Frequenzbänder Langwelle, Mittelwelle und Kurzwelle in Betracht, die für die Versorgung über größere Entfernungen genutzt werden können. Dafür wurde der Standard DRM (Digital Radio Mondiale) entwickelt, der in Deutschland noch erprobt wird. 2.2.1.2 Der deutsche Fernsehkabel-Markt Mit ca. 19 Mio. versorgten Haushalten ist der deutsche Fernsehkabel -Markt der größte in Europa. Für inländische und ausländische Investoren ist er u. a. deshalb attraktiv, weil der Umsatz je angeschlossenem Haushalt im internationalen Vergleich bislang niedrig ist. Auf der Erlösseite bestehen also prinzipiell noch Entwicklungspotenziale. 306 Aus diesem Grund bemühten sich in den Jahren 2001 und 2002 ausländische Investoren darum, die von der Telekom im Rahmen der Deregulierung des Telekommunikationsmarktes angebotenen Kabelnetze, die in regionalen Organisationen zusammengefasst waren, zu erwerben. In einem Fall wurde dabei dem Investor Liberty Media eine Übernahme durch das Bundeskartellamt untersagt, da das Zustandekommen einer marktbeherrschenden Stellung im Kabelfernsehmarkt befürchtet wurde. Andere ausländische Investoren scheiterten wirtschaftlich an den mit der Aufrüstung der Kabelnetze der dritten Netzebene verbundenen Kosten. Die Gründe liegen möglicherweise auch in der besonderen Struktur der deutschen Kabelnetze, die es so in keinem anderen Land gibt. Diese Besonderheiten erschweren eine einheitliche Digitalisierungsstrategie, eine rasche Durchsetzung des in Deutschland bislang kaum praktizierten Vermarktungsmodells und damit eine schnelle Realisierung neuer Umsätze mit neuen TV-Angeboten und neuen Diensten. Das deutsche Kabelnetz besteht aus vier verschiedenen Netzebenen, wobei bei den Netzebenen 1 und 2 die Verbreitung der Signale in Netzen der Telekom bzw. der Rundfunkveranstalter erfolgt. Die 3. Netzebene 304 KEF 2007, S. 113 ff. 305 S. ALM 2007b. 306 S. etwa Gertis 2003. 162 2.2. Medienrelevante Aspekte der Telekommunikation (NE-3) umfasst die Zuführung der TV-Signale über öffentlichen Grund bis zum Übergabepunkt in den Gebäuden, die Netzebene 4 (NE-4) besteht aus jenem Streckenabschnitt, der vom Übergabepunkt in die Wohnsiedlungen bzw. direkt in die Wohnungen hineinreicht. Die Hausnetze werden in der Regel von kleinen und mittelständischen Kabelfirmen oder von der Wohnungswirtschaft selbst betrieben. Für die Zuführung bis zum Übergabepunkt ist dagegen meist einer der drei großen NE-3-Betreiber Kabel Deutschland, Unitymedia (NRW, Hessen) und Kabel BW (Baden-Württemberg) zuständig. Ein Versuch des größten NE-3-Betreibers Kabel Deutschland, die Mitbewerber auf dieser Netzebene zu übernehmen, wurde beendet, als das Bundeskartellamt signalisierte, dass es einen solchen Zusammenschluss nicht genehmigen würde. Tabelle 2.2.1.4: Untergliederung der Netzebenen im Breitbandkabelnetz Netzebene 1 Fernseh- und Hörfunkstudios Netzebene 2 a) Verteilwege über Rundfunksender, Satelliten, Richtfunk b) Rundfunkempfangsstelle (Bündelung der Programme) Netzebene 3 Kabelverteilnetz zu den privaten Haushalten (bis zur Grundstücksgrenze) Netzebene 4 private Hausverteilanlagen Quelle: ZDF 2001, S. 9. Die Entstehung der im internationalen Vergleich ungewöhnlichen deutschen Kabellandschaft hat vor allem historische Gründe: Durch die frühere Monopolstruktur der Telekom wurde die Aufteilung der ersten drei Netzebenen vor allem durch die technische Struktur der Netze bestimmt. Die vierte Netzebene war der Bestandteil des Netzes, der nicht mehr über öffentlichen Grund führte und auf diese Weise der Kontrolle der Telekom entzogen war. Die Konsequenzen, die sich aus dieser Netzebenentrennung ergeben, sind ein zersplitterter Anbietermarkt und komplexe Wettbewerbs- und Kooperationsstrukturen. Aufgrund der Netzebenentrennung hat sich in Deutschland ein zersplitterter Anbietermarkt entwickelt, in dem mehrere Tausend Unternehmen, vor allem NE-4-Betreiber, aktiv sind. Obwohl bei weitem nicht alle NE4-Netzbetreiber als aktive Marktakteure betrachtet werden können, stellen sie insgesamt gesehen eine Marktmacht dar, weil sie über die Endkundenbeziehungen und den Zugang zu den Wohnungen verfügen. Durch Aufkäufe, Zusammenschlüsse und Erschließungen von Neubaugebieten haben sich eine Reihe größerer NE-4Betreiber (TeleColumbus, PrimaCom, EWT, Bosch usw.) gebildet, die streng genommen nicht mehr als NE4-Betreiber bezeichnet werden dürften, weil diese in einigen Netzclustern eigene Kopfstationen aufgebaut haben und dort auch als NE-3-Betreiber aktiv sind. Generell lassen sich in Deutschland auf Grund der Netzebenentrennung, der unterschiedlichen Größe der Unternehmen und der historisch gewachsenen Strukturen vier Typen von Netzbetreibern unterscheiden: − Typ 1: Ehemalige Telekom-Regionalgesellschaften (Kabel Deutschland, Unitymedia, Kabel BW): NE-3-Betreiber, die z. T. auch über eigene NE-4-Netze verfügen. − Typ 2: Große überregionale NE-3-/NE-4-Betreiber (TeleColumbus, PrimaCom, EWT, Bosch usw.): NE-4-Betreiber, die z. T. auch über eigene NE-3-Zuführungen verfügen. − Typ 3: Kleine und mittelständische Kabelnetzbetreiber inkl. City Carrier (z. B. Hansenet, SMATcom, Marienfeld Multimedia, KMS München, LKG Lauchhammer, NetCologne, Magdeburg CityCom): NE-4-Betreiber, die z. T. auch über eigene NE-3-Zuführungen verfügen. − Typ 4: Wohnungswirtschaft als NE-4-Betreiber: NE-4-Betreiber, die nur zu einem geringen Teil auch über eigene NE-3-Zuführungen verfügen. 163 2. Medienübergreifende Aspekte Da die kostenpflichtige Bereitstellung von Fernsehprogrammen nicht mehr ausreicht, um die Kunden an sich zu binden, sehen sich die Kabelnetzbetreiber veranlasst, ihre Netze auszubauen, um über die zunächst reinen Verteilnetze nun auch Telefonie und Internetzugang anzubieten. Seit einigen Jahren werden solche kombinierten Angebote unter der Bezeichnung “triple play“ vermarktet; in jüngster Zeit wird unter dem Begriff „quadruple play“ auch die Einbeziehung von Mobiltelefon(en) angeboten. 2.2.1.3 Breitband-Internetanschlüsse Breitbandige Internetanschlüsse mit Übertragungsraten über 128 KBit/s werden in Deutschland heute über digitale Telefonfestnetzverbindungen (Digital Subscriber Line – DSL), Kabelfernsehanschlüsse (Kabelmodems) und Satellit (hybride Verbindungen oder bidirektionale VSAT-Verbindungen [Very Small Aperture Terminal]) sowie zu einem sehr kleinen Teil über Stromkabel (Powerline) angeboten. Nach den Zahlen der Bundesnetzagentur waren im September 2007 insgesamt 18,6 Mio. breitbandige Internetanschlüsse in Betrieb. 307 Davon entfielen 8,5 Mio. auf die T-DSL-Anschlüsse der Deutschen Telekom, weitere 3,6 Mio. auf Wiederverkäufer von Anschlüssen der Telekom und 6,0 Mio. auf DSL-Anschlüsse der Wettbewerber im Festnetz. Hinzu kommen fast 1 Mio. Internetzugänge über modernisierte Fernsehkabelnetze, 37.000 Internetzugänge über Satellit und ca. 9.500 Powerline-Zugänge über das Stromkabel. Bezogen auf die Gesamtzahl der insgesamt 39,8 Mio. Haushalte in Deutschland waren es fast 47 Prozent, die im Herbst 2007 über einen Breitband-Anschluss verfügen konnten. Für die Verbreitung von Fernsehdiensten (IPTV) über die Telefonleitung ist eine hohe Übertragungsgeschwindigkeit erforderlich. Verschiedene Anbieter setzten dafür die ADSL2+-Anschlusstechnik ein, die Anschlussbandbreiten bis 24 MBit/s erlaubt. Die Deutsche Telekom ist seit 2006 dabei, insbesondere in Großstädten Glasfasertrassen auszubauen, die mit einer neuen Anschlusstechnik für hohe Geschwindigkeiten (VDSL) Anschlüsse mit Bandbreiten bis zu 50 MBit/s bieten – ausreichend auch für hoch auflösendes Fernsehen (HDTV). 308 Neben der Deutschen Telekom bieten u. a. Hansenet und Arcor digitales Fernsehen über das Telefonnetz, einschließlich Pay TV, Video on Demand, zeitversetzten Fernsehens und eines Archivs von Fernsehsendungen. Nach dem jüngsten Bericht der EU-Kommission über den Stand des europäischen Binnenmarkts der elektronischen Kommunikation hat Deutschland im Januar 2008 einen Breitband-Versorgungsgrad von 23,8 Prozent erreicht. 309 Sie liegt damit in der EU an achter Stelle, hinter den skandinavischen EU-Mitgliedern, den Benelux-Ländern und Großbritannien. Der Bericht weist an gleicher Stelle darauf hin, dass der Abstand bei der Verfügbarkeit von DSL- und Kabelanschlüssen zwischen ländlichen Gebieten und dem Landesdurchschnitt in drei Mitgliedsländern besonders groß ist: in der Slowakei, in Lettland und in Deutschland. 2.2.1.4 Mobilkommunikation Seit 2006 beträgt die Penetration mit Mobiltelefonanschlüssen mehr als 100 Prozent, das heißt rechnerisch kommt auf jeden Einwohner mehr als ein Mobilfunkvertrag. 310 Der Ausbau der Netze für Mobilkommunikation sowie der technische Fortschritt bei den Mobiltelefonen, insbesondere bei der Darstellung audiovisueller Daten sowie durchsatzstärkeren Datenanbindungen, eröffnen weitere Verbreitungsmöglichkeiten für digitalisierte Inhalte, die ortsunabhängig genutzt werden können. Waren es zunächst vor allem Klingeltöne und Logos für den Handybildschirm, sind in den letzten Jahren auch lokale und regionale Informationsdienste sowie 307 Vgl. Bundesnetzagentur 2007, S. 13. 308 Vgl. Bundesnetzagentur 2007, S. 42. 309 KOM (2008) 158, S. 9. 310 Vgl. Bundesnetzagentur 2007, S. 24. 164 2.2. Medienrelevante Aspekte der Telekommunikation Unterhaltungsdienste entwickelt worden, deren Nutzung über die Telefonrechnung abgerechnet wird. Es ist zu erwarten, dass alle elektronischen Medienangebote (insbesondere Radio und TV, aber auch das Internet) zunehmend mobil genutzt werden und das Handy als „mobiles Integrationsmedium“ 311 immer wichtiger wird. Der UMTS-Standard, der die Übertragungsbandbreite deutlich steigerte und deshalb vor allem für multimediale Anwendungen genutzt werden sollte, hat sich zunächst nur langsam verbreitet. Inzwischen scheint der Durchbruch gelungen; die Bundesnetzagentur spricht von 8,7 Mio. Nutzern UMTS-fähigen Mobiltelefonen bzw. Laptop-Karten, das ist mehr als eine Verdreifachung gegenüber 2005. 312 Der hinzutretende Übertragungsstandard „Digital Video Broadcasting – Handhelds“ (DVB-H) baut auf der Technik des digitalen terrestrischen Antennenfernsehens DVB-T auf, ist aber auf die speziellen Anforderungen mobiler Endgeräte zugeschnitten (z. B. durch die Unterstützung von speziellen Videokompressionsverfahren). 313 Ende 2007 hat sich die EU-Kommission darauf geeinigt, DVB-H als europaweiten Standard für mobiles Fernsehen zu bevorzugen. Kritik wurde dabei von einzelnen Mitgliedstaaten laut, die (teils parallel zu DVB-H) andere Übertragungsstandards nutzen (z.B. auch Deutschland mit DMB). Parallel dazu hat nach einem koordinierten Ausschreibungsverfahren der Landesmedienanstalten deren Gesamtkonferenz am 15. Januar 2008 empfohlen, dem Konsortium „Mobile 3.0“ die Kapazitäten zum Betrieb einer bundesweiten DVBH-Sendeplattform zuzuweisen. Das Unternehmen, ein Joint Venture der beiden Gesellschaften „MFD Mobiles Fernsehen Deutschland GmbH“ und „NEVA Media GmbH“, an denen unter anderen die Hubert Burda Media und Georg von Holtzbrinck beteiligt sind, planen, auf der Plattform Programme von ARD und ZDF sowie von RTL, Vox, Sat.1 und ProSieben anzubieten. Daneben sollen Hörfunkprogramme über das Angebot nutzbar sein. Ein Konsortium um die Mobilfunknetzbetreiber T-Mobile, Vodafone und O2, das vorab vom Bundeskartellamt genehmigt worden war, stellte ebenfalls einen Lizenzantrag, erhielt den Zuschlag aber nicht. Die Aufnahme des Sendebetriebs ist für 2008 geplant. Bereits jetzt haben verschiedene etablierte Medienanbieter Versuche unternommen, ihre Inhalte für eine mobile Nutzung anzupassen; so veröffentlicht die ARD seit Juli 2007 auch eine Handy-Fassung der Tagesschau, die 100 Sekunden lang ist. Anbieter aus dem Printbereich wie z. B. der SPIEGEL, die Süddeutsche Zeitung oder die BILD-Zeitung experimentieren ebenfalls mit dem neuen Kanal, wobei sie neben regulären textbasierten Nachrichten zusätzlich auch Podcasts oder Videos mit einbinden. Insbesondere für regionale und lokale Tageszeitungen bietet die dpa-Infocom speziell für die mobile Nutzung aufbereitete Meldungen und multimediale Inhalte an. Diese können entweder direkt in das eigene Angebot eingebunden oder mit zusätzlichen Informationen ergänzt werden, wie es zum Beispiel die „Rheinische Post“ für den lokalen Nahbereich ihres Verbreitungsgebiets tut. Die bisherigen Erfahrungen zeigen jedoch, was bereits beim Internet deutlich wurde: Eine bloße Übertragung etablierter Formate und Inhalte auf den neuen Nutzungskontext reicht nicht aus. Während sich Printsowie Audio-Inhalte, also einzelne Musikstücke oder auch laufendes Radioprogramm, noch vergleichsweise leicht für die Nutzung mit mobilen Endgeräten aufbereiten lassen, erfordert vor allem die Gestaltung audiovisueller Inhalte neue Formen der Produktion und Präsentation, mithin neue publizistische Routinen. Da die Nutzungsintervalle in der Regel kürzer sein werden als beim stationären Fernsehen, und Handy-Displays trotz technischen Fortschritts bislang nur eine vergleichsweise geringe Größe und Auflösung haben, müssen neue Formate entwickelt werden, um Nachrichten, Sportereignisse oder Unterhaltungsangebote technik- und situationsgerecht zu präsentieren. Während der Fußball-WM 2006 ergaben sich erste Orientierungspunkte, die für 311 Breunig 2006, S. 3. 312 Bundesnetzagentur 2008, S. 83. 313 Dazu im Ganzen DocuWatch Digitales Fernsehen, Themenheft Handy-TV, Ausgabe 3/2006, abrufbar unter http://www.hans-bredow-institut.de/publikationen/dw/2006/docuwatch_3-2006.pdf. 165 2. Medienübergreifende Aspekte die zukünftige Produktion von Inhalten für mobile Endgeräte richtungweisend sind: 314 Zusammenfassungen der Spiele in Clips, die nicht länger als vier Minuten dauern und in denen Nahaufnahmen statt der Totalen dominieren, stellten sich als mediengerechte Adaption heraus. Die Märkte für mobile Inhalte sind unterschiedlich weit entwickelt, wobei insbesondere Klingeltöne und, mit Abstrichen, Handygames hohe Erlöse erzielen. Erstere haben nach Analystenschätzungen im Jahr 2004 in Deutschland etwa 240 Millionen Dollar Umsatz erzielt; ihre Popularität sorgte dafür, dass seitdem sogar eigene Hitparaden für Klingeltöne ausgewiesen werden, wobei zwischen nachgespielten Titeln sowie Originalmusikstücken unterschieden wird. Massive Werbekampagnen insbesondere auf Musikfernsehsendern wie MTV oder VIVA sowie die Praxis, den Kauf eines Klingeltons mit einem (ungewollten) Abonnement zu verbinden, haben die Geschäftspraktiken der Klingeltonanbieter zunehmend in die Kritik geraten lassen. In einer Selbstverpflichtung von etwa 30 Unternehmen der Branche wurde Ende 2006 vereinbart, die Kündigung zu erleichtern und für die überwiegend jugendlichen Kunden die Kosten stärker transparent zu machen. Für 2007 wird der europaweite Umsatz mit Klingeltönen auf etwa 1,1 Milliarde Dollar geschätzt, was zwar einen Zuwachs von etwa 10 Prozent gegenüber dem Vorjahr bedeutet, der allerdings geringer ausfällt als in anderen Teilbereichen des Markts für mobile Inhalte. Der europaweite Umsatz mit mobilen Spielen sei dagegen um 33 Prozent auf 550 Millionen Dollar angestiegen, und deren Download macht einen wachsenden Anteil des Umsatzes an allen Handy-Downloads aus. Für 2006 verzeichnete die BITKOM einen Umsatz von 54 Millionen Euro in Deutschland, was 31 Prozent Umsatzanteil ausmacht. 315 Produktion, Distribution und Nutzung von publizistischen Medieninhalten für mobile Endgeräte stehen demgegenüber derzeit noch am Anfang der Entwicklung, wobei Investitionen bislang vor allem von den Geräteherstellern und Netzbetreibern getätigt worden sind. Daher liegen bislang auch kaum belastbare Daten zu den publizistischen Märkten vor. Deutlich wird allerdings, dass ähnlich wie bei der Entwicklung des Internets sich die traditionellen Anbieter publizistischer Medieninhalte, also Printverlage oder Rundfunkanstalten, neuer Konkurrenz ausgesetzt sehen, die aus bisher branchenfremden Bereichen kommen. Im Zusammenhang mit der Einführung von Handy-TV wurde diese Konkurrenzsituation exemplarisch deutlich. So hatten sich für die Sendelizenzen neben Programmveranstaltern auch zwei Konsortien beworben: eine Kooperation der Netzbetreiber T-Mobile, Vodafone und O2 sowie die Initiative „Mobile 3.0“, an deren Gesellschafterunternehmen die Verlage Burda und Holtzbrinck beteiligt sind und die letztlich auch die Lizenz zum Betrieb einer bundesweiten DVB-H-Plattform durch die Landesmedienanstalten erhielt (s. o.). Für die Anbieter von mobilen Diensten existieren zwei maßgebliche Erlösstrategien. Mobiles Marketing sowie Bezahlinhalte. 316 Ersteres kann z. B. in Form von vorgeschalteten Werbespots, aber auch durch personalisierte und/oder interaktive Werbeformen geleistet werden, bei denen der Kunde mit dem Werbetreibenden in Kontakt tritt und bspw. produktbezogene Informationen, Logos oder Klingeltöne erhält. Die Integration von Informationen über den Standort des Mobilnutzers („location based services“) erlaubt weitere innovative Formen des Marketings, die bislang jedoch noch keine wirkliche Marktdurchdringung erreicht haben. Bezahlinhalte bzw. „paid content“ haben auch im Bereich der mobilen Kommunikation mit Problemen zu kämpfen, die bereits aus dem Internet bekannt sind: Die Zahlungsbereitschaft ist relativ gering; so kann sich einer ARD/ZDF-Studie zufolge nur etwa ein Viertel der potenziellen Kunden (die wiederum nur etwa 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen) prinzipiell vorstellen, für mobiles Fernsehen einen gewissen Beitrag zu zahlen. Fernsehinhalte der öffentlich-rechtlichen Anbieter wollen sogar 87 Prozent der potenziellen Nutzer frei auf 314 Vgl. Kretzschmar 2008. 315 Vgl. BITKOM 2007, S. 8. 316 Vgl. Breunig 2006. 166 2.2. Medienrelevante Aspekte der Telekommunikation dem Handy empfangen können. 317 Zudem ist bislang kein anbieter- bzw. netzbetreiberübergreifendes Bezahlsystem etabliert, das die Abrechnung solcher Beiträge erleichtern und damit die Durchsetzung von paid content fördern könnte. Ein mögliches Szenario wäre daher, dass durch Kooperationen publizistischer Anbieter und Netzbetreiber Inhalte zukünftig im Rahmen von „Flatrates“ für den Datentransfer mit abgegolten werden. 2.2.2 Recht und Regulierung Das deutsche Recht verfolgt im Verhältnis von Inhalte- und Telekommunikationsdiensten das Konzept einer horizontalen Differenzierung. Während der Bund mit der Schaffung des Telekommunikationsgesetzes (TKG) 1996 und der TKG-Novelle 2004 den Telekommunikationsmarkt für den Wettbewerb geöffnet hat und damit einhergehend die Regulierung reformierte, gelten für die Inhalte landesrechtliche Vorschriften wie der RStV, die Landesmediengesetze und das bundesrechtliche TMG (s. Kapitel 1.4.4 und 1.5.4). Dennoch ergeben sich in mehreren Bereichen von Medienrecht und Telekommunikationsrecht Schnittstellen, Kollisionen und Durchbrechungen (s. Kapitel 3.4). 2.2.2.1 Verhältnis von Telekommunikations- und Rundfunkrecht Im Unterschied zu der Telekommunikationsordnung, die sich nach der Privatisierung der Bundespost einem an ökonomischen Zielvorgaben ausgerichteten Wirtschaftsmarkt orientiert, ist die Ausgestaltung der Rundfunkordnung von der Prämisse gekennzeichnet, dass die Rundfunkfreiheit nicht primär im Interesse der Veranstalter, sondern im Interesse umfassender freier Meinungsbildung gewährleistet ist (s. Kapitel 3.4.2). 318 In sich überlappenden Bereichen von Rundfunkrecht und Telekommunikationsrecht bzw. Telemedienrecht und Telekommunikationsrecht wurde durch das BVerfG das Schlagwort der „Indienstnahme“ der Telekommunikation für den Transport von medienrechtlich relevanten Inhalten und damit der Ansatz einer der Rundfunkordnung „dienenden“ Telekommunikationsordnung geprägt. 319 Inwiefern dieser Grundsatz der allzeit dienenden Funktion der Telekommunikation dabei vor dem Hintergrund neuer netzwerkökonomischer Bedingungen und komplexer, multilateraler Beziehungen allerdings noch einzuhalten ist, ist Gegenstand rechtswissenschaftlicher Diskussionen. 320 Zu entwickelnde Ansätze werden die teilweise entgegen laufenden Anforderungen der Ordnungsprinzipien miteinander in Ausgleich bringen müssen, etwa durch die Möglichkeit, Schnittstellenbereiche auf beiden gesetzlichen Seiten zu definieren und die Regelungen aufeinander zu beziehen oder zu verknüpfen (s. insgesamt dazu Kapitel 3.4), wobei die Abhängigkeit der elektronischen Übertragung von Medieninhalten von telekommunikativen Voraussetzungen grundsätzlich bestehen bleibt und in Rechnung zu stellen ist. Da die Verfassung im Bereich des Rundfunks von der Prämisse der Vielfalt bzw. kommunikativen Chancengleichheit ausgeht, gilt hier zumindest der Grundsatz, dass Telekommunikationsrecht – sofern es um den Transport von rundfunkrechtlich relevanten Inhalten geht – diesen Grundsatz nicht konterkarieren darf. 2.2.2.2 Rechtsrahmen Gemäß Art. 73 Nr. 7 GG hat der Bundesgesetzgeber die Gesetzgebungskompetenz für den Bereich der Telekommunikation. Er hat anhand der Leitlinien aus Art. 87 f GG von dieser Kompetenz Gebrauch gemacht und 317 Vgl. ARD/ZDF-Projektgruppe Mobiles Fernsehen 2007, S. 15. 318 BVerfGE 83, 238, S. 315. 319 BVerfGE 12, 205, S. 227. 320 Vgl. etwa Ladeur 1999; s. a. Gersdorf 1997. 167 2. Medienübergreifende Aspekte 1996 mit dem Telekommunikationsgesetz ein Bundesgesetz erlassen, das die Liberalisierung des Telekommunikationsmarktes einläutete. Mit einer sektorspezifischen, asymmetrischen Regulierung – d. h. der Marktführer unterliegt strengeren gesetzlichen Anforderungen als die Wettbewerber – versucht das TKG, neuen TK-Unternehmen den Marktzutritt zu erleichtern und einen chancengleichen Wettbewerb zwischen ehemaligem Monopolisten und Wettbewerbern herzustellen. Im Sommer 2004 wurde das TKG – vor allem vor dem Hintergrund europarechtlicher Anforderungen – komplett novelliert. 2.2.2.2.1 Europarechtliche Einflüsse Das TKG ist maßgeblich beeinflusst durch die Vorgaben der EU-Richtlinien in diesem Bereich. Mit dem Erlass eines ganzen Richtlinienpakets 321 haben EU-Parlament und -Rat 2002 einen neuen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze geschaffen, den die Mitgliedstaaten bis zum 31. Juni 2003 umzusetzen hatten. Die wichtigsten Änderungen durch das Richtlinienpaket betrafen das Verfahren der Marktregulierung sowie die europarechtlich nicht mehr vorgesehene Lizenzpflicht von TK-Anbietern. Die Kommission plant, die Richtlinien zu novellieren; eine Empfehlung mit novellierten Kommunikationsmärkten wurde im Dezember 2007 veröffentlicht. 322 Die so genannte „TK-Review“ wurde von der Kommission am 13. November 2007 beschlossen. 323 Eckpunkte der Reform sind die Einrichtung einer europäischen Regulierungsbehörde sowie die Modernisierung der Frequenzpolitik hin zu einer stärker an marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichteten Frequenzregulierung auf EU-Ebene, die auch einen – teilweise kritisierten – Markt für Frequenzhandel ermöglicht. Gerade die geplante liberalisierte Frequenzpolitik ist zum Gegenstand von Kritik geworden, da dadurch die Belange des Rundfunks beeinträchtigt werden können. 324 Eine Verabschiedung der Novelle durch EU-Parlament und Rat ist für 2008 geplant. 321 Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste (Rahmenrichtlinie), ABl. EG Nr. L 108, S. 33; Richtlinie 2002/20/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste (Genehmigungsrichtlinie), ABl. EG Nr. L 108, S. 21; Richtlinie 2002/19/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie), ABl. EG Nr. L 108, S. 7; Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. März 2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und diensten (Universaldienstrichtlinie), ABl. EG Nr. L 108, S. 51; Richtlinie 2002/58/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Juli 2002 über die Verarbeitung personenbezogener Daten und den Schutz der Privatsphäre in der elektronischen Kommunikation (Datenschutzrichtlinie für elektronische Kommunikation), ABl. EG Nr. L 201, S. 37. 322 Vgl. Empfehlung 2007/879/EG der Kommission vom 17. Dezember 2007 über relevante Produkt- und Dienstmärkte des elektronischen Kommunikationssektors, die aufgrund der Richtlinie 2002/21/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und dienste für eine Vorabregulierung in Betracht kommen; K(2007) 5406, Abl. EG L Nr. 344 v. 28.12.2007, S. 65 ff. 323 Vorschlag vom 13.11.2007 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2002/21/EG über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und dienste, der Richtlinie 2002/19/EG über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung und der Richtlinie 2002/20/EG über die Genehmigung elektronischer Kommunikationsnetze und -dienste, KOM (2007) 697 endgültig. 324 Vgl. die Gemeinsame Erklärung zur Überarbeitung des Europäischen Telekommunikations-Rechtsrahmens von ARD, ZDF und VPRT v. 30. Mai 2007. 168 2.2. Medienrelevante Aspekte der Telekommunikation Daneben ist – auch im Hinblick auf Rückwirkungen auf die öffentliche Kommunikation (s. u.) – die EURichtlinie über die Vorratsdatenspeicherung 325 von Berichtsrelevanz. Gegen die Richtlinie ist derzeit ein von Irland in die Wege geleitetes Verfahren vor dem EuGH anhängig. 326 2.2.2.2.2 Anwendungsbereich Grundlegend für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des TKG sind die Begriffe der „Telekommunikation“ i. S. d. § 3 Nr. 22 TKG und der „Telekommunikationsdienste“ gem. § 3 Nr. 24 TKG. Um klarzustellen, dass das TKG auf alle Vorgänge der Übermittlung von Nachrichten ohne Rücksicht auf deren Inhalt anwendbar sein soll, hat der Gesetzgeber die Definition der Telekommunikationsdienste sehr weit gefasst. Dies hat zur Folge, dass das TKG nicht nur den reinen Betrieb von Übertragungsleitungen, sondern auch von der technischen Infrastruktur losgelöste Dienste umfasst. Gerade bei der Definition der Telekommunikationsdienste zeigen sich so in Bezug auf hybride Angebote (etwa Multiplexing, Billing oder Online-Dienste) Abgrenzungsschwierigkeiten (s. Kapitel 3.4.2). 2.2.2.2.3 Regulierungskonzept Durch das TKG soll die Konsolidierung der Liberalisierung der TK-Märkte sichergestellt werden (s. o.). Mit der Durchsetzung der Regulierungsziele sowie der Aufsicht über die TK-Anbieter ist die Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post (RegTP) – jetzt „Bundesnetzagentur“ (BNetzA) – betraut. Neben der Marktregulierung und der Entgeltregulierung sowie der Sicherstellung des offenen Netzzugangs einschließlich der Zusammenschaltungen obliegen ihr v. a. die Aufgaben zur Sicherstellung des Universaldienstes, der Nummerierung, der Frequenzordnung sowie der Zulassung von Endeinrichtungen und Funkanlagen. Zur Durchführung ihrer Aufgaben stehen der Regulierungsbehörde dabei weit reichende Informations-, Entscheidungs- und Untersagungsbefugnisse zur Seite. 2.2.2.3 Novellierungen und Reformen im Berichtszeitraum In diesem Kapitel sollen im Hinblick auf den Fokus des Gutachtens und unter Hinweis auf die Jahresberichte der BNetzA 327 lediglich diejenigen telekommunikationsrechtlichen Änderungen dargestellt werden, die den Bereich öffentlicher Kommunikation unmittelbar tangieren oder sich mittelbar darauf auswirken. 2.2.2.3.1 Telekommunikationsgesetz Am 26. Juni 2004 ist das novellierte Telekommunikationsgesetz 328 in Kraft getreten, mit dem der Bundesgesetzgeber die nationalen Telekommunikationsvorschriften an die europäischen Vorgaben angeglichen hat. Ziele des 2004 novellierten TKG sind die technologieneutrale Regulierung aller Kommunikationsmittel und die Vermeidung unnötiger Regulierungen, die bessere Abstimmung mit dem Wettbewerbsrecht, die Herstellung größerer Verwaltungseffizienz und Verkürzung von Gerichtsverfahren, die Novellierung von Datenschutzregelungen sowie die Neuregelung der Befugnisse der Bundesnetzagentur. Die wesentlichen Änderungen betreffen das abgestufte Verfahren der Marktregulierung durch Marktdefinitions- und -analyseverfahren, 325 Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG, ABl. L 105, S. 54 ff. 326 Az. C-301/06. 327 S. zuletzt Bundesnetzagentur 2007. 328 Telekommunikationsgesetz vom 22. Juni 2004, BGBl. I S. 1190, zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007, BGBl. I S. 3198. 169 2. Medienübergreifende Aspekte Konsultations- und Konsolidierungsverfahren und die Regulierungsverfügung durch die BNetzA. Daneben standen die ex-post-Regulierung bei Endkundenentgelten, die Stärkung der Unabhängigkeit der BNetzA und die Straffung des Entscheidungsverfahrens im Vordergrund der Novellierung. Außerdem sind in das novellierte TKG neue Vorschriften zur Frequenzordnung aufgenommen worden. 2.2.2.3.1.1 Rundfunkübertragung Vor dem Hintergrund der voranschreitenden Digitalisierung der Rundfunkübertragung, der darauf aufsetzenden Zusatzdienste und der Endgeräte sieht das 2004 novellierte TKG im vierten Teil (§§ 48 bis 51 TKG) Vorschriften zur Schnittstellenoffenheit und Interoperabilität dieser Dienste bzw. Geräte vor. Das hierfür zuvor geltende Fernsehsignalübertragungsgesetz (FÜG) 329 verlor mit In-Kraft-Treten des TKG 2004 seine Gültigkeit und geht insofern im neuen TKG auf. Während das TKG vor allem im Hinblick auf die technischen Parameter Vorschriften vorsieht, korrespondiert damit auf der Ebene der inhaltlichen Regulierung die Vorschrift des § 53 RStV (s. Kapitel 1.4.4.2.15, 1.4.4.2.16). § 48 TKG regelt die Operabilität von Fernsehgeräten und bestimmt dabei auch, dass auch zum Verkauf, zur Miete oder anderweitig angebotene digitale Fernsehempfangsgeräte – soweit es ein ApplicationProgramming-Interface (sog. API) enthält –, die Mindestanforderung einer solchen Schnittstelle erfüllen müssen, die von einer anerkannten europäischen Normenorganisation angenommen wurde oder einer gemeinsamen, branchenweiten, offenen Schnittstellenspezifikation entsprechen und Dritten unabhängig vom Übertragungsverfahren Herstellung und Betrieb eigener Anwendungen erlauben. Diese Regelung geht über die des ehem. § 3 Abs. 1 Nr. 3 FÜG hinaus, der nur die Anbieter von Anwendungen verpflichtete. Die Regelung zielt also gegenständlich auf das ab, was auch § 53 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 RStV reguliert. § 48 Abs. 3 TKG regelt das Conditional-Access-System und bestimmt, dass es einem einheitlichen europäischen Algorithmus („common scrambling“) entsprechen muss. Zudem muss es unverschlüsselte DVBSignale auch ohne Zugangsberechtigungskontrolle durchleiten. § 50 stellt zusätzliche Anforderungen an Anbieter von Conditional-Access-Systemen und normiert in Abs. 2, dass die Inhaber gewerblicher Schutzrechte an derartigen Systemen Lizenzen an Hersteller zu chancengleichen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen abgeben. Zudem müssen nach Abs. 3 Anbieter und Verwender von Zugangsberechtigungssystemen allen Rundfunkveranstaltern die Nutzung ihrer benötigten technischen Dienste und die dafür erforderlichen Auskünfte zu chancengleichen, angemessenen und nicht diskriminierenden Bedingungen ermöglichen, über diese Dienstleistung getrennt Rechnung führen und der Regulierungsbehörde die Angebote einschließlich der Endnutzerentgelte anzeigen. Durch § 49 Abs. 2 TKG werden – komplementär zu § 48 Abs. 2 Nr. 2 – die Inhaber von Rechten an APIs verpflichtet, Herstellern von digitalen Fernsehgeräten sowie berechtigten Dritten zu angemessenen, chancengleichen und nicht diskriminierenden Bedingungen Informationen zur Nutzung der Schnittstelle zur Verfügung zu stellen. Bei Streit über die Einhaltung der Vorschriften des § 49 ist in dessen Abs. 3 ein Entscheidungsverfahren geregelt, das auch den engen Zusammenhang mit den landesrechtlichen Vorschriften des § 53 RStV anerkennt: Rufen die Beteiligten die Regulierungsbehörde an, so gibt diese der nach Landesrecht zuständigen Stelle Gelegenheit zur Stellungnahme. Diese kann medienrechtliche Einwendungen erheben und gegebenenfalls eigenständig im Rahmen ihrer Zuständigkeit entscheiden. Auch im Hinblick auf die Conditional-Access-Systeme sieht das TKG in § 50 Abs. 4 eine Verzahnung von bundes- und landesrechtlichen Verfahren vor. Hier ist die Regulierungsbehörde zur Information der nach Landesrecht zuständigen Stelle verpflichtet, und beide Behörden entscheiden jeweils in ihrem Zuständigkeits- 329 170 Gesetz über die Anwendung von Normen für die Übertragung von Fernsehsignalen (FernsehsignalübertragungsGesetz – FÜG) vom 14. November 1997, BGBl. I S. 2710. 2.2. Medienrelevante Aspekte der Telekommunikation bereich selbstständig. Nach dieser Vorschrift kann eine Änderung des Angebotes verlangt werden, wenn es den Vorgaben des Abs. 3 nicht entspricht. Ist keine Veränderung geeignet, die rechtlichen Voraussetzungen sicherzustellen, kann das Angebot untersagt werden. Regulierungsbehörde und Landesmedienanstalten versuchen, die Vorschriften durch gemeinsame Verfahrensregeln praktikabel zu machen. Materiellrechtlich bewegen sich Bund und Länder jeweils im Bereich ihrer Gesetzgebungskompetenz, auch wenn derselbe Regelungsbereich adressiert wird, da TKG und RStV unterschiedliche Regelungsziele verfolgen. Landesrechtlich geht es um kommunikative Chancengleichheit, während das TKG auf Chancengleichheit im Wettbewerb (§ 2 Abs. 2 Nr. 2 TKG) zielt. Konflikte bei der Kompetenzausübung sind vor dem Hintergrund des bundes- bzw. länderfreundlichen Verhaltens zu lösen (s. Kapitel 3.4.4.3). 2.2.2.3.1.2 Frequenzordnung Das novellierte TKG vereint in weiten Teilen die Regelungen zur Frequenzordnung, die bisher getrennt im alten TKG (§§ 44 ff. TKG a. F.) sowie in der Frequenzzuteilungsverordnung (FreqZutV) 330 verortet waren. Primäres Ziel der telekommunikationsrechtlichen Frequenzverwaltung (§§ 52 ff. TKG) ist dabei nach wie vor eine effiziente und störungsfreie Nutzung von Frequenzen. Gerade im Bereich des Frequenzmanagements – und zwar auf allen Stufen, die das TKG hier vorsieht – können rundfunkrechtliche Belange berührt werden: Als Beispiel kann hier die erste Stufe dienen – die Frequenzbereichszuweisung nach § 53 1 TKG, bei der es um die Gesamtkapazität geht, die für die terrestrische Übertragung von Medienangeboten zur Verfügung steht. Die Relevanz dieser Norm wurde 1998 deutlich, als die Bundesregierung im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens der Frequenzbereichszuweisungsplanverordnung dazu tendierte, diese so auszugestalten, dass Rundfunkprogramme in Kabelanlagen nur noch eingeschränkt hätten übertragen werden können. Schlecht abgeschirmte Kabelanlagen hatten Störstrahlung ausgesandt, die sich auf Funkfrequenzen auswirkte, die für die Flugsicherung an Flughäfen zur Verfügung stehen. Auch auf den folgenden Stufen der Frequenzordnung, der Aufstellung des Frequenznutzungsplans und der telekommunikationsrechtlichen Frequenzzuteilung, können rundfunkrechtliche Interessen berührt werden, die das jetzige TKG durch entsprechende Kooperations- und Anhörungspflichten zu berücksichtigen versucht (vgl. §§ 55 Abs. 10, 57 Abs. 1). Die auf europarechtlicher Ebene geplante Liberalisierung der Frequenzplanung anhand von marktwirtschaftlichen Gesichtspunkten führte auch auf nationaler Ebene zu Diskussionen, insbesondere vor dem Hintergrund der bisher als dem Rundfunk gegenüber dienend verstandenen Funktion der Telekommunikation (s. o.). 331 2.2.2.3.1.3 Vorratsdatenspeicherung Um die EU-Richtlinie über Vorratsdatenspeicherung 332 in nationales Recht umzusetzen, ist – nach heftigen vorausgegangenen Diskussionen in Öffentlichkeit, Politik und Wissenschaft – am 1. Januar 2008 das Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung 333 in Kraft getreten, das neben der Anpassung der Strafprozessordnung in Art. 2 Vorgaben des TKG ändert. 330 Frequenzzuteilungsverordnung vom 26. April 2001, BGBl. I S. 829. 331 Vgl. dazu Zagouras 2006 und Gersdorf 2007, jeweils m. w. N. 332 Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG, ABl. L 105, S. 54 ff. 333 Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen sowie zur Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG vom 21. Dezember 2007, BGBl. I S. 3198. 171 2. Medienübergreifende Aspekte Durch das Gesetz wird zum einen der Umfang der von Anbietern öffentlich zugänglicher Telekommunikationsdienste zu speichernden Daten ausgeweitet und die Dauer der Speicherung zeitlich auf sechs Monate verlängert. Zum anderen werden den Strafverfolgungsbehörden weit reichende Zugriffsbefugnisse auf diese bei den Anbietern liegenden Datensätze eingeräumt. Die Kosten für die Umsetzung dieser Speicher- und Zugangsverpflichtungen haben die Telekommunikationsdiensteanbieter zu tragen. Das mit dem Stichwort „Vorratsdatenspeicherung“ besetzte Gesetz bot und bietet zahlreichen Akteuren Anlass zu teils heftiger Kritik. So sei die verdachtsunabhängige Vorratsdatenspeicherung sowie der Zugriff staatlicher Stellen darauf ein unverhältnismäßiger Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Zudem berücksichtige das Gesetz besondere Geheimhaltungs- oder Vertrauensvorschriften wie etwa das Ärztegeheimnis, das Mandantengeheimnis oder das Zeugnisverweigerungsrecht von Journalisten nicht ausreichend. Im Anschluss an eine gegen das Gesetz eingelegte Verfassungsbeschwerde hat das Bundesverfassungsgericht am 19. März 2008 im einstweiligen Verfahren beschlossen, dass die Pflicht zur Speicherung von Vorratsdaten für 6 Monate bis zur Entscheidung über das Hauptsacheverfahren zwar Bestand hat, den Strafverfolgungsbehörden aber nur Auskünfte erteilt werden dürfen, soweit es sich um den Verdacht des Vorliegens einer schweren Straftat handelt. 334 2.2.2.3.2 Gesetz über Funkanlagen und TK-Endeinrichtungen Durch das Gesetz über Funkanlagen und Telekommunikationseinrichtungen (FTEG) 335 soll sichergestellt werden, dass bei der Nutzung von Funkanlagen sowie Funk- und Telekommunikations-Endgeräten die Gesundheit und die Sicherheit der Gerätenutzer und Dritter sowie ein geordnetes und störungsfreies Frequenzspektrum gewährleistet ist. Mit dem FTEG setzte der Bundesgesetzgeber die Vorgaben aus der „RTTERichtlinie“ 336 um, mit Wirkung vom 8. April 2001 muss jedes Gerät, das in Verkehr gebracht wird, den Anforderungen des FTEG entsprechen, d. h. auch Sendeanlagen und Empfangsgeräte für Rundfunk. 2.2.2.3.3 Rundfunkänderungsstaatsverträge Aufgrund des Umstandes, dass gerade neu entstehende, hybride Dienste im Bereich digitalen Fernsehens wie z. B. Multiplexer, CA-Systeme oder Billing-Services nicht nur technische Dienstleistungen erbringen, sondern auch Einfluss auf das vom Rezipienten empfangbare Programmangebot haben können, bestehen für diesen Bereich neben den telekommunikationsrechtlichen Vorgaben auch rundfunkrechtliche Vorschriften im RStV (s. Kapitel 1.4.4.2.16). 334 Vgl. BVerfG, Beschl. v. 11.3.2008 - 1 BvR 256/08. 335 Gesetz über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen vom 31. Januar 2001, BGBl. I S. 170, zuletzt geändert durch § 22 Abs. 1 des Gesetzes vom 26. Februar 2008, BGBl. I S. 220. 336 Richtlinie 1999/5/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 1999 über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen und die gegenseitige Anerkennung ihrer Konformität (Radio equipment and Telecommunications Terminal Equipment and the mutual recognition of their conformity – RTTE), ABl. EG Nr. L 91. 172 2.2. Medienrelevante Aspekte der Telekommunikation 2.2.3 Quellenangaben zu Kapitel 2.2 Arbeitsgemeinschaften der Landesmedienanstalten (ALM) (2007a): Digitalisierungsbericht 2007. Weichenstellungen für die digitale Welt. Berlin. Online abrufbar unter http://www.alm.de. Arbeitsgemeinschaften der Landesmedienanstalten (ALM) (2007b): Leitlinien für eine zukünftige Gestaltung des terrestrischen Hörfunks in Deutschland. Beschluss der Gesamtkonferenz der ALM vom 21. November 2007. Abrufbar unter http://www.alm.de. ARD/ZDF-Projektgruppe Mobiles Fernsehen (2007): Mobiles Fernsehen: Interessen, potenzielle Nutzungskontexte und Einstellungen der Bevölkerung. Media Perspektiven 1/2007, S. 11-19. BITKOM (2007): Der deutsche PC- und Konsolenspiele-Markt. Präsentation, 29.1.2007. Abrufbar unter http://www.bitkom.org/files/documents/BITKOM_PK_Gaming_Praesentation_29.01.2007.pdf, zuletzt aufgerufen am 15.1.2008. Breunig, Christian (2006): Mobile Medien im digitalen Zeitalter. Neue Entwicklungen, Angebote, Geschäftsmodelle und Nutzung. Media Perspektiven 1/2006, S. 2-15 Bundesnetzagentur (2008): Jahresbericht 2008. Bonn. Abrufbar unter http://www.bundesnetzagentur.de/media/archive/13212.pdf. Bundesnetzagentur (BNetzA) (2007): Tätigkeitsbericht 2006/2007 für den Bereich Telekommunikation. Bonn. Abrufbar unter http://www.bundesnetzagentur.de/media/archive/12186.pdf. EU-Kommission (2008): Bericht über den Stand des europäischen Binnenmarkts der elektronischen Kommunikation 2007 (13. Bericht). KOM (2008) 158. Abrufbar unter http://ec.europa.eu/information_society/policy/ecomm/doc/library/annualreports/13th/com_2008_153_de_final.pdf Gersdorf, Hubertus (1997): Die dienende Funktion der Telekommunikationsfreiheiten. AfP 1997, S. 424 ff. Gersdorf, Hubertus (2007): Rundfunkfrequenzpolitik zwischen Ökonomisierung und Vielfaltsicherung: Zur Reichweite des Rundfunkprivilegs. ZUM 2007, S. 104 ff. Gertis, Hubert (2003): Keine blühenden Landschaften. Der Kabelmarkt im internationalen Vergleich. Tendenz 04/2003, S. 34 ff. Goldhammer, Klaus/Schmid, Michael/Stockbrügger, Christoph (2007): Zukunft der TV-Übertragung. Präsentation der Goldmedia GmbH, Berlin. Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) (2007): 16. KEF-Bericht. Mainz. Kretzschmar, Sonja (2008): Journalistic Content and the Football World Championship (FWC) 2006: Multimedia services on mobile devices. In: Hartmann, Maren/ Rössler, Patrick (Hrsg.): After the Mobile Phone? Social Changes and the Development of Mobile Communication. Berlin. Im Druck. Ladeur, Karl-Heinz (1999): Die Regulierung von Telekommunikation und Medien im Zeitalter ihrer Konvergenz. RTKom 1999, S. 68 ff. TNS Infratest Forschung (2007): Monitoring Informations- & Kommunikationswirtschaft. 10. Faktenbericht 2007. München/Berlin. Zagouras, Georgios (2006): Digitale Dividende: zwischen Frequenzregulierung und Rundfunkbelangen. CR 2006, S. 819 ff. ZDF (Hrsg.) (2001): Veränderungen im Kabelmarkt und ihre Folgen für das ZDF. Mainz. 173 2.3 WERBEFINANZIERUNG 2.3.1 WIRTSCHAFT UND ORGANISATION ............................................................................... 176 2.3.1.1 2.3.1.2 2.3.1.2.1 2.3.1.2.2 2.3.1.2.3 2.3.1.2.4 2.3.1.2.5 2.3.1.2.6 2.3.1.2.7 WERBUNG ALS FINANZIERUNGSQUELLE DES MEDIENANGEBOTES ...................................... 176 DIE ENTWICKLUNG BEI AUSGEWÄHLTEN WERBETRÄGERN ................................................. 182 Tageszeitungen.................................................................................................................... 182 Publikumszeitschriften ........................................................................................................ 183 Fernsehen............................................................................................................................ 183 Hörfunk ............................................................................................................................... 184 Kinowerbung....................................................................................................................... 184 Online-Werbung.................................................................................................................. 185 Neue Formen der Werbung................................................................................................. 186 2.3.2 WERBEAKZEPTANZ IN DER BEVÖLKERUNG.............................................................. 186 2.3.3 RECHT UND REGULIERUNG.............................................................................................. 186 2.3.3.1 2.3.3.1.1 2.3.3.1.2 2.3.3.1.3 2.3.3.2 2.3.3.2.1 2.3.3.2.2 2.3.3.3 2.3.3.3.1 2.3.3.3.2 2.3.4 RECHTSRAHMEN .................................................................................................................. 187 Europarechtliche Grundlagen ............................................................................................ 187 Nationale Vorschriften........................................................................................................ 187 Nicht-staatliche Regulierung .............................................................................................. 188 ÄNDERUNGEN IM BERICHTSZEITRAUM ................................................................................ 189 Rundfunkänderungsstaatsverträge...................................................................................... 189 Telemediengesetz ................................................................................................................ 190 SONSTIGE RECHTLICHE ENTWICKLUNGEN ........................................................................... 190 EU-Tabakwerbeverbot ........................................................................................................ 190 Kartellrechtliche Schritte gegen Werbevermarkter ............................................................ 191 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 2.3.............................................................................. 192 Tabellenverzeichnis Tabelle 2.3.1.1: Bruttoinlandsprodukt und Investition in Werbung Tabelle 2.3.1.2: Werbeträger in Deutschland Tabelle 2.3.1.3 Netto-Werbeeinnahmen erfassbarer Werbeträger in Deutschland 1995-2007 (in Mio. EUR) Tabelle 2.3.1.4: Brutto-Medien-Investitionen der 10 werbestärksten Branchen in Deutschland 2006 Tabelle 2.3.1.5: Entwicklung der Anzeigenumfänge nach Branchen und Zeitungstypen Tabelle 2.3.1.7: Netto-Werbeumsätze des Werbefernsehens 1997-2007 (in Mio. EUR) Tabelle 2.3.1.8: Werbespotaufkommen im Fernsehen 1998-2007 Tabelle 2.3.1.6: Netto-Werbeumsätze des Hörfunks 2000-2007 (in Mio. EUR) Tabelle 2.3.1.9: Netto-Werbeumsätze in den Filmtheatern, ohne Produktionskosten 1997-2007 (in Mio. EUR) Tabelle .2.3.1.10: Netto-Werbeumsätze mit klassischer Online-Werbung, ohne Produktionskosten (Mio. EUR) Tabelle 2.3.3.1: Konfliktmanagement Deutscher Werberat 1997-2007 175 2. Medienübergreifende Aspekte 2.3.1 Wirtschaft und Organisation 2.3.1.1 Werbung als Finanzierungsquelle des Medienangebotes Für die Finanzierung von Medienangeboten ist die indirekte Finanzierung durch Werbung eine der wichtigsten Finanzierungsformen. Rund zwei Drittel der gesamten Werbeinvestitionen der Wirtschaft werden für Werbung in Medien aufgewendet. Aus dieser zentralen Stellung der Werbefinanzierung ergibt sich auch die konjunkturelle Abhängigkeit der Medien: Wenn die wirtschaftliche Entwicklung dazu führt, dass die Werbeinvestitionen zurückgehen, so sinken auch die Erlöse der Medien. Je nach Medium unterscheidet sich der Anteil der Erlöse, die insgesamt mit dem Angebot aus Werbung erwirtschaftet werden, so dass die konjunkturellen Effekte nicht in gleicher Stärke bei allen Medien auftreten. Bei der statistischen Erfassung der Werberlöse unterscheidet man zwischen Brutto- und NettoWerbeerlösen. Das gesamte Werbevolumen einer Volkswirtschaft wird anhand der Brutto-Werbeumsätze oder Werbeinvestitionen gemessen. Hierunter versteht man die Aufwendungen der werbetreibenden Wirtschaft für die Schaltung von Werbung bei den unterschiedlichen Medien. Die Brutto-Werbeumsätze errechnen sich aus der Anzahl der platzierten Spots bzw. Print-Anzeigen, multipliziert mit dem jeweiligen Listenpreis für die Schaltung. Diese Daten können nur als Grundlage für eine grobe Einschätzung der Entwicklung dienen, da zahlreiche Sondereffekte wie Rabatte nicht berücksichtigt werden. Produktionskosten für die Werbemittel sind nicht berücksichtigt. Das Werbeforschungsinstitut AC Nielsen bzw. dessen Tochtergesellschaft Nielsen Media Research erhebt die Brutto-Werbeumsätze der klassischen Medien Print, TV, Plakat, Hörfunk und Internet und veröffentlicht diese monatlich. Im Berichtszeitraum erlebte der Werbemarkt in Deutschland starke Schwankungen. Ende der neunziger Jahre bis zum Jahr 2000 gab es einen Boom mit kontinuierlich steigenden Werbeerlösen; dazu haben u. a. die zahlreichen Börsengänge, die großen Sportveranstaltungen des Jahres 2000 sowie der Jahrtausendwechsel beigetragen. Die Wende erfolgte im Jahr 2001 mit einem starken Einbruch des Werbevolumens und bis 2003 stetig sinkenden Werbeaufwendungen, als die Sonderimpulse ausblieben und die Enttäuschung bei der new economy, die sinkenden Börsenkurse und der Rückgang bei Stellenanzeigen und Pkw-Anzeigen die Stimmung prägten. Seit 2004 steigen die Werbeaufwendungen wieder; die Höchstwerte des Jahres 2000 sind aber noch nicht erreicht (vgl. Tab. 2.3.1.1). Tabelle 2.3.1.1: Bruttoinlandsprodukt und Investition in Werbung 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 1.929,4 1.974,3 2.025,5 2.063,0 2.145,0 2.163,8 2.211,2 2.244,6 2.322,2 2.423,0 Werbeinvestitionen (WI) in Mrd. EUR 30,17 31,44 33,21 31,49 29,62 28,91 29,22 29,60 30,23 30,78 Anteil WI am BIP in Prozent 1,56 1,58 1,64 1,52 1,38 1,34 1,32 1,32 1,30 1,27 davon Werbeeinnahmen der Medien in Mrd. EUR 20,81 21,83 23,38 21,69 20,14 19,28 19,58 19,83 20,35 20,76 Anteil Werbeeinnahmen der Medien am BIP in Prozent 1,08 1,11 1,15 1,05 0,94 0,89 0,89 0,88 0,88 0,86 Bruttoinlandsprodukt (BIP) in Mrd. EUR Quelle: ZAW. 176 2.3. Werbefinanzierung Im Gegensatz zu den Brutto-Werbeumsätzen sind die Netto-Werbeumsätze die effektiven Werbeeinnahmen der Medienunternehmen, nach Abzug von Rabatten und Agenturprovisionen und unter Berücksichtigung der Kosten für die Werbemittelproduktion. Sie werden jährlich vom Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) veröffentlicht und basieren auf den Meldungen der einzelnen Medienunternehmen. Der ZAW untergliedert die Medien tiefer als Nielsen; so umfasst der Print-Bereich neben den Tageszeitungen, Publikumszeitschriften und Fachzeitschriften auch die Anzeigenblätter sowie die Wochen- und Sonntagszeitungen. Zusätzlich werden Angaben zu den Netto-Werbeeinnahmen aus der Direktwerbung (Werbung per Post, Massendrucksachen, Infopost), den Verzeichnis-Medien (u. a. Branchenbücher, Telefonbücher), den Supplements (Beilagen zu Zeitungen und Zeitschriften) sowie zur Werbung in Filmtheatern gemacht. Die folgende Tabelle zeigt die Entwicklung der Zahl der Werbeträger und ihrer Auflage bzw. des erreichbaren Publikums 1997, 2002 und 2007. Dabei zeigt sich, dass die deutlichsten Zunahmen bei der Zahl der Angebote im Rundfunk zu verzeichnen sind. Die Entwicklung bei den Printmedien ist uneinheitlich, hier sind es vor allem Angebote, die sich nicht durch den Verkauf finanzieren, die Steigerungen bei Anzahl und Auflage zu verzeichnen haben. Die Daten zu Online-Angeboten sind mit denen der anderen Mediengattungen nicht zu vergleichen, sie deuten nur das Wachstumspotenzial in diesem Bereich an. 177 2. Medienübergreifende Aspekte Tabelle 2.3.1.2: Werbeträger in Deutschland Anzahl * Mediengruppe Veränderung 19972007 in Prozent 2002 2007 -6,5 30,1 Mio. 27,8 Mio. 24,7 Mio. -17,9 27 +7,4 2,2 Mio. 2,0 Mio. 2,1 Mio. -4,5 1.292 1.393 +5,9 84,0 Mio. 86,8 Mio. 90,8 Mio. +8,1 778 831 902 +16,6 142,1 Mio. 139,8 Mio. 133,4 Mio. -6,1 1029 1.088 1.172 +18,9 25,4 Mio. 26,1 Mio. 24,5 Mio. -3,5 Kundenzeitschriften 60 81 85 +41,7 29,6 Mio. 63,4 Mio. 56,4 Mio. +90,5 Telekommunikationsverzeichnisse 96 190 252 +162,5 30,0 Mio. 39,0 Mio. 38,4 Mio. +28,0 k.A. k.A. k.A.- 5,9 Mrd. 11,1 Mrd. 10,4 Mrd +79,3 Wochenzeitungen Anzeigenblätter Publikumszeitschriften Fachzeitschriften Massendrucksachen/ Infopost** 2002 2007 402 385 376 25 25 1.316 Veränderung 1997-2007 in Prozent 1997 Tageszeitungen 1997 Auflage in Mio. Angemeldete TV-Geräte TV-Programme bundesweit, landesweit, regional u. lokal 94 144 222 +136,2 31,5 Mio. 36,0 Mio. 36,9 Mio. +17,1 angemeldete Hörfunk-Geräte Hörfunkprogramme bundesweit, landesweit, regional u. lokal 227 274 326 +43,1 35,3 Mio. 40,9 Mio. 42,8 Mio. +21,2 213,9 Mrd. k.A. 125,4 Mio. -12,4 Seitenkontakte Online-Angebote 55 395 494 +798,2 k.A. 40,2 Mrd. Kinobesucher Kino (Leinwände) 4.284 4.868 4.832 +12,8 143,1 Mio. * IVW-geprüfte Titel und Angebote. ** Nach Angaben der Deutschen Post AG, ab 2002 einschließlich Wurfsendungen. Quelle: ZAW 2003, 2008; eigene Berechnungen. 178 163,9 Mio. 2.3. Werbefinanzierung Betrachtet man die Entwicklung der Netto-Werbeeinnahmen der erfassten Werbeträger, so zeigt sich, dass bis zum Jahr 2000 fast alle Angebote ein Wachstum zu verzeichnen haben. Diese Entwicklung verändert sich im Jahr 2000 deutlich (s. Tab. 2.3.1.3); die größten Einbußen mussten seit dem Zeitpunkt Fachzeitschriften und Tageszeitungen hinnehmen, die bei den Netto-Werbeeinnahmen im Jahr 2003 nur etwa 70 Prozent der Erlöse des Jahres 2000 erreichten. Die Tageszeitungen blieben der umsatzstärkste Werbeträger, haben jedoch auch seit 2003 nur einen geringen Zuwachs der Werbeerlöse erreichen können. 179 2. Medienübergreifende Aspekte Tabelle 2.3.1.3 Netto-Werbeeinnahmen erfassbarer Werbeträger in Deutschland 1995-2007 (in Mio. EUR) Werbeträger 1995 2000 Tageszeitungen 5.481,5 6.556,6 Fernsehen 3.242,6 Werbung per Post Veränderung 19952000 2001 2002 2003 +19,6 % 5.642,2 4.936,7 4.454,9 4.705,2 +45,1 % 4.469,0 3.956,4 2.685,0 3.383,5 +26,0 % 3.255,8 Anzeigenblätter 1.491,6 1.791,9 +20,1 % Publikumszeitschriften 1.792,3 2.247,3 Verzeichnis-Medien 1.157,0 Fachzeitschriften Veränderung 20002003 2004 2005 2006 2007 -32,1 % 4.502,3 4.476,6 4.532,9 4.567,4 +2,5% 3.811,3 -19,0 % 3.860,4 3.929,6 4.114,3 4.155,8 +9,0% 3.334,7 3.303,9 -2,4 % 3.398,4 3.398,1 3.318,9 3.347,3 +1,3% 1.751,0 1.702,0 1.746,0 -2,6 % 1.836,4 1.898,0 1.943,0 1.971,0 +12,9% +25,4 % 2.092,5 1.934,8 1.861,5 -17,2 % 1.839,2 1.791,4 1.855,9 1.822,5 -2,1% 1.243,0 +7,4% 1.269,4 1.249,9 1.219,5 -1,9 % 865,0 1.197,0 1.198,6 1.214,3 -0,4% 1.130,7 1.210,0 +7,0 % 1.074,0 966,0 880,0 -27,3 % 1.195,7 902,0 956,0 1.016,0 +15,5% Außenwerbung 512,1 746,2 +46,3 % 759,7 713,5 710,0 -5,2 % 619,4 769,1 787,4 820,4 +15,5% Hörfunk 564,6 732,9 +23,3 % 678,0 595,1 579,2 -21,0 % 720,1 663,7 680,5 692,1 +19,5% Online-Angebote * - 153,4 - 185,0 227,0 246,0 +60,4 % 146,8 332,0 495,0 689,0 +180,1% Wochen-/SonntagsZeitungen 229,5 277,6 +20,9 % 286,7 267,8 225,1 -18,9 % 271,0 252,8 260,2 269,7 +19,8% Filmtheater 151,2 175,1 +15,8 % 170,2 160,5 160,7 -8,2 % 245,8 132,4 117,5 106,2 -33,9% Zeitungssupplements ** 128,9 67,6 -47,6 % 89,5 96,8 85,5 +36,5 % 90,0 91,0 89,9 89,5 +4,7% 18.597,2 23.290,2 +25,0 % 21.723,0 20.141,2 19.280,5 -17,0 % 19.582,8 19.833,7 20.350,0 20.761,22 +7,7% Gesamt * Nur klassische Online-Werbung, ohne Suchmaschinen und Affiliate-Netzwerke. ** Ab 2001 werden die Vertriebs- und Anzeigenerlöse der Supplements miteinander verrechnet und nur als Gesamtergebnis dargestellt. Quelle: ZAW. 180 Veränderung 2003-2007 2.3. Werbefinanzierung Die Folge dieser Entwicklung waren Versuche der Rationalisierung und Kosteneinsparung sowie eine Erhöhung der Verkaufspreise. Bei vielen Anbietern haben diese Maßnahmen mittlerweile zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation geführt. Dabei ermöglicht vor allem die Mischfinanzierung der Angebote aus Werbung und Verkaufserlösen eine flexible Reaktion auf die Entwicklung des Werbemarktes. Dieser Spielraum fehlt Anbietern, die sich allein aus Werbung finanzieren. Dies betrifft vor allem die werbefinanzierten Rundfunkveranstalter und die Herausgeber von Anzeigenblättern und Kundenzeitschriften. Im Fall des Rundfunks bemühen sich die Veranstalter mittlerweile darum, zusätzliche Finanzierungsquellen zu erschließen. Dazu zählen z. B. Programmangebote, bei denen sich die Zuschauer durch die Wahl einer gebührenpflichtigen Telefonnummer beteiligen können. Ein Teil der Gebühren fällt dabei an den Veranstalter. Auch Erlöse aus Teleshoppingangeboten können in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Finanzierung des Programmangebotes spielen 337 . Anzeigenblätter waren wegen des stabilen Beilagengeschäfts und der intensiveren Nutzung durch überregionale und nationale Handelskunden und Filialisten vom Einbruch der Werbekonjunktur weniger stark betroffen. 338 Tabelle 2.3.1.4: Brutto-Medien-Investitionen der 10 werbestärksten Branchen in Deutschland 2006 2006 in Mio. EUR Anteil am Gesamtwerbemarkt 2006 in Prozent Veränderung 2006/2005 in Prozent 1. Handelsorganisationen 1.969,0 9,8 +4 2. PKW 1.433,2 7,1 +4 3. Zeitungen-Werbung 1.174,3 5,8 +13 4. Publikumszeitschriften-Werbung 1.020,7 5,1 +5 5. Telekommunikation 932,2 4,6 +27 6. Finanzdienstleistungen 674,5 3,4 +13 7. Arzneimittel 617,4 3,4 +16 8. Schokolade und Zuckerwaren 560,5 2,8 -3 9. Sonstige Medien/Verlage 535,8 2,7 +6 10. TV-Werbung 499,4 2,5 +5 Branchen-Reihenfolge 2006 Quelle: Möbus/Heffler 2007, S. 284. Neuere Angaben lagen zum Redaktionsschluss noch nicht vor. Betrachtet man die Rangfolge der Branchen bei den Bruttoinvestitionen in Werbung, so zeigt sich, dass mittlerweile die Massenmedien selbst zu den wichtigsten Werbetreibenden gehören; dies weist auf einen intensiven Wettbewerb in dieser Branche hin (vgl. Tab. 2.3.1.4). Die wichtigsten Branchen für die Werbung sind Handelsorganisationen und die Automobilindustrie mit Werbeausgaben von 1,97 bzw. 1,43 Mrd. Euro im Jahr. 337 Die Erträge der Teleshopping-Anbieter haben sich 2006 mit 1,6 Mrd. Euro gegenüber 2003 verdoppelt; vgl. Seufert 2008, S. 64. 338 ZAW 2005, S. 237. 181 2. Medienübergreifende Aspekte 2.3.1.2 Die Entwicklung bei ausgewählten Werbeträgern 2.3.1.2.1 Tageszeitungen Den größten Anteil an den Umsatzrückgängen auf dem Werbemarkt verzeichnen die Tageszeitungsverlage. Zur Entwicklung auf dem Markt der Tageszeitungen lässt sich vor allem auf der Grundlage der Angaben des BDZV bzw. des ZAW ein Bild gewinnen. In den von Nielsen ermittelten Brutto-Werbeeinnahmen der Tageszeitungen werden die Erlöse aus dem Geschäft mit Rubrikanzeigen nicht ausgewiesen. Diese Einnahmen sind für Tageszeitungsverlage jedoch ein wichtiger Bestandteil ihrer Finanzierung, vor allem die Rubriken KfzMarkt, die Immobilienanzeigen und die Stellenmärkte spielten in der Vergangenheit eine wichtige Rolle für die Finanzierung des Zeitungsangebotes. Im Gegensatz zu den offenbar vor allem konjunkturell bedingt gefallenen Werbeerlösen z. B. bei den Zeitschriften handelt es sich beim Rückgang der Erlöse aus Rubrikanzeigen um einen strukturellen Verlust für die Tageszeitungen. Bei den überregionalen Tageszeitungen sind die Anzeigenumfänge seit 2000 um 58 Prozent zurückgegangen, bei den regionalen Tageszeitungen um 28 Prozent. (Tab. 2.3.1.5). Tabelle 2.3.1.5: Entwicklung der Anzeigenumfänge nach Branchen und Zeitungstypen Überregionale Zeitungen Anzeigenumfang in Millimeter indexiert (Jahr 2000 = 100) 2000 2003 2006 Regionale Abonnementzeitungen 2000 2003 2006 Werbeanzeigen Überregional 100 50,6 64,4 100 63,5 71,2 Lokal 100 91,9 42,3 100 92,5 90,0 Stellen 100 21,2 31,1 100 33,4 37,5 Immobilien 100 76,9 33,0 100 73,9 63,3 Kfz 100 61,9 18,0 100 67,3 64,9 Anzeigen insgesamt 100 54,5 42,0 100 73,9 71,7 Rubrikenanzeigen Quelle: ZAW; eigene Berechnungen. Insbesondere die Entwicklung der Stellenmärkte hat starke Auswirkungen auf die Erlössituation dieser Titel. Aus Sicht der Zeitungsverlage zeigt sich in diesem Bereich vor allem die Konkurrenz durch das Internet, wo mittlerweile eine Vielzahl von Angeboten die Möglichkeit eröffnet, entsprechende Suchanfragen oder Angebote komfortabel in Datenbanken einzugeben. Allerdings gelang es auch den traditionellen Konkurrenten der Tageszeitungen im Rubrikanzeigengeschäft, den Anzeigenblättern und dem lokalen und regionalen Hörfunk, in diesem Segment des Anzeigenmarktes Marktanteile zu gewinnen. Im Gegensatz zu den überregionalen Tageszeitungen gelingt es den lokalen und regionalen Titeln, im Immobilien- und Kfz-Bereich Anzeigenkunden zu halten. Hierzu trägt vor allem die lokale Verankerung der Angebote bei. Zu den Reaktionen der Tageszeitungsverlage auf die beschriebene Entwicklung zählt neben dem Bemühen, Kosten einzusparen, auch eine Optimierung des Angebotes für Werbekunden. So wird die nächste Generation der Druckmaschinen es erlauben, Prospektbeilagen lokal oder regional differenziert mit den Zeitungen zu verbreiten, so dass die Streuverluste in diesem Bereich in Zukunft sinken werden. 182 2.3. Werbefinanzierung 2.3.1.2.2 Publikumszeitschriften Ebenso wie bei den Tageszeitungen sanken auch bei den Publikumszeitschriften seit dem Jahr 2000 die Werbeumsätze. Der Rückgang fiel allerdings wesentlich schwächer aus, als dies bei den Zeitungen der Fall war. Die wichtigsten werbenden Branchen in Publikumszeitschriften sind die Massenmedien selbst, der AutoMarkt, Publikumswerbung der pharmazeutischen Industrie, Rubriken-Werbung und Fernsehveranstalter 339 . 2.3.1.2.3 Fernsehen Nach den Tageszeitungen ist das Fernsehen der zweitwichtigste Werbeträger in der Bundesrepublik. Auch bei diesem Medium ist seit dem Jahr 2003 eine allmähliche Entspannung der Entwicklung des Werbemarktes zu erkennen. Insgesamt konkurrieren in Deutschland mehr als 100 bundesweit verbreitete Fernsehangebote um Werbeerlöse, hinzu kommen ca. 250 lokale und regionale Anbieter, die werktäglich mindestens 30 Minuten Programm senden und zum Teil nur in regionalen Kabelnetzen zu empfangen sind 340 . Tabelle 2.3.1.7: Netto-Werbeumsätze des Werbefernsehens 1997-2007 (in Mio. EUR) Programme 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005* 2006* 2007* ARD 157,53 180,1 183,6 192,8 166,7 136,7 141,0 182,2 158,1 176,8 168,4 ZDF 157,48 159,5 160,9 178,8 147,8 116,1 111,3 111,6 101,9 125,3 116,7 n-tv - - 63,0 93,9 56,3 39,5 26,5 32,8 807,8 827,8 848,2 882,5 875,0 786,0 700,8 725,0 1.144,3 1.196,4 1.244,5 1.345,7 1.274,5 1.180,5 1.152,4 1.118,0 RTL II 208,1 213,2 227,0 293,9 255,1 214,3 223,2 209,5 Sat.1 849,3 909,1 943,8 982,2 858,0 795,0 777,3 778,0 3.669,6 3.812,2 3.870,7 52,6 63,4 83,8 92,7 91,1 86,6 91,7 98,5 Vox 130,8 152,4 165,9 190,0 198,3 216,7 230,4 224,8 Kabel1 134,5 161,6 194,3 227,0 219,0 198,0 193,7 193,0 Sonstige Private 160,8 178,2 203,0 229,7 327,2 187,0 144,4 187,0 Gesamt 3.803,1 4.041,7 4.317,6 4.705,2 4.469,0 3.956,4 3.811,3 3.860,4 3.929,6 4.114,3 4.155,8 Veränderung zum Vorjahr +7,8 % +6,3 % +6,8 % +9,1 % -5,1 % -11,5 % -3,7 % +1,3% +1,8% +4,7% +1,0% ProSieben RTL Super RTL * Seit 2005 werden die Netto-Werbeumsätze der privaten Fernsehveranstalter nicht mehr einzeln veröffentlicht. Quelle: ZAW. Die sinkenden Netto-Einnahmen der Veranstalter standen nur im Jahr 2001 in Zusammenhang mit einem sinkenden Umfang der Fernsehwerbung, gemessen in Werbeminuten. Da die Programmstrukturen mit den Sendeplätzen für die Werbespots nicht kurzfristig variiert werden, sahen sich die Fernsehveranstalter veranlasst, das Werbevolumen nicht weiter absinken zu lassen, sondern die Werbepreise deutlich zu senken. So ist in den Jahren 2000 bis 2003 der durchschnittliche Preis je 1.000 Zuschauerkontakte für einen 30-SekundenWerbespot von 19,08 Euro auf 16,56 Euro gesunken, inzwischen aber wieder angestiegen (vgl. Tab. 2.3.1.8). 339 Vgl. ZAW 2007, S. 261. 340 Vgl. ZAW 2007, S. 302 ff. 183 2. Medienübergreifende Aspekte Neben den klassischen Werbespots wird das Angebot von Sonderwerbeformen im Fernsehen kontinuierlich ausgebaut. Mittlerweile gibt es mehr als 20 verschiedene Varianten, die wichtigsten Neuentwicklungen in den letzten Jahren waren die Möglichkeiten, als Sponsor in Erscheinung zu treten und mit Hilfe von SplitScreen-Werbung parallel zum laufenden Programm Werbebotschaften zu transportieren. Tabelle 2.3.1.8: Werbespotaufkommen im Fernsehen 1998-2007 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 729,7 821,6 1.006,0 987,1 990,5 998,2 1.142,3 1.191,2 1.327,5 1.447,4 1.952,5 2.354,3 2.452,5 2.487,6 2.616,6 2.558,0 3.057,2 3.194,9 3.621,3 3.853,7 Durchschnittl. Spotlänge in Sek. 22 21 25 24 23 23 22 22 22 23 Durchschnittl. Werbepreis bei 30-Sek.-Spots je 1.000 Kontakte 17,58 17,92 19,08 18,41 17,52 16,56 16,60 17,38 18,80 19,67 TV-Werbeminuten, gesamt i. T. Anzahl TV-Werbespots, gesamt, i. T. Quelle: ZAW. 2.3.1.2.4 Hörfunk Auch die Hörfunksender mussten zwischen 2000 und 2003 einen Rückgang der Netto-Werbeerlöse verzeichnen, die Umsatzrückgänge sowohl für die öffentlich-rechtlichen als auch die privaten Programmanbieter fielen in vergleichbarer Höhe aus. Seit 2004 sind wieder Zuwächse zu verzeichnen. Die mit Abstand wichtigste Werbung treibende Branche im Hörfunk ist die Automobilwirtschaft, deren Investitionen 2006 bei 145,7 Mio. Euro lagen 341 . Tabelle 2.3.1.6: Netto-Werbeumsätze des Hörfunks 2000-2007 (in Mio. EUR) 2000 Netto-Werbeumsätze des Hörfunks in Mio. Euro – ohne Produktionskosten 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 732,9 678,0 595,1 579,2 618,0 663,7 680,5 692,1 +6,1 -7,5 -12,2 -2,7 +6,7 +7,4 +2,5 +1,7 RMS Radio Marketing Service 449,7 416,3 354,3 340,4 367,9 389,8 401,9 422,6 AS&S – ARD-Hörfunkwerbung und weitere Programme 257,6 224,2 212,5 204,9 216,6 236,6 244,8 245,2 25,7 37,5 28,3 33,9 33,5 37,3 33,7 24,4 Veränderungen zum Vorjahr in Prozent Gruppen von Programmen nach Vermarktern Weitere erfassbare private Programme Quelle: ZAW. 2.3.1.2.5 Kinowerbung Auch die Umsätze der Kinowerbung sind seit dem Jahr 2001 rückläufig; eine Trendwende ist bisher nicht erkennbar (s. Tab. 2.3.1.9). In den letzten Jahren haben vor allem die Spirituosenindustrie und die Tabakindust341 184 Vgl. ZAW 2007, S. 316. 2.3. Werbefinanzierung rie ihre Aufwendungen für die Kinowerbung deutlich reduziert 342 , möglicherweise in Erwartung kommender gesetzlicher Vorgaben (s. Abschnitt 2.3.3.3.1). Tabelle 2.3.1.9: Netto-Werbeumsätze in den Filmtheatern, ohne Produktionskosten 1997-2007 (in Mio. EUR) Werbefilme Dia/Kinospots Gesamt Veränderungen gegenüber Vorjahr (Prozent) 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 111,10 116,5 122,5 125,0 120,5 111,4 115,9 102,6 92,7 84,7 76,9 45,04 48,9 49,9 50,2 49,7 49,2 44,8 44,2 39,7 32,7 29,3 156,14 165,5 172,4 175,1 170,2 160,5 160,5 146,8 132,4 117,5 106,2 +1,8 +6,0 +4,2 +1,6 -2,8 -5,7 +0,1 -8,7 -9,8 -11,3 -9,6 Quelle: ZAW. 2.3.1.2.6 Online-Werbung Das Internet hat sich für viele Werbung treibende Unternehmen mittlerweile als Werbeträger etabliert. Eine zentrale Stellung unter den Werbeträgern im Internet haben neben den Online-Angeboten traditioneller Medien vor allem die Suchmaschinen, die als Orientierungshilfe im Netz dienen. Detaillierte Daten zur Entwicklung der Online-Werbung gibt es vor allem aufgrund der Meldungen von gut 500 Anbietern von OnlineWerbung bei der IVW. Auch wenn sie die Werbemöglichkeiten bei weitem nicht vollständig erfassen, sind doch allein für Dezember 2007 mehr als 26 Mrd. Seitenaufrufe registriert. Im Dezember 2006 waren es noch 12,5 Mrd. Zugriffe bei 460 gemeldeten Angeboten. Zu den werbestärksten Branchen gehörten 2006 Internetdienstleister, der Telekommunikationssektor und die Automobilhersteller. Die wichtigsten Werbung treibenden Unternehmen waren 2006 der Online-Auktionsanbieter eBay GmbH mit Investitionen von 31 Mio. Euro in Online-Werbung; es folgten das Telekommunikationsunternehmen Arcor mit 7,9 Mio. Euro und der Lotterieeinnehmer Tipp24 mit 5,1 Mio. Euro 343 . Tabelle .2.3.1.10: Netto-Werbeumsätze mit klassischer Online-Werbung, ohne Produktionskosten (Mio. EUR) 1997 Werbeumsätze Veränderungen zum Vorjahr in % 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 12,8 25,6 76,1 153,4 185,0 227,0 246,0 271,0 332,0 495,0 689,0 +400 +100 +200 +100 +21 +23 +8 +10 +23 +49 +39 Quelle: ZAW. Der Online-Vermarkterkreis OVK beziffert die Brutto-Werbeinvestitionen in der Online-Werbung für 2006 aufgrund eigener Hochrechnungen mit 1,9 Mrd. Euro, davon entfallen 904 Mio. Euro auf klassische Online-Werbung, 850 Mio. Euro auf Suchwortvermarktung und 155 Mio. Euro auf Affiliate-Netzwerke, bei denen die Werbemöglichkeiten kleiner Website-Betreiber gebündelt vermarktet werden, ohne dass es direkter Verträge zwischen ihnen und den Werbetreibenden bedarf. Für 2007 liegen bisher nur Prognosen vor; danach 342 Vgl. ZAW 2006, S. 349. 