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Die Tageszeitung als Online-Medium - aktuelle Entwicklungen und Vertriebsmodelle Bachelorarbeit im Studiengang Bibliotheks- und Informationsmanagement vorgelegt von Amelie Ganßer Matr.-Nr.: 22785 am 04. Juli 2013 an der Hochschule der Medien Stuttgart Erstprüfer/in: Zweitprüfer/in: Prof. Dr. Martin Götz Prof. Dr. Richard Stang Eidesstattliche Versicherung 2 Eidesstattliche Versicherung Name: Ganßer Vorname: Amelie Matrikel-Nr.: 22785 Studiengang: Bibliotheks- und Informationsmanagement Hiermit versichere ich, Amelie Ganßer, an Eides statt, dass ich die vorliegende Bachelorarbeit mit dem Titel „Die Tageszeitung als Online-Medium - aktuelle Entwicklungen und Vertriebsmodelle“ selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst und keine anderen als die angegebenen Hilfsmittel benutzt habe. Die Stellen der Arbeit, die dem Wortlaut oder dem Sinne nach anderen Werken entnommen wurden, sind in jedem Fall unter Angabe der Quelle kenntlich gemacht. Die Arbeit ist noch nicht veröffentlicht oder in anderer Form als Prüfungsleistung vorgelegt worden. Ich habe die Bedeutung der eidesstattlichen Versicherung und prüfungsrechtlichen Folgen (§ 26 Abs. 2 Bachelor-SPO bzw. § 19 Abs. 2 Master-SPO der Hochschule der Medien Stuttgart) sowie die strafrechtlichen Folgen (siehe unten) einer unrichtigen oder unvollständigen eidesstattlichen Versicherung zur Kenntnis genommen. Auszug aus dem Strafgesetzbuch (StGB) § 156 StGB Falsche Versicherung an Eides Statt Wer von einer zur Abnahme einer Versicherung an Eides Statt zuständigen Behörde eine solche Versicherung falsch abgibt oder unter Berufung auf eine solche Versicherung falsch aussagt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. Heilbronn, den 30.06.2013 Ort, Datum Unterschrift Kurzfassung 3 Kurzfassung Seit gut zehn Jahren sind Tageszeitungen nun flächendeckend mit digitalen Angeboten im Internet vertreten. Die vorliegende Arbeit beleuchtet deren geschichtliche Entwicklung hin zum Online-Medium und erläutert, welche Chancen das neue Trägermedium Verlagen bietet. Schwerpunktmäßig widmet sich die Autorin einer Problematik auf wirtschaftlicher Ebene, welche derzeit die gesamte Branche in Atem hält: Das Geschäft mit gedruckten Zeitungen ist seit Jahren rückläufig; gleichzeitig reichen die Werbeerlöse im Internet - für viele Verlage die einzige Einnahmequelle im digitalen Bereich nicht aus, um den kostspieligen Online-Journalismus zu refinanzieren. Aufgrund dessen sind die Verlage gezwungen, weitere Einnahmequellen für ihre Websites zu generieren. Zahlreiche Tageszeitungen experimentieren aktuell mit sogenannten Paid Content-Modellen. Dem klassischen dualen Geschäftsmodell des Printjournalismus folgend, soll der Nutzer nun auch für die bisher meist kostenfreien digitalen Inhalte bezahlen. In der vorliegenden Arbeit werden verschiedene Paid Content-Strategien wie Online-Subskription oder Micropayments vorgestellt und anhand von Praxisbeispielen bezüglich ihrer Eignung als Bezahlmodell analysiert. Schlagwörter: Tageszeitung, Zeitungskrise, Paid Content, Paywall, Micropayment Abstract For more than ten years by now, daily newspapers have been covering extensively the Internet with digital offers. This bachelor thesis examines how they developed historically into an online medium and explains, which opportunities the new carrier medium offers to publishers. The author focuses on an economic problem, which currently keeps the entire industry in suspense: The business of printed newspapers has been declining for years, at the same time the advertising revenues on the Internet - for many publishers the only source of income in the digital domain - are not sufficient to refinance the costly online journalism. As a result, publishers are forced to generate additional sources of income for their sites. Currently, numerous dailies are experimenting with so-called "paid content"-models. Following the classical dual business model of print journalism, the user is now also supposed to pay for the previously mostly free digital content. In the present paper, different paid content strategies such as online subscription or micropayments are presented and analyzed by means of practical examples with regard to their suitability as a payment model. Keywords: daily newspaper, newspaper crisis, paid content, paywall, micropayment Inhaltsverzeichnis 4 Inhaltsverzeichnis Eidesstattliche Versicherung ..................................................................................... 2 Kurzfassung ................................................................................................................ 3 Abstract ....................................................................................................................... 3 Inhaltsverzeichnis ....................................................................................................... 4 Abbildungsverzeichnis ............................................................................................... 6 Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................. 7 1 Einleitung .......................................................................................................... 8 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel ................................................... 12 2.1 Definition des Zeitungsbegriffs ......................................................................... 12 2.1.1 Klassifizierung von Zeitungstypen .................................................................... 12 2.1.2 Definitionsproblem „Online-Zeitung“ ................................................................. 14 2.2 2.2.1 2.2.2 2.2.3 2.2.4 Geschichte der Tageszeitung ........................................................................... 16 Anfänge der deutschen Tagespresse ............................................................... 16 Aufkommen der Massenpresse ........................................................................ 16 Entstehung des gegenwärtigen Zeitungswesens .............................................. 17 Diversifizierung zum Online-Medium ................................................................ 18 2.3 Funktion und Bedeutung der Tageszeitung ...................................................... 23 2.3.1 Gesellschaftliche Funktionen ............................................................................ 23 2.3.2 Individuelle Bedeutung ..................................................................................... 24 3 Zeitungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland .................................... 25 3.1 Reichweiten Print ............................................................................................. 26 3.2 Reichweiten Online .......................................................................................... 27 3.3 Kombinierte Reichweiten .................................................................................. 28 3.4 Tendenzen unterschiedlicher Trägermedien..................................................... 30 4 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5 4.1.6 Online und Print - ein Vergleich .................................................................... 33 Vertriebsform .................................................................................................... 33 Digitalität und Ubiquität..................................................................................... 34 Aktualität .......................................................................................................... 34 Interaktivität ...................................................................................................... 36 Hypertextualität ................................................................................................ 39 Multimedialität .................................................................................................. 40 4.2 Vorteile Print..................................................................................................... 42 4.2.1 Begrenzung der Information ............................................................................. 42 4.2.2 Physis .............................................................................................................. 43 Inhaltsverzeichnis 5 4.2.3 Exklusivität ....................................................................................................... 43 5 Tageszeitungen in der Krise .......................................................................... 45 5.1 Zerfall des traditionellen Geschäftsmodells ...................................................... 45 5.2 Refinanzierung von Onlineangeboten............................................................... 47 5.3 Zahlungsbereitschaft ........................................................................................ 52 6 Vertriebsmodelle ............................................................................................ 56 6.1 Subskription ..................................................................................................... 56 6.1.1 Das Prinzip Paywall .......................................................................................... 57 6.2 Micropayments ................................................................................................. 61 6.2.1 Social Payment ................................................................................................ 61 6.2.2 Crowdfunding ................................................................................................... 64 6.3 Flatrates ........................................................................................................... 65 7 7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.6 Fallbeispiele .................................................................................................... 66 The New York Times ........................................................................................ 66 The Guardian ................................................................................................... 69 The Wall Street Journal .................................................................................... 73 die tageszeitung ............................................................................................... 75 The Boston Globe ............................................................................................ 78 Schwäbisches Tagblatt..................................................................................... 80 8 Fazit und Ausblick .......................................................................................... 83 Literatur- und Quellenverzeichnis ............................................................................ 88 Abbildungsverzeichnis 6 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Entwicklung der Onlineangebote der Zeitungen in Deutschland ............. 21 Abbildung 2: Verkaufte Auflage der Zeitungen ............................................................ 26 Abbildung 3: Nettoreichweiten Print und Online........................................................... 28 Abbildung 4: Nettoreichweiten Print und Online nach Soziodemographie.................... 29 Abbildung 5: Entwicklung der verkauften Auflage (in Mio.) der Tageszeitungen in Deutschland von 1991 bis 2012 ....................................................................... 30 Abbildung 6: Online-Nachrichten immer populärer ...................................................... 31 Abbildung 7: Empfehlungsfunktionen auf welt.de ........................................................ 38 Abbildung 8: Verteilung der Werbeausgaben .............................................................. 48 Abbildung 9: Begrenzte Zahlungsbereitschaft im Netz ................................................ 52 Abbildung 10: Zahlungsbereitschaft für Internet-Inhalte ............................................... 53 Abbildung 11: Mehr Umsatz dank Paywall .................................................................. 67 Abbildung 12: taz Paywall ........................................................................................... 76 Abbildung 13: Erlöse taz-zahl-ich nach Herkunft und Monatssummen ........................ 77 Abkürzungsverzeichnis 7 Abkürzungsverzeichnis aktual. aktualisiert/e BDZV Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger e.V. Btx Bildschirmtext CEO Chief Executive Officer DLD Digital Life Design dpa Deutsche Presse-Agentur GmbH erw. erweitert/e FAZ Frankfurter Allgemeine Zeitung HTML Hypertext Markup Language IVW Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern e.V. LpA Leser pro Ausgabe neubearb. neubearbeitet/e NpM Nutzer pro Monat NYT New York Times o.J. ohne Jahresangabe PEJ Project for Excellence in Journalism SND Society for Newsdesign taz die tageszeitung TKP Tausender-Kontakt-Preis überarb. überarbeitet/e URL Uniform Resource Locator vollst. vollständig WSJ Wall Street Journal ZAW Zentralverband der deutschen Werbewirtschaft e.V. ZMG Zeitungs Marketing Gesellschaft 1 Einleitung 1 8 Einleitung Wer in den letzten Jahren und vor allem Monaten die Berichterstattung in Presse und Rundfunk, sowie die thematischen Schwerpunkte in Medienblogs aufmerksam verfolgt hat, der ist Zeuge einer schleichenden Panik geworden, die sich derzeit in immer mehr Fällen als begründet darstellt. Das „Zeitungssterben“ ist in aller Munde. Die Insolvenz der Frankfurter Rundschau, sowie das endgültige Aus der Financial Times Deutschland im Dezember 2012 bilden dabei nur die Speerspitze einer Entwicklung, die Verleger und Journalisten zu Recht um die Zukunftsfähigkeit ihrer Druckerzeugnisse bangen lässt. Die Umsatzrückgänge der Zeitungsverlage im Internet-Zeitalter sind dramatisch; die Berliner Zeitung und der Berliner Kurier bauen Personal ab, das Nürnberger Abendblatt wurde bereits eingestellt, die Nachrichtenagentur dapd ist pleite - um nur einige Beispiele zu nennen (vgl. High Potential 2012/2013, S. 11). Personalabbau und Etatkürzungen gehören mittlerweile zum Alltag der Presseverlage (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 10), welche mit sinkenden Anzeigenerlösen, sowie mehr oder minder ausgeprägten Absatzeinbrüchen zu kämpfen haben. Microsoft Geschäftsführer Steve Ballmer prognostizierte bereits 2008 in einem Gespräch mit Redakteuren der Washington Post, dass in zehn Jahren wohl keine Printmedien mehr existieren werden. Jeglicher Medienkonsum würde via Internet bedient, statt gedruckter Zeitungen werde es ausschließlich elektronische Vertriebswege geben. (vgl. Whoriskey 2008) Diese These mag die Situation zwar stark dramatisieren, trotzdem steht Ballmer mit seiner Einschätzung keineswegs allein auf weiter Flur. Auch Größen der Zeitungsbranche wie John Carroll, Ex-Chefredakteur der Los Angeles Times, und Phil Mayer, Autor des Buches The Vanishing Newspaper („Die verschwindende Zeitung“), gehen davon aus, dass es in wenigen Jahrzehnten voraussichtlich keine Papierzeitung mehr geben wird (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 8). Im digitalen Medienzeitalter hat sich die gedruckte Zeitung zu einem Auslaufmodell entwickelt. Die Finanzierung aus Werbe- und Vertriebserlösen, das klassische Geschäftsmodell der Tagespresse, funktioniert nicht mehr, da die Leser, und mit ihnen die Anzeigenkunden nach und nach ins Internet abwandern. Wie lange die Printzeitung im Konkurrenzkampf mit den multimedialen Möglichkeiten des World Wide Web noch bestehen kann, darüber herrscht Uneinigkeit in der Branche. Fakt ist jedoch, dass der Printbereich als Haupteinnahmequelle der Verlage zunehmend an Bedeutung verlieren 1 Einleitung 9 wird. Um ihr Überleben zu sichern, werden die Zeitungshäuser in Zukunft mehr denn je auf Erlöse aus dem Online-Geschäft angewiesen sein. Angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Bilanz der Verlagsaktivitäten im Internet ist dies eine Erkenntnis, die zu recht Unbehagen auslöst. Nur in den allerwenigsten Fällen ist es bisher gelungen, tragfähige Geschäftsmodelle für redaktionellen Online Content zu entwickeln. Jahrelang war in den Presseverlagen der Glaube verbreitet, im Internet nicht auf Vertriebserlöse angewiesen zu sein. Die Zeitungshäuser boten die Inhalte ihrer Publikationen im Rahmen ihrer Online-Präsenzen flächendeckend zum Nulltarif an und verließen sich in finanzieller Hinsicht weitgehend auf das Werbegeschäft. Doch diese Rechnung geht bisher nicht auf. Die Erlöse entwickeln sich zu langsam um die Finanzierung des Online-Journalismus auch nur ansatzweise zu tragen. Jetzt, da sich der Printbereich immer mehr zum Verlustgeschäft entwickelt, macht sich diese Fehlkalkulation besonders schmerzhaft bemerkbar und die Suche nach Alternativen wird immer dringender. Es müssen Vertriebsmodelle entwickelt werden, die den kostspieligen Qualitätsjournalismus im Internet langfristig zu refinanzieren vermögen (vgl. ebd., S. 9f). Diese Notwendigkeit hat in Verlagen weltweit einen Prozess des Umdenkens in Gang gebracht. Die Zahl der Medienhäuser, die im Internet mit sogenannten Paid ContentModellen wie Online-Abonnements oder Micropayments experimentieren, wächst derzeit mit rasender Geschwindigkeit. Der Begriff „Paid Content“ bezeichnet hierbei Inhalte aller Art, welche über digitale Verbreitungswege wie das Internet oder über mobile Dienste gegen Bezahlung verfügbar gemacht werden (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon o.J.a). Während sich der Trend weg vom „Gratisjournalismus“ in den USA schon länger bemerkbar macht, wagen in Deutschland vor allem in den letzten Monaten immer mehr Zeitungshäuser den Schritt in Richtung „Bezahlinhalte“. So führte der Axel Springer Verlag erst im Dezember 2012 für die Online-Ausgabe der Welt eine sogenannte Paywall ein. Nachdem der Zugriff auf das gesamte Artikelspektrum bis dato völlig gratis war, ist seitdem nur noch die kostenlose Lektüre von zwanzig Artikeln pro Monat möglich. Ist diese Anzahl überschritten, so wird der Leser dazu aufgefordert, ein Abonnement abzuschließen, um Zugriff auf weitere Inhalte zu bekommen. Als Vorbild nennt das Unternehmen hierbei die New York Times, welche seit rund zwei Jahren sehr ertragreich mit dem Modell einer solchen „Metered Paywall“ arbeitet. Auf internationaler Ebene kündigten unter anderem Größen wie die Washington Post, der britische Daily Telegraph und die Sun ihre Abkehr von Gratisinhalten an; in Deutschland planen derzeit beispielsweise die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ), sowie die Süddeutsche Zeitung den Einsatz einer Bezahlschranke. 1 Einleitung 10 Die Verlagswelt befindet sich derzeit an einem Scheideweg. Während der Vertrieb journalistischer Inhalte in Form der klassischen Printzeitung kaum mehr vermag, nennenswerte Gewinne zu generieren, gelingt dies im Internet momentan noch in zu wenigen Fällen. Die vielfachen Bestrebungen, zukünftig mit Paid Content-Modellen zu arbeiten, zeigen, dass die Verlage sich dem Ernst ihrer Lage bewusst, und durchaus bereit sind, das bisherige Finanzierungskonzept ihrer Online-Auftritte zu überdenken. Fraglich ist jedoch, inwiefern es überhaupt möglich ist, den „Geist“ zurück in die Flasche zu rufen (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 251), und die Menschen, die die jahrelang vorherrschende Gratismentalität im Netz verinnerlicht haben, davon zu überzeugen, dass guter Journalismus in Zukunft wieder seinen Preis haben muss. Ebenso ungewiss bleibt, ob und in welchem Ausmaß die Einführung von Paid Content-Modellen überhaupt vermag, die finanzielle Talfahrt der Zeitungsbranche zu stoppen. In der vorliegenden Arbeit soll zu Beginn ein genereller Überblick über die Bedeutung des Mediums Tageszeitung und dessen geschichtliche Entwicklung bis zur Diversifizierung zum Online-Medium geschaffen werden. Nachfolgend werden die charakteristischen Merkmale des deutschen Zeitungsmarkts, sowie dessen aktuelle Reichweiten vorgestellt. Hier wird im Speziellen auf die Frage eingegangen, welche Rolle die Onlineangebote der Verlage in diesem Zusammenhang spielen. Schließlich werden die Vor- und Nachteile von Zeitungswebsites im Vergleich mit der klassischen Printzeitung herausgearbeitet. Es soll beantwortet werden, welcher Mehrwert im digitalen Zeitalter noch von gedruckten Tageszeitungen ausgeht und auf welche Weise Print- und Online-Ausgabe möglicherweise sogar eine fruchtbare Symbiose eingehen können, in der jedes Trägermedium seine Stärken gezielt ausspielen kann. Im darauffolgenden Kapitel wird die Entwicklung nachvollzogen, die zur prekären wirtschaftlichen Situation der Verlage geführt hat, und deren verstärkte Hinwendung zum Paid Content erklärt. Das Herzstück bildet schließlich die Beschreibung und Analyse verschiedener Paid Content-Modelle und deren unterschiedlicher Ausprägungsformen. In diesem Zusammenhang werden Anwendungsbeispiele aus der Praxis vorgestellt, um zu veranschaulichen, wie ausgewählte Zeitungsverlage mit diesen Modellen arbeiten. Hierbei beschränkt sich die Autorin nicht nur auf den deutschen Zeitungsmarkt, sondern bezieht Erfahrungsberichte aus dem anglo-amerikanischen Raum mit ein. Das Erkenntnisinteresse dieses Kapitels soll darin liegen, inwiefern die unterschiedlichen Strategien zur Zukunftsfähigkeit von Tageszeitungen beitragen können und welche Vor- und Nachteile sich in Folge ihres Einsatzes ergeben. Hieraus soll abgeleitet werden, für welchen 1 Einleitung 11 Zeitungstyp die jeweiligen Konzepte möglicherweise besonders relevant sind. Abschließend werden die beschriebenen Erfahrungen resümiert; zudem wird die Autorin eigene Einschätzungen zum sinnvollen Einsatz verschiedener Paid Content-Modelle und den Erfolgsfaktoren für deren Akzeptanz darlegen. Der generelle Betrachtungsgegenstand dieser Arbeit sind Tageszeitungen, also jene Zeitungen, die mehr als einmal wöchentlich erscheinen (vgl. Schulze 2001, S. 62), sowie deren Onlineangebote. Darüber hinaus wird sich die Autorin in ihren Ausführungen teilweise auf den gesamten Zeitungsmarkt beziehen, um ein umfassendes Stimmungsbild bezüglich der Situation der Branche wiederzugeben. Der Begriff „Onlineangebote“ wird in der folgenden Arbeit im Hinblick auf die klassischen Websites der Zeitungen verwendet. Hiervon sind sogenannte E-PaperAusgaben zu unterscheiden, welche im Grunde „digitale Faksimile-Versionen einer gedruckten Zeitung mit elektronischen Zusatzfunktionen“ sind (Pürer; Raabe 2007, S. 21). Hierbei wird die Printzeitung originalgetreu ins Online-Medium überführt und mit speziellen Navigations- und Erschließungsmöglichkeiten ausgestattet (vgl. Huber 2007, S. 56). Es handelt sich somit zwar um ein digitales, aber meist auch weitgehend statisches Abbild der Printvariante. Die behandelten Vertriebsmodelle sind allesamt am Prinzip des Paid Content orientiert. Mobile Services, die ebenfalls zu dieser Kategorie gezählt werden können, sind jedoch nicht Gegenstand der Betrachtung. Ebenso wenig werden Strategien in den Bereichen E-Commerce und Internet Services thematisiert. 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 2.1 Definition des Zeitungsbegriffs 12 Zeitungen werden im allgemeinen Verständnis durch die Wesensmerkmale Aktualität, d.h. Neuwertigkeit und Gegenwartsbezogenheit, sowie Publizität, also die grundsätzliche Zugänglichkeit für jedermann, Universalität, die Offenheit nach allen Lebensbereichen hin, sowie Periodizität, das regelmäßige Erscheinen, gekennzeichnet (vgl. Schulze 2001, S. 11). Vereinfacht kann das Medium also wie folgt definiert werden: Die Zeitung ist ein in regelmäßiger Folge erscheinendes, grundsätzlich jedermann zugängliches Medium, das aktuelle Informationen aus allen Lebensbereichen verbreitet. (ebd.) Von der Zeitschrift, einem Medium welches sich durch thematische Begrenzung und gesonderte Stoffdarbietung auszeichnet, grenzt sich die Zeitung vor allem durch ihre inhaltliche Universalität, sowie durch kürzere Erscheinungsintervalle ab. Von Rundfunkmedien wie Radio und Fernsehen unterscheidet sie sich in dem Sinne, dass die Informationsvermittlung über die Zeitung hauptsächlich in gedruckter Schriftform geschieht. (vgl. ebd., S. 11f) 2.1.1 Klassifizierung von Zeitungstypen Die Differenzierung des gesamten Zeitungsangebots kann anhand von drei Kriterien vorgenommen werden: Erscheinungsweise, Vertriebsart und Verbreitungsgebiet. Bezogen auf die Erscheinungshäufigkeit unterscheidet man zwischen Tages-, Wochen- und Sonntagszeitungen (vgl. Schulze 2001, S. 62). Als Tageszeitungen werden in der Bundesrepublik Deutschland diejenigen Publikationen bezeichnet, welche an mindestens zwei Tagen in der Woche erscheinen (vgl. Schütz 2012, S. 570). Dies kann aber als äußerst theoretischer Wert betrachtet werden; in der Praxis haben Tageszeitungen meist eine Erscheinungsweise von Montag bis Samstag, einige Verlage bieten ihren Lesern eine zusätzliche Sonntagsausgabe an. Des Weiteren müssen Tageszeitungen einen aktuellen politischen Teil enthalten und sich durch thematisch unbegrenzte (universelle) Nachrichtenvermittlung und strikte Tagesaktualität auszeichnen (ebd.). Inhaltlich fächert sich die Berichterstattung meist in die Ressorts Politik, Wirtschaft, Zeitgeschehen, Kultur, Sport und Lokales auf. 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 13 Mit lediglich einer Ausgabe pro Woche schließt sich bezüglich der Wochenzeitung eine tagesgebundene Berichterstattung aus. Das Ziel dieses Zeitungstyps ist es vielmehr, Ereignisse in größere Zusammenhänge einzuordnen, zu analysieren, sowie zu kommentieren. Sonntagszeitungen können in ihrer Erscheinungsweise ebenfalls den Wochenzeitungen zugeordnet werden. (vgl. Schulze 2001, S. 66) Ihr inhaltlicher Schwerpunkt liegt meist in den Bereichen Unterhaltung und Sport. Ein weiterer Aspekt zur Differenzierung des Zeitungsangebots ist die Vertriebsart. Hier wird unterschieden, ob eine Zeitung überwiegend über Abonnements (Abonnementzeitungen) oder im Einzelverkauf an der Straße oder am Kiosk abgesetzt wird (Straßenverkaufszeitungen). (vgl. ebd., S. 62) Einen dritten Typus von Zeitungen stellen die Gratiszeitungen dar; diese werden unentgeltlich an den Leser abgegeben, weder im Einzelverkauf noch im Abonnement vertrieben und ausschließlich über Anzeigenerlöse finanziert (vgl. Pürer; Raabe 2007, S. 15). Erwirtschaftet ein Produkt seine Erlöse wie in diesem Fall lediglich in einem Markt, so spricht man von einem sogenannten Monoerlösmodell (vgl. Huber 2007, S. 23). Das letzte Kriterium zur Typisierung von Zeitungen ist das Verbreitungsgebiet. Man unterscheidet diesbezüglich überregionale, regionale und lokale Zeitungen. (vgl. Schulze 2001, S. 63) Eine Lokalzeitung ist an einem bestimmten Standort verbreitet und konzentriert ihre Berichterstattung hauptsächlich auf diesen Wirkungsraum. Die Regionalzeitung ist ebenfalls vornehmlich in einer bestimmten, wenn auch etwas größeren Region verbreitet. Ähnlich der Lokalzeitung behandelt sie überwiegend lokale und regionale Themen, verfügt zudem aber auch über einen beachtlichen Anteil an allgemeiner Berichterstattung. Ein Großteil der Regionalzeitungen produziert zudem Ausgaben für verschiedene Standorte und fungiert somit gleichzeitig auch als Lokalzeitung mit einer verstärkten Regionalberichterstattung. Als überregionale, bzw. nationale Presse werden jene Druckerzeugnisse bezeichnet, von deren Auflage mindestens 20 Prozent dauerhaft außerhalb ihres Kernverbreitungsgebietes abgesetzt werden. (vgl. ebd., S. 65) Inhaltlich deckt die überregionale Zeitung mit ihrer Berichterstattung und Kommentierung ein breites Themenspektrum in den Bereichen Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur ab (vgl. ebd., S. 66). 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 14 2.1.2 Definitionsproblem „Online-Zeitung“ Versucht man sich nun an einer eindeutigen begrifflichen Definition der Internetauftritte von Zeitungen, so kann diesbezüglich nicht auf allgemeingültige Standards zurückgegriffen werden; der Sachverhalt bedarf einer tiefergehenden Betrachtung. Im Alltag erfährt der Begriff „Zeitung“ meist eine klare Materialisation. Wer diesen verwendet, hat tendenziell ein auf Papier gedrucktes Exemplar vor Augen; die Bezeichnung bezieht sich also auf die physische Erscheinungsform. (vgl. Neuberger 2003, S. 20) Die Websites der Verlage werden hingegen in vielen Fällen ohne weiteres als „OnlineZeitungen“ bezeichnet. Aber ist es überhaupt legitim, den Zeitungsbegriff auch auf das Internet bezogen zu verwenden? Bezieht sich dieser nicht ausschließlich auf die „klassische“ Zeitung, das bedruckte Papier? Ist das Internet an sich nicht das Medium, das hierbei im Vordergrund steht? Oder dient es in diesem Fall lediglich als „technische Plattform“ für ein anderes Medium - die Zeitung? (vgl. ebd., S. 17) Um diese Fragen zumindest ansatzweise beantworten zu können, ist es notwendig, sich genauer mit den gültigen Definitionen des Zeitungsbegriffs auseinander zu setzen. Zu diesen zählt unter anderem eine These aus der 1931 erstmals veröffentlichten „Zeitungslehre“ von Emil Dovifat, dem Nestor der deutschen Publizistikwissenschaft (vgl. ebd., S. 20), in der er zu folgender Aussage gelangt: Die Zeitung vermittelt jüngstes Gegenwartsgeschehen in kürzester, regelmäßiger Folge der breitesten Öffentlichkeit. Jede dieser drei Aufgaben steht im letzten Steigerungsgrad. (Dovifat/Wilke 1976, S. 16) In seinen weiteren Ausführungen macht Dovifat deutlich, dass der Gegenstand der „Zeitungslehre“ sich nach seinem Verständnis auf die durch Druck und Papier hergestellte Zeitung beschränkt (vgl. Neuberger 2003, S. 20). In der bereits zu Beginn dieser Arbeit verwendeten Definition (siehe Abschnitt 2.1) findet die Materialisation als entscheidendes Merkmal der Zeitung hingegen keine Erwähnung. Auch Zeitungsforscher Robert Brunhuber erklärte bereits im Jahre 1907, dass die Vervielfältigung durch den Druck nur eine „vorrübergehende Erscheinungsform“ der Zeitung sei, „die mit dem spezifischen Wesen der Zeitung nichts zu tun ha[be]“ (Groth 1960, S. 53). Mit der gleichzeitigen Erwähnung der Möglichkeit einer auf elektronischem Wege verbreiteten Zeitung (vgl. ebd., S. 54) war er seiner Zeit weit voraus. Auch die frühe Kommunikationswissenschaft legt den Zeitungsbegriff breiter und dynamischer aus, ohne die Materialisation als notwendiges Merkmal zu definieren (vgl. Neuberger 2003, S. 20). 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 15 Arthur Sulzberger Jr., Herausgeber der New York Times, drückt sein Verständnis des Zeitungsbegriffs ebenfalls losgelöst vom Trägermedium aus: „Newspapers can not be defined by the second word - paper. They´ve got to be defined by the first - news” (Gates 2002). Im Zuge der technischen Entwicklungen verlieren die Definitionen traditioneller Massenmedien immer mehr an Trennschärfe. So existieren heutzutage auch reine Onlineanbieter von Nachrichten, die keine Diversifikation eines Printmediums sind, sich aber trotzdem als Zeitung bezeichnen. Bekannte Beispiele hierfür sind die Netzeitung in Deutschland, oder die Huffington Post aus den USA. Die Streitfrage, ob man ein reines Onlineangebot als Zeitung bezeichnen darf, wurde vor etwas mehr als zehn Jahren schließlich gerichtlich geklärt. Das Oberlandesgericht Köln (Urteil vom 19.01.2001, Az.: 6 U 78/00) hatte damals entschieden, dass damit keine Irreführung des Publikums verbunden sei, weil das Internet inzwischen fest im Bewusstsein der Bevölkerung verankert sei. Solche analogen Begriffsbildungen seien im Fall neuer, noch unbekannter Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten sogar notwendig, um ihren Zweck zu verdeutlichen. (vgl. Neuberger 2003, S. 25) Abschließend lässt sich also folgende Erkenntnis gewinnen: Bereits lange Zeit vor der Existenz des Internets zogen bedeutende Publizisten die Möglichkeit in Betracht, dass die Zeitung eines Tages auch in immaterieller Form verbreitet werden könne, und somit auch eine begriffliche Loslösung vom Papier durchaus möglich sei. Die allgemeingültigen Eigenschaften der Zeitung (Aktualität, Publizität, Universalität, sowie Periodizität) legen diese ebenfalls nicht auf ein bestimmtes Trägermedium fest. Auch von rechtlicher Seite aus steht der Bezeichnung „Online-Zeitung“ grundsätzlich nichts im Wege. Bezieht man jedoch mit ein, wie unterschiedlich sich die Erscheinungsformen journalistischer Inhalte im Internet ausprägen, so umgibt den Ausdruck erneut eine gewisse Begriffsunschärfe (vgl. ebd., S. 25f). Zum einen ist da das E-Paper, das die gedruckte Zeitung in Bezug auf Layout und Inhalt eins zu eins abbildet und statisch am Bildschirm wiedergibt. Zum anderen das interaktive Onlineangebot, welches die Inhalte der Printzeitung audiovisuell anreichert, bzw. eine eigenständige Berichterstattung liefert. Websites von Tageszeitungen - der Forschungsgegenstand dieser Arbeit - stellen ihren Lesern ein sich immer weiter ausdifferenzierendes multimediales Informationsangebot zur Verfügung. Der zunehmende Einbezug von Podcasts, Videos und anderen audiovisuellen Darstellungsformen macht die Abgrenzung zum Rundfunk bezüglich einer eindeutigen Definition sehr schwer. (vgl. ebd., S. 26) Deshalb wird die Autorin in der vorliegenden Arbeit auf den Begriff „Online-Zeitungen“ verzichten und bezüglich der Zeitungs-Websites von „Onlineangeboten“ sprechen. 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 2.2 16 Geschichte der Tageszeitung 2.2.1 Anfänge der deutschen Tagespresse Die nachweislich erste Tageszeitung erschien in Deutschland bereits im Jahre 1650. Hierbei handelte es sich um die von Timotheus Ritzsch, einem Leipziger Buchdrucker und Buchhändler gegründeten „Einkommenden Zeitungen.“ (vgl. Schulze 2001, S. 21) Nicht zufällig wurde das Blatt in Leipzig herausgegeben, „wo sich zahlreiche Postlinien kreuzten und somit ein reiches Nachrichtenangebot gewährleistet war“ (Welke 1981, S. 164). Ritzsch gilt nach heutigem Ermessen als Erfinder der Tageszeitung. Im 18. Jahrhundert erschienen die Zeitungen mit zwei, drei oder vier Ausgaben pro Woche. Diese wurden zu jener Zeit durch die Post vertrieben, wobei ihre Auflage anfangs lediglich 150 bis 200 Exemplare betrug. Zu Beginn bestanden die Druckerzeugnisse aus nicht mehr als spärlichen vier Seiten, nahmen bis zum Ende des Jahrhunderts jedoch beträchtlich an Umfang zu und begannen ab 1810 schließlich das Angebot nach Sparten aufzufächern. (vgl. Schulze 2001, S. 22) Um die Mitte des 18. Jahrhunderts erschienen im deutschen Sprachgebiet bereits circa 90 Zeitungen mit einer durchschnittlichen Auflage von jeweils mehr als 2000 Stück. Trotz dieser - nach heutigen Maßstäben - sehr niedrigen Zahl, erreichten die Tageszeitungen eine beträchtliche Reichweite von mehr als einer halben Million Lesern. (vgl. Welke 1981, S. 163ff) Die Begründung ist simpel, so war es üblich, die Lektüre der Zeitung in Gruppen zu vollziehen (vgl. Schulze 2011, S. 22). 2.2.2 Aufkommen der Massenpresse Im 19. Jahrhundert wurde die Weiterentwicklung des Zeitungswesens durch mehrere gesellschaftliche Faktoren entscheidend beeinflusst. Bahnbrechende technische Erfindungen im Zuge der Industrialisierung wie die Schnellpresse (1812), die Rotationsmaschine (1845) und die Linotype-Setzmaschine (1886) ermöglichten eine deutlich rationellere Produktion der Druckerzeugnisse. (vgl. Deutsche Tageszeitungen o.J.) Gleichzeitig vergrößerte die zunehmende Bildung und Alphabetisierung der Bevölkerung die Gruppe der Zeitungsleser erheblich. Als Konsequenz entstanden in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland schließlich die ersten Großverlage. Der deutlich gestiegene redaktionelle und technische Aufwand machte eine verstärkte Arbeitsteilung notwendig, die die Zeitung zum Produkt eines komplexen Unternehmens mit den Einheiten Redaktion, Anzeigenwesen, Technik und Vertrieb werden ließ. (vgl. Schulze 2001, S. 25f) 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 17 Bis dato war die Zeitung ein teures Gut gewesen, das weitgehend über Vertriebserlöse finanziert wurde. Die Verlage bedienten damit lediglich eine kleine, privilegierte Gruppe von Kunden, die zum einen lesen konnten, politisch interessiert waren und gleichzeitig über ein entsprechendes Einkommen verfügten. (vgl. Picard; Dal Zotto 2006, S. 5) Als im Jahre 1850 schließlich das staatliche Anzeigenmonopol der „Intelligenzblätter“ fiel (Zeitungen, die ein Monopol auf Anzeigen und Inserate hatten) (vgl. Nohr 2011, S. 71), und die Verlage mit dem Anzeigenverkauf ihre zweite Einnahmequelle gewannen, hatte dies eine deutliche Reichweitenerhöhung der Blätter zur Folge: Die Verkaufspreise konnten gesenkt werden, was den Absatz der Zeitungen in der breiten Masse ermöglichte. Diese Entwicklung löste eine Welle von Verlagsgründungen aus, sodass in Deutschland Ende des 19. Jahrhunderts eine stattliche Anzahl von circa 3500 verschiedenen Zeitungen existierte. (vgl. Deutsche Tageszeitungen o.J.) Das uns heute bekannte und gemeinhin als „klassisch“ bezeichnete duale Geschäftsmodell der Zeitungen, die Mischfinanzierung aus Vertriebs- und Anzeigenerlösen, etablierte sich folglich erst Mitte des 19. Jahrhunderts (vgl. Nohr 2011, S. 71). 2.2.3 Entstehung des gegenwärtigen Zeitungswesens Vom 19. bis weit ins 20. Jahrhundert hinein waren Einzelunternehmen, sowie Personengesellschaften die hauptsächliche Unternehmensform des Zeitungsverlags in Deutschland. Bedingt durch das Aufkommen der Massenpresse entstanden schließlich auch die ersten Großunternehmen, welche die Synergieeffekte in der Produktion und Herausgabe verschiedener publizistischer Objekte nutzten. Vorreiter diesbezüglich war Rudolf Mosse, dessen Verlagsunternehmen ein breites publizistisches Spektrum von der Qualitätszeitung Berliner Tagblatt über die Berliner Morgen-Zeitung, die HandelsZeitung bis hin zu humoristischen Zeitschriften, Fachzeitschriften und Adressbüchern anbot. (vgl. Schulze 2001, S. 26f) Ihre volle Blüte erlebte die Zeitungsbranche in den 1920er-Jahren. Da das Radio zu jener Zeit noch kaum verbreitet war, blieb die Zeitung als wichtigstes Massenmedium praktisch konkurrenzlos. Zum Ende der Weimarer Republik existierten in Deutschland 4703 Wochen- und Tageszeitungen mit einer Gesamtausgabe von 25 Millionen Exemplaren - so viele wie niemals zuvor oder danach. (vgl. Deutsche Tageszeitungen o.J.) Einen drastischen Einschnitt in dieser Entwicklung stellte die nationalsozialistische Machtübernahme dar, im Zuge welcher die Pressefreiheit aufgehoben und die Zeitungen mehr und mehr als Werkzeuge der Propaganda missbraucht wurden. Zahlreiche Verlage wurden geschlossen oder zu einem nationalsozialistischen Presseimperium 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 18 zusammengelegt. Bedingt durch die Kriegsgeschehnisse wurde eine weitere Vielzahl von Zeitungshäusern zerstört, sodass die Gesamtzahl der deutschen Zeitungen bis zum Ende des Krieges dramatisch sank. (vgl. Schulze 2001, S. 31) Erst im Jahr 1949 kehrte sich dieser Prozess wieder um, als die vorher von den Besatzungsmächten eingeführte Lizenzpflicht abgeschafft wurde. Um eine demokratische Presse aufzubauen, war die Herausgabe von Zeitungen, Magazinen, Zeitschriften und anderen Druckwerken zu Beginn der amerikanischen Besatzung nur jenen Personen gestattet worden, welchen die Besatzungsmächte hierfür eine Lizenz erteilt hatten. Diese waren dazu verpflichtet gewesen, sich einer strengen Vorzensur zu unterwerfen und die Richtlinien der Militärbehörden zu befolgen. (vgl. ebd., S. 49f) Im Frühjahr 1949 begannen die Alliierten das System der Lizenzvergabe nach und nach abzubauen. Am 21. September desselben Jahres trat schließlich das „Gesetz Nr. 5 über die Presse, den Rundfunk, die Berichterstattung und die Unterhaltungsstätten“ in Kraft. Von nun an war es jedem deutschen Bundesbürger, mit Ausnahme ehemaliger Nationalsozialisten, gestattet, ohne Genehmigung eigene Periodika und Einzelschriften zu publizieren. (vgl. ebd., S. 50) Die Generallizenz setzte eine regelrechte Welle von Zeitungswieder- und Neugründungen in Gang. Das Wachstum erreichte im Jahr 1954 schließlich seinen Höhepunkt; zu dieser Zeit erschienen in Deutschland mehr als 600 Zeitungen1 mit insgesamt rund 1600 redaktionellen Ausgaben. Diese hohe Zahl konnte jedoch nicht lange gehalten werden und die Menge der Publikationen nahm rasch wieder ab. Aus wirtschaftlichen Gründen setzte eine Konzentrationsbewegung ein, die erst Mitte der siebziger Jahre wieder ins Stocken kam. Die Struktur des gegenwärtigen Zeitungswesens in Deutschland ist also als Resultat eines kontinuierlichen Wachstumsprozesses entstanden, verbunden mit dem Trend zu immer größeren Verlagseinheiten. (vgl. ebd., S. 69f) 2.2.4 Diversifizierung zum Online-Medium Als Vorläufer der Onlineangebote von Zeitungen gelten die sogenannten Teletextangebote (Videotext, Kabeltext und Bildschirmtext (Btx)), welche in Deutschland erstmals Anfang der achtziger Jahre populär wurden. Videotext und Kabeltext, welche mit dem Fernsehsignal übermittelt werden, wurden von den Zeitungsverlegern zwar genutzt, diese verloren an den „Abrufmedi[en] ohne interaktive Kommunikationsmöglichkeiten“ (Pürer, Raabe 2007, S. 431) aber schnell wieder das Interesse und wandten sich vor1 Pressestatistische Einheit sind in dieser Arbeit die Verlage als Herausgeber. Hierzu lassen sich alle redaktionellen Ausgaben zusammenfassen, bei denen im Impressum der gleiche Herausgeber oder Verleger erscheint (vgl. Pürer; Raabe 2007, S. 20) Bezüglich der vorherigen pressestatistischen Angaben dieser Arbeit war in der Literatur keine Einheit angegeben. 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 19 rangig dem Bildschirmtext zu. Dieser wurde über das Telefonnetz gesendet und stellte ein Dialogmedium dar, von dessen interaktiven Diensten die Nutzer über ihr Fernsehgerät Gebrauch machen konnten. Btx bot zahlreiche Funktionalitäten, die heute über das Internet abgewickelt werden. So war es für die Anwender unter anderem möglich, aktuelle Nachrichten abzurufen, mit anderen Teilnehmern zu chatten, sowie elektronische Mitteilungen in Form von Btx-Seiten zu versenden. 1986 hatten bereits 20 Prozent der deutschen Tageszeitungen ein Btx-Angebot eingerichtet, welches ab Mitte der neunziger Jahre auch über den PC abgerufen werden konnte. In den Anfangstagen des Internets wurde Btx schließlich in „T-Online“ umbenannt und an internationale Telekommunikationsnetze angeschlossen. Durch Btx war es erstmals möglich, eine Bildschirmzeitung mit zusätzlichen interaktiven Serviceleistungen anzubieten. (vgl. ebd.) Mit der rapide zunehmenden Popularität des Internets Anfang der neunziger Jahre wuchs in den Verlagshäusern der Ehrgeiz, sich als einer der Ersten im neuen Markt zu positionieren, und der Bildschirmtext verlor rasch an Bedeutung. Die Innovations-Welle schwappte von den USA aus über Großbritannien und Skandinavien schließlich auch nach Deutschland über (vgl. Fuhrmann 2001, S. 11). Beim Zeitungskongress 1994 in Bonn vertrat der damalige Präsident des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV), Wilhelm Sandmann, eine klare Position zur Rolle der Zeitungsverlage im Internet. Seiner Ansicht nach seien diese aus wirtschaftlichen und publizistischen Gründen dazu verpflichtet, „die Entwicklung der digitalen Informationskultur mitzusteuern und mitzugestalten“ (ebd.); ansonsten würden branchenfremde Wettbewerber ihnen diesbezüglich zuvorkommen. Trotz des ungewissen wirtschaftlichen Erfolgs und dem Fehlen eines klaren Geschäftsmodells wagten die Verlage (somit als einer der Ersten) den Schritt ins World Wide Web. Sie ahnten bereits, dass die Eintrittsbarrieren für Wettbewerber aller Art im Internet weitaus niedriger sein würden als im Printbereich und wollten sich daher so früh wie möglich mit dessen Gesetzmäßigkeiten vertraut machen. (vgl. Kansky 2012, S. 150) „Positionen besetzen, Know-How entwickeln und die Investitionen wegen der geringen geschäftlichen Anreize auf Sparflamme halten“ (Fuhrmann 2001, S. 11) - so lauteten die ersten strategischen Grundsätze der Verlage bezüglich des neuen Mediums. Die ersten Onlineangebote von Zeitungen gab es im Rahmen von Kooperationen mit proprietären Diensten wie CompuServe, Prodigy oder AOL. Diese boten dem Nutzer in Zusammenhang mit dessen Internetzugang ein breites Spektrum an Inhalten, wofür dieser eine monatliche Gebühr zu entrichten hatte. Den Zeitungen wurden auf den Plattformen Areale zur Verfügung gestellt, welche diese zur Vorbereitung auf ihre späteren eigenständigen Websites nutzten. (vgl. Outing 2000, S. 7) 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 20 Zahlreiche Verlage in Amerika und Europa produzierten elektronische Ausgaben und vertrieben diese über jene kommerziellen Internet-Provider. Die Süddeutsche Zeitung war beispielsweise ein früher Partner von CompuServe. (vgl. Fuhrmann 2001, S. 11f) Diese Strategie bot im noch unbekannten, schwer einzuschätzenden neuen Markt Vorteile wie niedrige Investitionskosten, eine funktionierende Infrastruktur, Kundendienst und Inkasso. Viele Zeitungsverlage ließen sich aber auch von den großen Nachteilen wie dem stark eingeschränkten Mitspracherecht, der mangelnden Kundenbeziehung, sowie der Aussicht auf nur einen Bruchteil der Vertriebs- und Werbeumsätze abschrecken. Mit der zunehmenden Durchdringung des Internets gerieten die kommerziellen Onlinedienste zusätzlich unter Druck, da sie gezwungen waren, ihre proprietäre Software durch den allgemeinen HTML-Standard zu ersetzen. Nach und nach nutzten daher immer mehr Verlage die Möglichkeit, ihren Online-Auftritt völlig selbstständig zu gestalten. (vgl. ebd. S. 12f) Insgesamt waren Mitte der neunziger Jahre weltweit ca. 200 Zeitungen mit eigenem Angebot im Netz vertreten; die meisten davon aus den USA. Viele lokale europäische Zeitungsverlage investierten zu jener Zeit vorerst lieber in ein Mailboxsystem. Gegen Abonnement-Gebühren konnte der Nutzer auf diese Weise Informationen und Serviceangebote wie Veranstaltungskalender oder Rubrikenanzeigen beziehen. Die rasante Verbreitung des Internets mit seinem attraktiven „free-content“-Prinzip ließ die Mailboxangebote der Verlage aber schnell umständlich und veraltet wirken. (vgl. ebd., S. 13) Am 5. Mai 1995 errichtete die Schweriner Volkszeitung schließlich als erste Zeitung Deutschlands ein eigenständiges Onlineangebot namens hansenet. Die tageszeitung (taz) startete nach einer Testphase eine Woche später im Netz durch; im selben Monat ging schließlich auch die Welt online. Weitere Vorreiter im Bereich der ZeitungsWebsites waren der Berliner Tagesspiegel, sowie die Rhein-Zeitung aus Koblenz. (vgl. ebd.) Zwangsläufig waren die Nutzerzahlen zu jener Zeit noch äußerst gering; lediglich fünf bis sechs Prozent der deutschen Bürger verfügten über einen Internetanschluss. Trotzdem nahm das Wachstum der Onlineangebote deutscher Zeitungen fortan rasant zu. Allein im Jahre 1995 errichteten rund 50 Zeitungsverlage ein eigenes Angebot im Netz. (vgl. ebd.) Heute sind selbstverständlich alle deutschen Zeitungen im Internet vertreten. 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 21 Das folgende Balkendiagramm des BDZV veranschaulicht die zahlenmäßige Entwicklung der deutschen Zeitungs-Websites von 1997 bis 2012. Abbildung 1: Entwicklung der Onlineangebote der Zeitungen in Deutschland Quelle: BDZV, URL: http://www.bdzv.de/markttrends-und-daten/wirtschaftlichelage/schaubilder/artikel/-8937743f67/9434/ (27.05.2013) Diese Statistik macht deutlich, dass die deutschen Zeitungen seit ziemlich genau zehn Jahren flächendeckend im Netz vertreten sind. Während sich die Zahl der Onlineangebote zwischen 1997 und 2003 noch enorm steigerte, waren ab diesem Zeitpunkt nahezu alle Zeitungen im Internet vertreten und die Werte blieben in den folgenden Jahren relativ konstant. Ein nennenswerter Zuwachs an Verlags-Websites war lediglich noch einmal zwischen 2009 und 2010 zu beobachten. Nach Angaben des BDZV betreiben die deutschen Zeitungen heute 661 Onlineangebote unter 414 URLs (vgl. BDZV o.J.a). Hieraus ergibt sich, dass die Zeitungsverlage bereits viele Jahre Zeit hatten, um Erfahrungen im Onlinebereich zu sammeln. Allerdings ist es bisher nur den wenigsten gelungen, nennenswerte Erlöse aus dem digitalen Geschäft zu erwirtschaften. Dies lässt Rückschlüsse darauf zu, dass die Experimentierfreude der Verlage mit alternativen Geschäftsmodellen über die Jahre nur unzureichend vorhanden war. 