343 Vgl. ZAW 2007, S. 329. 185 2. Medienübergreifende Aspekte wird das Gesamtvolumen auf 2,7 Mrd. Euro veranschlagt, davon 1,3 Mrd. für klassische Online-Werbung, 1,2 Mrd. für Suchwortvermarktung und 210 Mio. für Affiliate-Networks 344 . 2.3.1.2.7 Neue Formen der Werbung Die technische Entwicklung eröffnet die Möglichkeit, neue Formen der Werbung zu entwickeln, die in crossmedialen Strategien das Publikum erreichen. So wird in der Zukunft die Werbung über Mobilfunknetze erheblich an Bedeutung gewinnen. Aufgrund der Befürchtung, dass die Zuschauer durch den Einsatz digitaler Technik Werbung leichter aktiv umgehen können, ist auch eine Zunahme der Integration von Produkten in Programme etwa durch Product Placement zu erwarten (zu diesbezüglichen europarechtlichen Vorgaben sh. 2.3.3.1.1). Beispiele für Geräte, die solche Funktionen enthalten, sind Werbeblocker und Personal Video Recorder. Da die Massenmedien selbst eine wichtige Werbung treibende Branche sind, ist auch zu erwarten, dass die inhaltlichen crossmedialen Verknüpfung von unterschiedlichen Angeboten weiter zunehmen werden, um so die Aufmerksamkeit des Publikums zu gewinnen. 2.3.2 Werbeakzeptanz in der Bevölkerung Ein wichtiges Thema für die Werbung treibende Wirtschaft ist die Nutzung und Akzeptanz der Werbung in den Massenmedien. Im Rahmen der Mediennutzung können es die Rezipienten praktisch nicht vermeiden, auf Werbung und Werbebotschaften zu stoßen. In einer repräsentativen Befragung im Herbst 2006 gaben 62 Prozent der Befragten an, dass es generell zu viel Werbung gibt; 19 Prozent fanden die Menge an Werbung gerade richtig, und nur 3 Prozent meinten, es könnte ruhig noch etwas mehr Werbung geben. 345 Werbung in Beilagen und Prospekten sowie Anzeigenblättern wird überwiegend akzeptiert oder sogar geschätzt, im Radio und insbesondere auf dem Handy wird sie deutlich abgelehnt. Die fehlende Akzeptanz der Unterbrecherwerbung im Fernsehen führt zum Phänomen des Ab- oder Umschaltens am Beginn eines Werbeblocks. In einer Befragung im Sommer 2006 gaben nur 16 Prozent der Befragten an, sich die Werbung aufmerksam anzuschauen, weitere 32 Prozent schauen sich demnach nur die Werbung an, die ihnen auffällt und sie interessiert. Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, die Werbepause zum Durchschalten oder für andere Dinge zu nutzen oder sogar während der Werbung den Raum zu verlassen. 346 Dieses so genannte Zapping als Werbevermeidungsstrategie wird in der Zukunft möglicherweise bei einer Digitalisierung der Fernsehübertragung durch Empfangsgeräte technisch unterstützt, so dass verstärkt Formate eingesetzt werden, die eine Integration von Werbebotschaften in laufende Programme erlauben, etwa in Form von Split-Screen-Werbung., die auch vom Publikum akzeptiert wird. 347 2.3.3 Recht und Regulierung Die meisten privaten Medienunternehmen finanzieren sich zu einem großen Teil aus Werbeeinnahmen, was den Bereich der Werberegulierung zu einer wichtigen Stellschraube im Hinblick auf die Medienentwicklung macht. Die Fortschreibung der Werbevorschriften im Berichtszeitraum ist geprägt von der Anpassung an veränderte Rahmenbedingungen und neue technische Möglichkeiten der Einfügung von Werbung, gerade diese 344 OVK 2007, S. 4. 345 Vgl. http://www.imas-international.de/html/marken-_und_kommunikationsbaro.html. 346 Vgl. http://www.imas-international.de/html/marken-_und_kommunikationsbaro.html. 347 Gleich 2005. 186 2.3. Werbefinanzierung neuen Möglichkeiten stellen aber auch den Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm vor neue Herausforderungen. 2.3.3.1 Rechtsrahmen Bei der Werberegulierung ist zu beachten, dass die Werbebotschaft selbst Grundrechtsschutz nicht nur nach Art. 12 Abs. 1 GG, sondern – wenn sie einen Beitrag zur Meinungsbildung leistet – auch durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießen kann. 348 Darüber hinaus fällt die Finanzierung von Medienunternehmen unter den Schutz von Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG. Auf der anderen Seite ist zu beachten, dass die „Umwegfinanzierung“ über Werbung Programmstruktureffekte mit sich bringt, die im Hinblick auf die Gewährleistung freier öffentlicher Kommunikation einer Gegenregulierung oder sogar einer Begrenzung bedürfen. Dies wird für den Rundfunk angenommen, ist aber keineswegs auf ihn begrenzt. Ziel der Werbevorschriften ist dabei das Verhindern von übermäßiger Beeinflussung der Medieninhalte durch Werbung und der Schutz der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung seitens des Rezipienten durch die Trennung der Werbung von redaktionellen Inhalten sowie deren deutliche Erkennbarkeit. Da Werbung auf die Beeinflussung des von dem Rezeptionsakt abgelösten Verhaltens der Rezipienten, etwa die Entscheidung zum Kauf eines Produkts, zielt, ist sie darüber hinaus Gegenstand von staatlichen Regelungen des Verbraucher-, Umwelt- und Gesundheitsschutzes. 2.3.3.1.1 Europarechtliche Grundlagen Für den Rundfunkbereich bedeutsam sind die in der AVMD-Richtlinie (früher: Fernsehrichtlinie) enthaltenen Regeln (Art. 1, 3 e, 3 f, 3 g, 10, 11, 18, 18 a, 19 und 20), die aber der Umsetzung durch die Mitgliedstaaten bedürfen. Ziel dieser werbebezogenen Regeln des Rundfunkrechts ist überwiegend die Sicherung der Funktionsfähigkeit der Rundfunkordnung mit dem Trennungsgrundsatz und Transparenzpflichten als Grundprämissen. Nach längeren Diskussionen im Rahmen der Novellierung der EG-Fernsehrichtlinie zu einer Audiovisuellen Mediendienste-Richtlinie wurde letztendlich die Vorschrift des Art. 3 g mit verabschiedet, nach der die nationalen Rundfunkgesetze Produktplatzierungen unter bestimmten Voraussetzungen zulassen können. Daneben sieht das EU-Recht eine Reihe weiterer, spezifischer Werbevorschriften im Bereich von Alkoholund Tabakprodukten sowie Lebensmitteln vor (zum Tabakwerbeverbot s. Kap. 2.3.3.3.1). 2.3.3.1.2 Nationale Vorschriften Werbevorschriften finden sich – je nach Medium – in unterschiedlichen Gesetzeswerken (Landespressegesetze bzw. Landesmediengesetze, Rundfunkstaatsvertrag, Telemediengesetz). So gelten für die Presse die Vorgaben des jeweiligen Landespressegesetzes, die regelmäßig lediglich den Trennungsgrundsatz und eine Kennzeichnungspflicht für entgeltliche Veröffentlichungen vorsehen. Pressespezifische gesetzliche Restriktionen gibt es daneben nicht, die Durchsetzung des Trennungsgrundsatzes und einer lauteren Werbepraxis erfolgt über Institutionen der Selbstkontrolle und – in erster Linie – durch das Wettbewerbsrecht. Neben diesen beiden Grundsätzen – Trennung und Kennzeichnung –, die über § 7 Abs. 3 RStV auch für den Fernseh- und Hörfunkbereich gelten und von dem Verbot der Schleichwerbung in § 7 Abs. 6 RStV flankiert werden, sieht das Rundfunkrecht daneben eine Reihe weiterer konkreter Anforderungen inhaltlicher und quantitativer Art vor: So gilt im Rundfunk allgemein das Verbot bezahlter Werbung politischer, weltanschaulicher und religiöser Art (§ 7 Abs. 8 RStV) 349 . Unzulässig ist daneben nach § 7 Abs. 3 S. 2 RStV der Einsatz 348 BVerfGE 71, 162 (175). 349 Für Wahlwerbesendungen gelten Sondervorschriften, vgl. § 42 RStV sowie für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk z. B. § 15 NDR-StV. 187 2. Medienübergreifende Aspekte von unterschwelligen Werbetechniken („sublimale Werbung“). Aus dem Jugendschutzrecht (s. Kap. 2.6) ergeben sich weitere inhaltliche Anforderungen an Werbung, etwa das Verbot der Ausnutzung der noch nicht voll entwickelten Medienkompetenz von Kindern gem. § 6 Abs. 2 und Abs. 4 JMStV. Im Bereich der quantitativen Werberegelungen gelten für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Vergleich relativ strenge Werbebegrenzungen: Sonn- und Feiertagswerbung ist verboten, im Fernsehfunk ist Werbung auf 20 Minuten werktäglich, gesendet in der Zeit bis 20.00 Uhr, beschränkt. Im Hörfunkbereich dürfen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkveranstalter in der Regel 60 Minuten Werbung werktäglich nicht überschreiten. Die Begrenzung des Werbeumfangs für die öffentlich-rechtlichen Anstalten dient dabei in erster Linie der Gewährleistung einer möglichst großen Meinungsvielfalt durch Unabhängigkeit von massenattraktiven Programmen. Private Veranstalter unterliegen zeitlichen Werbebeschränkungen (§§ 44, 45 RStV), wonach sie grundsätzlich verpflichtet sind, die Sendezeit für Werbung auf 20 Prozent der täglichen Sendezeit zu begrenzen (inkl. z.B. Teleshopping-Blöcke; dagegen nur 15 Prozent für Werbespots). Für Werbung in Telemedien sehen das TMG und der RStV lediglich die Grundsätze vor, dass Werbung – nach TMG so genannte „kommerzielle Kommunikation“ – als solche klar erkennbar (§ 6 Abs. 1 Nr. 1 TMG) und vom übrigen Angebot eindeutig getrennt sein muss (§ 58 Abs. 1 RStV). Auch für Telemedien gilt insofern der Grundsatz, dass eine Unterscheidbarkeit von publizistischen und wettbewerbsbezogenen Kommunikationsinhalten für den Nutzer gewährleistet bleiben muss. Bei Telemedien müssen deren Auftraggeber gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2 TMG ebenfalls klar erkennbar sein. Daneben gelten Irreführungs- bzw. Verschleierungsverbote für Werbung, die über E-Mail versandt wird (s. auch unten Kap. 2.3.3.2.2). Öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten dürfen in Telemedien keine Werbung anbieten (vgl. § 4 Abs. 3 S. 2 ARD-StV/ZDF-StV/DLRStV). 2.3.3.1.3 Nicht-staatliche Regulierung Mit dem Deutschen Werberat 350 hat sich im Bereich der Werbung eine stark institutionalisierte Selbstregulierung etabliert. Der Deutsche Werberat stellt freiwillige Verhaltensregeln auf, die den lauteren Wettbewerb in besonders gesellschaftsrelevanten Bereichen unterstützen sollen. Zu derartigen Maßnahmen gehören etwa Verhaltensregeln in den Bereichen „Werbung mit und vor Kindern“, „Werbung für alkoholische Getränke“ oder „Werbung mit unfallriskanten Bildmotiven“. Als Aufsichtsinstrumente steht der Institution zunächst die Stellungnahme zur Verfügung. Wird daraufhin eine Kampagne nicht zurückgezogen, so kann der Werberat eine öffentliche Rüge aussprechen. Beschwerdeberechtigt ist jedermann. 350 188 http://www.werberat.de. 2.3. Werbefinanzierung Tabelle 2.3.3.1: Konfliktmanagement Deutscher Werberat 1997-2007 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Anzahl der Proteste 330 306 401 1.139 694 1.985 606 929 788 1.116 686 Fälle vor dem Werberat 181 168 188 268 305 270 255 254 258 229 269 Werbemaßnahmen geändert 59 66 82 90 96 75 45 43 67 63 79 Werbemaßnahmen öffentlich gerügt 6 2 6 3 3 6 7 7 3 2 3 Durchsetzungsquote der Beschwerdeführer in Prozent 36 40 47 35 32 30 20 20 27 28 30 Beanstandungen durch den Werberat: Quelle: ZAW. 2.3.3.2 Änderungen im Berichtszeitraum Große praktische Auswirkungen im Berichtszeitraum hatten die Anpassungen der Werbevorschriften durch den Vierten und Fünften Rundfunkänderungsstaatsvertrag, durch die der geänderte Rechtsrahmen neue Werbeformen ausdrücklich gestattet, aber auch Möglichkeiten der Umgehung entgegenwirken sollte. Daneben führte das Telemediengesetz strafbewehrte Vorschriften für den Bereich der Werbung ein, die über E-Mail versandt wird. 2.3.3.2.1 Rundfunkänderungsstaatsverträge Die Novellierung der EG-Fernsehrichtlinie 1997 und die Umsetzung des Änderungsprotokolls zur Europaratskonvention über das grenzüberschreitende Fernsehen machten Änderungen an nationalen Vorschriften erforderlich, die der Vierte Rundfunkänderungsstaatsvertrag 351 mit seinem In-Kraft-Treten am 1. April 2000 umsetzte. Mit der Erweiterung der Definitionen in § 2 RStV um die Begriffe Werbung, Schleichwerbung, Sponsoring und Teleshopping übernahm der Vierte Rundfunkänderungsstaatsvertrag die Begriffsbestimmungen der Fernsehrichtlinie in den Rundfunkstaatsvertrag. Hierdurch soll eine Auslegung der Werbevorschriften anhand der europäischen Rechtsprechung und Auslegungspraxis sichergestellt werden. Die Werbevorschriften (§§ 7 f., 15 f, 44 ff. RStV) greifen diese zugrundeliegenden Begriffsdefinitionen wieder auf. Der bisherige Geltungsbereich der Werbevorschriften wird dabei auch auf Teleshopping ausgedehnt. Neu eingefügt wurden Vorschriften zur Teilbelegung des Bildschirms mit Werbung, die so genannte Split-Screen-Werbung. Nach § 7 Abs. 4 RStV sind derartige Werbeformen (außer bei der Übertragung von Gottesdiensten sowie bei Kindersendungen) zulässig, solange die Werbung optisch bzw. im Hörfunk akustisch deutlich von dem redaktionellen Programm getrennt und als solche gekennzeichnet ist (§ 7 Abs. 3). Auch der Entwicklung im Bereich der virtuellen Werbung, also der nachträglichen Einfügung von Werbung in eine Sendung oder der Änderung von Werbeeinblendungen durch Nachbearbeitung, wurde mit dem 4. RÄStV Rechnung getragen. Mit § 7 Abs. 6 S. 2 wurde erstmalig klargestellt, dass virtuelle Werbung erlaubt 351 S. etwa GVBl. HH 2000 Nr. 7 v. 01.03.2000, S. 43; GVBl. Berlin 2000 Nr. 10 v. 15.03.2000, S. 257; GVBl. NRW 2000 Nr. 26 v. 12.05.2000, S. 393. 189 2. Medienübergreifende Aspekte ist, sofern am Anfang und am Ende der betreffenden Sendung auf den Einsatz virtueller Werbung hingewiesen wird und durch sie eine am Ort der Übertragung ohnehin bestehende Werbung ersetzt wird (etwa Bandenwerbung in Fußballstadien). Aufgrund von EU-Vorgaben wurde daneben das Sponsoring von Sendungen durch Unternehmen der Tabakindustrie sowie Unternehmen der pharmazeutischen Wirtschaft verboten bzw. eingegrenzt (§ 8 Abs. 4 und 5). An den bisher gesetzlich erlaubten Werbezeiten und dem Werbeumfang wurde festgehalten, allerdings wurde das Gebot der Blockwerbung durch § 44 Abs. 2 S. 2 bzw. § 15 Abs. 2 S. 2 RStV leicht entschärft, da demgemäß einzelne Werbe- oder Teleshopping-Spots erlaubt sind, wenn sie auch die Ausnahme bilden sollen. Neu eingefügt wurden Vorschriften zu Teleshopping-Fenstern und zur Behandlung von Eigenwerbesendungen. Art. 20 der EG-Fernsehrichtlinie (jetzt: Art. 20 AVMD-Richtlinie) sieht vor, dass die Mitgliedstaaten in Bezug auf regionale oder lokale Fernsehveranstalter von den Vorgaben der Richtlinie in Bezug auf die Werbevorschriften abweichen können. Von diesem Spielraum machte der 5. RÄStV 352 Gebrauch, indem dort eine Bestimmung in den RStV eingefügt wurde, wonach die Landesgesetze Ausnahmen von den Werberegelungen für regionale und lokale Fernsehveranstalter vorsehen können (§ 46 a RStV), um die Finanzierung solcher Angebote zu erleichtern. Daneben sah der 7. RÄStV ergänzende Regelungen für die Nichtanrechenbarkeit von Warnhinweisen der Heilmittelwerbung auf die Dauer der Werbezeit vor. 2.3.3.2.2 Telemediengesetz Der neu eingeführte § 6 Abs. 2 TMG verpflichtet den Absender von E-Mail-Werbung zu erhöhten Transparenzpflichten. So darf in der Kopf- und Betreffzeile weder der Absender noch der kommerzielle Charakter der Nachricht verschleiert oder verheimlicht werden, indem der Empfänger über Absender oder kommerziellen Inhalt der Nachricht in die Irre geführt wird. Die Vorschrift ist zusätzlich bußgeldbewehrt. 2.3.3.3 Sonstige rechtliche Entwicklungen 2.3.3.3.1 EU-Tabakwerbeverbot Mit dem In-Kraft-Treten der Tabakwerberichtlinie 353 am 20. Juni 2003 hat die EU einen europäischen Rechtsrahmen für Tabakwerbung erlassen, durch den die Werbung in Medien für Tabakerzeugnisse grundsätzlich und bis auf wenige Ausnahmen verboten wird. Die Richtlinie ersetzt die Richtlinie 98/43/EG, die 2000 vom Europäischen Gerichtshof nach einer Klage der Bundesregierung für unvereinbar mit dem EG_Vertrag erklärt wurde 354 . Die Bundesregierung hatte auch gegen die neue Richtlinie Klage beim EuGH eingereicht und beantragt, die Artikel 3 und 4 mit dem Ziel für nichtig zu erklären, dass rein nationale Werbung vom Tabakwerbeverbot ausgenommen wird; Die Klage wurde vom EuGH als unbegründet abgewiesen. 355 . Im Vorfeld der Klageabweisung beschloss der Bundestag das Erste Gesetz zur Änderung des Tabakgesetzes 356 , auf dessen Grundlage die Werbung für Tabakerzeugnisse in Presse und anderen gedruckten Ver- 352 S. etwa GVBl. NRW 2000 Nr. 53 v. 15.12.2000, S. 706; GVBl. S-H. 2000 Nr. 18, S. 638; GVBl. Hess. 2000 v. 24 04.10.2000, S. 474. 353 Richtlinie 2003/33/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Mai 2003 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Werbung und Sponsoring zu Gunsten von Tabakerzeugnissen, ABl. EG Nr. L 152 v. 20. Juni 2003, S. 16 ff. 354 EuGH, Urt. v. 5.10.2000 -- Rs C-376/98, EuZW 2000, S. 694 ff. 355 EuGH, 12.12.2006 - C-380/03, EuZW 2007, S. 46 ff. 356 Erstes Gesetz zur Änderung des Vorläufigen Tabakgesetzes v. 21.12.2006, BGBl. I S. 3365. 190 2.3. Werbefinanzierung öffentlichung sowie in Diensten der Informationsgesellschaft seit dem 22.12.2006 verboten ist (§ 21 a). Ausnahmen gelten für Werbung in Produkten bzw. Angeboten, die ausschließlich für im Tabakhandel tätige Personen bestimmt ist, oder außereuropäische Medien, deren Veröffentlichung nicht auschließlich für den EUMarkt bestimmt ist. 2.3.3.3.2 Kartellrechtliche Schritte gegen Werbevermarkter Mit einer Strafzahlung in Höhe von insgesamt 216 Millionen Euro endete ein Verfahren des Bundeskartellamts im November 2007 gegen die Werbevermarkter von ProSiebenSat.1 (Sevenone Media) und RTL (IP Deutschland), die gemeinsam mehr als 85 Prozent des Fernsehwerbemarktes halten. Grund für die kartellrechtlichen Strafen waren so genannte Share-Deals der Vermarkter: Diese hatten Medienagenturen hohe Rabatte dann eingeräumt, wenn diese einen Großteil ihrer Werbung bei diesen Vermarktern buchen. Das Kartellamt sah es als erwiesen an, dass der Werbefernsehmarkt dadurch für kleinere Sender abgeschottet wird und der Marktzugang insgesamt erschwert wird. 191 2. Medienübergreifende Aspekte 2.3.4 Quellenangaben zu Kapitel 2.3 Gleich, Uli (2005): Neue Werbeformate im Fernsehen. Media Perspektiven 1/2005, S. 33-36. IMAS International (2007): Marken- und Kommunikationstrend. Online zugänglich unter http://www.imasinternational.de/html/marken-_und_kommunikationsbaro.html (auszugsweise abgedruckt in Horizont). Möbus, Pamela; Michael Heffler (2007): Der Werbemarkt 2006. In: Media Perspektiven 6/2007, S. 282-289. OVK Online-Vermarkterkreis (2007): OVK Online-Report 2007/02. Online zugänglich unter http://www.ovk.de/all/dl/ovk_onlinereport_200702.pdf. Seufert, Wolfgang (2008): Wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland 2006/2007. Berlin. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2001a): Deutscher Werberat. Jahrbuch 2001. Berlin. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2002a): Deutscher Werberat. Jahrbuch 2002. Berlin. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2003a): Deutscher Werberat. Jahrbuch 2003. Berlin. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2004a): Deutscher Werberat. Jahrbuch 2004. Berlin. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2005a): Deutscher Werberat. Jahrbuch 2005. Berlin. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2006a): Deutscher Werberat. Jahrbuch 2006. Berlin. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2007a): Deutscher Werberat. Jahrbuch 2007. Berlin. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2008a): Deutscher Werberat. Jahrbuch 2008. Berlin. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (1996): Werbung in Deutschland 1996. Bonn. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2001): Werbung in Deutschland 2001. Bonn. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2002): Werbung in Deutschland 2002. Bonn. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2003): Werbung in Deutschland 2003. Bonn. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2004): Werbung in Deutschland 2004. Bonn. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2005): Werbung in Deutschland 2005. Bonn. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2006): Werbung in Deutschland 2006. Berlin. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2007): Werbung in Deutschland 2007. Berlin. Zentralverband der Werbewirtschaft (ZAW, Hrsg.) (2008): Werbung in Deutschland 2008. Berlin. 192 2.4 NACHRICHTENAGENTUREN 2.4.1 BEDEUTUNG DER NACHRICHTENAGENTUREN ......................................................... 194 2.4.2 WETTBEWERB IM AGENTURMARKT............................................................................. 194 2.4.3 STRUKTUR DES NACHRICHTENMARKTES .................................................................. 196 2.4.4 ENTWICKLUNGSTRENDS DES NACHRICHTENMARKTES ....................................... 197 2.4.5 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 2.4.............................................................................. 198 Tabellenverzeichnis Tabelle 2.4.3.1: Abonnenten der größten Nachrichtenagenturen unter den Tageszeitungen mit Vollredaktionen Tabelle 2.4.3.2: Anzahl der abonnierten Agenturen bei Tageszeitungen mit Vollredaktionen 193 2. Medienübergreifende Aspekte 2.4.1 Bedeutung der Nachrichtenagenturen Nachrichtenagenturen stellen als „Nachrichtengroßhändler“ eine zentrale Infrastruktur für die Informationsleistung der Medien dar. Sie beliefern Medienkunden mit einer großen Auswahl aktueller Nachrichten, die diese für ihre Zwecke auswählen und weiter bearbeiten. Darüber hinaus beliefern Agenturen als „Informationsmakler“ zunehmend auch Unternehmen, Verbände oder politische Akteure mit Branchendaten und themenspezifischen Informationen. Bei der Auslandsberichterstattung und im überregionalen Bereich, den die kleineren Medienunternehmen nicht mit eigenen Korrespondenten abdecken können, spielen Agenturen als zentrale Informationsquellen eine wichtige Rolle. Da sich die Preise bei den Printkunden nach der verkauften Auflage und bei den elektronischen Medien nach den Reichweiten richten, verfügen auch kleinere Medienunternehmen über einen vergleichsweise günstigen Zugriff auf weltweite Informationen. Agenturjournalismus gilt v. a. wegen der Vielfalt der Abonnenten als besonders unabhängig und stellt damit eine vergleichsweise zuverlässige Informationsquelle für die Medienkunden dar 357 . Im Hinblick auf die Umsetzung der Rechtschreibreform haben die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen sich verständigt, wie sie die Freiräume der offiziellen Regeln ausfüllen wollen. Seit dem 1. August 2007 tragen sie durch ein gleichartiges Vorgehen dazu bei, die Rechtschreibung weiter zu vereinheitlichen, als es die Reform verlangt. 358 Die Wörterbuch-Verlage Duden und Wahrig bieten nun ihrerseits Rechtschreibprogramme an, mit denen sich diese „Agenturschreibweisen“ umsetzen lassen. 2.4.2 Wettbewerb im Agenturmarkt Aus der Perspektive publizistischer Vielfalt ist die Nachrichtenversorgung durch wenige Agenturen allerdings problematisch, da hier wenige Unternehmen erheblichen Einfluss auf die Nachrichtengebung in Deutschland ausüben. Journalisten wiesen zu 90 Prozent den Agenturen als Quellen bei der Themensuche erhebliche Wichtigkeit zu 359 . Außerdem zeigt eine Reihe von Studien, dass durch die häufige Übernahme von Agenturmaterial ohne weitere Überprüfung oder redaktionelle Bearbeitung Agenturnachrichten in eine Vielzahl von Medienprodukten gelangen 360 . Die Agenturen befinden sich in Deutschland nach internationalen Maßstäben in einer Sonderstellung, da in keinem anderen Land der Welt so viele Nachrichtenagenturen im Wettbewerb zueinander stehen – Deutschland gilt als der am härtesten umkämpfte Nachrichtenmarkt. 361 Die größten Nachrichtenagenturen mit deutschsprachigen Angeboten sind die Deutsche Presse-Agentur (dpa), Associated Press (AP), Agence France-Presse (AFP), Reuters (rtr) und der Deutsche Depeschendienst (ddp). Sie unterhalten Büros mit deutschsprachigen Informationsdiensten in Deutschland und zahlreichen anderen Ländern. Als so genannte „Primäragentur“ beliefert die dpa fast alle deutschen Medienunternehmen. Außerdem werden häufig eine oder mehrere zusätzliche „Komplementäragenturen“ gebucht. Zusätzlich zu den deutschen Diensten der Weltagenturen operieren in Deutschland weitere fremdsprachige Agenturen sowie Spezialagenturen mit bestimmten Themenschwerpunkten. Weitere bedeutende Agenturen sind u. a. der „Evangelischer Pressedienst“ (epd) mit ca. 80 und die „Katholische Nachrichtenagentur“ (KNA) 357 Wilke 2000. 358 Lediglich die Schweizerische Depeschenagentur (sda) hat sich entschieden, weiterhin nach eigenen Regeln vorzugehen, vgl. http://www.die-nachrichtenagenturen.de. 359 Reinemann 2003, S. 220. 360 Vgl. Hagen 1995, S. 18 ff. 361 Vgl. Segbers 2007, S. 39. 194 2.4. Nachrichtenagenturen mit etwa 30 fest angestellten Redakteuren und der 1945 gegründete Sport-Informations-Dienst (sid) mit 75 festen Mitarbeitern 362 .Die Vereinigten Wirtschaftsdienste (vwd) wurden 2004 aufgespalten. Der Teil, der die Medien mit Wirtschaftsnachrichten belieferte, wurde mit 120 Mitarbeitern vom Dow Jones Newswire übernommen; von der verbleibenden vwd group werden nun Börseninformationen und Software für Marktanalysen angeboten. Tabelle 2.4.3.1: Abonnenten der größten Nachrichtenagenturen unter den Tageszeitungen mit Vollredaktionen 1983 1993 2003 2006 dpa 124 (98,4%) 139 (99,3%) 131 (97,8%) 132 (95,7%) AP 73 (57,9%) 93 (66,4%) 79 (59,0%) 68 (49,3%) AFP 8 (6,3%) 27 (19,3%) 38 (28,4%) 65 (47,1%) ddp 30 (23,8%) 14 (10,0%) 55 (41,0%) 59 (42,8%) 55 (41,0%) 50 (36,2%) ADN Reuters 23 (16,4%) 28 (22,2%) 53 (37,9%) Quelle: IW-Medienspiegel Oktober 2006, S. 1. Jüngere Daten waren bis zum Redaktionsschluss nicht verfügbar. Die Deutsche Presse-Agentur (dpa) ist klarer Marktführer auf dem deutschen Nachrichtenmarkt. Sie ging 1949 aus dem Zusammenschluss der „Deutschen Nachrichtenagentur“, der „Südwestdeutschen Nachrichtenagentur“ und dem „Deutschen Pressedienst“ in den westlichen Besatzungszonen hervor. Die etwa 200 Kunden sind gleichzeitig die Gesellschafter, Hauptsitz ist Hamburg. Insgesamt beliefert die dpa fast 96 Prozent der Tageszeitungen mit Vollredaktionen (s. Tab. 2.4.3.1). Der größte Anteil des Umsatzes wird mit dem Tageszeitungsgeschäft gemacht. Zum dpa-Nachrichtenangebot gehört der Basisdienst, mit dem dpa das bei weitem umfangreichste und am breitesten gefächerte Nachrichtenangebot aller deutschsprachigen Nachrichtenagenturen bereitstellt, allerdings kommen die neuen Bundesländer nur am Rande vor 363 . Hinzu kommen zwölf Landesdienste, Auslandsdienste in englischer, spanischer und arabischer Sprache, der Hörfunknachrichten- und Audio-Dienst, Fernsehdienste, Bilderdienste, Wirtschaftsdienst, Kurznachrichtendienst, Schlagzeilen für Mobiltelefone, Grafiken und Online-Produkte sowie Sonderdienste wie etwa Terminvorschau, Gedenktagekalender, Wissenschaftsdienst. Daneben gibt es das Tochterunternehmen news aktuell mit seinem ots Originaltextservice zur Verbreitung von Pressemitteilungen an Redaktionen und andere Interessierte. Nach den Kündigungen von sechs Privatfunkkunden 1999 und dem kurzzeitigen Boykott durch zwölf Tageszeitungen 2003 hat sich die Lage stabilisiert: Die Kunden hatten die hohen Preise und die geringe Flexibilität der Buchungsmöglichkeiten moniert und am 25. Juni 2003 aus Protest einen Tag lang keine dpaMeldungen abgedruckt. Die Bezugsbedingungen wurden seither deutlich flexibler gestaltet. Der Umsatz ist von 2002 bis 2006 um 10 Prozent zurückgegangen, die Zahl der Mitarbeiter wurde im gleichen Zeitraum von 892 auf 769 reduziert. Die deutsche AP GmbH ist eine 100-prozentige Tochter der amerikanischen, als gemeinnützige Genossenschaft organisierten „Associated Press“. Seit 1946 beliefert AP Medienkunden von Berlin aus mit einem deutschsprachigen Dienst. In Deutschland steht die AP auf Platz zwei mit 70 Redakteuren in 16 Büros und beliefert mit ihrem Dienst 49 Prozent der Vollredaktionen – zehn Prozent weniger als noch 2003. Im Basis362 Vgl. Segbers 2007, S. 54 ff. 363 Vgl. die Analyse des Nachrichtenangebots der Agenturen dpa, AP, Reuters und AFP bei Wilke 2007. 195 2. Medienübergreifende Aspekte dienst dominiert die klassische Nachricht, insbesondere die Auslandsberichterstattung. Neben der Politik wird gezielt auch die Rubrik „Vermischtes“ bedient. Neben dem Textdienst bietet AP einen Bilder- und einen Grafikdienst an sowie einen Fernsehnachrichtendienst, jedoch keine Landesdienste. Die AFP GmbH, eine 100-prozentige Tochter der „Agence France-Presse“ bietet seit 1947 einen deutschsprachigen Dienst an, seit 1987 mit Sitz in Bonn, seit 1999 in Berlin. Sie ist die drittgrößte Nachrichtenagentur der Welt (nach AP und Reuters); die Kontrolle des Unternehmens liegt bei den Hauptnutzern, bei Dominanz der französischen Presse. Dabei garantiert das gesetzlich verankerte AFP-Statut die Unabhängigkeit von Staat und Privateigentümern. Die Neusser „Sport-Informationsdienst GmbH und Co. KG“ (sid) ist seit 1997 eine 100-prozentige Tochter der AFP. Für den deutschen Dienst arbeiten etwa 50 Redakteure in elf Büros. Die Agentur beliefert 36 Prozent der Vollredaktionen. Sie bietet Nachrichtentext und Online-Content, Bilder-, Grafik- und Spezialdienste sowie Datenbankangebote. Der Basisdienst wird dominiert von internationaler Politik und internationalen Akteuren, häufig ohne Bezug zu Deutschland, aber mit einer Stärke in der EUBerichterstattung. Die britische Agentur Reuters (rtr) betreibt seit 1971 einen deutschen Dienst. Hauptsitz der Agentur „Reuters AG“ ist Frankfurt am Main. Inhaltlicher Schwerpunkt ist der Bereich Wirtschaft und Finanzdienstleistungen, dort agieren auch die meisten Kunden der Agentur. Der Medienbereich macht dagegen nur zehn Prozent des Umsatzes aus. Als Agentur mit einem großen Anteil an Wirtschaftsdiensten war Reuters stark von der Wirtschaftskrise und von dem Zusammenbruch des „Neuen Marktes“ betroffen. In dessen Folge haben viele Firmen ihre Verträge über die Zulieferung von Unternehmens-, Markt- und Börseninformationen gekündigt. 2003 wurden 19 Prozent der Belegschaft entlassen. In Deutschland arbeiten etwa 140 Redakteure für die Agentur. 36 Prozent der Vollredaktionen der Tagespresse werden durch den Dienst erreicht – ein deutlicher Rückgang gegenüber 2003. Inhaltlich ist dies im Zusammenhang mit einer zunehmenden Fokussierung des Nachrichtenangebots auf die Themen Wirtschaft und Finanzen zu sehen, so dass Reuters oft nur bei größeren Redaktionen als dritte oder vierte Agentur in Betracht kommt. Neben dem Textdienst werden Bilder-, Grafik-, und Online-Dienste sowie ein Fernsehdienst (Reuters TV) und diverse Sonderdienste für Wirtschaftsinformationen angeboten. Der Deutsche Depeschendienst (ddp) bietet keine Auslandsberichterstattung, ist aber bei der Inlandsberichterstattung eine wichtige Konkurrenz für dpa. Der ddp ist aus dem Zusammenschluss von „Deutscher Depeschen Dienst“ – 1971 von Mitarbeitern des eingestellten deutschen UPI-Dienstes gegründet – und ADN, der ehemaligen Nachrichtenagentur der DDR, entstanden. Nach einem Verkauf an Wolf E. Schneider 1994 und einer Übernahme durch die ProSieben-Gruppe 1998 wurde das verlustreiche Unternehmen 2003 für den symbolischen Preis von einem Euro an das ddp-Management abgegeben. 2004 wurde es insolvent und von der Starnberger Finanzfirma Arques Industries übernommen, die das Unternehmen nun als saniert ansieht und an Ausstieg denkt 364 . Der ddp beschäftigt etwa 160 Redakteure in 27 Büros und beliefert 43 Prozent der Zeitungs-Vollredaktionen. 2.4.3 Struktur des Nachrichtenmarktes Die meisten Tageszeitungen und Rundfunkanbieter abonnieren mindestens eine Agentur, wobei sich 2006 von den Tageszeitungen 365 lediglich 25 tatsächlich auf einen Dienst beschränkten, während jeweils ein Drittel zwei oder drei Agenturen gebucht hatte (vgl. Tabelle 2.4.3.2). Rund 13 Prozent nutzten die Meldungen von vier Agenturen, und gut acht Prozent hatten sogar fünf oder sechs Agenturen abonniert. Vor allem größere Zeitungen leisten sich deutlich mehr Agenturen als ihre kleineren Konkurrenten. Insgesamt lässt sich bis 2003 364 Segbers 2007, S. 53. 365 Für den Rundfunkbereich liegen keine vergleichbaren Daten vor. 196 2.4. Nachrichtenagenturen ein Trend zu einer Ausweitung der Anzahl abonnierter Agenturen feststellen, seitdem hat aber die Zahl der Zeitungen mit nur einer Nachrichtenagentur wieder zugenommen. Tabelle 2.4.3.2: Anzahl der abonnierten Agenturen bei Tageszeitungen mit Vollredaktionen 1983 1993 2003 2006 Eine Agentur 35 (27,8%) 25 (17,9%) 17 (12,7%) 25 (18,1%) Zwei 60 (47,6%) 61 (43,6%) 46 (34,3%) 33 (23,9%) Drei 24 (19,0%) 29 (20,7%) 43 (32,1%) 48 (34,8%) Vier 7 (5,6%) 15 (10,7%) 17 (12,7%) 21 (15,2%) - 10 (7,2%) 11 (8,2%) 11 (8,0%) 126 (100%) 140 (100%) 134 (100%) 138 (100%) Mehr als vier Agenturen Vollredaktionen insgesamt Quelle: IW-Medienspiegel Oktober 2006, S. 1. Jüngere Daten waren bis zum Redaktionsschluss nicht verfügbar. 2.4.4 Entwicklungstrends des Nachrichtenmarktes Der Wettbewerb zwischen den Agenturen findet nach wie vor auf der Ebene der Komplementäragenturen statt. Trotz des koordinierten kurzzeitigen Boykotts der dpa-Meldungen durch mehrere Zeitungen ist die marktbeherrschende Stellung bislang nicht gefährdet. Mit dem Insolvenzantrag der ddp im September 2004 wurde das Ausmaß des wirtschaftlichen Drucks deutlich, unter dem die Agenturen seit 2001 standen. Austauschverträge über Text-, Bild- und Ton-Dokumente, aber auch strategische Allianzen bei der technischen Weiterverbreitung überlagern die Wettbewerbsbeziehungen. Außerdem wurden Angebotspakete verkleinert, Büros geschlossen und Mitarbeiter entlassen. Inzwischen scheint sich die Lage zu stabilisieren. Die Agenturen reagieren mit einer weiteren Diversifizierung: Sowohl hinsichtlich der Kunden als auch hinsichtlich der Dienste findet eine erhebliche Differenzierung statt, um flexibel auf unterschiedliche Kundenwünsche eingehen zu können. Zu dem Kundenstamm zählen zunehmend auch Wirtschaftsunternehmen, Verbände oder Parteien. Die Angebote umfassen in der Regel fertige Pakete zu bestimmten Themen oder Service-Informationen. Außerdem können alle Arten von themenspezifischen Selektivdiensten gebucht werden. 197 2. Medienübergreifende Aspekte 2.4.5 Quellenangaben zu Kapitel 2.4 Hagen, Lutz M. (1995): Informationsqualität von Nachrichten. Meßmethoden und ihre Anwendung auf die Dienste von Nachrichtenagenturen. Opladen. Nachrichtenagenturen: AFP gewinnt viele Kunden. In: IW-Medienspiegel 10/2006, S. 1. Reinemann, Carsten (2003): Medienmacher als Mediennutzer. Kommunikations- und Einflussstrukturen im politischen Journalismus der Gegenwart. Köln/Weimar/Wien. Segbers, Michael (2007): Die Ware Nachricht. Wie Nachrichtenagenturen ticken. Konstanz. Wilke, Jürgen (2007): Das Nachrichtenangebot der Nachrichtenagenturen im Vergleich. In: Publizistik 3/2007, S. 329 ff. Wilke, Jürgen (2000): Kommunikative Funktionen der Agenturarbeit. In: Leonhard, Joachim-Felix; Ludwig, HansWerner; Schwarze, Dietrich; Straßner, Erich (Hrsg.): Medienwissenschaft. 2. Teilband, Berlin/New York. 198 2.5 URHEBERRECHTE 2.5.1 WIRTSCHAFT UND ORGANISATION ............................................................................... 200 2.5.1.1 2.5.1.2 2.5.1.3 2.5.1.4 2.5.2 RECHT UND REGULIERUNG.............................................................................................. 201 2.5.2.1 2.5.2.1.1 2.5.2.1.2 2.5.2.2 2.5.2.3 2.5.2.3.1 2.5.2.3.2 2.5.2.3.3 2.5.3 NEUE NUTZUNGSWEISEN ..................................................................................................... 200 TREND ZUR MULTIMEDIALEN AUSWERTUNG ....................................................................... 200 ILLEGALE NUTZUNG ............................................................................................................ 201 URHEBERRECHTLICHE AKTEURSSTRATEGIEN ...................................................................... 201 RECHTSRAHMEN .................................................................................................................. 202 Internationale und europäische Einflüsse........................................................................... 202 Nationales Urheberrecht..................................................................................................... 203 INTERESSENAUSGLEICH IM URHEBERRECHT ........................................................................ 204 NOVELLIERUNGEN UND REFORMEN IM BERICHTSZEITRAUM ............................................... 204 1. Korb der Urheberrechtsreform 2003 .............................................................................. 205 Urhebervertragsrechts-Novelle........................................................................................... 206 2. Korb der Urheberrechtsreform ....................................................................................... 207 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 2.5.............................................................................. 211 199 2. Medienübergreifende Aspekte 2.5.1 Wirtschaft und Organisation Bei praktisch allen Medienschaffenden entstehen auf der Produktionsseite Urheber- bzw. Leistungsschutzrechte, dabei nutzen sie häufig auch Werke Dritter, die ihrerseits Schutz genießen. Die Einräumung von Nutzungsrechten bzw. Lizenzen an Dritte stellt einen in der wirtschaftlichen Praxis bedeutsamen Rechtehandel dar, da auf diese Weise der Rahmen ermöglicht wird, innerhalb dessen z. B. Vertriebsakteure wie Rundfunksender oder Musiklabels die medialen Inhalte der Produzierenden vervielfältigen und verbreiten bzw. senden. 2.5.1.1 Neue Nutzungsweisen Verändern sich Technik, Nutzungsgewohnheiten oder Geschäftsmodelle im Bereich der öffentlichen Kommunikation, so verändert sich auch die Art der Nutzung der Werke. Mit dem Aufkommen von öffentlich zugänglichen, aber nicht „gesendeten“ Inhalten im Internet begann eine neue Phase der Nutzung, die Fragen ihrer urheberechtlichen Einordnung nach sich zog. Zeitversetzte und mobile Nutzung von Rundfunkprogrammen kann als weiterer Trend bezeichnet werden. Die fortlaufende Entwicklung neuer Nutzungsweisen treibt die Branche an, zeigt aber auch die Notwendigkeit eines ebenso verlässlichen wie entwicklungsfähigen urheberechtlichen Rahmens. 2.5.1.2 Trend zur multimedialen Auswertung Für das Publikum verlieren die Unterschiede zwischen den technischen Verbreitungsformen an Bedeutung, dafür tritt die jeweilige Nutzungssituation in den Vordergrund. Dies eröffnet für die Medienunternehmen strategische Optionen, die sich in zwei extremen Varianten zuspitzen lassen: Bei dem Versuch, für ein massenattraktives Angebot eine möglichst hohe Reichweite zu erzielen, ist eine Belegung von mehreren möglichst reichweitenstarken Kommunikationskanälen sinnvoll, durch die viele Kontakte hergestellt werden können. Da die reichweitenstarken Kanäle neben der Erzielung von Erlösen auch zur Generierung von Bekanntheit genutzt werden, kann der Anbieter zur Verbesserung seiner Verhandlungsposition einen Teil seiner Erlöse gegen Aufmerksamkeit durch einen prominenten Sendeplatz oder Zeitpunkt „eintauschen“ und damit den Verbreitern der Inhalte preislich entgegenkommen. Dies ist z. B. der Fall, wenn Fernsehprogramme gleichzeitig Aufmerksamkeit für andere Produkte generieren, etwa für Kinofilme oder Videospiele. Eine solche kostenintensive Strategie kann nur für einen kurzen Zeitraum aufrechterhalten werden, deshalb wird der Anbieter versuchen, die erzielte maximale Aufmerksamkeit zu nutzen, um besonders hochpreisige Varianten des Angebotes in verschiedenen Formaten zu präsentieren. Die Unternehmen, die solche Projekte in Angriff nehmen, bemühen sich, durch genaue zeitliche Planung eine Konkurrenz zwischen diesen Aufmerksamkeitsmagneten zu vermeiden. Eine geschickte Variation dieser Strategie ist die Kreation von Folgeprodukten oder Miniserien in zeitlicher Abstimmung des Durchlaufs der einzelnen Teile durch die Verwertungskette, wenn z. B. der erste Teil einer Spielfilmtrilogie im reichweitenstarken TV angekommen ist, kann dies zur Aufmerksamkeitssteigerung für den zweiten Teil im Pay-TV oder auf DVD und den dritten Teil im Kino erzeugen. Weniger zeitsensibel, aber ebenso Erfolg versprechend, ist eine multimediale Auswertung von Zielgruppenangeboten. Hier tritt an die Stelle des „Alle mit irgendetwas erreichen“ ein „Die Richtigen mit allem erreichen“. Die Richtigen sind in diesem Fall die Zielgruppe, die man in ihren jeweiligen kommunikativen Kontexten für ein bestimmtes Angebot begeistern kann und die sich aufgrund ihrer starken Affinität für das Angebot dazu bewegen lassen, mehrfach Geld für das Angebot in unterschiedlichen Varianten zu bezahlen. Fans sind oft bereit, für spezielle Editionen, limitierte Auflagen etc. erheblich über dem durchschnittlichen Preis der jeweiligen Produktkategorie zu zahlen. Diese beiden Varianten von Auswertungsstrategien lassen sich auch miteinander kombinieren oder in unterschiedlichen Abstufungen modifizieren. 200 2.5. Urheberrechte 2.5.1.3 Illegale Nutzung Ist beim Publikum der Wunsch geweckt, in den Besitz kommunikativer Angebote zu kommen, muss dies nicht in allen Fällen mit der Bereitschaft einhergehen, den geforderten Preis zu bezahlen. Da das Vorliegen der Angebote in digitaler Form eine Kopie leicht möglich macht, ist ein technischer Schutz der Angebote und damit der Interessen der Urheber, etwa durch Einsatz von Digital Rights Management-Systemen (DRM) nur schwer sicherzustellen und stößt auf Nutzerseite zudem auf geringe Akzeptanz 366 . Die durch die digitale Technik möglichen praktisch identischen Kopien beinhalten zudem die Gefahr der professionellen Vervielfältigung gerade bei den reichweitenorientierten Angeboten. Insbesondere die Musikwirtschaft, aber zunehmend auch die Filmindustrie und das Verlagswesen beklagen, ihre Geschäftsmodelle seien strukturell gefährdet (zum Ausmaß s.o. Kap. 1.2.2 und 1.3.2.3). In einigen Bereichen der Konvergenzbranchen werden die Verluste durch Raubkopien bereits bei der Preisbildung für die Angebote berücksichtigt, etwa bei Computerspielen und bei Software. 2.5.1.4 Urheberrechtliche Akteursstrategien Aufgrund der intensiven Konkurrenz zwischen den Inhalteanbietern auf den verschiedenen Verbreitungswegen sind die Anbieter attraktiver Inhalte in der Lage, hohe Preise für die Nutzung ihrer Inhalte durchsetzen zu können. Auf diesem Weg kommt es in immer größerem Ausmaß zu einer Differenzierung der Auswertungsvarianten, die entweder bereits von den Rechteinhabern selbst oder von spezialisierten Unternehmen vorgenommen wird. Die Summe der für die Einzelrechte erzielten Preise liegt dabei in der Regel über den im Paket zu erzielenden Erlösen. Aufgrund des großen wirtschaftlichen Risikos, das nicht nur durch die Rechtekosten, sondern auch durch bei der Herstellung der Angebote für die unterschiedlichen Verbreitungs- und Auswertungsformen anfallenden Produktionskosten entsteht, bemühen sich die Unternehmen – auch in urheberrechtlicher Hinsicht – um eine Minimierung durch die Bildung von Netzwerkstrukturen. Dies beginnt in vielen Fällen schon vor und während der Produktion. Mehrere Unternehmen übernehmen in einem solchen Netzwerk jeweils spezifische Aufgaben und sichern sich gegenseitig durch Verträge ab. Diese Netzwerkentwicklung wird bis zur lokalen und regionalen Auswertung durchgehalten, wenn z. B. für bestimmte Formate oder Verbreitungsgebiete Partner für die Auswertung gesucht werden. Im Fall attraktiver Inhalte gelingt es den Anbietern häufig, ihre starke Verhandlungsposition dafür zu nutzen, kleinere Partner in vergleichsweise geringerem Maße am Erfolg zu beteiligen, sie aber im Fall eines Misserfolges am Risiko teilhaben zu lassen. 2.5.2 Recht und Regulierung Das Urheberrecht schützt das geistige Eigentum der kreativ Schaffenden. Es basiert u.a.auf der Annahme, dass eine florierende Produktion hochwertiger Werke, wie Texte, Filme, Fotos oder Computerprogramme, nur entsteht, wenn diese durch starke Schutzrechte gesichert werden. Das Urheberrecht wird durch die Eigentumsgarantie in Art. 14 des Grundgesetzes garantiert. 367 Es verleiht dem Urheber das ausschließliche Recht, sein Werk auf jede Art und Weise zu nutzen und an jeder wirtschaftlich relevanten Nutzung finanziell beteiligt zu werden. Neben dieser wirtschaftlichen Komponente sichert das Urheberrecht auch ideelle Interessen. Durch das Urheberpersönlichkeitsrecht wird der Urheber vor Nutzungen des Werkes geschützt, die ihn in seinen persönlichen und geistigen Beziehungen zum Werk verletzen (etwa ungenehmigte Veröffentlichungen oder entstellende Veränderungen). 366 Vgl. Bohn 2006. 367 Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 31, 229, 239 – Kirchen- und Schulgebrauch. 201 2. Medienübergreifende Aspekte An den Reformen des Urheberrechts lässt sich ablesen, wie komplex das Interessengeflecht bei der Gestaltung eines Urheberrechts ist, das neben dem Schutz der Kreativen auch Anreize für Kreativität, faire Chancen zur Partizipation an Wissen und kulturellen Werken und offene mediale und wissenschaftliche Reflexion angemessen zu berücksichtigen trachtet. 2.5.2.1 Rechtsrahmen 2.5.2.1.1 Internationale und europäische Einflüsse Das Urheberrecht ist eine traditionell internationale Rechtsmaterie. Seit jeher wurden Filme in den USA gedreht und in Europa im Kino gezeigt, Bücher in England geschrieben und in Australien verkauft. Durch die Entwicklung digitaler Technologien und vor allem des Internets hat die internationale Bedeutung des Urheberrechts jedoch eine neue Dimension angenommen. Immaterielle Güter (Werke) können nunmehr von jedermann ohne großen Aufwand über das Netz der ganzen Welt zugänglich gemacht werden. Vor diesem Hintergrund wird zunehmend versucht, das Urheberrecht international zu etablieren und zu vereinheitlichen. Schon seit mehr als hundert Jahren existieren internationale, multilaterale völkerrechtliche Urheberrechtsabkommen. Das älteste dieser Abkommen ist die revidierte Berner Übereinkunft (RBÜ) aus dem Jahr 1886. Seit Anfang der 1990er-Jahre ist auch die Europäische Union auf dem Gebiet des Urheberrechts sehr aktiv. Bislang wurden insgesamt acht EU-Richtlinien 368 verabschiedet, um eine möglichst weit gehende Einheitlichkeit der Urheberrechtsregelungen in den europäischen Mitgliedstaaten zu erreichen. In diesem Sinne harmonisiert wurden unter anderem die Vorschriften über Computerprogramme, Datenbanken, die Schutzfrist, Kabel- und Satellitensendungen und Internet-Rechte. Besonders bedeutsam für die nationale Rechtsentwicklung im Berichtszeitraum ist die sog. Information-Society- oder Multimedia-Richtlinie aus dem Jahr 2001 (RL 2001/29/EG). Diese Richtlinie diente unter anderem der Umsetzung der sog. WIPO-Verträge 369 aus dem Jahr 1996, die erstmals auf internationaler Ebene Vorgaben zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft enthielten. Die Multimedia-Richtlinie beinhaltet eine Reihe von bedeutenden Neuerungen für das Urheberrecht, wie zum Beispiel die Regelung des Rechts der öffentlichen Zugänglichmachung (das Online-Recht), den Schutz gegen Umgehung technischer Maßnahmen (wie DRM-Systeme oder Kopierschutztechnologien) und einen abschließenden Katalog zulässiger Schrankenbestimmungen, die urheberrechtliche Nutzungsfreiheiten vorsehen. Die Multimedia-Richtlinie wurde in Deutschland durch das „Erste Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ („Erster Korb“) sowie das „Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft“ („Zweiter Korb“) umgesetzt. Der Rege- 368 RL 91/250/EWG des Rates vom 14. Mai 1991 über den Rechtsschutz von Computerprogrammen, ABl. L 122 vom 17.5.1991; RL 92/100/EWG des Rates v. 19.11.1992 über das Vermietrecht und Verleihrecht sowie bestimmte dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte im Bereich des geistigen Eigentums, ABl. Nr. L 346/61; RL 93/83/EWG des Rates v. 27.9.1993 zur Koordinierung bestimmter urheber- und leistungsschutzrechtlicher Vorschriften betreffend Satellitenrundfunk und Kabelweiterverbreitung, ABl. Nr. L 248/15; RL 93/98/EWG des Rates v. 29.10.1993 zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte, ABl. Nr. L 290/9; RL 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 11.3.1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken, ABl. Nr. L 77/20; Richtlinie 2001/84 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. September 2001 über das Folgerecht des Urhebers des Originals eines Kunstwerkes, ABl. L 272 vom 13.10.2001; RL 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates v. 22.5.2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft, ABl. Nr. L 167/10; RL 2004/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums, ABl. Nr. L 157 vom 30. April 2004. 369 Der „WIPO Copyright Treaty (WCT)“ regelt Aspekte des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, während der „WIPO Performances and Phonograms Treaty (WPPT)“ solche der verwandten Schutzrechte von ausübenden Künstlern und Tonträgerherstellern betrifft. Beide Verträge sollen als Zusatzabkommen die in die Jahre gekommene RBÜ modernisieren. 202 2.5. Urheberrechte lungsspielraum des deutschen Gesetzgebers für diese äußerst wichtige und umstrittene Reform des deutschen Urheberrechts war aufgrund der Umsetzungspflichten aus der Richtlinie erheblich eingeschränkt. Noch im Gesetzgebungsverfahren befindet sich die nationale Umsetzung der Richtlinie 2004/48/EG, der sog. „Enforcement- oder Durchsetzungsrichtlinie“. Gegenstand dieser Richtlinie ist die Harmonisierung von Verfahren und Rechtsbehelfen, die erforderlich sind, um die Durchsetzung der Rechte des geistigen Eigentums sicherzustellen. Wie alle Richtlinien zielt sie auf eine größtmögliche Harmonisierung in der EU ab. Dadurch sollen zum einen die Rechte des geistigen Eigentums gestärkt werden und zum anderen das reibungslose Funktionieren des Binnenmarktes gewährleistet werden. Die Richtlinie knüpft dabei an das Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte des Eigentums (TRIPS) vom 15. April 1994 370 an, geht aber in einzelnen Fällen über das TRIPS-Übereinkommen hinaus. Die Bundesregierung hat am 4.1.2007 den Gesetzesvorschlag vorgelegt, mit dem die Vorgaben der Enforcement-Richtlinie in deutsches Recht umgesetzt werden sollen. Im April 2007 wurde der Gesetzentwurf mit einer Stellungnahme des Bundesrates und einer Gegenäußerung der Bundesregierung in den Bundestag eingebracht. 371 Der Bundestag hat den Entwurf bei der ersten Beratung am 26.4.2007 ohne Aussprache an den federführenden Rechtsausschuss und den Ausschuss für Wirtschaft und Technologie überwiesen. Die Umsetzungsfrist ist am 29. April 2006 abgelaufen. 2.5.2.1.2 Nationales Urheberrecht Im deutschen Recht wird das Urheberrecht durch das Urheberrechtsgesetz (UrhG)372 geregelt. Hiernach sind nur solche Werke geschützt, die eine „persönliche geistige Schöpfung“ darstellen. Nur individuellen Werken kommt ein Urheberrecht zu, nicht aber reinen Alltagsschöpfungen, also dem „was jeder so gemacht hätte“. Trotz dieses Erfordernisses sind die Anforderungen an den Urheberrechtsschutz im Allgemeinen sehr gering. Auch wenig originelle Zweckgestaltungen, die so genannte „kleine Münze“, sind regelmäßig urheberrechtsfähig. Dies gilt zum Beispiel für einfache Popmusik, simple Computerprogramme oder Sachtexte. Das Urheberrecht ist kein (reines) Kulturschutzrecht. Dies zeigt sich allein daran, dass das Urheberrechtsgesetz neben den Werken auch andere Leistungen schützt. Die so genannten verwandten Schutzrechte oder Leistungsschutzrechte sichern – neben den urheberrechtsähnlichen Rechten der ausübenden Künstler, wie Schauspielern oder Musikinterpreten – vor allem die Investitionen der Tonträger-, Datenbank- und Filmhersteller sowie der Sendeunternehmen. Das Urheberrecht entsteht durch den tatsächlichen Akt der Schöpfung. Ist eine kreative Leistung erbracht, besteht hieran ein Urheberrecht, ohne dass dies beantragt oder registriert werden müsste. Das Recht entsteht nach dem so genannten Schöpferprinzip beim Urheber, also demjenigen, der die geistige Schöpfung erbracht hat. Das Urheberrecht selbst ist auch nicht übertrag- oder verzichtbar. Der Urheber kann durch die (meist vertragliche) Einräumung von Nutzungsrechten anderen lediglich die Verwertung des Werkes gestatten. In der Praxis lassen sich Werkverwerter wie Plattenfirmen, Verlage oder Filmhersteller meist weit gehende, ausschließliche Nutzungsrechte übertragen. Solche Rechtsübertragungen können so weit gehen, dass der Urheber danach selbst gehindert ist, das Werk zu nutzen. Der Werkverwerter tritt dann in die Rechtsstellung des Urhebers nahezu vollständig ein und genießt damit – vorbehaltlich der urheberpersönlichkeitsrechtlichen Befugnisse – annähernd den gleichen Schutz wie zuvor der Schöpfer. Diese Praxis relativiert den ersten Eindruck, 370 BGBl. 1994 II S. 1730. 371 Gesetzentwurf der Bundesregierung: Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Durchsetzung von Rechten des geistigen Eigentums, BT-Drs. 16/5048. 372 Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte vom 9. September 1965, BGBl. I S. 1273, zuletzt geändert durch das Zweite Gesetz zur Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und anderer Gesetze vom 13. Dezember 2007, BGBl. I S. 2897. 203 2. Medienübergreifende Aspekte das Urheberrecht diene vordringlich den Kreativen. Faktisch entwickelt es sich zunehmend zu einem Schutzrecht der Entertainment- und Verlagswirtschaft. Die dem Urheber vorbehaltenen Rechte werden als Verwertungsrechte bezeichnet. Wie die Werkarten werden auch die Verwertungsrechte im Gesetz nur beispielhaft aufgezählt, um dem Urheber jede – auch neu entstehende – wirtschaftlich relevante Nutzung des Werkes vorzubehalten. Internet-Nutzungen beispielsweise wurden erst im Rahmen einer Gesetzesreform im Jahr 2003 ausdrücklich in das Urheberrechtsgesetz aufgenommen. Schon zuvor war jedoch unstreitig, dass dem Urheber die alleinige Entscheidungsbefugnis darüber zusteht, ob sein Werk im Internet zugänglich gemacht wird. Für die Vermittlung mancher Nutzungsrechte sind die Verwertungsgesellschaften, wie zum Beispiel die GEMA, die GVL, die VFF oder die VG WORT, zuständig. Diese nehmen die den Urhebern und Rechteinhabern zustehenden Rechte treuhänderisch für diese wahr und schütten die dort zentral auflaufenden Vergütungen an die Mitglieder aus. Ein Beispiel ist die Kopierabgabe, die auf jede Fotokopie erhoben wird. Die Kopierladenbetreiber zahlen diese an die jeweilige Verwertungsgesellschaft, die sie wiederum an ihre Mitglieder (Urheber, Verlage) ausschüttet. Für den Erwerber von Rechten erfüllen die Verwertungsgesellschaften in ihrem Aufgabenbereich die wichtige Funktion eines zentralen Lizenzgebers. Wer etwa Musik auf seine Webseite stellen will, kann die hierfür notwendige Befugnis von der GEMA erhalten. Wäre dies nicht möglich, müsste man von einer Vielzahl von Rechteinhabern (Komponisten, Textdichter, Interpreten, Tonträgerhersteller) einzelne Rechte erwerben. 2.5.2.2 Interessenausgleich im Urheberrecht Das Urheberrecht wird – wie auch das Sacheigentum – nicht grenzenlos gewährt. Vielmehr sieht das Urheberrechtsgesetz (UrhG) so genannte Schrankenbestimmungen vor, nach denen bestimmte Nutzungshandlungen auch ohne Zustimmung des Rechteinhabers gestattet sind. Eine für den persönlichen Alltag besonders wichtige Regelung ist die Privatkopie. Diese ermöglicht es urheberrechtlich geschützte Werke - unter bestimmten Voraussetzungen, vgl. § 53 UrhG – zu privaten Zwecken zu vervielfältigen, also etwa Fernsehsendungen aufzunehmen oder CDs zu brennen. Andere Schrankenbestimmungen erlauben z. B. Zitate oder die Nutzung im Rahmen der Berichterstattung über aktuelle Ereignisse. Anders als das Eigentum an Sachen währt das Urheberrecht nicht ewig. Auch die zeitliche Begrenzung des Urheberrechts dient dem Ausgleich der Interessen der Urheber und der Verwertungsindustrie auf der einen und denen der Allgemeinheit auf der anderen Seite. Basierend auf der Erkenntnis, dass der Zugang zu und die Nutzung von geistigen Errungenschaften von besonderer Bedeutung für die Allgemeinheit sind, werden diese mit Ablauf von 50 bzw. 70 Jahren nach dem Tod des Urhebers gemeinfrei (Schutzfrist). Danach ist es jedermann gestattet, das Werk auf jede Art und Weise frei zu verwenden. 2.5.2.3 Novellierungen und Reformen im Berichtszeitraum Im Zusammenhang mit dem Umsatzrückgang in den letzten Jahren ist von Seiten der Musikwirtschaft in der Vergangenheit auf mangelnden Schutz gegen Urheberrechtsverletzungen durch Brennen von CDs oder Internetdownloads verwiesen worden. Auswirkungen auf die Tonträgerindustrie hatten dann auch insbesondere die Anpassungen des Urheberrechtsgesetzes durch die Änderungen des Urhebervertragsrechts 2002 373 und durch den so genannten „1. Korb“ der UrhG-Novelle im Jahr 2003. 374 Das Zweite Gesetz zur Regelung des Urhe- 373 Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern vom 22.3.2002, BGBl. I S. 1155. 374 Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003, BGBl. I S. 1774, ber. BGBl. 2004 I S. 312. 204 2.5. Urheberrechte berrechts in der Informationsgesellschaft, der so genannte „2. Korb“ der UrhG-Novelle, trat am 01. Januar 2008 in Kraft. 375 . Zu der rechtspolitischen Diskussion über die sog. Hörfunk-Quote s. Kap. 1.4.4.2.6. 2.5.2.3.1 1. Korb der Urheberrechtsreform 2003 Der 1. Korb der Urheberrechtsreform hat die Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlamentes und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte umgesetzt. Diejenigen Fragestellungen, bei denen die Richtlinie keine zwingenden Vorgaben macht, wurden dem Zweiten Gesetz zur Regelung des Urheberrechts vorbehalten. 2.5.2.3.1.1 Nutzungsrecht des „öffentlichen Zugänglichmachens“ Die Verwertungsbefugnisse des Urhebers sind vor dem Hintergrund neuer Verwertungsformen nicht abschließend geregelt (§ 15 UrhG), der Anwendungsbereich des UrhG erfasst daher auch neue elektronische Verwertungsformen. Mit der Novelle des UrhG wurde das Recht der öffentlichen Zugänglichmachung (§ 19 a UrhG) als besondere Verwertungsform, für die z. T. besondere Regelungen gelten, in die ausdrücklich aufgezählten Verwertungsrechte aufgenommen, was insbesondere im Online-Bereich im Hinblick auf den Musikvertrieb im Internet gegenüber § 15 Abs. 2 UrhG klarstellenden Charakter besitzt: Durch § 19 a UrhG wird es Autoren, Künstlern und Tonträgerherstellern nun ausdrücklich ermöglicht, die Auswertung von Musikaufnahmen in „Music on Demand“-Diensten und anderen elektronischen Distributionsformen von Musik wie etwa Filesharing zu erlauben oder zu verbieten. In der Praxis war ein derartiges Verwertungsrecht allerdings bereits zuvor allgemein anerkannt. 2.5.2.3.1.2 Privatkopie und Schutz technischer Maßnahmen Ein weiterer wichtiger Punkt bei der Novellierung des UrhG ist die Klarstellung der grundsätzlichen Zulässigkeit der Privatkopie und den Einsatz technischer Schutzmaßnahmen. Gemäß § 53 Abs. 1 UrhG ist die Herstellung von analogen und digitalen Kopien zum privaten Gebrauch zulässig, sofern sie weder unmittelbar noch mittelbar Erwerbszwecken dienen und soweit nicht eine offensichtlich rechtswidrig hergestellte Vorlage, also etwa aus illegalen Download-Angeboten, verwendet wird. Für die Hersteller von Kopiergeräten (z. B. Kopierer, CD-Brenner, DVD-Brenner) und bespiel- oder beschreibbaren Medien (z. B. CD-Rohlinge, DVDRohlinge etc.) sieht das UrhG nach wie vor Geräte- und Leermedienabgaben vor. Den Rechteinhabern bleibt darüber hinaus die Möglichkeit unbenommen, technische Maßnahmen zum Kopierschutz einzusetzen, solange die entsprechenden Verkaufsprodukte den Käufer bzw. Nutzer darüber informieren (Kennzeichnungspflicht, § 95 d UrhG). Derartige Kopierschutztechnologien dürfen gemäß § 95 a UrhG nicht umgangen werden. Vor diesem Hintergrund untersagt § 95 a Abs. 3 UrhG ausdrücklich jede Form der Verbreitung von Umgehungstechnologien oder der Anleitung zum Umgehen von Kopierschutzmaßnahmen. Dieses Verbot ist teilweise kritisiert worden 376 und sorgt für wissenschaftliche Diskussionen. 377 Eingeschränkt werden die Vorschriften zu den technischen Schutzmaßnahmen durch die Vorschriften zur Durchsetzung von Schranken (§ 95 b UrhG). Das Gesetz sieht für bestimmte Nutzungen Ausnahmen von den urheberrechtlichen Vorschriften vor, so etwa im Bereich von Wissenschaft, Bildung und Lehre. Um diese Schranken des Urheberrechts nicht durch technische Schutzmaßnahmen ad absurdum zu führen, schreibt § 95 b UrhG zur Durchsetzung dieser Schranken vor, dass die Rechteinhaber den entsprechenden Nutzer- 375 BGBl. 2007 I S. 2513. 376 Vgl. Holznagel/Brüggemann 2003. 377 S. etwa Berger 2004, Hoeren 2003, Mayer 2003, Jani 2003, Pichlmaier 2003, Senftleben 2003. 205 2. Medienübergreifende Aspekte gruppen Möglichkeiten zu schaffen haben, um von den sie privilegierenden Bestimmungen entsprechenden Gebrauch machen zu können. 2.5.2.3.1.3 Neuregelung der Berechnung der Schutzfrist für Tonträgerhersteller Auch die Berechnung der Schutzfristen für Tonträger wurde durch die UrhG-Novelle erneuert. Nach Ablauf der Schutzfristen ist das entsprechende Material nicht mehr urheberrechtlich geschützt. Die 50-jährige Schutzfrist für die Rechte der Tonträgerhersteller beginnt mit dem Erscheinen des Tonträgers zu laufen (§ 85 UrhG). Ist der Tonträger dagegen nicht erschienen, aber rechtmäßig öffentlich wiedergegeben (z. B. aufgeführt oder gesendet) worden, beginnt die Frist mit dieser ersten öffentlichen Wiedergabe. Ist der Tonträger weder erschienen noch rechtmäßig öffentlich wiedergegeben worden, so endet der Schutz 50 Jahre nach der Herstellung der Tonträgeraufnahme. 2.5.2.3.1.4 Novellierung der Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler Neben dem Urheberrecht, das dem Urheber eines Werkes zusteht, regelt das Urheberrechtsgesetz auch die Leistungsschutzrechte, dem Urheberrecht verwandte Schutzrechte, die Personen zustehen, welche Werke aufführen oder wiedergeben (z. B. Musiker, Schauspieler). Die Leistungsschutzrechte der ausübenden Künstler sind durch die UrhG-Novelle vollständig neu geregelt worden (§§ 73 ff. UrhG). Durch die Reform wird die Rechtsstellung der ausübenden Künstler der der Urheber insgesamt angenähert. Darüber hinaus erhalten auch die ausübenden Künstler hinsichtlich ihrer Darbietungen das neue „Recht der öffentlichen Zugänglichmachung“ als Ausschließlichkeitsrecht. Außerdem wird als neues Recht der Anspruch auf „Anerkennung als ausübender Künstler“ geschaffen. 2.5.2.3.2 Urhebervertragsrechts-Novelle Bislang wurden die Regelungen zum Urhebervertragsrecht nur vereinzelt im UrhG aufgegriffen. Das wirtschaftliche Ungleichgewicht zwischen den Beteiligten begründet aber die Gefahr, dass strukturell ein Vertragspartner begünstigt, der andere dagegen benachteiligt wird. Der Gesetzgeber hat darauf mit einer Reform des Urhebervertragsrechts reagiert: Mit dem Gesetz zur Stärkung der vertraglichen Stellung von Urhebern und ausübenden Künstlern ist das Urhebervertragsrecht reformiert worden. Ziel des Gesetzes war die Verbesserung der Stellung der Urheber und ausübender Künstler, insbesondere durch einen gesetzlichen Anspruch auf eine der Werknutzung entsprechende angemessene Vergütung im Rahmen der branchenbezogenen, von Urheberverbänden und Verwertern bzw. Verlagen vorher gemeinsam festgelegten Vergütungsregeln. Nach § 11 Satz 1 UrhG schützt das Urheberrecht den Urheber in seinen geistigen und persönlichen Beziehungen zum Werk und in der Nutzung des Werkes. Der neu eingefügte § 11 Satz 2 stellt jetzt klar, dass es zugleich der Sicherung einer angemessenen Vergütung für die Nutzung des Werkes dient. Die angemessene Vergütung des Urhebers hat in § 32 UrhG ihren Niederschlag gefunden. Nach § 32 Abs. 1 UrhG hat der Urheber für die Einräumung von Nutzungsrechten und die Erlaubnis zur Werknutzung einen Anspruch auf die vertraglich vereinbarte Vergütung. Ist die Höhe der Vergütung nicht bestimmt, gilt die angemessene Vergütung als vereinbart. Soweit die vereinbarte Vergütung nicht angemessen ist, kann der Urheber von seinem Vertragspartner die Einwilligung in die Änderung des Vertrages verlangen, durch die dem Urheber die angemessene Vergütung gewährt wird. Eine nach einer angemessenen Vergütungsregel (§ 36 UrhG) ermittelte Vergütung ist gemäß § 32 Abs. 2 UrhG angemessen. Im Übrigen ist die Vergütung angemessen, wenn sie im Zeitpunkt des Vertragsschlusses dem entspricht, was im Geschäftsverkehr nach Art und Umfang der eingeräumten Nutzungsmöglichkeit, insbesondere nach Dauer und Zeitpunkt der Nutzung, unter Berücksichtigung aller Umstände üblicher- und redlicherweise zu leisten ist. 206 2.5. Urheberrechte Die zwingende Anwendung des § 32 UrhG wird durch § 32b UrhG unter bestimmten Voraussetzungen vorgeschrieben. Dies ist der Fall, wenn auf den Nutzungsvertrag mangels einer Rechtswahl deutsches Recht anzuwenden wäre (1.) oder soweit Gegenstand des Vertrages maßgebliche Nutzungshandlungen im räumlichen Geltungsbereich des UrhG sind (2.). Im Einklang mit § 32 Abs. 2 UrhG, der die Angemessenheit einer Vergütung normiert, regelt § 36 UrhG die gemeinsamen Vergütungsregeln. Nach § 36 Abs. 1 UrhG stellen zur Bestimmung der Angemessenheit von Vergütungen nach § 32 UrhG Vereinigungen von Urhebern mit Vereinigungen von Werknutzern gemeinsame Vergütungsregeln auf. Die gemeinsamen Vergütungsregeln sollen die Umstände des jeweiligen Regelungsbereiches berücksichtigen, insbesondere die Struktur und Größe der Verwerter. Die Vereinigungen müssen repräsentativ, unabhängig und zur Aufstellung gemeinsamer Vergütungsregeln ermächtigt sein (§ 36 Abs. 2 UrhG). Zusätzlich ist nach § 36a Abs. 1 UrhG vorgesehen, dass zur Aufstellung gemeinsamer Vergütungsregeln die Vereinigungen eine Schlichtungsstelle bilden, wenn die Parteien dies vereinbaren oder eine Partei die Durchführung des Schlichtungsverfahrens verlangt. § 36 Abs. 2 bis 8 UrhG regeln das Schlichtungsverfahren. Im Rahmen des Gesetzgebungsprozesses, aber auch noch nach In-Kraft-Treten der Novelle stand insbesondere der neue § 32 UrhG im Ziel wissenschaftlicher Kritik, da hierdurch nach Ansicht von Kritikern in die grundsätzlich geltende Vertragsautonomie der Vertragsparteien eingegriffen würde. 378 Während die Pflicht zur „angemessenen Vergütung“ im Filmbereich von Produzentenseite kritisiert wurde, war den Interessenvertretungen der Filmschaffenden der Bezugspunkt der „Angemessenheit“ nicht konkret genug. 2.5.2.3.3 2. Korb der Urheberrechtsreform Kritik an den Änderungen des 1. Korbs der Urheberrechtsreform 379 auch seitens der Film- und Videoindustrie wurde insbesondere hinsichtlich des Verhältnisses der Zulässigkeit von Privatkopien und dem Verbot der Umgehung technischer Schutzmaßnahmen laut (s. oben Kap. 2.4.2.2). Mit dem 2. Korb wurden die bereits bei dem Ersten Korb diskutierten Vorschläge und Anregungen mit dem Ziel, die mit dem Ersten Korb begonnene Anpassung des deutschen Urheberrechts an die Entwicklungen im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie fortzusetzen, umgesetzt. 380 Der 2. Korb ist am 1. Januar 2008 in Kraft getreten. 2.5.2.3.3.1 Vergütungssystem Die Kopiertätigkeit hat sich zunehmend vom gewerblichen Bereich in den privaten Bereich verlagert. Zugleich sind die Rechteinhaber durch den Einsatz technischer Maßnahmen zunehmend in der Lage, die Vervielfältigungen ihrer Inhalte im digitalen Bereich zu verhindern und zu beschränken (digital rights management, DRM). Die Regelungen zur urheberrechtlichen Vergütung für erlaubnisfrei zulässige Kopien sind daher durch das Zweite Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft grundlegend geändert worden. Das Gesetz gestaltet das System der pauschalen Abgeltung der Privatkopie über Geräte und Speichermedien mit Blick auf neue Vervielfältigungstechniken flexibler. Die Bemessung der Vergütungssätze wird den betroffenen Verwertungsgesellschaften und den Herstellern von Vervielfältigungsgeräten und Speichermedien innerhalb gesetzlich definierter Rahmenbedingungen übertragen. Die Vergütungspflicht wird al378 Dazu s. etwa Erdmann 2002; Grzeszick 2002; Jacobs 2002; Ory 2002; Schack 2002. Aus § 32 UrhG ergaben sich zahlreiche Rechtsstreitigkeiten, in den meisten Fällen zur Vergütung literarischer Übersetzer, s. Überblicke bei Becker 2007 und Ory 2006, jeweils m. w. N. 379 Gesetz zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft vom 10. September 2003, BGBl. I S. 1774, ber. BGBl. 2004 I S. 312. 380 Vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drucksache 16/1828 S. 14 f. 207 2. Medienübergreifende Aspekte lein an die tatsächliche Nutzung der Gerätetypen zum Kopieren urheberrechtlich geschützter Inhalte angeknüpft. Für die Bemessung der Höhe der Vergütung ist der Umfang der tatsächlichen Nutzung des Gerätetyps zum Kopieren geschützter Inhalte maßgeblich. Weiterhin bringt das Gesetz die verstärkte Nutzung der individuellen Lizenzierung von Werken im digitalen Bereich mit der pauschalen Vergütung in Einklang. Mit dem Ziel rascher Klärung und effektiveren Rechtsschutzes wird das Verfahren zur Schlichtung und gerichtlichen Prüfung von Streitfällen über die Vergütung für Geräte und Speichermedien gestrafft. Die Beteiligten können die Vergütung in weitgehender Selbstregulierung bestimmen oder bestimmen lassen. Auf erster Stufe sind die Tarife durch die Verwertungsgesellschaften aufzustellen. Auf der zweiten Stufe ist ein zeitlich gestrafftes Schiedsstellenverfahren vorgesehen. Scheitert das Schiedsstellenverfahren, soll das Oberlandesgericht entscheiden. Ferner wird den Beteiligten der Weg eines freiwilligen Schlichtungsverfahrens eröffnet. Eine Beteiligung der Sendeunternehmen an den Einnahmen aus der Pauschalvergütung ist mit der Begründung, dass diese Änderung weder europarechtlich noch verfassungsrechtlich geboten sei, nicht vorgesehen worden. Der Forderung, die Vergütung über die Geräte- und Leerträgerpauschale vollständig entfallen zu lassen, weil dem Urheber wirksame technische Maßnahmen zur Verfügung stünden, die die Individuallizenzierung ermöglichten, ist ebenfalls nicht nachgekommen worden. Vor allem wurde davon ausgegangen, dass es noch viele Jahre dauern wird, bis sämtliche geschützte Werke und Leistungen in kopiergeschützter Form verwertet werden. Erst damit entfiele die Rechtfertigung für das Pauschalvergütungssystem. Auch ein Verbot der Privatkopie, das einen sofortigen Ausstieg aus dem Pausschalvergütungssystem rechtfertigen würde, wurde nicht umgesetzt. 381 2.5.2.3.3.2 Privatkopie Das Gesetz verzichtet auf eine Durchsetzung der Privatkopie gegen technische Schutzmaßnahmen. 382 Es erfolgt aber eine Klarstellung hinsichtlich der „legalen Quellen“ (§ 53 Abs. 1 UrhG). Die Privatkopie ist nunmehr auch dann unzulässig, wenn die Vorlage offensichtlich rechtswidrig im Internet zum Download angeboten, also öffentlich zugänglich gemacht wird. Durch die Wirtschaft ist angeregt worden, die digitale Vervielfältigung von Musik zu privaten Zwecken zu verbieten. Diesem Vorschlag ist nicht gefolgt worden. Auch ein Verbot der Vervielfältigung durch Dritte sowie ein Verbot der Privatkopie im Online-Bereich ist nicht aufgenommen worden. 383 2.5.2.3.3.3 Sonstige Schranken Im Bereich der Schranken sind durch das Gesetz weitere Anpassungen an moderne Nutzungsformen und Technologien vorgenommen worden. Das Gesetz hat die Zitatschranke des § 51 UrhG auf weitere Werkarten (Filmwerke, Multimediawerke) erweitert. Ferner führt das Gesetz eine neue Schranke (§ 52b UrhG) ein, die es öffentlichen Bibliotheken, Museen und Archiven zur Erfüllung ihres Bildungsauftrags ermöglicht, ihre Bestände auch in digitaler Form an eigens dafür eingerichteten elektronischen Leseplätzen den Benutzern zu Zwecken der Forschung und für private Studien zugänglich zu machen. Mit der neuen Schranke des § 52b UrhG wurde Art. 5 Abs. 3 Buchstabe n der Richtlinie in nationales Recht umgesetzt. Mit einer weiteren neuen 381 Vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drucksache 16/1828 S. 16 ff. 382 Der Urheber oder Rechteinhaber kann sein Werk mit technischen Schutzmaßnahmen versehen. Ist ein Werk kopiergeschützt, darf dieser Kopierschutz nicht umgangen werden (§ 95a UrhG). Technischer Urheberschutz bspw. durch „elektronische Wasserzeichen“ ist damit denkbar und dürfte nicht umgangen werden. 383 Vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drucksache 16/1828 S. 18 f. 208 2.5. Urheberrechte Schranke (§ 53a UrhG) ist das Urteil des Bundesgerichtshofs zur Zulässigkeit des Kopienversands 384 im Urheberrechtsgesetz nachvollzogen worden. Von einer Übernahme des Drei-Stufen-Tests im Wortlaut des Artikels 5 Abs. 5 der Richtlinie als „Schranken-Schranke“ wurde abgesehen. 385 2.5.2.3.3.4 Unbekannte Nutzungsarten Die technische Fortentwicklung 386 der vergangenen Jahre und die sich aus diesen Entwicklungen ergebenden neuen Nutzungsarten haben eine Neuregelung in Bezug auf unbekannte Nutzungsarten erforderlich gemacht. Das bislang geltende grundsätzliche Verfügungsverbot über unbekannte Nutzungsarten weicht der Möglichkeit für den Urheber, auch unbekannte Nutzungsarten übertragen zu können (§ 31a UrhG). Der Urheber erhält einen obligatorischen Vergütungsanspruch sowie ein Widerrufsrecht, damit er dem Verwerter als dem stärkeren Vertragspartner nicht schutzlos gegenübersteht. 387 Für den Filmbereich entfällt das Widerrufsrecht (§ 88 UrhG), um eine ungehinderte Verwertung zu ermöglichen. In § 137 Abs. 1 UrhG sieht das Gesetz eine Regelung für Altverträge vor. Nach dieser gelten zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unbekannte Nutzungsarten als dem Lizenzvertragspartner eingeräumt, wenn der Urheber diesem alle wesentlichen bekannten Nutzungsarten ausschließlich sowie räumlich und zeitlich unbegrenzt übertragen hat. 2.5.2.3.3.5 Kabelweitersendung In Hinblick auf die Bestimmungen zu der Kabelweitersendung sind verschiedenste Änderungsvorschläge vorgebracht worden. 388 Es ist letztendlich aber lediglich eine Vereinfachung der Verhandlungen über die Kabelweitersendung für die Beteiligten aufgegriffen worden. Durch die Ergänzung des § 20b UrhG wird der Vorrang gemeinsamer Vergütungsregeln klargestellt, auf deren Basis der Urheber eine angemessene Vergütung für jede Kabelweitersendung erhält. Sendeunternehmen können damit die gewünschte Vermarktung der Rechte in der Lizenzkette durch den Abschluss und die Anwendung kollektiver Vereinbarungen nach Satz 4 vornehmen. In § 87 Abs. 5 UrhG wird die Möglichkeit eingeräumt, gemeinsame Verhandlungen mit allen Rechtsinhabern zu verlangen, damit für die Kabelunternehmen und die Sendeunternehmen transparent und kalkulierbar ist, welche Vergütung sie für die Kabelweitersendung zu leisten haben. 389 2.5.2.3.3.6 Perspektiven Bereits vor In-Kraft-Treten der Änderungen durch den Zweiten Korb ist der Ruf nach einem Dritten Korb laut geworden. Der Bundesrat hat bei seiner Entscheidung die Bundesregierung gebeten, die Regelungen im Hinblick auf die spezifischen Anforderungen von Wissenschaft und Forschung anzupassen bzw. zu überprüfen und die Möglichkeit des Kopienversands zu erweitern. 390 Daneben wurde bereits der Beschlussempfehlung 384 Urteil vom 25. Februar 1999, Az. I ZR 118/96, BGHZ 141, 13 ff.; NJW 1999, 1953 ff. – Kopienversanddienst. 385 Vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drucksache 16/1828 S. 21. 386 Diese technologischen Entwicklungen haben es für Verwerter sehr schwierig gemacht, die nachträgliche Zustimmung der Urheber zu einer neuen Nutzungsart zu erlangen, vgl. Spindler, Reform des Urheberrechts im „Zweiten Korb“, NJW 2008, 9 ff. (9). 387 Vgl. Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drucksache 16/1828. 388 Vgl. zu den vorgebrachten Vorschlägen, Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drucksache 16/1828 S. 22 f. 389 Vgl Gesetzesentwurf der Bundesregierung, Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, BT-Drucksache 16/1828 S. 22 f. 390 Vgl. BR-Drucks. 582/07 (B) v. 21.09.2007. 209 2. Medienübergreifende Aspekte an den Bundestag durch den Rechtsausschuss eine Entschließung beigefügt, die dem Bundesministerium der Justiz die Prüfung zahlreicher weiterer Fragen des Urheberrechts aufgibt. 391 Dabei werden insbesondere Fragen der Zweitverwertungsrechte im Wissenschaftsbereich, des Handels mit Gebrauchtsoftware, Verbote intelligenter Aufnahmesoftware und Anpassungsfragen bei § 20b UrhG im Hinblick auf Internet-TV Gegenstand der Diskussion sein. 392 Aus Sicht der Musik-, Film- und Verlagswirtschaft wird die Frage der Einführung eines Auskunftsanspruches für den Privatbereich zur Rechtsverfolgung von illegalen Musikdownloads ein wesentliches Thema im Bereich der Umsetzung der Enforcement-Richtlinie (s. oben) sein. 391 Vgl. BT-Drucks. 16/5939 S. 3. 392 Vgl. hierzu Hoeren 2007, S. 615. 210 2.5. Urheberrechte 2.5.3 Quellenangaben zu Kapitel 2.5 Becker, Bernhard (2007): Die angemessene Übersetzervergütung: eine Quadratur des Kreises? ZUM 2007, S. 249 ff. Berger, Christian (2004): Die Neuregelung der Privatkopie in § 53 Abs. 1 UrhG im Spannungsverhältnis von geistigem Eigentum, technischen Schutzmaßnahmen und Informationsfreiheit. ZUM 2004, S. 257 ff. Bohn, Philipp (2006): Akzeptanz von Digital Rights Management. In: Technikfolgenabschätzung, Theorie und Praxis Nr. 2, - August 2006, S. 41-45. Erdmann, Willi (2002): Urhebervertragsrecht im Meinungsstreit. GRUR 2002, S. 923 ff. Grzeszick, Bernd (2002): Der Anspruch des Urhebers auf angemessene Vergütung: Zulässiger Schutz jenseits der Schutzpflicht. AfP 2002, S. 383 ff. Hoeren, Thomas (2003): Urheberrecht und Verbraucherschutz, Münster 2003. Hoeren, Thomas (2007): Der Zweite Korb – Eine Übersicht zu den geplanten Änderungen im Urheberrechtsgesetz. MMR 2007, S. 615 ff. Holznagel, Bernd/Brüggemann, Sandra (2003): Vereinbarkeit der §§ 108 b, 111 a i. V. m. 95 a i. V. m. 69 ff. des UrhG 2003 mit deutschem Verfassungsrecht und EG-Recht. Münster. Jacobs, Rainer (2002): Das neue Urhebervertragsrecht. NJW 2002, S. 1905 ff. Jani, Ole (2003): Was sind offensichtlich rechtswidrig hergestellte Vorlagen? Erste Überlegungen zur Neufassung von § 53 Abs. 1 S. 1 UrhG. ZUM 2003, S. 842 ff. Mayer, Christoph (2003): Die Privatkopie nach Umsetzung des Regierungsentwurfs zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft. CR 2003, S. 274 ff. Ory, Stefan (2002): Das neue Urhebervertragsrecht. AfP 2002, S. 93 ff. Ory, Stefan (2006): Erste Entscheidungen zur angemessenen und redlichen Vergütung nach § 32 UrhG. AfP 2006, S. 9 ff. Pichlmaier, Tobias (2003): Abschied von der Privatkopie? CR 2003, S. 910 ff. Schack, Haimo (2002): Urhebervertragsrecht im Meinungsstreit. GRUR 2002, S. 853 ff. Senftleben, Manfred (2003): Privates digitales Kopieren im Spiegel des Dreistufentests. CR 2003, S. 914 ff. 211 2.6 JUGENDMEDIENSCHUTZ 2.6.1 MEDIENNUTZUNG VON KINDERN UND JUGENDLICHEN UND DEREN WIRKUNGEN......................................................................................................................................... 214 2.6.1.1 2.6.1.2 2.6.2 RECHT UND REGULIERUNG.............................................................................................. 219 2.6.2.1 2.6.2.1.1 2.6.2.1.2 2.6.2.2 2.6.2.2.1 2.6.2.2.2 2.6.2.2.3 2.6.3 MEDIENNUTZUNG ................................................................................................................ 214 MEDIENWIRKUNGEN ............................................................................................................ 218 RECHTSRAHMEN .................................................................................................................. 219 Verfassungs- und Europarecht............................................................................................ 219 Nationales Recht ................................................................................................................. 221 NOVELLIERUNGEN UND REFORMEN IM BERICHTSZEITRAUM ............................................... 221 Schaffung eines Jugendschutzgesetzes (JuSchG) ................................................................ 221 Jugendschutzänderungsgesetz............................................................................................. 223 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV)....................................................................... 223 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 2.6.............................................................................. 228 213 2. Medienübergreifende Aspekte Aufgrund der Vielzahl und der sich rasant wandelnden Medienangebote hat sich die Medienausstattung und das Mediennutzungsverhalten von Kindern und Jugendlichen erheblich verändert: Nicht nur, dass Film-, Rundfunk- oder Online-Angebote zeitlich mehr genutzt werden; auch die Art der rezipierten Angebote hat qualitativ einen neuen Stand erreicht. Im Bereich des Jugendmedienschutzes hat daher der einfache Gesetzgeber mit Blick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben in den letzten Jahren den veränderten Bedingungen Rechnung getragen und die einschlägigen Gesetze entweder reformiert oder gar neue bereichsspezifische Gesetze geschaffen. Durch das Bereitstellen geeigneter Maßnahmen soll sichergestellt werden, dass die Mediennutzung keine Beeinträchtigung der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen zur Folge hat. 2.6.1 Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen und deren Wirkungen Wesentliche Voraussetzung für Überlegungen über angemessene Modelle des Kinder- und Jugendmedienschutzes ist die möglichst genaue Kenntnis der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen sowie der mit dieser Nutzung verbundenen potenziellen Auswirkungen. Die Bedeutung der Medien im Sozialisationsprozess von Heranwachsenden spiegelt sich u. a. in der stetig wachsenden Zahl empirischer Studien wider. Die Befunde dieser Studien verdeutlichen, dass in den letzten Jahren gravierende Veränderungen stattgefunden haben, die die Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen nachhaltig beeinflussen und daher auch für den Jugendmedienschutz von Bedeutung sind. Im Folgenden werden die wichtigsten Befunde dargestellt sowie die daran anknüpfenden wesentlichen Diskussionslinien skizziert. 2.6.1.1 Mediennutzung Als wesentlicher Trend der letzten Jahre lässt sich die rasche Ausbreitung digitaler Medien beschreiben. Nicht nur die Haushalte an sich sind zunehmend mit Medien besser ausgestattet, auch die Kinder und Jugendlichen haben immer früher die Möglichkeit, die Medien in ihrem eigenen Zimmer oder aber auch außerhalb des häuslichen Kontextes zu nutzen. Insbesondere die Verfügbarkeit von Videorekordern, Spielekonsolen, DVDPlayern (nicht PC) und Internetzugang hat im Vergleich zu den Vorjahren bei den Zwölf- bis 19-Jährigen zugenommen. 393 Hinzu kommt, dass sich die Ausstattung von Computern und Spielekonsolen stark erweitert hat und mit den Geräten diverse multimediale und onlinebezogene Anwendungen möglich sind. Breitbandanschlüsse und schnellere Übertragungsgeschwindigkeiten ermöglichen überdies datenintensive Anwendungen wie z. B. das Herunterladen von Filmen, Internetradio etc., wodurch sich das Angebotsspektrum auch für Kinder und Jugendliche deutlich vergrößert. Darüber hinaus hat sich auch das Angebot an tragbaren, multimedia- und onlinefähigen Geräten erweitert und damit verbunden die Möglichkeiten der orts- und zeitunabhängigen Mediennutzung. Handys und einzelne tragbare Spielekonsolen bieten inzwischen auch die Möglichkeit, das Internet zu nutzen, Inhalte herunterzuladen und über entsprechende Schnittstellen (z. B. Bluetooth, Infrarotschnittstelle) zu verbreiten. 394 Auch kommunikative Angebote wie z. B. Chats oder Netzwerkspiele können über diese mobilen Plattformen genutzt werden. 395 Durch die Möglichkeiten der mobilen Mediennutzung erweitert sich der medienbezogene Handlungsspielraum von Kindern und Jugendlichen über den häuslichen Kontext hinaus; gleichzeitig werden 393 Schmitt/Feierabend (in Vorbereitung), S. 4. Gerätebesitz. Auswahl, Jugendliche zwölf bis 19 Jahre. Die Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren verfügen über weniger Medien als die Jugendlichen. 394 Bei den Spielekonsolen erfolgt der Einstieg in das Internet regelmäßig über LAN und WLAN. Die PSP (Sony) verfügt von vornherein über einen Browser, für die Nintendo DS wird eine extra Software benötigt; vgl. Behrens/Höhler 2007, S. 25. 395 Entweder über Direktverbindungen oder über das Internet; vgl. Behrens/Höhler 2007, S. 25. 214 2.6. Jugendmedienschutz aber auch die Möglichkeiten für Eltern eingeschränkt, die Mediennutzung ihrer Kinder im Blick zu behalten und gegebenenfalls zu intervenieren. Eine weitere bedeutsame Entwicklung im Zuge der Digitalisierung ist schließlich die Entwicklung von so genannter social software (Stichwort Web 2.0), die es dem ‚normalen’ Nutzer ermöglicht, auf einfache Art und Weise eigene Angebote (z. B. Texte, Fotos, Videos, Lieblingslinks, Weblogs etc.) online zu veröffentlichen und einer breiten Masse zugänglich zu machen. Mit dieser Optionserweiterung ist – wie Beispiele aus der öffentlichen Berichterstattung zeigen – zugleich auch ein neues Risiko verbunden, z. B. wenn Fotos oder Videofilme ohne Einverständnis der abgebildeten Person erstellt und so in Umlauf gebracht bzw. persönliche Daten missbräuchlich verwendet werden. Digitalisierung, steigende Mobilität und social software skizzieren drei zentrale Trends, die sich auf unterschiedliche Weise in der Mediennutzung von Kindern und Jugendlichen niederschlagen. Seit 1998 bzw. 1999 legt der Medienpädagogische Forschungsverbund Südwest regelmäßige Berichte über die Mediennutzung Heranwachsender vor, anhand derer sich Entwicklungen der Mediennutzung von Kindern 396 und Jugendlichen 397 nachzeichnen lassen. Mit Blick auf die Kinder zwischen sechs und 13 Jahren zeigt sich, dass das Fernsehen für diese Altersgruppe weiterhin die häufigste Freizeittätigkeit ist. 398 44 Prozent der Sechs- bis 13-Jährigen verfügen bereits über einen eigenen Fernseher im Zimmer. Darüber hinaus ist die Hälfte der Kinder im Besitz eines CDPlayers, Kassettenrekorders, Radios und/oder einer Spielekonsole. Ein Drittel der Kinder besitzt ein eigenes Handy und/oder einen MP3-Player. Über einen eigenen Computer können ein Sechstel der Kinder verfügen und acht Prozent über einen eigenen Internetanschluss. Im Fernsehen liegen Super RTL und KI.KA in der Beliebtheit vor RTL und RTL II. Bei der Computernutzung steht bei den Kindern noch das Spielen im Vordergrund, aber knapp die Hälfte der PC-Nutzer gibt auch an, das Gerät für die Hausaufgaben und Lernprogramme zu nutzen. Die Computerspiele (allein oder mit anderen) werden dabei vor allem von den Jungen genutzt, die auch in der Regel über mehr Spiele (im Durchschnitt 16 Spiele) verfügen als die Mädchen (10 Spiele). Bei einem Drittel der Computerspieler liegt die durchschnittliche Spieldauer bei einer halben Stunde pro Tag. Die Hälfte der Kinder verbringt pro Tag zwischen 30 bis 60 Minuten mit PC-Spielen, 16 Prozent spielen mehr als eine Stunde am PC. Zu den bevorzugten Spielegenres zählen Simulationsspiele, Strategiespiele und Fun-/Gesellschaftsspiele. Die Spiele der Kategorie „Action-Spiele“ werden von gut einem Fünftel der Kinder zwischen sechs und 13 Jahren bevorzugt und rangieren an fünfter Stelle. „Die Sims“, das Fußballspiel „FIFA“ und „Harry Potter“ zählten 2006 zu den Favoriten in dieser Altersgruppe. Die Internetnutzung verzeichnete 2006 einen Anstieg gegenüber dem Vorjahr: 72 Prozent der befragten Kinder zwischen sechs und 13 Jahren nutzten 2006 das Internet zumindest selten (2005: 68 Prozent), wobei das Internet für Kinder ab ca. acht Jahren an Bedeutung gewinnt. Im Vordergrund steht die Informationssuche (für schulische und andere Themen), gefolgt von Online-Spielen, der Nutzung von speziellen KinderWebsites und dem Senden und/oder Empfangen von E-Mails. Zu den Lieblingsseiten zählen vor allem die Internetauftritte der Fernsehsender wie z. B. toggo.de, kika.de, tivi.zdf.de, aber auch der Chatanbieter knuddels.de und die Suchmaschine Google. Den Weg zu den Internetseiten finden die Kinder vor allem über Freunde, andere Medien (Fernsehen, Zeitschriften), Eltern und Geschwister, aber auch über eigenes Auspro396 Die so genannten KIM-Studien (Kinder + Medien, Computer + Internet), die sich auf die 6- bis 13-Jährigen beziehen; siehe zuletzt MPFS 2007a. 397 Die so genannten JIM-Studien (Jugend, Information, (Multi-)Media, die sich auf die 12- bis 19-Jährigen beziehen; siehe zuletzt MPFS 2007b. 398 Soweit nicht anders angegeben, handelt es sich bei den vorgestellten Befunden um Ergebnisse der KIM-Studie 2006 (MPFS 2007a). 215 2. Medienübergreifende Aspekte bieren (über die Eingabe eines Namens oder Begriffes in die URL), die Nutzung von Suchmaschinen und z. T. auch Tipps von Lehrern. Gerade mit Blick auf jüngere Kinder mit geringen Lese- und Schreibfähigkeiten zeichnen sich hier Risiken ab, da sie durch fehlerhafte oder ungenaue Schreibweisen schnell auf problematische Angebote gelangen können. 399 Wenn die Kinder ins Internet gehen, tun sie dies zumeist in Begleitung eines Elternteils oder mit Freunden oder Geschwistern (63 %). Allerdings geben auch 35 Prozent der das Internet nutzenden Kinder an, sich allein im Internet zu bewegen. Das Gros der Kinder hält sich maximal eine halbe Stunde im Internet auf, wobei die Nutzungsdauer mit dem Alter zunimmt. Mit zunehmendem Alter erweitert sich das Medienrepertoire der Heranwachsenden und damit verbunden auch die Zeit, die auf die Mediennutzung entfällt. 400 2007 verfügen 94 Prozent der Jugendlichen über ein eigenes Handy, 67 Prozent einen eigenen Computer (98 Prozent im Haushalt) und 45 Prozent über einen eigenen Internetanschluss (95 Prozent der Haushalte). Hinzu kommen MP3-Player (85 Prozent), CD-Player (83 Prozent), Radio (78 Prozent), Spielekonsolen (45 Prozent), DVD-Player (42 Prozent). In der Häufigkeit der Nutzung steht das Fernsehen nach wie vor an erster Stelle, gefolgt vom Computer (offline), MP3 und dem Internet. Bei den Jugendlichen ist ProSieben das mit Abstand favorisierte Programm, gefolgt von RTL, MTV, Sat.1 und RTL II. Der Computer dient den Jugendlichen als Arbeits- und Unterhaltungsmedium zugleich. 53 Prozent der PC-Nutzer nutzen den Computer für die Schule, 34 Prozent nutzen ihn für Computerspiele, wobei der Anteil der Jungen, die regelmäßig PC-Spiele spielen, deutlich über dem der Mädchen liegt. Weitere OfflineAktivitäten sind „Texte schreiben“ (32 Prozent) und Musik (für CD oder MP3) zusammenstellen (25 Prozent). Das Internet wird von 77 Prozent der Jugendlichen regelmäßig (täglich/mehrmals pro Woche) genutzt. Die durchschnittliche Nutzungsdauer liegt bei 114 Minuten (pro Tag, Mo-Fr), wobei die Jungen länger online sind als die Mädchen. Bei der Internetnutzung stehen kommunikative Aktivitäten wie Instant Messaging (72 Prozent) und E-Mail (60 Prozent) im Vordergrund, gefolgt von Musikhören (49 Prozent) und der Suche nach aktuellen Informationen. Im Vergleich zum Vorjahr haben 2007 insbesondere die so genannten Social-WebAngebote (z. B. YouTube, schülerVZ, Wikipedia) an Bedeutung gewonnen und zählen neben Suchmaschinen (z. B. Google), Online-Shopping-Portalen wie eBay oder konkreten Chats wie knuddels.de zu den von Jugendlichen favorisierten Online-Angeboten. Ein Viertel der Zwölf- bis 19-Jährigen gibt an, die Social-WebAngebote aktiv zu nutzen, d. h. in Weblogs zu schreiben, Fotos oder Musik/Videos einzustellen etc. 15 Prozent verfügen darüber hinaus über eine eigene Online-Präsenz. Knapp zwei Drittel der jugendlichen Internetnutzer schätzen sich selbst als relativ kompetent ein, was die rechtlichen Rahmendingungen der Internetnutzung betrifft, und meinen zu wissen, was im Internet erlaubt ist und was nicht. 401 Allerdings ist auch ein Fünftel der Jugendlichen zumindest weitgehend der Auffassung, dass die Online-Angebote vorab auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden. 402 Gezielte Fragen nach den in der Diskussion um mögliche Gefahren des Internets im Vordergrund stehenden pornografischen, rechtsradikalen oder gewalthaltigen Angeboten ergaben 2005, dass 32 Prozent der jugendlichen Internetnutzer bereits auf entsprechende Seiten gestoßen sind, wobei 399 Vgl. Feil/Decker/Gieger 2004. Besonders problematisch ist es, wenn Anbieter unter Namen bzw. Adressen platzieren, die für Kinder attraktiv sind, und Kinder über diesen Weg ungewollt mit ungeeigneten Inhalten konfrontiert werden. 400 Soweit nicht anders angegeben, beziehen sich die Daten im Folgenden auf die Befunde der JIM-Studie 2007 (MPFS 2007b). 401 Die konkrete Frage lautet: „Wenn ich das Internet nutze, weiß ich genau, was erlaubt ist und was nicht.“; MPFS 2007b, S. 47. 402 MPFS 2007b, S. 48 ff. 216 2.6. Jugendmedienschutz die Jungen häufiger mit solchen problematischen Angeboten in Berührung kommen als die Mädchen. 403 Die Mädchen wurden indes häufiger als die Jungen schon einmal im Chat von Fremden nach persönlichen Abgaben (Name, Adresse, Telefonnummer) gefragt, wobei wiederum die Jungen ihre Daten eher preisgeben. 404 Neben dem Internet hat der Bereich der Mobilkommunikation an Bedeutung gewonnen. 95 Prozent der Haushalte, in denen Kinder aufwachsen, sind mit mindestens einem Mobiltelefon ausgestattet. 44 Prozent der sechs- bis 13-jährigen Kinder und 94 Prozent der Zwölf- bis 19-Jährigen sind im Besitz eines eigenen Handys. 405 Dabei handelt es sich um „multimediafähige mobile Plattformen“ 406 mit einer immer besseren Ausstattung. Bereits 83 Prozent der zwölf- bis 19-jährigen Handybesitzer verfügen über eine Kamera-Funktion an ihrem Handy, 82 Prozent der Jugendlichen verfügen über ein WAP-fähiges Handy. 66 Prozent der Handys im Besitz von Jugendlichen haben Bluetooth und 61 Prozent eine Infrarotschnittstelle, die den Austausch von Daten ermöglichen. Im Zusammenhang mit der Handynutzung werden vor allem Risiken thematisiert, die die Nutzung und Verbreitung jugendschutzrelevanter Inhalte oder die Erstellung und Verbreitung von gewalthaltigen Fotos oder Videosequenzen (z. B. Happy Slapping, Cyberbullying 407 ) oder das Thema Kosten betreffen. 408 Neun Prozent der Kinder im Alter von sechs bis 13 Jahren haben nach eigener Angabe schon einmal „seltsame oder unangenehme Sachen“ auf ihr Handy geschickt bekommen. 409 Hierbei handelte es sich zumeist um Kaufangebote und an zweiter Stelle um sexuelle Angebote. Nur vereinzelt wurde der Empfang von Gewaltbildern und -videos genannt. 410 Von den Jugendlichen geben 87 Prozent an zu wissen, dass brutale Videos oder Pornofilme über Handys kursieren, ein Drittel kennt jemanden, der schon einmal solche Filme bekommen hat, und neun Prozent haben selbst schon einmal solche Videos bekommen. 411 Zeuge von gefilmten Schlägereien (Happy Slapping) waren 29 Prozent der jugendlichen Handy-Besitzer, wobei sich hier sowohl geschlechts-, alters- als auch bildungsspezifische Unterschiede zeigen. 412 Hinsichtlich der Akzeptanz des Jugendmedienschutzes zeigen vorliegende Studien, dass dieser grundsätzlich als relevantes Thema betrachtet wird und auch sehr viel Zuspruch erhält. 413 Für drei Viertel der Bevölkerung sind die gesetzlichen Regelungen im Bereich Video, Online-Medien, Computer- und Videospiel sowie bezogen auf die Ausstrahlung von Fernsehsendungen sehr wichtig bzw. wichtig. 414 Knapp zwei Drittel der 403 MPFS 2005, S. 40 f. 404 MPFS 2007b, S. 50 f. 405 MPFS 2007a, S. 49; MPFS 2007b, S. 48; vgl. auch die Ergebnisse von Grimm/Rhein 2007, S. 88. 406 MPFS 2007b, S. 57. 407 Happy Slapping (engl.: fröhliches Schlagen) bezeichnet einen Trend unter einigen Jugendlichen, zumeist grundlos unbekannte oder auch bekannte Personen anzugreifen und die Gewalttaten mit dem Handy zu filmen, um sie anschließend im Internet zu veröffentlichen oder per MMS in Umlauf zu bringen (vgl. Grimm/Rhein 2007). Cyberbullying, auch Mobile-Bullying oder E-Bullying genannt, stellt eine Form des Mobbings unter Verwendung neuer Kommunikationstechnologien dar. 408 Vgl. z. B. Behrens/Höhler 2007. Siehe ausführlich auch Grimm/Rhein 2007. 409 MPFS 2007a, S. 51. 410 Vgl. MPFS 2007a, S. 51. 411 Zur Bekanntheit von Handy-Videos mit problematischen Inhalten siehe auch Grimm/Rhein 2007. 412 MPFS 2007b, S. 61. 413 Vgl. Theunert/Gebel 2007, Abschnitt 3.2.3, siehe auch Schumacher 2005. Die Ergebnisse zeigen, dass Medien zwar nicht an erster Stelle der relevantesten gesellschaftlichen Themen stehen, aber nichtsdestotrotz für viele relevant sind. Das Thema Arbeitslosigkeit ist für 40 Prozent der Befragten das wichtigste Thema, Kinder- und Jugendschutz folgt mit 27 Prozent an zweiter Stelle, wobei vor allem dem Verkauf von Alkohol und Zigaretten für Befragte oberste Priorität zukommt (vgl. S. 70 f.). 414 Vgl. Schumacher 2005. 217 2. Medienübergreifende Aspekte Befragten erachten die gesetzlichen Bestimmungen für den Besuch von Kinofilmen und etwas über die Hälfte den Verkauf/Verleih von Büchern und Zeitschriften für relevant. Die Relevanzzuschreibung der rechtlichen Regelungen ist dabei sowohl abhängig vom Alter des Rezipienten als auch vom jeweiligen Medium. Insbesondere mit Blick auf Jugendliche zwischen 14 und 16 Jahren werden rechtliche Bestimmungen als bedeutsam angesehen. Unterschiede zwischen den Medien zeichnen sich dahingehend ab, dass die Befragten im Hinblick auf Videofilme und Kinofilme offensichtlich einen besonderen Regulierungsbedarf sehen (jeweils 42 % halten mit Blick auf die bis 16-Jährigen entsprechende Regelungen für notwendig). Etwas geringer fallen die Anteile bezüglich der Regulierung von Fernsehsendungen (35 %), Computer-/Videospielen (33 %) und Internet (32 %) aus (alle Werte bezogen auf die bis 16-Jährigen). Allerdings wird auch deutlich, dass die Akzeptanz nicht automatisch mit der Umsetzung der Regelungen einhergeht. Die empirischen Befunde zeigen, dass die Eltern nicht besonders gut darüber informiert sind, was ihre Kinder an Medienangeboten nutzen bzw. welche konkreten Jugendschutzmaßnahmen existieren. Insbesondere im Hinblick auf neuere Medienangebote (z. B. Computerspiele) verhindert u. a. auch die fehlende Erfahrung mit dem Medienangebot einen verantwortungsbewussten Umgang mit den Medien. 2.6.1.2 Medienwirkungen Die Forschung über die potenziellen Auswirkungen der Mediennutzung auf Kinder und Jugendliche stellt ein Hauptthema für Kommunikationswissenschaft, Medienpädagogik und Medienpsychologie dar. Die Befundlage ist an dieser Stelle nicht hinreichend zusammenzufassen und kann daher nur in ihren groben Linien skizziert werden. Einigkeit besteht insofern, als Medien heute im Prozess der Sozialisation eine bedeutende Rolle spielen; der Alltag von Kindern und Jugendlichen ist wie gesehen durchzogen von Medien und medienbezogenen Aktivitäten, Medien stellen somit neben Eltern, Schule und der Peer-Group eine entscheidende Sozialisationsinstanz dar. Widersprüchlich hingegen sind die Befunde und insbesondere die daran anknüpfenden Interpretationen zu der Frage, welche konkreten Wirkungen bestimmte Medienangebote haben. Hier lassen sich grob zwei Richtungen unterscheiden. Auf der einen Seite werden vorfindbare Zusammenhänge zwischen der Nutzung bestimmter Medien und bestimmten Erlebens- oder Verhaltensmerkmalen mehr oder weniger direkt auf die entsprechenden Medienangebote zurückgeführt. Dieses Deutungsmuster spielt auch in der öffentlichen Diskussion eine bedeutende Rolle. Auf der anderen Seite wird darauf hingewiesen, dass Kinder und Jugendliche Medien im Kontext ihrer familiären und anderen sozialen Kontexte nutzen, dass sie sie für ihre individuelle Lebensbewältigung einsetzen. Problematische Verhaltensweisen seien danach eher auf eben diese Kontexte und Rahmenbedingungen zurückzuführen, die Mediennutzung stelle in diesem Zusammenhang eher ein Symptom, nicht jedoch eine Ursache dar. Aufgrund der vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen den materiellen und sozialen Lebensbedingungen, den bevorzugten Medienangeboten und der Art und Weise, wie diese verarbeitet werden, erscheint es müßig, in diesem Grundsatzstreit eine endgültige Antwort zu suchen. Vielmehr zeigt die Forschung recht deutlich, dass a) die Medien für gelingende oder misslingende Sozialisationsprozesse von Bedeutung sind, dass sie aber b) keinesfalls als isolierte Ursachen für Fehlverhalten oder gesellschaftlich dysfunktionale Entwicklungen betrachtet werden können. Für die Praxis des Jugendmedienschutzes ist diese Befundlage problematisch, erschwert sie doch die Entwicklung eindeutiger Kriterien für wichtige Kategorisierungen wie „jugendgefährdend“ oder „beeinträchtigend“ 415 . Diese sind daher notwendig im Rahmen diskursiver Prozesse festzulegen und immer wieder zu überprüfen. Zur Unterstützung solcher Diskurse taugen einige Studien der letzten Jahre, die den Wissensstand 415 218 Vgl. zu dieser Diskussion etwa Mikat 2005 und Pathe 2005. 2.6. Jugendmedienschutz im Hinblick auf die potenziellen Wirkungen von Gewaltdarstellungen erweitern konnten, ohne in die oben skizzierten grundsätzlichen Konfrontationen zurückzufallen. Im Hinblick auf die im Fernsehangebot enthaltenen Gewaltpotenziale wurde etwa in einer Studie die Perspektive der jeweiligen Zielgruppen einbezogen, also berücksichtigt, dass es darauf ankommt, was verschiedene Zielgruppen als Gewalt interpretieren 416 . Im Hinblick auf konkrete Gewaltwirkungen wurden auch die Aspekte der mit der Nutzung von Gewaltdarstellungen verbundenen Attraktivität sowie der damit einhergehenden differenziellen Erregungsverläufe in die Betrachtung einbezogen. 417 2.6.2 Recht und Regulierung Im Berichtszeitraum betrafen Gesetzesänderungen die Jugendschutzvorschriften des Bundes und der Länder. Im Bereich des Jugendmedienschutzrechts haben Bundes- und Landesgesetzgeber dadurch für eine bessere Kopplung der Rechtsmaterien im Hinblick auf verschiedene Medientypen gesorgt. 2.6.2.1 Rechtsrahmen 2.6.2.1.1 Verfassungs- und Europarecht Der Kern des verfassungsrechtlichen Jugendschutzes entspringt vor allem Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG unter Beachtung des Elternrechts aus Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht umfasst auch die ungestörte Entwicklung der Persönlichkeit („Recht auf Person-Werden“). Der Jugendschutz ist also nicht eine Aufgabe, deren Erfüllung ins Belieben der Staatsorgane gestellt ist. Vielmehr gibt vor allem Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG dem Staat als objektive Komponente vor, sicherzustellen, dass sich Minderjährige innerhalb der sozialen Gemeinschaft zu selbstbestimmten und verantwortungsbewussten Menschen entwickeln können. 418 Ferner soll im Rahmen eines sog. Schutzauftrages den Gefahren durch gesellschaftliche Entwicklungen entgegengewirkt werden. Im Bereich der Medien ergibt sich daraus, dass der primär bei den Eltern liegende Erziehungsauftrag durch den Staat abgestützt wird. Die Freiheit der Medien kann gemäß Art. 5 Abs. 2 GG auch durch die gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend eingeschränkt werden. Maßnahmen, die in die Autonomie der Gestaltung des Angebots von Rundfunk, aber auch von Telemedien eingreifen, stellen also Beschränkungen der Rundfunkfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG dar. Zwar sieht Art. 5 Abs. 2 GG Eingriffe zur Erfüllung des Jugendschutzauftrages explizit vor, diese haben sich aber in Abwägung mit der Rundfunkfreiheit als verfassungskonforme Beschränkungen darzustellen. Vorauszusetzen ist damit, dass das Gebot staatlicher Neutralität beachtet wird, dass die Meinungsbildungsfreiheit der Jugendlichen respektiert wird und dass die Begrenzungen unter Beachtung der Grundsätze zur Herstellung praktischer Konkordanz legitimen Schutzzwecken dienen und zum Schutz geeignet, erforderlich und angemessen sind. Schließlich setzt das Zensurverbot des Art. 5 Abs. 1 Satz 3 GG den Möglichkeiten staatlicher Jugendschutzinstrumente absolute Grenzen, und die Rechte erwachsener Rezipienten (Art. 5 Abs. 1 Satz 1 2. Alt GG) und die Bedeutung des Rundfunks als solches sind zu beachten. Die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen Bund und Ländern im Bereich des Jugendmedienschutzes sind schon seit längerem Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion. 419 Die (konkurrieren416 Siehe Früh 2001. 417 Siehe Grimm 1999. 418 S. Isensee/Axer 1998; Engels 1997, S. 219 ff. 419 Vgl. etwa Stettner 2003, Langenfeld 2003, Reinwald 2002; Liesching 2002, S. 251 ff.; Bandezadeh 2007, S. 83 ff.; Hopf 2005, S. 49 ff. 219 2. Medienübergreifende Aspekte de) Gesetzgebungskompetenz für den Jugendschutz steht nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 7 GG („öffentliche Fürsorge“) dem Bund zu. Diese wird aber begrenzt durch die Gesetzgebungskompetenz der Länder (kraft Sachzusammenhangs) zur Regelung des Jugendschutzes, soweit sie auf Dienste bezogen ist, die kompetenzrechtlich Rundfunk darstellen. Auch das europäische Recht beeinflusst die Ausgestaltung des Jugendmedienschutzes in Deutschland. So machten bereits die Art. 16, 22 ff. der EU-Fernsehrichtlinie 420 , basierend auf dem Grünbuch Jugendschutz 421 , Vorgaben für den Jugendschutz im Rundfunk. Die 2007 verabschiedete Novelle in Form der AVMS-Richtlinie übernimmt diese Regelungen. Auch in der Europaratskonvention 422 finden sich diesbezügliche Regelungen. Ferner finden sich in der Empfehlung „Jugendschutz und Menschenwürde“ 423 , in der Empfehlung des Europarates vom 5. September 2001 zur Förderung der Selbstregulierung und des Schutzes der Nutzer gegen illegale oder schädigende Inhalte in den neuen Kommunikations- und Informationsdiensten 424 sowie in der Cybercrime-Konvention 425 des Europarates Vorgaben im Hinblick auf den Jugendmedienschutz. Gleichzeitig stelle der EuGH Anfang 2008 in einem Vorlageverfahren fest, dass nationale Beschränkungen des freien Warenverkehts aufgrund von Jugendschutzmaßnahmen prinzipiell gerechtfertigt sind. 426 Daneben existieren auf europäischer und internationaler Ebene Fördermaßnahmen im Bereich Jugendmedienschutz 427 , zuletzt mit einem „Programm für ein sichereres Internet“ von 2005 bis 2008. 428 Der Kommissionsvorschlag für eine neue Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates „über den Schutz Minderjähriger und den Schutz der Menschenwürde und über das Recht auf Gegendarstellung im Zusammenhang mit der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Industriezweiges der audiovisuellen Dienste und Online-Informationsdienste“ wurde im Dezember 2006 von Rat und Parlament verabschiedet. 429 420 Richtlinie 97/36/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19.06.1997 zur Änderung der Richtlinie 89/552/EWG des Rates zur Koordinierung bestimmter Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Ausübung der Fernsehtätigkeit. 421 Grünbuch Jugendschutz und Schutz der Menschenwürde in den audiovisuellen und den Informationsdiensten, KOM(96)483, Oktober 1996. 422 Europäisches Übereinkommen über das grenzüberschreitende Fernsehen (Europaratskonvention) vom 15.05.1989. 423 Empfehlung 98/560/EG des Rates vom 24.09.1998 zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Industriezweigs der audiovisuellen Dienste und Informationsdienste durch die Förderung nationaler Rahmenbedingungen für die Verwirklichung eines vergleichbaren Niveaus in Bezug auf den Jugendschutz und den Schutz der Menschenwürde, ABl. Nr. L 270 vom 07.10.1998, S. 48. 424 Recommendation No. R (2001) 8 on self-regulation concerning cyber-content (self-regulation and user protection against illegal or harmful content on new communications and information services), abrufbar unter http://www.coe.int/t/e/legal_affairs/legal_co-operation/combating_economic_crime/1_standard_settings/ Rec_2001_8.pdf. 425 Übereinkommen des Europarates über Datennetzkriminalität (Cybercrime Convention) vom 23.11.2001; abrufbar unter http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/185.htm, zuletzt abgerufen am 18.1.2008. 426 EuGH Urteil vom 14.2.2008, Az.: C 244/06. 427 S. etwa die Entscheidung Nr. 276/1999/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.01.1999 über die Annahme eines mehrjährigen Aktionsplans der Gemeinschaft zur Förderung der sicheren Nutzung des Internets durch die Bekämpfung illegaler und schädlicher Inhalte in globalen Netzen, ABl. EG Nr. L 33 vom 06.02.1999, S. 1 ff. 428 Beschluss Nr. 854/2005/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über ein mehrjähriges Gemeinschaftsprogramm zur Förderung der sichereren Nutzung des Internets und neuer OnlineTechnologien, ABl. EG C 017 v. 11.6.2005. 429 Empfehlung 2006/952/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Schutz Minderjähriger und den Schutz der Menschenwürde und über das Recht auf Gegendarstellung im Zusammen- 220 2.6. Jugendmedienschutz 2.6.2.1.2 Nationales Recht Der Jugendmedienschutz wird einerseits durch Normen des Strafrechts realisiert; andererseits haben sowohl Bundes- als auch Landesgesetzgeber durch Spezialgesetze im Bereich des Jugend(medien)schutzes Vorschriften geschaffen, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben eines effektiven Jugendmedienschutzes Rechnung tragen sollen. Daneben wurden verschiedene Jugendschutzprogramme, Fördermaßnahmen und Aktionspläne ins Leben gerufen. 430 Ein entscheidender Beitrag im Jugendmedienschutz wird also zunächst durch die allgemeinen strafrechtlichen Vorschriften geleistet. Dabei sind insbesondere die §§ 184, 131 StGB 431 von Relevanz. Diese Regelungen differenzieren nicht grundsätzlich nach unterschiedlichen Verbreitungswegen. Gemäß § 131 StGB ist grundsätzlich jede Handlung, die sich auf Schriften bezieht, die grausame oder sonst unmenschliche Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder menschenähnliche Wesen in einer Art schildern, die eine Verherrlichung oder Verharmlosung solcher Gewalttätigkeiten ausdrückt oder die das Grausame oder Unmenschliche des Vorgangs in einer die Menschenwürde verletzenden Weise darstellt, strafbar. Nach § 184 StGB ist zudem die Verbreitung pornografischer Schriften insbesondere an Minderjährige unter Strafe gestellt – gemäß § 184 c auch solche Inhalte, die über Telemedien verbreitet werden. Den Schriften stehen gem. § 11 Abs. 3 StGB Ton- und Bildträger, Datenspeicher, Abbildungen und andere Darstellungen gleich, so dass generell alle Darstellungen erfasst werden, die unmittelbar oder durch Hilfsmittel wie Bildschirme, Abspielgeräte o. Ä. wahrnehmbar sind. Die spezialgesetzlichen Regelungen zum Jugendmedienschutz differenzieren dagegen nach unterschiedlichen Verbreitungswegen: Für Trägermedien und öffentliches Vorführen (v. a. Kino) gilt das JuSchG, für Rundfunk und Telemedien gilt der JMStV. Aufgrund der Bund-Länder-Kooperation bei der Novellierung des gesamten Jugendmedienschutzes haben die Gesetzgeber eine Evaluierung der Gesetzeswerke im Hinblick auf ihre Funktionsfähigkeit hin vorgesehen, deren wissenschaftlicher Teil im Herbst 2007 abgeschlossen wurde 432 und in deren Folge Bund und Länder die politische Evaluierung durchführen, die zurzeit andauert. 2.6.2.2 Novellierungen und Reformen im Berichtszeitraum 2.6.2.2.1 Schaffung eines Jugendschutzgesetzes (JuSchG) Das JuSchG 433 ist im Juli 2002 434 verkündet worden und zusammen mit dem JMStV am 1. April 2003 in Kraft getreten. Damit sind gleichzeitig das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG) 435 hang mit der Wettbewerbsfähigkeit des europäischen Industriezweiges der audiovisuellen Dienste und OnlineInformationsdienste, ABl. EG L 378 v. 27.12.2006. 430 So etwa der durch das Bundeskanzleramt gegründete runde Tisch „Medien gegen Gewalt“, der Aktionsplan der Bundesregierung zum Schutz von Kindern und Jugendlichen vor sexueller Gewalt und Ausbeutung vom 29.01.2003 oder die Aktion „Schau hin!“ des BMFSFJ, http://www.schau-hin.info. 431 Strafgesetzbuch in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. November 1998, BGBl. I S. 3322, zuletzt geändert durch das Gesetz v. 21.12.2007, BGBl. I S. 3198. 432 S. Hans-Bredow-Institut (2007). 433 Jugendschutzgesetz vom 23. Juli 2002, BGBl. I S. 2730, zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 20. Juli 2007, BGBl. I S. 1595. 434 Jugendschutzgesetz vom 23.07.2002, BGBl. I S. 2730. 435 Vom 25.02.1985 (BGBl. I S. 425), zuletzt geändert durch Artikel 8a des Gesetzes vom 15.12.2001 (BGBl. I S. 3762). 221 2. Medienübergreifende Aspekte und das Gesetz über die Verbreitung jugendgefährdender Schriften und Medieninhalte (GjSM) 436 abgelöst worden. Das Jugendschutzgesetz regelt nunmehr sowohl den Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit und die Abgabe von gekennzeichneten Trägermedien (bisher geregelt durch das JÖSchG) als auch die Indizierung von jugendgefährdenden Medien durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdenden Medien (BPjM, bisher geregelt durch das GjSM). In § 1 Abs. 2 und 3 JuSchG werden dabei die Trägermedien von den Telemedien abgegrenzt. Während im StGB weiterhin am Schriftenbegriff festgehalten wird, führt das JuSchG den Begriff der „Trägermedien“ ein (vgl. § 1 Abs. 2 JuSchG). Dies sind solche Medien, die mit Texten, Bildern oder Tönen auf gegenständlichen Trägern, die zur Wiedergabe geeignet, zur unmittelbaren Wahrnehmung bestimmt oder in einem Vorführ- oder Spielgerät eingebaut sind. Dazu zählen z. B. die klassischen Druckschriften, aber auch mobile Datenträger wie CD-ROMs und DVD-ROMs oder Konsolen-Cartridges. Weiterhin gilt, dass die nicht oder mit „Keine Jugendfreigabe“ gekennzeichneten Trägermedien generell nicht im Versandhandel angeboten werden dürfen (§§ 12 Abs. 3 Nr. 2, 15 Abs. 1 Nr. 3 JuSchG). Erfasst wird dabei z. B. sowohl der klassische Katalog-Versandhandel als auch das Online-Shopping oder InternetAuktionen – wobei die Bewerbung entsprechender Trägermedien in diesen Angeboten parallel unter den Anwendungsbereich des JMStV fällt. In der wissenschaftlichen Diskussion wie in der gerichtlichen Entscheidungspraxis zeichnet sich ab, dass die Frage, welche konkreten Alterskontrollen einen vom JuSchG-Verbot nicht umfassten Versandhandel dennoch ermöglichen, nicht eindeutig geklärt ist. Hinzu tritt die Problematik der Internationalisierung des Versandhandels auch in diesem Bereich, was neben der Frage der Anwendbarkeit deutschen Rechts vor allem die Grenzen der Durchsetzbarkeit in internationalen Kontexten verdeutlicht. Das JuSchG stellt dem gegenständliche Verbreiten, Überlassen, Anbieten oder Zugänglichmachen von Trägermedien das elektronische Verbreiten, Überlassen, Anbieten oder Zugänglichmachen durch Telemedien gleich, wobei in der Praxis eine Abgrenzung zum Anwendungsbereich des JMStV nicht immer trennscharf erfolgen kann (s. dazu unten Kap. 2.6.2.2.2). Für öffentliche Filmveranstaltungen, die auf Grundlage einer Entscheidung der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) eine bestimmte Altersfreigabe der Länder erhalten haben, sieht § 11 JuSchG die Anwesenheitsregelungen für Kinder und Jugendliche bei öffentlichen Vorführungen vor. Darüber hinaus regelt § 12 JuSchG, ob und in welchem Umfang Kindern und Jugendlichen Bildträger (bespielte Videokassetten und andere, zur Weitergabe geeignete, für die Wiedergabe auf oder das Spiel an Bildschirmgeräten mit Filmen oder Spielen programmierte Datenträger) in der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden dürfen. Mit der Einführung des JuSchG sind auch Video- und Computerspiele auf Trägermedien mit einer verbindlichen Alterskennzeichnung zu versehen. In der Praxis stützen die Länder ihre Altersfreigaben auf die Entscheidungen der Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK). Die vorgegebenen Altersstufen sind mit den bisherigen der Kinofreigabe identisch. Die Abgabe gekennzeichneter Medien an Kinder und Jugendliche, die das entsprechende Alter nicht erreicht haben, kann mit einem Bußgeld belegt werden. Maßgebliches Kriterium für die Alterskennzeichnung ist die potenzielle Beeinträchtigung der „Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihrer Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit“ (§ 14 Abs. 1 JuSchG). Die Konkretisierung dieses Kriteriums liegt dabei auf Seiten der Einrichtungen der Selbstkontrolle. Nach § 14 Abs. 1 JuSchG dürfen Filme sowie Film- und Spielprogramme, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen oder ihre Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, nicht für ihre Altersstufe freigegeben werden. Die jeweilige Kennzeichnung der Filme und Film- und Spielprogramme ergibt sich näher aus § 14 Abs. 2 JuSchG. Die Verbrei436 222 In der Fassung der Bekanntmachung vom 12.07.1985 (BGBl. I S. 1502), zuletzt geändert durch Artikel 8b des Gesetzes vom 15.12.2001 (BGBl. I S. 3762). 2.6. Jugendmedienschutz tung und das Zugänglichmachen von jugendgefährdenden Medien verhindert dagegen die Regelung des § 15 JuSchG. Für den Bereich der Kinoauswertung wird mit § 11 Abs. 2 eine so genannte „Parental-Guidance“Regelung eingeführt, die es Eltern erlaubt, ihre sechs- bis elfjährigen Kinder auch in Vorführungen mitzunehmen, die erst ab zwölf Jahren freigegeben sind. § 12 Abs. 4 sieht ausdrücklich die Einrichtung von Automatenvideotheken vor, stellt aber gewisse Anforderungen an angebotene Inhalte und technische Zugangsmöglichkeiten. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) wird in der Regel auf Antrag, aber auch von Amts wegen (wenn eine Behörde oder ein Träger der Jugendhilfe dies anregt und der/die Vorsitzende der BPjM die Durchführung eines Indizierungsverfahrens im Interesse des Jugendschutzes für geboten hält) tätig und kann bestimmte Träger- und Telemedien in eine Liste jugendgefährdender Medien aufnehmen (sog. Indizierung). Diese Liste ist nunmehr in vier Bereiche aufgeteilt (vgl. § 18 JuSchG), wobei zwei davon öffentlich und zwei nicht-öffentlich geführt werden. In die nicht-öffentliche Liste (Teil C und D) werden Telemedien oder online abrufbare Trägermedien aufgenommen. Verhindert werden soll dadurch, dass wie nach bisheriger Praxis die öffentliche Liste als „Wegweiser“ zu jugendgefährdenden Online-Inhalten dient. Mit der Bekanntmachung der Aufnahme in die Liste unterliegen die Tele- und Trägermedien erheblichen Vertriebsbeschränkungen (vgl. § 15 Abs. 1 JuSchG). So dürfen indizierte Medien Kindern und Jugendlichen nicht zugänglich gemacht werden. Auch gilt ein allgemeines Versandhandels- und Werbeverbot. Grundsätzlich verboten – auch ohne eine Indizierungsentscheidung der BPjM – bleiben nach § 15 Abs. 2 JuSchG strafbare Inhalte wie Gewaltdarstellungen, Volksverhetzung und Pornografie (Nr. 1), kriegsverherrlichende Inhalte (Nr. 2), menschenwürdeverletzende Darstellungen von sterbenden oder leidenden Menschen (Nr. 3), geschlechtsbetonte Darstellungen Minderjähriger (Nr. 4) sowie alle weiteren offensichtlich schwer jugendgefährdenden Medien (Nr. 5). 2.6.2.2.2 JugendschutzänderungsgesetzAm 9. Mai hat der Bundestag ein erstes Gesetz zur Änderung des Jugendschutzgesetzes verabschiedet, nachdem das Kabinett Anfang 2008 unter dem Eindruck öffentlicher Diskussionen über gewalthaltige Bildschirmspiele einen Entwurf für ein Jugendschutzänderungsgesetz vorgelegt hatte. 437 Das Änderungsgesetz sieht neben einer gesetzlichen Vorgabe zu größeren optischen Kennzeichnungen eine Erweiterung der Indizierungskriterien im Hinblick auf Medien mit Gewaltinhalten vor. Daneben werden auch die Kriterien für schwer jugendgefährdenden Medien erweitert – also solche, die weit reichenden Abgabe-, Verbreitungs- und Werbebeschränkungen unterliegen, ohne dass eine Indizierungsentscheidung der BPjM vorausgegangen sein muss. Von den neuen Kriterien der Jugendgefährdung umfasst werden vor allem mediale Darstellungen erfasst, die Gewalt besonders reißerisch und detailliert darstellen. 2.6.2.2.3 Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) Neben dem JuSchG 438 und in Abstimmung mit diesem ist am 1. April 2003 der JugendmedienschutzStaatsvertrag (JMStV) 439 in Kraft getreten. Dieses bereichsspezifische Gesetz hat die vorherigen Jugendschutzbestimmungen im RStV, im TDG und im MDStV abgelöst. Diese Gesetze – bzw. statt des TDG nunmehr das TMG – nehmen hinsichtlich des Jugendschutzes jeweils Bezug auf den JMStV. 437 Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Jugendschutzgesetzes, BT-Drs. 16/8546. 438 Jugendschutzgesetz vom 23. Juli 2002, BGBl. I S. 2730, zuletzt geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 20. Juli 2007, BGBl. I S. 1595. 439 Staatsvertrag über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien vom 20.01.2003, s. etwa Nds. GVBl. 2002, S. 706; Bbg.GVBl. 2003 I S. 21; Bay.GVBl. Nr. 5/2003, S. 147, zuletzt geändert durch den Neunten Rundfunkänderungsstaatsvertrag vom 31. Juli bis 10. Oktober 2006, z. B. Bay.GVBl. 2007 S. 132 ff. 223 2. Medienübergreifende Aspekte 2.6.2.2.3.1 Rahmenbedingungen Die Rahmenbedingungen der Reform waren sowohl rechtlicher als auch faktischer Natur. Aus rechtlicher Sicht sind die Gesetzgebungskompetenzen von Bund und Ländern für den Jugendmedienschutz nur schwer voneinander abgrenzbar. Hinzu kam der verfassungsrechtlich begründete Jugendschutzauftrag, dem der Gesetzgeber Rechnung zu tragen hatte. Letztlich waren auch die Grundrechte der Anbieter bei der Novellierung des Jugendmedienschutzes zu berücksichtigen (s. oben). Aus faktischer Sicht bot sich vor der Reform folgendes Bild: Für Computer- und Videospiele gab es keine verbindlichen Alterskennzeichen. Die Aufsichtsstrukturen im Bereich des Jugendmedienschutzes waren zersplittert. So waren für Tele- und Mediendienste sowie für Rundfunkangebote unterschiedliche Aufsichtsinstanzen zuständig. Hinzu kamen strukturelle Kontrolldefizite vor allem bei Online-Medien sowie unterschiedliche Traditionen der Selbstkontrolle im Internet und beim Rundfunk. Neben der inhalts- und angebotsbezogenen Novellierung ist mit dem JMStV insbesondere in prozeduraler Hinsicht im Bereich des Jugendmedienschutzes Neuland betreten worden: Formen regulierter Selbstregulierung wurden als Steuerungs- und Regulierungskonzept für die Aufsichtstätigkeit festgeschrieben. Dieses System sieht eine Zweistufigkeit der Angebotskontrolle vor. Auf der ersten Stufe werden die relevanten Angebote durch Selbstkontrollinstanzen, die zuvor staatlicherseits anerkannt wurden, auf beanstandungswerte Inhalte hin geprüft. Auf der zweiten Stufe werden die Entscheidungen der Selbstkontrollorgane durch die Landesmedienanstalten bzw. die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) auf Beurteilungsfehler und damit begrenzt überprüft. Anknüpfungspunkte für diese zweite Stufe sind darüber hinaus die Zertifizierung der Einrichtungen der Selbstkontrolle mit der Möglichkeit der Einflussnahme auf Organisation und Verfahren sowie der mögliche Widerruf der Zertifizierung. 2.6.2.2.3.2 Anwendungsbereich Zweck des Gesetzes ist nach § 1 JMStV der einheitliche Schutz der Kinder und Jugendlichen vor Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die deren Entwicklung oder Erziehung beeinträchtigen oder gefährden, sowie der Schutz vor solchen Angeboten in elektronischen Informations- und Kommunikationsmedien, die die Menschenwürde oder sonstige durch das Strafgesetzbuch geschützte Rechtsgüter verletzen. Der Staatsvertrag gilt für elektronische Informations- und Kommunikationsmedien (Rundfunk und Telemedien), § 2 Abs. 1 JMStV. Ausgenommen sind Telekommunikationsdienste sowie telekommunikationsgestützte Dienste nach dem Telekommunikationsgesetz (TKG). Für die Bestimmung des Begriffs des Rundfunks ist auf § 2 des RStV zu rekurrieren. „Telemedien“ sind in Übereinstimmung mit dem JuSchG Telemedien, soweit sie nicht den oben benannten TK-Diensten oder dem Rundfunk zuzuordnen sind. Zu den Telemedien zählen in der Regel alle Online-Angebote, die im Internet abrufbar sind, Angebote zur Nutzung in geschlossenen Benutzergruppen, massenhaft per E-Mail versendete Werbung sowie Angebote im Bereich der Individualkommunikation wie das Telebanking. Ebenso erfasst wird die Sendung direkter Angebote an die Öffentlichkeit für den Absatz von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen (Teleshopping) oder Angebote in elektronisch abrufbaren Datenbanken (Video-on-Demand). Auch der klassische Fernsehtext (Videotext) ist demnach ein Telemedium. Die Verzahnung mit dem JuSchG wird hier deutlich: Im JMStV wird hinsichtlich unzulässiger Angebote an die Altersfreigaben nach dem JuSchG bzw. die Aufnahme in die Indizierungsliste angeknüpft (vgl. § 4 JMStV). Zudem wird die KJM durch entsprechende Antragsrechte in das Indizierungsverfahren für Telemedien nach dem JuSchG eingebunden (vgl. §§ 18 Abs. 6 und 8, 21 Abs. 2 JuSchG). 224 2.6. Jugendmedienschutz 2.6.2.2.3.3 Materielle Vorgaben Hinsichtlich der materiellen Vorgaben, die der JMStV für Telemedien und Rundfunk aufstellt, ist zwischen unzulässigen (§ 4 JMStV) und entwicklungsbeeinträchtigenden Angeboten (§ 5 JMStV) zu unterscheiden. Unzulässige Angebote sind insbesondere solche strafbaren oder kriegsverherrlichenden als auch die Menschenwürde verletzenden Inhalts, ebenso nach dem JuSchG als nicht für Kinder und Jugendliche geeignete, also indizierte Angebote. Ausnahmen davon sind aber für Inhalte in Telemedien vorgesehen, wenn von Seiten des Anbieters sichergestellt ist, dass sie nur Erwachsenen zugänglich gemacht werden („geschlossene Benutzergruppen“), vgl. § 4 Abs. 2 Satz 2 JMStV. In Bezug auf die Anforderungen, die an eine solche „geschlossene Benutzergruppe“ zu stellen sind, hat die KJM kurz nach In-Kraft-Treten des JMStV festgelegt, dass die Gewährleistung, dass nur Erwachsene Zugriff auf sonst unzulässige Angebote bekommen, durch zwei Schritte herzustellen sei: erstens durch eine Volljährigkeitsprüfung, die über persönlichen Kontakt erfolgen muss; zweitens durch Authentifizierung beim einzelnen Bestellvorgang, um die Weitergabe von Zugangsdaten an Minderjährige zu verhindern. Entsprechende Altersverifikationssysteme hat die KJM – bisher ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage 440 – bereits als den gesetzlichen Anforderungen entsprechend klassifiziert. Bei den entwicklungsbeeinträchtigenden Angeboten gilt dagegen Folgendes: Sofern Anbieter Angebote, die geeignet sind, die Entwicklung von Kindern oder Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu beeinträchtigen, verbreiten oder zugänglich machen, haben sie nach § 5 Abs. 1 JMStV dafür Sorge zu tragen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufen sie üblicherweise nicht wahrnehmen. Bezüglich der Eignung des Angebotes zur Entwicklungsbeeinträchtigung wird grundsätzlich auf die jeweilige Altersfreigabe nach dem JuSchG Bezug genommen. Ein Anbieter kann seiner Pflicht nach § 5 Abs. 1 JMStV dadurch entsprechen, dass er entweder durch technische oder sonstige Mittel die Wahrnehmung des Angebots durch Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe unmöglich macht oder wesentlich erschwert. Alternativ kann der Anbieter die Zeit, in der die Angebote verbreitet oder zugänglich gemacht werden, so wählen, dass Kinder oder Jugendliche der betroffenen Altersstufe diese üblicherweise nicht wahrnehmen (§ 5 Abs. 3 JMStV). In § 5 Abs. 4 JMStV sind bestimmte Zeiten für das Zugänglichmachen oder Verbreiten der Angebote vorgesehen, wobei jeweils auf einzelne Altersstufen abgestellt wird. Technische oder sonstige Sicherungen i. S. von § 5 Abs. 1 JMStV sind für Telemedien neben Zugangsabfragen so genannte Jugendschutzprogramme (§ 11 JMStV), für Angebote in digitalem Fernsehen sind ebenfalls technische Vorsperrungen vorzusehen. Daraus ergibt sich ein Stufenmodell der Zugangskontrolle: geschlossene Benutzergruppen für unzulässige Angebote in Telemedien, Vorsperren für entwicklungsbeeinträchtigende Angebote im digitalen Fernsehen, Jugendschutzprogramme für entwicklungsbeeinträchtigende Angebote in Telemedien sowie „Trennung“ von für Kinder bestimmten und für Kinder beeinträchtigenden Angeboten. Die Umsetzung des gesetzlichen Regelungsprogramms im Bereich der Jugendschutzprogramme ist bisher unzulänglich erfolgt. Aufgrund sehr hoher technischer Vorgaben an die Funktionsfähigkeit und Effizienz der Filterprogramme konnte bisher kein entsprechendes Modell von der KJM als mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmendes Jugendschutzprogramm anerkannt werden. Hier werden derzeit unterschiedliche Möglichkeiten diskutiert, wie zukünftig Jugendschutzprogramme in der Praxis tatsächlich flächendeckend eingeführt werden können. 441 Im Bereich so genannter Whitelists – Datenbanken mit Einträgen kinderkompatibler 440 Zu dieser Problematik s. Hans-Bredow-Institut (2007), S. 141 ff. 441 Hans-Bredow-Institut (2007), S. 152 ff. 225 2. Medienübergreifende Aspekte Internetangebote – wurde mit dem im November 2007 etablierten „Netz für Kinder“ des BKM und des BMFSFJ 442 ein entsprechendes potenzielles Modul von Jugendschutzprogrammen eingeführt. 2.6.2.2.3.4 Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) Grundsätzlich überprüft die zuständige Landesmedienanstalt die Einhaltung der für die Anbieter geltenden Bestimmungen nach dem JMStV und trifft die jeweiligen Entscheidungen (§ 14 Abs. 1 JMStV). Zur Erfüllung dieser Aufgabe wurde als neue zentral agierende Aufsichtsinstanz die Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) gebildet. Sie dient der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt als Organ bei der Erfüllung ihrer Aufgaben. Die KJM wird grundsätzlich nur bei länderübergreifenden Angeboten tätig (§ 13 JMStV), was bei Telemedien regelmäßig der Fall ist. Sie ist u. a. zuständig für die „abschließende Beurteilung von Angeboten“, für die Zertifizierung von Selbstkontrolleinrichtungen sowie für die Anerkennung von Jugendschutzprogrammen für Telemedien, § 16 JMStV. Ebenso kann sie zu Indizierungsanträgen bei der BPjM Stellung nehmen oder Indizierungsanträge bei dieser stellen. Zudem soll die KJM mit der BPjM zusammenarbeiten und einen regelmäßigen Informationsaustausch pflegen, § 17 Abs. 2 JMStV. Organisatorisch angebunden an die KJM ist „jugendschutz.net“, eine durch die obersten Landesjugendbehörden eingerichtete gemeinsame Stelle. „jugendschutz.net“ unterstützt einerseits die KJM und die obersten Landesjugendbehörden bei deren Aufgaben und überprüft die Angebote der Telemedien, nimmt andererseits aber auch Aufgaben der Beratung und Schulung bei Telemedien wahr. Bei Verstößen gegen den JMStV weist „jugendschutz.net“ den Anbieter hierauf hin und informiert die Selbstkontrolleinrichtungen und die KJM hierüber. 2.6.2.2.3.5 Selbstkontrolleinrichtungen Zur Umsetzung des Konzeptes der Regulierten Selbstregulierung (s. oben) sieht § 19 JMStV die Möglichkeit der Bildung von Einrichtungen freiwilliger Selbstkontrolle für Telemedien und Rundfunk vor, die bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen (§ 19 Abs. 3 JMStV) durch die KJM anzuerkennen sind. Anerkannte Einrichtungen der freiwilligen Selbstkontrolle überprüfen sodann im Rahmen ihres satzungsgemäßen Aufgabenbereichs die Einhaltung der Bestimmungen des JMStV sowie der hierzu erlassenen Satzungen und Richtlinien bei ihnen angeschlossenen Anbietern (§ 19 Abs. 2 JMStV). Grundsätzlich trifft die zuständige Landesmedienanstalt die erforderlichen Maßnahmen gegenüber dem Anbieter, wenn sie feststellt, dass dieser gegen die Bestimmungen des JMStV verstoßen hat. Für Veranstalter von Rundfunk trifft die zuständige Landesmedienanstalt durch die KJM entsprechend den landesrechtlichen Regelungen die jeweilige Entscheidung. Entsprechend dem Modell der Regulierten Selbstregulierung erfährt dieser Grundsatz aber eine Einschränkung: Tritt die KJM an einen Rundfunkveranstalter mit dem Vorwurf heran, er habe gegen Bestimmungen des JMStV verstoßen, und weist der Veranstalter nach, dass er die Sendung vor ihrer Ausstrahlung einer anerkannten Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle im Sinne des JMStV vorgelegt und deren Vorgaben beachtet hat, so sind Maßnahmen durch die KJM im Hinblick auf die Einhaltung der Bestimmungen zum Jugendschutz durch den Veranstalter nur dann zulässig, wenn die Entscheidung oder die Unterlassung einer Entscheidung der anerkannten Einrichtung der freiwilligen Selbstkontrolle die rechtlichen Grenzen deren Beurteilungsspielraums überschreitet. Die Selbstkontrolleinrichtung ist vor Maßnahmen der KJM bei nichtvorlagefähigen Sendungen (z. B. Live-Sendungen) und bei Angeboten in Telemedien, die gegen Vorschriften des JMStV verstoßen, zu befassen. Die Teilnahme an einer Einrichtung 442 226 S. http://www.fragfinn.de. 2.6. Jugendmedienschutz der Selbstkontrolle kann insofern eine Schutzschildwirkung gegenüber direkten staatlichen Maßnahmen bewirken. Als Einrichtung der Selbstkontrolle im Bereich des Rundfunks ist die „Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen e.V.“ (FSF) im Sommer 2003 von der KJM anerkannt worden. Im Bereich der Telemedien zog sich das Antragsverfahren der „Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter e.V.