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 22 Auch bezüglich des dargebotenen Contents zeichnete sich das Engagement der Verlage im Internet lange Zeit durch eine äußerst defensive Haltung aus (vgl. Neuberger; Nuernbergk; Rischke 2009, S. 178). In den ersten Jahren wurden die Inhalte der Printzeitung meist völlig unverändert im Netz publiziert. Anstatt sich die Darstellungsformen und Charakteristika des neuen Mediums zunutze zu machen, definierten die Verlage dieses vorerst lediglich als zusätzlichen Vertriebskanal der Printausgabe. (vgl. Schwarzer 2010, S. 134) Das vorrangige Ziel bestand darin, die neue Plattform als Mittel der Kundenansprache und -gewinnung für das gedruckte Medium zu nutzen. Um diesem Anspruch in hohem Maße gerecht zu werden, hielt es die Verlegerschaft für sinnvoll, diese „Zweitverwertung“ der Printausgabe gratis im Netz anzubieten. (vgl. Nohr 2011, S. 87) Allein den Zugriff auf das Archiv unterlegten viele Verlage einer Kostenplicht. Da sich die Websites zu jener Zeit lediglich in Zeitlupe aufbauten und die Internetgebühren noch zu Minutenpreisen abgerechnet wurden, war der Spielraum für kostenpflichtige Angebote aber auch strukturell bedingt nur sehr gering. (vgl. Kansky 2012, S. 154) Bis heute weisen die Websites der Tageszeitungen eine enorme inhaltliche Abhängigkeit von ihrem Printmedium auf (vgl. Neuberger; Nuernbergk; Rischke 2009, S. 178); Schwarzer spricht in diesem Zusammenhang von einer Art „Nachrichtenrecycling“ (vgl. Schwarzer 2010, S. 134). Eine Studie von Neuberger, Nuernbergk und Rischke aus dem Jahr 2009 bringt diesbezüglich Bedenkliches ans Licht: So übernimmt im Internet mehr als die Hälfte (52 Prozent) der Anbieter überwiegend Artikel aus dem gedruckten Muttermedium. Circa 24 Prozent der Zeitungs-Websites werden hauptsächlich mit den Meldungen von Nachrichtenagenturen gefüllt; dagegen gaben lediglich drei Prozent der Verlage an, in beträchtlichem Umfang eigene Texte für das Onlineangebot zu verfassen. (vgl. Neuberger; Nuernbergk; Rischke 2009, S. 178) In Bezug auf die zeitnahe Veröffentlichung von Nachrichten hat sich über die Jahre hingegen ein grundlegender Wandel vollzogen. Den Gewohnheiten aus dem PrintGeschäft folgend, wurden die Inhalte der Websites zu Beginn lediglich ein- oder höchstens zweimal am Tag aktualisiert. Zudem war es üblich, wichtige Berichte erst dann im Internet zu publizieren, wenn diese bereits in der Printausgabe erschienen waren. Im Konkurrenzkampf mit Fernseh- und Radiostationen um das aktuellste Nachrichtenangebot hatten die Zeitungsverlage mit dieser „Print-first“-Strategie das eindeutige Nachsehen. Erst um das Jahr 1999 hatte sich die weitaus sinnvollere Veröffentlichungsweise des „Online-first“ durchgesetzt; „Breaking News“ wurden von nun an so zeitnah wie möglich auf den Verlags-Websites veröffentlicht, was die Onlineangebote der Zeitungen bis heute zum aktuellsten aller Nachrichtenmedien macht. (vgl. Outing 2000, S. 31) 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 2.3 23 Funktion und Bedeutung der Tageszeitung 2.3.1 Gesellschaftliche Funktionen Die (Tages-)Zeitung ist neben Zeitschriften, Hörfunk und Fernsehen ein unersetzliches Mittel der Kommunikation in der Gesellschaft. Ihre grundsätzlichen Ziele liegen in der Information, der Meinungsbildung, sowie der Unterhaltung. (vgl. Schulze 2001, S. 13) Welchen Stellenwert das Pressewesen in einer Gesellschaft einnimmt und welche Leistung die Zeitung zu erbringen vermag, hängt jedoch immer vom politischen System ab, in dem sie erscheint. Der totalitäre Staat missbraucht das Medium um dem Volk durch Propaganda ein bestimmtes Meinungsbild aufzudrängen. Im freiheitlich demokratischen Staatswesen ist das primäre Ziel der Presse dagegen die Herstellung von Öffentlichkeit (vgl. ebd.). Grundlage für die Möglichkeit der Austragung von Interessengegensätzen in der Zeitung ist die verfassungsrechtlich verankerte Pressefreiheit. Diese ist laut Bundesverfassungsgericht für ein demokratisches Gemeinwesen „konstituierend“ (ebd.) und fördert den Prozess der öffentlichen Meinungsbildung. (vgl. ebd.) Des Weiteren hat die Zeitung in einer Demokratie die Funktion eines Kontrollorgans. So überwacht sie das gesetz- und rechtmäßige Handeln von Regierung, Parlament, Verwaltung und Rechtsprechung, sowie von Institutionen im öffentlichen Raum und kritisiert deren Verhalten in begründeten Fällen. (vgl. ebd.) Laut der Niederschrift in den meisten Landespressegesetzen der Bundesrepublik nimmt sie eine „öffentliche Aufgabe“ wahr, „indem sie in Angelegenheiten von öffentlichem Interesse Nachrichten beschafft und verbreitet, Stellung nimmt, Kritik übt oder auf andere Weise an der Meinungsbildung mitwirkt“ (ebd.). In einer immer unübersichtlicher werdenden Gesellschaft konstituiert die Zeitung zudem Orientierung, indem sie Vorgänge der Umwelt für den Leser zugänglich und durchschaubar macht. Der Journalist wird gewissermaßen zum „Schleusenwärter“, indem er die Aufmerksamkeit des Lesers durch Berichterstattung auf wichtige Vorgänge in der Gesellschaft lenkt. Zudem vermag die Presse, dem Menschen Verhaltenssicherheit für ein geregeltes Zusammenleben mit seinen Mitbürgern zu geben. (vgl. ebd., S. 14) Wie umfangreich eine einzelne Zeitung diese unterschiedlichen gesellschaftlichen Funktionen wahrnimmt, beziehungsweise wahrnehmen kann, hängt von sehr vielen verschiedenen Faktoren ab. Hier spielen der Zeitungstyp, die jeweilige Zweckbestimmung, die Intention des Herausgebers, sowie das Zielpublikum entscheidende Rollen. (vgl. ebd.) 2 Die Tageszeitung - ein Medium im Wandel 24 2.3.2 Individuelle Bedeutung Historisch gesehen waren Zeitungen die ersten und zunächst auch wichtigsten Institutionen der Massenmedien (vgl. Nohr 2011, S. 1). Das älteste gedruckte Informationsmittel der Welt gilt somit unbestreitbar als eines der wertvollsten Kulturgüter der Menschheit. Durch ihren jahrhundertelang gewachsenen Status als Instanz der Nachrichtenauswahl und -vermittlung genießt die Zeitung das Vertrauen weiter Nutzerkreise, welche dem Medium ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit zusprechen. Insbesondere die sogenannten Leitmedien, wie die global anerkannte New York Times, das Wall Street Journal oder der britische Guardian, nehmen eine bedeutende Leuchtturmfunktion in der weltumspannenden gesellschaftlichen Verständigung ein. (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 28) Für Millionen von Menschen führt der erste Weg am Morgen zum Briefkasten oder Kiosk, um sich bereits beim Frühstück mit den aktuellen Vorgängen in Wirtschaft, Politik, Kultur und Sport auseinanderzusetzen. Die Zeitungslektüre kann als „zivilisiertes Ritual“ bezeichnet werden, welches das Leben des Konsumenten als konstante Größe begleitet und definiert (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 256). In vielen Familien wird dieses Ritual des täglichen Zeitungslesens über Generationen hinweg praktiziert. Der französische Schriftsteller und Kritiker Marcel Proust lies einst verlauten, er lese eine Zeitung vor allem deshalb, „weil er dann das Gefühl habe, Teil einer Gemeinschaft zu sein, die diese Zeitung gleichzeitig lese wie er“ (Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 272). Während der Lektüre stellt sich bei vielen Menschen ein solches Gemeinschaftsgefühl ein, selbst wenn sie in völliger Einsamkeit geschieht. Die Zeitung integriert den Einzelnen auch dadurch in die Gesellschaft, dass sie einen festen Bestand an Alltagswissen vermittelt (vgl. Pürer; Raabe 2007, S. 384). Sie ermöglicht dem Leser, auf der Höhe der Zeit zu sein und sich somit an Diskussionen bezüglich aktueller Themen beteiligen zu können. Auf der Interessenskala der Leser stehen dabei vor allem Informationen über regionale und lokale Ereignisse und Entwicklungen an erster Stelle, was keineswegs verwunderlich ist. So konstituiert die regionale Tageszeitung ein Gefühl der Zugehörigkeit zum Geschehen im direkten Umfeld, indem sie die Lebenswelt der Leser unmittelbar berührt. 3 Zeitungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland 3 25 Zeitungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland Das folgende Kapitel bietet einen Überblick über die Zusammensetzung, sowie die besonderen Merkmale des deutschen Zeitungsmarktes. Des Weiteren soll dargestellt werden, wie sich die Reichweite der gedruckten Zeitung zu jener der Onlineangebote verhält. Ein Großteil der verwendeten Daten basiert auf Ergebnissen der Untersuchung Zeitungsqualitäten 2013 der Zeitungs Marketing Gesellschaft (ZMG). Betrachtet man den deutschen Zeitungsmarkt im internationalen Vergleich, speziell zu den Ländern der westlichen Welt, so wird deutlich, dass sich Deutschland durch eine ausgesprochen große publizistische Vielfalt auszeichnet (vgl. Schulze 2001, S. 62). Im zweiten Quartal des Jahres 2012 existierten in Deutschland 315 lokale und regionale Abonnementtageszeitungen, 10 überregionale Tageszeitungen, 8 Straßenverkaufszeitungen, 6 Sonntagszeitungen, sowie 20 Wochenzeitungen (vgl. ZMG 2013, S. 8). Diese Werte machen den deutschen Zeitungsmarkt zum umfangreichsten in ganz Europa. Die Zahlen spiegeln außerdem wider, was charakteristisch für die deutsche Presselandschaft ist. Analog zur politischen Geschichte Deutschlands entwickelte sich das Pressewesen hier sehr kleinräumig, sodass im Vergleich beispielsweise zur englischen oder französischen Presse eine starke örtliche und landschaftliche Bindung vorherrscht (vgl. Schulze 2001, S. 63). Mit 279 Exemplaren pro 1.000 Einwohner über 14 Jahren verfügt Deutschland zudem über eine der höchsten Zeitungsdichten Europas (vgl. BDZV o.J.a). Die insgesamt 359 deutschen Zeitungen veröffentlichen alles in allem 1532 redaktionelle Ausgaben und bieten ihren Werbekunden mehr als 2400 Anzeigenbelegungseinheiten pro Tag. 2012 wiesen die Zeitungen eine Gesamtauflage von 23,21 Millionen Exemplaren auf, davon 18,39 Millionen Tageszeitungen und 4,82 Millionen Wochenund Sonntagszeitungen. Die deutlich höchste Auflage können mit 13,19 Millionen Exemplaren die regionalen und lokalen Abonnementzeitungen vorweisen. (vgl. ZMG 2013, S. 8) 3 Zeitungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland 26 Einen Überblick über die im vierten Quartal 2012 verkaufte Auflage der verschiedenen Zeitungsgattungen gibt die folgende Statistik, basierend auf einer Datenerhebung der Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW). Abbildung 2: Verkaufte Auflage der Zeitungen Quelle: IVW, URL: http://www.die-zeitungen.de/die-zeitungen/news/article/2258-millionenverkaufte-zeitungsauflage.html (27.05.2013) 3.1 Reichweiten Print Trotz der allgemein sehr negativ bewerteten Situation der Printbranche weisen die deutschen Publikationen eine durchaus positive Reichweitenbilanz auf. Ergebnissen der Media-Analyse 20122 zufolge lesen 49,82 Millionen Menschen jede Ausgabe einer täglich oder wöchentlich erscheinenden Zeitung. Dies wiederum entspricht einer Reichweite von 71 Prozent in der deutschsprachigen Bevölkerung über 14 Jahren. Dabei machen die Tageszeitungen den mit Abstand größten Anteil aus: Ganze 66,6 Prozent der über 14 jährigen erreichen diese täglich. Die größte Reichweite innerhalb des Segments Tageszeitung erzielen mit 53,3 Prozent die regionalen und lokalen Abonnementzeitungen. Die Kaufzeitungen kommen auf eine Reichweite von 20,6 Prozent, die überregionalen Zeitungen noch auf 5,9 Prozent. Die Wochenzeitungen erreichen gerade einmal 2,4 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung; mit 17,6 Prozent liest zudem nahezu jeder Sechste eine Sonntagszeitung. Insgesamt werden Zeitungen 2 Media-Analyse 2012 Pressemedien II 3 Zeitungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland 27 im Wochendurchschnitt ganze 40 Minuten pro Tag gelesen, 82 Prozent der Leser nutzen dabei mindestens die Hälfte aller Seiten. (vgl. ZMG 2013, S. 12) Die höchste Reichweite erzielen die gedruckten Zeitungen mit 81,4 Prozent in der Gruppe der über 50-Jährigen. Im mittleren Alterssegment (30-49 Jahre) liegt diese noch bei starken 69,6 Prozent; die 14-29-Jährigen werden hingegen nur noch zur Hälfte erreicht (50,3 Prozent). (vgl. ebd., S. 13) Diese Zahlen machen deutlich, dass gedruckte Zeitungen - insbesondere in der täglichen Erscheinungsweise - für einen sehr großen Anteil der Bevölkerung immer noch ein ständiger Begleiter, und somit ein denkbar schwer zu ersetzendes Medium sind. 3.2 Reichweiten Online Tageszeitungen sind im Netz angekommen. In der Liste der meistfrequentierten deutschsprachigen Onlineangebote nehmen die Internetauftritte der Zeitungen in ihrer Gesamtheit den Spitzenplatz ein. Laut der im Rahmen der AGOF-Internet Facts 20123 erstellten Auflistung der Top 15 Internetangebote erreichen die deutschen Zeitungen zusammengenommen die meisten Unique User4 pro Monat (vgl. ZMG 2013, S. 15); so besuchen rund 27 Millionen Menschen über 14 Jahren mindestens einmal im Monat eine solche Nachrichten-Website, was einer Unique User-Reichweite von 38,6 Prozent entspricht. Dass die Angebote zudem äußerst umfangreich genutzt werden, spiegelt sich in stattlichen 3,9 Milliarden Kontakten pro Monat wieder. (vgl. Dolder; Donnerstag; Potgeter 2012, S. 127) Wie auch im Printbereich haben hier die regionalen Abonnementzeitungen die Nase vorn; so werden deren Internetauftritte monatlich von 20,15 Millionen Online-Lesern besucht. Jedoch sind mit 15,86 Millionen und 14,29 Millionen Nutzern auch die Webauftritte der überregionalen Zeitungen, sowie jene der Kaufzeitungen unter den Top 15 vertreten. (vgl. ZMG 2013, S. 15) Die Altersstruktur der Online-Leser unterscheidet sich jedoch grundlegend von jener der Leserschaft gedruckter Zeitungen. Die höchste Nutzungsintensität weisen im digitalen Umfeld junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren mit starken 62,7 Prozent Reichweite auf. Knapp dahinter liegt mit 49,9 Prozent die Altersgruppe der 30-49Jährigen; deutlich abgeschlagen sind hingegen die über 50-Jährigen, von denen lediglich 21,4 Prozent die Internetangebote der Zeitungen nutzen. (vgl. ebd., S. 16) 3 4 AGOF Internet Facts 2012-08 (durchschnittlicher Monat (Juni bis August 2012)) Anzahl unterschiedlicher Besucher einer Website innerhalb einer bestimmten Periode. Mehrere Besuche desselben Nutzers werden dabei nur einmalig berücksichtigt (Gabler Wirtschaftslexikon o.J.b) 3 Zeitungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland 28 Generell können sich die Online-Auftritte mit einer sehr intensiven Nutzung durch ihre User schmücken. Durchschnittliche 26 Minuten verweilt der Deutsche auf den Webpages der Zeitungen. Im eindrucksvollen Gegensatz hierzu hält sich der User nur circa acht Minuten auf den Nachrichtenangeboten von Suchmaschinen, Browsern oder Providern auf. Dies lässt darauf schließen, dass sich die Zeitungslesegewohnheiten im Netz zumindest bezüglich der Dauer kaum vom Printbereich unterscheiden. (vgl. ebd.) 3.3 Kombinierte Reichweiten Um gehaltvolle Aussagen über die tatsächliche Nutzung des Mediums (Tages-)Zeitung treffen zu können, ist es natürlich unerlässlich, sich mit den kombinierten Reichweiten gedruckter und digitaler Angebote auseinanderzusetzen. In der Kombination aus Print(Leser pro Ausgabe, LpA) und Online-Ausgabe (Nutzer pro Monat, NpM) erreichen Zeitungen über 79 Prozent der deutschsprachigen Bevölkerung5. Dies macht bei einer Reichweite der Printausgabe von 64,3 Prozent einen zusätzlichen Leseranteil von 15 Prozent aus. Durch das Onlineangebot können also rund 10,5 Millionen zusätzliche Leser erreicht werden. (vgl. ZMG 2013, S. 17) Print und Online zusammengenommen, erreichen Zeitungsverlage heute die höchste Reichweite, die sie in Deutschland jemals erzielt haben (vgl. Kansky 2009, S. 198). Abbildung 3: Nettoreichweiten Print und Online Quelle: VerbraucherAnalyse 2012 Klassik I, ZMG 2013, S. 17 5 Die Doppelnutzung wurde in dieser, sowie den folgenden Ausführungen herausgerechnet 3 Zeitungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland 29 Die Erhebung der „Nettoreichweiten Print und Online nach Soziodemographie“ aus der VerbraucherAnalyse 20126 veranschaulicht unter anderem, wie sich die Reichweitenerhöhung durch das Internet in den verschiedenen Alterssegmenten ausprägt. Während sich die Zahl der Leser in der Gruppe der 14-29-Jährigen durch die Onlineangebote um ganze zwei Drittel erhöht, steigert sie sich im Bereich der über 50-Jährigen nur noch um geringe 5 Prozent. Im mittleren Altersbereich können nahezu 20 Prozent mehr Leser erreicht werden; ein durchaus beachtlicher Wert. Abbildung 4: Nettoreichweiten Print und Online nach Soziodemographie Quelle: VerbraucherAnalyse 2012 Klassik I, ZMG 2013, S. 18 Es stellt sich jedoch die Frage, inwiefern diese Online-Leser einen tatsächlichen Reichweitengewinn darstellen, oder ob es sich hierbei nicht großen Teils um ehemalige Print-Leser handelt, die ihr Abonnement aufgegeben haben und sich fortan nur noch im Internet informieren. Bezüglich der jüngeren Generation, welche zu 63 Prozent regelmäßig die Online-Auftritte der Zeitungen nutzt, erscheint dies sehr unwahrscheinlich; es ist anzunehmen, dass diese den Einstieg ins Medium Tageszeitung über das Internet gefunden hat. Die Generation der über 50 jährigen zieht die Nutzung von Onlineangeboten dagegen kaum in Betracht; auch hier ist ein vollständiger Tausch des Trägermediums sicher nur selten der Fall. Lediglich die 30-49-Jährigen könnten einen solchen Wechsel verstärkt in Betracht ziehen. Um gehaltvolle Aussagen treffen zu können, inwiefern sich die Online-Reichweite zum Nachsehen der Print-Reichweite entwickelt hat, ist es notwendig, die Veränderung der Relevanz beider Trägermedien über die vergangenen Jahre zu vergleichen. 6 VerbraucherAnalyse 2012 Klassik I 3 Zeitungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland 3.4 30 Tendenzen unterschiedlicher Trägermedien Wie aus der folgenden Statistik des BDZV ersichtlich, hat sich die verkaufte Auflage deutscher Tageszeitungen innerhalb der letzten 20 Jahre stark verringert. Diese Entwicklung zeichnete sich bereits vor dem Aufkommen der ersten Zeitungs-Websites im Netz ab, was ein Beleg dafür ist, dass jene nicht der einzige Grund für diesen Rückgang sein können. Während Tagezeitungen im Jahr 1993 noch gut 25,4 Millionen Exemplare absetzten konnten, liegen diese Zahlen mittlerweile bei 18,4 Millionen PrintAusgaben. Auffällig ist zudem, dass diese Entwicklung einen stetigen Charakter hat; die Zahlen werden in den kommenden Jahren weiter sinken. Abbildung 5: Entwicklung der verkauften Auflage (in Mio.) der Tageszeitungen in Deutschland von 1991 bis 2012 Quelle: BDZV, URL: http://de.statista.com/statistik/daten/studie/72084/umfrage/verkaufteauflage-von-tageszeitungen-in-deutschland/ (27.05.2013) Die entscheidende Ursache hierfür liegt neben der unbestreitbaren Konkurrenz durch das Internet (siehe Abschnitt 5.1) in grundlegenden Veränderungen der Gesellschaftsstruktur. Während die (deutsche) Bevölkerung im Zuge des demografischen Wandels kontinuierlich abnimmt, haben sich auch die Haushaltsstrukturen stark gewandelt: Junge Menschen gründen heute deutlich später eine Familie; zudem steigt die Anzahl der Singlehaushalte kontinuierlich. Da der Abschluss eines Zeitungsabonnements aus finanziellen Gründen meist im Rahmen der Familiengründung geschieht, verliert dieses in der Gesellschaft immer mehr an Bedeutung. (vgl. Pürer; Raabe 2007, S. 319) 3 Zeitungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland 31 Dieser kontinuierliche Relevanzverlust der (meist regional orientierten) Tageszeitung wird durch die zunehmende Mobilität der Menschen zusätzlich verstärkt (vgl. Ellers 2012, S. 203). Weltweit sind die Verlagshäuser von solchen mehr oder minder drastischen Auflagenrückgängen betroffen. Im Vergleich zu Deutschland prägt sich dieser im US-Markt noch deutlich schwerwiegender aus. Während dort im Jahr 1998 noch 48,6 Millionen Zeitungsexemplare verkauft wurden, waren es 2008 ganze acht Millionen weniger, was einen Auflagenrückgang von rund 27 Prozent bedeutet. (vgl. Siepmann 2009, S. 16) Analog zu dieser Entwicklung wird das Online-Zeitunglesen immer populärer. Wie aus der folgenden Statistik von Eurostat ersichtlich, zeichnet sich das Wachstum dieses Trends im EU-weiten Vergleich in Deutschland besonders stark ab. Abbildung 6: Online-Nachrichten immer populärer Quelle: Eurostat, URL: http://de.statista.com/themen/176/zeitung/infografik/763/konsum-vononline-nachrichten/ (27.05.2013) Offensichtlich hat es die Zeitungsbranche mit zwei gegenläufigen Entwicklungen zu tun, in deren Rahmen sich das Internet stetig zum bevorzugten Trägermedium für Nachrichten und wandelt. Dieser Prozess ist vor allem eine logische Konsequenz des digitalen Zeitalters: Einer Gesellschaft, die bereits von Kindheit an mit gedruckten Tageszeitungen aufgewachsen ist, steht eine nachwachsende Generation von Digital Natives gegenüber, deren erste Anlaufstelle für die Informationsbeschaffung schon heute das Internet ist. 3 Zeitungsmarkt in der Bundesrepublik Deutschland 32 Zu hoffen, dass es sich hierbei um einen umkehrbaren Trend handelt, wäre nicht nur illusorisch, sondern auch stark rückwärtsgewandt. Die Verlage dürfen das Internet nicht als Konkurrenz ihrer Printausgaben betrachten, sondern müssen die Chance erkennen, die das Medium für die Erweiterung ihres Dienstleistungsspektrums bietet. Die höchst positiv stimmenden Online-Reichweiten bestätigen, dass es den Zeitungshäusern gelungen ist, ansprechende Internetauftritte zu etablieren und sich dadurch einen zusätzlichen (jüngeren) Nutzerkreis zu erschließen. Die Zeitungskrise rührt also keineswegs daher, dass das gesellschaftliche Interesse an qualitativ hochwertigem Zeitungsjournalismus verschwunden ist (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 51). Paul E. Steiger, ehemaliger Chefredakteur des Wall Street Journal, hält den häufig angeführten Leserverlust generell für einen Mythos: Das Print- und Online-Publikum ist zusammengenommen riesig - und es wächst sogar noch. Es ist also absurd zu behaupten, dass die Leserschaft schwindet. Die Frage ist eher, ob die Organisationen, die die Berichterstattung liefern, eine Möglichkeit finden, schwarze Zahlen zu schreiben. (ebd., S. 244) Steigers Aussage bezieht sich zwar grundsätzlich auf den US-amerikanischen Markt, kann aber aufgrund der eben erwähnten hohen (kombinierten) Reichweiten auf die Situation hierzulande übertragen werden. Das Paradoxon liegt gewissermaßen darin, dass die Inhalte der Zeitungen heute über die verschiedenen Distributionskanäle zwar von einem größeren Publikum gelesen werden als jemals zuvor, gleichzeitig sinken aber die Einnahmen stetig. Es liegt nun an den Verlagen, Wege zu finden, die immensen Reichweiten „sinnvoll mit einem tragfähigen Geschäftsmodell zu untersetzen“ (Kansky 2012, S. 152). 4 Online und Print - ein Vergleich 4 33 Online und Print - ein Vergleich Im folgenden Kapitel werden die Vor- und Nachteile der Online-Auftritte von Tageszeitungen im Vergleich mit der klassischen Printzeitung erörtert. Im Anschluss soll skizziert werden, inwiefern beide Trägermedien in einer sinnvollen Symbiose ergänzend platziert werden können. 