“ (FSM) hin, im Oktober 2005 erhielt auch sie letztendlich die Anerkennung durch die KJM. 227 2. Medienübergreifende Aspekte 2.6.3 Quellenangaben zu Kapitel 2.6 Bandehzadeh, Mona (2007): Jugendschutz im Rundfunk und in den Telemedien : eine Würdigung des Staatsvertrages über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien unter verfassungsrechtlichen Aspekten. Frankfurt a. M. Behrens, Ulrike/Höhler, Lucy (2007): Mobile-Risiken – Jugendschutzrelevante Aspekte von Handys und Spielekonsolen. In: medien + erziehung, 51, 3, S. 20 ff. Engels, Stefan (1997): Kinder- und Jugendschutz in der Verfassung. In: Archiv des öffentlichen Rechts (AöR) 1997, S. 212 ff. Feil, Christine/Decker, Regina/Gieger, Christoph (2004): Wie entdecken Kinder das Internet? Beobachtungen bei 5- bis 12-jährigen Kindern. Wiesbaden. Früh, Werner (2001): Gewaltpotenziale des Fernsehangebots: Programmangebot und zielgruppenspezifische Interpretation. Wiesbaden. Grimm, Jürgen (1999): Fernsehgewalt: Zuwendungsattraktivität – Erregungsverläufe – Sozialer Effekt. Zur Begründung und praktischen Anwendung eines kognitiv-physiologischen Ansatzes der Medienrezeptionsforschung am Beispiel von Gewaltdarstellungen. Wiesbaden. Grimm, Petra/Rhein, Stefanie (2007): Slapping, Bullying, Snuffing! Zur Problematik von gewalthaltigen und pornografischen Videoclips auf Mobiltelefonen von Jugendlichen. Berlin: Vistas. Hans-Bredow-Institut (Hrsg., 2007): Analyse des Jugendmedienschutzsystems – Jugendschutzgesetz und Jugendmedienschutz-Staatsvertrag. Endbericht, Oktober 2007; abrufbar unter http://www.hans-bredow-institut.de/forschung/recht/ 071030Jugendschutz-Endbericht.pdf. Hopf, Kristina (2005): Jugendschutz im Fernsehen : eine verfassungsrechtliche Prüfung der materiellen Jugendschutzbestimmungen. Frankfurt a. M. Isensee, Josef/Axer, Peter (1998): Jugendschutz im Fernsehen: verfassungsrechtliche Vorgaben für staatsvertragliche Beschränkungen der Ausstrahlung indexbetroffener Sendungen, München. Langenfeld, Christine (2003): Zur Neuordnung des Jugendschutzes im Internet. In: MMR 2003, S. 303 ff. Liesching, Marc (2002): Das neue Jugendschutzgesetz. In: NJW, S. 3281 ff. Liesching, Marc (2002a): Zur Gesetzgebungskompetenz der Bundesländer für den Bereich „Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien". In: ZUM 2002, S. 868 ff. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (MPFS) (2005): JIM-Studie 2005. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Stuttgart. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (MPFS) (2007a): KIM-Studie 2006. Kinder + Medien, Computer + Internet. Basisuntersuchung zum Medienumgang 6- bis 13-Jähriger. Stuttgart. Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (MPFS) (2007b): JIM-Studie 2007. Jugend, Information, (Multi-) Media. Basisuntersuchung zum Medienumgang 12- bis 19-Jähriger. Stuttgart. Mikat, Claudia (2005): Was ist „entwicklungsbeeinträchtigend“? Kriterien für entwicklungsbeeinträchtigende Angebote – Spruchpraxis der Freiwilligen Selbstkontrolle Fernsehen (FSF). In: tv diskurs 9, Nr. 1, S. 31 ff. Pathe, Imme (2005): Gibt es Kriterien für entwicklungsbeeinträchtigende Internetangebote? Erfahrungen aus der Prüfpraxis der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia (FSM). In: tv diskurs 9, Nr. 1, S. 35 f. 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TRENDS UND PERSPEKTIVEN EINLEITUNG ......................................................................................................................................... 229 ERKENNTNISSE AUS DEN DESKRIPTIVEN TEILEN.................................................................. 229 GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ............................................................................................... 230 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ...................... 232 EINLEITUNG Die vorstehenden Kapitel des wissenschaftlichen Gutachtens zum Kommunikations- und Medienbericht geben einen Überblick über die Strukturen öffentlicher Kommunikation in Deutschland und die Entwicklungen im Berichtszeitraum. Es ist nicht Aufgabe dieses Gutachtens, die Befunde politisch zu bewerten und Handlungsbedarf zu identifizieren. Allerdings können wissenschaftliche Analysen bei der Einordnung der Situation hilfreich sein. Sie können längerfristige Trends erkennen lassen, auf die gesellschaftliche Relevanz derartiger Vorgänge aufmerksam machen und schließlich Anknüpfungspunkte für medienpolitisches Handeln identifizieren. Dies soll in den folgenden Fokuskapiteln bezogen auf besonders relevante Themenbereiche geschehen. Bei einer solchen Analyse sind unterschiedliche „Betrachtungshöhen“ möglich. Bleibt man dem beobachteten Phänomen sehr unmittelbar verhaftet, sind Anregungen im Detail möglich, Entwicklungspfade, die in eine ganz andere Richtung führen, werden aber schwerer erkennbar. Andersherum kann eine sehr allgemeine Reflexion Überlegungen nahe legen, die medienpolitisch nicht mehr anschlussfähig sind. Daher konzentriert sich die Darstellung in den einzelnen Fokusbereichen auf die derzeitig zu beobachtenden Phänomene und macht aus wissenschaftlicher Perspektive auf Problembereiche im Einzelfall aufmerksam. Vorweg soll aber – nach der gleichen Grundstruktur – ein Blick auf das „große Ganze“ geworfen werden. Diese Betrachtung mag Impulse geben, Politikansätze wenn nötig grundlegender zu verändern oder zumindest einen Entwicklungspfad umzusteuern, der möglicherweise in eine regulatorische Sackgasse läuft. ERKENNTNISSE AUS DEN DESKRIPTIVEN TEILEN Die deskriptiven Teile des Berichts dokumentieren zusammen genommen einen tief greifenden Wandel der Medien- und Kommunikationslandschaft. Die öffentliche Kommunikation als zentraler Gegenstand des vorliegenden Berichts ist zahlreichen Ausdifferenzierungen und Grenzverschiebungen ausgesetzt, die Anlass geben, über lange Zeit als selbstverständlich akzeptierte Prämissen über die Funktionsweisen des Medien- und Kommunikationssystems zu hinterfragen. Die folgenden Überlegungen greifen die wichtigsten der derzeit zu beobachtenden Grenzverschiebungen auf und entwickeln allgemeine Fragestellungen, die in den folgenden Fokuskapiteln detaillierter behandelt werden sollen. Die erste maßgebliche Veränderung besteht in der Verwischung der Grenzen zwischen den einzelnen Mediensektoren und -märkten. Die für den ersten Teil des Berichts gewählte Gliederung in die Bereiche Printmedien, Tonträger, Film/Video, Rundfunk und interaktive Medien ist zwar aufgrund der über viele Jahre vertraut gewordenen Wahrnehmungs- und Handlungsschemata der beteiligten Akteure nach wie vor eine hilfrei- 229 3. Trends und Perspektiven che Strukturierung. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die einzelnen Mediensektoren insbesondere in Folge der Digitalisierung und der damit verbundenen technischen Konvergenz enger aneinander heranrücken. Ein und derselbe Verbreitungsweg kann ganz unterschiedliche Angebotsformen transportieren. Ein und dasselbe Angebot kann über ganz unterschiedliche Verbreitungswege an die Nutzer gelangen. Crossmediale Strategien schaffen inhaltliche Verknüpfungen zwischen ganz unterschiedlichen Angeboten. Die allgemeine Konsequenz aus diesem Trend besteht darin, dass es bei der Auseinandersetzung mit den veränderten Bedingungen öffentlicher Kommunikation verstärkt einer medienübergreifenden Perspektive bedarf; sektorspezifische Betrachtungen von Märkten, Angebotsentwicklungen, Nutzungsmustern oder Regulierungsoptionen laufen hingegen Gefahr, einen Kern der aktuellen Entwicklung, nämlich die engen Wechselbeziehungen zwischen den verschiedenen Medien, nicht angemessen zu erfassen. Der zweite relevante Trend in allen Medienbereichen besteht in der verschwimmenden Unterscheidung zwischen Individual- und Massenkommunikation. In dem Maße, in dem die klassischen Massenmedien ihre Angebote auf immer spezifischere Zielgruppen ausrichten und dabei als Ideal das auf einzelne Individuen zugeschnittene Angebot betrachten, treten die bisher als selbstverständlich gegeben betrachteten Funktionen öffentlicher Kommunikation, insbesondere die Integrationsfunktion, in den Hintergrund. In dem Maße, in dem Dienste der Individualkommunikation mit technischen Hilfsmitteln massenhaft verbreitet werden können, werden bisher als selbstverständlich gegeben betrachtete Merkmale der Individualkommunikation, z. B. ein bestimmtes Maß an Privatheit und Intimität, in Frage gestellt. Die sich so auflösende Grenze zwischen diesen beiden bisher weitgehend unumstritten getrennten Sphären wirft für Medienanbieter, Nutzer und Regulierer, die sich in ihrem Handeln an eben dieser Unterscheidung orientiert haben, grundsätzliche Fragen auf, die in den folgenden Kapiteln konkretisiert werden sollen. Eng verknüpft mit den beiden vorgenannten Trends ist schließlich als dritte wesentliche Veränderung zu beobachten, dass sich die bisher recht klar definierten Rollen der verschiedenen an der öffentlichen Kommunikation Beteiligten auflösen. Wer im Sinne klassischer Kommunikationsmodelle als Kommunikator, als Journalist oder als Rezipient zu betrachten ist, kann immer weniger eindeutig beantwortet werden, da es viele Mischformen und Rollenwechsel gibt. Auch dieser Trend erfordert ein grundsätzliches Umdenken, welches sich von starren Rollenzuweisungen beim Umgang mit festen Kommunikationskanälen hin zu flexiblen Kommunikationsnetzwerken bewegt. In den empirischen Teilen der folgenden Fokuskapitel wird zunächst zusammengetragen, wie sich die genannten Grenzverschiebungen im Hinblick auf die Funktionen der Medien, die Medienmärkte, die Merkmale der konkreten Medienprodukte sowie letztlich auf die Strukturen der Medien- und Kommunikationsordnung auswirken. Auf diese Beschreibung von Veränderungen folgt jeweils eine Reflexion der gesellschaftlichen und politischen Relevanz der jeweiligen Veränderungen. Anhand welcher Kriterien diese Relevanz beurteilt wird, soll im folgenden Abschnitt erläutert werden. GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ Dass die in diesem Bericht beschriebenen Entwicklungen für die Gesamtgesellschaft nicht nur ökonomisch, sondern auch in vielen anderen Hinsichten an Bedeutung gewinnen, kann als unbestritten gelten. Auch wenn die Bezeichnung als Informations- und/oder Wissensgesellschaft begrifflich unscharf sein mag, steigt tendenziell die Bedeutung der kommunikativen Infrastrukturen und Prozesse für die Arbeitswelt, das Lernen, den zivilgesellschaftlichen Austausch, die Politik und viele andere Bereiche der Gesellschaft. Im Zuge dieser Veränderungen können sich durchaus auch die Kriterien für die Beurteilung der gesellschaftlichen Relevanz bestimmter kommunikativer Phänomene verschieben. Allerdings bleiben bestimmte normative Ankerpunkte erhalten, die sich etwa aus dem Schutz der Kommunikationsvorgänge durch Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG ergeben, 230 3. Trends und Perspektiven dessen Gewährleistungsgehalte das Bundesverfassungsgericht angesichts realer Veränderungen beständig neu justiert. Der vom Bundesverfassungsgericht identifizierte Zielwert der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung ist so grundsätzlicher Natur, dass er auch bei allem Wandel der Kommunikation in der vom Grundgesetz errichteten Ordnung höchste Relevanz besitzt. Es ist eine Konstruktionsleistung des Gerichts, schon früh erkannt und verfassungsdogmatisch verarbeitet zu haben, dass Gefährdungen für die Freiheit öffentlicher Kommunikation nicht nur vom Staat ausgehen können, sondern auch von mächtigen privaten Kräften und dass es eine verfassungsrechtliche Aufgabe des Staates ist, Vermachtungen im Kommunikationsprozess möglichst entgegenzuwirken. Derzeit gilt es herauszuarbeiten, wie etwa bei ständig neu entstehenden internetbasierten Diensten ein angemessener Schutz, wo nötig aber auch ein regulatorischer Rahmen aussehen kann. Es wird deutlich, dass sich nicht nur die Formen veröffentlichter Inhalte ausdifferenzieren und damit – mit dem englischen Ausdruck – unterschiedliche Typen von „Publishern“ entstehen, sondern darüber hinaus die Produktionsstrukturen in Veränderung begriffen sind. Das Aufkommen von Laienjournalismus im so genannten Web 2.0 ist ein damit zusammenhängendes Phänomen, aber auch der Umstand, dass für den Prozess der öffentlichen Kommunikation auch andere, vermittelnde Dienstleister Bedeutung erlangen, die unter Begriffen wie „Plattformbetreiber“, Navigatoren oder Suchmaschinen in der öffentlichen und rechtlichen Diskussion sind. Ihre Relevanz für den Prozess der freien individuellen und öffentlichen Meinungsbildung muss schon von Verfassungs wegen beobachtet werden. Eine weitere Perspektivverschiebung, die sich bereits erkennen lässt, ist die Veränderung – einige sprechen sogar vom Verschwinden – der Öffentlichkeit jedenfalls in der bislang bekannten Struktur. Auch der Einfluss von Entwicklungen auf Funktionen, die die Öffentlichkeit für eine Gesellschaft erfüllt, markiert ihre Relevanz für Kommunikations- und Medienpolitik. Während früher als ein zentrales Problem angesehen wurde, dass möglichst alle chancengerechten Zugang zum „Markt der Meinungen“ erlangen, kann angesichts der Differenzierung von Nutzungsgewohnheiten und damit verbundenen Fragmentierung von Medienangeboten auch die Frage gestellt werden, ob dieser für die Demokratie bedeutsame „Markt“ nicht in seiner Existenz bedroht ist oder aber unterschiedliche nur lose verbundene Foren existieren. Allerdings zeigen Befunde zur Entwicklung von Nutzung und von Angeboten auch, dass es bei unterschiedlichen Angeboten zu Überlappungen bei den Inhalten kommt und dass an die Stelle der Bündelungen von Inhalten in einem Angebot die Vernetzung unterschiedlicher Informationen treten kann. Nutzt man die Metapher des Marktes weiter – die sicherlich auch ihre Unschärfen hat –, so ist auch durchaus von gesellschaftlicher Relevanz, dass sich nicht den Anbietern, sondern den Nutzern Hindernisse in den Weg stellen können, die ihren realen Zugang zu Informationen verhindern und zumindest erschweren. In der Debatte über die „Grundverschlüsselung“ von Rundfunkangeboten ist dieses Problem in die medienpolitische Aufmerksamkeit gerückt. Damit verbunden ist die weiterhin virulente Sorge, dass die Teilhabe an öffentlicher Kommunikation, dass der Zugang zu relevantem Wissen nicht chancengerecht ausgestaltet sein könnte. Würde dieses Phänomen ganze Bevölkerungsschichten von bestimmten relevanten Nutzungsformen ausschließen, steht eine „digitale Spaltung“ als Bedrohung im Raum. Derartige Fragestellungen wirken sich auf die Rolle des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Ausgestaltung von Übertragungsinfrastruktur aber auch auf die Regeln zur Rundfunkfinanzierung aus. Zentrales Merkmal der Kommunikations- und Medienordnung muss mithin ihre Freiheit im oben genannten Sinne sein. Allerdings gibt es daneben noch andere Zielwerte, die gesellschaftliche Relevanz beanspruchen. Dazu gehört die Innovationsoffenheit. Je stärker eine Gesellschaft davon lebt, dass die Kommunikations- und Wissensinfrastruktur zur Verfügung steht, um Wirtschaften, Lernen oder kulturellen Austausch zu ermöglichen, tritt die Erregbarkeit für Neues als Element in den Blick. Von gesellschaftlicher Relevanz sind daher auch Vorgänge, die dies befördern – oder aber, andersherum – zu einer Abschließung, zu einer Perpetu- 231 3. Trends und Perspektiven ierung des immer Gleichen führen. Auch diese Überlegungen können sehr praktische Auswirkungen auf die Kommunikations- und Medienpolitik haben, etwa wenn es um Konzepte der Förderung audiovisueller Inhalte geht. Öffentlichkeit hat als Reflexionsmedium auch Auswirkungen auf das Selbstverständnis eines Gemeinwesens, so dass Fragen der Integration in ihren vielen Aspekten Bedeutung erlangen. Dies betrifft die Frage, inwieweit Veränderungen der Kommunikationslandschaft Auswirkungen auf das kulturelle Selbstverständnis der deutschen Bevölkerung haben, ebenso wie die Entstehung eines „europäischen Bewusstseins“, aber auch Möglichkeiten interkultureller Kommunikation und den Umgang mit fremden Werten, Lebensstilen und Deutungsmustern. Relevanz können die beschriebenen Vorgänge nicht nur für demokratische und kulturelle Prozesse haben, sondern auch für die Entwicklung der Persönlichkeit des Einzelnen. Nach einer eher utopistischen Diskussion über virtuelle Welten in früheren Jahren wird nun eine Veralltäglichung des Virtuellen erkennbar, Accounts bei Internet-Auktionshäusern, Profile in verschiedenen Communities und Foren gehören jedenfalls für die junge Generation zum Teil der eigenen Selbstdarstellung. Damit verbundene Veränderungen betreffen sehr grundsätzliche Vorstellungen etwa vom Umgang mit der eigenen Identität und den sie prägenden personenbezogenen Daten, der Abgrenzung von Privatem und Öffentlichem und der Gestaltung zwischenmenschlicher Beziehungen bis hin zur Formung von neuer „Trauerarbeit“, die man auf Community-Websites entdecken kann. Anhand der genannten allgemeinen Anknüpfungspunkte für gesellschaftliche Relevanz sollen die in den folgenden Fokuskapiteln beschriebenen Entwicklungen darauf diskutiert werden, inwieweit sie die besondere Aufmerksamkeit der Gesellschaft und der Politik verdienen. KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE Auch im Bereich der Anknüpfungspunkte für kommunikations- und medienpolitisches Handeln kann eine enge oder eher breite Perspektive gewählt werden. Blendet man den Fokus etwas auf, so wird gerade im Bereich der Medienregulierung deutlich, dass die Konzentration auf rein staatliche Regelsetzung zu kurz greift. Nicht nur, dass der Staat auch mit fördernden Instrumenten Regelungsziele erreichen kann, es prägen auch nichtstaatliche Regeln zunehmend den betrachteten Bereich, die der Staat bei seinen Aktivitäten zumindest in sein Kalkül mit einbeziehen muss. Wissenschaftlich wird dies oft als Abkehr von einer staatlichen Steuerungsperspektive hin zu einer „Governance“-Sichtweise beschrieben. Im Bereich von Kommunikation und Medien spielen in der wissenschaftlichen Diskussion neben rechtlichen Normierungen vor allem zwei strukturbildende Prozesse eine Rolle, nämlich zum einen die Entwicklung unterschiedlicher sozialer Regelsysteme und zum anderen Determinierungen, die sich aus Technik und Software (aus dem „Code“) ergeben. Als Hintergrund für medienpolitische Überlegungen ist das Wissen um diese beiden Prozesse zentral. Was soziale Regeln angeht, zeigt das Beispiel von Suchmaschinen instruktiv, dass Dienste eine bedeutsame Rolle für die öffentliche Kommunikation spielen können, die aus einem Bereich heraus entwickelt werden, der eher technisch-mathematisch ist. Appelliert man an die Verantwortung von Anbietern für die öffentliche Kommunikation und rekurriert man auf Grundsätze der Chancengleichheit, die im kommunikativen Bereich anerkannt sind, so sieht man sich gelegentlich mit der Haltung konfrontiert, der Anbieter sei rein technischer Dienstleister und hätte mit den geschilderten Problemstellungen nichts zu tun. Dies illustriert das Aufeinandertreffen unterschiedlicher Verhaltenserwartungen, die sich durch die Konvergenz in vielen Bereichen von Kommunikation und Medien zeigen. Soziale Regeln aus anderen Gesellschaftsbereichen können medienpolitische Initiativen behindern, aber auch für sie fruchtbar gemacht werden, in jedem Fall erscheint es nicht sachgerecht, sie zu ignorieren. Einsichtig ist dies auch bei journalistisch-professionellen Handlungsregeln, die 232 3. Trends und Perspektiven Qualität sichern und bei Laienjournalismus naturgemäß nicht gegeben sind. Fragen der Ausbildung werden damit zu regulativen Anknüpfungspunkten. Von vielen als jedenfalls bei Vorliegen bestimmter Rahmenbedingen für Erfolg versprechend gehaltene Konzepte der Ko-Regulierung setzten darauf, dass die Regelproduktion im Zusammenwirken von Staat und Wirtschaft oder zivilgesellschaftlichen Akteuren erfolgen kann. Auch hier wird also der Blick über die staatlichen Normen hinaus erweitert. Der zweite Bereich ist der der „Codes“. Die in der amerikanischen Diskussion vor allem durch Lessig bekannt gemachte Sichtweise „code is law“ – also die Strukturen der Software machen die Regeln, wenn man es frei übersetzt – wird nun in vielen Bereichen zur beobachtbaren Wahrheit. So bestimmen etwa die Softwarestrukturen sozialer Netzwerke im Internet, welche Verknüpfungen mit anderen Personen möglich sind, welche Kontrolle über personenbezogene Daten dem Nutzer verbleiben und inwieweit dieser auf andere Plattformen wechseln kann. Aber auch im Bereich des traditionellen Rundfunkrechts hat spätestens die Debatte über die Offenheit von Schnittstellen auf Set-Top-Boxen für digitale Fernsehangebote gezeigt, dass derartige Strukturen für die Erreichung kommunikativer Chancengerechtigkeit hoch relevant sind. Auch hier gilt, dass derartige Codes für kommunikations- und medienpolitisches Handeln Hürden aufbauen, aber auch Möglichkeiten eröffnen können. Von hoher gesellschaftlicher Relevanz ist angesichts der diagnostizierten Veränderungen auch, wie der Bereich des für die öffentliche Kommunikation als relevant Betrachteten abgegrenzt und strukturiert wird. Symptom dafür ist die immer wiederkehrende Diskussion um den Rundfunkbegriff: Wie weit reicht der Auftrag der öffentlich-rechtlichen Anstalten? Sind für Telemedien Regeln aus der Denkwelt des Rundfunks angemessen, oder ist hier eher dem Entwicklungspfad der Presse zu folgen? Die Regulierung verlief hier derzeit noch sehr pfadabhängig. Ein Ansatzpunkt für Reformen kann daher die unvoreingenommene Betrachtung sein, welche Chancen und welche Risiken die unterschiedlichen Kommunikationsangebote bergen. 233 3.1 FUNKTIONEN DER MEDIEN 3.1.1 FUNKTIONSVERSCHIEBUNGEN: SUBSTITUTION UND KOMPLEMENTARITÄT ZWISCHEN ALTEN UND NEUEN MEDIEN .................................................................................... 236 3.1.1.1 3.1.1.1.1 3.1.1.1.2 3.1.1.2 3.1.1.3 ERKENNTNISSE AUS DEN DESKRIPTIVEN TEILEN .................................................................. 236 Trends bei den Einzelmedien .............................................................................................. 237 Das Zusammenspiel alter und neuer Medien ...................................................................... 239 GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ ........................................................................................ 240 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ................................ 241 3.1.2 INTEGRATIONSFUNKTION: FRAGMENTIERUNG ÖFFENTLICHER KOMMUNIKATION ............................................................................................................................. 242 3.1.2.1 3.1.2.2 3.1.2.3 3.1.3 BESTANDSAUFNAHME ......................................................................................................... 242 GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ ........................................................................................ 244 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ................................ 245 GESELLSCHAFTLICHE SPALTUNGEN: „DIGITAL DIVIDE“..................................... 246 3.1.3.1 3.1.3.2 3.1.3.3 BESTANDSAUFNAHME ......................................................................................................... 246 GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ ........................................................................................ 248 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ................................ 249 3.1.4 BILDUNG, ORIENTIERUNG, SERVICE, BERATUNG: PROSOZIALE MEDIENWIRKUNGEN ........................................................................................................................ 250 3.1.4.1 3.1.4.2 3.1.4.3 3.1.5 DYSFUNKTIONALE WIRKUNGEN: GEWALT UND ANDERE PROBLEMBEREICHE. .................................................................................................................................................... 252 3.1.5.1 3.1.5.2 3.1.5.3 3.1.6 BESTANDSAUFNAHME ......................................................................................................... 250 GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ ........................................................................................ 251 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ................................ 252 BESTANDSAUFNAHME ......................................................................................................... 252 GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ ........................................................................................ 254 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ................................ 254 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 3.1.............................................................................. 256 Abbildungsverzeichnis Abbildung 3.1.3.1: Zugangsregenbogen 235 3. Trends und Perspektiven Die hier zu behandelnden Fokusbereiche haben gemeinsam, dass sie sich auf die Perspektive der Mediennutzer beziehen, sei dies nun auf der individuellen Ebene einzelner Rezipienten oder auf der aggregierten Ebene von Teilöffentlichkeiten und ganzen Gesellschaften. Ansatzpunkt sind die Funktionen, die die Medien in verschiedenen Bevölkerungsgruppen erfüllen oder auch nicht erfüllen; es geht um den Gebrauch, den die Menschen von den verfügbaren Medienangeboten machen, und um die Konsequenzen, die dieser Gebrauch auf der gesellschaftlichen Ebene mit sich bringt. Fokussiert werden in diesem Zusammenhang fünf Themenkomplexe, die im Zuge der Medienentwicklung der letzten Jahre eine besondere Rolle gespielt haben: Die jüngsten technischen Veränderungen im Medienbereich, die neue Verbreitungsmöglichkeiten sowie neuartige Dienste ermöglichen, haben die Frage aufgeworfen, inwieweit Funktionsverschiebungen der klassischen Medien zu erwarten sind und welches Verhältnis sich zwischen alten und neuen Medien entwickeln wird. Es geht also um Fragen der Substitution und Komplementarität verschiedener Medien- und Kommunikationsdienste. Zu den entscheidenden Funktionen der Medien öffentlicher Kommunikation gehört die gesellschaftliche Integration. Die Ausdifferenzierung der klassischen Medien nach zunehmend verfeinerten Zielgruppen sowie die technisch ermöglichte Konzeption individualisierter Angebote haben zu Diskussionen geführt, inwieweit die Integrationsfunktion künftig gewährleistet werden kann. Ein spezifischer Aspekt der Diskussion um gesellschaftliche Integration bezieht sich auf die Gefahr gesellschaftlicher Spaltungen („Digital Divide“). Vor dem Hintergrund der Diskussion um die Informations-, Wissens- oder Mediengesellschaft haben die beobachtbaren Unterschiede zwischen Teilgruppen der Gesellschaft im Hinblick auf den Zugang zu den neuen Kommunikationsdiensten Anlass zu kritischen Debatten darüber gegeben, inwieweit alle Teile der Bevölkerung angemessen an der Entwicklung teilhaben können. Nicht zuletzt in der Folge der PISA-Studien ist die Aufmerksamkeit für Bildungsdefizite gestiegen. Damit sind auch die potenziellen Bildungsfunktionen der Medien verstärkt in den Blick geraten; dies ist der Anlass, sich in einem Abschnitt mit diesen Funktionen und anderen prosozialen Medienwirkungen auseinanderzusetzen. Im Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit stehen die als dysfunktional wahrgenommenen Wirkungen der Medien. Anknüpfungspunkte sind, um nur einige Beispiele zu nennen, Einzelereignisse wie die Todesschüsse an einer Schule in Erfurt, die kontinuierliche Diskussion um Erfordernisse des Kinder- und Jugendmedienschutzes sowie die Vorwürfe gegenüber den Medien im Hinblick auf ihren Beitrag zur Förderung von Politikverdrossenheit. 3.1.1 Funktionsverschiebungen: Substitution und Komplementarität zwischen alten und neuen Medien Die zum Teil drastischen Veränderungen der technischen, ökonomischen und angebotsbezogenen Bedingungen, denen sich die Mediennutzer gegenübersehen, werfen die Frage auf, welche Folgen die neuen technischen und inhaltlichen Angebotsoptionen für die Nutzung der klassischen Medien haben und wie sich unter diesen Bedingungen die Nutzung von Fernsehen, Hörfunk und Printmedien verändert. 3.1.1.1 Erkenntnisse aus den deskriptiven Teilen Die in den deskriptiven Kapiteln dokumentierten Befunde der Nutzungsforschung über die Folgen der neuen Medien- und Kommunikationsdienste erscheinen widersprüchlich: Auf der einen Seite sprechen sie für große Stabilität in der Nutzung der klassischen Medien. Dramatische Einbrüche sind bisher bei keinem der Medien zu beobachten; längerfristige Trends zeigen lediglich ein allmähliches Ansteigen der Fernsehdauer und eine Abnahme der Zeitungslektüre. Auf der anderen Seite zeigen sich aber im Hinblick auf bestimmte Nutzergruppen (z. B. Jugendliche) und bestimmte Angebote (z. B. SMS, iPod, Computerspiele) starke medienbezogene 236 3.1. Funktionen der Medien und inhaltliche Verschiebungen im Nutzungsverhalten. Insgesamt entsteht der Eindruck, dass die etablierten Nutzungsgewohnheiten so tief in den Alltagspraktiken verankert sind, dass sie durch die neuen kommunikativen Optionen zunächst nur am Rande berührt werden. Allerdings sind diese Veränderungen an den Rändern wichtige Vorboten für längerfristige Verschiebungen in der öffentlichen und individuellen Kommunikation, die deshalb besondere Aufmerksamkeit verdienen. 3.1.1.1.1 Trends bei den Einzelmedien Im Kontext der Gesamtmedienentwicklung, unter dem Einfluss grundlegender politischer Entscheidungen, etwa in den 80er-Jahren zur Einführung des dualen Rundfunksystems, oder bestimmter gesellschaftlicher Interessen, etwa der Nachfrage nach regionalen und lokalen Informationen, haben die verschiedenen Einzelmedien jeweils ein spezifisches Funktionsprofil entwickelt. Diese Profile sollen an dieser Stelle lediglich für die tagesaktuellen Medien skizziert werden. Der Hörfunk hat sich, nachdem er seine bis in die frühen 60er-Jahre starke Stellung als Freizeitmedium zur Abendgestaltung fast völlig an das Fernsehen abgegeben hatte, zu einem Tagesbegleitmedium entwickelt, dem besondere Funktionen im Bereich der lokalen/regionalen Information sowie im Servicebereich zukommen. Seine Tagesbegleitfunktion hat sich das Medium überwiegend durch eine Formatierung der Programme erworben, die darauf abzielt, der jeweiligen Zielgruppe über den ganzen Tag hinweg ein durchhörbares Angebot zu machen; Hauptfaktoren sind dabei die passende Musikfarbe und eine sympathische Moderation. Ähnlich formatiert, allerdings auf andere Hörinteressen ausgerichtet, sind die neueren Informationsradios, die die Hörerinnen und Hörer rund um die Uhr mit aktuellen Informationen versorgen. Damit hat der Hörfunk als „Einschaltmedium“, welches zu bestimmten Zeiten profilierte Sendungen zum gezielten Einschalten bietet, zwar an Bedeutung verloren; diese Funktion ist aber bisher keineswegs ganz verschwunden, wie einige, meist öffentlich-rechtliche Programme zeigen, die mit klassisch gebauten Programmen zwar kleine, aber stabile Hörerschaften erreichen. Insgesamt ist der Hörfunk in der öffentlichen Aufmerksamkeit etwas in den Hintergrund gerückt, die Rede vom „Nebenbei-Medium“ wirkt manchmal geringschätzig. Tatsächlich spielt das Medium aber aufgrund seiner engen Einbindung in den Alltag der Bevölkerung, der hohen Reichweiten und Hördauern und der Tatsache, dass es mit seinen Informationsangeboten auch Gruppen erreicht, die die anderen Informationsmedien kaum nutzen, weiterhin eine sehr wichtige Rolle für die öffentliche Kommunikation. Diesen allgemeinen Trends der Hörfunknutzung liegen zum Teil sehr unterschiedliche Entwicklungen in verschiedenen Bevölkerungsgruppen zugrunde. So zeigten sich bei der Gruppe der 14- bis 19-Jährigen, deren Hörfunknutzung schon in den Vorjahren deutlich unter der der anderen Altersgruppen lag, zuletzt weitere Rückgänge der Hördauer auf 95 Minuten im Jahr 2007 443 . Dass solche Verschiebungen nicht allein auf das Hinzukommen neuer technischer Optionen zurückgeführt werden können, zeigt die Tatsache, dass die Hördauer bei denjenigen, die über einen MP3-Player verfügen, mindestens ebenso hoch ist wie bei denen, die diese neue Nutzungsoption für Audio-Inhalte nicht nutzen 444 . Das Fernsehen gilt bereits seit längerer Zeit als das Leitmedium der Gesellschaft. Keinem anderen Medium wird so viel öffentliche Aufmerksamkeit zuteil, keines ist so oft Gegenstand privater Gespräche und der Berichterstattung in anderen Medien. Die in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegene Nutzungsdauer unterstreicht die Attraktivität des Mediums ebenso wie der sich immer wieder bestätigende Befund, dass die Menschen das Fernsehen als das mit Abstand vielseitigste Medium schätzen 445 . Allerdings hat das Fernsehen 443 Klingler/Müller 2007, S. 464. 444 Ebd., S. 463. 445 S. etwa Berg/Kiefer 1996, S. 86. 237 3. Trends und Perspektiven in den letzten Jahren einen erheblichen Glaubwürdigkeitsverlust hinnehmen müssen 446 . Mit der zunehmenden Ausdifferenzierung der Programme ist auch bei diesem Medium eine Fragmentierung des Publikums verbunden, im Zuge derer einzelne Sendungen an Bindungs- und Integrationskraft verlieren. Das Image des Fernsehens insgesamt hat zwar im Laufe der letzten Jahre die starken bildungsbürgerlichen Vorbehalte der ersten Jahrzehnte ablegen können, denen zufolge die Tätigkeit Fernsehen generell als minderwertig galt; dies mag damit zusammenhängen, dass mittlerweile ein großer Teil der Bevölkerung mit dem Fernsehen groß geworden ist und entsprechend dem Medium gegenüber eine gelassenere Haltung zeigt 447 . Negative Anzeichen für das Medium ergeben sich allerdings als Konsequenz aus der Entwicklung neuer Medien, aber auch aus der zunehmenden Verbreitung von Pay-TV. Durch den Versuch, auch im Fernsehbereich die Abonnementfinanzierung zu etablieren, ergibt sich ein weiterer Anlass, das werbefinanzierte Fernsehen als „billig“ anzusehen. Insbesondere kommerzielles Fernsehen wird in jüngster Zeit in der öffentlichen Diskussion karikierend als „Unterschichtsmedium“ bezeichnet. Diese Bezeichnung kann aus wissenschaftlicher Perspektive allenfalls als polemisch zuspitzender Hinweis auf die Tatsache gewertet werden, dass die vom kommerziellen Fernsehen erreichten Zuschauer in der Regel über eine geringere formale Bildung und geringere Einkommen verfügen als der Bevölkerungsdurchschnitt und die Zuschauer öffentlich-rechtlicher Programme. Der breiten Akzeptanz des Fernsehens, auch der kommerziellen Programme, die sich über die verschiedenen Bevölkerungsgruppen hinweg erstreckt, wird diese Polemik allerdings nicht gerecht. Insgesamt liegen somit keine Anhaltspunkte dafür vor, dass das Fernsehen seine besondere Stellung in Kultur und Gesellschaft verlieren wird. Verschiebungen seiner Funktionen ergeben sich insbesondere aus der zunehmenden Vervielfachung und Ausdifferenzierung der Angebote, die zu einer weiteren Fragmentierung der Publika führen werden. Die Zeitungen erleben in den letzten Jahren einen langsamen Rückgang ihrer Reichweiten, insbesondere in den jüngeren Altersgruppen. Dennoch scheint ihre Stellung im Bereich der öffentlichen Kommunikation nahezu ungebrochen. Im Hinblick auf ausführliche Information und Hintergründe, im Hinblick auf lokale und regionale Berichterstattung werden Zeitungen weiterhin als die wesentliche(n) Quelle(n) angesehen. Auch wenn es vermehrt Bemühungen gegeben hat, die Zeitungen durch Farbe, Bilder, neue Layouts und entsprechende Themen unterhaltsamer zu gestalten, sind die genannten Kernfunktionen dieses Mediums doch nach wie vor in dem Bereich der Information zu sehen. Wie Untersuchungen gezeigt haben, stellte sich der Grad der unterhaltsamen Gestaltung keineswegs als maßgeblicher Erfolgsfaktor heraus 448 . Die Zeitschriften stellen bereits seit einiger Zeit ein extrem ausdifferenziertes Segment öffentlicher Kommunikation dar; entsprechend liegen die besonderen Funktionen in der Erfüllung sehr spezifischer Interessen. Systematische Verschiebungen haben sich in den letzten Jahren im Hinblick auf die allgemeinen Kennwerte wie Reichweiten und Lesedauer in der Gesamtbevölkerung nicht erkennen lassen. Gleichwohl ist dieser Medienbereich bei näherem Hinsehen in starker Bewegung. Zahlreiche Neuerscheinungen, Relaunches und Einstellungen von Zeitschriften dokumentieren, dass viel experimentiert wird, um die offenbar stark schwankenden Leserinteressen zu treffen. Gerade im Zeitschriftenbereich schlagen sich Veränderungen der gesellschaftlichen Anforderungen und Orientierungen, die entsprechend die Interessen der Leserinnen und Leser beeinflussen, besonders rasch nieder. Der Boom der Computerzeitschriften hält mittlerweile bereits recht lange an, auch Computerspiel(e)-Zeitschriften sind mittlerweile recht gut etabliert, während sich das zwischenzeitlich – in der Phase der ersten Interneteuphorie – gesteigerte Interesse an Börsentiteln rasch wieder gelegt hat. Aber auch Ratgeber aller Art und der Gesundheits- und Wellness-Bereich haben in den letzten Jahren besondere 446 S. zuletzt Reitze/Ridder 2006, S. 76. 447 Vgl. dazu grundsätzlich Peiser 1995. 448 Vgl. Schönbach/Lauf 2002. 238 3.1. Funktionen der Medien Aufmerksamkeit gefunden. Angesichts der engen Verbindung zwischen der jeweiligen Lesemotivation und den spezifischen Alltagsanforderungen versteht es sich von selbst, dass der Zeitschriftenmarkt sehr fein nach verschiedenen Lebens- und Interessenlagen ausdifferenziert ist. Als neu hinzugetretene Möglichkeit zur Realisierung öffentlicher Kommunikation haben das Internet bzw. die Online-Medien insgesamt in den letzten Jahren besondere Aufmerksamkeit genossen. Nach der raschen Ausbreitung der technischen Zugangsvoraussetzungen stellte sich dabei verstärkt die Frage, wozu diese technische Option von den Anbietern und Nutzern tatsächlich verwendet wird. Wenn auch den einschlägigen Untersuchungen zufolge die Kommunikationsfunktion (insbesondere E-Mails) die wichtigste Verwendungsform zu sein scheint, so zeigen die Ergebnisse doch, dass auch die Information über aktuelle politische, gesellschaftliche und kulturelle Angelegenheiten zu den stark nachgefragten Funktionen gehört 449 . In den letzten Jahren zeigen sich zunehmende Hinweise darauf, dass das Internet auch zu Unterhaltungszwecken eingesetzt wird, derzeit überwiegt aber deutlich die Informationsfunktion; nur bei den 14- bis 19-Jährigen steht die Unterhaltungsfunktion im Vordergrund 450 . Damit sind mittlerweile auch die Online-Medien als wesentliche Foren für die öffentliche Kommunikation anzusehen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Stand der Diskussion Einigkeit darin aufweist, das Internet nicht als „Medium“ aufzufassen. Ebenso wenig wie beim Computer 451 aus der Nutzung eines solchen Gerätes auf die dabei verfolgte Funktion geschlossen werden kann, ist dies beim Internet möglich. Vielmehr handelt es sich um eine technische Plattform, über welche ganz verschiedene Medien genutzt werden können – seien dies Filme, Musikstücke, Zeitungsartikel, Datenbanken oder Telefonfunktionen. 3.1.1.1.2 Das Zusammenspiel alter und neuer Medien Versuche, das Zusammenspiel zwischen alten und neuen Medienangeboten analytisch zu beschreiben und auf dieser Basis zu Prognosen zu gelangen, operieren häufig mit dem Begriffspaar Substitution und Komplementarität 452 . Die Konsequenzen neuer Mediendienste für die klassischen Medien können in möglichen Substitutionseffekten liegen. Diese können dadurch entstehen, dass ein neues Medium oder eine neue Verbreitungsform die Funktionen eines bekannten Mediums vollständig erfüllt und außerdem einen Zusatznutzen bietet, der bisher nicht vorlag. Beispiel für eine solche Funktionsgleichheit war die weitgehende Substitution des Plattenspielers bzw. des Mediums Schallplatte durch die CD; aktuell bahnt sich Ähnliches zwischen Video und DVD an. Solche weit reichenden Substitutionseffekte bleiben aber in der Regel auf sehr konkrete technische Verbreitungsoptionen beschränkt. Zwischen den wesentlichen Mediengattungen hingegen bestehen wie gesehen weiterhin erkennbare Funktionsunterschiede. Allerdings kann es auch zwischen diesen Mediengattungen insofern zu Substitutionseffekten kommen, als diese untereinander um begrenzte Zeit- und Finanzbudgets der Nutzer konkurrieren. Eine beträchtliche Erhöhung der auf das Internet entfallenden Nutzungszeit kann so zu Rückgängen in der Seh-, Hör- oder Lesedauer führen. Mehrausgaben im Bereich der Mobilkommunikation und der individualisierten Informations- und Unterhaltungsdienste könnten das verfügbare Budget für Printmedien oder Pay-Angebote im Fernsehbereich schmälern. Bisher ist die Befundlage im Hinblick auf solche Substitutionseffekte allerdings uneindeutig. Auf die direkte Frage an Online-Nutzer, ob sich als Folge der Online-Nutzung die Dauer der Nutzung anderer Medien verändert habe, antworten in der Regel ein Viertel bis 449 S. etwa van Eimeren/Frees 2007. 450 Ebd., S. 368. 451 S. dazu grundlegend Höflich 1998. 452 Vgl. zum Folgenden etwa Hagen 1998. 239 3. Trends und Perspektiven ein Drittel, dass sich die Nutzung von Fernsehen, Hörfunk und Zeitung verringert habe 453 . Allerdings lässt sich dies bei direkten Untersuchungen der tatsächlichen Nutzungszeiten nicht nachvollziehen; so ist die Fernsehdauer bei Online-Nutzern in den letzten Jahren mindestens ebenso hoch wie bei Nicht-Nutzern 454 . Zeitbudgetstudien legen vielmehr nahe, dass die neuen Medien durch zunehmende Mehrfach- bzw. Parallelnutzung von Medien sowie durch Wegfall nicht-medienbezogener Aktivitäten in die Zeitbudgets integriert werden 455 . Diese Aussagen sind insofern zu relativieren, als die Gruppe der 14- bis 19-Jährigen bereits ein drastisch verschobenes Medienrepertoire aufweist: Die tägliche Nutzungsdauer des Internets liegt hier bereits über der Radio-Hördauer und annähernd gleichauf mit der Fernsehdauer 456 . Die in den deskriptiven Teilen skizzierten jüngeren Forschungsergebnisse weisen insgesamt weniger auf Substitutionseffekte als auf die ausgeprägte Komplementarität der Beziehung zwischen alten und neuen Medien hin. So gehören die Online-Angebote von Hörfunk- und Fernsehveranstaltern wie auch von Zeitungen und Zeitschriften zu den bestbesuchten Webseiten überhaupt. Die Angebote im Internet werden dabei als Ergänzungen und Vertiefungen zu den klassischen Medienangeboten genutzt und insofern als klare Bereicherung des bisherigen Angebots wahrgenommen 457 – hier stellen Online-Angebote also ein Instrument zur Verbesserung der Publikumsbindung zu den klassischen Medienangeboten dar und können als die Verlängerung der traditionellen Angebote in eine digitale Welt hinein verstanden werden. Die Komplementarität geht mittlerweile so weit, dass klassische Medienangebote ohne ein zusätzliches ergänzendes Online-Angebot nicht mehr auskommen; ein guter Teil der Nutzer geht davon aus, dass zumindest die Option besteht, über das Netz das Ursprungsangebot zu vertiefen. Doch nicht nur im Hinblick auf das Zusammenspiel zwischen klassischen Medien und Internet, sondern ganz generell ist in den letzten Jahren eine zunehmende Bedeutung crossmedialer Strategien zu beobachten. Inhalte werden, damit sie im unübersichtlichen Angebotsspektrum wahrnehmbar werden, in möglichst vielen verschiedenen Medien gleichzeitig präsentiert. Die technischen Möglichkeiten zur crossmedialen Platzierung, die sich aus der Digitalisierung ergeben, werden diesen Trend weiter verstärken. In diesem Sinne ergibt sich die Funktion der einzelnen Mediengattungen ganz wesentlich aus der Art ihres Zusammenspiels mit den anderen Medien. Eine neue Herausforderung ergibt sich im Zusammenhang mit der Diskussion um das Zusammenspiel der verschiedenen Medien aus der Tatsache, dass die neuen Nutzungsoptionen zum Teil lediglich neue Verbreitungsmöglichkeiten für die klassischen Angebotsformen darstellen. In dem Maße, wie über das Internet oder das Mobiltelefon Hörfunk- und Fernsehprogramme genutzt werden 458 , ist es nicht mehr sinnvoll, die betreffenden Nutzungsakte als „Internetnutzung“ der Hörfunk- bzw. Fernsehnutzung gegenüberzustellen; vielmehr ist es erforderlich, eine plattformübergreifende Nutzungsforschung zu entwickeln, die die jeweiligen Nutzungsakte auf der Basis der Bedeutung, die sie für die Nutzer haben, einordnet. 3.1.1.2 Gesellschaftliche Relevanz Die skizzierten Funktionsverschiebungen der Medien sind zum Teil mit Substitutionseffekten verbunden. Diese sind für die Gesamtsituation des Mediensektors insofern von besonderer Relevanz, als sie bei den etab453 Vgl. z. B. van Eimeren/Frees 2007, S. 377; zur Diskussion dieser Befunde s. Hasebrink/Dreier/Krotz/Weiß 2001, S. 67 f. 454 Van Eimeren/Frees 2007, S. 377. 455 S. z. B. Berg/Kiefer 2002, S. 45 ff. 456 Van Eimeren/Frees 2007, S. 378. 457 Vgl. z. B. Oehmichen/Schröter 2004, S. 391. 458 S. zu den jüngsten Zahlen van Eimeren/Frees 2007, S. 369-375. 240 3.1. Funktionen der Medien lierten Medien mit Verlusten an Marktanteilen und Einnahmen verbunden sind und auf der ökonomischen Ebene entsprechende Gegenstrategien erforderlich machen. Zusätzliche gesellschaftliche Relevanz ergibt sich daraus, dass sich in der Folge eines Bedeutungsverlustes bestimmter Medien, etwa der Lesemedien oder integrativer Informationsangebote, Funktionsverluste einstellen können, die im Sinne einer vielfältigen und alle Bevölkerungsgruppen einschließenden Kommunikationskultur problematisch sind. In diesem Sinne sind vor allem die zunehmende zielgruppenbezogene Ausdifferenzierung der Angebote und die damit einhergehende Fragmentierung von Publika (s. Kapitel 3.1.2) als problematisch zu betrachten. Die Befunde über Funktionsverschiebungen der Medien weisen aber insbesondere auf das enge funktionale Zusammenspiel verschiedener Medien und die sich daraus ergebenden Komplementaritätsbeziehungen hin, die durch crossmediale Strategien unterstützt werden. Aus der Sicht der Nutzer gehören die verschiedenen Medien zusammen, sie werden im Ensemble genutzt. Diese Beobachtungen sind für medien- und kommunikationspolitische Überlegungen insofern hoch relevant, als die bisherige Trennung politischer und rechtlicher Rahmenbedingungen für die Einzelmedien in Frage gestellt wird. Wenn die Funktionen der Medien sich überwiegend aus ihrem Zusammenspiel mit anderen Medien ergeben, liegt es nahe, auch dieses Zusammenspiel zum Anknüpfungspunkt für medien- und kommunikationspolitische Maßnahmen zu machen. Eine weitere Herausforderung für Medienpolitik und -regulierung ergibt sich aus dem Umstand, dass sich die verschiedenen kommunikativen Funktionen zunehmend von bestimmten technischen Übertragungswegen und Endgeräten ablösen. Ein und derselbe Inhalt kann über ganz verschiedene Wege zu den Nutzern gelangen. Technisch definierte Anknüpfungspunkte für bestimmte Regulierungsansätze werden dadurch zunehmend in Frage gestellt; stattdessen ergibt sich die Notwendigkeit, an den tatsächlich vorliegenden Funktionen verschiedener Medien- und Kommunikationsdienste für die Nutzer anzusetzen. 3.1.1.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte Für die Kommunikations- und Medienpolitik folgt aus der Bestandsaufnahme zum Ersten, dass das Zusammenspiel zwischen den verschiedenen Medien bei Wirkungsdebatten wie auch bei medienpolitischen Handlungsoptionen zunehmende Aufmerksamkeit verdient. Die Betrachtung der Einzelmedien reicht in aller Regel nicht aus; das Nutzungsverhalten ist geprägt durch crossmediale Bezüge, die durch die crossmedialen Vermarktungsstrategien der Anbieter gezielt verstärkt werden. Daraus lassen sich etwa Argumente für ein Gesamtmarktmodell im Bereich der Vielfaltssicherung (s. Kapitel 3.3.1.3.3) ableiten. Wie empirische Befunde zum Nutzungsverhalten für ein solches Gesamtmarktmodell umzusetzen wären bzw. wie der Beitrag der verschiedenen Einzelmedien zur crossmedial vermittelten Meinungsmacht eines Anbieters gemessen werden könnte, ist bisher allenfalls in Ansätzen erkennbar 459 . Hier besteht Bedarf an kreativen Konzepten sowie an Forschungsprogrammen, die die Folgen crossmedialer Kooperationen für die Meinungsbildung und die dabei zu beobachtenden Beiträge der Einzelmedien untersuchen. Aber auch über diesen konkreten medienpolitischen Anknüpfungspunkt hinaus ist nach den vorliegenden Beobachtungen zum Nutzungsverhalten generell zu berücksichtigen, dass die Mediennutzer in ihrem alltäglichen Umgang mit den Medien verschiedene Einzelmedien systematisch miteinander kombinieren und dass das dabei entstehende medienübergreifend zusammengesetzte Repertoire ausschlaggebend für die Funktionen und Wirkungen der Medien ist. Aus den Befunden zu aktuellen Trends der Mediennutzung folgt zum Zweiten, dass sich die mit verschiedenen Einzelmedien realisierten Funktionen in den neuen Medienumgebungen verändern. Statische Konzepte, die ein bestimmtes Medium mit bestimmten Funktionen verbinden, werden diesem Wandel nicht gerecht. Dies bildet auch den Hintergrund für die Debatte um die zukünftige Aufgabe öffentlich-rechtlichen Rundfunks. 459 Vgl. etwa die Überlegungen von Hasebrink 2003. 241 3. Trends und Perspektiven Dies gilt umso mehr für Konzepte, die an technischen Medienmerkmalen ansetzen. Denn diese technischen Merkmale sind im Hinblick auf die von den Nutzern realisierten Medienfunktionen immer weniger aussagekräftig – über ein und denselben Verbreitungsweg, über ein und dasselbe Endgerät können ganz unterschiedliche Dienste genutzt werden, ein und derselbe Dienst kann von den Nutzern über ganz unterschiedliche technische Wege realisiert werden. Bei Schritten zu einer dienstespezifisch diversifizierten Kommunikationsordnung sollte daher geprüft werden, inwieweit diese verstärkt an den tatsächlich realisierten Funktionen beim Medienumgang ansetzen können, weniger als bisher an konkreten technischen Merkmalen der Verbreitung. Eine weitere Folge des technischen Wandels ist es, dass sich die mit verschiedenen technischen Infrastrukturen und inhaltlichen Diensten realisierten Funktionen laufend ändern. Folge ist, dass es für funktionsbezogene Regulierungsansätze hilfreich sein kann, diese kontinuierlich daraufhin zu reevaluieren, ob sie den interessierenden Regulierungszielen noch gerecht werden. 3.1.2 Integrationsfunktion: Fragmentierung öffentlicher Kommunikation 3.1.2.1 Bestandsaufnahme Eine prominente These, die im Hinblick auf die durch Digitalisierung und Vernetzung beschleunigte Medienentwicklung oft zu hören ist, geht dahin, dass die Vervielfachung und Ausdifferenzierung der Medienangebote und die damit einhergehende verstärkte Zielgruppenorientierung zur Fragmentierung des Publikums, zur Auflösung von Öffentlichkeit und zu gesellschaftlicher Desintegration führe, die öffentliche Kommunikation drohe ihre Integrationsfunktion zu verlieren 460 . Die Thematisierung von Desintegration betont Unterschiede zwischen verschiedenen Zuschauern und fügt sich gut in die Diskussionen um den Prozess der Individualisierung. Damit wird eine Perspektive eingenommen, die in den letzten Jahren sowohl in der Medienpraxis als auch in der Medienwissenschaft an Bedeutung gewonnen hat: Mittlerweile wird kaum mehr generell von den Nutzern oder von dem Publikum gesprochen, sondern stattdessen mehr oder weniger systematisch zwischen verschiedenen Gruppen unterschieden. Anlässe für die Wahrnehmung, dass sich mit den Angeboten auch die Mediennutzung ausdifferenziert, dass sich das Publikum verstreut und damit die Integrationsfunktion der Medien ausgehöhlt wird, ergeben sich in mehrfacher Hinsicht. In der Vergangenheit stand die Entwicklung des Fernsehens im Vordergrund dieser Debatte, mittlerweile wurde dieses Medium vom Internet abgelöst. Mit Blick auf die Fernsehdiskussion zeigt sich, dass die bis Mitte der 80er-Jahre recht stabile und überschaubare Angebotssituation gerade in diesem Medium und die damit herausragende Rolle insbesondere der Hauptnachrichtensendungen von ARD und ZDF eine prototypische Vorstellung von „Integration“ geprägt hat – noch heute lässt sich aus mancher Klage über die Fragmentierung des Publikums die implizite Prämisse herauslesen, gesellschaftliche Integration bestehe in 100-prozentigen Reichweiten der „Tagesschau“. Seit 1985 war es die offensichtlichste Folge der zahlreichen zusätzlichen Programmangebote, dass sich die Fernsehnutzung auf die verschiedenen Kanäle verteilte. Auch andere Merkmale der Fernsehnutzung werden im Sinne einer zunehmenden Fragmentierung interpretiert: Der tendenziell zunehmende Anteil der Fernsehnutzung außerhalb der Prime Time, das durch Zweit- und Drittgeräte bzw. durch die wachsende Zahl der Ein-Personen-Haushalte begünstigte allein Sehen, das vermehrte Umschalten und die Nebenbei-Nutzung des Fernsehens 461 . Aus diesen Einzelbeobachtungen ergibt sich insgesamt das Bild, dass sich durch die gestiege- 460 S. etwa Stolte 1996, S. 466; für einen Versuch der empirischen Bestimmung der Fragmentierung des Medienpublikums s. Handel 2001. 461 Vgl. dazu ausführlich Jäckel 1996, insbesondere S. 167-245. 242 3.1. Funktionen der Medien ne „Wahlfreiheit in der Fernsehnutzung“ 462 zunehmend individualisierte, an individuellen Bedürfnissen, Interessen und Vorlieben orientierte Formen der Fernsehnutzung herausbilden 463 , während die Strukturen der Medienangebote im Prozess der Massenkommunikation an Prägekraft verlieren. Einen weiteren Schub in dieselbe Richtung erfährt diese Diskussion im Zuge der Einführung digitalen Fernsehens und der raschen Ausbreitung der Zugangsmöglichkeiten zum Internet und zu Online-Diensten. Im Zeichen entgeltfinanzierter Fernsehangebote – die auf Exklusivität setzen müssen und somit zu klaren Unterscheidungen zwischen denen führen, für die eine Information verfügbar wird, und denen, für die dies nicht der Fall ist – und jederzeit individuell abrufbarer Informationen aller Art erscheint kaum mehr vorstellbar, wie die klassische Integrationsfunktion der Massenmedien künftig erfüllbar sein könnte. Die neuen Angebote setzen auf Differenzierung, auf Sparten- und Nischenangebote, auf Special Interest und damit auf eine noch konsequentere Unterscheidung von Zielgruppen bis hin zur unmittelbaren Ansprache individueller Rezipientinnen und Rezipienten. Im Hinblick auf die Frage, inwieweit sich die Ausdifferenzierung der Angebotsseite in entsprechend ausdifferenziertem Nutzungsverhalten niederschlägt, wurden bereits seit 1985 Befunde aus der Studie „Massenkommunikation“ im Sinne einer Ausdifferenzierung von Mediennutzungsstilen interpretiert 464 , die sich etwa hinsichtlich der Zuwendung oder Nichtzuwendung zu bestimmten Medien und Angebotstypen sowie hinsichtlich des den Medien gewidmeten Zeitaufwandes klar unterscheiden. Die Ergebnisse dieser Langzeitstudie werden im Sinne einer Spezialisierung von Mediennutzungsmustern interpretiert: Auf der einen Seite das Publikum öffentlich-rechtlicher Programme, das sehr informationsorientiert fernsieht und auch andere Medien häufiger zur Information nutzt, auf der anderen Seite das Publikum privater Programme, das besonders an unterhaltenden Angeboten interessiert ist. Angesichts des engen Zusammenspiels von Themeninteressen, Programmspartenpräferenzen und Programmwahlverhalten einerseits und den jeweiligen Angeboten öffentlichrechtlicher und privater Veranstalter andererseits „deuten sich zirkuläre Prozesse in Richtung einer Interessenverfestigung und letztlich Interessenverengung an“, so hatte Marie-Luise Kiefer bereits auf der Grundlage der Erhebung von 1990 geschrieben 465 . Bei den Folgeuntersuchungen konnten die Beobachtungen hinsichtlich der Unterschiede zwischen verschiedenen Nutzergruppen fortgeschrieben und bestätigt werden 466 . Während das Fernsehen, das durch seine hohen Reichweiten für einzelne Angebote gemeinhin als das Integrationsmedium schlechthin angesehen wird, hier relativ ausführlich dargestellt wurde, ist für andere Medien, etwa den Hörfunk, Tonträger, Film und Zeitschriften, bereits seit längerem bekannt, dass ihre Nutzung sehr zielgruppenspezifisch erfolgt. Der Geschmack für bestimmte Musikstile und Filmgenres unterscheidet sich insbesondere zwischen verschiedenen Altersgruppen so gravierend, dass nur in Ausnahmefällen altersübergreifende Publika erreicht werden. Insgesamt sprechen also zahlreiche Beobachtungen und Argumente für eine zunehmende Fragmentierung des Publikums, für ein Bild von der Medienentwicklung, das durch Trennungen und Klüfte zwischen verschiedenen Segmenten der Bevölkerung gekennzeichnet ist, zwischen denen nicht nur keine direkte Kommunikation stattfindet, sondern auch die Massenmedien nicht vermitteln können. Dieses Bild ist allerdings durchaus überpointiert. Den obigen Hinweisen auf die Bedeutung der medienübergreifenden Repertoires, der jeweiligen Zusammenstellung von Inhalten aus verschiedenen Medien entsprechend muss die Beobachtung, dass sich verschiedene Bevölkerungsgruppen in dem Ausmaß der Nutzung bestimmter Angebote unterschei462 Ebd. 463 Vgl. dazu z. B. Berens/Kiefer/Meder 1997. 464 Berg/Kiefer 1996, S. 23. 465 Kiefer 1994, S. A126. 466 S. zuletzt Reitze/Ridder 2006. 243 3. Trends und Perspektiven den und auf viele zielgruppenorientierte Angebote verteilen, noch nicht heißen, dass zwischen ihnen keine Kommunikation stattfindet bzw. sie über kaum mehr überlappende Wissensbestände verfügen. Auch die theoretisch orientierte Auseinandersetzung mit der Integrationsproblematik weist darauf hin, dass die oben genannten Indikatoren zum Teil auf einem verkürzten Verständnis von gesellschaftlicher Integration beruhen 467 . Danach ist es nicht entscheidend, dass die verschiedenen Teile der Bevölkerung tatsächlich dasselbe Medienangebot, also etwa die „Tagesschau“ der ARD um 20 Uhr, nutzen. Entscheidender für gesellschaftliche Integration sei vielmehr, dass es Foren gebe, die dazu beitragen, auch die Themen, mit denen sich andere Bevölkerungsgruppen beschäftigen, zumindest kennen zu lernen, Foren, auf denen zumindest die Frage der Integration und ihrer Defizite thematisiert werde. Gerade diese Funktion des breiten Blickwinkels auf die Gesellschaft, der nicht von individuellen Themeninteressen eingeengt wird, könnte durch diejenigen neuen Medienangebote gefährdet werden, deren Versprechen an die Nutzer darin liegt, dass ihnen nur noch die Inhalte geboten werden, die sie tatsächlich interessieren. Die Vision einer „Daily Me“, einer vollständig auf individuelle Leseinteressen zugeschnittenen Tageszeitung, wird derzeit in Form verschiedener Modelle von Online-Zeitungen umgesetzt. Die Besonderheit gegenüber klassischen Zeitungen, die den Lesern ein umfassendes Bild von dem geben, was die Gesellschaft bewegt, besteht darin, dass das Spektrum dessen, was in den Blick gerät, von vornherein eingeengt ist auf das, was gezielt gesucht wird, und somit ganze gesellschaftliche Sphären fehlen können. Erste Studien darüber, welche Folgen mit der Nutzung von Online-Zeitungen einhergehen, deuten darauf hin, dass die Nutzer von Online-Zeitungen tendenziell einen schmaleren Ausschnitt des gesellschaftlichen Geschehens wahrnehmen als Leser klassischer Tageszeitungen 468 . 3.1.2.2 Gesellschaftliche Relevanz Die skizzierten Befunde zur Ausdifferenzierung des Nutzungsverhaltens fügen sich, zumindest beim ersten Hinsehen, nahtlos ein in die Bereiche der allgemeinen soziologischen Diskussion, die sich in den letzten Jahren mit dem Konzept der Individualisierung und mit der Lebensstilforschung befasst haben. Diese beiden Konzepte sind in der öffentlichen Diskussion zu Schlagwörtern geworden, mit denen die Auflösung von Bindungen an traditionelle Werte und Institutionen sowie die Akzentuierung der Differenzen zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen assoziiert wurden und die sich daher im Hinblick auf die Medienentwicklung zur Stützung des Bildes von zunehmender Fragmentierung und Desintegration verwenden ließen. Dass in der Fachdiskussion zur Individualisierungsthese im direkten Gegensatz dazu auch die Auffassung vertreten wird, dass den Medien als Folge der Individualisierung gerade eine verstärkt homogenisierende Rolle zukommt, wird dabei nicht berücksichtigt 469 . Da diese Spezialisierungstendenzen im Umgang mit den Medien mit bestimmten Merkmalen der Lebenslage verknüpft sind, sei mit einer Verstärkung „sozialer Klüfte im Umgang mit den Medien und vor allem ihrem Angebot an politischer Information“ zu rechnen: „Über die Folgen einer solchen Entwicklung für ein demokratisches Staatswesen wie die Bundesrepublik, in dem Politik bei der notwendigen Legitimitätsgewinnung für ihr Entscheiden und Handeln ja weitgehend auf die Massenmedien angewiesen ist, soll an dieser Stelle nicht spekuliert werden, sie sind zum Teil evident“ 470 . 467 Vgl. etwa Jarren 2000. 468 S. Schönbach/de Waal/Lauf 2004. 469 Ebd., S. 44 ff.; zur Diskussion um die Anwendung der Individualisierungsthese auf den Medienbereich s. auch Krotz 1998. 470 Berens/Kiefer/Meder 1997, S. 190. 244 3.1. Funktionen der Medien Besondere gesellschaftliche Relevanz hat der Aspekt der Integration vor allem in zweierlei Hinsicht. Zum Ersten ist zu fragen, inwieweit die zunehmend individualisierbaren Medienangebote, der Übergang von „Push- zu Pull-Medien“, also von solchen Medien, die den Nutzern eine breite Angebotspalette offerieren, aus der die Nutzer dann auswählen, hin zu solchen Angeboten, bei denen die Nutzer von vornherein nur bestimmte Themenbereiche abrufen, für die öffentliche Kommunikation haben werden. Erste Versuche, die Folgen eines solchen Paradigmenwechsels in der öffentlichen Kommunikation empirisch zu erfassen, deuten wie gesehen darauf hin, dass die Nutzung individualisierbarer Angebote mit einer Verengung des Interessens- und Wissenshorizonts einhergeht, womit die Diagnose einer Spezialisierung von Mediennutzungsmustern unterstrichen wird. Zum Zweiten ist mit der Frage nach der Integrationsfunktion der Medien die Sorge um die Kommunikationsdefizite zwischen sozialen Milieus oder ethnischen Gruppen verbunden. Die Beobachtung, dass etwa weite Teile der in Deutschland lebenden Immigranten sich weit überwiegend auf Medien ihrer Herkunftsländer beziehen, wird unter dem Stichwort „Parallelgesellschaft” diskutiert und im Hinblick auf die kulturelle und politische Integration kritisch bewertet (s. Kapitel 3.3.2) 471 . In der aktuellen Medienentwicklung sind weitere Verschärfungen der Ausgangslage angelegt, die die Voraussetzungen für Integration weiter erschweren könnten. Die künftigen Digital-Plattformen und die auf sie bezogenen Dienste bergen einige Ansatzpunkte für weitere Trennlinien. In dem Maße, wie die Abonnenten eines Bouquets von diesem quasi rundum versorgt werden, indem etwa ein Bouquet-gebundener EPG zur konsequenten Promotion der eigenen Angebotsfamilie genutzt wird und zugleich über die zugehörigen interaktiven Fernseh-Dienste und Online-Angebote andere Alltagsaktivitäten wie Einkaufen, Veranstaltungskalender, Spiele etc. von demselben Anbieter gebündelt werden, können eigene „Welten“ entstehen, die gegenüber anderen Welten gut abgeschottet sind – zum Nachteil der Kommunikation über die Grenzen hinweg. Umso relevanter sind die Bemühungen, im Bereich der neuen digitalen Medien die Voraussetzungen für einen offenen und diskriminierungsfreien Zugang zu schaffen und zu sichern (s. Kapitel 3.3.1). 3.1.2.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte Im Sinne einer Kommunikations- und Medienpolitik, die sich der gesellschaftlichen und kulturellen Integration verpflichtet fühlt, ist zunächst festzustellen, dass ein erheblicher Bedarf an Wissen über die Bedeutung gesellschaftlicher Integration und die Rolle der Medien in ausdifferenzierten Gesellschaften besteht. Die skizzierten empirischen und theoretischen Ansätze sind bisher wenig elaboriert und bieten kaum konkrete Anknüpfungspunkte für kommunikationspolitische Konzepte. Insoweit entsprechende Konzepte vorliegen, erscheint eindeutig, dass es in ausdifferenzierten Gesellschaften einer kontinuierlichen Beobachtung und Thematisierung der Kommunikationsbeziehungen zwischen verschiedenen Teilgruppen bedarf. Dazu dienen könnten regelmäßige Berichte über die Interessen und Nutzungsgewohnheiten bestimmter Bevölkerungsgruppen, etwa der Älteren, der Migranten oder der sozial Schwachen. Ein weiterer Anknüpfungspunkt liegt in der Förderung von integrativen Kommunikationsvorhaben, die auf verschiedenen Ebenen angesiedelt sein können. Dazu gehören etwa Projekte mit ethnisch vielfältig zusammengesetzten Redaktionen, die zahlreichen Initiativen im Bereich der (meist lokalen) Bürgermedien, die darauf abzielen, den kommunikativ benachteiligten Bevölkerungsgruppen eine Stimme zu verleihen, aber auch die etwa im Deutsche-Welle-Gesetz verankerte Aufgabe zur kulturellen Integration von Migranten. 471 Vgl. z. B. Becker 1997. 245 3. Trends und Perspektiven Im Hinblick auf die kontinuierlichen Diskussionen über die Interpretation und Umsetzung von PublicService-Aufgaben wird so auch die Frage, wie Integration unter veränderten Nutzungsbedingungen gefördert werden kann, eine maßgebliche Rolle spielen. 3.1.3 Gesellschaftliche Spaltungen: „Digital Divide“ Die zuvor angesprochene Problematik der Herausforderungen für die Integrationsfunktion der Medien umfasst einen bedeutsamen Unteraspekt, der sich in der öffentlichen Diskussion so verselbstständigt hat, dass er auch hier gesondert dargestellt werden soll. Es geht um die Feststellung, dass erhebliche Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen im Hinblick auf den Zugang zu bzw. die Nutzung von neuen Medien- und Kommunikationsdiensten bestehen, woran sich die Befürchtung knüpft, dass es zu einer Spaltung der Gesellschaft in „Informationsreiche“ und „Informationsarme“ kommen könnte. 3.1.3.1 Bestandsaufnahme Unter dem Schlagwort „Digital Divide“ ist diese Problematik, die bereits an früheren Medieninnovationen von der Forschung zur Diffusion von Innovationen 472 sowie zur Hypothese der wachsenden Wissenskluft473 behandelt wurde, in den 90er-Jahren zu besonderer Prominenz gelangt. Die Diskussion über die Entwicklung der Informationsgesellschaft in Deutschland knüpft in vielen Bereichen an amerikanische Vorbilder an. Unter der Regierung Clinton bemühte sich insbesondere der Vizepräsident Al Gore, die Metapher vom Information Super Highway zur Förderung der Verbreitung moderner Informations- und Kommunikationstechniken zu nutzen 474 . Zu den Aktivitäten der Clinton-Administration zählte auch die Beobachtung der Verbreitung der Informations- und Kommunikationstechniken in der Bevölkerung. Schließlich entstanden in dieser Zeit erste Berichte zur Entwicklung eines „Digital Divide“, die detaillierte Informationen dazu enthielten, welche Teile der Bevölkerung von dieser Entwicklung ausgeschlossen waren. Unter der Überschrift „Bridging the Digital Divide“ wurden zahlreiche Programme ins Leben gerufen, die benachteiligten Bevölkerungsgruppen den Zugang zu neuen Medien und insbesondere dem Internet ermöglichen sollten. Die Probleme, um die es in den USA ging, richteten sich vor allem gegen die Verschärfung ohnehin vorhandener erheblicher ökonomischer Benachteiligungen bestimmter Bevölkerungsgruppen. Die entsprechende Diskussion in Deutschland knüpfte, wenngleich die Situation in den USA nicht direkt übertragbar ist, in vielen Punkten an dem amerikanischen Vorbild an. So wurde auch in der Bundesrepublik vor allem das Internet als zentrale Kommunikations- und Informationsinfrastruktur der Zukunft angesehen, zu der jeder Zugang haben sollte. Vor diesem Hintergrund führten die empirischen Befunde zur Ausbreitung des Internets in verschiedenen Bevölkerungsgruppen hierzulande ebenfalls zu großer Prominenz des Begriffs „Digital Divide“ 475 . Auslöser waren zunächst empirische Daten über die Diffusion des Zugangs zum Internet, die dokumentierten, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen sehr viel seltener über einen Zugang verfügen als der Durchschnitt. Dazu gehören auch nach den jüngsten Erhebungen insbesondere Personen ab 60 Jahren, formal geringer Gebildete, Personen mit geringem Einkommen, Nicht-Berufstätige 476 . Der in der Anfangsphase der Diffusion ebenfalls viel diskutierte Unterschied zwischen Männern und Frauen hat sich mittlerweile zwar deutlich verringert; der letzten ARD/ZDF-Online-Studie zufolge besteht aber immer noch ein Unter472 Vgl. z. B. Rogers 1995. 473 Vgl. z. B. Bonfadelli 1994. 474 Vgl. Kubicek/Welling 2000, S. 501. 475 Für einen Überblick über die deutsche Diskussion siehe Kubicek/Welling 2000, Gehrke 2004a; Arnhold 2003; Roters/Turecek/Klingler 2003. 476 Vgl. Konert 2004 und van Eimeren/Frees 2007. 246 3.1. Funktionen der Medien schied von gut 12 Prozentpunkten (Anteil der Online-Nutzer in den letzten vier Wochen bei Männern: 67,1 Prozent; bei Frauen: 54,8 Prozent) 477 . Im Rahmen der Diskussion gewann die Frage an Bedeutung, aus welchen Gründen diejenigen, die über keinen Internetzugang verfügten, sich diesen noch nicht verschafft haben. Die entsprechende Forschung 478 führt vor allem vor Augen, dass viele der Nicht-Nutzer bisher in den Online-Medien keinen persönlichen Nutzen für sich entdecken können. Dieses Argument stößt über verschiedene soziodemografische Gruppen hinweg in gleichem Ausmaß auf Zustimmung. Die weiteren wichtigen Gründe für die Nicht-Nutzung, nämlich die hohen Kosten für Computer und Internet sowie Schwierigkeiten bei der Bedienung von Hardware und Software, hängen demgegenüber mit dem Einkommen und dem formalen Bildungsstand zusammen, sind also für die einkommensschwächeren und geringer gebildeten Gruppen von größerer Bedeutung. Mittlerweile hat sich die Fixierung der Diskussion von dem reinen Aspekt des Zugangs zum Internet gelöst. Von einer „zweiten Ebene“ des Digital Divide 479 ist dann die Rede, wenn sich Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen nicht nur im Zugang an sich, sondern in der Art des Umgangs mit dem Internet zeigen. Empirische Anhaltspunkte dafür werden etwa darin gesehen, dass sich die Nutzer darin unterscheiden, ob sie die ganze Breite der Möglichkeiten, die das Internet bietet, tatsächlich nutzen oder ob sie sich auf ein eng begrenztes Spektrum beschränken. So geben etwa rund die Hälfte der deutschen Online-Nutzer an, dass sie ausschließlich deutschsprachige Websites nutzen, damit also einen großen Teil des weltweiten Informationsangebots von vornherein außer Acht lassen 480 . Abbildung 3.1.3.1: Zugangsregenbogen Medienkompetenz (technische Nutzungskompetenz und inhaltliche Recherche,- Navigationsund Bewertungskompetenz) Zugang zu Informationen von öffentlichem Interesse (Selbst-)Schutzmaßnahmen Attraktive kom merzielle Angebote Orientierungsinformationen PC, Modem, Browser Spezielle Hilfen z. B.für Hörund Sehbehin derte Server, Tools zur Erstellung und Pflege von Angeboten Internet Telekommunikationsnetz Elektronische Unterschrift, Verschlüsselung, Filtersoftware, Anonymisierungsmöglichkeiten etc) Suchmaschinen, Linksammlungen Verweisdatenbanken etc Verbes serter Zugang zu Leistungen der öffentlichen Verwaltung Quelle: Kubicek, Welling 2000, S. 508 477 Van Eimeren/Frees 2007, S. 364. 478 S. z. B. Gerhards/Mende 2007, Gehrke 2004b. 479 S. etwa Konert 2004, S. 27. 480 Ebd., S. 24. 247 3. Trends und Perspektiven 3.1.3.2 Gesellschaftliche Relevanz Die Relevanz der Debatte, die sich um den Begriff des „Digital Divide“ dreht, liegt auf der Hand: In dem Maße, wie der Zugang zu und die Nutzung von Informations- und Kommunikationstechnologien systematisch mit bestimmten sozioökonomischen Faktoren zusammenhängt, besteht die Gefahr, dass bestimmte Bevölkerungsgruppen von wichtigen Informations- und Kommunikationsmöglichkeiten ausgeschlossen werden. Im Hinblick auf den ursprünglichen Ausgangspunkt der Digital-Divide-Debatte besteht allerdings mittlerweile weitgehend Konsens darüber, dass die Konzentration auf den Aspekt des technischen Zugangs keineswegs ausreicht, um die Problematik angemessen zu erfassen. Abbildung 3.1.3.1 verdeutlicht die Bestandteile der Diskussion über den Zugang zum Internet. Die einzelnen Bestandteile dieses „Zugangsregenbogens“ zeigen, dass es für die Nutzer eine ganze Reihe von Hürden zu meistern gilt, um erfolgreich an der OnlineKommunikation partizipieren zu können. Neben den technischen Voraussetzungen der Telekommunikationsinfrastruktur, der Internet-Services und der erforderlichen Hard- und Software bei den Endnutzern geht es zunächst um geeignete Orientierungsinformationen, um sich die Angebote nutzbar machen zu können, also etwa Suchmaschinen und Linksammlungen. Von zunehmender Bedeutung sind die verschiedenen Schutzmaßnahmen wie elektronische Unterschrift, Verschlüsselung und Filtersoftware gegen Spams und Viren. Maßgeblich für den Zugang sind dann die Inhalte, die den eigentlichen Nutzen des Umgangs mit Online-Medien ermöglichen; die Übersicht unterscheidet hier die drei Bereiche kommerzieller Angebote, Informationen von öffentlichem Interesse sowie Dienstleistungen der öffentlichen Verwaltung. Wenn alle diese Voraussetzungen gegeben sind, bedarf es schließlich noch der entsprechenden Medienkompetenz, die die Nutzer in die Lage versetzt, Online-Medien technisch zu bedienen, im Gesamtangebot zu navigieren und interessante Inhalte zu recherchieren und diese dann für sich bewerten und nutzen zu können; zur Medienkompetenz gehört schließlich auch, eigene Inhalte konzipieren und gestalten zu können. Insgesamt verdeutlicht die Übersicht, dass die gesellschaftliche Relevanz der Debatte sich auf weitaus mehr Aspekte bezieht als auf die bloße Verfügbarkeit technischer Zugangsvoraussetzungen. Es geht ebenso um rechtliche und ökonomische Rahmenbedingungen, es geht um Anbieterstrategien und schließlich um die Fähigkeiten der Nutzer, sich die Angebote für ihre Zwecke nutzbar machen zu können. Im Hinblick auf die gesellschaftliche Relevanz der Debatte um den „Digital Divide“ ist weiter zu beachten, dass der Begriff insofern irreführend ist, als die in Frage stehenden Trennungslinien zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen nicht mehr durch den Zugang zur Digitaltechnologie markiert werden – denn diese ist längst fast in alle Lebensbereiche vorgedrungen. Konkret bezogen wurde der Begriff meist auf den Zugang zum Internet. Die jüngste Medienentwicklung bringt aber weitere Anlässe mit sich, aufmerksam auf neue gesellschaftliche Differenzierungen zu achten, die sich aus veränderten Rahmenbedingungen im Medien- und Kommunikationssektor ergeben. So ist neben dem bisher im Vordergrund stehenden Aspekt des Zugangs zum Internet auch die erwartbar zunehmende Bedeutung des Pay-TV zu nennen, das nur insoweit erfolgreich sein kann, als es attraktive Inhalte aus dem normalen Fernsehen abzieht und nur denjenigen vorbehält, die bereit und in der Lage sind, dafür gesondert zu zahlen. Je mehr die Vertriebs- und Marketingmodelle auf ganz spezifische Zielgruppen oder gar auf Individuen abzielen, desto mehr Gewicht erlangt die Kaufkraft der Betreffenden und desto größer wird die Gefahr, dass weniger kaufkräftige Gruppen von relevanten Informationsangeboten ausgeschlossen bleiben (s. Kapitel 3.2.2). Abschließend ist im Hinblick auf die gesellschaftliche Relevanz der Diskussionen um den Digital Divide festzuhalten, dass deren Stoßrichtung sich als ambivalent erwiesen hat 481 . Auf der einen Seite lag ihr Verdienst darin, dass sie mit einem prägnanten Begriff die Aufmerksamkeit der Politik und der Gesellschaft auf gesellschaftliche Ungleichheiten im Zugang zu neuen Kommunikationsmöglichkeiten lenkte. Auf der anderen 481 248 Vgl. z. B. Selwyn 2004. 3.1. Funktionen der Medien Seite erweckte sie jedoch den Eindruck, die gesellschaftlichen Ungleichheiten seien im Wesentlichen geknüpft an die konkrete Technikentwicklung und entsprechend durch gezielte Programme zur Förderung des Technikzugangs auszugleichen, wodurch die tiefer liegenden Ursachen für soziale Ungleichheit und die Ungleichverteilung von Ressourcen in den Hintergrund gerieten. Zudem stand die Diskussion unter der impliziten Prämisse, dass es gesellschaftlich wünschenswert sei, wenn möglichst alle Menschen eine bestimmte Medien- und Kommunikationstechnologie nutzen; dass die Nutzung der entsprechenden Technologien auch gesellschaftlich dysfunktionale Folgen haben kann, etwa im Hinblick auf die kommerzielle Durchdringung der Privatsphäre oder eine Aushöhlung der Grundlagen öffentlicher Kommunikation, geriet dadurch aus dem Blickfeld. 3.1.3.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte Für die Kommunikations- und Medienpolitik stellt sich angesichts der Digital-Divide-Debatte zunächst die zentrale Frage, wie das Risiko einer technisch determinierten Ideologie der Informationsgesellschaft vermieden werden kann. Dieses Risiko war insbesondere in der Anfangsphase der Internetverbreitung und der sogleich aufkommenden Divide-Debatte gegeben, als es den Anschein machte, als sei allein der technische Zugang zum Internet ein hinreichender Indikator für den Entwicklungsstand und die Wettbewerbsfähigkeit einer Volkswirtschaft bzw. für die Zukunftsfähigkeit der Individuen. Diese Haltung beinhaltet zwei Irrtümer: Erstens erweckt sie den Eindruck, als sei die neue Technologie Grund und Auslöser für die gravierenden Unterschiede zwischen verschiedenen Bevölkerungsgruppen hinsichtlich ihrer sozialen Stellung und ihrer Gestaltungsoptionen. Diese Unterschiede sind anders begründet, sie liegen in sozioökonomischen Voraussetzungen und in ungleich verteilten Bildungschancen, während der (fehlende) Zugang zu neuen Techniken lediglich einen weiteren Indikator für die bestehenden Ungleichheiten darstellt. Zweitens suggeriert die Technikorientierung der Debatte, die neuen technischen Optionen hätten den verschiedenen Bevölkerungsgruppen tatsächlich etwas Sinnvolles zu bieten, das sie in ihrem Alltag gebrauchen können – eine Prämisse, die bisher zumindest durchaus in Frage zu stellen ist. Erster Anknüpfungspunkt für politische Zielsetzungen in diesem Bereich ist daher die Abkehr von einer zu starken Technikzentrierung in diesem Bereich sowie die Hinwendung zu einer stärkeren Betonung des Bedarfs an problemlöseorientierten und an den Bedürfnissen und Interessen der verschiedenen Bevölkerungsgruppen ausgerichteten Kommunikationsangeboten. Wenn auch zuvor argumentiert wurde, dass der technische Zugang allein noch keine Verbesserung der Kommunikation bedeuten muss, so ist doch sehr sorgfältig zu beobachten, inwieweit der fehlende Zugang zur Online-Nutzung in einigen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu einem echten Handicap werden kann. Dies ist insbesondere dort der Fall, wo bestimmte Dienstleistungen überwiegend oder gar ausschließlich in den Online-Bereich verlagert werden. Denkbare Beispiele sind ein Ausschluss von Online-Beratungsangeboten zur Gesundheit sowie Servicedienstleistungen im Rahmen des eGovernment. Darüber hinaus ist der Umgang mit dem Computer und die Nutzung von Online-Angeboten mittlerweile auch ein wichtiger Bestandteil der beruflichen Qualifikation in einer wachsenden Zahl von Berufen. Damit hat der Online-Zugang für Bildung und Qualifikation eine wachsende Bedeutung. Vor diesem Hintergrund bleibt die Fragestellung bestehen, wie ein chancengleicher Zugang zu den neuen Kommunikations- und Mediendiensten gesichert werden kann, wobei eingedenk der obigen Überlegungen bedeutsam ist zu prüfen, welcher konkrete Nutzen für die jeweiligen Gruppen in der Nutzung des Internets liegen könnte. Zu prüfen wäre, wie finanzielle, technische, motivations- und kompetenzbezogene Hürden, die 249 3. Trends und Perspektiven den Zugang für bestimmte Nutzergruppen systematisch behindern, abgebaut werden können. Für entsprechende Initiativen liegen zahlreiche Empfehlungen und Erfahrungsberichte vor 482 . In der Vergangenheit sind bereits Ansätze der Förderung des Internetzugangs für bestimmte Gruppen umgesetzt worden, etwa für Frauen 483 und Ältere 484 . Insbesondere bei den frühesten Initiativen, etwa „Schulen ans Netz“, hat sich gezeigt, dass das Vorhandensein technischer Zugangsmöglichkeiten nur ein erster Schritt sein kann; die anspruchsvolleren Aufgaben stellen sich, wenn es um die dauerhafte Sicherung der finanziellen und personellen Ressourcen zur tatsächlichen Verwendung der technischen Möglichkeiten geht. Ganz entscheidend dabei ist die Qualifizierung von Multiplikatoren für die verschiedenen Zielgruppen, etwa der Lehrerinnen und Lehrer. Ebenso bedeutsam ist die Entwicklung vertrauenswürdiger Instanzen, die über die neuen Informationsangebote Orientierung geben können. Ebenfalls entscheidend für die Bildung von Vertrauen in die technisch ermöglichten Kommunikationsoptionen sind außerdem überzeugende Lösungen für Probleme der Datensicherheit und des Datenschutzes. Die ungleichmäßige Verbreitung des Internets in der Bevölkerung folgt traditionellen Mustern der Technikdiffusion in einer Gesellschaft. Die besondere Bedeutung, die dem Internet zugewiesen wird, bezieht sich allerdings nicht nur auf das Potenzial für die gesellschaftliche Kommunikation, vielmehr waren und sind es vor allem auch wirtschaftliche Aspekte, die für die staatliche Förderung in diesem Bereich eine Rolle spielten. Aus dieser Perspektive ist eine weitere Förderung der Online-Verbreitung und die Schaffung von Zugangsmöglichkeiten ein sinnvoller Weg, um die wirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit des Standortes zu stärken. Als letztlich entscheidende Hürde für den Zugang zu, insbesondere aber für den sinnvollen Umgang mit neuen Kommunikations- und Mediendiensten wird immer wieder auch mangelnde Medienkompetenz genannt. Ein wesentlicher Anknüpfungspunkt für politische Zielsetzungen liegt daher in der Unterstützung bei dem Erwerb der Fähigkeit, Medien- und Kommunikationsdienste selbstbestimmt für die Lösung eigener Problemstellungen einzusetzen. 3.1.4 Bildung, Orientierung, Service, Beratung: Prosoziale Medienwirkungen 3.1.4.1 Bestandsaufnahme In der öffentlichen Diskussion ist die Bewertung der Mediennutzung nach wie vor von stabilen Mythen durchzogen. Diese bestehen etwa darin, dass das Lesen gemeinhin als positiv bewertete Tätigkeit angesehen wird, während das Fernsehen als eher negativ bewertete Tätigkeit gilt. Sowohl der empirisch zu beobachtende Rückgang der durchschnittlichen Dauer der Zeitungslektüre als auch der Anstieg der Fernsehnutzung werden vor diesem Hintergrund als gesellschaftlich und kulturell problematisch einzuschätzende Entwicklungen angesehen. Dies wird noch verstärkt dadurch, dass sich der Großteil der Mediennutzung bei allen Mediengattungen auf unterhaltende Angebote konzentriert und dass sich die Informationsnutzung besonders auf solche Formate richtet, die ihr Angebot in deutlich unterhaltsamer Weise, als Infotainment präsentieren. Anspruchsvolle Informations- und vor allem Bildungsangebote stoßen hingegen auf vergleichsweise geringes Interesse. Vor diesem Hintergrund erscheinen die Voraussetzungen für eine mögliche Bildungsfunktion oder andere 482 S. etwa unter http://www.digitale-teilung.de oder die Aktivitäten der Stiftung Digitale Chancen (http://www.digitale-chancen.de) und der Initiative D21 (http://initiatived21.de). 483 S. etwa das von BMBF und BMFSFJ geförderte Kompetenzzentrum Frauen in Informationsgesellschaft und Technologie: http://kompetenzz.de. 484 S. etwa das Projekt Online-Kompetenz für die Generation 50 plus, gefördert vom BMFSFJ: http://www.50plusans-netz.de; Senioren-Online, ein Kompetenznetzwerk, das vom Ministerium für Gesundheit, Soziales, Frauen und Familie des Landes NRW gefördert wird: http://www.senioren-online.net; oder das Deutsche Seniorenweb, http://intersenior.de. 250 3.1. Funktionen der Medien prosoziale Wirkungen der Medien denkbar schlecht. Medienanbieter unterstellen gern, dass sie, um große Publika zu gewinnen, vor allem jeden Eindruck vermeiden müssen, dass ihr Angebot irgendwie mit Bildung zu tun hat. Die Sphäre der Bildung, verbunden mit Anstrengung, mit institutionalisiertem Lernen, mit extern vorgegebenen Inhalten, wird auf diese Weise scharf getrennt von der Sphäre der Unterhaltung und Entspannung, der individuellen Bedürfnisbefriedigung. Dieser erste Eindruck, der sich überwiegend auf die quantitative Zuwendung zu den Massenmedien stützt, muss allerdings bei genauerem Hinsehen differenziert werden. Erfolgsformate wie „Wer wird Millionär?“, die auch in außermedialen Alltagszusammenhängen vielfach ihren Niederschlag gefunden haben, deuten an, dass auch mit den spezifischen Mitteln des Unterhaltungsfernsehens durchaus bildungsrelevante Inhalte vermittelt werden können. Die beachtliche Akzeptanz von populären Wissensangeboten und Dokumentationen verweist ebenfalls auf Bildungspotenziale der klassischen Medien. Diese scheinen allerdings weitgehend auf den Bereich der „bildenden Angebote“ (z. B. Dokumentationen, Reportagen, Verfilmungen historischer Stoffe, Ratgeber) sowie der „inzidentellen Lerneffekte“ der normalen Programmangebote beschränkt zu bleiben, während Bildungsangebote im engeren Sinne etwa von Kursprogrammen aus dem Angebot der Massenmedien weitgehend verschwinden. Letztere Entwicklung hat auch mit der komplementären Entwicklung im Bereich der neuen Informationsund Kommunikationstechniken zu tun, die durch die Möglichkeiten für eine individualisierte Nutzung und Elemente von Interaktivität bessere Voraussetzungen für Lernprozesse bieten. So hat sich ein beachtlicher Markt für Bildungssoftware und bildungsorientierte Computerspiele entwickelt. Vor diesem Hintergrund ergeben sich für das Zusammenspiel der verschiedenen Medien unter Einsatz ihrer je spezifischen Stärken neue Möglichkeiten im Bildungsbereich. Insgesamt gesehen sind in den letzten Jahren die als positiv bewerteten Funktionen der Medien wieder stärker ins Bewusstsein gerückt. Da der als zu ambitioniert und eher abschreckend empfundene Bildungsbegriff vermieden werden soll, ist zunehmend von Beratungs-, Orientierungs- und Servicefunktionen der Medien die Rede. Die in den letzten Jahren erfolgreichen Wissensformate im Fernsehen, das stark ausdifferenzierte Angebot an Reality-TV-Beratungssendungen, die ausführlichen Beratungsangebote in Zeitschriften, die weiter ausgebaute Serviceorientierung vieler Hörfunkprogramme, eine breite Palette an Spielen, die dem „Gehirn-Training“ dienen sollen – mit diesen Angeboten reagieren die Anbieter auf eine offenbar steigende Nachfrage der Nutzer nach Orientierung und Rat, um so den Herausforderungen des Alltags besser gerecht werden zu können. 3.1.4.2 Gesellschaftliche Relevanz Die Nutzung der Bildungspotenziale der Medien erscheint nicht nur vor dem Hintergrund der PISA-Debatte als relevante Aufgabe. Angesichts der Herausforderungen der Wissensgesellschaft sind gravierende gesamtgesellschaftliche und teilgruppenbezogene Bildungsdefizite zu beobachten, die auch insofern direkt mit der Medienentwicklung verknüpft sind, als die vielfach diagnostizierte mangelnde Lesekompetenz bis hin zu zunehmendem funktionalem Analphabetismus auch für die Printmedien ein Problem darstellt 485 . Der demografische Wandel trägt zusätzlich dazu bei, dass das Konzept des Lifelong Learning an Bedeutung gewinnt und damit der Versuch, auch jenseits der klassischen Bildungsinstitutionen Menschen mit bildungsrelevanten Inhalten zu erreichen. In diesem Zusammenhang ist auch auf Ansätze der „Entertainment Education“ zu verweisen 486 . Hierzulande bis vor wenigen Jahren nur wenig beachtet, stellt diese Form der gezielten Kooperation zwischen Bil- 485 Vgl. das Informationsangebot des Bundesverbandes Alphabetisierung e. V. (www.alphabetisierung.de). 486 Vgl. z. B. Lampert 2003. 251 3. Trends und Perspektiven dungseinrichtungen und Unterhaltungsproduzenten in den USA eine vielfach erprobte Praxis dar. Sie kommt zum Einsatz etwa in den Bereichen der Entwicklungsarbeit und der Gesundheitskommunikation (z. B. AntiDrogenkampagnen, AIDS-Aufklärung). Mittlerweile steigen die Angebote, die sich explizit auf dieses Konzept berufen, in allen Medien rasant an. Auch bei diesem Punkt ist auf die Bedeutung von Medienkompetenz zu verweisen; diese allerdings weniger im Hinblick auf den Zugang und die Anwendung technischer Geräte als im Hinblick auf die Motivation und die Fähigkeit, die verfügbaren Dienste für eigene Problemstellungen und Herausforderung(en) im Alltag fruchtbar zu machen. Denn es ist zu beobachten, dass gerade die bildungsfernen Gruppen zwar vergleichsweise gut mit Medientechniken ausgestattet sind, diese aber unzureichend für sich nutzen. 3.1.4.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte Die skizzierten Befunde werfen zunächst die eher bildungspolitische Frage auf, inwieweit ganz allgemein das Image von Bildung verbessert werden könnte – etwa im Sinne einer Art Bildungsoffensive, die alle Teilbereiche von Kultur und Gesellschaft umfasst. Dazu könnte die Thematisierung von Bildungsbedarfen auf allen Ebenen gehören, die Motivierung zu individuellen Bildungsinitiativen sowie die Auseinandersetzung mit prosozialen Medieneffekten, u. a. im Sinne von “Entertainment Education”. Auf allen diesen Ebenen geht es nicht zuletzt darum, den vermeintlichen Gegensatz von Bildung und Unterhaltung aufzulösen, einen erweiterten Bildungsbegriff zu propagieren, der das ganze Spektrum von inzidentellen Lernprozessen bei der Nutzung von Unterhaltungsangeboten bis hin zu institutionalisierten und von Prüfungen begleiteten Lernprozessen abdeckt. Anknüpfungspunkte bestehen darüber hinaus darin, dass die Verfügbarkeit bildungsrelevanter Inhalte gefördert wird. Dazu gehört die Bekräftigung, dass Bildung einen Bestandteil der Public-Service-Funktionen des Rundfunks darstellt. Dazu gehört auch die Unterstützung von Bildungsportalen wie auch von öffentlichen Bibliotheken. In Anknüpfung an die Ausführungen in Kapitel 3.1.3 ist schließlich auch hier wieder auf die Förderung von Medienkompetenz zu verweisen, verstanden als Unterstützung bei dem Erwerb der Fähigkeit, Medienund Kommunikationsdienste selbstbestimmt für die Lösung eigener Problemstellungen einzusetzen. 3.1.5 Dysfunktionale Wirkungen: Gewalt und andere Problembereiche 3.1.5.1 Bestandsaufnahme In der öffentlichen Diskussion spielen die negativen Auswirkungen der Medien eine herausragende Rolle. Im Vordergrund steht dabei traditionell das Fernsehen, in den letzten Jahren sind allerdings zusätzlich das Internet sowie Computerspiele in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt. In den Diskussionen und Forschungsbefunden der letzten Jahre spielt der Aspekt der möglichen Wirkungen von Gewaltdarstellungen nach wie vor eine große Rolle. In diesem Zusammenhang haben sich gegenüber den früheren Berichtszeiträumen keine wesentlichen neuen Erkenntnisse ergeben (s. Kapitel 2.6.1.2). Es besteht weitgehend Konsens darüber, dass die Wirkungen von Mediengewalt interindividuell sehr unterschiedlich ausfallen können, dass aber insgesamt eher von negativen Auswirkungen auszugehen ist, die sich in erhöhter Aggressionsbereitschaft und verstärktem Misstrauen in sozialen Kontexten äußern. Aus einer neuen Untersuchungsperspektive 487 werden die bisherigen Debatten u. a. wegen ihrer Täter-Fixierung kritisiert; demgegenüber würden die Opfer, besonders häufig Frauen, sowie die Auswirkungen der entsprechenden Darstellungen auf diejenigen Nutzer, die sich mit den Opfern identifizieren, vernachlässigt. Wichtig für die Ge487 252 Vgl. z. B. Röser 2000. 3.1. Funktionen der Medien samtdiskussion über das Phänomen Mediengewalt sind auch Befunde, die unter bestimmten Bedingungen auf positive Effekte von Mediengewalt verweisen 488 . Verschärft wird die Diskussion um die möglichen Gewaltwirkungen von Medienangeboten angesichts der zunehmenden Sexualisierung von Gewalt und der durch das Internet leichter verfügbar werdenden Pornografie 489 . Bis auf wenige Studien 490 liegen nur wenige konkrete Erkenntnisse über die Angebote selbst sowie über ihre Nutzung und Wirkung durch verschiedene Bevölkerungsgruppen vor. Zumindest in der öffentlichen Diskussion wird jedoch die als zunehmend wahrgenommene sexuelle Gewalt nicht nur, aber besonders stark beachtet, gegenüber Kindern in engen Zusammenhang mit entsprechenden Angeboten im Internet gebracht. Auch andere medienbezogene Praktiken, wie das so genannte „Happy Slapping“, also gewalttätige Angriffe auf andere Jugendliche, die per Handykamera aufgezeichnet und dann verbreitet werden, weisen darauf hin, dass die individualisierten Kommunikationsmöglichkeiten zahlreiche gesellschaftlich problematische Konsequenzen mit sich bringen. Im Zuge des Booms der täglichen Talkshows seit der Mitte der 90er-Jahre und der daran anschließenden Welle der verschiedenen Reality-TV-Formate befassten sich zahlreiche Untersuchungen mit der Frage, inwieweit diese vermeintlich alltagsnah und authentisch gestalteten Angebote die Realitätswahrnehmung der Zuschauer beeinflussen. Gerade im Hinblick auf Kinder und Jugendliche wird oft die Sorge geäußert, sie könnten durch die zum Teil sehr verzerrten Darstellungen einen falschen Eindruck von der Realität und von sozialen Prozessen erhalten. Besondere Beachtung in dieser Hinsicht fand das Phänomen der zwischenzeitlich das Fernsehprogramm überschwemmenden Formate über Schönheitsoperationen. Untersuchungen zu Rezeption und Wirkung der verschiedenen Reality-Formate 491 stimmen insofern überein, als sie hervorheben, dass es bei den potenziellen Auswirkungen dieser Formate entscheidend auf die Rezeption durch die verschiedenen Nutzer ankomme, die sich in der Haltung gegenüber den Angeboten sehr deutlich unterscheiden. In Abhängigkeit vom sozialen Umfeld werden die betreffenden Angebote von einigen Nutzern überwiegend zum distanzierenden Amüsement genutzt, während andere Nutzer den Angeboten eine hohe Authentizität und damit Glaubwürdigkeit zubilligen und sich daher an ihnen orientieren. Durch die in den letzten Jahren rasant verbreiteten Zugänge zum Internet sowie zu Computerspielen werden auch diese Medien zunehmend im Zusammenhang mit möglichen dysfunktionalen Auswirkungen thematisiert. Nicht zuletzt durch die Todesschüsse in einer Schule in Erfurt, die rasch mit der extensiven Videospielnutzung des jugendlichen Täters in Verbindung gebracht wurde, entwickelte sich eine breite Debatte über die Wirkungen der besonders gewalthaltigen Spiele (s. Kapitel 2.6.1.2). Die entsprechende Forschung reproduziert einerseits die aus der fernsehbezogenen Forschung bekannten Thesen und Befunde 492 . Ein neuer Akzent, der sich an den Computerspielen festmacht, aber auch im Hinblick auf andere multimediale Angebotsformen behandelt wird, ist das so genannte Konzept der „Presence“, das mit Hilfe verschiedener multimedialer Gestaltungsmittel bei den Nutzern erzeugte Präsenzerleben, das in den Visionen und ersten Prototypen von Virtual-Reality-Arrangements seinen Höhepunkt erreicht 493 . Die genannten Trends verdeutlichen die zunehmende Bedeutung der Frage, wie die Nutzer in den veränderten Medienumgebungen bestimmte medial ver- 488 Vgl. Grimm 1999. 489 Vgl. Volpers 2004. 490 Z. B. Brosius/Rössler 1999. 491 Vgl. z. B. Paus-Haase/Hasebrink/Mattusch/Keunert/Krotz 1999; Mikos 2000. 492 Vgl. z. B. Anderson 2004; Klimmt/Trepte 2003; Kunczik/Zipfel 2006; Möller 2006; Mößle/Kleimann/Rehbein/Pfeiffer 2006 und von Salisch/Kristien/Oppl 2007. 493 Vgl. dazu Hartmann 2002. 253 3. Trends und Perspektiven mittelte Informationen, Bewertungen und Handlungsmuster in ihr eigenes Weltbild übernehmen und danach handeln. 494 Der jüngste Trend der Mediennutzung, der in der zunehmenden Bedeutung nutzergenerierter Inhalte und der mediengestützten Netzwerkbildung besteht, führt zu neuen Herausforderungen, die vor allem in neuen Formen des Privacy-Managements bestehen. Was mit den zum Teil recht intimen Informationen, Bildern und Filmen geschieht, die viele Nutzer in ihrer jeweiligen Community veröffentlichen, ist für die Nutzer kaum kontrollierbar, die Differenzierung zwischen verschiedenen Graden von Öffentlichkeit bzw. Privatheit wird zu einer wesentlichen Kompetenz im Umgang mit den neuen Diensten werden 495 . 3.1.5.2 Gesellschaftliche Relevanz Auf einer allgemeineren, gesellschaftsbezogenen Ebene wird in der Forschung das Konzept der Mediatisierung 496 diskutiert, mit dem hervorgehoben wird, dass sich das Erleben, Fühlen, Denken und Handeln der Menschen zunehmend unter Vermittlung von Medien vollzieht, also indirekt, unter möglicher Beeinflussung durch technische Vorgaben und kommerzielle Verwertungsinteressen 497 . Die Omnipräsenz digitalisierter Medien auch in den intimsten Bereichen der Gestaltung privater Beziehungen verändert die sozialen Beziehungen, führt zu neuen Kommunikationsregeln und prägt somit ein verändertes Kommunikationsverhalten. In diesem Sinne ist die kontinuierliche Auseinandersetzung mit den potenziellen dysfunktionalen Auswirkungen der verschiedenen Medien- und Kommunikationstechniken und -inhalte von höchster Bedeutung. Diese ist zugleich (vgl. Kapitel 3.1.4) zu ergänzen um die Frage nach möglichen gesellschaftlich funktionalen Auswirkungen. 3.1.5.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte Durch die bereits seit vielen Jahren andauernden öffentlichen Diskussionen um die potenziellen negativen Wirkungen von Mediendarstellungen liegen hier bereits zahlreiche politische Initiativen und Regelungen vor. Das System des Kinder- und Jugendmedienschutzes nimmt bereits in differenzierter Form Bezug auf die entsprechenden Erfordernisse (s. Kapitel 2.6.2.2); im Vordergrund steht dabei das Konzept der regulierten Selbstregulierung. Dieses basiert darauf, dass im Kern Selbstkontrolle praktiziert wird, für diese Selbstkontrolle aber bestimmte Regeln aufgestellt werden. Die Erfahrungen zeigen, dass es für das Funktionieren der Selbstkontrolle insbesondere einer interessierten Öffentlichkeit bedarf, die ihre Interessen gegenüber den Medienanbietern artikuliert bzw. wahrgenommene Verstöße gegen Schutzregelungen zur Sprache bringt. Kommunikations- und Medienpolitik kann dazu beitragen, dass diese Wachsamkeit der Öffentlichkeit gefördert wird. Ansatzpunkt könnten etwa regelmäßige Berichte über die Angebotsentwicklung und über die entsprechenden Wahrnehmungen des Publikums sein; auf einer solchen Basis ließen sich die Medienangebote und ihre Qualität(en) regelmäßig auf die öffentliche Tagesordnung bringen. Das Konzept im Jugendschutz zeichnet sich nach den Novellierungen schon durch eine weitgehende Kohärenz der Maßstäbe aus. Eine weitere Optimierung des Jugendschutzes wird vor allem die Entwicklung der Nutzungsmuster von Kindern und Jugendlichen und auch der Einstellung der Eltern zu unterschiedlichen Medien einbeziehen, nicht nur im Sinne des Rufs nach mehr Medienkompetenz, sondern auch konkret bei der Frage, welchen Diensten Eltern wie viel Vertrauen entgegenbringen können, je nachdem, wie stark Veranstalter und Anbieter Verantwortung übernehmen oder vom Staat in die Verantwortung genommen werden. Dabei 494 Vgl. dazu ausführlich Brunn et al. 2007, S. 51 ff. 495 Vgl. dazu Schmidt 2006. 496 Der Begriff wird nicht systematisch von dem auch gebräuchlichen Begriff Medialisierung unterschieden. 497 Vgl. z. B. Krotz 2001. 254 3.1. Funktionen der Medien spielt auch die Zusammenarbeit der Akteure eine Rolle, auch im Hinblick auf „dezentrales Wissen“, das etwa aktiviert werden kann, um bei Filtersystemen die Positiv- oder Negativlisten aktuell zu halten. Schließlich hat die Diskussion um den Jugendschutz wegen des Konzeptwechsels im Jahr 2003 die öffentliche Aufmerksamkeit von den strafbaren Inhalten vor allem bei Internetangeboten (bspw. Kinderpornografie) tendenziell abgezogen, die aber weiterhin von der rechtlichen Gewichtung der Gefahren aus betrachtet noch bedeutsamer sind. 255 3. Trends und Perspektiven 3.1.6 Quellenangaben zu Kapitel 3.1 Anderson, Craig A. (2004): An update on the effects of playing violent video games. In: Journal of Adolescence, S. 113122. Arnhold, Katja (2003): Digital Divide. Zugangs- oder Wissenskluft? München. Berens, Harald/Kiefer, Marie-Luise/Meder, Arne (1997): Spezialisierung der Mediennutzung im dualen Rundfunksystem. Sonderauswertung zur Langzeitstudie Massenkommunikation. In: Media Perspektiven, 2/1997, S. 80-91. Berg, Klaus/Kiefer, Marie Luise (1996): Massenkommunikation V. Eine Langzeitstudie zur Mediennutzung und Medienbewertung 1964-1995. Baden-Baden. 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Wirtschaftliche und technische Entwicklungen 3.2.5.3 3.2.6 TRANSPARENZ UND DATENGRUNDLAGE .................................................................... 277 3.2.6.1 3.2.6.2 3.2.6.3 3.2.6.4 3.2.7 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ................................ 277 BESTANDSAUFNAHME ......................................................................................................... 277 DIMENSIONEN DER TRANSPARENZ....................................................................................... 278 GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ ........................................................................................ 279 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ................................ 280 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 3.2.............................................................................. 282 Tabellenverzeichnis Tabelle 3.2.2.1: Personen ab 14 Jahren nach Ausstattung der Haushalte 1995-2007 Tabelle 3.2.3.1: Erlösformen der Medien 259 3. Trends und Perspektiven Das vorliegende Gutachten interessiert sich für die Inhalte: Wie werden sie produziert und angeboten, wer nutzt sie wie, welche Rolle spielen sie für die öffentliche Kommunikation? Auch wenn das Interesse sich auf diese Fragen richtet, sind wirtschaftliche Trends und technische Entwicklungen relevant, sie bilden die „Infrastrukturen“ für kommunikative und kulturelle Prozesse (die ihrerseits natürlich die Infrastruktur beeinflussen). Aus diesem Blickwinkel werden im Folgenden einige wirtschaftliche und technologische Trends aufgenommen. Zunächst steht die fortschreitende Digitalisierung im Mittelpunkt, die für die Entwicklung der einzelnen Medien in unterschiedlicher Weise eine Herausforderung bedeutet. Besonderer Aufmerksamkeit bedarf zudem die Geräteindustrie mit den von ihr definierten technischen Schnittstellen, die auch für die Nutzer nicht folgenlos bleiben. Der Einsatz digitaler Technik bringt in vielen Fällen Anforderungen an eine Neuorientierung der Akteure mit sich, die mit den veränderten Möglichkeiten der Medienfinanzierung zu tun hat. Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Veränderung der Auswertungsvarianten von Inhalten und ihre möglichen Folgen für die Stellung von Urhebern oder Rechteinhabern. In den letzten beiden Punkten dieses Abschnittes stehen Fragen der Transparenz der Entwicklung – und die zur Verfügung stehende Datengrundlage – sowie die Bedeutung der Internationalisierung im Medienbereich im Mittelpunkt. In beiden Fällen ist zu fragen, inwieweit es für die Akteure möglich ist, ihre Handlungen optimal auf die Entwicklung des Marktgefüges auszurichten, und welche Möglichkeiten sie haben, adäquate Strategien zur Durchsetzung ihrer Interessen zu entwickeln. 3.2.1 Digitalisierung traditioneller Medien Der zu beobachtende Strukturwandel des Medienbereichs wird wesentlich durch technische Entwicklungen, vor allem durch den Einsatz digitaler Technik, angetrieben. Schlagworte wie Konvergenz und Crossmedia stünden auch ohne die Berücksichtigung der Online-Entwicklung im Mittelpunkt der Diskussion, da praktisch alle Medien digitale Technik in Produktion und Distribution einsetzen und auch auf der Seite des Publikums immer mehr Geräte für die Mediennutzung mit digitaler Technik ausgestattet sind. Einerseits hat die Digitalisierung unmittelbare Auswirkungen auf den Produktionsprozess, die Distribution oder den Konsum, andererseits kann sie auch dazu führen, dass neue Anbieter und neue Angebote das Marktgefüge verändern und damit den Wandlungsprozess beeinflussen. Generell fördert die technische Entwicklung den inhaltlichen Konvergenzprozess und trägt wesentlich dazu bei, dass etablierte Grenzen verwischen. Dies gilt sowohl für die Grenzen zwischen den klassischen Medienbranchen und den Branchen Unterhaltungselektronik, Telekommunikation und Datenverarbeitung als auch andererseits für die Einstufung von Angeboten in traditionelle Formen, wenn etwa Fernsehbilder mit dem Mobiltelefon empfangen werden können. 3.2.1.1 Bestandsaufnahme 3.2.1.1.1 Printmedien Der Einsatz digitaler Technik setzte bei den Printmedien bereits in den achtziger Jahren in großem Umfang ein 498 . Die Auswirkungen des Einsatzes dieser Technik sind neben einer Veränderung der redaktionellen Produktionsprozesse vor allem in der Optimierung von technischer Produktion und Distribution zu sehen 499 . Dabei setzten im Druckbereich erhebliche Rationalisierungseffekte ein, da durch die Digitalisierung zahlreiche Arbeitsplätze wegfielen und der Herstellungsprozess neu organisiert wurde500 . Diese neuen technischen Möglichkeiten begünstigen auch eine Veränderung der Kostenstruktur bei der Produktion. Verbessert wurde 498 Vgl. Weischenberg/Herrig 1985. 499 Vgl. Altmeppen 1999; Ciesinger/Klatt/Ollmann/Siebeke 1998. 500 Vgl. Seufert 2000, S. 499. 260 3.2. Wirtschaftliche und technische Entwicklungen neben der Druckqualität vor allem auch die Vertriebssteuerung, wenn die Druckerei für den Vertrieb optimal vorbereitete Pakete mit Beilagen und weiteren Materialien wie z. B. beigehefteten CD-ROMs liefert. Der Wettbewerb der Unternehmen aus dem Druckbereich wird vor allem durch die Entwicklung neuer Produkte und Dienstleistungen und die Steigerung der Effizienz geführt 501 . So führt die steigende Leistungsfähigkeit der technischen Infrastruktur zu einer verbesserten Leistung der Angebote, die sich z. B. in höherer Aktualität durch spätere Druckzeiten oder bessere Darstellungsmöglichkeiten von Farbe niederschlägt. Die Innovationszyklen in diesem Bereich dauern ca. zwei Jahre und führen zu einer kontinuierlichen Steigerung der Leistungsfähigkeit 502 . In diesem Bereich ist festzustellen, dass ein Ergebnis des Wettbewerbs eine kontinuierliche Konzentrationsentwicklung ist, in deren Rahmen auch Kooperationsmodelle zwischen den Eigentümern der Druckereien eine wichtige Rolle spielen. So kooperieren im Druckereibereich mehrere Großverlage in Gemeinschaftsunternehmen, z. B. der Axel Springer Verlag und Gruner + Jahr. Der Einsatz des Internets für die Recherche hat die redaktionellen Arbeitsbedingungen, nicht nur bei den Printmedien, verändert. Zudem eröffnen sich mit einem Online-Angebot neue Auswertungsmöglichkeiten für bereits bestehende Inhalte, die in modifizierter Form über die neue Infrastruktur verbreitet werden können 503 . Daneben bietet das Internet auch eine wichtige Marketingplattform, mit deren Hilfe Kunden gebunden und neue Interessenten gewonnen werden können. Eine der zentralen Voraussetzungen für diese Form der Ausweitung des Angebotes ist die Existenz einer digitalen Vorlage. Da in Buch-, Zeitschriften- und Zeitungsverlagen mittlerweile in der Regel Redaktionssysteme zur Texterfassung und Bearbeitung genutzt werden, liegen zu veröffentlichende Inhalte bereits digital vor und können für die weitere Auswertung aufbereitet werden. Eine besondere Situation zeichnet sich im Verlagsbereich für wissenschaftliche Buch- und Zeitschriftenverlage ab. Aufgrund der Tatsache, dass hier in vielen Fällen Publikationen in hohem Maße von den Verfassern mitfinanziert werden und der Verlag die Funktion eines Dienstleisters übernimmt, der den Druck sowie den Zugang zum Vertrieb organisiert, hat die Online-Publikation als Alternative an Bedeutung gewonnen. Viele Fachverlage bemühen sich deshalb, ihr Leistungsspektrum auszuweiten und als multimediale Intermediäre in Erscheinung zu treten, die z. B. auch Infrastrukturanbieter sind, indem sie ihre Zeitschriften selbst über Online-Angebote vermarkten. Die Entwicklung zusätzlicher Erlösmöglichkeiten über das Internet verläuft langsamer als noch 2000 erwartet; ein sprunghafter Anstieg der Werbeerlöse ist zunächst nicht eingetreten, nichtsdestotrotz sind die Umsatzentwicklungen im Bereich der Online-Werbung viel positiver als in anderen Branchen. Es gibt eine Vielzahl von Versuchen, mit neuen Varianten den Online-Auftritt zu finanzieren, eine wichtige Quelle der Auftritte von Printmedien im Internet bleibt jedoch die Querfinanzierung durch die Erlöse des gedruckten Hauptproduktes. Zu diesen Varianten zählt der Verkauf von Inhalten als Syndication, unterschiedliche Koppelangebote für traditionelle Abonnenten der Printausgabe, die z. B. kostenlosen Zugang zu einem Online-Archiv haben, oder die Option, aktuelle Kurzmeldungen über unterschiedliche Kanäle wie das Handy oder InternetPushdienste (z. Bsp. RSS) zu erhalten. Bei den Zeitungsverlagen steht das Interesse im Vordergrund, die gedruckte Zeitung als Kernprodukt zu stützen. Der Einsatz digitaler Technik hat neben der Internetentwicklung auch dazu geführt, dass die Produktionsinfrastruktur der Verlage leistungsfähiger geworden ist und die Konkurrenz sich verstärkt hat. Mittlerweile haben viele Zeitungs- und Zeitschriftenverlage ihre Archive digitalisiert und erzielen durch das Angebot entsprechender Dienstleistungen zusätzliche Erlöse. Der durch den Einsatz digitaler Technik ausgelöste Modernisierungsschub im Bereich Druck und Vertrieb trägt dazu bei, dass immer größere organisatorische Einheiten 501 Vgl. Sihn/Klink 2000, S. 19. 502 Vgl. Ciesinger/Klatt/Ollmann/Siebeke 1998, S. 17 ff. 503 Vgl. Neuberger 2003, S. 173; Vogel 2001, S. 601. 261 3. Trends und Perspektiven als Dienstleister in diesem Bereich tätig sind und als z. B. Gemeinschaftsunternehmen diese Aufgaben kostengünstiger durchführen. Dies bedeutet eine optimale Auslastung moderner Anlagen, gleichzeitig aber auch einen Verlust von Konkurrenzfähigkeit für kleine und mittlere Unternehmen. In der Entwicklung befinden sich E-Paper: spezielle dünne große Displays, die Inhalte der Zeitung über Funkfrequenzen aktuell erhalten. Sollten sie einen realistischen Entwicklungspfad darstellen, wird auch der Vertrieb digital (Verlage mahnen schon jetzt Bedarf nach Übertragungskapazitäten an). 3.2.1.1.2 Kino Auch im Bereich der Kinowirtschaft ist in Produktion, Distribution und bei der Vorführung eine wachsende Bedeutung der digitalen Technik zu beobachten. Der Einsatz der Digitaltechnik in der Produktion trägt dazu bei, dass einerseits durch die Möglichkeiten der Manipulation von Bild- und Tonmaterial Produktionskosten eingespart werden können, dass aber andererseits ein technischer Wettlauf um immer attraktivere Darstellungsformen im Hinblick auf audiovisuelle Effekte begonnen hat. Dies betrifft sowohl die Entwicklung von technisch aufwändigen und damit auch immer teurer werdenden Spezialeffekten als auch die Verbesserung der Audioqualität durch den Einsatz neuer Tonformate, die nicht nur für die Auswertung im Kino, sondern auch für die folgenden Stufen der Auswertungskette eine immer wichtigere Rolle spielen. Ein Ergebnis dieser Entwicklung ist auch ein intensiver Kostenwettbewerb verschiedener Standorte um die Budgets für die Nachbearbeitung von Filmen, in dem auch deutsche Medienstandorte eine Rolle spielen, soweit sie über die notwendigen Voraussetzungen verfügen 504 . Bei der Distribution von Kinofilmen zeichnet sich ein Strukturwandel ab. Die amerikanischen Studios bemühen sich darum, die Filme in digitalem Format an die Kinos zu liefern und die Einführung digitaler Vorführtechnik zu beschleunigen 505 . Ein weiterer Entwicklungsschritt ist hier der Übergang zu einer immateriellen Verbreitung der Filme per Datenstrom. Die Rechte und die Vorführung solcher digitaler Kopien könnte zentral gesteuert werden und kann für die Kinobetreiber mittelfristig einen Wandel ihrer Tätigkeit auslösen, da an die Stelle eines dezentralen Betriebs eine zentral gesteuerte Filmauswertung treten könnte. Die Kosten der Neueinführung dieser Technik können insbesondere für kleine und mittelständische Filmtheater ein wirtschaftlich schwer kalkulierbares Risiko bedeuten, da bei konkurrierenden technischen Systemen und Standards für die Vorführung von Filmen ein späterer Umstieg oder ein paralleler Betrieb von zwei Varianten die Wirtschaftlichkeit der Unternehmen in Frage stellt. Die steigende Ausstattung der Haushalte mit aufwändiger Unterhaltungselektronik verschärft ebenfalls die Konkurrenzsituation für das Kino. Bei fallenden Preisen für Großbildschirme und Projektionsgeräte verfügen immer mehr Haushalte über Heimkinosysteme, die in der Darstellung von Bild und Ton ähnliche Filmerlebnisse zulassen, wie dies bisher den Kinobetreibern möglich war. Die Auswirkungen dieser Entwicklung sind bislang noch nicht absehbar; sie kann aber zur Folge haben, dass einige Besuchergruppen dem Kino verloren gehen 506 . 3.2.1.1.3 Hörfunk Im Hörfunk ist mittlerweile digitale Studiotechnik Standard. Sie sorgt für eine günstige Kostenstruktur der Hörfunkveranstalter, da viele Arbeitsschritte automatisiert oder mit Hilfe von Computern vereinfacht werden 507 . 504 Vgl. Seufert 2002. 505 Vgl. von Staden/Hundsdörfer 2003, S. 4, Reber 2007, S. 12 ff. 506 Vgl. Deiseroth 2004, S. 63 ff. 507 Vgl. ALM 2004. 262 3.2. Wirtschaftliche und technische Entwicklungen Seit den neunziger Jahren bemühen sich verschiedene Akteure, die Verbreitung von Hörfunk auf digitalem Wege als Digital Audio Broadcasting voranzutreiben; bislang sind diese Bemühungen allerdings nicht erfolgreich (s. Kap. 1.4.1.3.3). 3.2.1.1.4 Fernsehen Im Gegensatz zum Hörfunk schreitet die Digitalisierung der Fernsehübertragung derzeit intensiv fort. Bei den drei unterschiedlichen Vertriebsformen Terrestrik (DVB-T; DVB-H), Satellit (DVB-S) und Kabel (DVB-C) verläuft die Entwicklung jedoch sehr uneinheitlich. Während bei der Satellitenübertragung ein Umstieg zur digitalen Übertragung schon durch das allmähliche Verschwinden der analogen Satellitenempfangsanlagen aus dem Handel gefördert wird, zeichnet sich bei der Fernsehübertragung in den Kabelnetzen eine langsamere Entwicklung ab. Bei der terrestrischen Verbreitung ist die Umstellung vom analogen zum digitalen Fernsehen nahezu abgeschlossen (vgl. Kapitel 1.4.1.3). Durch den Ausbau der Telefonverbindungen auf DSL-Standard und die Einführung von Hochgeschwindigkeits-DSL ist eine weitere Konkurrenz für das Breitbandkabel entstanden. 3.2.1.1.5 Bedeutungszuwachs digitaler Medien Parallel zu der zu beobachtenden Digitalisierung traditioneller Medien etablieren sich digitale Medienangebote zunehmend. Dabei spielt vor allem die zunehmende Verbreitung von Internetzugängen und -nutzung in der Bevölkerung eine zentrale Rolle. Neben den Angeboten von Suchmaschinen und Web-Portalen sind es vor allem im klassischen Medienbereich etablierte Marken, die erfolgreiche Internetauftritte haben. In vielen Fällen zehren diese Angebote in mehrfacher Hinsicht dabei von der Quersubventionierung durch das traditionelle Angebot, entweder in monetärer Hinsicht oder aber im Hinblick auf Vertrauen und Bekanntheit der etablierten Marke, die Erfolgsfaktoren für einen Online-Auftritt darstellen. Die Refinanzierung dieser Angebote erfolgt in den meisten Fällen durch Werbeerlöse oder Subvention durch Erlöse aus anderen Bereichen. Daneben ist teilweise gelungen, Bezahldienste zu etablieren. Seit Ende der 90er-Jahre erleben Computer- und Videospiele auf dem PC bzw. auf Spielkonsolen einen erheblichen Nutzungsschub. Im Gegensatz zu den meisten Nachbarländern ist in Deutschland bisher der PC die wichtigste Spieleplattform, die Konsolen holen allerdings auf. Auch die Nutzung von Angeboten über Mobilfunkdienste bzw. auf portablen Endgeräten steigt stetig. Im Jahr 2005 hat die Verbreitung von Mobiltelefonen in der Bevölkerung erstmals die Marke von 100 Prozent überschritten – es gibt seitdem mehr Mobiltelefonanschlüsse als Einwohner 508 . Die technische Entwicklung sorgt dafür, dass heute auch der Mobilfunk für die Medienindustrie als Distributionsinfrastruktur erheblich an Bedeutung gewinnt. Mittlerweile werden z. B. mit Klingeltönen Umsätze erzielt, die auch für die traditionelle Musikwirtschaft eine nennenswerte Höhe erreichen 509 . Die technische Ausstattung der Geräte ist multifunktional, die Übertragung von Videobildern erreicht mit der Einführung von UMTS und DVB-H eine ausreichende Qualität für mobile Fernsehnutzung. 3.2.1.2 Gesellschaftliche Relevanz Der Strukturwandel führt zu einer Neuformierung der Akteure im Medienbereich, in deren Rahmen auch die bestehenden Regeln, z. B. im Hinblick auf journalistische Sorgfalt, in Frage gestellt werden. Derzeit scheinen sich bei der Umsetzung des Strukturwandels und dem Umgang mit den damit entstehenden Risiken vor allem zwei Entwicklungspfade abzuzeichnen. Einer dieser Pfade ist die wachsende Konzentration auf der Ebene der 508 Vgl. Bundesnetzagentur 2007, S. 24. 509 Vgl. Bundesverband der Phonographischen Wirtschaft 2008, S. 19. 263 3. Trends und Perspektiven Unternehmen, der andere ist die wachsende Zahl von Kooperationen der Akteure in unterschiedlichen Konstellationen. Beide Varianten bergen im Hinblick auf die Qualität und Vielfalt des Angebotes Risiken (s. Kap. 3.3.1.1), bedeuten allerdings auch, dass die Anbieter über eine tragfähige wirtschaftliche Ausgangsbasis für ihre Tätigkeit verfügen. Die Entwicklung bringt eine zunehmende Modularisierung von Prozessen und Produkten mit sich, es kommt zu ständigen Ent- und Neukoppelungen von Produktionsschritten und Geschäftsprozessen. Damit ergeben sich immer wieder Optionen, bestimmte Teile der Produktion auszulagern oder durch Rationalisierung Einsparungen zu erzielen. Die angesprochene Modularisierung von Geschäftsprozessen und Gütern führt damit zu einem kontinuierlichen strategischen Entscheidungsprozess des „Make or Buy“. Darüber hinaus wird die Marktfähigkeit des eigenen Leistungsspektrums für neue Angebote überprüft. So bemühen sich die Zeitungsverlage mit ihrer Infrastruktur und Kompetenz im Zustellbereich um den Zutritt auf dem Markt für Postdienstleistungen, Zeitschriftenverlage produzieren im Auftrag von Unternehmen Kundenzeitschriften und Rundfunkveranstalter versuchen sich als Event-Manager. Bei allen diesen Aktivitäten scheint es einen Trend zur Suche nach der optimalen Größe der jeweiligen Organisationsstruktur im Hinblick auf Kontrolle und Effizienz zu geben. Im Zentrum steht dabei allerdings bei vielen Unternehmen im Rahmen der Konsolidierung der Medienbranche das jeweilige Kerngeschäft, so gaben in der jüngeren Vergangenheit eine Reihe von Unternehmen eine stärkere Fokussierung auf ihr jeweiliges Kerngeschäft bekannt. 3.2.1.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte Der auch durch den Einsatz digitaler Technik forcierte Strukturwandel der Medienmärkte erfolgt zeitlich sehr schwer planbar. Viele der Prognosen der Vergangenheit haben sich nicht erfüllt. Die Akteure bemühen sich aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit, Risiken möglichst gering zu halten, und orientieren sich häufig an Mindeststandards bei der Verwirklichung von Angeboten. In vielen Fällen führt die Unsicherheit über die Entwicklung der Märkte auch dazu, dass Akteure den Prozess bremsen oder zumindest versuchen, ihn in einer für sie kurzfristig attraktiven Weise zu beeinflussen. 3.2.1.3.1 Koordinationsbedarf beim Digitalisierungsprozess Ein gutes Beispiel für eine solche Übergangsproblematik findet sich beim digitalen Kabelfernsehen. Aufgrund der divergierenden Interessen der Akteure kommt es in diesem Bereich zu einer schleppenden Entwicklung, die Distributionsinfrastruktur Kabel droht sogar im Vergleich zur Fernsehübertragung via Satellit oder durch terrestrische Übertragung an Attraktivität zu verlieren. Auch die Vorgabe eines zeitlichen Rahmens für bestimmte Schritte des Strukturwandels kann bei den Akteuren zu mehr Sicherheit bei der Entwicklung von Strategien führen. Ein positives Beispiel für dieses Vorgehen zeigt die Entwicklung des digitalen Fernsehens in Großbritannien, wo in Verbindung mit den zeitlichen Vorgaben des Programms eEurope ein solcher Fahrplan Grundlage der Einführung des digitalen Fernsehens ist. Auf der Grundlage eines Rahmenplanes, der immer wieder im Austausch mit den Akteuren evaluiert und weiterentwickelt werden kann, ist es möglich, auch gesellschaftliche Interessen frühzeitig in die Diskussion einzubinden. Auch im Filmbereich zeichnet sich eine Situation ab, in der eine neutrale Moderation sinnvoll sein könnte, da Verleih, Studios und Kinobetreiber divergierende Interessen haben und es sich abzeichnet, dass der Strukturwandel zu einer negativen Veränderung der nationalen Kinolandschaft führen kann. Insbesondere das zu erwartende unterschiedliche Tempo der Entwicklung je nach Kinostandort und Ertragskraft der Unternehmen wird dazu beitragen, die Kinolandschaft in Deutschland strukturell zu verändern. Auch in diesem Bereich wäre ein allgemeiner Rahmen eine wichtige Bezugsgröße für die Aushandlungsprozesse der Akteure. Ein kennzeichnendes Element des Strukturwandels ist der Bedarf an zuverlässigen Daten und Informationen, um den Akteuren die Möglichkeit zu geben, ihre Strategie an die aktuelle Situation jeweils anzupassen 264 3.2. Wirtschaftliche und technische Entwicklungen und zu versuchen, zumindest mittelfristig Planungssicherheit herzustellen. Mit diesem Problem gehen z. B. in Großbritannien die im Digital Television Action Plan kooperierenden Akteure erfolgreich um, indem sie einerseits für eine Vernetzung untereinander sorgen und andererseits immer wieder mit den Ergebnissen wissenschaftlicher Studien, die nicht von einzelnen Akteuren in Auftrag gegeben wurden, erfolgreich dazu beitragen, den Übergang zum digitalen Fernsehen auf einer gemeinsam akzeptierten Grundlage zu fördern. Eine solche akzeptierte qualifizierte Referenzdatenbasis kann als Bezugsgröße für alle Akteure dazu beitragen, Missverständnisse zu verhindern und Transparenz der Entwicklung herzustellen. 3.2.1.3.2 Förderung technischer Innovation Die Entwicklung und der Einsatz digitaler Technik werden in der Zukunft weiter an Bedeutung gewinnen. Ein Ergebnis des Strukturwandels ist in vielen Fällen ein wachsender Bedarf an Übertragungs-, Empfangs- und Abspieltechnik für unterschiedliche Medienangebote. In vielen innovativen Bereichen (z. Bsp. MP3, DVB, MHP) sind deutsche Akteure bereits erfolgreich involviert. Um diese Position zu behalten bzw. auszubauen, ist eine sorgfältige Förderung von FuE-Aktivitäten hilfreich. Dazu gehört jedoch nicht allein die Entwicklung neuer Technologien, sondern auch die sozialverträgliche Gestaltung der Anwendung der neuen Möglichkeiten. Eine gezielte Förderung von Technikfolgenabschätzung im Medienbereich und eine Förderung von interdisziplinär vernetzten Forschungsprojekten, bei denen solche Impulse frühzeitig in den Forschungsprozess integriert werden, ist eine Möglichkeit, bei der Technikentwicklung und -gestaltung international wettbewerbsfähig zu sein. Insbesondere mit dem Internet ergibt sich auch für die öffentliche Hand eine Möglichkeit, die Bevölkerung zu erreichen. Hierbei muss jedoch beachtet werden, dass es in einigen Fällen zu einer direkten Konkurrenz zwischen traditionellen publizistischen Angeboten und solchen des eGovernment kommen kann. 3.2.2 Bedeutungszuwachs von Geräteindustrie und Schnittstellen 3.2.2.1 Bestandsaufnahme Überall dort, wo nutzerseitig Geräte nötig sind, um Medieninhalte zu empfangen bzw. abzuspielen, verknüpft sich die Distributionskette der Inhalte mit der von Herstellung, Vertrieb und Betrieb von Empfangs-, Darstellungs- oder Abspielgeräten. Die trifft vor allem die Angebote digitalen Fernsehens, die einen Decoder benötigen, der in das Empfangsgerät integriert ist oder in Form einer so genannten Set-Top-Box zusätzlich erworben werden muss. Herstellung und Distribution sind teuer, viele Nutzer akzeptieren nur eine begrenzte Zahl von Geräten im Haushalt – diese und andere Faktoren erschweren einen Wettbewerb auf dem Decoder -Markt. Zur Ausstattung der Haushalte mit Mediengeräten vgl. Tab. 3.2.2.1. 265 3. Trends und Perspektiven Tabelle 3.2.2.1: Personen ab 14 Jahren nach Ausstattung der Haushalte 1995-2007 Gegenstand der Nachweisung 1995 2000 2005 2007 Fernsehgerät 98,5 97,9 97,9 97,7 ein Gerät 71,0 60,7 58,5 59,0 zwei und mehr Geräte 27,5 37,1 39,4 38,7 Mini-Fernseher/Watchman 2,2 3,4 2,7 3,0 Fernseher mit Flachbildschirm * – – 5,2 13,0 Pay-TV-Decoder * – 7,0 19,1 29,2 Videorekorder 59,2 67,4 67,8 61,1 DVD-Player * – – 51,1 58,6 DVD-Rekorder * – – 16,8 25,7 Festplattenrekorder – – 3,8 7,8 Radiogerät 98,0 98,8 98,6 98,6 Autoradio 75,3 83,3 83,9 84,1 Plattenspieler * 56,7 37,9 27,1 – CD-Player * 53,0 68,2 69,9 – Personal Computer 19,3 40,2 59,7 60,9 darunter Laptop/Notebook * – 5,6 18,2 26,5 Modem/ISDN-/DSL-Anschluss * – 14,2 54,1 62,7 Anrufbeantworter * - 37,6 45,7 46,5 * Nicht in allen Jahren erhoben Quelle: Media Analyse, zitiert nach Media Perspektiven Basisdaten 2007. Alle Anwendungen der Mobilkommunikation profitieren von der weiten Verbreitung von Mobiltelefonen, die immer mehr multimediale Funktionen erhalten oder als PDA oder MDA sogar für PC-ähnliche Anwendungen geeignet sind. Der mobile Fernsehstandard DVB-H benötigt zwar eine eigene Empfangseinheit, wird aber voraussichtlich in die „Handys“ integriert. Die Geräte werden überwiegend von den Mobilfunknetzbetreibern an ihre Kunden mit Verträgen und Vertragsverlängerungen verkauft, so dass diese eine Rolle im Geschäft für mobiles Fernsehen erhalten. Bei Spielen zeigt sich ein geteilter Markt (s. o. Kapitel 1.5.2.2), deren eines starkes Segment aus Spielkonsolen und dafür entwickelte Games besteht; hier ist die Verknüpfung von Inhalt und Abspielgerät besonders eng. Bei den Bildträgern, die die DVD ablösen werden, hat der „Kampf“ zwischen den Konsortien, die HD DVD oder Blu-Ray unterstützt haben, die wirtschaftliche Bedeutung der Entscheidung für eine gerätetechnische Lösung für die Filmbranche deutlich gemacht. Schließlich hat der iPod von Apple und das entsprechende Online-Musikportal iTunes den Markt für Musik nachhaltig verändert; dabei kam dem Gerät selbst und seiner Ästhetik, die offenbar weltweit Wertschätzung erlangte, eine besondere Rolle zu. Hier war also das Gerät selbst Treiber der Veränderung. Auch die Fernsehgerätetechnik und seine Nutzungskontexte in den Haushalten verändern sich. Ein Ergebnis des Einsatzes digitaler Technik ist die weitgehende Modularisierung der Endgeräte, die für eine Vielzahl unterschiedlicher Kombinationen eingesetzt werden. Der traditionelle Fernseher ist in einigen dieser Varian- 266 3.2. Wirtschaftliche und technische Entwicklungen ten mittlerweile zum Bildschirm für eine Vielzahl audiovisueller Angebote geworden, die über das Fernsehen hinausgehen und auch DVD- und Videonutzung, Bildschirmspiele und Internetnutzung einschließen. In eine ähnliche Richtung geht die Etablierung von Media-Center-Geräten, die als zentrale Zuspieler für das TVGerät Funktionen von Stereo-Anlage, Set-Top-Box, PC, Festplattenrekorder und DVD-Rekorder übernehmen. Bei der Einführung neuer Technologien oder innovativer neuer Features kommt es teils zur zeitweiligen Aufhebung der normalen Marktmechanismen, wenn entweder aus Marketinggründen oder aus Unsicherheit über tatsächlich durchsetzbare Preise Angebote scheinbar nicht kostendeckend angeboten werden. Um solche Strategien wie z. B. die Subvention von Empfangsgeräten oder Spielkonsolen umsetzen zu können, benötigen die Akteure eine gute finanzielle Ausstattung und gehen hohe Risiken ein, die sich im Falle des Erfolges bei dann steigenden Preisen oder über die Refinanzierung durch speziell auf die Plattform zugeschnittene kostenpflichtige Angebote wieder auszahlen müssen. 3.2.2.2 Gesellschaftliche Relevanz Kommunikations- und medienpolitische Relevanz hat zunächst der Umstand, dass sich das Set der Akteure, die in Überlegungen einzubeziehen sind, vergrößert. Auch Hersteller und Vertreiber von Geräten sind einzubeziehen. Sie können Risiken für kommunikative Chancengerechtigkeit hervorrufen, aber umgekehrt auch Vermachtungen auf anderen Ebenen ausgleichen. Mit dem Thema Gerät ist auch das der Schnittstellen angesprochen. Jedes Gerät muss für die Nutzung technisch spezifiziert sein und schließt damit in der Regel bestimmte Verwendungsmöglichkeiten aus. Dies kann der Vertreiber nutzen, um technische Standards oder Dateiformate auf Seiten des Nutzers zu etablieren und Konkurrenzangebote auszuschließen. Bei den Empfangsgeräten für digitales Fernsehen haben die Gesetzgeber dadurch ein Diskriminierungspotenzial für Rundfunkveranstalter gesehen und nach § 53 RStV ein Diskriminierungsverbot normiert (s. o. Kap. 1.4.4.2.16). 3.2.2.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte 3.2.2.3.1 Offenheit und Interoperabilität Hier und in anderen Bereichen von Musikformaten bis E-Learning sind Fragen der Schnittstellen, oft verbunden mit bestimmten Geräten oder Techniken, Rahmenbedingungen, die die Wertschöpfungsketten verändern können, aber auch die inhaltlichen Möglichkeiten prägen. Damit erweitert sich das Blickfeld der Medienpolitik und streift auch Bereiche und Akteure, die in andere Ressorts, etwa der Telekommunikation fallen. Der damit verbundene Koordinations- und Kooperationsbedarf ist aber unausweichlich (s. auch Kap. 3.4.4.2). Was nützt beispielsweise eine Regulierung von Navigatoren für digitales Fernsehen, an die sich nationale Anbieter halten, wenn die Mehrheit der Bevölkerung Geräte kaufen würde, bei denen ganz andere Navigatorensysteme voreingestellt sind? Mit der zunehmenden Verbreitung digitaler Endgeräte bekommt die Vernetzung unterschiedlicher Technologien und damit die Entwicklung von Schnittstellen eine besondere Bedeutung. Dies birgt zum einen Risiken im Hinblick auf kommunikative Chancengleichheit (s. Kapitel 3.3.1), zum anderen hat das Schnittstellenmanagement zwischen Innovation und Kompatibilität Auswirkungen auf die möglichen Anwendungen und damit auf die kommunikativen und kulturellen Möglichkeiten, die aus dieser Entwicklung entstehen. Gerade in diesem Bereich ist für alle Akteure verlässliches Wissen über die Entwicklung hilfreich. 3.2.2.3.2 Sicherheit und Vertrauen in Technik Durch die vermehrte Nutzung digitaler Übertragungswege und digitaler Endgeräte entstehen vernetzte Großsysteme, die eine Reihe von Risiken in sich bergen. Auf ihrer Grundlage entstehen umfangreiche Da- 267 3. Trends und Perspektiven tenmengen teils technisch vorgezeichnet (z.B. durch die Übertragung von Daten in IP-Netzen), teils durch die Nutzungsweisen und korrespondierenden Erlösstrategien bedingt (z.B. bei der Hinterlegung persönlicher Daten in einem Nutzerprofil). Die durch Technik, Angebote und Nutzung anfallenden, teils personenbezogenen Daten können Rückschlüsse beispielsweise auf das Kommunikationsverhalten der Nutzer zulassen und somit erhöhte Gefährdungslagen für das Recht auf informationelle Selbstbestimmung schaffen. Da die verwendete Software und Applikationen meist nicht transparent gemacht werden bzw. vielen die informationstechnischen Grundlagen der Kommunikationsdienste nicht transparent sind und nur über Benutzerschnittstellen bedienund erfahrbar sind, bleiben die konketen Datenverarbeitungsvorgänge auf Seiten der Anbieter und darauf ggf. resultierende Implikationen den meisten Nutzern unklar. Das ursprünglich auf die Gefahr staatlich erhobener Datenberge gemünzte Bundesdatenschutzgesetz und spezialgesetzliche Datenschutzvorschriften, die die Grundsätze Datensparsamkeit, Einwilligungsvorbehalt des Betroffenen und Zweckgebundenheit vorsehen, werden angesichts der Praxis insbesondere privater Anbieter an ihre Effektivitätsgrenzen geführt. Mögliche Schadprogramme wie Computerviren und -würmer, Trojanische Pferde oder „Spyware“ bleiben oft unentdeckt und können großen Schaden anrichten – vom Einschränken der Rechnerkapazität über das Ausspionieren und Übermitteln persönlicher oder unternehmensinterner Daten an Unberechtigte bis hin zum völligen Zusammenbruchs eines Rechners oder Netzwerks. Eng damit verbunden sind die Probleme, die durch das Anwachsen von „Spam“, also unverlangt zugesandte Massen-E-Mails, entstehen. Diese machen nach Schätzungen des Bundesamts für Sicherheit in der Informationstechnik bereits 60 bis 90 Prozent des gesamten E-Mail-Verkehrs aus und erzeugen für einzelne Nutzer wie auch für Unternehmen und Netzwerkbetreiber einen hohen Aufwand, um Spam-Mails auszufiltern. Der entstehende volkswirtschaftliche Schaden durch Spam und Schadprogramme ist schwer quantifizierbar, dürfte weltweit aber im Bereich mehrerer Millarden Euro liegen 510 . Ein weiterer Bereich, in dem die Nutzung digitaler Kommunikationsnetze mit Risiken verbunden ist, betrifft die Authentisierung sowohl von Angeboten als auch von Nutzern. Auf der Seite der Angebote ist hier an die Unsicherheit zu denken, ob bestimmte Inhalte von einer vertrauenswürdigen Quelle stammen („phishing“) oder ob umgekehrt der Nutzer darauf vertrauen kann, dass die übermittelten Daten nicht verändert oder für andere Zwecke verwendet werden. Auf der Seite der Nutzer betrifft Authentisierung vor allem solche Situationen, in denen man sich „digital ausweisen“ muss, also zum Beispiel als Bürger gegenüber einer Behörde, im Bereich der öffentlichen Kommunikation insbesondere jedoch als rechtmäßiger Eigentümer von Medieninhalten oder auch als Erwachsener bei solchen Angeboten, die für Jugendliche nicht zugänglich sein sollen. Verschiedene Abstufungen der technisch-administrativen Authentisierung sind denkbar, die von zertifizierten elektronischen Signaturen für den Geschäfts- und Rechtsverkehr über Verschlüsselungssysteme und „trusted third parties“ bis hin zu Gütesiegeln o.ä. reichen. Allerdings hat sich bisher keine Sicherheitsarchitektur durchgesetzt, die im Alltag handhabbar, preisgünstig und zuverlässig wäre. Dieses Defizit verdeutlicht, dass fehlende Sicherheit und Vertrauen in die technischen Systeme und die darauf aufbauenden Interaktionen auch verhindern, dass derzeit noch brach liegende ökonomische und gesellschaftliche Potentiale voll ausgeschöpft werden können. Auf individueller Ebene führen die geschilderten Risiken und Unsicherheiten im Zusammenhang mit wachsenden Datensammlungen, schädlicher Software und fehlender Authentisierung für eine Mehrheit der Bevölkerung zwar nicht zur vollständigen Aufgabe digitaler Kommunikation, können aber das Vertrauen in die informationstechnische Infrastruktur insgesamt unterminieren. So gaben 2007 etwa zwei Drittel der deutschen Internet-Nutzer an, bereits einmal einen Virus oder ein Schadprogramm auf ihrem Computer entdeckt zu haben, und jeweils mehr als drei Viertel schätzen das Risiko durch E-Mail-Anhänge, Schadsoftware auf Webseiten oder in heruntergeladenen Softwareprogrammen als 510 268 Vgl. Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik 2005. 