4.1.1 Vertriebsform Die klassische Vertriebsform journalistischer Erzeugnisse ist umständlich und teuer. Hohe Rohstoffpreise und Transportkosten bei der Distribution von Printmedien stehen angesichts der stetig sinkenden Absatzzahlen immer häufiger im Zentrum der Diskussion. (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 22) So sind in der herkömmlichen Wertschöpfungskette der gedruckten Zeitung die Stufen Print/Herstellung (mit 27 Prozent), sowie Distribution/Vertrieb (mit 23,3 Prozent) mit insgesamt über 50 Prozent an den Gesamtkosten beteiligt (vgl. Nohr 2011, S. 48). Zudem verursacht eine Zeitungsproduktion in millionenfacher Auflage einen beachtlichen Aufwand an Recycling. Elektronische Verteilmedien bieten hier enorme Vorteile in finanzieller wie ressourcenschonender Hinsicht (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 22). Die immensen Rationalisierungspotenziale die sich im Zuge der Digitalisierung ergeben, eröffnen auf den erwähnten Stufen der Wertschöpfung erhebliche Einsparungsmöglichkeiten; im Optimalfall entfallen diese sogar vollständig (vgl. Nohr 2011, S. 48f). Sicherlich verursacht die Übertragung via Internet einen extremen Stromverbrauch; trotzdem ist und bleibt die gedruckte Zeitung weitaus teurer und unökologischer als ihr Online-Ableger (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 25). Aufgrund ihrer immateriellen digitalen Gestalt erschließt sich für Online-Nachrichten zudem eine nahezu unbegrenzte Speicherkapazität, welche die quantitative Beschränkung klassischer Medien aufhebt. Weder der druckbare Umfang der Printzeitung noch der Papierpreis spielen hier eine Rolle. Auch die Speicherung alter Ausgaben erfolgt weitaus rationeller als im Printbereich. (vgl. Pürer; Raabe 2007, S. 436f) 4 Online und Print - ein Vergleich 34 4.1.2 Digitalität und Ubiquität Im Zuge der Digitalisierung hat sich die Verfügbarkeit und Verarbeitung von Informationen grundlegend verändert. Digitale Inhalte können in Sekundenschnelle über große Distanzen verbreitet, sowie ohne Qualitätsverluste vervielfältigt werden. (vgl. Trappel 2007, S. 35f) Über das Internet und dank technologischer Geräteinnovationen ist es möglich, auf Zeitungen in ihrer digitalen Gestalt quasi rund um die Uhr von überall aus zugreifen zu können: Ob der Computer auf dem heimischen Schreibtisch, der Laptop im Café oder am Flughafen, das Handy oder Tablet in Bus und Bahn; verschiedenste Trägermedien erlauben einen 24h-Zugriff von nahezu jedem Ort der Welt aus. Das Internet macht Zeitungsinhalte immateriell und gleichzeitig universell verfügbar. (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 22) Eine solche vollständig standortunabhängige Zugriffsmöglichkeit setzt jedoch den Besitz eines mobilen Endgeräts mit Internetzugang voraus. Leistungsfähige Hochgeschwindigkeitsverbindungen im Internet machen es möglich, ohne Zeitverzögerung auf aktuelle Nachrichten aus aller Welt zuzugreifen. Online liegen alle Informationen gewissermaßen gleich weit entfernt, egal ob sie ihren Ursprung nun in Hamburg, New York oder Sydney haben (vgl. Franzmann 2001, S. 63). Die Verlage können auf diese Weise ihr Verbreitungsgebiet quasi ohne zusätzlichen finanziellen Aufwand grenzenlos ausweiten (vgl. Neuberger 2003, S. 70). Eine gedruckte Version der FAZ braucht dagegen beispielsweise mehrere Tage bis sie im US-PresseGrosso verfügbar ist (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 24). Als Informationsquelle für aktuelle Entwicklungen verliert sie über diesen Zeitraum enorm an Bedeutung. Ein umfangreiches Angebot ausländischer Tagespresse ist in Deutschland zudem meist nur an Flughäfen, Bahnhöfen oder ausgewählten Kiosks verfügbar. Dies macht den Bezug dieser Blätter für die meisten Menschen sehr umständlich. Gerade im Zeitalter der Globalisierung ist die ständige Verfügbarkeit von Nachrichten aus allen Ländern aber obligatorisch. Onlineangebote von Verlagen ermöglichen dem Nutzer einen extrem komfortablen Zugriff auf topaktuelle Informationen aus aller Welt. 4.1.3 Aktualität Als einer der größten Vorteile von Onlineangeboten gegenüber gedruckten Tageszeitungen kann definitiv deren uneingeschränkte Aktualität bezeichnet werden. Nach dem flächendeckend verbreiteten Motto „Online-first“ (siehe Abschnitt 2.2.3), aktualisieren Online-Redaktionen ihre Websites heute nahezu rund um die Uhr. Sie haben zudem die Möglichkeit, bereits veröffentlichte Artikel um aktuelle Ereignisse oder Erkenntnisse zu erweitern, bzw. im Falle einer Falschmeldung umgehend zu korrigieren. Die größt- 4 Online und Print - ein Vergleich 35 mögliche Form der Aktualität kann durch einen sogenannten Live-Ticker erzielt werden. Bei Ereignissen von immensem öffentlichem Interesse wie der Papstwahl oder wichtigen Sportveranstaltungen wird über das aktuelle Geschehen in Echtzeit berichtet, indem der sogenannte Tickerer im Minuten- oder sogar Sekundentakt aktuelle Entwicklungen mit der genauen Zeitangabe verbreitet. Die klassische Printzeitung hat diesbezüglich eindeutig das Nachsehen. Nicht ohne Grund lautet ein geflügelter Satz in der Branche „Nichts ist so alt wie die Zeitung von gestern“. Genau genommen ist schließlich jede Ausgabe, die den Leser erreicht, bezüglich ihrer Inhalte bereits die Zeitung vom Vortag. (vgl. Franzmann 2001, S. 63) Jene Nachrichten, welche der Redaktion bis zum Redaktionsschluss nicht vorliegen, können in der Ausgabe des Folgetags nicht mehr berücksichtigt werden, so wichtig sie auch sein mögen. Hier erweist sich der aufwendige Herstellungs- und Distributionsprozess der Printzeitung einmal mehr als großer Nachteil; er hemmt den Fluss der zeitnahen Berichterstattung und das gedruckte Medium muss sich zu Recht einen raschen Aktualitätsverfall vorwerfen lassen. In diesem Punkt unterliegt die Zeitung nicht nur dem Internet; auch die „klassischen“ elektronischen Medien Radio und Fernsehen vermögen rund um die Uhr aktuelle Nachrichten zu verbreiten (vgl. ebd.). Einen Redaktionsschluss gibt es im Internet nicht. Es genügt heutzutage unter keinen Umständen, das eigene Webangebot lediglich einmal am Tag mit neuen Artikeln zu füllen. Begründet ist dies in der Konkurrenzsituation zwischen den verschiedenen Informationsdiensten bezüglich der schnellsten Berichterstattung. (vgl. ebd., S. 64) Die Rund-um-die-Uhr-Aktualisierung der Websites ist heutzutage deutlich einfacher umzusetzen als möglicherweise anzunehmen wäre. Wie auch im Printbereich können die Verlage hier auf große Nachrichtenagenturen wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) zurückgreifen, welche auch Online-Ausgaben ihrer Dienste anbieten. Deren Artikel können mit relativ wenig Aufwand, großenteils automatisch, in den eigenen Webauftritt integriert werden. (vgl. ebd.) Als im Jahre 1995 die ersten Tageszeitungen online gingen, gab es diese Möglichkeit noch nicht. Die Boulevardzeitung Express beschäftigte daher von Anfang an eine eigene Online-Redaktion, welche für die zeitnahe Aktualisierung zuständig war. Damals deckte diese Redaktion lediglich einen Zeitraum von 7 Uhr morgens bis 1 Uhr nachts ab und hinterließ somit eine nächtliche 6-Stunden-Lücke, was bei der damaligen Konkurrenzsituation aber durchaus noch vertretbar war. (vgl. ebd.) Am 30. August 1997 integrierte der Express erstmals den neuen dpa-Onlinedienst in seinen Webauftritt. Wie wichtig eine solche Ergänzung der eigenen redaktionellen Kapazitäten ist, sollte sich nur wenige Stunden später herausstellen: In der Nacht zum 4 Online und Print - ein Vergleich 36 31. August kam die britische Prinzessin Diana bei einem tragischen Autounfall in Paris ums Leben. Die Express-Online-Redaktion war zu diesem Zeitpunkt natürlich nicht mehr besetzt; trotzdem war die Nachricht bereits ab zwei Uhr nachts auf der Website zu lesen. Heutzutage kann keine Online-Redaktion mehr auf die Unterstützung durch solche Agentur-Dienste verzichten. (vgl. ebd., S. 64f) Die Rasanz der elektronischen Informationsverbreitung ermöglicht eine ganz neuartige „Qualität der Nachrichtenbeschleunigung“ (Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 23). Diese Entwicklung wirkt sich auch auf das Empfinden des Lesers aus. So erfährt dieser bei der Nachrichtenlektüre im Internet eine Art verstärkte soziale Integration. Durch den Besuch einer Nachrichten-Website kann er sich gewissermaßen „in Echtzeit mit der Informationsgesellschaft synchronisieren“ (Meyer-Lucht 2004, S. 29). Er stellt sicher, auf der Höhe der Zeit zu sein, was ihm ein Gefühl von gesellschaftlicher Zugehörigkeit verleiht. (vgl. ebd.) In einer Zeit, in der jede Nachricht innerhalb von Sekunden ihre Exklusivität verliert (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 113) ist der Stellenwert der gedruckten Zeitung einer existentiellen Bedrohung ausgesetzt. Während sie früher das allumfassende Informationsmittel war, droht sich deren Bedeutung heute immer mehr in die Richtung eines nostalgischen Liebhaberobjektes zu wandeln (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 39). 4.1.4 Interaktivität Unglaubliches Potential bezüglich der Online-Auftritte von Tageszeitungen liegt in den direkten Interaktionsmöglichkeiten mit dem Nutzer. Die reine Einwegkommunikation vom Sender zum Empfänger gehört heute der Vergangenheit an (vgl. Huber 2007, S. 147): Durch den Siegeszug sozialer Netzwerke wie Facebook oder Twitter sind vor allem Digital Natives daran gewöhnt, im Web aktiv zu partizipieren, das heißt zu kommentieren, zu bewerten oder zu teilen. Wollen die Verlags-Websites langfristig nicht an Reichweite verlieren, so müssen sie dieses Nutzerbedürfnis befriedigen und das enorme Potential solcher Dienste für sich ausnutzen. Web 2.0-Applikationen wie Blogs, Chats oder Communities (vgl. ebd., S. 49) sind heute ein selbstverständlicher Bestandteil von Verlagsangeboten im Internet. Die meisten Zeitungs-Websites bieten ihren Nutzern die Möglichkeit, zumindest eine Auswahl der veröffentlichten Artikel zu kommentieren. Diese Kommentare sind auch für andere Besucher der Website sichtbar, und haben quasi die Funktion eines modernen Leserbriefes. Grundsätzlich sind die Hemmschwelle, sowie der Aufwand, seine Meinung zu einem bestimmten Artikel oder Thema kund zu tun im Internet deutlich niedriger als im Printbereich. Der Nutzer hat die Möglichkeit, diesen Rückkanal direkt und ganz ohne 4 Online und Print - ein Vergleich 37 Medienbruch zu benutzen um der Redaktion seine Zustimmung oder sein Missfallen mitzuteilen (vgl. Trappel 2007, S. 93). Dies führt auf der einen Seite dazu, dass mit einer Vielzahl von unqualifizierten und sinnlosen Beiträgen gerechnet werden muss. Zum anderen verschafft es dem Verlag aber auch ein umfassendes Stimmungsbild, wie seine Berichterstattung von der Leserschaft aufgenommen wird und an welchen aktuellen Entwicklungen und Themenbereichen diese besonders interessiert sind. Oftmals werden Redakteure erst durch einen Kommentar auf ein spannendes Thema oder einen Fehler in ihrem eigenen Artikel aufmerksam. Außerdem können leichter Rückschlüsse gezogen werden, was die Leser an der Art der Berichterstattung stört. Wer das Potential dieses Rückkanals optimal nutzt, kann seine Angebote direkt an die individuellen (Informations-)Bedürfnisse seiner Zielgruppen anpassen. Die Partizipation des Users wird dabei immer weniger als Selbstzweck verstanden, sondern als wesentlicher Bestandteil der redaktionellen Wertschöpfung. Der Leser wird zum Impulsgeber für Folgegeschichten und ein wichtiges Glied der Qualitätssicherung. (vgl. Simons 2011, S. 100) Eine weitere Möglichkeit der verstärkten Leser-Partizipation bietet sich in der Zusammenarbeit mit sozialen Netzwerken. Viele Verlage integrieren bereits sogenannte soziale Bewertungssysteme (Weichert 2012, S. 297) in ihre Websites. Hierzu gehören beispielsweise Empfehlungsfunktionen; klickt der Nutzer auf den entsprechenden Button neben einem Artikel (siehe Abbildung 7), so wird im damit verbundenen sozialen Netzwerk wie Facebook, Twitter oder Google+ angezeigt, dass derjenige diesen Artikel empfiehlt. Der Nutzer hat zudem die Möglichkeit, einen Artikel samt Kommentar in einem solchen Netzwerk zu teilen. Auf diese Weise werden Internetnutzer auch außerhalb der Verlags-Homepage auf deren Inhalte aufmerksam, was einen enormen Werbe- und Streuungseffekt bedeutet. Die Kooperation mit diesen Diensten zahlt sich für die Verlage aus; so gehört neben Google mittlerweile das soziale Netzwerk Facebook zu den größten Traffic-Lieferanten der Zeitungs-Websites. Laut ComScore gelangen heute mindestens zehn Prozent der Nutzer direkt oder indirekt über das soziale Netzwerk auf die Onlineangebote, während Google zwölf Prozent des Traffics beschert. (vgl. Kansky 2012, S. 151) 4 Online und Print - ein Vergleich 38 Abbildung 7: Empfehlungsfunktionen auf welt.de Quelle: Screenshot vom 05.04.2013, URL: http://www.welt.de/politik/deutschland/article115023141/Deutschland-ist-ein-Paradies-fuerMenschenhaendler.html Laut einer Verbands-Expertise des BDZV gehört für 85 Prozent der deutschen Zeitungen der Einsatz von Social Media bereits ganz selbstverständlich zum Tagesgeschäft. Die Aktivitäten zeichnen sich dabei hauptsächlich durch eine Verlagspräsenz in externen Netzwerken wie Facebook oder Twitter, die Integration der FacebookKommentarfunktion in die eigene Website, sowie die Möglichkeit verschiedene Inhalte zu twittern aus. Eigene Communities zum Erfahrungsaustausch bieten 40 Prozent der Zeitungen, zudem setzen 26 Prozent bereits heute auf die Kompetenz von Leserreportern. (vgl. Staschöfsky 2012, S. 325) Eine besonders wertvolle Form der Leser-Partizipation, bei deren Umsetzung die Ebene einer reinen Kommentatoren- oder Bewertungsfunktion verlassen wird, besteht in der aktiven Einbeziehung von nutzergenerierten Inhalten (User-Generated Content) in Form von Text-, Bild-, Audio- und Video-Beiträgen. Gerade in unvorhersehbaren Situationen kann die Partizipation von Laien-Journalisten (Leserreportern) den Umfang der Berichterstattung enorm anreichern. So binden viele Zeitungs-Websites Videos, Fotos oder Erfahrungsberichte von Passanten mit ein, um authentische Erstinformationen von spezifischen Schauplätzen liefern zu können. Ein Beispiel hierfür ist der Jahrhundert-Tsunami, der im Jahr 2004 rund um Thailand und Sri Lanka hunderttausende von Menschen das Leben kostete. (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 131) Die Wassermassen trafen die Strände völlig unvorbereitet, sodass die ersten Reporter erst einige Zeit später vor Ort sein konnten. Die Bilder der gigantischen Flutwellen gingen trotzdem um die Welt, 4 Online und Print - ein Vergleich 39 da Urlauber und Einheimische bereit waren, Presse und Rundfunk ihr Videomaterial zur Verfügung zu stellen. Ein beeindruckendes Beispiel, welche Ausmaße die Bedeutung von Bürgerjournalismus annehmen kann, ist die Geschichte von Ian Tomlinson. Der Zeitungsverkäufer war 2009 in London zwischen die Fronten von Globalisierungsgegnern und Polizisten geraten, und an den Folgen verstorben. Der Polizeibericht sprach die Beamten zunächst von aller Schuld frei; es hieß, Tomlinson habe einen tödlichen Herzinfarkt erlitten. Doch in Blogs und Kommentaren auf der Website der britischen Tageszeitung The Guardian entwickelte sich nach und nach ein völlig anderes Bild der Ereignisse. Augenzeugen gaben an, der Mann sei von den Polizeibeamten mit Knüppeln niedergeschlagen worden; ein Arzt sei viel zu spät gerufen worden. Als die Leser schließlich Handyvideos der Szenen als Beweis auf die Plattform luden, wurden die Ermittlungen neu aufgenommen und die beteiligten Polizisten angeklagt. Ohne die Partizipationsmöglichkeiten von guardian.co.uk, wäre die Wahrheit möglicherweise niemals ans Licht gekommen. (vgl. Jungclaussen 2013; S. 2) Die Interaktion mit dem Leser bietet für Online-Redaktionen nicht nur Vorteile in Form von Reichweitenerhöhung und kooperativer Informationsbeschaffung. Ergebnis dieses Prozesses ist vielmehr eine Annäherung zwischen Journalisten und Lesern, die im Printbereich, in welchem die Barrieren zwischen diesen beiden Gruppen weitaus starrer sind, in diesem Umfang nicht möglich wäre. Dan Gillmor, Profi-Blogger und Journalist definierte dieses veränderte Rollenverhältnis bereits 2004 sehr treffend: Die großen, alten Medien hätten die Nachrichten „als Lektion erteilt und dargeboten“. Inzwischen sei daraus mehr eine „Konversation“ geworden; die scharfe Trennlinie zwischen Konsumenten und Produzenten falle. (vgl. Gillmor 2004, XIII) Wenn der Nutzer vom passiven Konsumenten zum aktiven „Mitgestalter“ einer Seite werden kann, trägt dies enorm zur „Leser-Website“-Bindung bei. Eine aktive Community aus Stammkunden ist für die Zukunftsfähigkeit eines Onlineangebots somit unerlässlich. (vgl. Franzmann 2001, S. 74) 4.1.5 Hypertextualität Der Begriff „Hypertext“ kann im Rahmen computergestützter Programme als „Medium der nicht-linearen Organisation von Informationseinheiten“ determiniert werden (Kuhlen 1991, S. 27). Hyperlinks ermöglichen die Herstellung einer Verbindung zwischen Texten und anderen Medienformen im Internet. Ein sogenannter Anker definiert hierbei einen sichtbaren Linkbereich, der beim Anklicken einen Sprungbefehl zu einer hinter- 4 Online und Print - ein Vergleich 40 legten Zieladresse ausführt. Der User erhält auf diese Weise die Möglichkeit, sich von der vorgegebenen Linearität eines Textes zu lösen, und beliebig tief in eine Thematik einzusteigen. Hypertextualität lässt sich in Bezug auf Onlineangebote von Zeitungen auf drei verschiedenen Anspruchsniveaus umsetzen. Eine relativ simple Möglichkeit der Vernetzung besteht für Online-Redaktionen darin, die Websites der im Rahmen ihrer Textbeiträge genannten Akteure zu verlinken (verweisende Hyperlinks). Auf dem mittleren Niveau vertiefen die Hyperlinks den Text im behandelten Sachverhalt. Nutzer können durch die Links unter anderem auf Erklärungen zu Begriffen zugreifen, thematisch verwandte Beiträge aufrufen oder die Ereignisse anhand von Archivbeiträgen nachvollziehen. Die höchste Form der Hypertextualität besteht darin, den Text mit den entsprechenden Quellen zu vernetzten. Der Nutzer kann auf diese Weise beispielsweise eine Pressemitteilung im Original lesen. (vgl. Trappel 2007, S. 41f) Während die Hypertextualität anfangs hauptsächlich über sogenannte inbound links, also Querverweise auf das eigene Angebot umgesetzt wurde, ist es heute selbstverständlich, auf externe Quellen zu verweisen. Ein großes Problem diesbezüglich sind „Tote Links“, deren ursprünglicher Inhalt nicht mehr zur Verfügung steht. Ein kontinuierliches Update wäre hier sinnvoll, ist hinsichtlich des immensen Aufwands aber kaum umsetzbar. (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 134) Die Möglichkeiten der vielfältigen Vernetzung über Hyperlinks bieten einen extremen Mehrwert für die Informationsrecherche. Je höher das Niveau der Hypertextualität einer Website ist, desto umfassender kann sich der User rund um den Sachverhalt informieren. (vgl. Trappel 2007, S. 42) 4.1.6 Multimedialität Im Print-Journalismus ist der Redakteur auf eine zweidimensionale Gestaltung seiner Beiträge eingeschränkt. Um das geschriebene Wort zu illustrieren nutzt er lediglich Bilder und Grafiken. Für die Berichterstattung hat der Journalist insgesamt fünf Elemente zur Verfügung: Überschrift, Foto, Grafik, Seitenleiste und den Text an sich. Im Internet kann der Redakteure hingegen aus 56 „Bausteinen“ wählen und seine Beiträge mehrdimensional anreichern. (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 189) Wie kein anderes Massenmedium sind Online-Medien in der Lage, Beiträge in den verschiedensten Darstellungsformen zu präsentieren (vgl. Trappel 2007, S. 38). Sie verfügen über die technische Plattform, ein umfangreiches multimediales Angebot aus Videos (Web-TV), Ton (z.B. Audio-Podcasts), Bildergalerien, Animationen, etc. zu kreieren, welches das Nachrichtenerlebnis mit nahezu allen Sinnen erfahrbar macht. 4 Online und Print - ein Vergleich 41 Ein großer Vorteil von Online-Portalen gegenüber gedruckten Zeitungen liegt zudem in der Möglichkeit Informationen aus Datenbanken dynamisch abfragbar zu machen. So lassen sich beispielsweise Archive, Kleinanzeigen, Veranstaltungskalender oder das Kinoprogramm nach bestimmten Stichworten durchsuchen. Dem Nutzer erschließt sich auf diese Weise eine ganz neue Form der Informationsqualität, welche das minutenlange Durchforsten von seitenweise Printanzeigen überflüssig werden lässt. (vgl. Franzmann 2001, S. 75) Diese Art der technischen Unterstützung macht die Zeitungslektüre zielgerichteter und schneller, da sie vermag, redundante Informationen herauszufiltern. Der Leser wird gewissermaßen befähigt, den Umfang und die Intensität seiner Recherche selbst festzulegen und die Informationstiefe zu skalieren (vgl. Meyer-Lucht 2004, S. 28f). Während die Menge an Informationen im Internet stetig zunimmt, eröffnen sich somit immer mehr Möglichkeiten, diese ganz gezielt und personalisiert abzurufen (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 39). In der virtuellen Welt haben sich der Entstehungsprozess und die Darstellungsformen redaktioneller Inhalte von Grund auf gewandelt. Jeff Jarvis, einer der profiliertesten Journalismusexperten und Medienvisionäre der USA (Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 116), fasst die veränderte Bedeutung des Journalismus im digitalen Zeitalter sehr treffend zusammen: Journalismus wurde ursprünglich als etwas definiert, und damit gleichzeitig eingegrenzt, was er die längste Zeit über war: ein täglich produziertes und vertriebenes, vom Sender zum Empfänger kommuniziertes, monomediales Produkt. Heute kann Journalismus so viel mehr sein: kollaborativ, wechselseitig, einfach zu korrigieren, kontinuierlich und aktualisierbar. (ebd., S. 120) 4 Online und Print - ein Vergleich 4.2 42 Vorteile Print 4.2.1 Begrenzung der Information Die erwähnte Skalierbarkeit der Informationstiefe ist im Bereich der Printmedien nicht gegeben. Eine Begrenzung des Nachrichtenumfangs findet bei der gedruckten Zeitung bereits durch die physische Gestalt des Trägermediums bedingt statt, welche die Komplexität der potentiell zur Verfügung stehenden Informationen grundsätzlich reduziert. Die klassische Zeitung teilt ihren Lesern somit im Grunde bestimmte Nachrichten zu, was Paul E. Steiger zufolge aber auch ihr größter Vorteil ist. (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 25f) Print bietet den Vorteil, dass es einen Anfang, eine Mitte und ein Ende gibt. Sie können Zeitungen überall mit hinnehmen, und sie sind so etwas wie eine geschlossene Gebrauchsanleitung, die Sie über alles Wichtige informiert - im Gegensatz zum Internet, wo es immer noch etwas gibt, das Sie anklicken können. (ebd., S. 26) Hiermit verweist Steiger noch einmal auf die wichtige, ursprüngliche Funktion des Journalisten als Schleusenwärter, „der den Leser vor einem kaum zu bewältigenden Strom existierender Informationen bewahrt, indem er das, was er unter professionellen Gesichtspunkten für wichtig erachtet, auswählt und zusammenfasst“ (ebd.). Man kann die Printzeitung in diesem Zusammenhang auch als „das Medium eines entschleunigten Qualitätsjournalismus“ bezeichnen, welches den Leser auf das Unerwartete, Überraschende, aber Wissenswerte stoßen lässt (vgl. ebd., S. 15f). Diesen speziellen Vorteil sieht auch Todd Gitlin, Professor für Journalismus und Soziologie an der Columbia University in New York, außerdem Mitherausgeber des Intelligenzblattes Dissent: Einer der großen Vorzüge der gedruckten Zeitung ist ja, dass man ganz automatisch und ohne es zu beabsichtigen, auf Themen und Informationen gestoßen wird, von denen man gar nicht annahm, dass sie einen interessieren könnten. Genau dieser Wert des Unerwarteten wird durch das eher zielgerichtete Lesen im Internet ausgehebelt. (ebd., S. 41) Gitlin sieht im Zeitungsredakteur einen „Wegbereiter zu Unbekanntem“. Den möglichen Lerneffekt bezüglich eines „umfassenden, thematisch offenen Informationsangebots über die Welt“ schätzt er bei der Nutzung von Zeitungen daher deutlich höher ein als bei der Lektüre im Internet. (ebd.) 4 Online und Print - ein Vergleich 43 4.2.2 Physis Ein weiterer, wenn auch trivial erscheinender Vorteil gedruckter Zeitungen ist ihre Physis. Sie sind tragbar, flexibel und voraussetzungslos benutzbar. Im Unterschied hierzu ist das Internet ein tertiäres Medium, für dessen Signalempfang ein spezielles Gerät benötigt wird. Und die Nutzung dieses Gerätes - ob Laptop, iPhone oder sonstiges bedarf einer gewissen Bedienungskompetenz. (vgl. Neuberger 2003, S. 67) Gerade ältere Menschen, denen die Sozialisation mit den Neuen Medien weitgehend fehlt, haben oftmals große Hemmschwellen bezüglich dieser Techniken. Diese Menschen werden auch zukünftig auf das Printexemplar ihrer Zeitung angewiesen sein. Für viele Leser geht vom klassischen Trägermedium Papier zudem ein ganz besonderer Reiz aus. Bereits das Knistern der Seiten beim Umblättern gibt ihnen ein wohlig vertrautes Gefühl, des Weiteren spielt auch die haptische Wahrnehmung eine große Rolle. Kombiniert mit dem dezenten Geruch der Druckerfarbe stellt die Zeitungslektüre für eine Vielzahl von Menschen ein nahezu sinnliches Erlebnis dar. 4.2.3 Exklusivität Die Tatsache, dass selbst im Internet jede Nachricht innerhalb von Sekunden ihre Exklusivität verliert (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 113), lässt gedruckte Tageszeitungen mit ihrer lediglich 24-stündigen Aktualisierungsweise beinahe wie ein Relikt aus vergangenen Zeiten wirken. Im digitalen Zeitalter ist es für Printzeitungen daher unmöglich geworden, ihr Monopol über die Eigenschaft „Aktualität“ zu verteidigen. Jene herausragende Eigenschaft, aufgrund welcher sich das gedruckte Wort auch in Zukunft seine Relevanz bewahren wird, ist vielmehr die der „Exklusivität“. Diese Exklusivität besteht insbesondere darin, dem Leser „große Erzählstücke“ (Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 15) anzubieten. Das Angebot von aufwendigen Hintergrundreportagen, Analysen und Kommentaren ist auf Zeitungswebsites allein schon in Folge des Anspruchs, Nachrichten so zeitnah wie nur möglich zu veröffentlichen, kaum möglich. Hinsichtlich der Printausgabe hat der Journalist dagegen deutlich mehr Zeit, seinen klassischen Aufgaben, der umfangreichen Recherche und differenziert betrachteten Aufbereitung von Gegenwartsgeschehen nachzukommen und den Leser somit bei der Orientierung und Einordnung der Ereignisse zu unterstützen. Er vermag Texte anzubieten, die zum Verweilen einladen, für deren vollständige Erschließung sich der Leser Zeit nehmen muss und die bis zum Ende rezipiert werden (vgl. ebd., S. 16). Texte, bei deren Lektüre die Gedanken des Lesers in die Tiefe schweifen können und nicht „den Oberflächenreizen von billigen Schlagzeilen oder skandalösen Bildern“ erliegen (ebd.). 