3.2. Wirtschaftliche und technische Entwicklungen hoch ein 511 . Für Nicht-Nutzer des Internets sind entsprechende Ängste ein wichtiger Faktor, der die Hinwendung zum Medium hemmt. So geht etwa die Hälfte der „Offliner“ davon aus, dass ihr Nutzungsverhalten durch andere nachvollzogen werden könnte, und drei Viertel teilen die Einschätzung, über das Internet könnten sich Fremde persönliche Daten verschaffen, die nicht für sie bestimmt seien 512 . Für Nutzer wie NichtNutzer gilt also gleichermaßen, dass Sicherheitsbedenken dazu führen können, Potenziale der digitalen Medien nicht vollständig auszuschöpfen. Staatlicher Handlungsbedarf besteht an dieser Stelle insbesondere darin, technisch-administrative Rahmenbedingungen zu schaffen, die in Verbindung mit ggfs. notwendigen rechtlichen Regelungen das Vertrauen in die digitalen Kommunikationstechnologien fördern. 3.2.3 Veränderungen von Finanzierungsmodellen und-Strategien Die einzelnen Medien nutzen sehr unterschiedliche Varianten zur Finanzierung ihres Angebotes. Während es im privaten Rundfunk bisher vor allem Werbeerlöse sind, die die wirtschaftliche Grundlage der Veranstalter sichern, werden Zeitungen und Zeitschriften in den meisten Fällen sowohl aus Werbe- als auch aus Verkaufserlösen finanziert. Dabei zeigt sich, dass insbesondere die konjunkturell bedingte Entwicklung der Werbeerlöse für viele Akteure aus dem Medienbereich schwerwiegende Folgen haben kann, da der Wettbewerb um diese Erlöse wesentlich intensiver wird. Bisher wurden zur Finanzierung von Medienangeboten unterschiedliche Varianten miteinander vermischt. Die folgende Übersicht verdeutlicht die Möglichkeiten der Medienfinanzierung. Tabelle 3.2.3.1: Erlösformen der Medien Direkt Nutzungsunabhängig Nutungsabhängig Einzeltransaktionen Indirekt Einmalig Regelmäßig wiederkehrend Anschlussgebühren Lizenzgebühren Spezielle Empfangsgeräte (z. B. Decoder) Abonnement Rundfunkgebühren Sonstige Grundgebühren Via Unternehmen Werbung Datamining Konzessionen Sonstige Formen Via Staat Subventionierung Quelle: Zerdick et al. 1999, S. 25. Die hier vorgenommene Unterscheidung von direkten und indirekten Erlösen als Grundlage der Finanzierung des Angebotes verdeutlicht vor allem das Problem der fehlenden Transparenz: Wenn der Nutzer oder Konsument nicht nachvollziehen kann, wie und von wem das Angebot tatsächlich finanziert wird, so wird er langfristig möglicherweise nur eingeschränktes Vertrauen in den Wert des Angebotes haben. Dies gilt vor allem für journalistische Informationsangebote (s. Kap. 3.3.5). 3.2.3.1 Bestandsaufnahme 3.2.3.1.1 Differenzierung der Geschäfts- und Finanzierungsmodelle Ein charakteristisches Merkmal der traditionellen Medienfinanzierung ist die Quersubventionierung von Teilen des Angebotes durch die Erlöse, die in anderen Bereichen erzielt werden. In der Regel sind nur ein Teil 511 Vgl. TNS Infratest (2007), S. 79; 81. 512 Vgl. Gerhards/Mende 2007, S. 387. 269 3. Trends und Perspektiven der Angebote eines Unternehmens profitabel, und die hiermit erzielten Erlöse müssen ausreichen, um die Verluste der übrigen Angebote zu decken 513 . Typisch ist dieses Modell vor allem für Unternehmen, die in erster Linie direkt mit Verkaufserlösen für ihre Angebote arbeiten, wie die Film und Musikindustrie oder die Buchverlage. Damit sind Unternehmen im Vorteil, die über eine größere Anzahl von Angeboten verfügen und damit die Wahrscheinlichkeit für ein wirtschaftlich erfolgreiches Angebot erhöhen. In der Vergangenheit zeigte sich, dass es vor allem eine horizontale Diversifizierung des Angebotes war, die zum Erfolg führte. Die Unternehmen waren auf die Auswertung der Inhalte in einem bestimmten Format spezialisiert. Mittlerweile eröffnen sich jedoch für die Inhalte neue Auswertungsmöglichkeiten in anderen Formaten und über neue Verbreitungswege, die genutzt werden können. Hinzu kommt, dass Unternehmen, die nicht zum Kern der Medienbranche zählen, etwa Telekommunikationsunternehmen, oder Gerätehersteller Medienangebote durch Erlöse aus anderen Geschäftsfeldern quersubventionieren können und damit den Wettbewerb der spezialisierten Medienunternehmen beeinflussen. Dieses Geschäftsmodell wird dadurch in Frage gestellt, dass die Inhaber der Rechte von erfolgreichen Inhalten bei der Durchsetzung ihrer Interessen gestärkt werden. So werden die für die Produzenten verfügbaren Mittel zur Quersubventionierung immer knapper. Insofern sind die Anbieter durch diese Situation dazu gezwungen, die Auswertungstiefe der Angebote zu erhöhen und aus dem jeweiligen Produkt ein Maximum an Erlösen zu erzielen, um die wachsenden Kosten zu refinanzieren. Ein weiteres zentrales Geschäftsmodell im Medienbereich ist die Verknüpfung von Angeboten zu Paketen. So setzen sich publizistische Angebote in der Regel aus unterschiedlichen Komponenten wie Werbung und unterschiedlichen redaktionellen Inhalten zusammen. Diese Möglichkeit der Vorkonfektionierung publizistischer Angebote ist in Verbindung mit der Quersubventionierung von Produkten wesentlicher Bestandteil vieler Geschäftsmodelle. Die neuen technischen Möglichkeiten stellen dieses Vorgehen nun in Frage, da es jetzt möglich ist, zielgerichtet bestimmte Teile von Angeboten anzusteuern. So entwickeln sich immer neue Möglichkeiten zur Vermeidung von Werbung in Rundfunkprogrammen, die von Personal Video Recordern bis zu speziellen Softwareprogrammen gehen, mit denen sich Werbung gezielt vermeiden lässt. Aus dieser Entwicklung ergibt sich die intensive Suche der Werbung treibenden Wirtschaft nach neuen Konzepten für die Generierung von Aufmerksamkeit. Ein wichtiges Element vieler Konzepte ist hierbei die crossmediale Vernetzung von Werbebotschaften. Die negative Entwicklung des Werbemarktes führte bei den Medienunternehmen dazu, Sparpotenziale zu nutzen und weitere Erlösquellen zu suchen. Entwicklungen, die in diesem Zusammenhang in den letzten Jahren von Bedeutung waren, sind die zunehmenden Versuche der Platzierung kommerziell ausgerichteter Kommunikation in redaktionellen Beiträgen. Eine weitere Finanzierungsmöglichkeit für Medienangebote ergibt sich aus dem so genannten T-Commerce, der Pay-TV, Pay-per-View, TV-basierte Produktverkäufe, Merchandising, Licensing, Reiseshopping und TV-basierte Telefon-Mehrwertdienste umfasst. Diese Finanzierungsformen haben mittlerweile für die Fernsehveranstalter erheblich an Bedeutung gewonnen, und es wird erwartet, dass der Anteil an den Erlösen der Fernsehveranstalter auch in Zukunft wächst. Bei den Medienunternehmen lässt sich mittlerweile eine größere Variationsbreite der eingesetzten Finanzierungsmodelle erkennen. Dabei kommt es sowohl zu neuen Kombinationsvarianten als auch zu neuen exklusiven Varianten, etwa wenn bestimmte Inhalte zumindest für einen bestimmten Zeitraum ausschließlich in Pay-Varianten gegen Entgelt zu erhalten sind. Bei der Entwicklung der Auswertungsmodelle ist erkennbar, dass der Faktor Zeit eine den Wert stark beeinflussende Rolle spielt. Betrachtet man die Entwicklung bei nonfiktionalen und fiktionalen Angeboten, so zeigen sich Unterschiede in den eingesetzten Strategien. Bei journalistischen Angeboten ist beobachtbar, dass einige spezielle Angebote mit einer genau umrissenen Zielgruppe über reine Pay-Varianten zu refinanzieren sind. Mit der noch nicht abgeschlossenen Etablie- 513 270 Vgl. Ludwig 1998. 3.2. Wirtschaftliche und technische Entwicklungen rung und Akzeptanz des Micropayments besteht in diesem Bereich die Möglichkeit zur Ausweitung. Bei fiktionalen Angeboten lassen sich demgegenüber differenzierte Strategien zur Auswertung der Inhalte über einen längeren Zeitraum realisieren. Für die Preisbildung der Angebote spielen nach wie vor die drei Faktoren Zeit, (technisches) Format und Verbreitungsgebiet die zentrale Rolle. Alle drei Faktoren ermöglichen sowohl auf der Kostenseite als auch auf der Seite der durchsetzbaren Preise eine enorme Variationsvielfalt. 3.2.3.1.2 Innovationskosten und -risiken Der u. a. durch die Digitalisierung ausgelöste Investitionsbedarf stellt vor allem Unternehmen vor Probleme, die nicht über ausreichende Rücklagen verfügen. Hinzu kommen in einigen Branchen historische Besonderheiten. So ist bei den Tageszeitungsverlagen ein großer Teil der Unternehmen als eigentümergeführtes Familienunternehmen konstruiert. Ebenso wie in anderen Bereichen der deutschen Wirtschaft fehlen allerdings in vielen Unternehmen geordnete Nachfolgemodelle bei einem Generationenwechsel. Ein Ergebnis dieser unklaren Situation ist, dass in vielen Fällen keine kontinuierliche Weiterentwicklung des Unternehmens stattfindet und Kapital aus dem Unternehmen abgezogen wird 514 . Ein weiterer deutscher Sonderfall ist die Struktur der Kabelnetze, die in vier Netzebenen eingeteilt sind (vgl. Kapitel 2.2.1.2). Aufgrund dieser besonderen Situation erweist es sich für die Eigentümer der Netzebene 3 als sehr schwierig, im Ausland erfolgreiche Geschäftsmodelle auch in Deutschland erfolgreich einzusetzen, da die Endkundenbeziehungen in der Regel mit den Akteuren der Netzebene 4 bestehen. Zur Deckung des Investitionsbedarfes werden im Fall des Rundfunks in vielen Fällen Kapitalgeber an den Unternehmen beteiligt, z. T. wird auch der Versuch unternommen, erforderliches Kapital über die Börse zu erzielen. Bei den Zeitungsverlagen ist zu erwarten, dass es zu einer Ausweitung der Kooperationen in unterschiedlichen Bereichen mit dem Ziel der Kostensenkung kommt und die Zahl der vollständig selbstständigen Angebote abnimmt. In der Vergangenheit wurde dies durch Auslagerung von Unternehmensteilen erreicht, die dann Dienstleistungen für verschiedene Auftraggeber übernahmen und sich selbstständig im Wettbewerb behaupten müssen. Nach Bestandteilen der Produktion vor allem im Druckbereich sind von einer solchen Entwicklung in zunehmendem Maße auch Journalisten betroffen, die als freie Mitarbeiter nun für mehrere Anbieter tätig sind. 3.2.3.1.3 Risiken für Erlösmodelle durch Raubkopien Inwiefern die von der Wirtschaft regelmäßig angemahnten wirtschaftlichen Schäden durch Raubkopien sich bei einer effektiven Verhinderung tatsächlich in der Umsatzentwicklung niedergeschlagen hätten, kann aufgrund der hypothetischen Annahme, dass jede verhinderte Raubkopie tatsächlich zu einem Kauf durch den Nutzer geführt hätte, nicht abgeschätzt werden. Erkennbar aber ist in der Gesamtschau, das einige der bisherigen Erlösmodelle vor dem Hintergrund der in Bezug auf digitale Inhalte meist problemlos möglichen Anfertigung einer identischen Kopie des kostenpflichtigen Originals unter Druck geraten. Hier reagieren Anbieter mit unterschiedlichen Strategien: Teilweise wird versucht, die unerlaubte Vervielfältigung und Nutzung durch digitales Rechtemanagement (digital rights management, DRM) oder Verschlüsselungsformen zu minimieren oder durch digitale Wasserzeichen zumindest einen Hinweis auf den ursprünglichen Rechtsverletzer zu haben. Dagegen preisen andere Anbieter die Verluste durch Raubkopien bereits in den Verkaufspreis ein, verzichten im Gegensatz aber auf zu rigides Rechtemanagement. 514 Breyer-Mailänder/Werner 2003. 271 3. Trends und Perspektiven 3.2.3.1.4 Etablierung von Kundenmagazinen und Unternehmensfernsehen Mittlerweile kommen zu den klassischen Medienunternehmen immer mehr nicht in erster Linie zur traditionellen Medienbranche zu zählende Anbieter von Inhalten. Dies betrifft einerseits eine Vielzahl von Printprodukten wie Kundenmagazine und Spezialzeitschriften, die nicht in allen Fällen von branchennahen Unternehmen herausgegeben werden, sondern häufig im Auftrag von Firmen aus anderen Branchen im Auftrag hergestellt werden. Damit entsteht für die traditionellen Medienunternehmen eine Konkurrenz, die z. B. nicht in gleicher Weise von den konjunkturellen Schwankungen des Werbemarktes abhängig sind oder bei der Erlöse nicht im Vordergrund der verlegerischen Tätigkeit stehen. Darüber hinaus spielt aber auch eine wachsende Anzahl von Rundfunkangeboten, an deren Produktion sich Unternehmen in unterschiedlichem Umfang beteiligen, eine zunehmende Rolle. Solche Beteiligungen können in direkter finanzieller Unterstützung bestehen, aber z. B. auch das Angebot von Ausstattung bedeuten. Auch hier gilt, dass nicht alle Anbieter mit der Absicht, in diesem Bereich wirtschaftlich erfolgreich zu sein, tätig sind. 3.2.3.1.5 Wachsende Bedeutung von Multimedia- und Mischkonzernen Ein Ergebnis des Wettbewerbs auf den Medienmärkten ist einerseits eine zunehmende Unternehmenskonzentration, bei der gleichzeitig eine wachsende Diversifikation der Unternehmen zu beobachten ist. Einerseits ist ein Trend erkennbar, möglichst viele Elemente der Wertschöpfungskette unter dem Dach eines Unternehmens zu vereinen. Finanzinvestoren sind aber mittlerweile in der Regel an Unternehmen aus mehreren voneinander unabhängigen Branchen beteiligt und bemühen sich auf diese Weise, ihr unternehmerisches Risiko zu minimieren. Dies bedeutet einerseits, dass es einen Trend zu vertikal integrierten Medienkonzernen gibt, die darum bemüht sind, ein Höchstmaß an Kontrolle über die Auswertung ihrer Inhalte sicherzustellen. Andererseits sind die Finanzinvestoren, die an diesen Unternehmen beteiligt sind, in der Regel nicht exklusiv im Medienbereich engagiert und haben in der Regel in erster Linie wirtschaftliche Ziele, die sie kurz- und mittelfristig verfolgen. 3.2.3.2 Gesellschaftliche Relevanz 3.2.3.2.1 Pay-Geschäftsmodelle und der Ausschluss von Benutzergruppen Die leicht mögliche Entkoppelung unterschiedlicher Inhalte und die Vielzahl der Verbreitungsmöglichkeiten sorgen dafür, dass Ausschlussmechanismen eine zunehmende Bedeutung bei der Entwicklung von Auswertungsstrategien spielen. Für vollwertige Premium-Angebote mit hoher Aktualität wird der höchste Preis verlangt, die Preisbildung variiert in der Folge vor allem in Abhängigkeit von Aktualität und Qualität des Angebotes. Ein Effekt dieser Entwicklung kann eine Förderung der bereits ausgemachten Fragmentierung der Gesellschaft sein, da die individuellen Medienbudgets für immer unterschiedlichere Kombinationen und Variationen des Angebotes verwendet werden. Diese Ausschlussmechanismen bedeuten nicht nur, dass Bevölkerungsgruppen mit einem geringen verfügbaren Budget zu bestimmten Informationen nur erschwert Zugang haben, sondern dass in der Bevölkerung eine Informationsasymmetrie besteht. 3.2.3.2.2 Verlust von Transparenz bei der Angebotsfinanzierung Die traditionelle Praxis in den Unternehmen, Angebote aus den Erlösen anderer Bereiche zu subventionieren, bringt unter den neuen Bedingungen eine Reihe von Problemen mit sich. Die Varianten der Koppelung von Angeboten und der Quersubventionierung werden bei einem Anwachsen der indirekten Finanzierung von Medienangeboten durch Werbung und kommerzielle Kommunikation in der Zukunft dazu beitragen, dass die Transparenz der Finanzierung der Angebote zurückgeht. Insbesondere wenn eine Finanzierung des Angebotes 272 3.2. Wirtschaftliche und technische Entwicklungen durch die Quersubventionierung aus anderen Geschäftsfeldern als dem Medienbereich gesichert wird, stellt sich die Frage nach der Unabhängigkeit der Anbieter von Inhalten auf redaktioneller und/oder kreativer Ebene. Ein solcher Verlust von Transparenz bei der Medienfinanzierung zieht möglicherweise einen Glaubwürdigkeitsverlust von Medienangeboten nach sich. Die wachsende Zahl von auch für Marketingzwecke publizierten Produkten von Unternehmen, die nicht in erster Linie zum Medienbereich zählen, trägt dazu bei, den Eindruck der Vermischung von redaktionellem und werblichem Angebot zu fördern. 3.2.3.2.3 Veränderungen in den Medienbudgets der Bevölkerung Der umfassende Strukturwandel des Mediensystems wirkt sich auch auf die Entwicklung und Verwendung des Medienbudgets der Bevölkerung aus. Mit der Online-Nutzung, dem Mobilfunk und dem digitalen Fernsehen kommen in den letzten Jahren neben steigenden Rundfunkgebühren immer neue Kosten auf die Verbraucher zu, die sich in unterschiedlicher Form im Kommunikations- und Medienbudget niederschlagen. Hinzu kommt, dass nicht nur für die Nutzung der entsprechenden Angebote und die Kosten anfallen, auch für Endund Empfangsgeräte entstehen Kosten. Die Ausstattung der Haushalte mit Geräten der Unterhaltungselektronik und Computern hat in den letzten Jahren weiter zugenommen (s. Tab. 3.2.3.1). Der Wandel der Verwendung des Medienbudgets bringt für die Medienunternehmen eine weitere Herausforderung mit sich: Die Medien zählen zu den am stärksten werbenden Branchen und sind deshalb selbst sehr stark vom Wandel der Mediennutzung und damit von einer möglichen Veränderung der Verteilung der Aufmerksamkeit des Publikums betroffen. Die Höhe der Medienbudgets ist kaum mehr trennscharf zu ermitteln, da in einigen Fällen dieselben Infrastrukturen für Individualkommunikation, Mediennutzung und nicht kommunikative Aktivitäten genutzt werden. Beispiel ist hier das Internet mit der Mischung von Individualkommunikation (E-Mail), kommerziellen Aktivitäten (Online-Shopping, Teleworking, Homebanking) und Mediennutzung (Newsdienste, Web-TV). 3.2.3.2.4 Sinkende Zahlungsbereitschaft für redaktionelle Inhalte Der scheinbare Widerspruch einer sinkenden Zahlungsbereitschaft für redaktionelle Inhalte bei einer wachsenden Bedeutung von Pay-Geschäftsmodellen lässt sich dadurch auflösen, dass die Nutzer sich in verschiedenen Kontexten sehr unterschiedlich verhalten. So gibt es für viele Nutzer Inhalte, die preiswürdig sind, während sie bei anderen Inhalten die Erwartung eines kostenlosen oder zumindest kostengünstigen Zugangs haben. Dabei ist das Bewusstsein der Bevölkerung für die Kosten von Medienangeboten stark durch die scheinbar kostenlosen werbefinanzierten Angebote beeinflusst, also den werbefinanzierten Rundfunk und viele Online-Angebote. 3.2.3.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte Im Hinblick auf die Etablierung von neuen Bezahlangeboten ist die kommunikative Chancengleichheit der Nutzer zu beachten, da es bei einer solchen Vermarktung wichtiger Ressourcen zum Ausschluss bestimmter Nutzergruppen kommen kann (s. dazu Kap. 3.1.3). Durch indirekte, marktfremde oder aus anderen Gründen nicht direkt aus dem Angebot refinanzierte Medieninhalte können Partikularinteressen auf die Einzelinhalt in einer Form durchschlagen, die für eine freie öffentliche und individuelle Meinungsbildung kontraproduktiv sein kann. Durch das Zunehmen derartiger Finanzierungen von Angebotsformen kann dies nicht nur zu einem Transparenzverlust führen, sondern mittelbar auch auf das Vertrauen der Nutzer in die Medieninhalte insgesamt schwächen (vgl. dazu Kap. 3.3.4) Auch auf der Seite der Nutzer kann Transparenz - insbesondere in Bezug auf das Medienbudget - zur besseren Strategieentwicklung und Planungssicherheit der Medienanbieter beitragen. Kenntnisse über Änderun- 273 3. Trends und Perspektiven gen in dem Medienbudget der Bevölkerung können daneben wissenschaftlich furchtbar gemacht werden. Eine kohärente Erfassung der Entwicklung von Medienbudgets der Bevölkerung ist daher von Bedeutung. Damit die Medien ihre in der Demokratie zentralen Funktionen uneingeschränkt erfüllen können, ist die Sicherung einer Grundversorgung mit Medienangeboten und die Sicherung des bezahlbaren Zugangs ein wichtiger Baustein auf dem Weg in eine Informationsgesellschaft. 3.2.4 Tendenzen der Auswertungspraxis 3.2.4.1 Bestandsaufnahme Um die Erlöse aus ihren Lizenzen zu maximieren, verfolgen die Rechteinhaber und -verwerter zunehmend Strategien, mit denen ein inhaltliches Konzept in unterschiedlichen Versionen, z.B. als Buch, Hörspiel, Fernsehserie oder Computerspiel, und in mehreren nacheinander folgenden Verwertungsstufen wie z.B. Kino, Pay TV, DVD, Free TV, Internet. Es kommt hinzu, dass gerade das Internet es erleichtert, auch Nischenprodukte zu vermarkten. 515 Durch die Maximierung der Auswertungstiefe entstehen zudem starke Zentralakteure, die gegenüber den Entwicklern und Produzenten von Medieninhalten eine zunehmend starke Stellung innehaben. 3.2.4.2 Gesellschaftliche Relevanz Die Nutzung vieler verschiedener Distributionsmöglichkeiten und verschiedener Refinanzierungsmöglichkeiten kann die Zugänglichkeit zu attraktiven Inhalten für die Bevölkerung vereinfachen. Allerdings trägt die Veränderung der Auswertungstiefe, also die Vervielfältigung von Inhalten in neuen technischen Formaten und die Aufbereitung für neue zeitlich begrenzte Auswertungsschritte, auch dazu bei, die Übersichtlichkeit des Gesamtangebotes einzuschränken, da solche Produkte besonders intensiv vermarktet werden. Da bei solchen Auswertungsnetzwerken Geld- und Aufmerksamkeitstransfers Bestandteile der Strategie sind, kann es dazu kommen, dass diese Angebote überproportional viel Aufmerksamkeit an sich binden und anderen wichtigen Angeboten der Zugang zu Distributionskanälen verwehrt ist. So ist es beim Start eines multimedial ausgewerteten internationalen Kinofilms kaum möglich, gleichzeitig für eine nationale Kinoproduktion im gleichen Genre hohe Aufmerksamkeitswerte zu erzielen, da die Marketingmöglichkeiten eingeschränkt sind. Die Auswertung von Inhalten mit Blick auf maximale Reichweite wird vor allem von international tätigen Anbietern eingesetzt. Dies kann dazu beitragen, dass national ausgerichtete Produzenten weiter an Bedeutung verlieren. Aber auch die Strategie der Spezialisierung auf Zielgruppen kann ein Problem für national ausgerichtete Produktionen sein, da die adressierten Geschmacksgemeinschaften in der Regel auch international zusammengesetzt sind. Fans bestimmter Inhalte werden mit lokalisierten Angeboten versorgt, nationale Partner in solchen Netzwerken spielen nur noch eine vergleichsweise geringe Rolle bei der inhaltlichen Gestaltung der Angebote. Dieser Entwicklung steht jedoch auch eine zunehmende Differenzierung des Angebotes im Hinblick auf die Auswertungsmöglichkeiten gegenüber, die Chancen für die inländische Medienwirtschaft eröffnet. Während die Zahl international multimedial auswertbarer Großproduktionen aufgrund der verfügbaren Ressourcen begrenzt ist, ergeben sich für professionell agierende Netzwerkpartner Marktchancen im Rahmen eines internationalen Standortwettbewerbes. Einzelne Projektbestandteile können auch in Deutschland umgesetzt werden. Daneben kann durch die Partizipation an der Entwicklung Know-how gesichert werden, mit dem man auch die Auswertungstiefe europäischer und deutscher Produktionen zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit verbessern kann. 515 274 Anderson 2007. 3.2. Wirtschaftliche und technische Entwicklungen Abgesehen von den Folgen für die Gestaltung der Inhalte und der Zusammensetzung des Gesamtangebotes hat dies auch zur Folge, dass kleine und mittlere Unternehmen, die sich auf die Lokalisierung von Inhalten spezialisieren, in der Gefahr sind, aufgrund ihrer schwachen Verhandlungsposition gegenüber den Rechteinhabern mittelfristig in Abhängigkeit von bestimmten Netzwerken zu geraten. 3.2.4.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte 3.2.4.3.1 Anbieter Bei der Entwicklung von Auswertungsnetzwerken sind die Eigentümer attraktiver Inhalte in starken Positionen und können auf diesem Wege die Stabilität der Netzwerke wesentlich mitbestimmen. Durch die Gestaltung der Verträge entstehen mit Bezug auf konkrete Angebote Strukturen, die Unternehmensbeteiligungen stark ähneln. Ein Beispiel ist hierfür die Gestaltung von Lizenz- und Merchandisingverträgen, die Rechte und Pflichten in hohem Umfang regeln und je nach Verhandlungsposition der beteiligten Akteure die Handlungsoptionen bestimmen. Ein wichtiges Element bei diesen Verhandlungen ist die Transparenz des Netzwerks für die beteiligten Unternehmen, die ein partnerschaftliches Verhältnis eingehen. Um die Position der wirtschaftlich schwächeren Partner bei der Verteilung der Risiken solcher Projekte zu stärken, wären Vorgaben zur zumindest im Netzwerk erforderlichen Transparenz ein wichtiges Mittel. Neben den Anbietern von Inhalten sind es auch eine Reihe technischer Dienstleister, die z. B. an der technischen Aufbereitung von Inhalten beteiligt werden. Hierbei kommt es häufig zu der Situation, dass ein Know-how- und Technologietransfer Bestandteil von Verträgen ist, etwa wenn Lizenzen für die Entwicklung von interaktiven Anwendungen zur Verfügung gestellt werden. Eine solche Verknüpfung technischer und inhaltlicher Kontrolle kann zur Abhängigkeit der Unternehmen führen. Hinzu kann z. B. in der Bildschirmspieleindustrie zukünftig mit der Entwicklung von Online-Spieleplattformen auch noch die Kontrolle über den Vertriebsweg kommen, so dass ein Oligopol entstehen kann, das neuen Akteuren einen Marktzutritt sehr schwer macht. Generell wird in der Zukunft der Zugang zu technischen Ressourcen eine wichtigere Rolle bei der Sicherung der Marktposition der Akteure spielen, die Entwicklung verbindlicher Standards und die Garantie des schnellen Zugangs zu technischen Ressourcen wird ein wichtiger Bestandteil des Wettbewerbs in den Konvergenzbranchen sein. 3.2.4.3.2 Publikum Aus der Sicht des Publikums sind mit Blick auf die Schutzrechte vor allem solche Aspekte wichtig, die auf eine Verbesserung der aktiven Teilnahme an der Entwicklung der Informationsgesellschaft zielen. Dies schließt u. a. ein, dass die Sicherung der Urheberrechte dazu führen kann, dass die Möglichkeiten des Publikums im Hinblick auf Privatkopien eingeschränkt werden. Neben Privatpersonen haben auch Wissenschaft und Forschung Interesse daran, kostengünstigen Zugang zu den betreffenden Inhalten und technischen Ressourcen zu erhalten, um ihre Aufgabe erfüllen zu können. Dies betrifft zum einen die konkreten Inhalte, die im Hinblick auf die gesellschaftlichen Auswirkungen eine Rolle spielen, zum anderen aber auch die technischen Ressourcen, deren Gestaltung eine wachsende Bedeutung für die Erscheinungsform der Inhalte hat. Bei der multimedialen Auswertung von Inhalten in unterschiedlichen Varianten ist darauf zu achten, inwieweit Modifikationen die Nutzung und Wahrnehmung der Angebote beeinflussen. Solange Angebote in geschlossenen Verwertungssystemen ausgewertet werden, die auf Bezahlmechanismen beruhen, ist in der Regel ein hohes Maß an Kontrolle über die Verwendung möglich. Bei Spielfilmen bedeutet dies z. B., dass die Vorgaben des Jugendschutzes vergleichsweise leicht durchsetzbar sind. Diese Situation verändert sich häufig, wenn solche Angebote in die folgenden Auswertungsstufen übergehen und z. B. im Fernsehen gesendet wer- 275 3. Trends und Perspektiven den. Eine dort möglicherweise eingesetzte geschnittene Fassung kann auch ungewollt als Marketinginstrument für die ursprüngliche Fassung oder verwandte Angebote wirken und entsprechende Interessen wecken. Dieses Problem führte in den USA zu einer ausführlichen Beschäftigung mit dem Aspekt des Marketings für Inhalte, die durch Jugendschutz-Ratings eingestuft werden, und es hat sich gezeigt, dass das Bewusstsein der Bevölkerung für die Differenzierung der Angebote und ihre unterschiedliche Eignung für bestimmte Zielgruppen in sehr geringem Maß entwickelt ist. 3.2.5 Internationalisierung 3.2.5.1 Bestandsaufnahme Wie alle Bereiche der Wirtschaft ist auch der Medienbereich von der zunehmenden Internationalisierung betroffen. Dabei sind jedoch die einzelnen Teilmärkte unterschiedlich stark an dieser Entwicklung beteiligt. Bei den Tageszeitungen gab es in jüngerer Zeit Versuche ausländischer Unternehmen, z. B. mit Gratiszeitungen auf den deutschen Markt zu drängen. In diesem Markt nehmen die nationalen Akteure aktiv am Prozess der Internationalisierung teil und weiten ihre Geschäftsaktivitäten ins Ausland aus. Hierbei spielt vor allem Osteuropa eine wichtige Rolle bei den Aktivitäten der Verlage, wo mittlerweile eine ganze Reihe von Unternehmen existiert, bei denen deutsche Verlage eine wesentliche Rolle spielen. Ähnliches ist auch im Zeitschriftenbereich zu beobachten, in dem die wesentlichen Akteure aus Deutschland kommen. Auch diese Verlage erzielen in unterschiedlicher Höhe Umsätze mit Auslandsbeteiligungen. Auch bei den Nachrichtenagenturen und beim Pressevertrieb herrscht eine starke Dominanz nationaler Akteure. Im Bereich des kommerziellen Hörfunks spielen auf der Seite der Anbieter ausländische Unternehmen ebenfalls nur sehr selten eine Rolle. In der Regel setzen sich die Gesellschafter der Hörfunkveranstalter aus nationalen Akteuren wie z. B. Zeitungsverlagen zusammen. Eine völlig andere Situation zeigt sich beim Fernsehen. Hier gibt es eine Reihe ausländischer Beteiligungen an deutschen Sendern und Sendergruppen, darüber hinaus verfügen auch ausländische Akteure über Fernsehprogramme. Mit der Bertelsmann AG hat einer der wichtigsten Akteure seine Rundfunkbeteiligungen in einer internationalen Holding zusammengefasst und trägt so zur Internationalisierung auf der Ebene der Unternehmen bei. Eine starke ausländische Dominanz ist in den Bereichen Kino und Bildschirmspiele zu verzeichnen. Die ausländischen Akteure haben sich jeweils eine komfortable Marktposition erarbeitet und verfügen in der Regel über Beteiligungen auf verschiedenen Stufen der Verwertungskette ihrer Inhalte. Nationale Angebote haben es im Vergleich zu den Produkten dieser Unternehmen im Inland schwer, da sie nicht auf vergleichbare stabile professionelle Strukturen zurückgreifen können. Die Gründe für eine Internationalisierung liegen einerseits in der Erschließung neuer Märkte, andererseits können bei multinational operierenden Konzernen auch regionale Standortvorteile für die Ansiedlung von zentralen Unternehmen sein. Zu diesen Standortvorteilen können neben Faktoren wie der Verfügbarkeit von Ressourcen für den Geschäftsbetrieb z. B. auch Arbeitskosten und steuerliche Faktoren und Investitionsanreize zählen. Der zu beobachtende Standortwettbewerb um internationale Investoren wird auch zwischen den Bundesländern intensiv geführt. Von dieser Entwicklung profitieren vor allem Unternehmen, für die eine räumliche Bindung an eine bestimmte Region nur eine untergeordnete Bedeutung hat, also etwa bundesweite Rundfunkveranstalter und Unternehmen der Musikindustrie. Die kontinuierliche Verbesserung der Leistungsfähigkeit von Distributionssystemen trägt allerdings auch dazu bei, dass andere Branchen in stärkerem Ausmaß als in der Vergangenheit internationale Anbieter für die Erstellung von Vorleistungen oder Teile der Produktion nutzen. So wird ein großer Teil der deutschen Bücher mittlerweile im Ausland gedruckt, auch ein Teil der technischen Dienstleistungen, die im Rahmen der Medienproduktion anfallen, wird im Ausland erbracht. 276 3.2. Wirtschaftliche und technische Entwicklungen 3.2.5.2 Gesellschaftliche Relevanz Ein zunehmendes multinationales Engagement von Unternehmen aus der Verlagsbranche kann zu einem unternehmens- oder konzerninternen Wettbewerb um verfügbare Ressourcen führen. Dies gilt vor allem in Phasen, in denen die wirtschaftliche Entwicklung auf den verschiedenen Märkten unterschiedlich verläuft. Das so geschaffene Potenzial kann einerseits genutzt werden, um die Abhängigkeit des Unternehmens von der konjunkturellen Entwicklung auf einem Markt zu verringern, andererseits kann es auch zur Situation eines Renditewettbewerbes unter ungleichen Rahmenbedingungen kommen. Problematisch kann eine solche Entwicklung insbesondere dann sein, wenn der Wettbewerb auf einem der betreffenden Märkte nur eingeschränkt funktioniert, da dann andere Anbieter nicht als Korrektiv wirken können. Ein weiterer Aspekt der Internationalisierung ist die starke Marktposition von für die internationale Auswertung produzierten Angeboten im audiovisuellen Bereich, also die Märkte für Kino- und Fernsehen und Bildschirmspiele. Dies hat möglicherweise eine sinkende Bedeutung nationaler kultureller Traditionen zur Folge, eine nationale Partizipation in der Produktion findet auf der kreativen Ebene kaum noch statt (vgl. Kapitel 3.3.2). Außerdem spielt bei den Strategien der großen Konzerne in erster Linie die Ausrichtung an ökonomischen Zielvorgaben eine zentrale Rolle. Die im Rahmen der Internationalisierung entstehende internationale Standortkonkurrenz bedeutet natürlich auch Chancen für die deutsche Medienwirtschaft, die in einigen Bereichen gute Wettbewerbschancen hat. Andererseits ergibt sich aus den Möglichkeiten des internationalen Engagements auch das Problem des Kapitalabflusses aus dem deutschen Mediensystem für internationale Investitionen, wie es sich z. B. im Filmbereich zeigt, wo Investitionen aus Deutschland in nicht unerheblichem Umfang zu den Produktionsbudgets amerikanischer Filme beitragen. 3.2.5.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte Aus der Internationalisierung des Mediensystems ergeben sich abgesehen von konzentrationsrechtlichen Fragestellungen eine Reihe weiterer Anknüpfungspunkte für kommunikations- und medienpolitisches Handeln. Ein Ziel könnte es sein, die nationalen Besonderheiten des deutschen Mediensystems im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Bedeutung adäquat zu sichern. Hierzu können neben rechtlichen Bestimmungen z. B. auch Förderprogramme in unterschiedlichster Form beitragen. Eine Grundlage für die Entscheidung für einen Eingriff in die Entwicklung in einem bestimmten Bereich muss eine Ermittlung der spezifischen Problembereiche sein, aus der dann entsprechende Maßnahmen entwickelt werden. Erforderlich ist in diesem Zusammenhang eine intensive Abstimmung der beteiligten Akteure, um eine größtmögliche Effizienz der eingesetzten Mittel zu sichern. Während kultur- und wirtschaftlichpolitische Betrachtungen im Medienbereich zuweilen gegenläufig sind, gibt es beim Thema Globalisierung Übereinstimmungen. Dass international agierende Unternehmen in Deutschland so präsent sind, dass sie ggf. Produkte für den heimischen Markt lokalisieren und Einfluss im Sinne nationaler Anforderungen konzernintern zur Geltung bringen, nützt dem Wirtschaftsstandort Deutschland ebenso wie dem Bestreben, weiterhin Kulturraum-bezogene Angebote zu haben, tradierte europäische Erzählstrukturen weiter zu entwickeln und nationale Regeln etwa des Jugendschutzes durchsetzen zu können. 3.2.6 Transparenz und Datengrundlage 3.2.6.1 Bestandsaufnahme Eine wichtige Voraussetzung für die Beschreibung und darauf aufbauende Analyse der Entwicklung des Mediensystems ist die Verfügbarkeit von und der Zugang zu Daten und Informationen, die Entwicklungen nachvollziehbar machen. Der Bestand an für die Entwicklung der Informationsgesellschaft relevanten Daten ist von mehreren übergreifenden Faktoren geprägt. Seit mehreren Jahren nimmt die Zahl der amtlich erhobenen 277 3. Trends und Perspektiven Statistiken zur Entwicklung der Medien ab. Deutlichstes Beispiel ist die Einstellung der Pressestatistik, die letztmalig für das Jahr 1994 vorliegt. Seitdem ist es nur unter Bezug auf Publikationen von Verbänden und Unternehmen sowie individuelle Forschungsarbeiten möglich, Aussagen über die Entwicklung der Struktur der deutschen Zeitungslandschaft zu machen. Die Gründe für diesen Rückgang der amtlichen Statistik liegen zum einen im Bestreben nach einem Abbau der Bürokratie für die Unternehmen, zum anderen wird häufig auch mit der Vereinheitlichung der europäischen Statistik argumentiert. Auch die Vergleichbarkeit der Daten ist immer wieder eingeschränkt, da sich die Datengrundlage und Erhebungsmethode in einigen Fällen erheblich verändert hat. So sind z. B. Unternehmensinformationen in der Umsatzsteuerstatistik aufgrund des Steuergeheimnisses nicht ausgewiesen, wenn in der entsprechenden Gruppe nur noch eine kleine Zahl von Unternehmen erscheint. Darüber hinaus gibt die amtliche Statistik Mindestgrößen an Umsatz und Beschäftigten vor, die für die Erfassung einiger Teilbereiche des Mediensystems problematisch sind. So werden Unternehmen erst ab mindestens 20 Beschäftigten erfasst, eine Vorgabe, die z. B. viele Journalistenbüros nicht erfüllen. Ein weiteres generelles Problem nicht nur der amtlichen Statistik ergibt sich aus dem Strukturwandel des Mediensystems an sich und der sich damit kontinuierlich verändernden Datenbasis. Das Hinzukommen neuer Berufe und Geschäftsfelder sorgt dafür, dass eine kontinuierliche Anpassung der Erhebungsinstrumente vorgenommen werden muss. Darüber hinaus ergibt sich in einer immer stärker auch international ausgerichteten Medienwirtschaft der Umgang z. B. mit internationalen Finanzströmen. Daten sind so immer auch Selbstbeschreibungen einer Branche, die deren bisherige Strukturen widerspiegelt und auf frühere Informationsbedarfe reagiert. Je stärker Veränderungen auch die Branchenstruktur selbst treffen, werden relevante Entwicklungen durch die Statistiken nicht vollständig abgebildet, zuweilen sogar verzerrt. 3.2.6.2 Dimensionen der Transparenz Bei der Beschäftigung mit dem Thema Transparenz lässt sich eine Differenzierung in vier Bereiche vornehmen. Es handelt sich dabei um Markt-, Unternehmens-, Programm- und Verantwortungstransparenz. Betrachtet man die Markttransparenz, so zeigt sich, dass Informationen über die Entwicklung der Märkte ein wichtiger Faktor für die Entwicklung unternehmerischer Strategien sind und deshalb Informationen in diesem Bereich ein wertvolles Gut darstellen. Häufig werden auf der Grundlage von Daten über die bisherige Marktentwicklung Versuche unternommen, künftige Entwicklungen zu prognostizieren. Dabei zeigt sich, dass die zeitliche Dimension ein wichtiger Faktor für die Entwicklung von Markttransparenz ist, da die in erster Linie von Marktforschungsunternehmen erhobenen und ausgewerteten Daten selten über einen längeren Zeitraum in vergleichbarer Weise erhoben werden. Umso gravierender ist der Rückgang einer langfristig fortgeführten amtlichen Statistik, die Aussagen über eine nationale Entwicklung auf der Grundlage einer kontinuierlich nachvollziehbaren Datenbasis ermöglicht. Ohne eine solche Grundlage ist es auch schwierig, z. B. Verbandsveröffentlichungen über Branchenentwicklungen einzuschätzen, da diese in der Regel keinen verpflichtenden Charakter und auch deshalb nur begrenzte Aussagekraft haben. Darüber hinaus sind die Verbände natürlich auch Interessenvertretungen und beschäftigen sich nur mit einem Ausschnitt der möglichen Fragestellungen. Eine weitere Ebene der Transparenz ist die der Unternehmenstransparenz. Hier gibt es weit reichende Vorgaben, auf deren Grundlage man sich einen Überblick über die Eigentümerverhältnisse in den Unternehmen verschaffen kann. Eigentümerverhältnisse bilden in vielen Fällen auch die Einflussmöglichkeiten innerhalb der Unternehmen ab, allerdings zeigt sich, dass dies nicht immer der Fall ist. Insofern verfügen Aufsichtsinstitutionen, die für den Medienbereich zuständig sind, in der Regel über erweiterte Möglichkeiten zur Ermittlung von Einflussmöglichkeiten, etwa auf der Grundlage von Beherrschungsverträgen oder von Stimm- 278 3.2. Wirtschaftliche und technische Entwicklungen rechtsvereinbarungen. Wesentlich schwieriger ist die Ermittlung des Einflusses einzelner Akteure in den an Bedeutung gewinnenden Netzwerken. Während Markt- und Unternehmenstransparenz vor allem auf die wirtschaftliche Struktur der Märkte bezogen sind, steht bei der Programmtransparenz die tatsächliche Frage des Einflusses auf Gestaltung des konkreten Inhaltes im Mittelpunkt. Insbesondere bei Unternehmen, die vorgefertigte Inhalte verbreiten, sei es in Form von Agenturmeldungen und Pressemitteilungen im journalistischen Bereich oder von fremdproduzierten Programmen im Rundfunk, ist dies ein wichtiger Faktor für die Beurteilung von Angeboten. Davon zu unterscheiden ist die konkrete Verantwortung für die publizierten Inhalte in der Gestalt von Verantwortungstransparenz, da organisatorisch hier andere Personen in der Pflicht sind, z. B. auf die Einhaltung gesellschaftlicher und rechtlicher Normen zu achten. 3.2.6.3 Gesellschaftliche Relevanz Bei den Daten und Informationen, die zur Entwicklung der Märkte vorliegen, sind es in der Regel Akteursinteressen, die den entscheidenden Einfluss auf die Aussagekraft des Materials haben. So sind z. B. die Daten zur Entwicklung der Einschaltquoten vor allem auf die Interessen der reichweitenstarken Programme ausgerichtet, die nur ein begrenztes Interesse an kleinen Zielgruppen haben. Aufgrund dieser Vorgaben sind die von der GfK erhobenen Daten z. B. in Bezug auf die tatsächlichen Marktanteile der Veranstaltergruppen nur eingeschränkt aussagefähig. Die gesellschaftliche Bewertung von Entwicklungen auf der Grundlage von vor allem aus ökonomischen Gründen erhobenen Daten ist nur begrenzt möglich. Aufgrund des aktuellen Strukturwandels ergibt sich zurzeit jedoch in vielen Bereichen ein Anpassungsbedarf traditioneller Erhebungsinstrumente und Verfahren, der zwar einerseits die langfristige Vergleichbarkeit der Daten zusätzlich in Frage stellt, andererseits aber die Möglichkeit eröffnet, in stärkerem Maße auch Aspekte von gesellschaftlicher Bedeutung in diesen Untersuchungen zu berücksichtigen. Neben den marktbezogenen Daten ist es im Fall der Unternehmens- und Verantwortungstransparenz in der Regel auch für das Publikum möglich, die erforderlichen Informationen zu bekommen. Dies ist eine wichtige Grundlage für die Souveränität des Publikums beim Umgang mit Medienangeboten. Über diese Angaben hinaus wird von Institutionen und Organisationen eine Vielfalt von Informationen zur Unterstützung des Publikums bei seinen Auswahlentscheidungen bereitgestellt, von Altersfreigaben bis zu Qualitätseinstufungen von bestimmten Angeboten. Diese zusätzlichen Informationen können das Publikum bei seinen Auswahlentscheidungen unterstützen und so bei der Wahrnehmung seiner Interessen stärken. Als Grundlage der Einschätzung der Entwicklung der Informationsgesellschaft sind verlässliche Daten eine wichtige Voraussetzung für die Entscheidung über strategisches Handeln. Dies gilt für alle Akteure, nicht nur für solche, die ökonomische Ziele verfolgen. Insofern ist eine vor allem mit ökonomischen Zielen erstellte Datengrundlage nur in begrenztem Umfang geeignet, als Orientierungshilfe und Reflektionsgrundlage für die Informationsgesellschaft zu dienen. Insbesondere Institutionen und Organisationen, die kontinuierlich Steuerungsfunktionen übernehmen, sind darauf angewiesen, über langfristig vergleichbares zuverlässiges Datenmaterial zu verfügen. Dies ist eine der Begründungen für das Bestehen amtlicher Statistiken. Die verschiedenen Akteursgruppen haben zum Teil unterschiedliche Anforderungen an eine Datengrundlage, grundsätzlich lassen sich drei Kontexte, in deren Rahmen eine Datenbasis eine Rolle spielt, identifizieren: Der erste dieser Kontexte ist der Bedarf der wirtschaftlich handelnden Akteure, die vor allem Informationen benötigen, die bei der Formulierung von Strategien und der Positionierung des Unternehmens oder der Organisation helfen. Ein entscheidender Vorteil bei der Entwicklung von Strategien kann hier eine einheitliche Datengrundlage sein, die zumindest als stabile Orientierung bei der Einschätzung von Entwicklungen hilft. Darüber hinaus hilft eine solche Datengrundlage grundsätzlich allen Akteuren bei der Orientierung im jeweiligen Marktumfeld und ermöglicht auch neuen Akteuren eine bessere Selbsteinschätzung. 279 3. Trends und Perspektiven Die zweite Gruppe von Akteuren, die spezielle Anforderungen an eine Datenbasis über die Entwicklung des Medien- und Kommunikationssystems hat, sind alle Institutionen, die steuernden Einfluss auf die Entwicklung in diesem Bereich haben. Diese Gruppe hat vordringlich ein Interesse daran, die gesamtgesellschaftlichen Auswirkungen der Entwicklung zu erfassen, um nötigenfalls die Entwicklung beeinflussen zu können. Für sie ist die Datenbasis in erster Linie eine Voraussetzung für das Erkennen gesellschaftlich relevanter Problemlagen. Anforderungen an eine Datenbasis würden aus ihrer Sicht z. B. inhaltliche Vielfalt, Qualität und Gestaltung von Angeboten und kulturelle Aspekte betreffen. Auch die Entwicklung bedarfsgerechter Ausbildungsangebote ist auf derartige Informationen angewiesen. Die dritte Gruppe, die einen Bedarf für Informationen und Daten über die Entwicklung hat, ist schließlich das Publikum, für das gut zugängliche Informationen bei der Suche nach Orientierung in einer sich wandelnden kommunikativen Umwelt eine wichtige Rolle spielen. 3.2.6.4 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte Ingesamt erscheint die Datenbasis zum Kommunikations- und Mediensystem angesichts der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung des Sektors erstaunlich lückenhaft. Da Statistiken als Prototyp von Bürokratie erscheinen, gilt ihr Abbau offenbar als Akt moderner Staatlichkeit. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Ebenen der Transparenz zeigt sich ein differenziertes Bild der verfügbaren Daten. In einigen Bereichen wie bei der Presse wird deutlich, dass ein Fehlen amtlicher Statistik zum Problem für die unabhängige Einschätzung der aktuellen Situation der Verlage werden kann. Die Dynamik der konjunkturellen Entwicklung bringt es mit sich, dass es in den meisten Geschäftsfeldern auch Zeiten von sinkenden Umsätzen und Erlösen gibt. Um jedoch eine tatsächliche nachhaltige Strukturkrise und ihre Dauer und Auswirkungen einschätzen zu können, sind unabhängige Informationen, wie sie die Pressestatistik lieferte, eine wichtige Voraussetzung. Da es den Medienbereich nicht als spezifische Größe in der amtlichen Statistik gibt und die bisherigen Vorgaben die Besonderheiten in diesem Bereich nur in unzureichendem Ausmaß abbilden, sind die Möglichkeiten in diesem Bereich eingeschränkt. Hinzu kommt, dass im Zuge der Vereinheitlichung der europäischen Statistik schwer vorstellbar ist, einen Sonderbereich zu entwickeln, der die nationalen Besonderheiten des Mediensystems adäquat berücksichtigt und über Basisdaten hinaus Informationen liefern kann. Seit 1999 wird auch das Medienbudget vom Statistischen Bundesamt nicht mehr ausgewertet, so dass dieses Rahmendatum für Geschäftsmodelle nicht mehr amtlich fortgeschrieben zur Verfügung steht. Unabhängig von der amtlichen Statistik haben sich eine Vielzahl von Erhebungen und Datensammlungen entwickelt, die zumindest als Grundlage für eine kontinuierlich fortgeschriebene Medien- und Kommunikationsstatistik dienen können. Zum Teil handelt es sich dabei um Verbandspublikationen, daneben erstellen aber auch viele Institutionen und Organisationen Datensammlungen und Studien. Als Beispiele seien hier die Stichtagssammlungen zur deutschen Tageszeitungslandschaft von Schütz, die Studie Massenkommunikation der ARD oder die Studien der Landesmedienanstalten genannt. Der Rahmen für solche Untersuchungen ist in stark unterschiedlichem Maß institutionalisiert. Eine Reihe dieser Untersuchungen könnte gebündelt und mit einer auch finanziellen Absicherung der notwendigen Kontinuität die Basis einer umfassenden Statistik sein. Als Modelle bieten sich britische oder niederländische Vorbilder an, wo bei der Zusammenstellung und Veröffentlichung der entsprechenden Datenbasis ein Kooperationsmodell genutzt wird, bei dem die beteiligten Akteure eine gemeinsame Organisation oder Institution mit der Koordination beauftragen. Eine solche unabhängige Institution kann wie in Großbritannien im Rahmen des Digital Television Action Plan allein koordinierende Aufgaben haben oder selbst Daten erheben. Gerade an dieser Stelle kann eine Kooperation von Staat und Wirtschaft hilfreich sein, bei der der Staat auf die Kontinuität und Qualität der Daten hinwirkt, die Wirtschaft aber dafür sorgt, dass die Erhebung handhabbar und unbürokratisch verläuft. 280 3.2. Wirtschaftliche und technische Entwicklungen Eine solche zentrale Organisationsform hätte den Vorteil, dass sie den beteiligten Institutionen Synergieeffekte bei der Erhebung, Auswertung und Darstellung von Datenmaterial bieten würde. Darüber hinaus ließen sich mit Hilfe einer solchen Struktur die Auswirkungen von Veränderungen in der Akteurslandschaft kompensieren, da im Fall einer entstehenden Lücke oder finanzieller Schwierigkeiten die Möglichkeit bestände, die Datenerhebung fortzusetzen. Zusätzlich hat eine solche zentrale Einrichtung auch den Vorteil, dass sie bei der Suche nach Informationen und Daten eindeutig identifizierbar ist und damit einen leichteren Transfer der verfügbaren Informationen sicherstellen kann. Ingesamt bietet sich neben der fortlaufenden und notwendig relativ starren und kleinen Datenbasis durch amtliche Statistiken – die wie oben dargestellt ihre Bedeutung behält – eine Ergänzung durch Informationen an, die die Branchen selbst erheben. Wo dies gesellschaftlich nötig ist, kann der Staat die von ihm für sinnvoll gehaltenen Typen von Daten als Anregung oder Vorgabe kommunizieren und so auf amtliche Statistiken verzichten, wenn und soweit die Branchen freiwillig die Erhebung leisten. Um eine noch bessere Beschreibung aktueller Entwicklungen zu gewährleisten, können qualitative Verfahren genutzt und punktuell erhobene Daten zusammengetragen werden. Damit entstehen mehrere Ebenen der Brachenbeschreibung, wobei die flexibleren Formen Informationen zutage fördern können, die es sinnvoll erscheinen lassen, auch die längerfristigen Erhebungen zu verändern oder zu ergänzen, wenn sich ein Strukturwandel abzeichnet. Eine Verständig aller relevanten Akteure über benötigte Daten wäre ein kommunikations- und medienpolitischer Ansatzpunkt für Maßnahmen zur Verbesserung der Transparenz. 281 3. Trends und Perspektiven 3.2.7 Quellenangaben zu Kapitel 3.2 Altmeppen, Klaus Dieter (1999): Redaktionen als Koordinationszentren. Beobachtungen journalistischen Handelns. Wiesbaden. Anderson, Chris (2007): The Long Tail – der lange Schwanz. Nischenprodukte statt Massenmarkt – Das Geschäft der Zukunft. München. Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) (Hrsg.) (2004): Beschäftigte und wirtschaftliche Lage des Rundfunks in Deutschland. Berlin. Breyer-Mayländer, Thomas/Werner, Andreas (2003): Handbuch der Medienbetriebslehre. München/Wien. Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (2005): Antispam-Strategien. Unerwünschte E-Mails erkennen und abwehren. Bonn. Bundesnetzagentur (BNetzA) (2007): Tätigkeitsbericht 2006/2007 für den Bereich Telekommunikation. Bonn. 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Weischenberg, Siegfried/Herrig, Peter (1985): Handbuch des Bildschirm-Journalismus: Elektronische Redaktionssysteme: Grundlagen, Funktionsweisen, Konsequenzen. München. 282 3.3 VIELFALT UND MEDIENQUALITÄTEN 3.3.1 VIELFALT ................................................................................................................................ 285 3.3.1.1 3.3.1.1.1 3.3.1.1.2 3.3.1.1.3 3.3.1.1.4 3.3.1.1.5 3.3.1.1.6 3.3.1.1.7 3.3.1.1.8 3.3.1.2 3.3.1.2.1 3.3.1.2.2 3.3.1.2.3 3.3.1.2.4 3.3.1.3 3.3.1.3.1 3.3.1.3.2 3.3.1.3.3 3.3.1.3.4 3.3.1.3.5 3.3.1.3.6 3.3.1.3.7 3.3.2 KULTURELLE SELBSTVERSTÄNDIGUNG ..................................................................... 296 3.3.2.1 3.3.2.1.1 3.3.2.1.2 3.3.2.2 3.3.2.2.1 3.3.2.2.2 3.3.2.3 3.3.2.3.1 3.3.2.3.2 3.3.3 ERKENNTNISSE AUS DEN DESKRIPTIVEN TEILEN .................................................................. 285 Erweiterung der verfügbaren Medien- und Kommunikationsangebote .............................. 285 Anhaltende Medienkonzentration........................................................................................ 285 Hohe Marktzutrittshürden für neue Wettbewerber ............................................................. 286 Veränderte Eigentums- und Produktionsstrukturen............................................................ 287 Neue Akteure mit vermittelndem Einfluss ........................................................................... 287 Internationalisierung und Regionalisierung ....................................................................... 287 Entwicklung der Angebotsvielfalt ....................................................................................... 288 Fragmentierung der genutzten Medienrepertoires ............................................................. 288 GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ ........................................................................................ 289 Freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung........................................................... 289 Vielfalt als Qualitätsmerkmal und als Risikovorsorge........................................................ 290 Derzeitiges Konzept der Vielfaltsicherung.......................................................................... 290 Rolle des Kartellrechts........................................................................................................ 292 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ................................ 292 Technische Voraussetzung für kommunikations- und medienpolitische Gestaltung ........... 292 Positive Vielfaltsicherung und Zukunft des dualen Systems................................................ 292 Rundfunkzentrierung der Regulierung und multimediale Meinungsmacht ......................... 293 Reaktion auf vermittelte Meinungsmacht............................................................................ 294 Regulierung von Vertriebsnetzen ........................................................................................ 295 Ebenen der Regulierung...................................................................................................... 295 Anknüpfungspunkte für nicht-anbieterbezogene vielfaltsichernde Maßnahmen................. 296 ERKENNTNISSE AUS DEN DESKRIPTIVEN TEILEN .................................................................. 296 Nutzung inländischer und ausländischer Angebote ............................................................ 296 Interkulturelle und transkulturelle Kommunikation............................................................ 297 GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ ........................................................................................ 299 Interkulturelle Kommunikation ........................................................................................... 299 Kulturelles Gedächtnis........................................................................................................ 301 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ................................ 302 Ziele .................................................................................................................................... 302 Instrumente ......................................................................................................................... 303 BEOBACHTUNG DER MEDIEN: METAMEDIEN UND MEDIENKRITIK .................. 306 3.3.3.1 3.3.3.1.1 3.3.3.1.2 3.3.3.1.3 3.3.3.2 3.3.3.3 BESTANDSAUFNAHME ......................................................................................................... 307 Orientierung........................................................................................................................ 307 Kritik ................................................................................................................................... 309 Selbstreferentialität und crossmediale Bezüge.................................................................... 310 GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ ........................................................................................ 311 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ................................ 311 283 3. Trends und Perspektiven 3.3.4 WERBUNG UND REDAKTIONELLE INHALTE .............................................................. 313 3.3.4.1 3.3.4.2 3.3.4.3 3.3.5 TRENDS DER ANGEBOTSFORMEN .................................................................................. 317 3.3.5.1 3.3.5.1.1 3.3.5.1.2 3.3.5.2 3.3.5.3 3.3.6 ERKENNTNISSE AUS DEN DESKRIPTIVEN TEILEN .................................................................. 313 GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ ........................................................................................ 314 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ................................ 316 AKTUELLE ENTWICKLUNGEN .............................................................................................. 317 Veränderungen in der Publizistik........................................................................................ 317 Realität und „Reality“, Öffentlichkeit und Privatheit......................................................... 319 GESELLSCHAFTLICHE RELEVANZ ........................................................................................ 320 KOMMUNIKATIONS- UND MEDIENPOLITISCHE ANKNÜPFUNGSPUNKTE ................................ 324 QUELLENANGABEN ZU KAPITEL 3.3.............................................................................. 325 Tabellenverzeichnis Tabelle 3.3.1.1 Kennzahlen zur Medienkonzentration 1997-2007 284 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten 3.3.1 Vielfalt Die Vielfaltsicherung steht im Mittelpunkt der verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Kommunikations- und Medienordnung und ist auch medienpolitisch als Ziel unumstritten. In dieser Hinsicht können die Entwicklungen der letzten Jahre als deutliche Erweiterung und Ausdifferenzierung der verfügbaren Informationsangebote und Kommunikationsoptionen charakterisiert werden. Die deskriptiven Kapitel zu den einzelnen Medien haben jedoch auch gezeigt, dass vielfach ein Trend zur Konzentration zu beobachten ist. Für die Weiterentwicklung der Kommunikations- und Medienordnung ist dieser Bereich daher hoch relevant. Die Diskussion um Vielfalt wird – auch juristisch – in zwei Richtungen geführt, die im Folgenden zu unterscheiden sind; zum einen „negativ“ als Vorsorge gegen vorherrschende Meinungsmacht, zum anderen „positiv“ als Qualitätsmerkmal eines Angebotes oder eines Mediensystems. 3.3.1.1 Erkenntnisse aus den deskriptiven Teilen 3.3.1.1.1 Erweiterung der verfügbaren Medien- und Kommunikationsangebote Die skizzierten Entwicklungen im Bereich des technischen Zugangs zu neuen Informations- und Kommunikationstechniken machen deutlich, dass sich das quantitative Ausmaß der Informations- und Kommunikationsoptionen für die Bevölkerung drastisch erhöht hat. Nie zuvor war eine so große Menge an Informationen auf so vielen verschiedenen technischen Wegen so unabhängig von Ort und Zeit verfügbar. Auch wenn bekannt ist, dass die Vielzahl der verfügbaren Informationsangebote keineswegs mit ihrer Vielfalt gleichgesetzt werden kann, stellt doch die benannte Ausweitung des Angebots eine wesentliche Veränderung der Ausgangsbedingungen dar, unter denen das Thema Vielfalt heute zu diskutieren ist. Denn angesichts der Ausweitung der verfügbaren Angebote könnte argumentiert werden, dass sich die Vielfaltsthematik als Problem gar nicht mehr stelle. Die Voraussetzungen für die Bestimmung der bestehenden Vielfalt des Angebots werden komplizierter; insbesondere ist deutlich zwischen verschiedenen Ebenen zu unterscheiden, auf denen Vielfalt beobachtet werden kann: Handelt es sich um die Vielfalt der Produzenten und Anbieter, die Vielfalt der verfügbaren Angebote oder die Vielfalt der von den Nutzern bzw. bestimmten Nutzergruppen tatsächlich genutzten Angebote? 3.3.1.1.2 Anhaltende Medienkonzentration Im Hinblick auf die Vielfalt auf der Anbieterebene – die bisher den wichtigsten Ansatzpunkt für vielfaltsichernde Maßnahmen darstellt (siehe dazu unten) – lassen die deskriptiven Teile erkennen, dass sich die Konzentration in einzelne Medienmärkte anhält und z.T. noch verstärkt. Printverlage fusionieren oder schließen vermehrt Kooperationsvereinbarungen untereinander. Im Bereich der Tageszeitungen lässt sich eine fortschreitende regionale Monopolbildung bei Tageszeitungen beobachten (vgl. Kap. 1.1.1.1). Bei den Abonnementszeitungen publizierten die 5 größten Verlage 2006 29 Prozent der Auflage, bei den Kaufzeitungen entfallen 97 Prozent der Auflage auf 5 Verlagskonzerne (vgl. Kap. 1.1.2.1). im Zeitschriftenmarkt lag der Marktanteil der 4 größten Verlagsunternehmen bei über 60 Prozent (vgl. Kap. 1.1.2.2). Auch im Hörfunkbereich steigt der Konzentrationsgrad durch den Umstand, dass viele der Anteilseigner von Hörfunkkonsortien ihre Anteile an größere Unternehmen verkauft haben (vgl. Kap. 1.4.2.2.2). Die Hörfunkwerbung wird zu 95% durch zwei Unternehmen vermarktet. Im Fernsehbereich erreichten die beiden großen privaten Sendergruppen RTL Group und ProSiebenSat.1 2007 zusammen einen Zuschauermarktanteil von 47,2 Prozent (vgl. Kap. 285 3. Trends und Perspektiven 1.4.2.2.1), der Anteil ihrer TV-Werbevermarkter betrug 2007 sogar knapp 85 Prozent (siehe Kap. 2.3.3.3.2). 516 Eine Übersicht über die Entwicklung anhand einzelner Kennziffern gibt Tabelle 3.3.1.1. Tabelle 3.3.1.1 Kennzahlen zur Medienkonzentration 1997-2007 1997 2000 2002 2004 2006 2007 135 135* 136** 138 136 136 Anzahl der Ein-Zeitungs-Kreise / Bevölkerungsanteil in % 242 41,1% 244* 41,4% 246** 41,9% 256 42,1% 261 42,5% k.A. Anteil der 5 größten Verlagsgruppen an der Auflage der Abonnementszeitungen 27,8% 28,8% 28,8% 28,8% 29,0% k.A. Anteil der 5 größten Verlagsgruppen an der Auflage der Kaufzeitungen 98,5% 95,1% 94,6% 95,1% 97,3% k.A. k.A. 58,6% 61,2% 60,4% 62,9% k.A. Anteil der beiden größten privaten Unternehmensgruppen am Fernseh zuschauermarkt 53,3 50,9 48,2 48,6 46,6 47,2 Anteile der beiden größten HörfunkWerbevermarkter an den Netto-Werbeumsätzen des Hörfunks 92,2 96,5 95,2 94,6 95,0 k.A. Tageszeitungen Vollredaktionen (Publizistische Einheiten) Publikumszeitschriften Anteil der 4 größten Verlagsgruppen an der Auflage der Publikumszeitschriften Rundfunk * Keine Angaben zu 2000 verfügbar, stattdessen hier 1999. ** Keine Angaben zu 2002 verfügbar, stattdessen hier 2001. Quellen: BDZV 2007, Röper 2000, Röper 2006, Schütz 2007, Vogel 2006, KEK, ZAW. Angaben zu 2007 lagen bis zum Redaktionsschluss nur lückenhaft vor. 3.3.1.1.3 Hohe Marktzutrittshürden für neue Wettbewerber Bedingt durch die starke Marktstellung und den starken Wettbewerb bereits etablierter Akteure, etwa im Zeitschriftenmarkt, aber auch aufgrund hoher Einstiegskosten, etwa im Rundfunk, bestehen im Hinblick auf den Marktzutritt neuer Wettbewerber in vielen Bereichen große Hürden. Als Beispiel lässt sich der Versuch der Etablierung kostenloser Tageszeitungen in den 90er-Jahren nennen, der mit juristischen und wirtschaftlichen Mitteln der bestehenden Akteure zunächst unterbunden werden sollte, bis das BGH in letzter Instanz 2003 zu Gunsten der Gratiszeitungen entschied (s. Kap. 1.4.3.2). Durch das Fehlen neuer Wettbewerber kann der bestehende Konzentrationsgrad und das immanente Risiko für die Meinungsvielfalt so lange nicht abgebaut werden, wie der Marktzutritt potenziellen neuen Marktteilnehmern erheblich erschwert wird. Insofern muss Vielfaltsicherung auch diesen Umstand berücksichtigen. 516 286 Vgl. zum Ganzen die Jahresberichte und Medienkonzentrationsberichte der Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK), abrufbar über http://www.kek-online.de/cgibin/esc/publikationen.html. 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten 3.3.1.1.4 Veränderte Eigentums- und Produktionsstrukturen Eher instrumentelle Schwierigkeiten für die Weiterentwicklung der Konzepte zur Sicherung von Meinungsvielfalt bzw. Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht bestehen in veränderten Eigentums- und Produktionsstrukturen. So gibt es im Medienbereich sowohl bei Printmedien als auch bei elektronischen Angeboten nur wenige Anhaltspunkte für die Unterstellung, dass ein Eigentümer das Medium gezielt als Instrument der Meinungsbildung nutzt und insofern versucht, Meinungsmacht auszuüben. Der Trend etwa zum Angebot von Rundfunk durch Kapitalgesellschaften und die zunehmenden Beteiligungen von Finanzinvestoren im Medienbereich rückt stärker die ambitionierten Renditeerwartungen in sehr kurzfristigen Zeithorizonten in den Fokus, weniger konkrete inhaltliche oder meinungsbezogene Zielsetzungen. Das heißt nicht, dass eine besondere Marktmacht nicht mehr mit einer potenziellen Meinungsmacht verbunden wäre, sondern vor allem, dass sich die potenziellen meinungsbezogenen Interessen aufgrund der nicht personalisierbaren Eigentümerstrukturen schlechter beobachten und erkennen lassen. Weiter weisen die Entwicklungen der letzten Jahre darauf hin, dass sich aufgrund veränderter Produktionsstrukturen zunehmend die Frage stellt, ob die bisher meist als Anknüpfungspunkt für vielfaltsichernde Maßnahmen im Vordergrund stehenden Anbieter bzw. Veranstalter noch als solche geeignet sind. Denn im Zuge der Herausbildung integrierter multimedialer Verbünde können auch ganz neue Akteure erheblichen Einfluss auf die Meinungsbildung gewinnen. Derzeitige Konzepte der Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht und der positiven Vielfaltsicherung haben sich darauf einzustellen. Die mit dem Stichwort „Web 2.0“ verbundenen Veränderungen im Online-Bereich beinhalten zwar eine Senkung der Zugangsbarrieren, um an öffentlicher (im Sinne von: zugänglicher) Kommunikation teilzunehmen und eigene Inhalte zu veröffentlichen. Allerdings ist bislang der Nutzerkreis entsprechender Anwendungen noch relativ klein; zudem handelt es sich bei den nutzergenerierten Inhalten vielfach um Angebote von vorrangig persönlicher Relevanz, die nur kleine Publika erreichen und weder vom Anspruch noch von den Produktionspraktiken in direkter Konkurrenz zu den etablierten Medien stehen (vgl. Kap. 1.5.1.1). 3.3.1.1.5 Neue Akteure mit vermittelndem Einfluss Im Prinzip ist auch bei traditionellen Medien das Phänomen bekannt, dass nicht nur derjenige, der selbst veröffentlicht, sondern auch andere, vermittelnde Akteure in der Produktionskette relevanten Einfluss auf die Angebotsvielfalt haben, etwa der Grossist. Neu hinzutretende Intermediäre wie die Suchmaschinen im Internet oder die EPG-Anbieter im digitalen Fernsehen, die nicht genuin aus dem Medienbereich stammen, können ebenfalls Einfluss auf die von ihnen vermittelte Kommunikation nehmen. Hier sehen sich die bisherigen Ansätze zur Sicherung von Vielfalt neuen Herausforderungen gegenüber. Zudem sind manche manuellen oder automatischen Auswahlverfahren, etwa bei der Zusammenstellung von Trefferlisten bei Suchmaschinen, kaum transparent, und man kann nicht endgültig bestimmen, in welchem Ausmaß Dritte (z. B. durch Entgelte) auf sie Einfluss nehmen. 