4 Online und Print - ein Vergleich 44 Jenes Monopol vermag die Entwicklung der stetig sinkenden Auflagenzahlen im Bereich der gedruckten Tageszeitungen natürlich keinesfalls aufzuhalten. Diese Hoffnung wäre illusorisch, so ist das Interesse an einer solchen Form der Berichterstattung keinesfalls in allen Bevölkerungsschichten ausreichend ausgeprägt. Auch Daniel Vernet, Leiter der Auslandsabteilung der französischen Tageszeitung Le Monde in Paris, sieht in der gedruckten Zeitung auf lange Sicht eher ein Nischenprodukt: Als Zeitungsleser fühlt man sich in Zukunft vielleicht als Mitglied einer kleinen Elite. Das entspräche dann wieder dem alten Bild des typischen Parisers, der mit einer Zeitung unter dem Arm durch St.Germain lustwandelt. (ebd., S. 272) Diese Einschätzung mag den Sachverhalt zwar romantisiert darstellen, stützt im Grunde aber ebenfalls die These, dass die Printzeitung in Zukunft das „Genussmittel“ (ebd., S. 41) eines spezifischen Teils der Bevölkerung sein wird, dessen oberstes Ziel nicht die möglichst schnelle, oberflächliche „Rund-um-Information“ ist. Sie wird jene Menschen erreichen, die Zeit und Muße haben (vgl. ebd.), tiefer in gesellschaftlich relevante Sachverhalte einzusteigen, und sich differenziert mit diesen auseinanderzusetzen. Die Rolle der Printzeitung wandelt sich im digitalen Zeitalter immer mehr vom Nachrichtenmedium zum Erklärungsmedium (vgl. Huber 2007, S. 140). Unter dem Begriff „Substitutionalität“ versteht man die Ersetzbarkeit von Gütern oder Produktionsfaktoren. Diese liegt vor, wenn zwei Güter teilweise denselben Nutzen aufweisen und somit leicht gegeneinander ausgetauscht werden können. (vgl. ebd., S. 35) Einer solchen Substitution durch ihren Online-Auftritt muss die gedruckte Zeitung nicht gänzlich zum Opfer fallen, sofern sie sich auf ihre speziellen Kompetenzen beruft. Der sogenannte Komplementäreffekt tritt ein, wenn ein Medienangebot Bedürfnisse auslöst, welche ein anderes befriedigen kann (ebd., S. 37). Wenn sich die Printzeitung in ihrer Rolle als Erklärungsmedium positioniert, kann sie eine solche komplementäre Beziehung mit ihrem Online-Ableger eingehen. Aus den erläuterten Gründen ist das Internet heute die erste Anlaufstelle für den Bezug aktueller Nachrichten; dieses Monopol hat die gedruckte Zeitung schon lange verloren. Während sich das Onlineangebot hierbei aber maßgeblich auf das „Was“, also die Meldung an sich konzentriert, vermag die Printzeitung dem Leser das entsprechende „Warum“ zu liefern, und den oberflächlichen Nachrichtenüberblick somit nachhaltig zu ergänzen. Auf diese Weise können beide Medien den Nutzer symbiotisch den ganzen Tag über mit brandaktuellen Nachrichten, aber gleichzeitig auch deren Hintergründen versorgen. 5 Tageszeitungen in der Krise 5 45 Tageszeitungen in der Krise Das „klassische“, integrierte Geschäftsmodell der Zeitungsverlage wird seit der Mitte des 19. Jahrhunderts angewandt (siehe Abschnitt 2.2.1). Mit dem Aufkommen der Massenpresse etablierte sich die Mischfinanzierung aus dem Verkauf von journalistischen Inhalten, sowie der Vermarktung von Konsumentenzugängen (Werbung). Bis heute ist diese Finanzierungsstrategie im Printbereich nahezu unverändert geblieben. (vgl. Nohr 2011, S. 73) Im vorliegenden Kapitel soll die Frage beantwortet werden, weshalb jenes traditionsreiche Vertriebsmodell in den letzten Jahren zusehends an Stabilität verloren hat und aus welchen Gründen sich dessen Strukturen nur so schwer auf das Online-Geschäft der Verlage übertragen lassen. 5.1 Zerfall des traditionellen Geschäftsmodells Als einer der maßgeblichen Auslöser der allseits diskutierten Zeitungkrise, kann - neben signifikanten Veränderungen in der Gesellschaftsstruktur (siehe Abschnitt 3.4) definitiv das Internet bezeichnet werden, durch welches sich das Mediennutzungsverhalten der Menschen grundlegend gewandelt hat. Die Bedeutung der klassischen Medien schwindet kontinuierlich, während Social Media und Web 2.0-Anwendungen eine völlig neue Art der Massen-, sowie der Individualkommunikation ermöglichen (vgl. Simons 2011, S. 7). Die Interaktivität des Internets, sowie dessen technische Infrastruktur, welche es möglich macht, Schrift, Ton, Stand- und Bewegtbild miteinander zu verbinden, lassen die Publikationskonzepte, sowie die Geschäftsmodelle nicht nur der klassischen Printmedien, sondern auch von Hörfunk und Fernsehen, überkommen wirken. Diese beruhen allesamt auf sogenannten Broadcasting-Modellen, was bedeutet, dass die Inhalte von einer kleinen Zahl von Profis linear für eine Vielzahl von Menschen produziert werden. Das Internet lässt diese Grenzen zwischen Produzenten und Konsumenten, sowie zwischen Individual- und Massenkommunikation immer mehr verschwimmen. Speziell junge Menschen haben sich dadurch grundlegend neue Nutzungsgewohnheiten angeeignet und veränderte Erwartungshaltungen an die Medien entwickelt. (vgl. ebd., S. 8) Das Internet wird zunehmend als Quelle für Erstinformationen genutzt, was den Bezug aktueller Nachrichten einschließt. Diese Entwicklung hat aus der Perspektive der Zeitungsverlage einen regelrechten Teufelskreis ausgelöst: Der stetige Rückgang der verkauften Printauflage lässt die gedruckte Zeitung als Werbeträger immer unattraktiver werden; folglich verlagern die Werbekunden ihre Budgets zunehmend ins Internet. 5 Tageszeitungen in der Krise 46 Dasselbe geschieht im Bereich der Klein- und Rubrikenanzeigen; früher einer der wichtigsten Umsatzbringer der Zeitungen, wandern auch diese immer mehr in den Onlinebereich ab. (vgl. ebd.) Job-, Immobilien-, und Kfz-Online-Börsen wie Monster.de oder ImmobilienScout24 bieten ihren Nutzern einen attraktiven Mehrwert in Form von bequemen, personalisierbaren Suchfunktionen. Die schwindenden Anzeigenerlöse führen ihrerseits wiederum zu extremen Gewinneinbrüchen, die sich langfristig in der Qualität der Zeitungen bemerkbar machen. Eine Verschlechterung der Qualitätsstandards lässt schließlich erneut die Abonnentenzahlen sinken. Die sogenannte Anzeigen-Auflagen-Spirale erhält auf diese Weise eine negative, nach unten gerichtete Dynamik (vgl. Pürer; Raabe 2007, S. 296): So sank die Gesamtauflage aller deutschen Zeitungen allein in den letzten vier Jahren um ganze zwölf Prozent (vgl. Meier 2012, S. 30). Die Krise der Printzeitungen äußert sich also darin, dass diesen zusätzlich zu den stetig sinkenden Absatzzahlen auch noch die Anzeigenerlöse wegbrechen und somit nach und nach beide Einnahmequellen versiegen. Durch die weit verbreitete Praxis, im Netz alle Inhalte der gedruckten Zeitung zum Nulltarif anzubieten, haben die Verlage diese Entwicklung nur noch beschleunigt und ihr traditionsreiches Printmedium gewissermaßen selbst einer „Kannibalisierung“ (Nohr 2011, S. 17) ausgesetzt. Hier stellt sich berechtigterweise die Frage, weshalb ein Leser für eine journalistische Leistung noch bezahlen soll, wenn er diese über einen anderen Distributionskanal völlig kostenfrei beziehen kann. Das eigentliche Drama der Verlagswelt besteht aber nicht darin, dass sich die Produktion und der Vertrieb der gedruckten Zeitung nicht mehr rechnen. Viel fataler ist die Tatsache, dass auch die digitalen Plattformen der Zeitungen derzeit in einer finanziellen Krise stecken. Die beträchtlichen Verluste, die in diesen Tagen im Printbereich geschrieben werden, können durch die Erlöse aus dem Online-Geschäft bisher nicht einmal annähernd ausgeglichen werden (vgl. Simons 2011, S. 8). 5 Tageszeitungen in der Krise 5.2 47 Refinanzierung von Onlineangeboten Ein geeignetes Finanzierungsmodell für journalistische Inhalte im Internet, welches ein ähnliches Qualitätsniveau wie im Printbereich auf Dauer sichern könnte, fehlt bisher noch (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 50). Auch wenn im Vergleich zur gedruckten Zeitung eine enorme Summe an Ausgaben für Produktion und Vertrieb gespart werden kann, genügen die Werbeeinnahmen bislang noch nicht, den kostenintensiven Online-Journalismus zu finanzieren. Selbst Star-Verleger Hubert Burda, der in seiner Branche als Internet-Pionier gilt, drückte im Januar 2009 auf der Digitalkonferenz DLD in München seine Bedenken bezüglich der generellen Refinanzierbarkeit von Online Content aus. Die Verlage könnten mit ihren Marken im Internet lediglich „lausige Pennies“ (Kansky 2009, S. 199) verdienen - so sein wenig optimistisches Credo. Bisher scheint diese These leider noch in großen Zügen der Wahrheit zu entsprechen. Laut einer Studie der Unternehmensberatung Schickler und des Fachmagazins Horizont vom Juni 2012, gelingt es 69 Prozent der Verlage bislang nicht, die Kosten ihrer digitalen Veröffentlichungen über deren Erlöse zu decken; die Websites der befragten Zeitungen tragen lediglich zu 1,2 Prozent zu deren Gesamtumsatz bei (vgl. Kansky 2012, S. 152). Trotz hoher Zugriffszahlen auf die Webangebote (siehe Abschnitt 3.2) findet das finanzielle Kerngeschäft der Verlage nach wie vor im Printbereich statt (vgl. Kansky 2009, S. 199); in Zeiten des digitalen Wandels zu Recht eine beunruhigende Tatsache. Bernhard Pörksen, Professor für Medienwissenschaften an der Universität Tübingen, sieht diese Situation vor allem in einem folgenreichen Fehlverhalten der Zeitungshäuser begründet: (...)Das war der Riesenfehler der Verlage: Sie haben ein kostenintensiv produziertes Gut sehr lange kostenlos geliefert, die eigenen Artikel einfach online gestellt. Sie haben ihrem Publikum signalisiert, dass Artikel, Recherchen und Features zwar in der Herstellung etwas kosten mögen, aber eben im Netz gratis zu haben sind. Das war ein fatales Signal, weil man so seine Zielgruppe daran gewöhnt hat, dass die eigenen Leistungen nicht vergütet werden müssen. (Tagesschau.de 2012) Die große Mehrheit der Verlage setzte lange Zeit darauf ihre Inhalte vollkommen kostenfrei im Netz anzubieten und erhoffte sich durch die reine Werbefinanzierung entsprechende Erlöse. Aber das Anzeigengeschäft bleibt bisher noch hinter den Erwartungen zurück und die meisten Onlineangebote können nur durch eine zusätzliche Quersubventionierung erhalten werden (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 50). 5 Tageszeitungen in der Krise 48 Die folgende Grafik veranschaulicht, wie sich die Ausgaben für Werbung in den verschiedenen Medienarten seit 2009 prozentual verschoben haben. Abbildung 8: Verteilung der Werbeausgaben Quelle: Zenithoptimedia, URL: http://bezahlmodelle.wordpress.com/2012/05/17/warumuberhaupt-paid-content/#more-822 (27.05.2013) Während die Bedeutung der Printzeitung als Werbeträger konstant abnimmt, steigen die Ausgaben für Reklame im Internet stetig. Den Angaben des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft (ZAW) zufolge, nahm der der Online-Werbemarkt allein im letzten Jahr netto um 15 Prozent auf 990 Millionen Euro zu (vgl. Kansky 2012, S. 150). Den Online-Auftritten der Zeitungen kommt dieses Wachstum aber nur in stark eingeschränktem Maße zugute: Die Werbung folgt der Leserschaft zwar ins Netz, verstreut sich dort aber und finanziert die Websites der Zeitungen nur zu einem sehr geringen Anteil (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 197). Dies liegt vor allem an der extremen Konkurrenzsituation im Internet. Gegen die Reichweiten der sogenannten Big Four - Google, Amazon, Apple und Facebook, welche mehr als die Hälfte des digitalen Werbemarkts auf sich vereinen, haben die einzelnen Verlage keine Chance. (vgl. Kansky 2012, S. 152) Ein weiterer großer Profiteur dieser Verschiebung sind die erwähnten OnlineStellenmärkte, Autobörsen und Immobilienportale. 5 Tageszeitungen in der Krise 49 Des Weiteren investieren Werbekunden im Netz vorrangig in sogenannte kontextbezogene search ads (vgl. Nohr 2011, S. 18). Internetfirmen sammeln in diesem Zusammenhang Daten darüber, über welche Güter oder Dienstleistungen sich eine Person im Internet häufiger informiert und übermitteln diese an Werbekunden. Diesen bietet sich der enorme Vorteil, dass sie ihre Zielgruppen direkt und ohne große Streuverluste ansprechen können (vgl. Simons 2011, S. 8). Allein im Jahr 2009 wurden über search ads Werbeerlöse in Höhe von 10,8 Milliarden Dollar erwirtschaftet. Dies entspricht einem Anteil von 48 Prozent am gesamten digitalen Werbemarkt und macht search ads zur mit Abstand umsatzstärksten Reklameform im Internet. Die hier gemachten Gewinne fließen fast ausschließlich Betreibern von Suchmaschinen und Nachrichtenaggregatoren zu. (vgl. Nohr 2011, S. 83) Traditionelle Medienunternehmen speichern dagegen weitaus weniger Daten über ihre Kunden und bieten somit kaum personalisierte Werbemöglichkeiten (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 206). Der überwiegende Anteil an Klicks und somit auch der Werbeerlöse fallen im Nachrichtengeschäft auf die sogenannten Trittbrettfahrer an: Internet-Unternehmen die auf ihren Portalen Nachrichten anbieten, ohne sich an deren Recherche- und Erstellungskosten beteiligt zu haben (vgl. ebd., S. 205). Ein Beispiel hierfür sind die sogenannten Nachrichtenaggregatoren wie Google News, Yahoo! News oder news.de. Diese erstellen keinen eigenen Content, sondern übernehmen Headlines und Teaser von anderen Nachrichten-Dienstleistern - auch von den Zeitungen - um dann auf den entsprechenden Artikel zu verlinken. Einerseits leiten diese Dienste einen erheblichen Anteil von Nutzern direkt auf die Websites der Verlage weiter; andererseits sind sie vor allem mächtige Konkurrenten im Werbemarkt. (vgl. Nohr 2011, S. 82) Um die Onlineangebote der Zeitungen vor einer solchen gewerblichen Nutzung, insbesondere durch Suchmaschinen, zu schützen (vgl. Staschöfsky 2012, S. 318), wurde am 1. März 2013 das Leistungsschutzrecht für Presseverleger vom Bundestag verabschiedet, welches am 1. August dieses Jahres in Kraft tritt. Durch jenes sollen die Verlage an den (Werbe-)Einnahmen gewerblicher Internetdienste beteiligt werden. Ursprünglich sollte das Gesetz selbst kleinste Textausschnitte, sogenannte Snippets unter eine Lizenzpflicht stellen. Für diese kurzen Texte, die Suchmaschinen und Nachrichtenaggregatoren im Rahmen ihrer Suchergebnissen anzeigen, hätten die Verlage somit Lizenzgebühren verlangen können, solange diese nicht älter als ein Jahr sind. Nach einer Änderung des Gesetzentwurfs können einzelne Wörter und kleinste Textausschnitte nun doch lizenzfrei angezeigt werden. Wie genau diese „kleinsten Textausschnitte“ definiert sind, und wie umfangreich sie ausfallen dürfen ohne lizenzpflichtig zu werden, bleibt jedoch Auslegungssache. (vgl. Meiritz; Reißmann 2013) 5 Tageszeitungen in der Krise 50 Ein solch schwammiges Gesetz wird voraussichtlich zu einer Welle von Klagen führen; zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme der Verlage wird es auf diese Weise erst einmal nur sehr eingeschränkt beitragen. Ein weiteres Hindernis besteht darin, dass Zeitungshäuser im Internet lange nicht dieselben Preise für Werbeanzeigen verlangen können, wie diese im Printbereich üblich sind. Der sogenannte Tausender-Kontakt-Preis (TKP), der für das Verhältnis der Häufigkeit der Einblendungen einer Anzeige zu den Kosten einer Werbeschaltung steht (vgl. Nohr 2011, S. 76), beträgt online nur ca. ein Zehntel von dem, was im Printjournalismus gezahlt wird (vgl. Kansky 2012, S. 152). Begründet wird dies mit der geringeren Kontaktqualität von digitalen Werbeanzeigen. Die Nutzungsintensität sei bei der Lektüre eines gedruckten Mediums deutlich höher als beim Zeitunglesen im Internet. Zudem gelten Leser, die für ihre Medien bezahlen, in der Werbewirtschaft grundsätzlich als interessantere Adressaten. Man geht davon aus, sie widmeten dem gekauften Produkt mehr Aufmerksamkeit als einem kostenlosen Angebot. (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 203) Unter den genannten Bedingungen bleibt für die Websites von Tageszeitungen lediglich ein Anteil von unter zwei Prozent an den weltweiten digitalen Werbeeinnahmen (vgl. Willimsky 2012). Auch wenn die Werbeerlöse im Internet Prognosen zufolge weiter ansteigen werden, heißt das deshalb noch lange nicht, dass auch die Verlage auf Dauer hiervon profitieren werden. Zudem sind Werbeumsätze generell stark von Konjunkturschwankungen abhängig (vgl. Lischka 2010). Angesichts dieser Tatsachen wäre es äußerst riskant, sich langfristig ausschließlich auf dieses finanzielle Standbein zu verlassen. Diese Erkenntnis hat in Verlagen weltweit einen Prozess des Umdenkens in Gang gebracht. Mit der New York Times und dem Wall Street Journal als Vorbilder geht der Trend in diesen Tagen eindeutig weg von der „Gratiskultur“ und hin zum Paid Content. Immer mehr Zeitungen experimentieren mit Bezahlmodellen im Internet, um über Distributionserlöse eine dringend erforderliche, zusätzliche Finanzierungsquelle zu erschließen. Im In- und Ausland planen Verlage, im Internet nicht länger nur für als EPaper und App verbreitete Inhalte Geld zu verlangen, sondern auch für solche, die über den Browser aufgerufen werden (vgl. Kansky 2012, S. 152). Während im Jahr 1999 in den USA lediglich drei Tageszeitungen einen kostenpflichtigen Online-Zugang hatten (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 252), sind es heute bereits über 250 (Stand August 2012) (vgl. Kansky 2012, S. 152). In Deutschland vollzieht sich diese Entwicklung etwas langsamer, doch auch hier ist die Tendenz in den letzten Monaten steigend; so hatten bis Dezember 2012 bereits 31 Zeitungswebsites Paid Content-Strategien umgesetzt (vgl. BDZV 2012). 5 Tageszeitungen in der Krise 51 Fraglich bleibt jedoch, inwieweit überhaupt mit Zahlungsbereitschaft, bzw. Verständnis seitens der Leser gerechnet werden kann. Das Preisbewusstsein für Journalismus hat unter der jahrelangen Kostenlos-Mentalität zweifelsohne stark gelitten; sie ließ den Eindruck entstehen, redaktionelle Inhalte seien etwas, das ganz selbstverständlich und jederzeit gratis zur Verfügung steht. Branchenanalyst Allen D. Mutter geht sogar so weit, von der „Erbsünde“ der Verlage zu sprechen. Es habe der Industrie zwar „Millionen Augäpfel“ gebracht, aber mit den daraus resultierenden Einkünften könnten „noch nicht einmal die Kaffeekosten mancher Redaktionen bezahlt werden.“ (Ruß-Mohl 2009, S. 193) Wer im Internet all das gratis anbietet, was er mit herkömmlicher Drucktechnologie produziert weiterhin verkaufen möchte, schneidet sich ins eigene Fleisch. Er vermittelt dem Leser die Botschaft, seine Inhalte hätten keinen monetären Wert, und würden deshalb verschenkt. Wer für die Printausgabe noch Geld ausgäbe, sei gewissermaßen selbst schuld; im Nachhinein betrachtet ein fatales Signal. (vgl. ebd., S. 200) Auf diese Weise haben sich die Verlage der Chance beraubt, das Bewusstsein für den Wert journalistischer Inhalte im Internet gesellschaftlich zu verankern. Die stetig sinkenden Printauflagen sind somit im Grunde gar nicht das zentrale Problem der Verlage. Solange die Leser „ihrer“ Zeitung treu bleiben, ihr ins Netz folgen und somit lediglich das Trägermedium wechseln, könnte man noch von einer zukunftsorientierten Entwicklung sprechen. Doch die Verlagsmanager haben sich verrechnet, als sie davon ausgingen, im Internet nicht auf Gewinne aus Abonnements und Einzelverkäufen angewiesen zu sein (vgl. ebd.). Isaacson bringt die Diskrepanz der Situation auf den Punkt: „Newspapers have more readers than ever. (\) The problem is that fewer of these consumers are paying” (Isaacson 2009). Dem Project for Excellence in Journalism (PEJ) zufolge „(...) kristallisiert sich als größtes Problem traditioneller Medien nicht mehr die Frage heraus, wo sich die Leute ihre Informationen holen, sondern wie für diese bezahlt werden soll“ (Taylor/PEJ 2008). Paid Content könnte eine mögliche Antwort darauf sein; doch hierauf müssen sich nicht nur die Verlage, sondern vor allem die Leser einlassen. 5 Tageszeitungen in der Krise 5.3 52 Zahlungsbereitschaft Der Erfolg eines Paid Content-Modells steht und fällt mit der Zahlungsbereitschaft der potentiellen Leser- bzw. Nutzerschaft. Diese prägt sich in Deutschland bezüglich verschiedener Online-Services sehr unterschiedlich aus, wie das folgende Balkendiagramm, basierend auf einer Studie des Instituts Allensbach, verdeutlicht. Ermittelt wurde, wie groß der Anteil der deutschen Bevölkerung zwischen 14 und 64 Jahren ist, der bereit wäre, für spezifische Dienstleistungen im Internet Geld auszugeben. Abbildung 9: Begrenzte Zahlungsbereitschaft im Netz Quelle: ACTA 2012, IfD Allensbach, URL: http://de.statista.com/themen/746/xing/infografik/687/zahlungsbereitschaft-fuer-angebote-iminternet/ (27.05.2013) Jener Web-Service, bei dem sich diese Bereitschaft vergleichsweise besonders stark ausprägt sind die E-Mail-Dienste mit 26 Prozent zahlungsbereiten Bürgern. Mit 16 Prozent stehen die Nachschlagewerke diesbezüglich auf dem zweiten Platz. OnlineNachrichten stellen in dieser Erhebung das Schlusslicht dar; lediglich fünf Prozent der Befragten signalisierten Bereitschaft, diesbezüglich einen Obolus zu entrichten. Die generell sehr niedrigen Umfragewerte machen deutlich, wie gering das Preisbewusstsein der Deutschen für Internet-Dienstleistungen im Allgemeinen ist. 5 Tageszeitungen in der Krise 53 Auch im europäischen Vergleich ist die Zahlungsbereitschaft für Onlineangebote hierzulande nur unterdurchschnittlich ausgeprägt. Abbildung 10: Zahlungsbereitschaft für Internet-Inhalte Quelle: GfK Verein/WSJE, Studie „Internet”, Herbst 2009, URL: http://blogs.faz.net/netzwirtschaft-blog/2009/12/14/zahlungsbereitschaft-der-deutschen-fuerinternet-inhalte-ist-sehr-gering-1369/ (27.05.2013) Lediglich in Bezug auf Online-Spiele befindet sich Deutschland im europaweiten Vergleich zwei Prozentpunkte über dem Mittel. Im Bereich Nachrichten liegt die Bundesrepublik in dieser Erhebung mit 10 Prozent im Grunde relativ genau im europäischen Durchschnitt (11 Prozent). Die mangelnde Bereitschaft, für redaktionelle Inhalte im Internet Geld zu bezahlen ist somit kein deutsches Phänomen, sondern vielmehr ein weit verbreitetes Stimmungsbild. Die jahrelange „Kostenloskultur“ im Netz hat definitiv ihre Spuren hinterlassen. Dass sich dies keineswegs nur in der Zeitungsbranche auswirkt, zeigt sich auch hier in den allgemein sehr niedrigen Umfragewerten der Studie. Letztendlich wäre es aber vermessen, die Einstellung der Nutzer allein mit einer „Fehlerziehung“ durch die Verlage zu begründen. Die Online-Geschäftsfelder der Zeitungen sind extrem attraktiv (vgl. Verdenhalven 2012, S. 139), weshalb zahlreiche Wettbewerber in dieselbe Sparte drängen. Im Internet sind diese folglich nicht nur der Konkurrenz aus dem eigenen Mediensegment ausgesetzt (vgl. Nohr 2011, S. 17), sondern mit ei- 5 Tageszeitungen in der Krise 54 ner Vielzahl von anderen News-Anbietern, sogenannten Zeitungssubstituten (ebd., S. 80) konfrontiert. Beispiele hierfür sind Suchmaschinen-Betreiber wie Google, bzw. Google News, IT-Unternehmen wie MSN, reine Internet-Zeitungen wie die Netzeitung oder die Huffington Post, sowie Internetangebote von Rundfunkanstalten. Diese Marktteilnehmer bieten ihre Nachrichten meist gratis an. (vgl. ebd., S. 17) Um einen fairen Wettbewerb zu ermöglichen, der unter anderem die Akzeptanz von Bezahlmodellen erhöhen soll, verbietet der Rundfunkstaatsvertrag eine eigenständige redaktionelle Berichterstattung der Rundfunkanstalten im Internet, sofern diese keinen direkten Sendebezug hat (vgl. Verdenhalven 2012, S. 135). Sich auf diese Rechtsgrundlage berufend, reichten bis heute acht Zeitungsverlage Klage gegen die ARD und deren kostenlose, sehr textlastige Tagesschau-App ein. Hierbei handelt es sich aber bei weitem um keinen Einzelfall; eine Vielzahl von öffentlich-rechtlichen Anbietern veröffentlicht gratis beziehbare, presseähnliche Textbeiträge, die eigens für deren Homepages geschrieben wurden und befindet sich somit grundsätzlich auf rechtswidrigem Terrain. (vgl. ebd., S. 134) Angesichts dieser umfassenden kostenfreien Informationsmöglichkeiten im Internet ergibt sich für den Großteil der Konsumenten schlichtweg keine Notwendigkeit mehr für Zahlungsbereitschaft (vgl. Nohr 2011, S. 80f). Laut einer Studie von PricewaterhouseCoopers suchen die Konsumenten im Internet zu 68 Prozent nach allgemeinen Nachrichten. Auf dieser Ebene stellt das Onlineangebot der Tageszeitungen aber keinen ausreichenden Mehrwert, keine sogenannte Value Proposition dar, welche in den Augen der Nutzer eine Ausnahme vom allgemeinen Gratistrend rechtfertigen würde (vgl. ebd., S. 81). Eine weitere Ursache für die mangelnde Zahlungsbereitschaft liegt im Wesen des Betrachtungsgegenstands selbst. Nachrichten und Informationen, speziell in digitaler Form, unterscheiden sich durch ihren immateriellen, schwer fassbaren Charakter grundsätzlich von anderen Wirtschaftsgütern wie Autos oder Versicherungspolicen. Diese stehen dem Käufer exklusiv zur Verfügung; die Nachricht hingegen wird von einer Vielzahl von Personen gleichzeitig genutzt. Die meisten Güter haben zudem einen Marktpreis, der sich durch Angebot und Nachfrage ergibt; der Preis für Nachrichten ist dagegen nicht so eindeutig bestimmbar, geschweige denn nachvollziehbar. (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 111) 5 Tageszeitungen in der Krise 55 In einigen Branchen, wie der Musik- und der Spieleindustrie ist es bereits relativ erfolgreich gelungen, akzeptierte Bezahlmodelle zu etablieren. Ein populäres Beispiel hierfür ist der iTunes-Shop von Apple, welcher mit seinen kostenpflichtigen Downloads von Musiktiteln seit Jahren schwarze Zahlen schreibt. Dieser hat den Verlagen jedoch einen entscheidenden Vorteil voraus: Wer einen Musiktitel herunterlädt und auf seinem PC, Mp3-Player oder iPod speichert, hört diesen in der Regel immer wieder an. Bei einem Zeitungsartikel, der in den meisten Fällen nur ein einziges Mal gelesen wird, kommt dieser Effekt, etwas beliebig oft Nutzbares erworben zu haben, dagegen kaum zum Tragen. Im Allgemeinen sind Menschen von Gratisangeboten so nachhaltig und irrational beeindruckt, dass sie deren Sinnhaftigkeit nur im seltensten Fall hinterfragen (vgl. Ariely 2008, S. 49). Verhaltensökonom Dan Ariely sieht diese Begeisterung in einer tief verwurzelten Verlustangst begründet. Sobald etwas Geld kostet, haben wir die Befürchtung etwas einzubüßen, statt uns durch den Tausch besser zu stellen. (vgl. ebd., S. 54) Erhalten wir dagegen etwas umsonst, so empfinden wir das Gefühl diesbezüglich kein Risiko einzugehen und fühlen uns wohl (vgl. ebd., S. 49). Dieses Denkmuster lässt sich auch auf den Journalismus übertragen: Wenn ich für einen oder mehrere Artikel im Voraus bezahlen muss und noch nicht einmal weiß, ob ich einen erhöhten Erkenntnisgewinn aus der Lektüre ziehen werde, so überlege ich mir, ob ich dieselben Informationen nicht anderswo umsonst beziehen kann. Die einzige Sparte, in der auch im Verlagsbereich derzeit eine erhöhte Zahlungsbereitschaft festzustellen ist, sind spezielle und hochwertige Fachinformationen, insbesondere im beruflichen Kontext (vgl. Kansky 2009, S. 200). Diese müssen sich keiner Vielzahl von Konkurrenzanbietern stellen; dementsprechend bleibt dem Publikum auch keine kostenlose Ausweichmöglichkeit. 