3.3.1.1.6 Internationalisierung und Regionalisierung Probleme für die Sicherung der Meinungsvielfalt in ihrer positiven wie negativen Dimension ergeben sich auch durch die Internationalisierung. Die – sich langsam vollziehende – Erweiterung der Kommunikationsräume über nationale Grenzen hinaus macht es erforderlich, dass eine Vielfaltsicherung auf höherer als auf nationaler Ebene erfolgt. Dies wirkt sich zum einen dahingehend aus, dass „Global Player“ Einfluss auf die Meinungsbildung in der Bundesrepublik gewinnen, die zumindest mit dem sozialen Kontext der Regulierung in Deutschland nicht vertraut sind. Zum anderen drängen national verwurzelte, aber international tätige Medienunternehmen darauf, in der Bundesrepublik Wirtschaftsbedingungen vorzufinden, die es ihnen ermöglichen, auch außerhalb des Landes aktiv zu sein. 287 3. Trends und Perspektiven Im Gegensatz zu der Globalisierung erweist sich unabhängig von der nationalen Herkunft der Medienanbieter die Sicherung regionaler Vielfalt als relevantes Thema (s. Kap. 1.1.1.1). Im Bereich der Presse sinkt die Zahl unabhängiger Lokalzeitungen seit langem kontinuierlich. Für das Fernsehen wurden der Rundfunkstaatsvertrag und landesrechtliche Vorgaben mehrfach nachreguliert, um die bundesweiten Anbieter zu motivieren, regionale Fenster im bisherigen Umfang aufrechtzuerhalten (s. Kap. 1.4.4.2.4 f.). Kritiker sehen in letzterem allerdings vornehmlich wirtschaftliche Standortinteressen als Motiv, was vor allem europarechtliche Bedenken hervorruft. Eigenständige lokale Fernsehangebote haben sich vielfach als wirtschaftlich gefährdet erwiesen (s. Kap. 1.4.2). Auch hier könnten neue Konzepte zur Sicherung von Vielfalt einen positiven Effekt haben. Vor allem dort, wo derartige Mechanismen nicht voll greifen, wie in den östlichen Bundesländern, wird über verstärkte Förderung nachgedacht. 3.3.1.1.7 Entwicklung der Angebotsvielfalt Während in der Vielfaltsdebatte die Ebene der Anbieter-Vielfalt meist im Vordergrund steht und Vielfalt entsprechend meist als Gegenteil von marktbezogener Konzentration betrachtet wird, liegen über die maßgebliche Ebene der inhaltlichen Vielfalt des für die Bevölkerung tatsächlich verfügbaren Angebots deutlich weniger systematische Informationen vor. Wie die Forschung gezeigt hat, gibt es verschiedene Mechanismen, die dazu beitragen, dass die Vielfalt der Themen und Meinungen eingeschränkt wird. Dazu gehören an einer Maximierung von Nutzerinteressen orientierte Strategien, die zur Folge haben können, dass bestimmte Angebotsformen bei allen Anbietern reduziert oder gar ganz abgeschafft werden. So hat sich in den letzten Jahren im deutschen Fernsehen der Trend gezeigt, dass publizistische Angebote über kontroverse gesellschaftliche und politische Themen weniger Sendezeit erhalten (vgl. Kap. 1.4.1.2); diese Entwicklung engt den Spielraum für vielfältige Themen und, innerhalb der Themen, vielfältige Meinungen von vornherein ein. Für andere Themenbereiche, etwa Kultur, sind die eingeräumten Sendezeiten schon seit Jahren sehr eng bemessen. Ein weiterer wichtiger Faktor zur Einschränkung der inhaltlichen Vielfalt besteht in der Verkleinerung von Redaktionen und der damit verbundenen steigenden Abhängigkeit von Agenturen und anderen Dienstleistern, die verschiedene Medien mit ihren Angeboten versorgen. 3.3.1.1.8 Fragmentierung der genutzten Medienrepertoires Angesichts der Tatsache, dass die Mediennutzer heute einer Fülle ganz unterschiedlicher Medienangebote gegenüberstehen, ist die der klassischen Vielfaltsdiskussion zugrunde liegende Prämisse, eine vielfältige Medien- und Kommunikationslandschaft sei bereits durch die Gewährleistung eines entsprechenden Angebots hinreichend gesichert, in Frage zu stellen. Während die Nutzer heute im Prinzip unermessliche Informationsmöglichkeiten haben, deuten Befunde der Nutzungsforschung darauf hin, dass das von einzelnen Nutzergruppen zusammengestellte persönliche Medienrepertoire aus einem recht engen Spektrum von Formen und Inhalten besteht, welches weit davon entfernt ist, die Vielfalt der Themen, Meinungen und lebensweltlichen Orientierungen der Gesellschaft abzudecken. Die Strategien der Anbieter zielen – zunehmend crossmedial ausgerichtet – darauf ab, ihre jeweiligen Zielgruppen möglichst punktgenau und möglichst exklusiv zu erreichen, so dass sich zwischen den Angeboten Synergieeffekte ergeben. Diese Strategien wirken sich auch auf den Umgang mit dem Internet aus: Statt die große Fülle möglicher Anbieter zur Kenntnis zu nehmen, orientieren sich viele Nutzer an einigen wenigen Angeboten – oft solchen, die sie von klassischen Medienangeboten her kennen. Gerade die Individualisierbarkeit digitaler Angebote ermöglicht es, die persönlichen Medienrepertoires immer stärker einzuengen; die allein auf die persönlichen Interessen zugeschnittene „Daily Me“ ist ein Beispiel für diese neue Erscheinung der öffentlichen Kommunikation. Die sich daraus ergebende verstärkte Fragmentierung der Publika wirft für die Vielfaltsdiskussion neue Fragen auf: Können, wenn ein vielfältiges Angebot von den meisten Nutzergruppen gemäß ihren jeweiligen 288 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten spezifischen Interessen sehr einseitig genutzt wird, die mit dem Ideal kommunikativer Vielfalt verbundenen Ansprüche an die öffentliche Kommunikation noch verwirklicht werden? Diese Frage verweist auf das in der Diskussion um den Vielfaltsbegriff häufig vorgebrachte Argument, 517 dass Vielfalt nicht als einziges Kriterium für eine funktionierende öffentliche Kommunikation betrachtet werden dürfe, sondern dass es auf der anderen Seite auch ein Mindestmaß an Integration, an Verbindungen zwischen verschiedenen Nutzergruppen und lebensweltlichen Sphären geben müsse (vgl. dazu auch Kap. 3.1.2). 3.3.1.2 Gesellschaftliche Relevanz 3.3.1.2.1 Freie individuelle und öffentliche Meinungsbildung Vielfalt ist ein zentrales Qualitätsmerkmal von Medienangeboten. Die Freiheit einer Gesellschaftsordnung setzt nach modernem Demokratieverständnis ein Mediensystem voraus, das eine Vielfalt kommunikativer Leistungen und Inhalte hervorbringt. 518 Zahlreiche Versuche, diese Zielvorstellung in eindeutige und messbare Kriterien zu überführen, haben zu einer ganzen Reihe verschiedener Vielfaltsdimensionen geführt, die zudem auf verschiedenen Ebenen festgemacht werden können. 519 Die Vielfalt der Kanäle bzw. der Angebote ist dabei nur eine und durchaus nicht hinreichende Bedingung, da auch eine Vielzahl von Kanälen nur von wenigen Quellen (z. B. einer einzigen Nachrichtenagentur) oder Anbietern gespeist werden kann. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive bezieht sich der Begriff vor allem auf die Vielfalt von Meinungen, d. h. Einschätzungen, Bewertungen oder Stellungnahmen im Hinblick auf bestimmte Gegenstände. Da auch die unterschiedliche Selektion von Themen und Tatsachenbehauptungen eine Meinungsäußerung darstellen kann, wird die themengegenständliche Vielfalt zu Recht als eine weitere relevante Vielfaltsdimension angesehen. Ein zusätzlicher Indikator für Meinungsvielfalt ist die Breite der gesellschaftlichen Akteure, die in der Berichterstattung dargestellt werden oder zu Wort kommen. Weitere verfassungsrechtlich relevante Dimensionen berühren die Vielfalt der Darstellungsformen, Genres und Sparten. Schließlich spielt die räumliche Komponente bei der Bestimmung von Vielfalt eine Rolle, so dass auch der chancengleiche Zugang regionaler, lokaler oder sublokaler Stimmen zur öffentlichen Kommunikation verfassungsrechtliche Relevanz besitzt. In der Bundesrepublik legt das Bundesverfassungsgericht die Medienfreiheiten in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG bekanntermaßen so aus, dass ein objektiver, über-individueller Gehalt deutlich wird. Zwar haben auch die Medienfreiheiten die Funktion, die Medienbetätigung unter besonderen Schutz vor staatlichen Eingriffen zu stellen. Zugleich trifft den Staat – zumindest beim Rundfunk – aber auch eine Gewährleistungsverantwortung im Hinblick auf die Medienordnung. Soweit nicht von selbst strukturell gesichert ist, dass die Kommunikationsprozesse eine freie und individuelle und öffentliche Meinungsbildung gewährleisten, hat der Staat dies durch eine positive Ordnung hinreichend sicherzustellen. Inwieweit dieses Konzept ausschließlich auf Rundfunk anwendbar ist, und – wenn es darauf ankommt – wie weit der verfassungsrechtliche Rundfunkbegriff reicht, ist in der Wissenschaft und der Rechtspolitik hoch umstritten (s. Kap. 1.4.4.1.4). Unstreitig aber ist, dass Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG auch angesichts des sozialen und technischen Wandels eine freie und offene Kommunikation zu gewährleisten trachtet (vgl. Kap. 3.4). Diese Sichtweise, die streng genommen voraussetzt, dass der Maßstab – die Vielfalt der Meinungen in der Gesellschaft – bestimmt werden kann, ist schon frühzeitig und von unterschiedlichen theoretischen und politischen Positionen aus kritisiert worden. Als Modifikation wird eine Sichtweise kommunikativer Chancengerechtigkeit angeboten, die aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG die Verpflichtung herausliest, die Kommuni517 Vgl. Rössler 2007, S. 470. 518 Vgl. z. B. McQuail 1992. 519 Vgl. dazu Rössler 2007. 289 3. Trends und Perspektiven kationsordnung so zu gestalten, dass die Chancen von Kommunikationsinhalten, öffentliche Wirkung zu erzielen, möglichst nur von kommunikativen Bedingungen, nicht etwa von wirtschaftlicher Macht oder technischen Einflussmöglichkeiten abhängen 520 . Nimmt man diese Perspektive ein, gewinnen auch Einflüsse an gesellschaftlicher Bedeutung, die unmittelbar nichts mit der Vielfalt von Angeboten zu tun haben, sondern die Produktions- und Distributionsebene betreffen. Das Ziel der Vielfaltsicherung ist der Gestaltung der Kommunikations- und Medienordnung verfassungsrechtlich vorgegeben und im Kern politisch unumstritten. Unterschiedliche Auffassungen gibt es jedoch im Hinblick auf die Reichweite des gesetzlichen Auftrags zur Gewährleistung einer vielfältigen Medienlandschaft und seine Verwirklichung. Dies wird besonders relevant, wenn die Entwicklung von Medienangeboten und ihre Nutzung medienpolitisch zu bewerten sind. 3.3.1.2.2 Vielfalt als Qualitätsmerkmal und als Risikovorsorge Nach dem oben Gesagten kann man zwei unterschiedliche Funktionen der Vielfaltsicherungen differenzieren. Zum einen kann Vielfalt als ein – verfassungsrechtlich gewünschtes – Qualitätsmerkmal öffentlicher Kommunikation angesehen werden. Das System öffentlicher Kommunikation sollte also so ausgestaltet sein, dass es sich an den oben dargestellten Vielfaltsdimensionen (Meinungen, Themen etc.) orientiert. Geht man davon aus, dass professionelle journalistische Selektionskriterien und Produktionsroutinen dies weitgehend sicherstellen, so kann ein gesetzgeberisches Konzept sein, gerade die Freiheit journalistischer Arbeit nach eigenen Regeln gesetzlich abzustützen. Defizite können durch alternative Instrumente – etwa öffentlich-rechtlichen Rundfunk, der zusätzlich über plural besetzte Gremien auf Vielfalt eingestellt wird – kompensiert werden. Von dieser Dimension zu unterscheiden ist der Aspekt der „Risikovorsorge“. Verfassungsrecht und Medienpolitik unterstellen, dass mit Massenmedien ein Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung möglich ist, der missbraucht werden kann. Auch wenn beispielsweise ein Verleger kein Interesse daran hat, regelmäßig auf die redaktionelle Produktion Einfluss zu nehmen, kann er doch bei bestimmten für ihn wichtigen politischen Entscheidungen Interesse an einem Eingriff gewinnen. Dass die Ökonomisierung des Medienbereichs dem Bestand von „Tendenzmedien“ eher entgegenwirkt, entbindet daher nicht von der Pflicht zur Risikovorsorge. Da Konzentrationsprozesse schwer rückholbar sind, hat das Bundesverfassungsgericht – allerdings in einer Entscheidung aus der Zeit der Einführung privaten Rundfunks – die präventive Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht als verfassungsrechtliche Pflichtaufgabe der Landesgesetzgeber bei der Rundfunkregulierung bezeichnet 521 . 3.3.1.2.3 Derzeitiges Konzept der Vielfaltsicherung Regelungen zur Sicherung der Vielfalt finden sich bislang ausschließlich im Rundfunkrecht, Telemedien werden nur mittelbar in diese Regulierung einbezogen. § 25 Abs. 1 RStV (und einzelne landesrechtliche Regelungen) formulieren eine – schwache – positive Vielfaltsbindung des privaten Rundfunks. Es wird zunehmend darauf vertraut, dass sich durch Wettbewerb auch Vielfalt in den unterschiedlichen Dimensionen einstellt. Ein Garant für eine vielfältige Rundfunkversorgung sind die öffentlich-rechtlichen Anstalten, die vom Programmauftrag und der Konstruktion mit binnenpluralen Gremien her weitergehend als private Anbieter auf Vielfalt verpflichtet sind. Dabei ist ein breites Verständnis von Vielfalt (nicht bezogen auf Meinungen in einem engen Verständnis des persönlichen Dafür-Haltens) in ihren unterschiedlichen Dimensionen angesprochen, nämlich: 1. Meinungsvielfalt im engeren Sinne (inhaltliche, meinungsbezogene Vielfalt); 520 Vgl. dazu Hoffmann-Riem 2000, S. 100 ff. 521 BVerfGE 95, 163 (172). 290 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten 2. 3. 4. 5. 6. Themenvielfalt (gegenständliche Vielfalt); Vielfalt in regionaler Hinsicht (räumliche Vielfalt); personen-, gruppen- und institutionenbezogene Vielfalt; Genre- und Spartenvielfalt; Rezeptionsvielfalt. Daneben finden sich für bundesweites Fernsehen in den §§ 26 ff. RStV elaborierte Vorgaben zur Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht. Sie wird gemäß § 26 RStV bei einem Zuschauermarktanteil von 30 Prozent vermutet. Wenn ein Unternehmen mit den ihm zurechenbaren Programmen (Zurechnung über § 28 RStV) diesen Schwellenwert überschreitet, könnten zusätzliche Programme nicht lizenziert werden; darüber hinaus greifen vielfaltsichernde Maßnahmen wie etwa die Einführung eines Programmbeirates. Für die Vielfaltsicherung nach dem RStV ist die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK) verantwortlich, die als Organ der jeweils zuständigen Landesmedienanstalt tätig wird. Die Landesgesetzgeber haben erkannt, dass auch über andere Massenmedien Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung erfolgen kann. § 26 Abs. 2 RStV sieht daher vor, dass vorherrschende Meinungsmacht auch dann angenommen werden kann, wenn die in dem Unternehmen zurechenbaren bundesweiten Fernsehprogramme einen Marktanteil von noch nicht 30, aber über 25 Prozent im Jahresdurchschnitt erreichen sowie zusätzlich entweder auf medienrelevanten verwandten Märkten ein Einfluss anzunehmen ist, der zusammen mit den Fernsehaktivitäten 30 Prozent Zuschauermarktanteil im bundesweiten Fernsehen entspricht, oder aber eine marktbeherrschende Stellung auf einem medienrelevanten verwandten Markt gegeben ist. Als derartige Märkte kommen Hörfunk und Presse in Betracht, aber auch Online-Angebote, also – rechtlich gesprochen – das Angebot von Telemediendiensten. Darüber hinaus verfolgen die Länder für Hörfunk und nicht-bundesweiten Rundfunk unterschiedliche Konzepte der Vielfaltsicherung, die sich z. T. am Zuschauer- bzw. Zuhörermarktanteil orientieren, aber auch solche, die am Konzept einer Begrenzung der Programmzahl für ein Unternehmen festhalten. Zum Teil findet sich in den Landesmediengesetzen auch eine Cross-Ownership-Regelung, die zusätzliche Beschränkungen vorsieht, wenn etwa dem Veranstalter eine marktstarke Stellung im Bereich der Presse zukommt (vgl. etwa § 26 Abs. 4 MStV HSH). Überlegungen zur Vielfalt angesichts des Medienwandels haben auch Relevanz für die Regulierung der Übertragungswege. Der wichtigste Übertragungsweg für Rundfunk in Deutschland ist das Breitbandkabel (s. Kap. 2.2.1). Vielfaltsicherung setzt dort, wo deutsches Recht regulierend ansetzen kann – also bei Terrestrik und Kabel – traditionell auch an der Verbreitung an. Mit der Privatisierung der Breitbandkabel und der Liberalisierung der Telekommunikation hat das Medienrecht die Bindungen der Kabelbetreiber gelockert. Bei digitaler Verbreitung (s. Kap. 1.4.4.2.15) gilt ein Must-Carry-Regime, das die Verbreitung bestimmter Pflichtprogramme vorsieht, im Übrigen aber Spielräume belässt. Auch im Bereich analoger Kabelanlagen weisen die Novellierungen von Landesmediengesetzen in Richtung größerer Autonomie der Kabelbetreiber 522 . Da alle telekommunikativ verbreiteten Kommunikationsangebote die Verfügbarkeit von Übertragungswegen voraussetzen, sind Regelungen für Letztere kommunikations- und medienpolitisch relevant. Dass die Regulierung der Telekommunikation in Bundeszuständigkeit erfolgt, die vielfaltsbezogene Regulierung aber den Ländern obliegt, ist Kooperation und Koordination nötig. Im Berichtszeitraum beanspruchte zunehmend die europäische Ebene der Telekommunikationsregulierung Aufmerksamkeit. So stellte die Kommission die Rechtmäßigkeit der Kabelbelegungsregeln in Zweifel und schlägt im Rahmen der Novellierung des EURechtsrahmens für elektronische Kommunikationsnetze und -dienste vor, auch den Bereich der Frequenzen grundsätzlich in die europäische Regulierung einzubeziehen. 522 Vgl. z. B. § 33 Landesmediengesetz Rheinland-Pfalz, GVBl. Rh.-Pf. 2005, S. 23 ff. 291 3. Trends und Perspektiven 3.3.1.2.4 Rolle des Kartellrechts Dass der Bund im Bereich der Vielfaltsicherung keine Gesetzgebungskompetenz besitzt, bedeutet nicht, dass Bundesgesetzgebung hier keinen Einfluss hätte. Vielmehr hat die Tatsache, dass das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) in modifizierter Form auch auf Rundfunk und Presse Anwendung findet, vielfaltsichernde Effekte gehabt. Nationales und europäisches Kartellrecht – Fusionskontrolle, Kontrolle des Missbrauchs marktbeherrschender Stellungen sowie Kartellverbot – haben erheblichen Einfluss auf die Sicherung kommunikativer Zugangschancen ausgeübt, etwa im Bereich der Breitbandkabelregulierung. Allerdings orientiert es sich an wirtschaftlicher, nicht publizistischer Macht und erfasst – im Falle der Fusionskontrolle – internes Unternehmenswachstum (ein und dasselbe Unternehmen akkumuliert durch dasselbe oder neue Angebote ohne Zusammenschluss mit anderen mehr Zuschauermarktanteile) strukturell nicht. Zudem findet keine prozessbegleitende Regulierung, sondern nur punktuelle Intervention statt. Das Bundesverfassungsgericht geht daher für den Rundfunk davon aus, dass die kartellrechtliche Sicherung allein nicht ausreicht 523 . 3.3.1.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte 3.3.1.3.1 Technische Voraussetzung für kommunikations- und medienpolitische Gestaltung Telekommunikative Ressourcen bleiben ein knappes Gut, bei Frequenzen, die sich für mobile Angebote eignen, konkurrieren die Dienste Telefonie, Internetzugang, spezielle Telemedien, auch potenziell e-paper und Rundfunk, um die Kapazitäten. Die Koordination in diesem Bereich ist wegen der unterschiedlichen Zuständigkeiten voraussetzungsvoll. Wie die Politik der EG-Kommission zeigt, sind mit unterschiedlichen Zuständigkeiten auch unterschiedliche Politiken verbunden, etwa was die Definition der Bereiches von Diensten angeht, die medienpolitisch zu privilegieren sind. Dass unterschiedliche Inhalte über alle Verbreitungswege zum Nutzer gelangen können, erschwert die Trennung von Kommunikations- und Medienpolitik: Terrestrische Kapazitäten, die beispielsweise der Internetversorgung in der Fläche gewidmet werden, gehen einer exklusiven Nutzung für den Rundfunk und den damit verbundenen medienpolitischen Gestaltungsmöglichkeiten der Länder verloren – über sie kann aber dennoch Rundfunk verbreitet werden. 3.3.1.3.2 Positive Vielfaltsicherung und Zukunft des dualen Systems Das von den Ländern geschaffene duale Rundfunksystem hat das Ziel, in der publizistischen Konkurrenz privater und öffentlich-rechtlicher Angebote Vielfalt zu optimieren. Der Kompromiss Deutschlands mit der EUKommission im Jahr 2007 und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Festsetzung der Rundfunkgebühr im selben Jahr markieren den Rahmen, in dem Regeln zur Konkretisierung des Auftrages des öffentlich-rechtlichen Rundfunks für zukünftige Angebote zu erarbeiten sind. Auch auf der Seite privaten Rundfunks hat sich eine Diskussion über Vielfaltsziele entwickelt; sie macht zum Gegenstand, inwieweit die Verteilung von „Lasten“, etwa in Form von Vielfaltsbindungen, und „Privilegien“, beispielsweise bei der Vergabe von Frequenzen, derzeit ausgewogen ist. Im Hinblick auf den Vielfaltsbeitrag beider Säulen für sich, zueinander und zu anderen Angeboten etwa der Presse oder im Online-Bereich stehen daher auf Seiten der Länder sehr grundsätzliche Überlegungen und Neujustierungen an. Dazu existiert ein eigener Diskussionsstrang, der hier nicht nachgezeichnet werden kann. 523 292 BVerfGE 73, 160, 172 ff. 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten 3.3.1.3.3 Rundfunkzentrierung der Regulierung und multimediale Meinungsmacht Das gegenwärtige Konzept des Schutzes gegen vorherrschende Meinungsmacht geht davon aus, dass Rundfunk besondere Bedeutung für die öffentliche Kommunikation besitzt und daher auch das Risiko, durch die Beherrschung des Rundfunks vorherrschenden Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung zu gewinnen, besonders groß ist. Dementsprechend werden in der Rundfunkregulierung andere rundfunkverwandte Märkte lediglich dann in die Regulierung einbezogen, wenn zwar im Rundfunk allein noch keine vorherrschende Meinungsmacht vorliegt, aber bereits ein hoher Zuschauermarktanteil erreicht ist. Bezugspunkt der Vielfaltsicherung ist insofern vor allem das bundesweite Fernsehen. Auch wenn kommunikationswissenschaftliche Befunde keinen sicheren Schluss darauf zulassen, wie meinungsmächtig ein bestimmtes Medium ist, ja schon die Kategorie der „Meinungsmacht“ sich schwer empirisch fassen lässt, gibt es durchaus gute Argumente, auch weiterhin von einem besonderen Einfluss des Leitmediums Fernsehen auszugehen (s. Kap. 3.1). Dies bedeutet auf der anderen Seite nicht, dass die durch die Presse vermittelte Meinungsmacht zu vernachlässigen wäre – im Hinblick auf bestimmte Einstellungsmerkmale mag sie sogar langfristig größer sein – und auch nicht, dass der Medienwandel diese Strukturen unbeeinflusst lässt. Vielmehr zeigen die Veränderungen im Nutzungsverhalten (s. Kap. 3.1), dass vor allem interaktive Medien eine zunehmende Bedeutung für die öffentliche Meinungsbildung erlangen. Vor diesem Hintergrund besteht zumindest das Risiko, dass Meinungsmacht, die allein über andere Medienformen vermittelt wird, oder nur zum geringen Anteil auf der Beherrschung bundesweiter Fernsehprogramme beruht, durch die derzeitige Regulierung nicht erfasst wird. Geht man davon aus, dass sich die Verpflichtung zur Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht nicht nur auf traditionellen Rundfunk bezieht, wäre dies ein verfassungswidriger Zustand. Es sind unterschiedliche Reaktionen darauf denkbar, deren eines Extrem der Übergang zu einem „Gesamtmarktmodell“ wäre, das andere eine inkrementelle Erweiterung der bestehenden Kontrolle vorherrschender Meinungsmacht. 3.3.1.3.3.1 Gesamtmarktmodell Überlegungen zu einem Gesamtmarktmodell gehen davon aus, dass alle Medien, die an die Allgemeinheit adressiert sind, Einfluss auf die öffentliche Meinungsbildung haben können und insofern in ein Konzept der Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht einzubeziehen sind. Grundgesamtheit könnte dementsprechend die Aufmerksamkeit sein, die insgesamt auf Medien verteilt wird. Es wäre denkbar, Indikatoren dafür zu entwickeln, welche Wirkungsintensität unterschiedliche Medien haben, und dies in die Gewichtung eines Medienaufmerksamkeitsmarktmodells einzubeziehen 524 . Überlegungen zu einem Gesamtmarktmodell wurden in Großbritannien verfolgt, später aber wieder aufgegeben; in Italien wird – allerdings orientiert am Umsatz, nicht am Aufmerksamkeitsmarkt – ein Gesamtmarktansatz verfolgt. 3.3.1.3.3.2 Modifikation des bestehenden Modells Es sind Vorschläge entwickelt worden, das für bundesweites Fernsehen bestehende Modell des Zuschauermarktanteils auf andere Medien in der Weise zu erweitern, dass sie nicht lediglich in Ergänzung zur bereits durch Fernsehen vermittelten Meinungsmacht einbezogen werden, sondern eigenständige Berücksichtigung finden 525 . Dies wäre etwa durch Absenken der Schwelle für die Einbeziehung medienrelevanter verwandter Märkte in § 26 Abs. 2 RStV möglich. 524 Für Ansätze in diese Richtung siehe Hasebrink 2003 sowie Schulz/Held 2006. 525 Vgl. Hasebrink 2003. 293 3. Trends und Perspektiven 3.3.1.3.3.3 Weitere Ansatzpunkte Dem Risiko, dass ein Unternehmer vorhandene Meinungsmacht missbraucht, kann durch eine Stärkung der Autonomie journalistischer Arbeit entgegengewirkt werden. Dies wird auch auf internationaler Ebene im Zusammenhang mit zunehmender Konzentration im Medienbereich diskutiert 526 . Eine Diskussion über die Weiterentwicklung der Vielfaltsicherung könnte auch an andere wissenschaftliche Konzepte anknüpfen, beispielsweise den Vorschlag, staatliche Gewährleistung aufleben zu lassen, wenn eine bestimmte Zahl von unabhängigen Quellen für den Nutzer in einem räumlichen und sachlichen Bereich unterschritten wird 527 . 3.3.1.3.4 Reaktion auf vermittelte Meinungsmacht Es gehört zu den Phänomenen moderner Massenkommunikation, dass der Prozess der Distribution sich ausdifferenziert und – selbstständige oder mit den Anbietern der Dienste anderer Stufen verbundene – Angebote entstehen, die nicht unmittelbar Inhalte für die Aufmerksamkeit des Publikums präsentieren, wohl aber Einfluss darauf haben, welche Inhalte zum Publikum gelangen und welche nicht, bzw. in welcher Form dies geschieht. Auch durch die Beherrschung eines derartigen Angebots kann also Meinungsmacht ausgeübt werden, ohne dass es sich bei dem entsprechenden Unternehmen oder der entsprechenden Person um Medieneigentümer im traditionellen Sinne, um „Publisher“ handelt. Regulierung, die am Veranstalter ansetzt, kann dieses Risiko nicht auffangen. Zum Teil hat der Gesetzgeber bereits auf diese Risiken reagiert; so haben die Länder im 10. Rundfunkänderungsstaatsvertrag die Regulierung auf so genannte Plattformen ausgeweitet. 3.3.1.3.4.1 Reaktion auf Navigatoren und andere Dienste digitalen Fernsehens Das derzeitige rundfunkrechtliche Regulierungskonzept bezieht Zusatzdienste digitalen Fernsehens vor allem durch § 53 RStV ein, der Conditional-Access-Systeme, aber auch Programmnavigatoren reguliert (s. Kap. 1.4.4.2.16). Anbieter dürfen vor allem Fernsehanbieter nicht durch ihr Angebot diskriminieren. Der Gesetzgeber hat sich also hier nicht für eine Einbeziehung in das bestehende Konzept der Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht entschieden, sondern eine Missbrauchskontrolle normiert. Es wird allerdings deutlich, dass gerade im Bereich der „Meta-Medien“ wie Programmnavigatoren, aber auch Programmbündelung, eine derartige Zugangsöffnung anders als bei technischen Dienstleistungen unangemessen sein kann. Sie kann etwa ökonomischen, aber auch publizistischen Wettbewerb in diesem Bereich verhindern und behandelt diese neuen mittelbaren Medien-Formen ähnlich wie inhaltliche Angebote. 3.3.1.3.4.2 Aktuelles Beispiel: Suchmaschinen Die Rundfunkzentrierung der derzeitigen Regulierung zeigt sich auch darin, dass Suchhilfen wie Navigatoren im Bereich des digitalen Fernsehens einer spezifischen Regulierung unterliegen, während andersherum die für die Erschließung des Internets existenziellen Suchmaschinen derzeit nur dem allgemeinen Wettbewerbsrecht unterfallen, was ihre Steuerungskraft angeht. Aktuelle Untersuchungen machen die zunehmende Bedeutung von diesen Gatekeepern im Online-Bereich deutlich und zeigen zugleich, dass durch die derzeitige Regulierung Diskriminierungen durch marktbeherrschende Anbieter nicht verhindert werden können528 . Das Beispiel Suchmaschinen kann ein Anlass sein, medienpolitisch zu hinterfragen, ob die bestehenden Konzepte sich noch am tatsächlichen Risiko für die Freiheit öffentlicher Kommunikation orientieren. Das Ergebnis der Überlegungen muss keineswegs in der Ausweitung gesetzlicher Regulierung bestehen. Wissenschaftlich wer526 Vgl. OECD 2003. 527 Gibbons 2004, S. 74 f. 528 Schulz/Held/Laudien 2005, S. 109. 294 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten den zur Lösung dieses Problems unterschiedliche Ansätze erwogen, die von der Etablierung alternativer Anbieterstrukturen über die Verstärkung von professionellen publizistischen Kriterien bis hin zur Einbeziehung derartiger Suchmaschinen in die Konstruktion zur Verhinderung vorherrschender Meinungsmacht reichen 529 . 3.3.1.3.5 Regulierung von Vertriebsnetzen 3.3.1.3.5.1 Vielfalt im Kabel Im Hinblick auf die Regulierung der Übertragungswege zur Vielfaltsicherung stellt sich die Frage, welche Perspektive sich aus dem Trend, Kabelbetreibern größere Handlungsspielräume zu gewähren, ergibt (s. Kap. 1.4.4.2.9). Die EU-Universaldienstrichtlinie 530 beschränkt hier allerdings die Optionen der Mitgliedstaaten. Zudem ist der Wettbewerb der Übertragungsplattformen zu beachten, zu denen möglicherweise weitere hinzutreten, die Rundfunkübertragung ermöglichen, was überhaupt die Anwendung der Vorschriften (etwa: Was ist eine Kabelanlage?) erschwert. Zudem ist zu beachten, dass auch andere als Rundfunkdienste zur Vielfaltsicherung beitragen können und ein Ausbau der Kabelanlagen von einer effizienten Nutzung abhängt. Denkbar wäre eine weitere Deregulierung mit dem Ziel einer marktmäßigen Zuordnung von Ressourcen für Veranstalter und Anbieter. Inwieweit dies mit dem – auch verfassungsrechtlich vorgegebenen – Ziel der Vielfaltsicherung vereinbar wäre und welche alternativen Optionen es gibt, könnte Gegenstand medienpolitischer Diskussion sein. 3.3.1.3.5.2 Problematik des Presse-Grosso Ein Beispiel aus dem Bereich des Vertriebs traditioneller Medien ist das Presse-Grosso (zur Beschreibung s. Kap. 1.1.2.3). Der gebietsmonopolistische Pressevertrieb ist das Ergebnis einer historischen Entwicklung, nicht regulatorischer Gestaltung. Das Grosso fällt unter den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG, gerade wegen seiner mittelbaren Bedeutung für die Presse 531 . Die Leistungsfähigkeit des Systems sieht sich angesichts der Veränderungen der Medienlandschaft allerdings Herausforderungen gegenüber (s. oben Kap. 1.1.4.). 3.3.1.3.6 Ebenen der Regulierung Zu den inhaltlichen Herausforderungen, denen sich eine zeitgemäße Vielfaltsicherung gegenübersieht, tritt die Frage nach der Effektivität gesetzlicher Regelungen auf verschiedenen Ebenen, seien dies vielfaltsichernde Maßnahmen auf landes-, bundes- oder europaweiter Ebene. In Bezug auf eine nationale Gewährleistung von Vielfalt können Landes- und Bundesgesetze Überlappungen aufzeigen – etwa im Bereich Medienkonzentrationsrecht und Kartellrecht –, die Vorschriften sind hier noch nicht passgenau aufeinander abgestimmt (s. Kap. 3.4). Hinzu tritt der Umstand, dass nationale Vielfaltskontrolle sich einer zunehmenden Internationalisierung im Medienbereich gegenübersieht, die grenzüberschreitende Nutzung aber immer noch gering bleibt. Hier stellt sich auf der einen Seite die Frage, ob eine übernationale Vielfaltsicherung sinnvoll und kompetenziell zulässig ist, andersherum bedarf nationale Vielfaltsicherung allerdings auch europarechtlicher Spielräume für die (Weiter-)Entwicklung kommunikationsraumadäquater Konzepte. 529 Schulz/Held/Laudien 2005, S. 114 f. 530 Richtlinie 2002/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 07.03.2002 über den Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen und -diensten (Universaldienstrichtlinie), ABl. EG Nr. L 105, S. 51 ff. 531 Vgl. BVerfGE 77, 346. 295 3. Trends und Perspektiven 3.3.1.3.7 Anknüpfungspunkte für nicht-anbieterbezogene vielfaltsichernde Maßnahmen Aufgrund der bisherigen stark an den Anbietern orientierten Ansatzpunkte für medienpolitische Maßnahmen zur Förderung von Vielfalt gibt es im Hinblick auf die oben skizzierten Vielfaltsgefährdungen, die sich auf der Ebene der Angebote und der Nutzung ergeben, bisher kaum eingespielte Routinen und Zuständigkeiten. Daher ist hier auch am ehesten ein Bündel von Maßnahmen Erfolg versprechend, die sich wechselseitig im Hinblick auf ihre vielfaltsfördernde Wirkung stärken können. Diese Maßnahmen können bei der Journalistenausbildung ansetzen, im Rahmen derer Vielfalt nicht nur als abstrakte Norm, sondern auch als praktisch umsetzbares Vorbild und Ziel zu vermitteln ist. Einrichtungen, die im weitesten Sinne mit Bildung befasst sind, aber auch in der Öffentlichkeit stehende Akteure aus allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens sollten das Interesse und die Neugier auf Unterschiedliches, Neues, Fremdes stärken, um so die Nutzer anzuregen, das verfügbare Angebot auch vielfältig zu nutzen. Die entsprechende Nachfrage für Vielfalt im Angebot kann dann wiederum auch die Anbieter motivieren, die Vielfalt ihrer Angebote zu erhöhen. 3.3.2 Kulturelle Selbstverständigung Unabhängig von im Einzelnen divergierenden Konzepten von „Kultur“ besteht wissenschaftlich Einigkeit darüber, dass Medien zur kulturellen Selbstverständigung einer Gesellschaft wesentlich beitragen. Gerade wenn auf der einen Seite europäische Integration und Internationalisierung voranschreiten, stellt sich auf der anderen die Frage nach der nationalen, aber auch regionalen oder lokalen Identität und dem Beitrag, den unterschiedliche Gesellschaftsbereiche dazu leisten. 3.3.2.1 Erkenntnisse aus den deskriptiven Teilen 3.3.2.1.1 Nutzung inländischer und ausländischer Angebote Die Rolle, die die Medien für die kulturelle Selbstverständigung spielen können, ergibt sich aus den verfügbaren Angeboten und dem Gebrauch, den die Nutzer von ihnen machen. Eine saubere Trennung zwischen diesen beiden Perspektiven ist unmöglich, denn zum einen orientieren sich die Anbieter an den beobachtbaren Präferenzen der Nutzer, zum anderen strukturieren sie ihre Angebote nach oft international ausgerichteten Verwertungsstrategien, mit denen sie die Präferenzen der Nutzer maßgeblich mitformen. Zunächst lässt sich für alle Medien beobachten, dass sich die Nutzer trotz der Verfügbarkeit zahlreicher ausländischer und fremdsprachiger Medien weiterhin überwiegend auf inländische, bevorzugt sogar auf regionale und lokale Angebote konzentrieren. Dies gilt selbst für das globale Internet, das von den Nutzern zu großen Teilen für regionale Informationen und Serviceangebote benutzt wird. Eine bedingte Ausnahme stellen Bereiche der Musik und des Kinofilms dar, in dem vor allem internationale Stars und Hits bzw. Blockbuster das Nutzungsverhalten dominieren und inländische Angebote es recht schwer haben, große Publika zu erreichen. Abgesehen davon ist aber die Mediennutzung weitgehend auf inländische, zumindest auf deutschsprachige Medien fokussiert. Medien spielen also nach wie vor eine große Rolle bei der Herausbildung und Sicherung lokaler, regionaler und nationaler Identitäten. Beobachtet man die Angebotsentwicklung, so zeigt sich der Musikmarkt in Deutschland besonders internationalisiert. Beim Tonträgerverkauf erreichen die fünf international agierenden Majors die hohen Marktanteile, die in etwa ihrem Anteil am Weltmarkt entsprechen. Die internationale Ausrichtung zeigt sich auch in einem hohen Anteil ausländischer und vor allem Englisch singender Künstler im Rock-Pop-Bereich, und zwar sowohl bei den verkauften Tonträgern als auch bei den Anteilen deutschsprachiger Interpreten in Hörfunkprogrammen. Einer Auswertung von Nielsen Music Control im Auftrag der deutschen Phonoverbände zufolge 296 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten wurden 2004 im öffentlich-rechtlichen Hörfunk 9,96 Prozent, im privaten Rundfunk 9,59 Prozent deutschsprachige Titel gespielt 532 . Im Bereich des Films lässt sich eine konstant hohe Importquote bei Kinofilmen beobachten, und zwar insbesondere bei den reichweitenstarken Blockbustern. Seit Jahren stammen mit Abstand die meisten in Deutschland verliehenen Filme aus den USA, sie erzielen bei der Kinoverwertung weitaus mehr Umsatz als deutsche Produktionen, ihr Umsatzanteil ist allerdings in den letzten Jahren leicht rückläufig. Daneben lässt sich im Berichtszeitraum beobachten, dass einzelne nationale Produktionen an den Kinokassen verhältnismäßig erfolgreich waren und zum Teil auch den Filmexport beleben konnten, beginnend mit Filmkomödien, aber mittlerweile nicht mehr auf dieses Genre beschränkt. Die Entwicklung im Sektor interaktive Spiele zeigt Parallelen mit dem Film. Es sind zwar durchaus Standortvorteile für Entwickler in Deutschland vorhanden, das Publishing erfolgt jedoch meist in anderen Ländern. Damit ist zumindest nicht durch die kulturelle Verwurzelung der Verleger sichergestellt, dass eine Ausrichtung an hiesigen tradierten Gestaltungs- und Erzähltraditionen erfolgt. Man kann die vorliegenden Zahlen so interpretieren, dass Deutschland hier eher die Rolle eines Fertigungsstandortes hat. Kulturelle Hintergründe kommen daher nur über die Nachfragemacht deutscher Konsumenten in die Produktionslogik, selten durch den kulturellen Hintergrund der Produzenten selbst. Für das Fernsehen zeigt sich bei bestimmten Formaten ein konstantes Überwiegen ausländischer, vor allem US-amerikanischer Produktionen, insbesondere im seriellen Fictionbereich. Dies hat überwiegend ökonomische Gründe, da die Senderechte für amerikanische Produktionen unter den Kosten für inländische Neuproduktionen liegen. In den Publikumsinteressen liegt dieser Befund nicht begründet, denn die Daten der Fernsehzuschauerforschung zeigen, dass die Zuschauerinnen und Zuschauer im Zweifel inländische Produktionen bevorzugen. Aus diesem Grunde bedurfte es auch keiner regulativen Vorgaben, um die europarechtlich vorgeschriebene Quote europäischer Produktionen bei den Vollprogrammen einzuhalten. Bei den viel genutzten Angeboten von Tageszeitungen und Zeitschriften sind fremdsprachige und von ausländischen Verlagen angebotene Produkte kaum von Bedeutung. Die Lage bei den Printmedien weist auf die besondere Bedeutung der Sprachbarriere hin: Die normale Mediennutzung der Deutschen – mit der großen Ausnahme der Musik – entfällt nach wie vor fast vollständig auf deutschsprachige Inhalte. Neben dem maßgeblichen Block der auf inländische bzw. aus der eigenen Kultur stammenden Angebote entfallenden Nutzung werden allerdings zur Erfüllung ganz spezifischer Interessen, sei dies im beruflichen Bereich, sei dies im Bereich der privaten Hobbys, zunehmend auch die global verfügbaren Angebote genutzt. In diesen Feldern bilden sich bereits Ansätze für europäische oder auch globale Teilöffentlichkeiten, in denen die Nationalität und die kulturelle Herkunft in den Hintergrund rückt oder auch konstruktiv in den Austausch eingebracht wird. In diesem Zusammenhang spielt insbesondere das Internet eine entscheidende Rolle. 3.3.2.1.2 Interkulturelle und transkulturelle Kommunikation Die im vorangegangenen Abschnitt eingenommene Perspektive unterstellt, das Produktionsland eines Medienangebots sei relevant für die kulturelle Selbstverständigung. Die breite Diskussion um Konzepte wie multikulturelle Gesellschaft oder Leitkultur führt vor Augen, dass diese Prämisse zu einfach ist, um dem raschen gesellschaftlichen und kulturellen Wandel, der Vielzahl von Migranten aus ganz unterschiedlichen Herkunftsländern, der Ausdifferenzierung der alltagskulturellen Milieus sowie den übergreifenden Globalisierungsprozessen gerecht zu werden. In der wissenschaftlichen Beobachtung der Medien gewinnen entsprechend kultur- 532 Nielsen Music Control 2004/2005, zitiert nach: Goldhammer 2005, S. 156 f. 297 3. Trends und Perspektiven vergleichende und kulturübergreifende Perspektiven auf Kommunikationsprozesse an Bedeutung. Dabei lassen sich vier Felder unterscheiden 533 : 1. Internationale Kommunikation als massenmedial vermittelte Kommunikation zwischen Staaten; 2. Entwicklungskommunikation als (massen)mediale Kommunikation, die auf kulturellen Wandel und „Entwicklung“ in der so genannten „Dritten Welt“ abzielt; 3. interkulturelle Kommunikation als (massen)medial vermittelte Kommunikation zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen; 4. transkulturelle Kommunikation als mediale Kommunikationsprozesse über kulturelle Kontexte hinweg. Für die kulturelle Selbstverständigung sind alle diese Ebenen relevant. Aus diesem umfassenden Zusammenhang können hier nur einige wenige besonders wichtige Entwicklungen aufgegriffen werden. Ein wesentlicher Aspekt dieser Thematik ist die Darstellung von anderen Kulturen in deutschen Medien sowie die Mediennutzung der in Deutschland lebenden Migranten 534 , die oft dafür kritisiert wird, dass sie durch stereotype Darstellungen überkommene Vorurteile verstärke. So wird im Rahmen journalismusethischer Diskussionen ganz konkret diskutiert, welche Konsequenzen die explizite Nennung der Herkunft einer Person, die verdächtigt wird, eine Gewalttat begangen zu haben, für die Wahrnehmung der Nutzer hat. 535 Auch die oben (siehe Kap. 3.1.1) skizzierten vielfaltsbezogenen Überlegungen sind hier relevant, insofern es um die Vielfalt der Perspektiven auf die Lebenswirklichkeit von Migranten sowie um die Vielfalt der Zusammensetzung von Redaktionen geht. Einer ersten Studie, die versucht hat, für Gruppen mit verschiedenem Migrationshintergrund auf repräsentativer Basis zu untersuchen, welche Medien diese zur Erfüllung welcher Funktionen nutzen, ergab, dass die deutliche Mehrheit der Menschen mit Migrationshintergrund auch deutsche Medien nutzt 536 . Die Zahl derjenigen, die ausschließlich heimatsprachige Medien nutzen, ist gering. Bei allen Gruppen, insbesondere bei Migranten türkischer Herkunft, spielen Angebote aus den Heimatländern eine wichtige Rolle bei der Identitäts- und Meinungsbildung. Deutlich wird bei dieser Studie auch, dass sich die verschiedenen Gruppen nach ihren jeweiligen Herkunftsländern stark unterscheiden und keinesfalls als homogene Gruppe angesehen werden können. Ein weiterer wesentlicher Aspekt liegt in der zunehmenden Globalisierung der Medienproduktion, die einfache Gleichsetzungen, etwa dass in einem bestimmten Land produzierte Angebote in besonderer Weise Anlass und Stoff für die kulturelle Selbstverständigung bieten, verbietet. In zunehmendem Maße werden Medienangebote auf internationale Märkte hin konzipiert; die an der Produktion Beteiligten stammen aus Gründen der internationalen Vermarktbarkeit aus verschiedenen kulturellen Kontexten. Außerdem zeigen klassische Untersuchungen zu besonders erfolgreichen ausländischen Formaten (z. B. „Dallas“), dass diese für bestimmte Bevölkerungsgruppen bei den ausländischen Nutzern relevantere Deutungen des Alltags und entsprechend ein ergiebigeres Rezeptionserlebnis bieten, als das bei manchen inländischen Angeboten der Fall ist 537 . Wie genau die in Medienangeboten angelegten kulturellen Bezüge in die Auswahlentscheidungen der Nutzer und in ihre Identitätsbildung und Realitätskonstruktionen einfließen, ist bisher noch nicht hinreichend untersucht. 533 Vgl. Hepp u. a. 2005, S. 9. 534 Vgl. dazu etwa Esser 2000; Schneider/Arnold 2006. 535 Vgl. Hefner/Klimmt/Daschmann 2007. 536 Vgl. Simon 2007, S. 434. 537 Siehe z. B. Morley 1992. 298 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten 3.3.2.2 Gesellschaftliche Relevanz Kulturelle Veränderungen sind kaum auf konkrete einzelne Ursachen zurückzuführen. Kulturelle Selbstverständigung bezieht sich auf einen kontinuierlichen Prozess der kollektiven Identitätsbeschreibung, der in einem Wechselspiel zwischen Abgrenzung von und Austausch mit anderen Kulturen stattfindet. Vor diesem Hintergrund bieten die aus den Branchendaten herauszulesenden Informationen verschiedene Aspekte gesellschaftlicher Relevanz. 3.3.2.2.1 Interkulturelle Kommunikation Das Bemühen vieler Länder und Kulturen geht dahin, zur Stärkung ihrer eigenen kulturellen Identität, aber auch zu deren Vermittlung nach außen, für eine möglichst breite und umfassende Verfügbarkeit kommunikativer Angebote zu sorgen, die aus dem eigenen Kulturraum stammen. Anders als etwa in Ländern mit geringeren Bevölkerungszahlen und entsprechend kleineren Medienmärkten ist in Deutschland das Angebot an inländischen Medienangeboten sehr hoch. Dieser Effekt wird gegenüber den Ländern, deren Sprache vergleichsweise wenig verbreitet und deren Medienmarkt damit sehr begrenzt ist, noch dadurch verstärkt, dass ausländische Produktionen im gesamten audiovisuellen Bereich (bei Film und Fernsehen nahezu vollständig, bei Computerspielen zu großen Teilen) auf Deutsch übersetzt bzw. synchronisiert werden. Anknüpfungspunkte für die kulturelle Selbstverständigung in diesem eingeschränkten Sinne liegen somit in Deutschland in großer Zahl vor und prägen die Mediennutzung der Deutschen. Anders stellt sich die Lage im Bereich der Musik dar, der wie im vorigen Abschnitt geschildert stark durch englischsprachige Angebote geprägt ist, was besondere Konsequenzen für die kulturelle Selbstverständigung haben kann. Unklar ist allerdings, welche kulturellen Muster tatsächlich darüber transportiert werden, da die von Jugendlichen präferierte ausländische und englischsprachige Musik in sich extrem heterogen ist. Studien zur Rolle von Musikszenen und Fankulturen zeigen, dass die von Jugendlichen präferierte Populärkultur auf das Engste mit der Identitätsbildung und damit auch der kulturellen Selbstverständigung – hier mit dem Schwerpunkt der Abgrenzung von „Erwachsenenkultur“ – verknüpft ist. Generationenspezifische wie subkulturelle Selbstverständigung kann jedoch an ganz unterschiedlichen Kristallisationspunkten ansetzen, sei es die stark kommerzialisierte globale Popindustrie mit ihren, ähnlich wie beim Hollywood-Film, umfassend und über alle Medien hinweg vermarkteten Stars, seien es im Gegensatz dazu gerade entlegene, hochspezialisierte Musikstile, die zum Teil auch eine Oppositionshaltung gegenüber der Mainstream-Kultur ausdrücken, wie die Beispiele der rechtsradikalen Rockmusik 538 oder der konträren Szene der Welt- und Ethnomusikfans zeigen. Eine bisher unzureichend diskutierte Frage ist, inwieweit englischsprachige Musik im Hinblick auf die gesellschaftlich gewünschte Verbesserung der Fremdsprachenkenntnisse einen Beitrag leisten kann; zu vermuten wäre, dass dieser Zugang gerade formal geringer gebildeten Jugendlichen zugute kommen könnte, die mit den formalisierten Wegen des Englischunterrichts Schwierigkeiten haben 539 . Eine solche Wechselwirkung könnte möglicherweise auch genutzt werden, um sprachliche Probleme von Jugendlichen mit einer anderen Muttersprache als dem Deutschen zu bekämpfen. Systematische Untersuchungen liegen nur dazu vor, dass die Nutzung von Originalversionen von Filmen (ob mit oder ohne Untertitel) die Sprachfähigkeiten verbessert 540 – eine Voraussetzung, die Dänen, Niederländern und Schweden gegenüber den Deutschen den Erwerb englischer Sprachkenntnisse erleichtert. 538 Vgl. z. B. Baacke/Farin/Lauffer 1999. 539 Für Anzeichen in diese Richtung siehe etwa Hasebrink u. a. 1997. 540 Vgl. z. B. d’Ydewalle/van den Poel 1999. 299 3. Trends und Perspektiven Im Hinblick auf die Frage des Produktionsorts und der Nationalität der Produzenten sind Schlüsse auf die kulturelle Selbstverständigung schwierig. Diagnosen einer – gar über alle Medien hinweg als gleichförmig anzusehenden – Amerikanisierung greifen zu kurz; man denke in diesem Zusammenhang nur an die mittlerweile dominante Stellung japanischer Mangas auf dem Comic-Markt sowie an die aus derselben Kultur stammenden Anime-Formate im Fernsehen (z. B. „Pokémon“ oder „Dragon Ball Z“) 541 . Die moderne Populärkultur speist sich vielmehr aus einem laufenden Austausch verschiedener kultureller Einflüsse, so dass Hybride aus ganz verschiedenen Kulturen eine typische Form international verbreiteter Medienangebote darstellen, die zum Teil gezielt mit Blick auf die Vermarktungsmöglichkeiten in verschiedenen Ländern eingesetzt wird. Die bisherigen Überlegungen gingen noch von der vereinfachenden Annahme aus, es gebe eine einheitliche Kultur eines Landes oder einer Region, die deren komplette Bevölkerung umfasse. Nicht zuletzt durch die langjährigen Diskussionen über die „multikulturelle Gesellschaft“ ist das Bewusstsein dafür gewachsen, dass kulturelle Selbstverständigung auch und gerade die aktive Auseinandersetzung mit anderen Kulturen umfasst. Ausgehend von der nach wie vor starken Konzentration auf inländische Angebote ist davon auszugehen, dass die medienbezogenen Voraussetzungen für die interkulturelle Kompetenz der Deutschen nicht besonders günstig sind: Ein Indikator dafür besteht in den im Vergleich zu kleineren europäischen Ländern wenig ausgeprägten Fremdsprachenkenntnissen 542 . Dadurch, dass die in Deutschland lebenden Migranten oft die Medien ihrer jeweiligen Herkunftskultur nutzen, ergeben sich erschwerte Voraussetzungen für die Integration zwischen deutschen und ausländischen Bevölkerungsgruppen, in manchen Studien ist angesichts der kommunikativen Abgrenzung der verschiedenen Gruppen von „Parallelgesellschaften“ die Rede543 . Normativ geprägte Bewertungen der bestehenden Situation sind allerdings kaum begründbar; vielmehr ist im Sinne des Vielfaltsgedankens (s. Kap. 3.3.1) davon auszugehen, dass es für die kulturelle Selbstverständigung fruchtbar sein dürfte, aus einer Vielzahl von Angeboten aus unterschiedlichen kulturellen Kontexten auswählen zu können, um so den eigenen Horizont zu erweitern und anschlussfähig zu werden bzw. zu bleiben für Kommunikationsangebote aus anderen Kulturen. In diesem Sinne trägt die Vielfalt der Kultur- und Medienangebote, die die verschiedenen Migrantengruppen in Deutschland produzieren – von fremdsprachigen Tageszeitungen, deutsch-türkischem Hip-Hop bis zu Online-Angeboten für russische Aussiedler –, erheblich zur kulturellen Selbstverständigung bei. Besondere Relevanz erhält die Thematik des Beitrags der Medien zur kulturellen Selbstverständigung auch im Zusammenhang mit dem europäischen Einigungsprozess und der in diesem Zusammenhang bisher weitgehend vermissten Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit, die in der Lage wäre, das vielfach kritisierte Demokratiedefizit der Europäischen Union auszugleichen. Den Medien wird in diesem Zusammenhang oft bescheinigt, dass sie durch eine auf die jeweils nationale Perspektive ausgerichtete Berichterstattung über europäische Angelegenheiten in dieser Hinsicht keinen konstruktiven Beitrag leisten. Allerdings reflektiert diese Art der Berichterstattung auch die Struktur des europäischen Politikprozesses, in dem die politischen Akteure, die sich ihren nationalen Wählerschaften verpflichtet fühlen, jeweils die Vor- und Nachteile bestimmter Entscheidungen für die nationalen Interessen in den Vordergrund rücken und nicht den potenziellen Nutzen für die gesamte Union herausstellen. Auch im Hinblick auf die Herausbildung einer europäischen Öffentlichkeit ergeben sich also für Medienanbieter wie Mediennutzer noch erhebliche Herausforderungen. Die Perspektiven kultureller Selbstverständigung sind im Zusammenhang mit den in anderen Fokusbereichen erörterten Trends zu sehen und geben insgesamt ein ambivalentes Bild ab. So bringt die zunehmende Fragmentierung von Angeboten und Publika (vgl. Kap. 3.1.2) eine Intensivierung der kulturellen Selbstver- 541 Vgl. z. B. Neumann-Braun 2003. 542 Vgl. Hasebrink/Herzog 2004 auf der Basis der Eurobarometer-Befragungen. 543 Vgl. z. B. Becker 2001. 300 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten ständigung in kleineren, kulturell eng abgegrenzten Zirkeln oder Szenen mit sich. Insbesondere das Internet ermöglicht es selbst sehr kleinen Personengruppen und Minderheiten, die sich etwa durch spezifische Themeninteressen oder subkulturelle Zugehörigkeit definieren, ihre interne Kommunikation zu verdichten und kommunikative Gemeinschaften zu bilden. Sie erleben diese onlinebasierte Vergemeinschaftung oft als bereichernd oder gar befreiend. Zum anderen wird unter dem Stichwort „Kommerzialisierung“ (vgl. Kap. 3.2) diskutiert, dass Medienproduktionen – wie viele annehmen: zunehmend – durch ökonomische Faktoren gesteuert werden, denen weniger das Ziel kultureller Selbstverständigung als vielmehr ausgefeilte Zielgruppenstrategien zugrunde liegen 544 . Die Vermittlung von gesellschaftlich anerkannten Werten und Einstellungen sowie die Produktion von kulturellen Inhalten sind in diesen Fällen nur nachrangige oder überhaupt keine Ziele, sondern dienen vor allem der ökonomischen Erschließung und Nutzbarmachung von kreativen Potenzialen. 3.3.2.2.2 Kulturelles Gedächtnis Die Funktion der kulturellen Selbstverständigung erfüllen Medienangebote nicht nur durch ihren aktuellen Beitrag zur öffentlichen Kommunikation, sondern auch durch die Thematisierung von kulturellen Traditionen, historischen Themen und Stoffen. Die vielfältigen Aktivitäten rund um den 60. Jahrestag der Befreiung vom Regime des Nationalsozialismus haben gezeigt, wie Medien zu einer Kultur des Erinnerns und Bewahrens beitragen, die einen bedeutenden Beitrag zur kulturellen Selbstverständigung leistet. Eher zu kurz kommt allerdings das Bewusstsein für die Tatsache, dass die Medienangebote selbst Bestandteil der Kultur sind und als solche auch längerfristig Anknüpfungspunkte für die kulturelle Selbstverständigung bieten können. Die herausragende Stellung, die bestimmte Filme, Musikstücke, Zeitschriften, Fernsehserien oder Radiosendungen in der kulturellen Entwicklung wie in individuellen Biografien spielen, passt nicht zu der Tatsache, dass es für die maßgeblichen kulturellen Foren unserer Zeit kein systematisches Konzept für ein auf diese Foren bezogenes „kulturelles Gedächtnis“ gibt. Dies trifft in besonderem Maße auf das Internet zu, das in immer stärkerem Maße von spezialisierten Experten wie auch von interessierten Laien mit Wissens- und Kulturgütern angereichert wird 545 . Die eigentümliche Spannung zwischen Persistenz, also zeitüberdauernder Speicherung bzw. Verfügbarkeit einerseits, und Flüchtigkeit, also beschleunigter Aktualisierung, Überarbeitung und Verdrängung von Informationen andererseits, stellt eine große Herausforderung für die kulturelle Selbstverständigung dar. Je mehr sich das Angebot der Medien öffentlicher Kommunikation ausdifferenziert und je kurzlebiger es erscheint, desto schwieriger wird eine zeitunabhängige Auseinandersetzung mit dem „kulturellen Erbe“ der Gesellschaft. Die Archivierung audiovisueller Inhalte ist im Gegensatz zur dauerhaften Bewahrung von auf Papier basierenden Medien besonderen Problemen unterworfen. Durch die rasche Entwicklung der elektronischen Speichertechnologien werden Formate in immer kürzeren Abständen obsolet, womit sich die Wiedergabemöglichkeiten rapide verringern, da keine neuen Geräte von der Industrie hergestellt werden und Ersatzteile schwer zu beschaffen sind. Die Etablierung von Standards für die Langzeitsicherung audiovisuellen Materials wird damit erheblich erschwert oder sogar unmöglich. Archivbestände auf analogen Trägern wie Film und Magnetbändern sind zudem akut von physikalischem Zerfall bedroht. Eine Möglichkeit ihrer Rettung vor der irreversiblen Unbrauchbarkeit wird in der Digitalisierung der angegriffenen oder obsolet gewordenen Speicherformate gesehen. Der angesichts der schieren Menge an audiovisuellem Überlieferungsgut finanziell hohe Förderungsbedarf für die Enkodierungsverfahren kann als Grundvoraussetzung für den Erhalt eines wichtigen Teils des Kulturerbes bewertet werden. Eine ausbleibende Bestandspflege in Form von Digitalisierungs- oder anderweitigen Migrationsprojekten kann zu 544 Vgl. zu dieser Diskussion die Beiträge im Themenheft Ökonomisierung, M&K 2/2001. 545 Zu den Entwicklungen im Zusammenhang mit nutzergenerierten Inhalten vgl. Guenther/Schmidt 2008. 301 3. Trends und Perspektiven einer „stillen Löschung“ der Überlieferungen führen. Die Entwicklung von Technologien und Strategien zur digitalen Langzeitsicherung sind erforderlich. In der kulturwissenschaftlichen Auseinandersetzung um das Für und Wider der Digitalisierung von Überlieferungen wurde ausgiebig vor der Gefahr der spurenlosen Löschung des digitalen Codes auf Knopfdruck gewarnt. Auch war im Zusammenhang mit der Enkodierung bzw. Entmaterialisierung analog gespeicherter Informationen von einer „Verflüssigung“ des Kulturerbes die Rede 546 . Die mittels digitalisierter Daten effizienter zu handhabende Verwaltung und Migration der Inhalte und ihre damit in Kauf genommene Fragilität kennzeichnen die Ambivalenz der Digitalisierung. Deshalb ist eine übergreifende Koordination einer gemeinsamen Vorgehensweise innerhalb des Feldes dokumentarischer Institutionen wie Archiven, Bibliotheken und Museen unausweichlich, um Fragen der dauerhaften Speicherung im digitalen Zeitalter nachzugehen. Die bisherige Kooperation zwischen dokumentarischen Einrichtungen bei der Entwicklung von Technologien, Standards und Strategien für die digitale Langzeitarchivierung ist nicht ausreichend. So stand die Europäische Konferenz zur digitalen Langzeitarchivierung im April 2007 in Frankfurt am Main unter der deutlichen Dominanz der Schrift und mied die Problematisierung der langfristigen Bewahrung audiovisueller Medien. Dabei erfordern aktuelle Herausforderungen bei der Entwicklung plattformübergreifender Technologien zur Erfassung von multimedialen Internet-Publikationen durch die Deutsche Nationalbibliothek ein engeres Zusammenwirken von Schriftgut- und AV-Spezialisten. Eine Studie des Kinematheksverbundes aus dem Jahre 2005 ergab, dass nur 12 Prozent der im Jahr 1913 und nur 30 Prozent der im Jahr 1925 entstandenen Filme in öffentlich geförderten Archiven lagern. Von insgesamt etwa 1.000 Filmen aus den Jahren 1909 bis 1945 ist nur ungefähr die Hälfte erhalten. Können diese Verluste noch mit Diskontinuitäten in der Archivierung und den fundamentalen Brüchen in der politischen und gesellschaftlichen Geschichte Deutschlands erklärt werden, belegen aktuellere Fehlzahlen, dass die Filmarchivierung in Deutschland weder mit ausreichender Systematik noch Zuverlässigkeit erfolgt: In öffentlichen Archiv-Einrichtungen wie unter anderem den Mitgliedern des Kinematheksverbundes lassen sich nur 47 Prozent der im Jahre 1995 in Deutschland produzierten Filme finden. Durch die endarchivische Funktion der Archive der Rundfunkanstalten ist die Zuständigkeit im Bereich der Fernsehprogrammüberlieferung zwar eindeutiger zuzuordnen, doch auch hier fehlt eine einheitliche Systematik und Kontrolle. Dies führte vornehmlich in den 1970er- und 80er-Jahren zu einer teils verheerende Ausmaße annehmenden Vernichtung von Archivgut. Bei den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten gehörte vor allem der Platzmangel in den Senderarchiven zu den Gründen für die Kassationsmaßnahmen, die später als „Löschzüge“ kritisiert wurden. Aussortiert wurde damals vorrangig nach Produktionsbedürfnissen, also nach Kriterien der Wiederverwendbarkeit. Dies betraf auch die privaten Sender, die teils eklatante Verluste aus den ersten Jahren ihres Programmbetriebs zu beklagen haben. 3.3.2.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte 3.3.2.3.1 Ziele Kulturelle Selbstverständigung kann nicht unmittelbar medienpolitisches Ziel sein, sondern verwirklicht sich in gesellschaftlichen Prozessen, bei denen Medien eine Rolle spielen. Welche Funktionen diesen Prozessen zugeschrieben werden, hängt von medienpolitischen Vorstellungen ab. Die im Folgenden genannten speziellen Ziele dürften weitgehend wenig kontrovers sein und werden daher herausgehoben. 546 302 Assmann 2004, S. 15. 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten 3.3.2.3.1.1 Gewährleistung von Offenheit Kulturelle Entwicklungen zeichnen sich dadurch aus, dass sie unter Rückgriff auf bereits geschaffene kulturelle Angebote Neues erzeugen. Eine Wiederholung des immer Gleichen – risikoarme Film- oder Spielproduktionen, die bewährte Handlungsmuster mit eingeführten Protagonisten publizieren – kann dies nur begrenzt leisten. Daher wird die Offenheit medialer Kommunikation auch als ein Ziel angesehen, das bei der Gestaltung einer Kommunikationsordnung von Verfassungs wegen (Art. 5 Abs. 1 GG) zu berücksichtigen ist. Der medienpolitische Blick kann sich vor diesem Hintergrund auf die Frage richten, inwieweit die Produktionssysteme offen für Neues sind und ob hinreichend „kulturelles Risikokapital“ zur Verfügung steht. 3.3.2.3.1.2 Förderung von Kreativität Öffentliche Kommunikation profitiert von Neuem, von Anreizen, die die Gesellschaft bietet, neue Ideen zu entwickeln. Gerade die Regeln des Urheberrechts bilden dafür eine Voraussetzung, indem sie sicherstellen, dass die ideellen, aber auch die materiellen Früchte einer Schöpfung so zugeordnet werden, dass ein Anreiz zu kreativer Arbeit besteht. Aber auch Regeln anderer Bereiche können diese Anreizstruktur beeinflussen. 3.3.2.3.1.3 Nachhaltige Verfügbarkeit von Kulturgütern Aus der Bedeutung der Medien als kulturelle Foren kann als Zielsetzung von Medienpolitik abgeleitet werden, die Voraussetzungen für den Aufbau und die nachhaltige Sicherung eines „kulturellen Gedächtnisses“ in Deutschland zu schaffen. Daraus ergäbe sich insbesondere die Aufgabe, auch flüchtige audiovisuelle Kulturgüter so zu archivieren und verfügbar zu halten, dass Forschung, Bildung, Wirtschaft wie auch die interessierte Bevölkerung Zugang erhalten können. Eine wichtige Rolle kommt hierbei der geplanten „Deutschen Digitalen Bibliothek“ (DDB) zu, die derzeit im Zuge des Aufbaus einer „Europäischen Digitalen Bibliothek“ (EDB) konzipiert wird 547 . Sie soll die vielfältigen digitalen Informationssysteme der Kultur- und Wissenschaftseinrichtungen über einen zentralen Anlaufpunkt erschließen, der gleichermaßen als Arbeitsumgebung für Experten wie als öffentliche Kulturplattform dienen wird. 3.3.2.3.2 Instrumente Unabhängig vom konkreten medienpolitischen Ansatz werden in diesem Bereich verschiedene Instrumente diskutiert. 3.3.2.3.2.1 Quotenregelungen Ein bereits durch europäisches Recht eingeführtes Instrument zur Sicherung kultureller Selbstverständigung ist die rechtliche Vorgabe von Quoten, wobei unterschiedliche Anknüpfungspunkte (im Fernsehen beispielsweise: Sendequoten, Produktionsquoten, Investitionsquoten) denkbar sind. Quotenregelungen gelten insofern als vorteilhaft, als regulativ unmittelbar am Problem – der als nicht hinreichend wahrgenommenen Veröffentlichungen bestimmter Typen von Inhalten – angesetzt wird. Sie sind aber auch typischerweise mit Problemen der Implementation verbunden, weil zum einen Art. 5 Abs. 1 GG die Anbieter von Medienangeboten bei der Zusammenstellung des zu veröffentlichenden Inhaltes schützt und somit staatlichen Maßnahmen Grenzen setzt, zum anderen aber auch weil die Bestimmung des durch Quotenregeln geförderten Inhaltes sowie die Durchsetzung Probleme bereiten kann. Handelt es sich um nationale Quoten, ist eine Verletzung der Grundfreiheiten aus dem EG-Vertrag denkbar, die gerade darauf zielen, dass Anbieter aus anderen Mitgliedstaaten nicht offen oder verdeckt diskriminiert oder behindert werden. 547 Vgl. Fraunhofer IAIS 2007. 303 3. Trends und Perspektiven Während des Berichtzeitraums wurde über eine Quote in Hörfunkprogrammen für deutsche Musikangebote diskutiert. Im Siebten Rundfunkänderungsstaatsvertrag findet sich eine von einigen Ländern unterzeichnete Protokollerklärung, die öffentlich-rechtliche und private Rundfunkveranstalter auffordert, verstärkt deutschsprachige Musik zu senden (s. Kap. 1.4.4.2.6). In der Diskussion über diese Quote changierte der Anknüpfungspunkt (deutsche Sprache, Produktionsstandort, Nationalität der Künstler). Während in der politischen Diskussion die Rundfunkveranstalter auf ihre Programmautonomie pochen, verweisen Vertreter der Musikindustrie auf den Umstand, dass sie nach der geltenden Rechtslage keine Möglichkeit hätten, den für Hörfunkveranstalter bedeutenden Musik-Content individuell zu verhandeln, sondern auf Pauschalvergütungen angewiesen seien, obwohl die Hörfunkanbieter mit diesem Content große Teile des Programms bestreiten. 3.3.2.3.2.2 Förderung Neben Quotenregelungen kommen in allen Bereichen Fördermaßnahmen in Betracht. Hier wird vielfach eine Kulturförderung angemahnt, die für die sich verändernden Verwertungsketten bzw. -netzwerke optimiert ist. Bislang orientiert sich die Förderung an unterschiedlichen, traditionellen Vertriebswegen, so etwa in besonders differenzierter Form bei der Filmförderung, die den Film in den Bereichen Kreation (Drehbuchförderung), Produktion (direkte Produktionsförderung), Distribution (Kopienförderung), Spielstätten (Förderung von Kinos, Videotheken), Ausbildung (z. B. im Rahmen des MEDIA-Programms) sowie in unterstützende Maßnahmen im Bereich des Marketing unterteilt. Die Richtlinie über Audiovisuelle Mediendienste öffnet nun auch bislang für Fernsehen vorgesehene kulturpolitische Instrumente für nicht-lineare Medien. Der Strukturwandel der Medien bildet sich auch noch nicht vollständig in den unterschiedlichen Förderinstrumenten ab. So findet sich eine differenzierte Förderpraxis im Bereich des Films, während für den Bereich interaktive Spiele bislang kaum vergleichbare Instrumente zur Verfügung standen, auch wenn Angebote dieser Art – zumindest für bestimmte Zielgruppen – ähnliche kulturelle Funktionen erfüllen können, wie dies der traditionelle Spielfilm erfüllt hat und immer noch erfüllt. 2008 sollen allerdings erstmals qualitativ hochwertige sowie kulturell und pädagogisch wertvolle Computerspiele aus Deutschland durch einen neu geschaffenen Preis prämiert werden, um deren Entwicklung zu fördern. Im Sinne einer kulturellen Selbstverständigung, die sich nicht von den parallel laufenden Prozessen der europäischen Integration und der Globalisierung abkoppelt, sondern sich vielmehr aktiv in diese einbringt, kann auch über Fördermaßnahmen für interkulturelle und transkulturelle Kompetenz sowohl von Deutschen als auch von in Deutschland lebenden Ausländern nachgedacht werden. Dies berührt sicherlich Bereiche, die nicht mehr direkt in den Bereich der Medien- und Kommunikationspolitik, sondern in die Sozial-, Bildungsund Einwanderungspolitik gehören. Zu denken ist aber etwa an die zahlreichen, meist nicht-kommerziellen Initiativen, die sich unter den von Land zu Land unterschiedlichen Rahmenbedingungen für multikulturelle Medienangebote engagieren. In diesem Zusammenhang sollte mitbedacht werden, dass nach wie vor die Immigranten in Deutschland bei den wichtigsten Reichweitenerhebungen nicht berücksichtigt werden, so dass das veröffentlichte Bild von den Publika der Medien wesentliche Teile der Bevölkerung ausschließt. Neu angestoßen werden könnte auch ein Diskussionsprozess über Optionen zur Förderung des Fremdsprachenerwerbs durch Medien. Darüber hinaus stellt die kontinuierliche kritische Beobachtung der Formen und Inhalte der Berichterstattung über Europa, die europäischen Nachbarn und die ganze Welt einen wesentlichen Bestandteil der kulturellen Selbstverständigung einer Gesellschaft dar, die bei dem laufenden Prozess der europäischen Integration und den globalen Herausforderungen eine konstruktive Rolle spielen will. 3.3.2.3.2.3 Sicherung der Verfügbarkeit von audiovisuellen Kulturgütern Dass es einen wachsenden Markt für audiovisuelle Produktionen gibt, die längst der Obhut der Archive überantwortet wurden, ermöglicht einer breiten Öffentlichkeit den erweiterten und direkten Zugriff auf die Film- 304 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten und Fernsehgeschichte. Doch allein den Marktmechanismen das Reglement der Verfügbarkeit von historischen Produktionen zu überlassen, birgt das Risiko, dass die Lagerbestände früher oder später ausverkauft und die betreffenden Titel nicht mehr im Handel erhältlich sind. Wirtschaftlichen Erwägungen sichern nicht zwingend von selbst, was kulturell notwendig erscheint. Wie viele Filme tatsächlich verloren sind oder aber nur schwer auffindbar, lässt sich aufgrund der Vielzahl der Sammelstellen selbst annäherungsweise nicht bestimmen. Insgesamt gibt es in Deutschland etwa 1.200 audiovisuelle Mediensammlungen. Davon ist nur ein Teil öffentlich zugänglich und gewährt Einblick in den Sammlungsbestand. Auch ist weitgehend unbekannt, wie viele Filme in ausländischen Archiven liegen oder sich in der Hand von Produzenten und privaten Sammlern befinden. Es existiert keine Clearing-Stelle, die über den Gesamtbestand audiovisueller Überlieferungen in der dezentral strukturierten Archivlandschaft des Bundes und der Länder Orientierungsdienste anbieten oder konkrete Auskünfte geben könnte. Eine Alternative stellen öffentliche Initiativen wie das Netzwerk Mediatheken dar, das einen Überblick über ausgewählte AV-Sammlungen in Deutschland gibt. Ein weiterer wichtiger Ansatzpunkt ist die Integration des über 20 Jahre entwickelten Projekts der „Deutschen Mediathek“ in die Berliner Stiftung Deutsche Kinemathek: Das Museum für Film und Fernsehen schärft das Bewusstsein für die notwendige Bewahrung von audiovisuellen Medienproduktionen und ihre gesamtgesellschaftliche Bedeutung – auch im Hinblick auf die Synergien und Überlappungen von Film- und Fernseh-Kultur. Das Museum kuratiert unter anderem eine digitale Programmgalerie mit einem wachsenden Bestand ausgewählter Fernsehsendungen, die mit zusätzlichen inhaltsbezogenen Informationen abgerufen werden können. Der direkte Zugang zum Fernsehprogrammerbe ist ausschließlich in den Benutzungsordnungen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten geregelt, nicht jedoch bei den privaten Programmveranstaltern. Abgesehen von Wiederholungen im laufenden Programm machen die einzelnen Sender ihr Programmvermögen in steigendem Maße über das Internet für eine breite Öffentlichkeit verfügbar. Hier ist beispielhaft die virtuelle Mediathek des ZDF zu nennen; auch die ARD plant eine integrierte Angebotslösung für die bisher von den einzelnen Länderanstalten bereitgestellten Streaming-Inhalte. RTL hat mit „RTL Now“ und ProSiebenSat.1 mit „Maxdome“ ebenfalls On-Demand-Dienste etabliert, über die einzelne Sendungen und Filme kostenpflichtig zugänglich sind. Die retrospektive Digitalisierung und damit erst ermöglichte Bereitstellung von Inhalten in zeitgemäßer Form hat in den Archiven, die sich in erster Linie als Produktionsarchive verstehen und ihre Etats daher im Hinblick auf den Programmbedarf verplanen, keine Priorität. Die von marktstrategischen und wirtschaftlichen Interessen geleiteten Online-Projekte reichen dagegen nicht aus, um einen Zugang in der unter anderem vom Wissenschaftsrat geforderten historischen Tiefe zu gewährleisten 548 . Eine umfassende Hinterlegungspflicht entsprechend der gesetzlichen Regelung für Druckerzeugnisse gibt es derzeit nicht, allerdings für solche Filme, die mit öffentlichen Fördergeldern (teil)finanziert wurden. Dies betrifft einen Großteil, aber nicht die Gesamtheit aller produzierten Filme in Deutschland. Von der Filmförderungsanstalt des Bundes (FFA) bezuschusste Projekte finden nach § 21 FFG mit einer Kopie Aufnahme ins Bundesarchiv. In der Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates zum Filmerbe und zur Wettbewerbsfähigkeit der einschlägigen Industriekreise 549 heißt es in Erwägungsgrund 19: „Um sicherzustellen, dass das europäische Filmerbe für künftige Generationen erhalten bleibt, muss es – in allen Fällen unter Wahrung des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte – systematisch erfasst, katalogisiert, bewahrt und restauriert 548 Wissenschaftsrat (2007). 549 Europäisches Parlament und Rat (2005): Empfehlungen des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. November 2005 zum Filmerbe und zur Wettbewerbsfähigkeit der einschlägigen Industriezweige, ABl. EG Nr. L 323, S. 57 ff. 305 3. Trends und Perspektiven werden.“ Der Kinematheksverbund fordert aufgrund der dezentralen Archivierungssituation, welche die Überprüfung einer tatsächlich erfolgreichen Erfassung aller kulturell relevanten Filme nicht gewährleistet, eine gesetzliche Regelung zur Pflichthinterlegung aller in Deutschland produzierten Filmwerke. Ein Pilotprojekt zur freiwilligen Film-Hinterlegung durch die Produzenten erbrachte in den Jahren 1998 und 1999 eine auffällig geringe Erfolgsquote von nur 17 Prozent bei Dokumentar- und 10 Prozent bei Spielfilmen. Nach Bewertung des Kinematheksverbundes kann nur eine allgemeinverbindliche Gesetzeslösung eine angemessene Bewahrung sicherstellen und der Konflikt zwischen wirtschaftlichen Interessen der Produzenten und dem öffentlichen Interesse der Bewahrung kultureller Erzeugnisse gelöst werden. 550 Einigen Fernsehsender, darunter vorrangig den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, haben Selbstverpflichtung zur Archivierung abgegeben. Die deutschen Film- und Fernsehproduzenten, die Filmförderungsanstalt sowie ARD und ZDF haben sich bereits im Jahr 2001 gegen zusätzliche Archivierungsverpflichtungen über die bereits bestehenden Vorkehrungen hinaus gewandt. 551 . Die Europaratskonvention zum Schutz des audiovisuellen Erbes 552 von 2001 wurde von deutscher Seite bisher nicht unterzeichnet und dementsprechend nicht ratifiziert. Die Konvention und ihr Zusatzprotokoll über den Schutz von Fernsehproduktionen sieht vor, dass die ratifizierenden Staaten gesetzliche Maßnahmen ergreifen, ihr nationales Film- und Fernseherbe auf Dauer zu bewahren und für die interessierte Öffentlichkeit sowie speziell für Bildungszwecke zugänglich zu machen. Eine Doppelung von bereits bestehenden Vorkehrungen zur Archivierung ist dabei aber nicht vorgesehen: Der Vertrag lässt die Möglichkeiten einer zentralen oder dezentralen, auch eigenverantwortlichen Regelung gelten. Nachdem fünf Zeichnerstaaten (Kroatien, Litauen, Monaco, Ungarn und Slowenien) die Konvention ratifizierten, trat sie zu Jahresbeginn 2008 in Kraft. Bis Mitte des Jahres wird ein ständiger Ausschuss eingerichtet, in den jedes der genannten Länder Vertreter entsenden kann. Der Ausschuss wird die Anwendung der Konvention in den jeweiligen Staaten überwachen und soll für die übrigen Staaten als Gradmesser bei der Einschätzung der Anforderungen und Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Regelungen im eigenen nationalen Rahmen dienen. Es wird für alle gewillten europäischen Staaten weiterhin möglich sein, die Konvention zu ratifizieren und in die nationale Gesetzgebung einfließen zu lassen. Ein Erfahrungsaustausch über die Anwendung der Konvention wird im europäischen Lenkungsausschuss für Kulturfragen möglich sein. 3.3.3 Beobachtung der Medien: Metamedien und Medienkritik Zu den Gegenständen, die die Medien für die Gesellschaft beobachten, gehören auch die Medien selbst. Das heißt, dass wir auch das, was wir über Medien wissen, überwiegend aus den Medien wissen – mit entsprechenden Folgen für das individuelle Nutzungsverhalten, aber auch für medienpolitische Entwicklungen. Im Hinblick auf die damit verbundenen Fragen stehen verschiedene Funktionen von medienbezogenen Angeboten im Vordergrund: die Orientierung der Nutzer über die verfügbaren Angebote, die explizite Medienkritik, verschiedene Formen der Selbstbezüglichkeit sowie die medienübergreifende Kooperation bzw. Crossmedialität vieler Angebotsstrategien. Darüber hinaus ist zu diskutieren, wie andere, nicht mediengestützte Verfahren der Medienbeobachtung und Medienkritik zu einer gesellschaftlich wünschbaren Medienentwicklung beitragen können. 550 Kinematheksverbund der Bundesrepublik Deutschland: Studie zu Stand und Aufgaben der Filmarchivierung und zur Verbreitung des nationalen Filmerbes in Deutschland. Berlin: Deutscher Kinematheksverbund, 39. 551 Siehe Stellungnahmen unter http://ec.europa.eu/avpolicy/reg/cinema/index_en.htm. 552 Europäisches Übereinkommen zum Schutz des audio-visuellen Erbes v. 8.11.2001, ETS Nr. 183; abrufbar unter http://conventions.coe.int/Treaty/en/Treaties/Html/183.htm. 306 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten 3.3.3.1 Bestandsaufnahme 3.3.3.1.1 Orientierung Die Darstellung der einzelnen Medienbereiche hat vor Augen geführt, dass sich die Angebote der Einzelmedien weiter ausdifferenzieren. Diese Ausdifferenzierung bezieht sich auf die Zahl der Angebote sowie auf eine zunehmend spezifische Zielgruppenorientierung. Beides erhöht den Orientierungsbedarf bei den Nutzern, die sich einen Überblick über die verfügbaren Angebote verschaffen müssen, um überhaupt entscheiden zu können, wo sie ihre individuellen Interessen und Bedürfnisse am besten erfüllen können. Wie die Nutzungsforschung immer wieder gezeigt hat, wird diese Unübersichtlichkeit zum Teil mit der Bildung von Routinen und Gewohnheiten reduziert – Nutzer beschränken sich in ihrer Mediennutzung tendenziell auf ein Repertoire an Angeboten, denen sie vertrauen 553 . Daneben aber gewinnen verschiedene Formen von Metamedien an Bedeutung, also solche Angebote, die die Nutzung anderer Medien erleichtern oder überhaupt erst ermöglichen sollen. Zu den prominentesten Beispielen gehören die Programmzeitschriften, die vom Beginn der Rundfunkentwicklung an die Hörer und Zuschauer Informationen geliefert haben, um die Programmwahl treffen zu können. Aufgrund des Funktionswandels des Hörfunks hat die Ankündigung von Radioprogrammen bereits vor vielen Jahren massiv an Bedeutung verloren; für den Fernsehbereich dokumentieren die Auflagenzahlen der Programmzeitschriften der letzten Jahre aber, dass offenbar mehr denn je ein großer Bedarf an programmbegleitenden Informationen besteht, die die Auswahl aus dem Angebot erleichtern sollen. Die von der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) quartalsweise veröffentlichten Auflagen pro Erscheinungsintervall liegen in den letzten Jahren bei etwa um die 25 Millionen 554 . Die Programmzeitschriften gehören damit zu den auflagenstärksten Zeitschriftentiteln in Deutschland überhaupt, was im internationalen Vergleich eine Besonderheit darstellt: Nirgendwo sonst werden so viele Programmzeitschriften pro Einwohner verkauft. Die Themenpalette vieler Titel reicht inzwischen auch über die reine Programminformation hinaus und umfasst z. B. die Bereiche Kino, DVD, Musik oder Computer. Im Hinblick auf die neuen technischen Optionen für Programminformationen ist zunächst zwischen (Basis-) Navigatoren und elektronischen Programmführern (Electronic Programme Guides bzw. EPGs) zu unterscheiden 555 , auch wenn die Zuordnung im Einzelfall schwierig sein kann. Basis-Navigatoren dienen dazu, auf digitalen Empfangsgeräten das gesamte Programmangebot auf der Grundlage der von den Fernsehveranstaltern gesendeten Service-Informationen darzustellen. Diese Service-Informationen begleiten im digitalen Datenstrom jede Sendung und beschreiben sie etwa mit Anfangs- und Endzeit, Titel, Kanal und Genre. Aus diesen Informationen gestaltet der Navigator dann Tabellen, die nach den verschiedenen verfügbaren Merkmalen zusammengestellt werden können, so dass die Zuschauer sich die Programmübersicht nach Anfangszeiten, nach Kanälen oder nach Genres ausgeben lassen können. Basisnavigatoren stellen quasi das Einstiegsportal zu einer digitalen Plattform dar, sie müssen daher nach geltender Rechtslage alle verfügbaren Angebote gleichberechtigt und ohne positive und negative Bewertung aufführen. Unter dem Begriff elektronischer Programmführer werden unterschiedliche elektronische Dienste verstanden, die zum Teil nur vorübergehende technische Zwischenlösungen auf dem Weg zu Electronic Programme Guides im engeren Sinne darstellen, die sich spätestens im Zuge einer Etablierung digitalen Fernsehens durchsetzen dürften. Gegenüber den Basisnavigatoren handelt es sich hier um technisch deutlich anspruchs553 Vgl. z. B. für das Fernsehen bereits früh Winterhoff-Spurk 1991 sowie aktuell Beisch/Engel 2006; für den Bereich des Internets van Eimeren/Frees 2007. 554 Berechnet auf Grundlage der IVW-Meldungen, die unter http://www.ivw.eu online zur Verfügung stehen. 555 Für einen Überblick siehe Breuning 1997. 307 3. Trends und Perspektiven vollere und redaktionell gestaltete Programmführer, die mit verschiedenen Zusatzinformationen und Softwareanwendungen versehen sein können. Hier ist wiederum zu unterscheiden zwischen programmgebundenen EPGs einzelner Veranstalter, die den Zuschauern insbesondere das jeweils eigene Programm bzw. Programmbouquet erschließen wollen, und unabhängigen EPGs von Dritten, die den Zuschauern programmübergreifend spezifische Dienstleistungen anbieten. Eine weitere, wenn auch bisher nur in Ansätzen umgesetzte Option für EPGs sind lernfähige Systeme, die nicht mehr vom Nutzer programmiert werden müssen, sondern anhand seiner konkreten Auswahlentscheidungen ein Modell seiner Vorlieben und Interessen entwickeln und ständig weiterentwickeln, auf dessen Grundlage sie dann dem Nutzer ihre Vorschläge machen. Solche Systeme sind individuell umsetzbar; für die Anbieter scheint aber auch eine Variante attraktiv, bei der die Systeme das Auswahlverhalten bestimmter Zielgruppen auswerten („kollaborative Filter“) und den Mitgliedern der Zielgruppe dann auf einer breiteren Basis ihre Vorschläge machen können. Entsprechende Systeme sind etwa bei verschiedenen Musikportalen im Einsatz. Ganz entscheidende Bedeutung haben Metamedien im noch jungen Bereich der Online-Nutzung gewonnen. Die Suchmaschinen stellen für die Nutzer den wichtigsten Zugangsweg zur Informationsfülle des Internets dar 556 . Aufgrund der besonderen Struktur des Internets, das einer Vielzahl von Kommunikatoren den direkten Zugang zur Öffentlichkeit ermöglicht, ohne dass ein professioneller Gatekeeper Informationen für die Nutzer auswählt, stehen die Nutzer selber vor einem extremen Selektionsbedarf. Diesen decken vor allem die Suchmaschinen, die das Netz laufend nach Dokumenten mit bestimmten Suchwörtern durchsuchen und den Nutzern im Hinblick auf diese Suchwörter relevante Seiten anzeigen 557 . In jüngster Zeit ergänzen zwei weitere Entwicklungen den bislang dominierenden Ansatz von Suchmaschinen, die Vielfalt der online verfügbaren Informationen automatisiert und auf Grundlage von Algorithmen zu sortieren: Zum einen Verfahren der „Social Search“ bzw. der personalisierten Suche, die Kontextinformationen in die Suchanfrage mit einbeziehen, um die Relevanz der präsentierten Suchergebnisse zu verbessern. Dies kann zum Beispiel geschehen, indem frühere Suchanfragen eines Nutzers oder auch Dokumente auf dessen Computer mit erfasst werden, was jedoch Probleme in Hinblick auf den Schutz persönlicher Daten aufwirft 558 . Zum anderen die „Folksonomies“, also kollaborativ erstellte Klassifikationssysteme, deren Ordnungsschemata nicht von einer zentralen Instanz erstellt werden, sondern aus der Aggregation einer Vielzahl von einzelnen Kategorisierungen oder Verschlagwortungen der Nutzer entstehen (vgl. Kap. 1.5.1.1). Hierbei handelt es sich im Vergleich zu den etablierten Suchmaschinen und -prinzipien jedoch noch um ein Nischenphänomen, das vor allem zur Erschließung der Inhalte auf Plattformen mit nutzergenerierten Inhalten (wie z. B. der Foto-Community Flickr.com) dient, aber kaum auf das Internet als Ganzes auszudehnen sein wird. Seit Beginn des neuen Jahrtausends werden unter der Überschrift „Semantic Web“ aber auch verstärkt Technologien erforscht, mit deren Hilfe das im Internet verfügbare Wissen für eine Weiterverarbeitung durch Computer aufbereitet werden kann, um automatisch solche Informationen zu erschließen, die nicht direkt in den Daten niedergelegt sind. Beteiligt sind daran eine Vielzahl von Akteuren aus Wirtschaft und Wissenschaft, beispielsweise das „World Wide Web Consortium“, aber auch Konzerne wie Google, Yahoo! und IBM. Um hiesige Unternehmen bei der effizienteren Vermarktung deutscher Forschungserfolge zu unterstützen, wurde im Rahmen des mit sechs Milliarden Euro budgetierten Aktionsprogramms „iD2010 – Informationsgesellschaft Deutschland“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) das Leuchtturmprojekt „Theseus“ zur Entwicklung einer neuartigen Wissensinfrastruktur im Internet initiiert. Ursprüng- 556 Van Eimeren u. a. 2004, S. 355. 557 Für einen Überblick siehe Neuberger 2005. 558 Vgl. Röhle 2007. 308 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten lich zielten die Planungen unter dem Titel „Quaero“ auf eine gemeinsame Projektierung mit Frankreich, doch zum Jahresende 2006 entschlossen sich beide Staaten, eigenständig weiterzuforschen. Das Ziel des TheseusProgramms ist kein konkretes Produkt im Sinne einer Suchmaschine, sondern die Erforschung und anschließende Standardisierung von anwendungsorientierten Basistechnologien, die möglichst vielseitig eingesetzt werden sollen. Der Gesamtetat von 180 Millionen Euro wird zu gleichen Teilen vom BMWi und den beteiligten Forschungs- und Industriepartnern, darunter die Fraunhofer-Gesellschaft, SAP und Siemens, aufgebracht. Der Wettbewerb „Theseus Talente“ wendet sich ergänzend an die allgemeine Öffentlichkeit, um Schüler, Studierende, Wissenschaftler, Entwickler und auch Hobby-Tüftler zur Beteiligung an Theseus zu ermuntern und innovative Ideen zu integrieren. Die zu entwickelnden Basistechnologien werden in sechs Fokusbereichen erprobt, wobei fachspezifische Anwendungen wie eine intelligente Bildsuche in medizinischen Datenbanken oder die computergestützte Steuerung von Unternehmen genauso Beachtung finden wie die Interessen privater Internetanwender: Dem Endnutzer kommt im interaktiven Web 2.0 eine immer tragendere Rolle zu, die nun mit semantischen Technologien interoperabler gestaltet werden soll, um Informationen leichter erstellen, finden und nutzen zu können 559 . Für die Sicherung des Kulturerbes (vgl. auch Kapitel 3.3.2) ist das von der Deutschen Nationalbibliothek betreute Szenario „Contentus“ von besonderem Interesse, das die Qualität von Digitalisaten optimieren und ihre Wiederherstellung automatisieren soll. Erforscht wird weiterhin, wie digitalisiertes Archiv- und Sammlungsgut unterschiedlicher Medientypen – z. B. Druckerzeugnisse, Handschriften, Ton oder Videomaterial – automatisch mit Metadaten versehen und untereinander inhaltlich verknüpft werden kann. Dadurch könnten die enormen digitalen Datenmengen auf den Servern von Archiven, Bibliotheken und Museen automatisiert erschlossen werden. Zusätzlich soll das Prinzip der Folksonomies aufgegriffen werden, um Nutzern die Möglichkeit zu geben, die jeweiligen Titel durch manuelle Annotierung mit zusätzlichen Informationen zu versehen (s. oben Kap. 1.5.1). Ein anderes Teilprojekt entwickelt semantische Technologien, um den digitalisierten Gesamtbestand des „Musikinformationszentrums des Verbandes der Komponisten und Musikwissenschaftler der DDR“ im Deutschen Musikarchiv zu erschließen. Dadurch könnten Musikstücke nicht allein nach textbasierten Klassifikationen wie Interpret oder Erscheinungsjahr, sondern zusätzlich auch inhaltlich über bestimmte Tonfolgen oder Grundstimmungen identifiziert werden. Audiovisuelle Dokumentationsstellen sind zwar bisher noch nicht direkt eingebunden, doch einige Landesrundfunkanstalten haben bereits Absichtserklärungen abgegeben, die Basistechnologien zu einem späteren Zeitpunkt mit Hilfe ihrer eigenen Archivbestände zu testen. Selbst wenn noch einige Hürden zu überwinden sind, insbesondere um die Interessen von Rezipienten und von Rechteinhabern gleichermaßen zu wahren, versprechen die Szenarien des Theseus-Programms einen bedeutenden Schritt für die Instandhaltung und Zugänglichkeit des digitalisierten Kulturerbes. 3.3.3.1.2 Kritik Medien über Medien fungieren nicht nur als Orientierungshilfen; vielmehr werden Medien und ihre Angebote als Teil der gesellschaftlichen und kulturellen Realität auch ihrerseits zum Gegenstand der Medienberichterstattung und der kritischen Auseinandersetzung. Die explizite Medienkritik in den Medien hat eine wechselvolle Geschichte erlebt 560 . Während nach einer gewissen Hochzeit medienkritischer Sendungen in Hörfunk und Fernsehen ab Mitte der 70er-Jahre die Zahl entsprechender Angebote bis heute abnahm, hat sich in den Zeitungen und Zeitschriften bis in die späten 90er-Jahre ein zunehmendes Interesse insbesondere der überregionalen Tageszeitungen sowie der Wochenzeitungen und Nachrichtenmagazine beobachten lassen, so dass 559 Vgl. Schmidt/Pellegrini 2008. 560 Vgl. Hickethier 1994; Bundeszentrale für politische Bildung 1988. 309 3. Trends und Perspektiven gar von einem „neuen Ressort“ die Rede war 561 . Diese Entwicklung wurde in Zusammenhang gebracht mit der weiter zunehmenden Bedeutung des Fernsehens auch als Wirtschaftsfaktor sowie der Entwicklung neuer Kommunikationstechnologien, insbesondere des Internets. Im Zusammenhang mit der Medienkrise ab 2000 sind allerdings die Ressourcen für Medienberichterstattung eingeschränkt und einige „Medienseiten“ wieder eingestellt worden 562 . Es ist derzeit unklar, inwieweit die inzwischen zu beobachtende Erholung auf den Werbemärkten diesem Trend entgegenwirkt, vor allem da die parallel stattfindende Ausweitung onlinebasierter Angebote das Umfeld für Medienkritik verändert: Zum einen eröffnen sich dieser neue potenzielle Felder, beispielsweise eine professionelle Kritik des Online-Journalismus. Zum anderen erweitert sich der Kreis der Personen, die Medienkritik üben können. Neben den Journalisten selbst können auch Rezipienten über partizipative Formate wie Weblogs, Podcasts oder Videoplattformen ihre Stimme einbringen und Medienkritik üben. Das derzeit wohl bekannteste deutschsprachige Weblog, das BILDblog, wird zwar von professionellen Journalisten geführt, bezieht aber in starkem Maße Hinweise und Vorschläge der Leserschaft ein, um die Berichterstattung der BILD kritisch zu begleiten. Aktuelle Untersuchungen zu den strukturellen Voraussetzungen und Leistungen der Medienkritik gelangen zu ambivalenten Ergebnissen 563 . Die institutionelle Basis der Medienkritik erscheint danach kaum hinreichend gesichert zu sein. Auffallend ist vor allem, dass sich die mediale Auseinandersetzung mit den Medien weitgehend auf die überregionale Qualitätspresse konzentriert und somit an der großen Mehrheit der Bevölkerung vorbeigeht. Immer wieder thematisierte Probleme der Medienkritik liegen im Hang zum Insidergespräch bzw. zum „brancheninternen Klatsch“ 564 sowie in der zunehmend ökonomisierten Medienproduktion, in deren Rahmen auch die Medienkritik durch wirtschaftliche Eigeninteressen und Verflechtungen berührt wird. 3.3.3.1.3 Selbstreferentialität und crossmediale Bezüge Jenseits der konkreten Funktionen von Orientierung und Medienkritik war in den letzten Jahren ein Trend zur zunehmenden Selbstreferentialität innerhalb der einzelnen Medien sowie zwischen den verschiedenen Medien zu beobachten. Dies lässt sich als Bestandteil einer umfassenden Mediatisierung der Gesellschaft verstehen, indem die Medien zunehmend sich selbst zum Thema machen 565 . Besonders auffällig wird diese Entwicklung an den Gästen der verschiedenen Talksendungen des Fernsehens, bei denen es sich oft um MedienProminente handelt. Diese Thematisierung erfolgt jedoch weniger im Sinne der oben behandelten Kritikfunktion, sondern vor allem aus Vermarktungsstrategien: Die Prominenz von Medienakteuren soll zur Steigerung des Interesses am eigenen Medienangebot genutzt werden. In eine ähnliche Richtung weist der Trend zu crossmedial angelegten Angebotsstrategien. Die Vermarktung von Medienangeboten bleibt mittlerweile kaum mehr auf ein Medium beschränkt. Vielmehr sind die Strategien darauf gerichtet, bestimmte Medienmarken in möglichst vielen verschiedenen Medien zu platzieren, um so einerseits hohe Präsenz beim Publikum zu erzielen, andererseits verschiedene Verwertungsstufen ausnutzen zu können 566 . 561 Vgl. Kreitling 1997. 562 Vgl. Engels u. a. 2005, S. 405. 563 Vgl. Krüger/Müller-Sachse 1998, Malik 2004, Weiß 2005a. 564 Engels u. a. 2005, S. 542. 565 Vgl. z. B. Krotz 2001. 566 Vgl. Siegert 2001. 310 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten 3.3.3.2 Gesellschaftliche Relevanz Die Bedeutung und der gesellschaftliche und kulturelle Einfluss der Medien werden darin gesehen, dass sie Orientierungen geben – Orientierung über politische Strukturen und Prozesse, über Formen der privaten Lebensgestaltung, über alle Lebensbereiche. Die Gesellschaft ist daher auf eine laufende Reflexion ihrer Kommunikationsverhältnisse angewiesen, die kontinuierliche Reflexion der kommunikativen Grundlagen ist für sie geradezu konstitutiv. Es bedarf mithin einer „Orientierung über die Orientierungen“ 567 der Medien, eines öffentlichen Nachdenkens darüber, was die Medien bieten und was sie nicht bieten. Angesichts der fortgeschrittenen medialen Durchdringung der gesellschaftlichen und kulturellen Prozesse kommt den Medien auch bei diesem Reflexionsprozess eine maßgebliche Rolle zu. Die festgestellte schwache institutionelle Verankerung der Medienkritik in den Medien bietet für eine kontinuierliche kritische Begleitung der öffentlichen Kommunikation eine nur unsichere Grundlage. Aus diesem Grunde wird in verschiedenen Zusammenhängen diskutiert, welche zusätzlichen Strukturen und Prozesse die öffentliche Auseinandersetzung mit den Medien fördern können. Dazu gehören etwa Formen der Selbstkontrolle, medienethische Diskurse, die Institutionalisierung von Beobachtern etwa im Sinne eines Medienrates oder einer Stiftung Medientest sowie die verstärkte Aktivierung der Öffentlichkeit als kritische Beobachterin der Medien. Besondere Relevanz kommt auch den Entwicklungen auf dem Gebiet der Metamedien zu. Unter den neuen technischen Rahmenbedingungen werden diesen Dienstleistungen erhebliche Einflusspotenziale zukommen. Die wachsende Bedeutung der Metamedien und Suchmaschinen schafft etwa Anlässe, diese bei der Vielfaltsicherung besonders zu beachten, denn in der unübersichtlicher werdenden Medienlandschaft können diese Dienste strategische Bedeutung erlangen. Erkannt ist mittlerweile die herausragende Rolle der Suchmaschinen im Internet, zumal in diesem Bereich eine dominante Stellung eines Anbieters (Google) existiert, der noch dazu beständig andere Bereiche der onlinebasierten Kommunikation (wie E-Mail-, Video- oder OfficeAnwendungen) in sein Angebot integriert. Die Herausbildung individualisierter Metamedien reduziert zwar das Risiko eines Missbrauchs dieser Schlüsselstellung, leistet aber dafür einer Entwicklung Vorschub, bei der der Einzelne nicht einmal mehr die Themenangebote der öffentlichen Kommunikation wahrnimmt, da er nur das wahrnimmt, was er gezielt sucht. Mit der Nutzung von traditionellen Massenmedien will sich der Nutzer von Dritten etwas herrichten lassen, er erwartet Unerwartetes. 3.3.3.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte Im Hinblick auf die zunehmende Bedeutung der Metamedien sei an dieser Stelle nur kurz auf den dadurch entstehenden Bedarf hingewiesen, diese auch im Rahmen der an den Prinzipien der Vielfalt und des chancengleichen Zugangs orientierten Medienregulierung zu berücksichtigen (s. Kapitel 3.3.1). Im Hinblick auf die Sicherung einer nachhaltigen Medienkritik in den Medien liegen nur wenige kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte vor. Es ist jedoch davon auszugehen, dass Initiativen, die ganz allgemein darauf abzielen, den öffentlichen medienkritischen Diskurs zu beleben und zu stützen, indirekt auch auf die Art der medienbezogenen Berichterstattung in den Medien zurückwirken dürften. Um das öffentliche Nachdenken über die Medien und ihre Leistungen zu fördern, existieren verschiedene Modelle der Institutionalisierung medienkritischer Diskurse. In dem vor 1995 publizierten „Bericht zur Lage des Fernsehens“ waren in diesem Zusammenhang etwa ein Medienrat sowie eine Stiftung Medientest angeregt worden. Ersterer war als kritische Begleitung der Entwicklung durch unabhängige Persönlichkeiten gedacht, Letzterer als sachkundige Instanz zur Bewertung einzelner Angebote auch für die Nutzerinnen und Nutzer. Zentrales Anliegen solcher Modelle ist es, angesichts der Bedeutung der Medien in der Gesellschaft unabhängige Beobachterinstanzen zu schaffen, die ihre Befunde öffentlich thematisieren und damit einem medienkritischen 567 Vgl. Weiß 2005b, S. 18. 311 3. Trends und Perspektiven Diskurs Anlass und Stoff geben. Die Diskussion um eine Institutionalisierung des Diskurses über Qualität hat sich 2008 intensiviert, so dass sich Medienpolitik auf konkreter werdende Vorschläge und Versuche (im Rahmen einer Expertise des Adolf-Grimme-Instituts) beziehen kann. Zu den potenziellen kontinuierlichen Beobachtern der Mediennutzung gehören auch entsprechende wissenschaftliche Infrastrukturen, die durch öffentliche und/oder private Förderung gesichert werden. Im Hinblick auf eine kontinuierliche Beobachtung der Entwicklung der Medienangebote und Medienfunktionen liegen zwar zahlreiche – zu einem großen Teil von den Landesmedienanstalten in Auftrag gegebene – Studien vor; diese sind aber nur ausnahmsweise, etwa im Bereich der Programmforschung im Fernsehbereich 568 , langfristig angelegt und laufen daher Gefahr, nur punktuell öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen. Für ein stabiles Netzwerk der Medienkritik ist auch eine dauerhaft abgesicherte unabhängige Medienforschung eine wichtige Voraussetzung. Im Hinblick auf mögliche Anknüpfungspunkte gegenüber der Medienwirtschaft ist auf Vorschläge hinzuweisen, die auf eine „Media Governance Initiative“ hinauslaufen. Sie soll es Medienunternehmen erleichtern, der besonderen gesellschaftlichen Verantwortung ihrer Tätigkeit gerecht zu werden, indem sie sich stärker an Stakeholder-Modellen orientieren. Statt kurzfristiger Gewinnerwartungen würde der langfristige Erfolg durch verbindliche Kommunikationsbeziehungen mit den unterschiedlichen Anspruchsgruppen der Gesellschaft im Vordergrund stehen 569 . In diesem Zusammenhang ist auch an die Weiterentwicklung von Verfahren der Selbst-Evaluation und -Kontrolle von Medienunternehmen zu denken, wie sie im Bereich des Jugendmedienschutzes bereits recht weit reichend implementiert wurden (s. Kap. 2.6). Dabei können unterschiedliche Medien unterschiedliche Konzepte erfordern; überschaubare Anbieterstrukturen und Regulierungstradition im Fernsehbereich können eine verbindliche Einbeziehung externer Selbstkontrolleinrichtungen erleichtern, während der inhomogene und weniger verbandserfahrene Bereich interaktiver Medien auch von Initiativen interner Selbstkontrolle einzelner Unternehmen profitieren kann, die als best practice Nachahmer finden („Leuchtturmfunktion“). Durch die Diskussionen über geeignete Verfahren einer gesellschaftlich verankerten Medienkritik zieht sich auch das Argument, dass es einen Bedarf für zivilgesellschaftliche Partizipation an medienbezogenen Entscheidungsverfahren gebe und die Nutzer selbst stärker zu beteiligen seien. Ansätze für Maßnahmen zur Förderung von Nutzerautonomie und Nutzerschutz sind derzeit zum Teil auf Länderebene zu beobachten 570 . Konkrete Ansatzpunkte bestehen etwa in Qualitätskennzeichen. Letzteres bezieht sich auf eine aktuelle, auch in anderen Ländern geführte Debatte, die die in anderen Branchen entstandene Diskussion um Qualitätsmanagement und Evaluationsverfahren auch in den Medienbereich überträgt. Ausgangspunkt ist die Einsicht in die Tatsache, dass sich die Qualitätskontrolle im Fernsehbereich für die Nutzer als besonders schwierig erweist. Ob ein Unterhaltungsangebot den jeweiligen Erwartungen entspricht, ob eine Informationssendung den Kriterien journalistischer Professionalität entspricht – diese Fragen lassen sich für die Nutzerinnen und Nutzer, wenn überhaupt, allenfalls nach der Rezeption des Angebots beurteilen; Mediengüter sind Vertrauensgüter. Aus diesem Grunde besteht auch weitgehend Einigkeit darin, dass die Perspektive der Zuschauerinnen und Zuschauer nicht allein an den erzielten Reichweiten und Marktanteilen festgemacht werden kann. Zu den Instrumenten, evaluative Mechanismen im Medienbereich einzusetzen, gehören u. a. auch so genannte Gütesiegel oder Qualitätskennzeichen; bekannt sind diese etwa aus den Bereichen Umwelt („Umweltengel“) und Er- 568 Vgl. grundsätzlich Weiß 1998 und aktuell Trebbe 2004 sowie, im Auftrag der ARD/ZDF-Medienkommission, Krüger 2002. 569 Vgl. Trappel u. a. 2002; Jarren/Zielmann 2005, S. 565. 570 Ein aktueller Überblick über die Institutionen und Verfahren, mit denen in den verschiedenen europäischen Ländern versucht wird, die Interessen der Mediennutzer zu sichern, findet sich in Baldi/Hasebrink 2006. 312 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten nährung (diverse Kennzeichen für kontrollierten biologischen Anbau). Diese zielen insbesondere auf öffentliche Aufmerksamkeit für das Qualitätsthema sowie auf ermutigende und motivierende Anreize für ambitionierte Anbieter ab. In der konkreten Umsetzung kommt es maßgeblich darauf an, inwieweit das betreffende Qualitätssiegel hinreichend Glaubwürdigkeit erwerben kann; Voraussetzung dafür dürfte insbesondere sein, dass die Unabhängigkeit des Evaluationsverfahrens sowohl von den Veranstaltern als auch von der Medienpolitik gewährleistet ist. Daneben sind die für die rechtliche Aufsicht im Rundfunk etablierten Landesmedienanstalten in diesem Bereich unterstützend tätig und damit auch ein Anknüpfungspunkt für eine weitere Optimierung des Systems. Eine Initiative der Arbeitsgemeinschaft der Landesmedienanstalten (ALM) zielt darauf ab, dieses Instrument bekannter und so einfach wie möglich handhabbar zu machen. Mit der Website „www.programmbeschwerde.de“ soll den Nutzerinnen und Nutzern bundesweit eine komfortable Möglichkeit geboten werden, allfällige Beschwerden über das Fernsehprogramm an die richtigen Adressaten richten zu können. 3.3.4 Werbung und redaktionelle Inhalte Werbung wird im Folgenden weniger als ein wesentlicher Faktor der Finanzierung von Medien behandelt (s. Kap. 2.3), sondern als ein Bestandteil von Medienangeboten. Veränderte Rahmenbedingungen haben Konsequenzen für das Verhältnis zwischen Werbung und redaktionellen Angeboten und berühren damit diesbezügliche Trennungs- und Kennzeichnungsgebote, die für verschiedene Medienangebote existieren. 3.3.4.1 Erkenntnisse aus den deskriptiven Teilen Wie in den deskriptiven Teilen dokumentiert wurde, sind alle Einzelmedien, für die Werbeeinnahmen einen maßgeblichen Teil ihrer Einnahmen ausmachen (Zeitungen, Zeitschriften, Hörfunk, Fernsehen), in den Jahren nach dem Boomjahr 2000 mit zum Teil massiven Einnahmeverlusten konfrontiert worden, die zu erheblichen Sparmaßnahmen geführt haben 571 . Der gewachsene finanzielle Druck auf die Medienanbieter machte diese grundsätzlich empfänglicher für Erwartungen der werbetreibenden Industrie. Diese wiederum hat sich mit tief greifenden Zweifeln an der Effizienz klassischer Werbung auseinanderzusetzen. Die Vielzahl der konkurrierenden Werbeträger stellen den Versuch, für bestimmte Produkte oder Botschaften eine breite Aufmerksamkeit zu erzeugen, vor neue Herausforderungen. Frühere Anfechtungen, etwa im Zusammenhang mit der „Zapping“-Diskussion der 90er-Jahre, schienen zwischenzeitlich einigermaßen überwunden, weil die Werbeträgerforschung deutlich machen konnte, dass sie entsprechende Effekte bei der Ermittlung von Werbereichweiten durchaus berücksichtigen kann. Die aktuelle Anfechtung ergibt sich aus der zunehmenden zielgruppenspezifischen Ausdifferenzierung klassischer Medien, insbesondere aber aus den neuen Möglichkeiten individualisierter Adressierung, die sich im Bereich der digitalen Kommunikation ergeben. Die Option, auch großen Bevölkerungsgruppen individuell zugeschnittene Werbebotschaften zukommen und Werbung damit „kommunikativer“ werden zu lassen, lässt klassische Werbung in klassischen Massenmedien weniger Erfolg versprechend erscheinen. Nicht nur die weniger genaue Ansprache ist Grund für die Skepsis, hinzu kommen Befunde, die auf eine allgemeine Werbemüdigkeit der Bevölkerung sowie auf die generell sehr beiläufige Nutzung insbesondere von Hörfunk und Fernsehen hindeuten. Allerdings ist die Akzeptanz von Werbung von Medium zu Medium sehr unterschiedlich ausgeprägt; ganz entschieden negativ wird Werbung im Fernsehen beurteilt, insbesondere Unterbrecherwerbung, während Kinowerbung, die Werbung in Anzeigenblättern oder zum Teil auch in regionalen Tageszeitungen eher begrüßt wird. Reaktionen sind für das Fernsehen Entwicklungen wie der Personal Video Recorder, der bei Aufzeichnungen die Werbung ausblenden kann. Da aus Sicht der Nutzungsforschung 571 Vgl. z. B. das ZAW-Jahrbuch: Werbung in Deutschland 2003. 313 3. Trends und Perspektiven seine Verbreitung nicht unwahrscheinlich ist, stellt er eine Bedrohung für Geschäftskonzepte dar, die darauf basieren, dass getrennte, aber aneinander gekoppelte Teile von Werbung und redaktionellem Inhalt präsentiert werden. Die gestiegene Skepsis gegenüber der Effizienz klassischer Werbeformen führt zu mannigfachen Versuchen, Werbung möglichst kreativ zu gestalten und zu platzieren. Diese Entwicklung wird begünstigt durch die erweiterten technischen Möglichkeiten der Integration von Werbung in digitalisierten Systemen. Im Zuge dessen ergeben sich vielfältige Verknüpfungen zwischen werblichen und redaktionellen Inhalten 572 . Dabei handelt es sich um keinen ganz neuen Trend, da es bereits seit längerem die Tendenz gibt, Werbung möglichst nicht als solche auftreten zu lassen, sondern sie „below the line“ zu präsentieren und zum Beispiel Formen des Sponsoring, Licensing oder des Product Placement einzusetzen 573 . In jüngerer Zeit kommen zum Beispiel Phänomene wie Split-Screens mit ihrer Kombination von Werbung und redaktionellem Inhalt, Anzeigen innerhalb von digitalen Spielen oder die von Googles „AdSense“-Programm praktizierte Selektion von Werbung in Abhängigkeit der Inhalte einer Webseite vor. Auch der an verschiedenen Stellen des deskriptiven Berichtsteils festgestellte Trend zu einer zunehmenden Crossmedialität von Angebotsstrategien erschwert die Unterscheidung zwischen redaktionellem Angebot und Werbung. Gerade im Bereich der Angebote für Kinder ergänzen sich Fernsehserien, Computerspiele, Zeitschriften, Webangebote, Handylogos und Merchandisingartikel in so lückenloser Weise, dass nicht mehr zu unterscheiden ist, wo es sich um inhaltliche Medienangebote, wo um Werbung für diese Angebote handelt 574 . Der gestiegene finanzielle Druck auf die Medienanbieter führt insbesondere in denjenigen Bereichen, in denen die Möglichkeiten einer Finanzierung durch klassische Markenartikel-Werbung begrenzt sind, also etwa im Bereich des lokalen und regionalen Rundfunks, zu neuen Formen der Kooperation zwischen Medienanbietern und Wirtschaft, die von Produktionskostenzuschüssen bis hin zur kompletten Produktion von Beiträgen oder auch ganzen Sendungen durch die kooperierenden Wirtschaftsunternehmen reichen. 3.3.4.2 Gesellschaftliche Relevanz Im Ergebnis all dieser Trends kann von einer zunehmenden Durchdringung der öffentlichen Kommunikation mit Werbebotschaften gesprochen werden 575 . Normativ stehen diesen der für Rundfunk, Telemedien und Presse rechtlich abgestützte Grundsatz der Trennung von Werbung und redaktionellen Angeboten und der Kennzeichnung von Werbung bzw. kommerzieller Kommunikation gegenüber, für die in der Rechtswissenschaft auch eine verfassungsrechtliche Grundlage gesehen wird und für die – für Fernsehen und bestimmte Telemedien – europarechtliche Vorgaben bestehen. Hintergrund dieser Gebote ist die Zielvorstellung, gegenüber den Mediennutzern transparent zu machen, inwieweit sie es mit publizistischer oder mit kommerzieller Kommunikation zu tun haben. Zudem soll die Autonomie der journalistisch-redaktionellen Entscheidung und – bei Filmkunst – deren Integrität geschützt werden. Die Regelungen richten sich also nicht gegen kommerzielle Kommunikation an sich, sondern vor allem dagegen, dass eine solche für die Nutzer nicht erkennbar ist. Ähnlich wie beim Grundsatz der Trennung von Nachricht und Meinung wird die Transparenz der Kommuni- 572 Für einen Überblick vgl. z. B. Volpers u. a. 1998 sowie speziell für den Hörfunk Volpers 2007. 573 Vgl. Auer/Diederichs 1993. 574 Siehe dazu den aktuellen Überblick bei Paus-Hasebrink u. a. 2004. 575 Siehe in Bezug auf die Gesellschaft allgemein Jäckel 1998 sowie speziell mit Bezug auf Werbung für Kinder und Jugendliche Baacke u. a. 1999 sowie Paus-Hasebrink u. a. 2004. 314 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten katorabsichten als entscheidende Voraussetzung für die öffentliche Kommunikation im Sinne einer freien Meinungsbildung angesehen 576 . Seine heutige Brisanz erhält das Thema jedoch dadurch, dass die werbetreibende Wirtschaft der Auffassung anhängt, kommerzielle Kommunikation sei dann umso erfolgreicher, je weniger sie als solche erkennbar sei. Auch wenn diese These aus wissenschaftlicher Sicht eher angezweifelt wird 577 , hat sie in der Praxis doch zur Folge, dass die werbetreibende Wirtschaft ein Interesse daran hat, ihre werbenden Botschaften so in das Programm zu integrieren, dass auch sie als „Programm“ und nicht als Werbung verstanden werden. Insofern besteht ein direkter Gegensatz zwischen dem Interesse an Transparenz und dem Interesse an erfolgreicher Werbung. Das Verwischen der Trennung von Werbung und redaktionellen Inhalten geht also nicht auf punktuelle Umgehungsversuche zurück, sondern hat systematische und strukturelle Ursachen, die sich auf die Handlungslogiken der beteiligten Akteure zurückführen lassen 578 . Für die Perspektive der Werbepraxis wird die zunehmende Bedeutung integrierter Kommunikationskonzepte betont, im Rahmen derer Verstöße gegen den Trennungsgrundsatz nicht als Sündenfall, sondern als „systemimmanenter Bestandteil der kommunikationsstrategischen Verklammerung“ 579 angesehen werden, wonach eine scharfe Trennung von Werbung einerseits und Freizeit/Unterhaltung andererseits kaum mehr durchzuhalten sei. Für den Bereich der Öffentlichkeitsarbeit liegt der ambivalente Befund vor, dass zwar für einen Großteil der Öffentlichkeitsarbeiter auch ProduktPR zum Berufsalltag gehört und damit die Abgrenzung zwischen Werbung und PR nicht immer leicht fällt; allerdings halten die Öffentlichkeitsarbeiter weit überwiegend am Trennungsgrundsatz fest. Aus der Sicht von Redakteuren von Tageszeitungen ist der Trennungsgrundsatz als berufsethische Norm und auch in Form entsprechender Richtlinien für den Redaktionsalltag etabliert. 580 Zugleich lassen sich aber, meist zurückgeführt auf die angespannte wirtschaftliche Lage, zahlreiche konkrete Erscheinungsformen einer zunehmenden Vermischung von redaktionellem und werblichem Angebot verzeichnen. Besondere Relevanz erhält die Auseinandersetzung mit dem Trennungsgebot wie oben gesehen auch im Hinblick auf die spezifische Problematik des lokalen und regionalen Rundfunks 581 . Die Medienpolitik sieht sich deshalb vor die Alternative gestellt, entweder das Trennungsgebot zu relativieren oder dem lokalen/regionalen Rundfunk einen Teil seiner wirtschaftlichen Basis zu entziehen und damit auch der publizistischen Vielfalt im lokalen und regionalen Raum zu schaden. Dass der Grundsatz der Trennung von Werbung und Programm im gesamten Bereich des dualen Rundfunkssystems von Bedeutung ist, hat sich auch Anfang des Jahres 2005 bei der Veröffentlichung von Verstößen gegen diesen Grundsatz durch Tochtergesellschaften der ARD gezeigt. Im Online-Bereich schließlich hat sich bereits eine unüberschaubare Gemengelage an Kombinationen aus redaktionellen und werblichen Angeboten entwickelt. Im Zuge der raschen Ausbreitung des Internets und der bescheidenen Erfolge der Online-Werbung standen verschiedene Formen der Koppelung von Inhalten und bestimmten Vermarktungsstrategien im Vordergrund der Entwicklung. Nach einer ersten Boomphase stellte sich jedoch auch in diesem Bereich zunehmend die Frage der Glaubwürdigkeit der einzelnen Dienste und damit die Frage, wie gegenüber den Nutzern Transparenz über den publizistischen oder werblichen Status der 576 Vgl. Engels 1997, S. 128 ff. 577 Vgl. Baerns 2004. 578 Vgl. Baerns 2004. 579 Baerns 2004, S. 29. 580 Feldschow 2003, S. 129, 134 ff. 581 Analoge Erscheinungsformen sind allerdings seit langem auch aus dem Bereich der Printmedien bekannt; vgl. Baerns 2004. 315 3. Trends und Perspektiven einzelnen Dienste gesichert werden kann. Hinzu kommt, dass im Internet die klassischen Werbeformen zwar den größten Anteil der Umsätze generieren, die Vermarktung im Zusammenhang mit Suchanfragen jedoch am stärksten wächst (vgl. Kap. 1.5.2). Diese findet in der Regel außerhalb publizistischer Angebote im engeren Sinne, sondern im Bereich der Metamedien statt, was den in Kapitel 3.3.3 angesprochenen Bedarf an Transparenz noch erhöht. 3.3.4.3 Kommunikations- und medienpolitische Anknüpfungspunkte Anknüpfungspunkte in diesem Bereich ergeben sich insbesondere im Hinblick auf ein Problembewusstsein für die hier behandelten Phänomene. Eine Handlungsoption ist die Verringerung von Kontrolldefiziten, die aber angesichts der in diesem Bereich beobachtbaren Ambivalenzen im Hinblick auf die strukturellen Probleme nicht allein hilfreich erscheint. Daneben kann es um eine aktivere Teilnahme der Medienanbieter wie auch der Öffentlichkeit an Prozessen der Selbstkontrolle und Selbstregulierung gehen. Die gesetzlichen Grundlagen für eine Trennung liegen vor, es fehlt aber oft an Mitbewerbern oder auch an anderen Organisationen und Einzelpersonen, die gegen Verstöße Protest erheben. Angesichts der gewachsenen koppelproduktartigen Beziehungen zwischen redaktionellen und Anzeigenteilen ist allerdings davon auszugehen, dass sich der Trennungsgrundsatz allein anhand der klassischen Abgrenzungskriterien nicht mehr auf den Begriff bringen lässt. Darauf mit Deregulierung im Sinne einer Aufgabe des Trennungsgrundsatzes oder mit dem Verweis auf die mündigen Bürger/Konsumenten zu reagieren, muss mit Blick auf die Relevanz dieses für die öffentliche Kommunikation maßgeblichen Prinzips und den verfassungs- und europarechtlichen Vorgaben beurteilt werden. Die letztgenannten Vorgaben sind funktionell zu verstehen und zwingen daher nur dazu, den Zweck – vor allem: die Unterscheidbarkeit aus Nutzersicht – zu erreichen, nicht traditionelle Konzepte auf neue Medien zu übertragen. Vielmehr kann ein Ansatzpunkt vor allem in einer Rückbesinnung auf den Kern des Trennungsgrundsatzes, nämlich auf die konsequente Offenlegung der Quellen und Verfahren, mithin auf Transparenz, liegen. Zur Förderung von Transparenz bedarf es der Entwicklung von differenzierten Kriterien zur Unterscheidung und Kennzeichnung verschiedener Formen kommerzieller Kommunikation, an denen sich sowohl die Produzenten als auch die Nutzer orientieren können. Angesichts überraschender Forschungsdefizite in diesem maßgeblichen Bereich des Medien- und Kommunikationssystems sind dazu auch gezielte wissenschaftliche Anstrengungen nötig. Diese können etwa Aufschluss über die kommunikative Abgrenzung von Werbung durch die Nutzer geben 582 , aber auch die Perspektive der Produzenten, der Journalisten oder der Moderatoren von Informationsmagazinen in den Blick nehmen. Ein weiterer Anknüpfungspunkt zur Wahrung des Trennungsgrundsatzes liegt in der Sicherung journalistischer/redaktioneller Autonomie gegenüber den Interessen der werbetreibenden Industrie. Da es auch in diesem Bereich maßgeblich um die Reflexion der Gesellschaft über ihre kommunikativen Bedingungen geht, ist hier auch auf die in Kapitel 3.3.3 angesprochenen Verfahren einer kontinuierlichen Beobachtung der Angebotsentwicklung sowie der Stärkung der Nutzerpartizipation zu verweisen. Grundsätzlich macht die Entscheidung darüber, bei welchen Medien welche Form von Trennung und Kennzeichnung werblicher Kommunikation angebracht ist, darauf aufmerksam, dass Regulierung auch die Erwartung der Nutzerinnen und Nutzer und damit das Medium selbst mit prägt (bspw. Rundfunk als besonders reguliertes Medium). Aktueller Anlass zur medienpolitischen Reflexion über die vorgenannten Fragen ist die Umsetzung der Regeln über Produktplatzierung in der Richtlinie über Audiovisuelle Mediendienste in nationales Recht durch die Länder. 582 316 Vgl. Woelke 2004. 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten 3.3.5 Trends der Angebotsformen Zum Abschluss der potenziellen Handlungsbereiche, die sich aus bestimmten Merkmalen der Angebote ergeben, sollen hier noch einmal wesentliche übergreifende Trends der Angebotsentwicklung skizziert und daraufhin diskutiert werden, ob sich aus ihnen konkreter Handlungsbedarf ergibt. Anders als die vorhergehenden Abschnitte, die jeweils an einem relativ klar abgrenzbaren Problembereich ansetzten, kann es sich hier lediglich um eine skizzenhafte Zusammenschau handeln, um den Versuch, die Fülle medialer Angebotsformen daraufhin Revue passieren zu lassen, an welchen Stellen sich möglicherweise Anlässe für eine tiefer gehende Auseinandersetzung für die Zukunft ergeben. Nicht gesondert thematisiert werden hier Angebotsentwicklungen, die bereits zuvor im Detail herausgegriffen wurden (z. B. das Verhältnis von Werbung und redaktionellem Angebot, s. Kap. 3.4) oder die nach wie vor zu beobachtenden jugendmedienschutzrelevanten Angebote in den Bereichen Gewalt und Erotik bzw. Pornografie (s. Kap. 2.6 sowie 3.1.5). 3.3.5.1 Aktuelle Entwicklungen Im Hinblick auf die aktuelle Entwicklung der Medienangebote stehen insbesondere zwei Fragestellungen im Vordergrund: zum einen der Beitrag der Medien zur politischen Kommunikation bzw. die Rolle der Publizistik im engeren Sinne, zum anderen die Entwicklung neuer Programmformate, bei denen die Veranstalter durch verschiedene, oft als provokant oder Tabu verletzend wahrgenommene Innovationen die Aufmerksamkeit des Publikums zu erregen versuchen. Insbesondere zur zweiten Fragestellung lassen sich seit Jahren immer wieder neue Beispiele anführen, die kurzfristig zu großer Empörung führen. 3.3.5.1.1 Veränderungen in der Publizistik Aufgrund der eminenten Bedeutung der Medien für die öffentliche Kommunikation, für die gesellschaftliche Selbstverständigung über die wichtigen Fragen und Probleme der Gegenwart finden die Leistungen der Medien im Bereich der Publizistik im engeren Sinne besondere Aufmerksamkeit. In den letzten Jahren haben sich die Voraussetzungen für Publizistik in verschiedener Hinsicht maßgeblich gewandelt. Dies betrifft zunächst den Raum, der entsprechenden Inhalten im Angebot der verschiedenen Medien eingeräumt wird. Im Fernsehbereich nimmt die politische Publizistik bei den Hauptprogrammen von ARD und ZDF den seit 1998 vorgenommenen halbjährlichen Programmanalysen zufolge jeweils zwischen zehn und 20 Prozent der Sendezeit ein; einen Ausreißer nach oben gab es im Frühjahr 2003 im Zusammenhang mit dem Beginn des Irakkriegs. Demgegenüber bleibt der Anteil politischer Publizistik bei den privaten Vollprogrammen bei unter fünf Prozent der Sendezeit, einzig RTL überschritt im Frühjahr 2003 zur Zeit des Irakkriegs (knapp zehn Prozent) diese Schwelle und verblieb dann bis 2006 knapp darüber 583 . Inwieweit diese relativ stabilen Anteile für politische Information und der dabei zum Ausdruck kommende Funktionsunterschied zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Programmen im Hinblick auf die Informationsleistungen des Fernsehens angemessen erscheinen, ist umstritten. Kritisch wird angemerkt, dass die Zuschauergruppen, die sich bei ihrer Nutzung überwiegend auf das Angebot privater Veranstalter konzentrieren – dazu gehören insbesondere viele jüngere Leute –, dort nur seltener mit Informationen über aktuelle politische Kontroversen konfrontiert werden. Im Hörfunkbereich zeigen die verschiedenen Programmanalysen der letzten Jahre übereinstimmend, dass die politischen Informationsleistungen im Rahmen der an breite Publika gerichteten Programme auf ein enges Spektrum begrenzt bleiben. Mit Ausnahme der neuen informationsorientierten Spartenprogramme, die weit 583 Trebbe 2004, S. D82. Diese nach wie vor bestehenden Unterschiede zwischen öffentlich-rechtlichen und privaten Programmen kommen auch in den Programmstrukturanalysen der ARD/ZDF-Medienkommission zum Ausdruck, siehe Krüger 2004 sowie Krüger/Zapf-Schramm 2007. 317 3. Trends und Perspektiven überwiegend von den öffentlich-rechtlichen Anbietern angeboten werden, sind die meisten Hörfunkprogramme von Musik dominiert 584 ; insbesondere für private Hörfunkprogramme wurde – unter Verweis auf bestehende Ausnahmen – festgestellt, dass der Anteil gesellschaftlich relevanter Beiträge auf einen „Informationskernbestand“ in den Nachrichten zurückgenommen sei 585 . Die Zahl der im engeren Sinne journalistischen Arbeitsplätze im Hörfunk ist eher rückläufig, private Veranstalter gehen zunehmend dazu über, ihre Nachrichten- und Informationsbeiträge von Agenturen zu beziehen oder Networks zu bilden und die Informationsanteile dann zentral zu produzieren. Dennoch wird dem Hörfunk weiterhin eine wichtige Informationsfunktion zugeschrieben, die sich nicht zuletzt daraus ergibt, dass die Informationen im Hörfunk noch am ehesten auch solche Zielgruppen erreichen, die ansonsten wenig Interesse an politischer Information zeigen, so z. B. Jugendliche 586 . Im Vergleich mit Fernsehen und Hörfunk bieten die Tageszeitungen weiterhin ein besonders umfangreiches Informationsangebot. Im Hinblick auf die publizistische Funktion der Zeitungen wird daher mit Sorge kommentiert, dass die Reichweite der Zeitungen in den letzten Jahren kontinuierlich gesunken ist und gerade die jüngere Generation von diesem Medium nur schlecht erreicht wird. Erschwerend kommt hinzu, dass in den Jahren der Werbekrise gerade auch die Zeitungen unter erheblichen Kostendruck gerieten, der sich auch in Kürzungen bei den redaktionellen Ressourcen niederschlug. Auch und gerade die als „Qualitätszeitungen“ bezeichneten und gemeinhin als journalistischer Maßstab angesehenen überregionalen Tageszeitungen sahen sich gezwungen, ihre Redaktionen zu verkleinern. Im Bereich der Zeitungen hat es in den letzten Jahren immer wieder Versuche gegeben, durch neue Formate und publizistische Konzepte neue Leser zu gewinnen bzw. sich besser auf die veränderten Lebensgewohnheiten der bisherigen Leser einzustellen. Dazu gehörten unter anderem Kompaktformate, die sich vor allem an die mobilen Leser, etwa im öffentlichen Nahverkehr, richten und, wie der Titel eines prominenten Beispiels für diese neuen Zeitungen bereits sagt, in 20 Minuten zu lesen sind. Viele dieser Zeitungen werden als Gratiszeitungen an und in den betreffenden Verkehrsmitteln vertrieben (siehe Kap. 1.1). Haben sich die Voraussetzungen für die publizistischen Funktionen im Bereich der klassischen Medien also eher verschlechtert, so ist mit dem Internet eine neue Informationsplattform hinzugetreten, welche bisher insbesondere im Bereich der Informationsleistungen hohe Funktionalität zugesprochen bekommt (vgl. Kap. 1.5.3). Dabei spielen nicht zuletzt die Anbieter klassischer Medien eine besondere Rolle: Die OnlineInformationsangebote von Fernseh- und Hörfunkanbietern sowie von Zeitungen und Zeitschriften gehören zu den meistbesuchten Adressen. Diese Anbieter nutzen das neue Medium zu Marketing- und Kundenbindungszwecken, indem sie die technischen Möglichkeiten des Internets nutzen, ihr Informationsangebot laufend zu aktualisieren und zusätzliche Informationen und informationsbezogene Dienstleistungen (z. B. Archive und Datenbanken) zu bieten. Diskutiert wird allerdings, inwieweit der sich in diesem Umfeld entwickelnde Online-Journalismus den klassischen Kriterien für publizistische Angebote genügt; insbesondere angesichts des Aktualitätsdrucks und der schwer erkennbaren Verknüpfungen von redaktionellen, marketingorientierten und werbenden Inhalten werden Qualitätsprobleme des Journalismus im Online-Bereich kritisiert 587 . Neben die publizistischen Internetangebote im engeren Sinne tritt eine Vielzahl von interaktiven Kommunikationsräumen (wie Foren oder Weblogs), in denen Personen Informationen austauschen und an Prozessen der politischen Meinungsbildung teilhaben können. Allerdings zeigt sich, dass sich der Nutzerkreis solcher 584 Vgl. zusammenfassend Vowe/Wolling 2004, S. 48. 585 Marcinkowski 1998, S. 174. 586 Holtz-Bacha 1997, S. 298; Six/Roters 1997, S. 9. 587 Vgl. Neuberger 2002; Range/Schweins 2007. 318 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten Angebote oft auf Personen beschränkt, die ohnehin politisch interessiert sind, das neue Medium also nicht per se zur Ausweitung des politischen Interesses führt. 3.3.5.1.2 Realität und „Reality“, Öffentlichkeit und Privatheit Im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stand in den letzten Jahren die vor allem im Fernsehen zu beobachtende, aber alle Medien erfassende Tendenz zu Unterhaltungsformaten, deren Gegenstand das Leben von Privatpersonen in verschiedenen, mehr oder weniger künstlich erzeugten Lebensbedingungen ist. Die entsprechenden Formate versprechen über die Mitwirkung „normaler Menschen“, die sich in bestimmten Situationen zu bewähren haben, eine besondere Authentizität und Realitätsnähe. Für dieses besondere Verständnis von Realität hat sich die Bezeichnung „Reality-Formate“ eingebürgert. Beginnend mit dem die frühen und mittleren 90er-Jahre prägenden Boom der nachmittäglichen Talkshows, in denen Privatpersonen über ihre alltäglichen Sorgen und Probleme diskutierten und stritten, folgten dann Formate, die die Protagonisten in quasiexperimentellen Settings beobachteten. Der bei seinem Erststart im Jahr 2000 besonders umstrittene Prototyp für diese Art des Fernsehens ist das Format „Big Brother“, das mittlerweile in fast 70 Ländern weltweit gelaufen ist und zahllose Folgekonzepte einleitete 588 . Die Kritik richtete sich gegen die Grundidee des Sendungskonzepts, dass Kandidatinnen und Kandidaten sich für eine begrenzte Zeit (bei der ersten Staffel 100 Tage) in einem Container einschließen lassen, in dem sie rund um die Uhr von Kameras beobachtet werden. Integraler Bestandteil des Konzepts ist es, dass die Zuschauer durch entsprechende Meinungskundgaben mitbestimmen, welche der Kandidatinnen und Kandidaten „abgewählt“ werden. Der übergreifende Trend des „Realitäts-Fernsehens“ umfasst verschiedene weitere Formate. So lassen sich Doku-Soaps charakterisieren durch die Verbindung von dokumentarischem Erzählen und serieller Dramaturgie, wie sie in der fiktiven TV-Serie entwickelt wurde. Bereits 1999 war mit Doku-Soaps zu den Themen Krankenhaus (etwa im ZDF über eine „Geburtsstation“), Urlaub („Das Clubschiff“, RTL) und Diät („Abnehmen in Essen“, West3) das Themenspektrum in verschiedene Teilbereiche des Privatlebens ausdifferenziert. Doku-Soaps über Fahr- und Skischulen nutzten das Attraktionselement der Schadenfreude an den Lernschwierigkeiten skurriler Erwachsener und prominenter Gäste. Derzeit sind bevorzugte Themen das Auswandern („Mein neues Leben“, Kabel1) sowie die Beratung bei familiären oder finanziellen Problemen („Super Nanny“ bzw. „Raus aus den Schulden“, beide RTL). An die Seite dieser Einblicke in das Privat- und Berufsleben im Rahmen von Doku-Soaps trat in diversen Reality-Soaps wie „Girls Camp“ oder „House of Love“ der eher voyeuristische Blick auf attraktive menschliche Körper. Während Doku-Soaps Menschen in ihrem eigenen Lebensumfeld filmen, versetzen Reality-Soaps nicht-prominente Kandidaten an bestimmte Schauplätze und binden sie in eine Spielhandlung ein. Eine Abgrenzung der einzelnen Genres fällt insofern schwer, als Hybridformen bewährte Darstellungselemente verschiedener Sendeformen zu einem neuen Sendungsformat kombinieren. So verbindet das in Großbritannien entwickelte Casting-Show-Format „Pop Idols“, hierzulande unter dem Namen „Deutschland sucht den Superstar“ (RTL) bekannt geworden und Vorbild für mehrere ähnliche Nachfolgeformate, die visuelle Attraktivität und die wechselnde Emotionalisierung der Musikshow, das Identifikationspotenzial von Laienkandidaten der Reality-Shows und die alte Geschichte von Erfolg oder Scheitern. Von der Reality-Show „Big Brother“ übernahmen die Formatentwickler nicht nur das Prinzip der nach unterschiedlichen Typen gecasteten Laienkandidaten, der Abwahl durch das Publikum und des direkten Einblicks in das Privatleben der Kandidatinnen und Kandidaten. Eine neue Abwandlung des „Big Brother“-Prinzips besteht darin, die Settings der Reality-Soaps mit prominenten Kandidaten zu besetzen und die Spielanforderungen drastisch zu erhöhen. Das Format „Ich bin ein 588 Vgl. zu diesem Format Bleicher 2000. 319 3. Trends und Perspektiven Star, holt mich hier raus“ (RTL), in welchem Prominente in einem Dschungelcamp kaserniert wurden und verschiedene „Mutproben“ zu absolvieren hatten, geriet angesichts der oft gezielt mit den Ekelgefühlen der Kandidatinnen und Kandidaten spielenden Aufgaben unter heftige Kritik. Die damit fortgesetzte Tradition der Kandidatenquälshows wird weiterentwickelt; so zeigte das MTV-Format „Fear Factor“ den Zuschauern die Panik und Todesangst seiner Kandidatinnen und Kandidaten. Verschiebungen im Verhältnis zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre sind aber auch im Internet zu beobachten. Bereits Mitte der 90er-Jahre, also in der Frühphase des World Wide Web, erstellten Nutzer persönliche Homepages und Online-Tagebücher, doch lagen damals die technischen Hürden noch vergleichsweise hoch: Um Inhalte im Web zu publizieren, waren in der Regel HTML-Kenntnisse vonnöten, und eigener Speicherplatz, um Texte oder Fotos im Netz vorzuhalten, stand nicht ohne weiteres zur Verfügung. Nach und nach entstanden jedoch eine Reihe von spezialisierten Anbietern, bei denen beispielsweise das Anlegen einer Homepage oder (etwa ab dem Jahr 2000) eines Weblogs kostenfrei möglich war. Zudem erleichterten diese Anbieter das Publizieren, indem sie Werkzeuge anboten, die die Gestaltung von Webseiten für Personen ohne weitergehende technische Kompetenzen vereinfachten. Dienste wie LiveJournal (seit 1999), openBC/XING (seit 2003), Facebook (seit 2004) oder studiVZ (seit 2005) etablierten in der Folgezeit auch das Prinzip, Profilseiten mit Informationen zur eigenen Person als Ausgangspunkt der Nutzung anzulegen, von denen aus dann Beziehungen zu anderen Mitgliedern der gleichen Plattform artikuliert bzw. visualisiert werden können 589 . Die Erhöhung der Übertragungsbandbreite und die anhaltende Verbreitung von Digitalkameras fördern schließlich die aktive Nutzung von Plattformen wie Flickr oder YouTube, bei denen Fotos und Videos publiziert und mit anderen geteilt werden können. In dem Maße, wie Mobiltelefone internetfähig werden, verbreitet sich auch die Praxis, entsprechende Aufnahmen direkt nach dem Entstehen online stellen zu können. Aus kommunikationssoziologischer Sicht unterstützen die genannten Dienste das onlinebasierte Identitätsund Beziehungsmanagement, geben ihren Nutzern also Möglichkeiten an die Hand, Informationen zur eigenen Person zu veröffentlichen und darüber den Kontakt mit anderen Menschen zu pflegen oder auch neue soziale Beziehungen aufzubauen. Dabei sind ganz unterschiedliche inhaltliche Spezifizierungen denkbar; so finden sich beispielsweise Plattformen oder Netzwerke zu spezialisierten beruflichen Themen genauso wie für bestimmte Hobbys, Interessen, Lebenslagen oder subkulturelle Gemeinschaften. Selbst wenn sich aber die konkreten Nutzungsmotive unterscheiden, ist den Anwendungen doch gemeinsam, dass ihre Nutzer ausgehend von der Repräsentation der eigenen Person soziale Netzwerke abbilden oder erweitern und dadurch Sozialkapital aufbauen. Darunter sind diejenigen Ressourcen zu verstehen, die einem Menschen durch seine Einbettung in ein Geflecht sozialer Beziehungen zur Verfügung stehen. Es kann beispielsweise den Informationsfluss unterstützen, aber auch gruppenbezogene Identitäten stärken und in Krisensituationen sozioemotionale Unterstützung liefern. Hier ist auch eine Erklärung zu suchen, warum immer mehr Nutzer persönliche Informationen im Internet bereitstellen: Sie werden dadurch auffindbar für andere Personen, die möglicherweise ähnliche Interessen teilen oder auf der Suche nach Menschen mit bestimmten Kompetenzen und Erfahrungen sind. 3.3.5.2 Gesellschaftliche Relevanz Die genannten Entwicklungen der Angebotsformen sind für die öffentliche Kommunikation und damit für die gesellschaftliche und kulturelle Selbstverständigung sowie für den politischen Prozess von erheblicher Bedeutung. Veränderungen im Bereich der Publizistik betreffen die Grundlagen der Demokratie, es geht um die Voraussetzungen für eine freie Meinungsbildung und für die gleichberechtigte Teilhabe aller Bürgerinnen und 589 320 Vgl. Schmidt 2006. 3.3. Vielfalt und Medienqualitäten Bürger an der öffentlichen Kommunikation und an politischen Entscheidungsprozessen. Die Entwicklungen der letzten Jahre zeigen, dass die Rahmenbedingungen für Publizistik schlechter geworden sind. Zum einen fällt es einigen Anbietern angesichts des steigenden Kostendrucks zunehmend schwerer, in qualifizierte Redaktionen sowie in die Ausbildung zu investieren. Zum anderen scheinen auch weite Teile der Nutzerinnen und Nutzer ein nachlassendes Interesse an umfassenden und auch Hintergründe berücksichtigenden Informationen zu zeigen. Daher gewinnt das Argument an Bedeutung, dass politische Informationsangebote nur dann ihre Funktion erfüllen, wenn sie so gestaltet und platziert werden, dass die verschiedenen Zielgruppen sie auch wahrnehmen. Ein hoher Anteil an politischen Informationsangeboten wäre danach noch kein hinreichender Indikator für einen bedeutsamen Beitrag zur politischen Kommunikation. Seit Mitte der 90er-Jahre wird vor diesem Hintergrund eine Debatte um das so genannte Infotainment geführt, ein Sammelbegriff für ganz verschiedene Phänomene im Überschneidungsbereich von Information und Unterhaltung590 . Zu beobachten ist zum einen ein deutlicher Anstieg der Unterhaltungspublizistik, d. h. von Angeboten, die sich der klassischen Informationsformen (Nachrichten, Magazine, Dokumentationen etc.) bedienen, in ihrer thematischen Ausrichtung aber in erster Linie Unterhaltungsinteressen ansprechen. Auf der anderen Seite ist zu beobachten, dass politische Themen zunehmend auch in unterhaltender und/oder personalisierter Form aufbereitet werden, etwa im Rahmen von Talkshows, in Form von „Kanzler-Duellen“ oder durch die Teilnahme von Politikern an Unterhaltungssendungen, die das zunehmende Interesse auch für das Privatleben von Politikern speisen 591 . In die gleiche Richtung weisen Phänomene, die auf kürzere, handlichere, buntere Formen der Informationspräsentation hinauslaufen, wie dies etwa bei neuen Konzepten im Printbereich zu beobachten ist, z. B. Zeitungen, die kostenlos an U-Bahnen ausliegen. Auch wenn eine ausführliche Untersuchung der Erfolgsfaktoren für Tageszeitungen gezeigt hat, dass die verschiedenen Versuche, Informationen „unterhaltsamer“ zu präsentieren, keineswegs entscheidend für den Erfolg zu sein scheinen 592 , zieht sich doch durch die gesamte Diskussion der letzten Jahre die Haltung, Informationsleistungen müssten möglichst gut verpackt