6 Vertriebsmodelle 6 56 Vertriebsmodelle Die im Folgenden vorgestellten Vertriebsmodelle für Zeitungswebsites sind grundsätzlich am Prinzip des Paid Content orientiert. Unter diesem Begriff versteht man den „digitale[n] kostenpflichtige[n] Vertrieb von Inhalten direkt an den Nutzer“ (Friedrichsen 2007, S. 149). Auf diese Weise wird gewissermaßen der Versuch unternommen, das klassische duale Geschäftsmodell der Printzeitung ins Internet zu übertragen (vgl. Nohr 2011, S. 88). Strategisch gesehen verbirgt sich hinter der derzeit allgegenwärtigen Einführung von Paid Content-Modellen der Wandel „vom werbezentrierten zum konsumentenzentrierten Zeitungsverlag“ (Giles 2010, S. 32). Die Motivation der Verlage liegt neben der Erschließung einer neuen Erlösquelle vor allem darin, beim Leser ein Bewusstsein für den Wert professionell recherchierter Inhalte zu schaffen (vgl. Kansky 2012, S. 154). Theoretisch bieten sich Zeitungen drei verschiedene Ansätze, die redaktionellen Inhalte ihrer Websites als Paid Content zu vermarkten: Online-Abonnements (SubskriptionsModelle), Micropayments und Flatrates (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 251). Diese Kategorien sind in sich nochmals mehr oder weniger stark ausdifferenzierbar, da sie verschiedene Ausprägungsformen annehmen können. Im ersten Teil des vorliegenden Kapitels sollen die genannten Modelle einer allgemeinen Betrachtung unterzogen werden, wobei auch auf deren unterschiedliche Erscheinungsformen eingegangen wird. Zur Veranschaulichung und tiefergehenden Analyse werden schließlich Beispiele von Anwendern aus der Praxis vorgestellt. Da es sich bei Paid Content durchaus um eine kontrovers diskutierte Strategie handelt (vgl. Nohr 2011, S. 88), bezieht die Autorin hierbei auch Verlagshäuser mit ein, welche Bezahlinhalte keineswegs, bzw. nur auf einer freiwilligen Basis für sinnvoll halten. 6.1 Subskription Das Modell der Subskription überträgt den Ansatz des Abonnements aus dem Printbereich auf die digitale Version der Zeitung (vgl. Nohr 2011, S. 89). Das Abonnement ist bereits seit dem 18. Jahrhundert neben den Einzelverkäufen die klassische Bezugsform journalistischer Inhalte. Einsatz findet jenes jedoch keineswegs nur in der Verlagswirtschaft; in vielen Bereichen des öffentlichen Lebens hat der Mensch die Möglichkeit ein Abonnement abzuschließen, sei es das Theater oder der Öffentliche Personennahverkehr. Nach Abschluss eines solchen Vertrages erhält der Bezieher in regelmäßigen Abständen eine Leistung, die in den allermeisten Fällen kostenpflichtig ist. 6 Vertriebsmodelle 57 Der Abonnent erklärt sich bereit, diese Leistung für einen bestimmten Zeitraum, beziehungsweise bis auf Widerruf zu bezahlen. Die Nutzung eines Abonnements hat meist den Vorteil, dass der Preis insgesamt niedriger ist, als beim Einzelerwerb der Waren, die im selben Zeitraum erscheinen. (vgl. Finanzlexikon Online o.J.) Im Bereich der regionalen und lokalen Tageszeitungen ist das Abonnement die mit Abstand wichtigste Vertriebsform, weshalb diese häufig auch als „Abonnementzeitungen“ bezeichnet werden. Bezahlt der Nutzer, wie in diesem Fall, eine regelmäßige Gebühr für die Möglichkeit der Nutzung eines Medienproduktes, so spricht man von einem transaktionsunabhängigen Entgelt (vgl. Huber 2007, S. 28). Für Verlage hat das Modell den entscheidenden Vorteil, dass ein Großteil des Absatzes verlässlich garantiert ist. Auch in Bezug auf Zeitungswebsites ist diese Form der Abrechnung weit verbreitet. Der Abschluss des Online-Abonnements geschieht dabei stets im Zuge der sogenannten Subskription. Für die Werbewirtschaft stellen die in diesem Zuge gewonnenen Kundendaten einen großen Mehrwert dar: Das bisher anonyme Online-Publikum kann identifiziert und somit gezielter angesprochen werden (vgl. Kansky 2012, S. 154). Zeitungswebsites werden so zu einem attraktiven Reklameumfeld, für welches Werbekunden bereit sind, mehr Geld zu bezahlen. Online-Abonnements werden von den meisten Verlagen in Kombination mit einer sogenannten Paywall umgesetzt. 6.1.1 Das Prinzip Paywall Der Begriff „Paywall“ kann im Deutschen sinngemäß am ehesten mit dem Ausdruck „Bezahlschranke“ gleichgesetzt werden. Auch die wörtliche Übersetzung „Bezahlmauer“ erfasst den Zweck dieses Modells, wird im allgemeinen Sprachgebrauch aber kaum verwendet. Es handelt sich hierbei um einen Mechanismus, bei dem der Leser nur durch Bezahlung (siehe Abschnitt 6.2) bzw. Subskription Zugriff auf bestimmte Inhalte einer Website erhält. Ruft jener einen Artikel auf der außerhalb seiner Zugangsberechtigung liegt, so erscheint eine Informationsgrafik (Paywall), die den Nutzer auf die monetären Bedingungen hinweist und gleichzeitig das Lesen des entsprechenden Artikels unmöglich macht. Grundsätzlich wird zwischen drei unterschiedlichen Ausprägungsformen der Paywall unterschieden: Metered Paywall, Freemium-Modell und Hard Paywall. 6 Vertriebsmodelle 6.1.1.1 58 Metered Paywall Bezahlpflichtige Inhalte bergen immer das Risiko, einen Rückgang der Reichweiten und somit einen erheblichen Einbruch der Werbeeinnahmen zu verursachen. Um diesbezüglich nicht zu sehr aus der Balance zu geraten, setzen die meisten Verlage im Rahmen ihrer Paid Content-Strategie auf ein Stufenmodell, welches die kostenfreie Lektüre eines Teils des Artikelspektrums gestattet. (vgl. Kansky 2012, S. 154) In vielen Fällen kommt daher die sogenannte Metered Paywall, oder auch „Soft Paywall“ zum Tragen; dieses Modell erlaubt die kostenlose Nutzung einer bestimmten Anzahl von Artikeln, und schränkt den Zugriff des Lesers erst dann ein, wenn jener das vorgegebene Kontingent an Gratis-Inhalten ausgeschöpft hat. Die Menge der kostenlos aufrufbaren Artikel bezieht sich dabei stets auf einen bestimmten Zeitraum, wie beispielsweise 30 Artikel pro Monat oder drei pro Tag und ist ressortunabhängig. Technisch realisiert wird das System über JavaScript-Code und Cookies, also kleine Textdateien, die auf dem Computer des Nutzers abgelegt werden und fortan jeden Zugriff auf einen Artikel der Website registrieren (vgl. Deutsche Presse-Agentur 2012a). Der Einsatz einer Metered Paywall hat vor allem den Vorteil, dass der Verlag nicht auf das enorme Marketingpotential sozialer Medien für seine bezahlpflichtigen Inhalte verzichten muss (vgl. Waller 2012, S. 177). In den meisten Fällen können alle Artikel einer solchen Website über Suchmaschinen gefunden und in sozialen Netzwerken geteilt werden, da kein Inhalt prinzipiell von der kostenfreien Lektüre ausgeschlossen ist. Ein weiterer entscheidender Vorteil von soften Bezahlschranken liegt darin, dass gelegentliche Leser durch das Modell nicht abgeschreckt werden, da sie die der Bezahlgrenze entsprechende Artikelanzahl meist gar nicht erreichen. Die Seitenaufrufe - für die Online-Werbung eine entscheidende Kennzahl - fallen somit nicht in einem drastischen Ausmaß ab. Gleichzeitig macht eine softe Bezahlschranke aber erst dann Sinn, wenn eine Vielzahl von Nutzern an deren Grenzen stößt. Folglich eignet sich das Metered Model besonders für jene Websites, die zusätzlich zu einer hohen Anzahl an Gelegenheitsnutzern über eine solide Basis an regelmäßigen Lesern verfügen (vgl. ebd.). 6.1.1.2 Freemium-Modell Das sogenannte Freemium-Modell limitiert den Zugriff auf kostenlos beziehbare Artikel nicht anhand von quantitativen Kriterien. Hier schließt der Verlag einen bestimmten Teil des Nachrichtenangebots grundsätzlich von der freien Zugänglichkeit aus. Dies betrifft meist jene Inhalte, welche aus Sicht des Medienunternehmens einen hohen Grad an Exklusivität aufweisen, da man hier eine erhöhte Zahlungsbereitschaft seitens der Nutzer erwartet (vgl. Waller 2012, S. 177). Ein klassische Beispiel für solche PremiumInhalte sind regionale und lokale Nachrichten; diese sind unter anderem bei der Berli- 6 Vertriebsmodelle 59 ner-Morgenpost und dem Hamburger-Abendblatt kostenpflichtig. Allgemeinere Beiträge wie die des überregionalen Mantels, welche auch von anderen Marktteilnehmern kostenfrei angeboten werden, sind dagegen meist gratis. (vgl. ebd.) Eine solche Kombination aus zugriffssteigernden freien Bereichen und monetarisierbaren Premium-Inhalten bezeichnet man allgemein als „Freemium“ (vgl. ebd.). Das Kunstwort setzt sich aus den Bestandteilen „free“ (kostenlos) und „premium“ (im Sinne von Aufpreis) zusammen und beschreibt ein Geschäftsmodell, in dessen Rahmen ein Unternehmen dem Kunden einen Großteil seiner (Internet-)Dienstleistungen gratis zur Verfügung stellt. Die grundlegende Idee besteht darin, durch kostenlose Basisdienste ein unverbindliches Kennenlernen der Services zu ermöglichen. Haben die Kunden den Nutzwert eines Angebotes erkannt, sinkt schließlich die Hemmschwelle, für das zusätzliche attraktive Premium-Angebot - die kostenpflichtigen Mehrwertdienste - zu bezahlen. Freemium-Modelle werden vor allem im Bereich des E-Commerce eingesetzt. (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon o.J.c) Seinen Umsatz generiert das Unternehmen zum einen über jene Zusatzleistungen rund um das kostenlose Angebot, zum anderen hält der aufgrund der Gratis-Dienste verstärkte Traffic auf die jeweilige Website die Reichweite, und somit vor allem die Werbeerlöse auf einem stabilen Niveau. Populäre Beispiele für Internetfirmen, deren Geschäftsmodell auf der Kombination von kostenlosen und kostenpflichtigen Angeboten beruht, sind unter anderem Skype, Flickr, Xing, sowie zahlreiche E-Mail-Dienste (vgl. Meier 2009, S. 179). Auch im Bereich der Online-Games ist das Freemium-Konzept verbreitet; das Spiel wird oftmals zum freien Download angeboten, um schließlich mit Upgrades und virtuellen Gütern Geld zu verdienen (vgl. Ellers 2012, S. 201). Ein großer Nachteil vom Freemium-Ansatz im Vergleich zum Metered Model besteht darin, dass vom traffic-treibenden Potenzial sozialer Netzwerke nur sehr eingeschränkt profitiert werden kann. Konzeptbedingt liegen die „besten“ oder „exklusivsten“ Inhalte hinter der starren Paywall (vgl. Waller 2012, S. 178), was deren Präsenz in solchen Netzwerken im Normalfall (sofern keine entsprechenden Einstellungen vorgenommen wurden) verhindert. Das Freemium-Modell eignet sich insbesondere für Verlagswebsites mit „starken Alleinstellungsmerkmalen“ (ebd.), bzw. einer hohen Rate an exklusiven Inhalten. Hierzu gehören vor allem Regional- und Lokalzeitungen; aufgrund ihres Status als wichtigste Anlaufstelle für Nachrichten in ihrem Verbreitungsgebiet müssen sich diese kaum der Konkurrenz durch kostenfreie Angebote anderer Wettbewerber beugen. (vgl. ebd.) 6 Vertriebsmodelle 6.1.1.3 60 Hard Paywall Die sogenannte Harte Bezahlschranke (Hard Paywall) ist die strikteste Form der Umsetzung des Paywall-Konzeptes. Hier ist nahezu das gesamte Artikelspektrum der Website lediglich den Abonnenten vorbehalten. Ein prominenter Anwender dieser Strategie ist die britische Times (auch „London Times“), welche das Modell im Jahr 2010 einführte. Mit Ausnahme der Startseite ist das komplette redaktionelle Onlineangebot seither kostenpflichtig. Bezüglich eines zu befürchtenden Reichweitenverlustes ist diese Paid Content-Strategie definitiv die riskanteste. Dies bekam auch die Times in vollem Ausmaß zu spüren; so büßte das britische Traditionsblatt nach der Änderung seiner Zugriffsbedingungen auf einen Schlag 90 Prozent seiner Online-Leserschaft ein. Trotz dieses enormen Einbruchs ist der Verlag bis heute nicht von seinem Modell abgewichen und hat sich mittlerweile auf einen Nutzerstamm von beachtlichen 120.000 Online-Abonnenten (vgl. Waller 2012, S. 178) stabilisieren können. (vgl. fX 2013) Der wahrscheinlich größte Nachteil von harten Bezahlschranken ist, dass deren Anwender nahezu komplett auf das enorme Marketingpotential von Google- und SocialMedia-Traffic verzichten müssen (vgl. Waller 2012, S. 178), da die Inhalte weder von Suchmaschinen gefunden, noch in sozialen Netzwerken geteilt werden können. Ein Bereich in dem diese extreme Form von Paywall noch am ehesten funktionieren kann, sind Nischenmärkte, die überhaupt nicht, oder nur in sehr geringem Umfang von anderen Redaktionen bedient werden. Jener Abrechnungsmodus, der in Deutschland in Bezug auf Paid Content-Angebote von Tageszeitungen derzeit mit Abstand am weitesten verbreitet ist, ist das Abonnement in Verbindung mit dem Freemium-Modell. Das Metered Model wird ebenfalls in zahlreichen Verlagen eingesetzt, jedoch längst nicht in einem solchen Umfang. Harte Bezahlschranken spielen für die deutschen Tageszeitungen hingegen eine nahezu unerhebliche Rolle; der BDZV listet derzeit nur zwei Verlage als Herausgeber, die ihre Inhalte lediglich zahlenden Kunden vorbehalten (Stand Mai 2013). (vgl. BDZV o.J.b) Zusätzlich zum klassischen Abonnement bietet eine Vielzahl von Zeitungshäusern ihren Lesern die Nutzung eines Tagespasses an, welcher einen 24-stündigen Zugriff auf das gesamte Onlineangebot ermöglicht (vgl. ebd.). Eine übliche Praxis ist es zudem, Lesern beim Erwerb des Print-Abonnements einer Zeitung auch den uneingeschränkten Zugriff auf das Webangebot zu gestatten. 6 Vertriebsmodelle 6.2 61 Micropayments Gedruckte Zeitungen können grundsätzlich nur als ganzes Produkt verkauft werden; im Internet ist es hingegen möglich, auch einzelne digitale Artikel zu vermarkten (vgl. Nohr 2011, S. 48). Umgesetzt wird dies über das System des Micropayment. Hinter diesem Begriff verbirgt sich die generelle Zahlung von Kleinstbeträgen bis etwa fünf Euro in allen Bereichen des E-Commerce. Im Gegensatz zum Abonnement richtet sich die Gebühr hier stets nach der tatsächlichen Leistungsmenge; es handelt sich somit um ein transaktionsabhängiges Entgelt (vgl. Huber 2007, S. 28). Die Überweisung der Beträge erfolgt meist elektronisch, da die Transaktionskosten für eine Kreditkartenzahlung oder eine Übertragung per Lastschrift in diesem Preissegment unverhältnismäßig hoch wären (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon o.J.d). Oftmals kommen hierbei spezielle Micropayment-Systeme, wie PayPal oder ClickandBuy zum Einsatz, welche dem Zahlungsempfänger je Zahlungsvorgang eine Gebühr berechnen (vgl. Nohr 2011, S. 88). Im Optimalfall kann der Nutzer die Kleinstbeträge mittels eines einfachen Mausklicks und ohne die wiederholte Eingabe von persönlichen Angaben, Kontonummern, etc. entrichten (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 252). Oftmals zahlt dieser nach dem PrePaid-Prinzip einen bestimmten größeren Betrag ein, von welchem die angefallenen Kosten nach und nach abgezogen werden. Im Gegensatz zum Abonnement lässt sich das System gewissermaßen für alle Medien wie Blogs, Musik oder Online-Spiele, sowie zur Unterstützung von Bürgerjournalismus nutzen (vgl. Isaacson 2009). Mikro-Bezahlsysteme zur Abrechnung von kostenpflichtigen Inhalten auf Zeitungswebsites werden in Deutschland bisher nur in äußerst geringen Umfang eingesetzt. 6.2.1 Social Payment Ein außergewöhnliches Geschäftsmodell im Bereich der Zahlung von Kleinstbeträgen für redaktionelle Inhalte ist das sogenannte Social Payment. Der Unterschied zum klassischen Micropayment liegt darin, dass der Nutzer hier selbst entscheiden kann ob, und wenn ja, wie viel er bereit ist, für den Zugriff auf einen bestimmten Inhalt zu bezahlen. Zudem kann der User - entsprechend dem Belohnungscharakter des Systems einen Inhalt betrachten, bevor er sich zu dessen finanzieller Unterstützung entschließt. Social Payment-Services sind dabei stets vom Vorhandensein der intrinsischen Motivation des Internetnutzers, einen bestimmten Anbieter digitaler Inhalte finanziell zu unterstützen, abhängig. Ein populärer Anwender dieser unkonventionellen Strategie ist die überregionale deutsche Tageszeitung taz. Deren Erfahrungen mit dem Modell sollen später noch einmal gesondert dargestellt werden. 6 Vertriebsmodelle 62 Als Begründerin der Social Payment-Bewegung gilt Cynthia Typaldos mit ihrem Unternehmen „Kachingle“ aus Mountain View, Kalifornien. Das Konzept ihres freiwilligen Mikrobezahlsystems ist simpel: Jedes Kachingle-Mitglied zahlt einen monatlichen Betrag von fünf Euro auf ein Konto ein. Danach kann der Nutzer auf den Websites, die ihm einen besonderen Mehrwert erbracht haben das sogenannte Kachingle-Medaillon anklicken; Voraussetzung ist jedoch, dass die Sites Mitglieder des Dienstes sind. Am Ende eines jeden Monats wird die Anzahl der Klicks addiert und der eingezahlte Geldbetrag, abzüglich eines Verwaltungskostenanteils von 15 Prozent, gleichmäßig auf die Website-Anbieter verteilt. Alle damit verbundenen Geldtransaktionen werden derzeit über PayPal abgewickelt. (vgl. Langer 2010) Die Idee entstand als Typaldos, früher Director of Standards bei Sun Microsystems, im Internet recherchierte, um ein Dossier für ihre krebskranke Freundin zusammenzustellen. Als sie damit fertig war, wollte sie zur Belohnung 100 Dollar auf die benutzten Websites verteilen, konnte aber nicht mehr feststellen, welche Seiten sie besucht hatte. Schließlich arbeitete sie mehrere Jahre lang ihre Idee eines freiwilligen Mikrobezahlsystems aus und gründete 2009 das Unternehmen Kachingle. Das Kunstwort setzt sich aus den Begriffen „kaching“ für das Geräusch einer alten Registrierkasse, sowie „jingle“ für das Klimpern von Münzen zusammen. (vgl. ebd.) Typaldos hat sich stets darum bemüht, das Bezahlsystem so einfach wie möglich zu gestalten, und dem Nutzer - abgesehen von den Seiten die er unterstützen möchte keine Auswahlmöglichkeit zu lassen. So ist es z.B. nicht möglich, mehr oder weniger als fünf Euro monatlich zu spenden. Typaldos begründet dies mit dem sogenannten „Paradox of Choice“-Phänomen: Lässt man dem Menschen zu viele Wahlmöglichkeiten, so fängt er an zu grübeln und fühlt sich schnell überfordert. (vgl. ebd.) Als europäisches Pendant zu Kachingle gilt das schwedische Start-up „Flattr“. Der Begriff setzt sich aus den Bestandteilen „Flatrate“ (Pauschalgebühr) und dem englischen Verb „to flatter“ (jemandem schmeicheln) zusammen. Hauptinitiator ist Peter Sunde, einst Mitbegründer und Pressesprecher der umstrittenen Torrent-Suchmaschine „The Pirate Bay“. Die Funktionsweise unterscheidet sich im Grunde kaum von der des amerikanischen Konkurrenten, jedoch lässt Flattr seinen Nutzern die Freiheit, die Höhe des monatlich verfügbaren Guthabens selbst festzulegen. Ein Mindestbeitrag von zwei Euro ist aber auch hier vorgegeben. Zudem ist die Form der Unterstützung bei Flattr stärker differenzierbar als bei Kachingle; so ist es möglich, auch einzelne Artikel, Blogbeiträge oder sogar Leser-Kommentare zu unterstützen. Kachingle bezieht sich hingegen stets auf die gesamte Website, das ganze Blog, eine Rubrik oder einen bestimmten Autor, und ist somit stärker auf eine institutionelle Unterstützung ausgerichtet. (vgl. Eisfeld-Reschke 2010) 6 Vertriebsmodelle 63 Grundsätzlich verfügt Flattr in Deutschland über einen wesentlich höheren Bekanntheitsgrad und eine stärkere Verbreitung als Kachingle. Der große Durchbruch, und somit eine flächendeckende Integration des Flattr-Buttons in die Webauftritte deutscher Medienunternehmen ist bislang aber ausgeblieben. Konkrete Zahlen, wie viele Nutzer der Social Payment-Dienst heute hat gibt das Unternehmen nicht bekannt. (vgl. Lüke 2012) Im Bereich der Zeitungswebsites werden weder Flattr noch Kachingle in relevantem Ausmaß genutzt. Die taz, eines der wenigen großen deutschen Medienunternehmen die Flattr in ihr Onlineangebot eingebunden haben, bekundet, dass sich die Einnahmen über den Dienst seit dem Frühjahr 2011 halbiert hätten; die Gewinne sind mittlerweile auf unter tausend Euro im Monat gesunken (vgl. Deutsche Presse-Agentur 2012b). Matthias Urbach, Leiter von taz.de sieht dies im niedrigen Bekanntheitsgrad des Services begründet: „Flattr ist nach wie vor nur in der Internetszene bekannt, (...) Leser bezahlen lieber auf vertrauten Kanälen“ (Lüke 2012). Für Großunternehmen wie Zeitungsverlage sind die Einnahmen über solche Dienste bisher lediglich ein unbedeutender Tropfen auf dem heißen Stein. In der breiten Masse ist die Nutzung von Social Payment-Services kein Thema, wobei Millionen von Anwendern notwendig wären, um in der Größenordnung der Tageszeitungen überhaupt nennenswerte Gewinne zu generieren. Selbst wenn eine Vielzahl von Verlagen Services wie Flattr oder Kachingle einbinden würde, wären viele Menschen sicher überzeugt, die großen Medienunternehmen seien auf das „kleine Geld“ der Nutzer nicht angewiesen. Unter diesem Aspekt betrachtet könnte eher die Bloggerszene von solchen Diensten profitieren. Aber auch hier werden Gewinne über Social Payment-Services lediglich ein Zubrot bleiben. Social Payment ist ein Ansatz der von extrem idealistischen Vorstellungen geprägt ist. Der Nutzer soll bezahlen, obwohl er es nicht müsste, geschweige denn einen direkten persönlichen Vorteil daraus ziehen würde. (vgl. Meyer-Lucht 2009) Dies erfordert einen hohen Grad an intrinsischer Motivation, welcher in der breiten Masse nicht vorausgesetzt werden kann. 6 Vertriebsmodelle 64 6.2.2 Crowdfunding Social Payment-Dienste werden oftmals in Zusammenhang mit dem sogenannten Crowdfunding erwähnt. Im Deutschen ist hierfür der Begriff „Schwarmfinanzierung“ geläufig, welcher für eine Geschäftsstrategie steht, bei der Aktionen (Projekte, Produkte oder Geschäftsideen von Privatpersonen) mithilfe von Fremdkapital finanziert werden. Kapitalgeber ist dabei meist eine anonyme Masse von Internetnutzern. (vgl. Wenzlaff; Gumpelmaier; Eisfeld-Reschke 2012) Jedes Projekt hat eine Mindestkapitalmenge, deren Finanzierung gesichert sein muss bevor die Aktion starten kann. Ein einzelnes Mitglied der Masse übernimmt hierbei jeweils nur einen geringen Teil der Gesamtkosten. Im Unterschied zum Social Payment werden die Beiträge stets für Projekte gesammelt, die noch in Planung sind, und nicht für solche, die bereits umgesetzt wurden. Der Aspekt der freiwilligen Transaktion grenzt Crowdfunding und Social Payment deutlich von konventionellen Paid Content-Strategien ab. Auch die Motivation hinter beiden Konzepten ist sehr ähnlich; so teilen sie eine Philosophie, bei welcher Geld nicht nur für den direkten Nutzen, auf Inhalte zugreifen zu können bezahlt wird, sondern als Zeichen der Wertschätzung und Belohnung für deren Produzenten. (vgl. Wenzlaff; Röthler 2010) Im Film-, Musik- und Buchbereich konnten über Crowdfunding bereits zahlreiche Projekte erfolgreich realisiert werden. Im Journalismus ist die Welle - zumindest in Deutschland - aber noch nicht richtig angekommen. Redaktionelle Inhalte über Crowdfunding zu finanzieren ist in den USA dagegen schon länger üblich; Plattformen wie „Kickstarter“ haben es sich zum Ziel gemacht, investigative Recherchen mittels Schwarmfinanzierung zu ermöglichen. (vgl. Böger 2013) Eine nennenswerte Journalismus-Crowdfunding-Plattform im deutschsprachigen Raum ist „Krautreporter“. Die Website bietet Journalisten, Fotografen, Dokumentarfilmern oder auch Podcastern seit ihrem Launch im Februar 2013 die Möglichkeit, geplante Recherchen oder Projekte vorzustellen und für deren finanzielle Unterstützung zu werben (vgl. Krautreporter o.J.). Bei Einzelprojekten beispielsweise von freien Journalisten mag dies eine interessante Option sein; für die tägliche Arbeit einer Tageszeitung ist die Finanzierung über Crowdfunding hingegen viel zu umständlich und ungewiss. Medienunternehmen müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Projekte realisiert werden; diesbezüglich können sie sich nicht vom Wohlwollen einer anonymen Masse abhängig machen. 6 Vertriebsmodelle 6.3 65 Flatrates Eine weitere, wenn auch in der Praxis bisher kaum genutzte Möglichkeit journalistischen Online Content zu vermarkten, ist das Erheben einer Pauschalgebühr für den Zugriff auf Zeitungswebsites. Der enorme Vorteil eines solchen Systems liegt darin, dass der Nutzer keine aufwändige Mehrfachregistrierung hinter sich bringen muss, um auf kostenpflichtige Inhalte verschiedener Anbieter zugreifen zu können. Problematisch gestaltet sich bei einer solchen Flatrate, wie sie im Bereich der Pay-TVProgramme, Telefon- und Internetservices schon lange üblich ist, jedoch die gerechte Verteilung der Gebühreneinnahmen auf die beteiligten Redaktionen (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 252). Eines der seltenen Beispiele für die Umsetzung des Flatrate-Systems im Verlagsbereich kommt aus der Slowakei. Das Start-up „Piano Media“ führte im Mai 2011 ein solches gemeinschaftliches Bezahlmodell ein, welches dem Nutzer die Möglichkeit gibt, kostenpflichtige Inhalte von insgesamt elf teilnehmenden Medienunternehmen (Stand August 2012) über ein einziges Abonnement zum Preis von 3,90 Euro pro Monat zu beziehen. Hat der Kunde sich einmal eingeloggt, so kann er sich frei auf allen kooperierenden Zeitungswebsites bewegen. Die hier generierten Einnahmen werden anteilig an die teilnehmenden Zeitungen ausgeschüttet, wobei Piano Media 30 Prozent davon einbehält. (vgl. Kansky 2012, S. 156f) Bisher sind die Erträge, die das Unternehmen aus dem Flatrate-System erwirtschaftet noch sehr überschaubar; trotzdem plant Piano Media seine Strategie in weiteren europäischen Ländern umzusetzen, auch Kooperationen mit deutschen Verlagen sind im Gespräch (vgl. Siegert 2012). In der Praxis ist der flächendeckende Einsatz des Modells derzeit eher als unrealistisch zu bewerten. Auch wenn die Idee äußerst praktisch erscheint, macht eine solche Flatrate erst dann einen Sinn, wenn sich eine ausreichende Anzahl von Zeitungsverlagen mit einem breiten inhaltlichen Spektrum daran beteiligt. Da sich aber längst noch nicht alle (deutschen) Tageszeitungen dem Prinzip Paid Content zugewandt haben, bzw. sehr uneinheitliche Bezahlmodelle verfolgen, wird es - wenn überhaupt - noch dauern, bis diese eine solche Kooperation in Betracht ziehen. 7 Fallbeispiele 7 66 Fallbeispiele Anhand der folgenden Fallbeispiele soll aufgezeigt werden, welche Erfahrungen Tageszeitungen in der Praxis mit unterschiedlichen Paid Content-Strategien machen. Im Fokus steht hierbei die Frage, ob, und wenn ja in welchem Ausmaß die Arbeit mit Bezahlinhalten bereits zum wirtschaftlichen Erfolg der Verlage beitragen kann. Zudem soll beleuchtet werden, aus welchen Gründen sich diese für ihr jeweiliges System entschieden haben und welche typischen Probleme der Einsatz der verschiedenen Modelle mit sich bringen kann. 7.1.1 The New York Times Im Zuge des vieldiskutierten Trends rund um die Einrichtung von Paywalls wird die überregionale amerikanische Tageszeitung The New York Times (NYT) meist als einer der großen Vorreiter dieser Bewegung genannt. Seit März 2011 hat der Verlag das Metered Model auf seiner Website NYTimes.com im Einsatz und fordert den Nutzer nach der kostenfreien Lektüre von aktuell zehn Artikeln pro Monat auf, ein Abonnement abzuschließen. Bezüglich dieses Abonnements kann zwischen drei verschiedenen Varianten gewählt werden: Für 15 US-Dollar pro Monat erhält der Leser vollständigen Zugriff auf alle Artikel der Website inklusive Handy-App, für 20 Dollar kann er die gesamte Website nutzen und erwirbt gleichzeitig einen Zugang via Tablett-App, oder aber er entscheidet sich für das all-inclusive Paket für 35 Dollar, welches all diese Angebote vereint. Besitzt der Leser ein Print-Abonnement, so hat er generell uneingeschränkten Zugriff auf alle digitalen Inhalte. (vgl. Peters 2011) Die wirtschaftliche Bilanz des Verlages in Bezug auf das Paid Content-Modell fällt hervorragend aus. Zum ersten Mal in der Geschichte der Times waren im abgelaufenen Geschäftsjahr die Einnahmen aus Zeitungsverkäufen und Digital-Abonnements höher gewesen als jene aus dem Anzeigengeschäft. Insgesamt konnte der Verlag, in welchem neben der NYT auch deren internationale Ausgabe International Herald Tribune, sowie der Boston Globe erscheinen, im Jahr 2012 Vertriebserlöse in Höhe von 953 Millionen US-Dollar erwirtschaften, wohingegen die Anzeigenerlöse „lediglich“ 898 Millionen betrugen. Diese Entwicklung ist zum einen durch einen Rückgang der Werbeumsätze zu erklären, zum anderen durch den positiven Anlauf des Paid ContentGeschäfts. (vgl. heise online 2013) 7 Fallbeispiele 67 Die folgende Statistik zeigt die Wachstumsentwicklung der Vertriebserlöse der New York Times Media Group von Anfang 2010 bis Ende 2012. Abbildung 11: Mehr Umsatz dank Paywall Quelle: The New York Times Company, URL: http://de.statista.com/themen/176/zeitung/infografik/884/wachstum-der-vertriebserloese-dernew-york-times/ (27.05.2013) Ende 2010 verzeichnete der Verlag einen deutlichen Rückgang im Wachstum der Vertriebserlöse. Mit Einführung der Paywall stiegen diese jedoch erstaunlicherweise wieder um durchschnittlich 9,5 Prozent pro Quartal an, wozu das Geschäft mit digitalen Inhalten offensichtlich einen enormen Beitrag zu leisten vermochte. (vgl. Brandt 2013) In den vier Quartalen seit Einführung der Bezahlschranke gelang es der New York Times Company 243 Millionen US-Dollar im Digitalgeschäft zu erwirtschaften, was immerhin 15 Prozent des Umsatzes der gesamten Gruppe ausmacht (vgl. Malcher 2012). Nach einem Verlust von 39,7 Millionen Dollar im Jahr 2011 verbuchte der Konzern 2012 insgesamt einen Gewinn von 133 Millionen Dollar (vgl. stern.de 2013). Die Bereitschaft der Leser, für virtuelle Inhalte zu bezahlen, ist offenbar vorhanden: Allein im vierten Quartal 2012 konnte die NYT die Zahl ihrer Digital-Abonnements gegenüber dem Vorquartal um 13 Prozent steigern und zählt heute eine zahlende OnlineLeserschaft von über 640.000 (Stand Februar 2013) (vgl. BDZV 2013a). 7 Fallbeispiele 68 Es handelt sich keineswegs um den ersten Paid Content-Vorstoß von NYTonline. Bereits in den Jahren 2005 bis 2007 war im Rahmen des Projekts „TimesSelect“ eine Bezahlschranke im Einsatz. Die Beiträge beliebter Kolumnisten, sowie ein Großteil des Archivs waren damals entsprechend dem Freemium-Modell nur noch nach einer kostenpflichtigen Subskription abrufbar. Nach umfassenden strategischen Abwägungen wurde das Projekt jedoch wieder eingestellt. Die Problematik bestand vor allem darin, dass die Artikel „hinter“ der Paywall nicht mehr von Suchmaschinen gefunden werden konnten, und die Website infolgedessen stark an Reichweite einbüßte (vgl. Biermann 2011). Obwohl die NYT im Rahmen von TimesSelect rund zehn Millionen Dollar Einkünfte erzielte und über 787.000 Online-Abonnenten gewinnen konnte, war der allgemeine Konsens, die Schranke zugunsten von steigenden Werbeumsätzen wieder zu öffnen (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 65f). „Auch wenn wir mit TimesSelect unsere selbstgesetzten Ziele nicht nur erreicht, sondern übertroffen hatten, war es im Blick auf die Dominanz der Suchmaschinen an der Zeit, unseren Kurs zu korrigieren“ (ebd., S. 66) - so das Credo von Arthur Sulzberger Jr., dem Herausgeber der NYT. Dieser Erfahrungswert wurde bei der Planung der aktuellen Paywall miteinbezogen, weshalb der Verlag nun auf die Social Media- und Suchmaschinenkompatibilität des Metered Models setzt. Werden die Inhalte über Blogs, Twitter, Facebook oder ähnliche Dienste gefunden und aufgerufen, so kommt zudem nicht mehr die „Zehn Artikel pro Monat“-Regel zum Tragen, sondern ein „Fünf Texte am Tag“-Limit. Bloggt oder twittert sich ein User beispielsweise die URLs der Artikel selbst, so erlangt er auf relativ simple Weise deutlich umfangreichere Zugangsmöglichkeiten zum Nachrichtenangebot. Durch das Löschen von Cookies auf dem Server des Users, ebenso wie durch das Entfernen eines bestimmten Abschnittes in der URL kann sogar ein völlig uneingeschränkter Zugriff erreicht werden. (vgl. Biermann 2011) Auch wenn man davon ausgehen kann, dass hinter dieser „löchrigen“ Struktur ein gewisses Kalkül seitens des Verlags steckt, zeigt sich hier exemplarisch die große Schwachstelle aller Bezahlschranken. Grundsätzlich profitieren Websites von Zeitungen in ungeheurem Maße vom Traffic über Suchmaschinen und soziale Netzwerke. Will der Verlag jedoch Umsätze über eine „funktionstüchtige“, undurchdringbare Bezahlschranke generieren, so geht dieser wertvolle Zustrom an Lesern (zumindest teilweise) verloren. Die direkte Konsequenz dieses Reichweitenverlusts ist ein mehr oder minder großer Einbruch der Werbeeinkünfte, welcher erst einmal durch eine entsprechende Anzahl von zahlenden Abonnenten ausgeglichen werden muss. 7 Fallbeispiele 69 Zeichnet sich die Paywall, wie im Falle von NYTonline, dagegen durch einen instabilen Charakter aus, so muss auf diesen Traffic nicht verzichtet werden. Im Grunde stellt diese Durchlässigkeit aber das gesamte Prinzip der Bezahlschranken in Frage. Wenn der findige Nutzer die Kostenpflicht durch ein paar zusätzliche Klicks umgehen kann, dann ist der Verlag wiederum auf die „Barmherzigkeit“ des Anteils der Leser angewiesen, welche trotz allem bereit sind, für die Inhalte zu bezahlen. Somit bewegt sich eine löchrige Bezahlschranke nahezu im Bereich des Social Payment, wodurch sie dem eigentlichen Zweck der Metered Paywall kaum mehr gerecht wird. (ebd.) Ein weiterer, häufig angebrachter Kritikpunkt am Metered Model ist, dass die Zeitungen damit im Grunde ihre besonders treuen Leser „bestrafen“ würden, da nur diese etwas für das Angebot bezahlen müssen. Diese Argumentation lässt aber einen wichtigen Aspekt außen vor: Wer das Angebot eines Nachrichtenportals sehr häufig nutzt, gewinnt daraus offensichtlich einen gewissen Mehrwert. Und dieser Mehrwert sollte dem Leser im Idealfall auch etwas wert sein. Die Soft Paywall lässt dem User die Gelegenheit, erst einmal zu testen, inwiefern er von den Inhalten einer Website profitiert. Der bisherige Erfolg der New York Times hat definitiv Vorbildcharakter in der Verlagswelt. Deren Erfahrungen zeigen, dass es unter Umständen möglich ist, die Verluste aus Print und Werbung mit kostenpflichtigen Online-Inhalten weitgehend auszugleichen. Auch in Deutschland findet das Metered Model derzeit zahlreiche Nachahmer. Angefangen mit welt online, deren Paywall bereits seit Dezember 2012 in Betrieb ist, werden in naher Zukunft auch die Onlineangebote der FAZ, der Süddeutschen Zeitung, sowie zahlreiche lokale Titel eine bewegliche Bezahlschranke integrieren. Dass wohl alle diese Zeitungen zumindest vorerst mit beachtlichen Reichweitenverlusten zu kämpfen haben werden, steht außer Frage. Statistisch gesehen müssen Websites nach der Einführung einer Bezahlschranke mit einem einmaligen Leserrückgang von 10 bis 15 Prozent rechnen (vgl. Waller 2012, S. 179). Die Kunst besteht letztendlich darin, die sinkenden Werbeerlöse mit den Einnahmen durch Abonnements auszugleichen, bzw. im Optimalfall sogar schwarze Zahlen zu schreiben. 7.1.2 The Guardian „Ich glaube fest, dass Vertriebserlöse im Geschäftsmodell der Zeitungen keine Zukunft haben. Uns bleiben nur das Anzeigengeschäft und alternative Einnahmen“ (Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 206) - so die Meinung von Alan Rusbridger, Chefredakteur der linksliberalen britischen Tageszeitung The Guardian. Im Zuge des allgemeinen Trends hin zum Paid Content definitiv eine ungewöhnliche These, welche dem Ansatz der New York Times radikal widerspricht. 7 Fallbeispiele 70 Das Traditionsblatt wird von Guardian News & Media Ltd. publiziert und bereits seit 1932 vom sogenannten Scott Trust geführt, einer Stiftung, die das Hauptziel verfolgt, die journalistische und finanzielle Unabhängigkeit des Guardian dauerhaft zu sichern. Der Trust besitzt eine Reihe gewinnträchtiger Firmen, wie zum Beispiel das Gebrauchtwagenmagazin und -portal Autotrader. Mit den dort erzielten Profiten können die Verluste im Geschäft mit der Tageszeitung weitgehend ausgeglichen werden. (vgl. Hülsen 2011, S. 144) Die Guardian Media Group muss daher grundsätzlich nicht gewinnorientiert arbeiten, und kann Überschüsse „in journalistische Qualität reinvestieren“ (Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 208). Trotz allem ist die wirtschaftliche Situation des Verlages besorgniserregend. Die Auflage des Guardian ist in den vergangenen Jahren konstant gesunken; während diese im Jahr 2008 noch bei knapp 380.000 lag (vgl. Zylbersztajn 2013), hat sie sich bis heute auf rund 202.000 Exemplare reduziert (Stand Februar 2013) (vgl. Jungclaussen 2013, S. 1). Zusätzlich zu dieser Entwicklung gehen auch die Erlöse aus den Stellenanzeigen kontinuierlich zurück (vgl. Borger 2011). Ohne die Unterstützung aus dem Scott Trust wäre das Blatt mit großer Wahrscheinlichkeit bereits bankrott. Andrew Miller, Leiter der Guardian Media Group befürchtet aber, dass dem Verlag in wenigen Jahren zwangsläufig das Geld ausgehen wird. (vgl. Hülsen 2011, S. 144) Um dies zu verhindern, haben Rusbridger und Miller bereits im Jahr 2011 ein extremes Sparprogramm umgesetzt, mit dem Ziel, ihre Ausgaben jährlich um 8,5 Millionen Euro zu senken (vgl. Zylbersztajn 2013). Gleichzeitig wurde der Preis für die Printausgabe des Guardian von 1 Pfund auf 1,20 Pfund erhöht (vgl. Hülsen 2011, S. 144f). Auch auf inhaltlicher Ebene setzte der Verlag in jenem Jahr grundlegende Veränderungen um. Der gedruckte Guardian widmet sich seither, auf einer deutlich reduzierten Anzahl von Seiten, weniger der reinen Nachrichtenerstattung als einer fundierten Analyse. Umfassende Leserbefragungen hatten ergeben, dass ein Großteil der Menschen das Blatt erst am Abend liest. Zu diesem Zeitpunkt haben diese die Nachrichten bereits auf digitale Weise bezogen und wünschen sich nun, etwas über deren Hintergründe zu erfahren. (vgl. Borger 2011) Dass mit diesem Konzept der Auflagenschwund zu stoppen sei glaubt man beim Guardian nicht. Das vorrangige Ziel ist die Einsparung von Kosten (vgl. Hülsen 2011, S. 146), nicht die Rettung des Printmediums. Für jenes sieht der Verlag keine Zukunft mehr und hält die Ausgaben daher so gering wie möglich. Dementsprechend wurde ein drastischer Kurswechsel in der Verteilung der Gelder angeordnet. Der Leitsatz lautet seitdem „Digital First“, was bedeutet, dass alle Investitionen zukünftig nur noch dem Webauftritt guardian.co.uk zugutekommen (vgl. Borger 2011). 7 Fallbeispiele 71 Die Online-Präsenz des Guardian ist hochangesehen, preisgekrönt, und gilt als eine der besten Nachrichtenwebsites der Welt. Dies liegt vor allem daran, dass der Verlag von Anfang an ein extremes Interesse daran hatte, seine digitale Plattform so attraktiv wie nur möglich zu gestalten. Als eine der ersten Zeitungen weltweit und als erste britische Zeitung überhaupt, investierte der Guardian bereits 1995 in einen Webauftritt, der deutlich mehr war als ein reines Nachrichtenportal. Mit einer starken Fokussierung auf Analysen, Kommentare und Statistiken informiert die Website den Leser schon lange weitaus umfassender als die entsprechende Printausgabe. Auch hinsichtlich der Integration von Archiven, interaktiven Grafiken, Videos und Blogs, sowie des Miteinbezugs von Bürgerjournalismus, gilt die Website als einer der ganz großen Vorreiter. Zudem zeichnet sich die Seite durch einen extrem hohen Aktualisierungsgrad aus: Durchschnittlich 400 neue Artikel veröffentlicht die Redaktion innerhalb von 24 Stunden. (vgl. Jungclaussen 2013, S. 2) David Levy vom Oxforder Reuters Institute of Journalism geht sogar so weit, den Guardian als „innovativste digitale Zeitung überhaupt“ zu bezeichnen (ebd., S. 1). Trotz umfassender Beliebtheit kann auch guardian.co.uk nicht allein durch Werbeeinnahmen finanziert werden. Der Notwendigkeit, zusätzliche Einkünfte zu erwirtschaften ist sich Rusbridger durchaus bewusst: „(...) es gibt kein schlüssiges Geschäftsmodell mehr, das es erlaubt, den journalistischen Auftrag ohne Zusatzgeschäfte zu erfüllen“ (Weichert; Kramp; Jakobs 2009, S. 206). Diese ergänzenden Einnahmequellen sieht er im Bereich der Quersubventionierung über branchenfremde Services wie das Gebrauchtwagenmagazin des Scott Trust, oder die verlagseigenen Regionalzeitungen und Radiostationen, die seiner Aussage nach „satte Gewinne“ abwerfen (vgl. ebd.). Jegliche Form von Paid Content schließt Rusbridger als Geschäftsmodell dagegen aus; abgesehen vom Handy-Abo, sowie einiger Extradienste bietet der Guardian seine Inhalte im Netz völlig kostenfrei an (vgl. Hülsen 2011, S. 146). Rusbridger sieht in der Strategie, Geld von den Lesern zu verlangen, vor allem den Versuch, alte Konventionen in eine neue, digitale Welt zu retten. Diesen Ansatz hält er für falsch und begründet dies damit, dass die journalistische Welt im Netz eine offene sei, in der die Leser Nachrichten aktiv mitgestalten könnten. Wer für seine Online-Inhalte Geld verlange, der erwecke den Anschein, dass Journalisten immer noch die einzigen Experten seien. Hier beruft sich Rusbridger auf das veränderte Rollenverhältnis zwischen Produzenten und Konsumenten im Internet. Seiner Ansicht nach schwindet der Wissensvorsprung des Journalisten kontinuierlich: „(...) vielleicht liegt ihr Abstand zum Wissen der Leser nicht mehr bei 90 Prozent, sondern nur noch bei 30“ (ebd.) mutmaßt er. (vgl. ebd.) Durch den Einsatz einer Paywall ginge diese so wertvolle Verbindung zum Leser aber verloren (vgl. Jungclaussen 2013, S. 2). 7 Fallbeispiele 72 Der Chefredakteur setzt indessen darauf, durch einen verstärkten Andrang auf die Website langfristig auch das Werbegeschäft in die Höhe zu treiben. Allein die Tatsache, dass der Guardian nicht im Besitz eines Unternehmens ist, sondern zu einer Stiftung gehört, ermöglicht ihm, sich im Gegensatz zu den meisten anderen Zeitungen etwas mehr Zeit zum Experimentieren zu erlauben. Die Strategie des Verlags ist auf eine rein digitale Zukunft ausgerichtet. Zumindest bezüglich der Online-Reichweite zahlt sich diese „Digital First“-Strategie bislang aus; so wächst die Zahl der Leser von guardian.co.uk kontinuierlich (vgl. Hülsen 2011, S. 146). Nach der New York Times und der Londoner Daily Mail steht das Blatt an dritter Stelle auf der weltweiten Rangliste der meistfrequentierten englischsprachigen Nachrichtenseiten im Internet (Stand 09.02.2013) (vgl. Jungclaussen 2013, S. 1). Allein im Juni 2012 wurde die Website von über 30 Millionen Unique Usern rund um den Globus besucht. Die Einnahmen im digitalen Geschäft steigerten sich im letzten Finanzjahr um 16,3 Prozent auf 55 Millionen Euro. (vgl. Zylbersztajn 2013) Gleichzeitig verzeichnete die Guardian Media Group im letzten Geschäftsjahr mit dem von Montag bis Samstag erscheinenden Guardian, sowie der sonntäglichen Schwesterpublikation The Observer, einschließlich des gemeinsamen Online-Auftritts einen Verlust von 75,6 Millionen Pfund (vgl. Jungclaussen 2013, S. 1). Bislang genügt der Ertrag aus dem Online-Werbegeschäft offensichtlich keinesfalls um die Zukunftsfähigkeit des Guardian zu sichern. Dabei erscheint es bezeichnend, dass gerade jenem Medium, das sich der digitalen Welt so viel offensiver zugewandt hat als viele andere, schon bald das Ende drohen könnte (vgl. ebd.). Bezüglich ihrer verkauften Auflage gehörte die Printversion des Guardian nie zum Kreis der führenden britischen Tageszeitungen; unter den elf Publikationen dieses Genres belegt sie lediglich den zehnten Platz. In Kombination mit der Website erreicht das Blatt heute jedoch eine höhere Reichweite als jemals zuvor. (vgl. de Lisle 2012, S. 1) Die (digitale) Marke ist stark; um sie auf Dauer abzusichern, muss sich dies langfristig aber auch in den Online-Werbeerlösen widerspiegeln (vgl. Zylbersztajn 2013). Der Guardian und die New York Times sind zwei Flaggschiffe, die derzeit an derselben Front kämpfen, aber mit Strategien, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Während die Amerikaner den Trend zum Bezahljournalismus im Internet regelrecht ausgelöst haben, hoffen die Briten weiterhin auf steigende Anzeigenerlöse. Beide Parteien stehen hierbei exemplarisch für den aktuellen Grundsatzstreit der Branche. (vgl. Hülsen 2011, S. 145) 7 Fallbeispiele 73 7.1.3 The Wall Street Journal Eines der seltenen Beispiele für eine erfolgreiche Mischfinanzierung aus Werbe- und Vertriebserlösen im Internet ist die Online-Ausgabe des traditionsreichen Wall Street Journal (WSJ) (vgl. Lischka 2010). Die international vertriebene Tageszeitung wird in New York vom Verlag Dow Jones & Company, der seit 2007 zur News Corporation gehört, herausgegeben und ist mit mehr als zwei Millionen Exemplaren - Print- und Online-Auflage zusammengenommen - die auflagenstärkste Tageszeitung der USA. Betrachtet man lediglich die Printauflage, so liegt das Blatt auf Platz zwei hinter USA Today. Neben der britischen Financial Times zählt das Journal zu den weltweit führenden Wirtschaftszeitungen. (vgl. Schuler 2012) Bereits im Jahr 1997, ein Jahr nachdem die Website des Blattes online ging, führte dessen Verlag ein Freemium-Modell ein, welches nur eine gewisse Auswahl von Artikeln frei zugänglich ließ. Damit war das WSJ eine der ersten und lange Zeit einzigen Tageszeitungen überhaupt, die im Netz mit Bezahlinhalten arbeiteten. Für 59 USDollar im Jahr erlangten die Abonnenten den Zugang zum gesamten Onlineangebot. Bereits 1999 konnte die Website beachtliche 300.000 zahlende Kunden vermelden. (vgl. Outing 2000, S. 9) Auch heute behält das WSJ 75 Prozent seiner Online-Inhalte lediglich seinen Abonnenten vor (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 251), wovon die Website derzeit etwas mehr als eine Million hat (vgl. Schuler 2012). Der monatliche Beitrag liegt aktuell bei 22,99 US-Dollar, inklusive Tablet- und Smartphone-Version; für lediglich vier Dollar mehr erhält der Abonnent die Printausgabe dazu. Besonders bemerkenswert ist, dass die gedruckte Auflage des WSJ innerhalb der 15 Jahre, die seit dem Launch der Website vergangen sind, lediglich einen Rückgang von 15 Prozent verzeichnen musste (vgl. Nevradakis 2013). Offensichtlich vermag das Online-Geschäftsmodell optimalerweise sogar, die Absatzzahlen der Printausgabe zu stabilisieren. Als die Zeitung im Jahr 2007 von der News Corporation übernommen wurde, veranlasste der Gründer, Vorsitzende und CEO des Unternehmens, Rupert Murdoch, gewisse strategische Veränderungen. Seitdem zeichnet sich die Paywall durch eine durchlässigere Struktur aus. So können beispielsweise jene Artikel, die eigentlich nur durch Subskription gelesen werden können, kostenfrei eingesehen werden, sofern der Leser diese über Suchmaschinen oder soziale Netzwerke findet. (vgl. Chittum 2013) Der Verlag weicht auf diese Weise das strenge Bezahlmodell Stück für Stück auf, um die Reichweite zu steigern und folglich interessanter für Anzeigenkunden zu werden; der Erfolg dieser Strategie spiegelt sich in den steigenden Werbeumsätzen von WSJ.com wieder. (vgl. Lischka 2010) 7 Fallbeispiele 74 Während Murdoch noch bei der Übernahme des Wirtschaftsblatts mit dem Gedanken spielte, allen Online Content zu Gunsten einer Reichweitenerhöhung kostenlos anzubieten, kündigte er nach kurzer Zeit überraschend an, zukünftig alle Websites seiner Zeitungen einer Kostenpflicht zu unterlegen (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 251). Die positiven Erfahrungen mit WSJ.com bestärkten Murdoch, der in der Branche auch als „Mister Paid Content" bekannt ist (vgl. Jakobs 2011, S. 1) darin, Bezahlinhalte als Geschäftsmodell für seine Online-Medien zu etablieren. So verschwand beispielsweise das Angebot der britischen Times im Juli 2010 komplett hinter einer Bezahlschranke. Wie bereits erwähnt, stürzte die Reichweite der Website daraufhin ins Bodenlose; die Abonnentenzahlen blieben hinter den Erwartungen zurück. Dass die Erfolgsstrategie von WSJ.com nicht einfach auf thetimes.co.uk übertragen werden konnte, kann vor allem mit der unterschiedlichen thematischen Ausrichtung der Blätter begründet werden. Die Times richtet sich inhaltlich an ein möglichst breites Publikum, indem sie eine Berichterstattung liefert, die für die Allgemeinheit relevant ist. Sie tritt somit in einen Wettbewerb mit zahlreichen anderen Tageszeitungen, die alle dasselbe Konzept verfolgen; mit dem Unterschied, dass diese ihre Online-Inhalte zum Großteil kostenlos anbieten. (vgl. Lischka 2010) Für General-Interest-Portale ist es aufgrund dieser extremen Konkurrenzsituation generell schwer, erfolgreich mit Bezahlmodellen zu arbeiten. Das Wall Street Journal verfügt hingegen über eine starke „unique selling proposition“ (Ruß-Mohl 2009, S. 72), einen einzigartigen Verkaufsvorteil. Das Blatt berichtet schwerpunktmäßig über internationale Finanz- und Wirtschaftsthemen und hat sich in diesem Bereich als Leitmedium etabliert. In Managementkreisen hat die Zeitung nahezu den Status einer „Pflichtlektüre“ (vgl. Eiermann 2012); ihre Inhalte sind gewissermaßen „Arbeitswerkzeug“ für die Leser, und werden oftmals sogar von deren Firmen bezahlt. (vgl. Berger 2012) Durch seine thematische Spezialisierung und die Exklusivität seiner Informationen hat das WSJ folglich eine Monopolstellung inne. Viele Menschen sind auf dessen Inhalte angewiesen und daher auch viel eher bereit, etwas zu bezahlen. Wenn das Konzept einer Paywall hier funktioniert, heißt das deshalb noch lange nicht, dass dies überall der Fall ist. 7 Fallbeispiele 75 7.1.4 die tageszeitung7 Einen in der Branche äußerst ungewöhnlichen Weg geht die überregionale linksalternative deutsche tageszeitung (taz) seit April 2011 mit ihrer Kampagne „taz-zahlich“. Seitens des Verlags wird grundsätzlich die Meinung vertreten, wer online lese, der möge auch etwas dafür bezahlen. Doch anstatt wie der Mainstream auf das Einrichten einer verpflichtenden Paywall zu setzen, vertraut das Zeitungshaus lieber auf die Solidarität seiner Leser und arbeitet mit einer Social Payment-Strategie. Das Konzept ist simpel: taz.de macht alle Online-Inhalte grundsätzlich frei verfügbar, vermittelt dem Leser aber gleichzeitig, dass er, wenn ihm ein Artikel besonders zusagt, einen seiner Ansicht nach angemessenen Beitrag dafür entrichten soll. Die Motivation der taz besteht letztlich nicht nur darin, ein geeignetes Online-Geschäftsmodell zu finden; vielmehr möchte der Verlag ein Exempel statuieren und statt einer Gratiskultur eine "Kultur der Fairness" in der Medienbranche etablieren. Diesem Leitbild entsprechend hat die taz auch als nahezu einzige deutsche Medienwebsite einen Flattr-Button integriert. Jener Solidaritätsgedanke spiegelt sich keinesfalls nur im Onlineangebot des Verlags wieder. Bereits im Jahre 1993 wurde bezüglich des Print-Abonnements der sogenannte taz-Solidarpakt ins Leben gerufen. Um eine möglichst breite Leserschaft erreichen zu können, errichtete die Zeitung damals ein Bezahl-System mit drei unterschiedlich hohen Monatsbeiträgen. Um eine Umverteilung zu ermöglichen, zahlt etwa ein Viertel der Abonnenten den erhöhten „politischen“ Preis von 47,90 Euro im Monat. Dies erlaubt einem weiteren Viertel, das taz-Abonnement schon für 23,90 Euro zu beziehen. Der generelle Standardpreis liegt bei 39,90 Euro. Welchen Betrag ein Leser für sein Abonnement entrichten sollte, hängt von dessen finanziellen Möglichkeiten ab; eine Überprüfung findet diesbezüglich jedoch nicht statt. Auch in der Unternehmensform der taz ist das solidarische Leitbild erkennbar: Aufgrund einer existentiell bedrohlichen finanziellen Krise der Zeitung vor etwas mehr als zwanzig Jahren, wurde 1992 die tageszeitung Verlagsgenossenschaft eG gegründet. Der Beitritt in die Genossenschaft erfolgt im Rahmen einer einmaligen Zahlung von mindestens 500 Euro. Die aktuell rund 12.700 Genossen investieren ihr Geld regelmäßig in das Medium, um die Entwicklungsfähigkeit, sowie die publizistische Unabhängigkeit der taz auf Dauer zu sichern. 7 die Angaben bzw. Ausführungen in Abschnitt 7.1.4 fußen auf folgenden Quellen: https://www.taz.de/, sowie http://blogs.taz.de/hausblog/ 7 Fallbeispiele 76 Klickt der Nutzer einen Artikel auf taz.de an, so ist dieser zum Großteil frei einsehbar; lediglich das untere Drittel wird von der Paywall (siehe Abbildung 11) verdeckt. Der Leser hat nun die Möglichkeit, einen selbstgewählten Betrag für den Inhalt zu bezahlen oder die Bezahlschranke mit der Auswahl des Buttons „NEIN, jetzt nicht“, bzw. der Angabe, dass er bereits regelmäßiger Unterstützer ist, wie eine Werbegrafik zu entfernen. Um einen regelmäßigen Nutzer durch das Einblenden der Paywall nicht zu beeinträchtigen, überprüft die Website anhand von Cookies auf dem Browser eines jeden Besuchers dessen Nutzungsverhalten. Umso häufiger ein Leser die Website bereits aufgerufen, bzw. für deren Inhalte bezahlt hat, desto seltener taucht der Banner schließlich in dessen Sichtfeld auf. Abbildung 12: taz Paywall Quelle: Screenshot vom 11.04.2013, URL: https://www.taz.de/ Um den Aufwand für die Entrichtung des freiwilligen Obolus so gering wie möglich zu halten, bietet die taz ihren Lesern im Rahmen von taz-zahl-ich eine Vielzahl von potentiellen Bezahlwegen an; von der einfachen Überweisung, über Kreditkarte, per Lastschrift oder PayPal, bis hin zur Bezahlung über das Mobiltelefon ist alles möglich. Ergänzend bietet sich dem Leser die Möglichkeit, ein taz-zahl-ich-Abonnement abzuschließen. Auf diese Weise kann er die Website mit einem Dauerauftrag in selbst gewählter Höhe mit mindestens fünf Euro pro Monat unterstützen. Bis zum Ende des vergangenen Jahres wurde ausschließlich am unteren Ende eines jeden Artikels auf die Möglichkeit der freiwilligen Zahlung hingewiesen; die Paywall ist erst seit November 2012 als Werbekampagne für taz-zahl-ich in die Website integriert. 7 Fallbeispiele 77 Die folgende Grafik veranschaulicht, wie sich die Einnahmen seit März 2012 über die unterschiedlichen Bezahlwege entwickelt haben. Abbildung 13: Erlöse taz-zahl-ich nach Herkunft und Monatssummen Quelle: http://blogs.taz.de/hausblog/2013/02/11/taz-zahl-ich-neuer-rekord-im-januar/ (27.05.2013) Nachdem die Einnahmen über taz-zahl-ich lange Zeit auf einem relativ niedrigen Level stagnierten, sind diese mit Einführung der Paywall über alle Bezahlwege angestiegen. Den auffälligen Rückgang der Zahlungen im Februar 2013 erklärt der Verlag damit, dass es im Januar grundsätzlich viele einmalige Zahlungen von höheren Summen gibt, die als eine Art Jahresbeitrag interpretiert werden können; zudem würden zahlreiche Lastschriften zum Jahresanfang enden. Insgesamt sind die Verleger mit der Entwicklung der freiwilligen Zahlungsbereitschaft zufrieden. Eigenen Angaben zufolge steigt die Zahl derer, die regelmäßig etwas bezahlen, ständig. Die Gesamteinnahmen seit Einführung der Kampagne im April 2011 haben sich bis einschließlich Ende Februar 2013 auf 109.820,93 Euro belaufen. Trotz allem bleibt unbestreitbar, dass die derzeitigen Erlöse bei weitem noch nicht ausreichen, um das Webangebot zu finanzieren. Auf dem Hausblog der taz ist einsehbar, wie sich die Gesamtkosten und Erlöse des Online-Auftritts im Jahr 2010 zueinander verhalten haben. Auch wenn keine aktuelleren Zahlen vorliegen, vermitteln diese zumindest ein grobes Stimmungsbild der finanziellen Relationen. Die Erlöse durch Online-Anzeigen betrugen in jenem Jahr 235.694 Euro; demgegenüber standen Gesamtkosten von 604.000 Euro. Hier wird deutlich, wie elementar die Online-Version der taz noch immer von der Quersubventionierung durch ihre Druckausgabe abhängig ist. 7 Fallbeispiele 78 Selbst wenn man nun davon ausgehen würde, dass sich die monatlichen Einnahmen über taz-zahl-ich bei 10.000 Euro einpendeln, wäre das auf ein ganzes Jahr bezogen lediglich ein Zugewinn von 120.000. In Zeiten, in denen die Printzeitungen selbst ums Überleben kämpfen und immer weniger Gewinne für die Unterstützung ihrer Onlineangebote erwirtschaften, ist dieser Wert nicht mehr als der berühmte Tropfen auf dem heißen Stein. Nur wenn sich die Summe der freiwilligen Einzahlungen in Zukunft weiter steigert, kann sich taz-zahl-ich als zukunftsträchtiges Modell behaupten. Als Paid Content-Strategie für Verlage wird sich Social Payment langfristig wohl nicht durchsetzen. Bezüglich der taz mag das System in einem erhöhten Ausmaß auf Zustimmung stoßen; es kann davon ausgegangen werden, dass sich die Leserschaft zu einem Großteil mit dem Wertebild des Verlages identifiziert und dessen Solidaritätsgedanken gerne unterstützt. Diese positive Grundeinstellung gegenüber freiwilligen Zahlungen kann in der breiten Bevölkerung jedoch nicht erwartet werden. 7.1.5 The Boston Globe Ein sehr spezielles Konzept verfolgt seit knapp zwei Jahren auch die liberale Tageszeitung The Boston Globe, welche von der New York Times Company verlegt wird. Das Blatt gilt als wichtigste Zeitung Neuenglands und zählt zu den angesehensten Tageszeitungen der USA. Nach dem Vorbild des Schwestermediums The New York Times hat nun auch der Globe einen Teil seiner Online-Inhalte hinter einer Paywall verborgen. Ein gravierender Unterscheid zum Konzept der NYT besteht jedoch darin, dass der Globe im Netz auf eine „Zwei-Marken-Strategie“ setzt. Neben dem herkömmlichen Webauftritt Boston.com bietet der Verlag seit Oktober 2011 ein zusätzliches Portal unter der URL BostonGlobe.com an. Während der Zugriff auf Boston.com wie gehabt kostenfrei ist, liegen die Inhalte der neuen Website durchweg hinter einer Hard Paywall, und können nur nach Abschluss eines Abonnements für 3.99 US-Dollar pro Woche abgerufen werden. Als deutlichen Mehrwert erhält der Leser dafür Zugang zu den vollständigen Inhalten des Printprodukts mit Analysen, Hintergrundberichten, Kommentaren, Fotos und Grafiken; zudem zeichnet sich die neue Website durch eine deutliche Reduzierung von Werbeeinblendungen aus. Abonnenten der Printversion sind befugt, dieses digitale Angebot ohne Aufpreis zu nutzen. (vgl. Helten 2010) Das kostenfreie Angebot Boston.com, welches einst den gesamten Inhalt der Printzeitung gratis zur Verfügung stellte, bietet nun vor allem Kurznachrichten, sowie aktuelle Berichterstattung aus den Bereichen Lokales, Sport und Unterhaltung (vgl. ebd.). Die beiden Websites unterscheiden sich jedoch nicht nur inhaltlich; besonders markant 7 Fallbeispiele 79 sind die Differenzen in der grafischen Gestaltung. Boston.com erscheint auf den ersten Blick keineswegs wie der Online-Auftritt einer Tageszeitung. Die Anordnung der Nachrichten ist etwas unübersichtlich, das Layout nicht durchgehend einheitlich, die helle Farbauswahl wirkt unruhig. BostonGlobe.com ist dagegen vollständig am Corporate Design der Printausgabe orientiert. Im Vergleich zu Boston.com zeichnet sich die Website zudem durch ein hohes Maß an Übersichtlichkeit aus. Die angenehme Farbwahl, sowie die deutlich reduzierte Einblendung von Werbeanzeigen tragen zu diesem positiven Gesamteindruck bei. Der Mehrwert des kostenpflichtigen Angebots soll sich offenbar bereits in dessen Erscheinungsbild widerspiegeln. Zumindest von professioneller Seite aus wurde dies honoriert; im Jahr 2012 gewann BostonGlobe.com den Preis für das weltweit beste Website-Design, vergeben von der internationalen Organisation Society for News Design (SND) (vgl. SND 2012). Die Entscheidung für eine zweigleisige Online-Strategie traf der Verlag im Anschluss an umfangreiche Marktforschungsaktivitäten. Christopher Mayer, Herausgeber des Boston Globe, begründet den Schritt in einer Pressemitteilung folgendermaßen: „Unsere Marktforschung hat ergeben, dass Boston.com unterschiedliche Nutzertypen anzieht. Bei manchen Lesern liegt das Hauptinteresse in aktuellen Nachrichten und Freizeittipps. Andere wollen das Gesamtangebot des Boston Globe“ (Helten 2010). Durch die Zwei-Marken-Strategie ist es nun möglich, diese unterschiedlichen Bedürfnisse zu befriedigen. Die fehlenden Vertriebserlöse von Boston.com sollen durch entsprechende Werbeeinkünfte ausgeglichen werden. Mit ihrem Portalcharakter, sowie der inhaltlichen Fokussierung auf lokale Nachrichten, Sport, Wetter und Freizeit sieht Mayer in der Website zudem ein äußerst attraktives Umfeld für die Schaltung von Kleinanzeigen. (vgl. ebd.) Bisher fällt die wirtschaftliche Bilanz der Zwei-Marken-Strategie eher nüchtern aus. Innerhalb der ersten sechs Monate fanden sich gerade einmal 18.000 OnlineAbonnenten, sodass der Globe im Mai 2012 eine verzweifelte Aktion startete, die den Leser vorerst wieder gratis durch die Schranke schlüpfen ließ (vgl. Malcher 2012). Im vierten Quartal des Jahres 2012 hatte sich die Anzahl der Abonnenten gegenüber dem Vorjahr um acht Prozent gesteigert und BostonGlobe.com zählt heute rund 28.000 zahlende Kunden (Stand Februar 2013) (vgl. Hofbauer 2013). Ob sich das Konzept langfristig bewähren kann, wird erst im Laufe der Zeit absehbar sein. 7 Fallbeispiele 80 7.1.6 Schwäbisches Tagblatt Die Abrechnung über Micropayments ist in der deutschen Verlagslandschaft bisher eine große Ausnahme. Keine einzige überregionale Tageszeitung setzt bisher auf die Strategie einer Einzelgebühr pro gelesenem Artikel; lediglich einige Regionalzeitungen bieten diese Form der Bezahlung zumindest ergänzend an. Eine davon ist das Schwäbische Tagblatt aus dem Landkreis Tübingen. Anfang März dieses Jahres wurde auch hier dem allgemeinen Trend folgend das Ende der Gratiskultur eingeläutet. Im Unterschied zu den meisten anderen Zeitungshäusern bietet das Tagblatt seinen Lesern jedoch kein Online-Abonnement an; der Verlag setzt im Netz von nun an auf eine Micropayment-Strategie. Nach einer grundlegenden Überarbeitung des Webauftritts tagblatt.de (vgl. Mantel 2013) sind bestimmte Artikel der Lokalredaktionen, sowie Videos seitdem nur noch gegen eine Gebühr von jeweils 15 Cent abrufbar. Des Weiteren erhalten Abonnenten der gedruckten Ausgabe für zusätzlich 4,60 Euro im Monat einen Zugang zum gesamten Onlineangebot. Die Abrechnung der Kleinstbeträge erfolgt über das Schweizer Start-up-Unternehmen „Millipay“ im klassischen Prepaid-Verfahren. Der Leser lädt sich zunächst einen Betrag von bis zu 50 Euro auf sein Konto, um dann jeden verwendeten Inhalt nach dem Login durch einen simplen Klick zu bezahlen. (vgl. BDZV 2013b) Ein einmal bezahlter Inhalt steht dem User fortan für sechs Wochen zur Nutzung auf allen Endgeräten zur Verfügung. Das Millipay-Guthaben lässt sich nicht nur im Rahmen von tagblatt.de einlösen, sondern theoretisch auf allen Websites, die das System verwenden. (vgl. Mantel 2013) Neben dem Schwäbischen Tagblatt setzt seit kurzem auch der Nordbayrische Kurier, eine Tageszeitung die im Stadt- und Landkreis Bayreuth erscheint, im Netz auf Micropayments. Der Zugriff auf die kostenpflichtigen Inhalte ist hier mit 30 Cent aber doppelt so teuer. Wie auch bei tagblatt.de wird die Strategie im Rahmen eines Freemium-Modells umgesetzt, welches den kostenlosen Bezug einer Auswahl von Artikeln gestattet. Ob der Leser für einen bestimmten Inhalt zur Kasse gebeten wird, liegt jeweils im Ermessen der Redaktion. Chefredakteur Joachim Braun sieht im Metered Model der New York Times generell kein Vorbild für Regionalzeitungen, was er mit den gravierenden Unterschieden in der journalistischen Qualität seines Artikelspektrums „zwischen Polizeimeldung und investigativer Recherche“ (Braun 2013) begründet. Dementsprechend behält sich die Redaktion auch vor, in jedem Fall individuell zu entscheiden, ob ein Inhalt der Kostenpflicht unterliegen soll. Dies trifft in der Regel nur auf eigene Recherchen zu, die eine ausreichende thematische Attraktivität vorweisen. Die Nachricht an sich, das heißt der Teaser des jeweiligen Artikels, bleibt grundsätzlich frei einsehbar. (vgl. ebd.) 7 Fallbeispiele 81 Im Unterschied zum Schwäbischen Tagblatt bietet der Kurier seinen Lesern zusätzlich einen Tagespass für 99 Cent, einen Wochenpass für 4,99 Euro, sowie ein OnlineAbonnement für 14,90 im Monat an. Die Abrechnung erfolgt entweder per Handy oder über PayPal. Print-Abonnenten erhalten zudem generell einen kostenlosen OnlineZugang. (vgl. Ritzer 2013) Ein weiterer Anwender von Micropayments in Deutschland ist die Böhme-Zeitung aus dem Landkreis Heidekreis; hier werden für eine Vielzahl von Artikeln Kleinstbeträge von 3 bis 5 Cent fällig. Der Ansatz dieses Bezahlmodells scheint verlockend; so muss der Leser jeweils nur für die Inhalte bezahlen, die er auch wirklich nutzen möchte. Doch das Modell hat auch große Schwachstellen; nicht ohne Grund haben sich Micropayments als Paid ContentStrategie im Verlagsbereich bislang nicht durchgesetzt. Auch wenn es sich meist um Kleinstbeträge handelt, kann der Leser im Voraus kaum abschätzen, inwiefern der Artikel ihm einen wirklichen Mehrwert bietet. Zudem ist die wirtschaftliche Abrechnung von solch niedrigen Beträgen generell etwas problematisch. Wer hier kein optimales System findet, für den erweisen sich die Transaktionskosten oftmals als deutlich höher als der entsprechende Ertrag. Verleger Dirk Manthey mutmaßt zudem, dass das Modell den Leser zu einem extrem selektiven Nutzungsverhalten verleiten würde, welches ein unverbindliches Anlesen, Überfliegen und „Durchblättern“ der Artikel stark ausbremst. Wenn vor jedem Klick überlegt werden muss, ob sich das Geld für diesen Inhalt auch wirklich lohnt, schmälert dies nicht nur die Akzeptanz der Website in der Werbewirtschaft. (vgl. Manthey 2009) Die mannigfaltigen Möglichkeiten des Internets, sich von einem Artikel per Hyperlink zum Nächsten zu hangeln, und dabei ganz spontan auf neue, interessante Aspekte zu stoßen, werden durch ein solches System, welches bei nahezu jedem Klick die Zahlungsbereitschaft des Lesers abfragt, stark ausgehebelt. In diesem Zusammenhang wird oftmals das Konzept der „Mental Transaction Costs“ von Nick Szabo erwähnt. Dieser führt an, jeder Bezahlvorgang - ganz egal wie niedrig der Betrag ist - koste ein gewisses Maß an Energie für die Entscheidung, ob etwas wirklich wertvoll genug ist um gekauft zu werden oder eben nicht. Zusammen mit den tatsächlichen monetären Aufwendungen würden diese „Mental Transaction Costs“ für den Leser Unannehmlichkeiten verursachen, welche die Akzeptanz von Micropayments stark einschränken. (vgl. Shirky 2003) 7 Fallbeispiele 82 Hat der Leser hingegen ein Online-Abonnement mit einem monatlichen Festpreis, so wird er versuchen, dieses auch umfassend auszunutzen und die Website deutlich intensiver durchforsten als bei einer Einzelabrechnung pro konsumiertem Inhalt. Der Leser wird nicht vor der Lektüre eines jeden Artikels mit der Frage nach dessen spezifischem Mehrwert, gemessen am jeweiligen Preis konfrontiert. Dies macht den Nutzungsvorgang deutlicher komfortabler. Aus psychologischer Sicht spricht folglich einiges gegen die Arbeit mit Micropayments; trotzdem muss man es jedem Verlag hoch anrechnen, wenn er die ausgetretenen Pfade verlässt und in puncto Paid Content fernab vom Mainstream experimentiert. Umso mehr Erfahrungen die Zeitungshäuser mit unterschiedlichen Bezahl-Modellen sammeln, desto höher wird der Erkenntnisgewinn sein, welche Strategien sich wirklich eignen, um mit redaktionellen Inhalten im Internet langfristig schwarze Zahlen zu schreiben. 8 Fazit und Ausblick 8 83 Fazit und Ausblick Die Gegenüberstellung der Vorteile von Print- und Onlineangeboten der Tageszeitungen, sowie deren aktuelle Reichweiten lassen keinen Zweifel daran, dass die gedruckte Zeitung heute durchaus noch ihre Daseinsberechtigung hat. Wenn es ihr gelingt, ihren Status als Erklärungsmedium weiter zu festigen, kann sie noch viele Jahre in einer symbiotischen Beziehung mit ihrem Online-Auftritt bestehen, indem sie diesen komplementär ergänzt. Im direkten Vergleich ist das Internet aber definitiv das überlegene Trägermedium (vgl. Weichert; Kramp; Jakobs, S. 189); universelle Verfügbarkeit, multimediale Darstellungsformen, sowie vielfältige Partizipationsmöglichkeiten für Nutzer bis hin zum UserGenerated Content sind nur einige Belege für das unendliche Potential, dass das World Wide Web den Verlagen heute bietet. Auf lange Sicht ist den Zeitungshäusern daher zu raten, ihr Onlineangebot unbedingt als solides Standbein zu positionieren und dieses Füllhorn an Möglichkeiten so umfangreich wie nur möglich auszuschöpfen. Die Verlagerung der Kapazitäten wird langfristig aber nur unter einer Bedingung funktionieren: Die Verlage müssen Strategien finden, die die wirtschaftliche Rentabilität ihrer Onlineangebote (dauerhaft) sicherstellen können (vgl. ebd.). Die vorgestellten Praxisbeispiele machen eines deutlich: In Bezug auf Paid Content als Vertriebskonzept für journalistische Inhalte im Internet gibt es offensichtlich keine „Onesize-fit-all-Lösung“ (vgl. Cook 2013), kein Modell, das flächendeckend empfohlen und sinnvoll eingesetzt werden kann. Die bisherigen Erfahrungen fallen so unterschiedlich aus, dass eine pauschale Handlungsempfehlung die Komplexität der Einflussfaktoren niemals erfassen könnte. Trotzdem lassen sich aus den Beispielen Schlüsse ziehen, die zumindest für spezifische Zeitungstypen allgemeingültigen Charakter haben. Über allem steht hierbei die Erkenntnis, dass „nur spezieller, einzigartiger und aus Sicht der Konsumenten wertvoller Content“ eine Zahlungsbereitschaft beim Leser erzeugt, und somit erlösfähig ist (Nohr 2011, S. 89f). Dies wird vor allem an den Produkten von Rupert Murdochs News Corporation deutlich: Während das Wall Street Journal seine spezialisierten Inhalte auch im Internet erfolgreich vermarkten kann, gelingt dies beim General-Interest Blatt London Times nicht einmal ansatzweise in vergleichbarem Ausmaß. Ähnliche Erfahrungen machte die Axel Springer AG, als diese im Dezember 2009 erstmals mit Paid Content experimentierte. Damals führte der Verlag beim Hamburger Abendblatt, sowie der Berliner Morgenpost eine Bezahlschranke ein. In beiden Fällen handelt es sich um ein Freemium-Modell, welches lediglich eine Auswahl von 8 Fazit und Ausblick 84 Artikeln frei zugänglich lässt. Beim Hamburger Abendblatt sind hauptsächlich jene Inhalte mit regionalem Bezug kostenpflichtig. Entgegen aller Erwartungen hat sich die Zahl der Seitenbesuche von abendblatt.de mit Einführung der Schranke sogar erhöht. Die Berliner Morgenpost hingegen, verzeichnet seitdem starke Einbrüche von bis zu einem Drittel. Der Grund hierfür liegt vor allem in der unterschiedlichen Position beider Blätter in ihrem jeweiligen Markt. Während das Abendblatt in Hamburg eine Monopolstellung innehat, sieht sich die Morgenpost in Berlin erheblicher Konkurrenz ausgesetzt. (vgl. ebd., S. 90) Dieser Sachverhalt lässt sich durch die Gesetzmäßigkeiten der Substitutionalität erklären: Je differenzierter ein Bedürfnis ist, desto kleiner wird die Anzahl der potentiellen Substitute. Umso genauer eine Zeitung also an die spezifischen Bedürfnisse ihrer Zielgruppe angepasst ist, desto weniger kann sie von einem anderen Medium ersetzt werden. (vgl. Huber 2007, S. 36) Mit einer erhöhten Zahlungsbereitschaft können daher vor allem jene Anbieter rechnen, die aus Nutzersicht einzigartigen, „aus anderen Quellen nicht [oder nur aufwendig] substituierbar[en]“, und somit wertvollen Premium Content anbieten (vgl. Nohr 2011, S. 91). In diese Kategorie fallen beispielsweise Börseninformationen oder regionale und lokale Inhalte. Für Tageszeitungen, die sowohl über das allgemeine Weltgeschehen, als auch über die Ereignisse in einer bestimmten Region berichten, kann eine sinnvolle Paid Content-Strategie folglich darin bestehen, diese regionalen Inhalte im Sinne des Freemium-Modells unter eine Kostenpflicht zu stellen, und gleichzeitig den GeneralInterest Bereich zugunsten der Reichweite frei zugänglich zu lassen. Unter bestimmten Voraussetzungen lassen sich jedoch selbst allgemeine Nachrichten als Bezahlinhalte vermarkten. Dies funktioniert aber nur, soweit es sich um traditionsreiche, etablierte Publikationen mit Leuchtturmfunktion handelt. Das beste Beispiel hierfür ist die New York Times, welche sich innerhalb der letzten fünfzehn Jahre vom nationalen zum internationalen Leitmedium entwickelt hat (vgl. Eiermann 2012). Wie es bisher scheint, kann die Zeitung mit der Zahlungsbereitschaft ihrer Leser auch im Internet rechnen; diese identifizieren sich mit der Marke und möchten sich allein schon aus einer Tradition heraus genau in diesem Medium über das Weltgeschehen unterrichten. Durch eine sehr starke Leser-Blatt-Bindung kann es offenbar auch GeneralInterest-Sites gelingen, ihre Leser trotz Paywall nicht an die Konkurrenz zu verlieren. 8 Fazit und Ausblick 85 Die Frage, ob Tageszeitungen besser mit Online-Abonnements oder Micropayments arbeiten sollten, lässt sich nicht pauschal beantworten. Während für den regelmäßigen Nutzer ein Abonnement äußerst reizvoll sein kann, wird man einen Gelegenheitsleser wohl kaum zu diesem Schritt bewegen und eher über ein Pay-per-Use-System auf Basis von Micropayments erreichen (vgl. Waller 2012, S. 167). Daher wäre es möglicherweise am sinnvollsten, eine Kombination aus beiden Vertriebsmodellen anzubieten, um dem Leser die Möglichkeit zu geben, sich selbst für eine der Varianten zu entscheiden. Von einem reinen Micropayment-Modell ist aufgrund der erwähnten psychologischen Hemmnisse gegenüber dessen Akzeptanz (siehe Abschnitt 7.1.6) eher abzuraten. Setzt eine Zeitung ausschließlich auf Abonnements, so gilt es, Maßnahmen zur verstärkten Kundenbindung umzusetzen. Studien des amerikanischen Internet- Marktforschers Scout Analytics zufolge, handelt es sich bei rund 90 Prozent der Unique User von Zeitungswebsites um Gelegenheitsnutzer, während der Anteil an treuen (täglichen) Stammkunden nur äußerst gering ist (vgl. Ellers 2012, S. 196). Aus diesen Gelegenheitsnutzern müssen jedoch erst einmal regelmäßige Leser werden, bevor jene den Abschluss eines Abonnements überhaupt in Erwägung ziehen. Eine der größten Herausforderungen für die Verlagswelt besteht heute darin, die Akzeptanz von Bezahlinhalten in der Gesellschaft zu fördern. Neben der bereits erwähnten Einzigartigkeit der Inhalte, enthalten die vorgestellten Beispiele weitere Elemente, die diesbezüglich als Erfolgsfaktoren identifiziert werden können. So müssen sich kostenpflichtige Inhalte im Vergleich zu Gratisangeboten definitiv durch einen deutlichen Mehrwert auszeichnen; dies kann beispielsweise durch die Einblendung von weniger Werbung (siehe BostonGlobe.com), oder die Bereitstellung von exklusiven Inhalten umgesetzt werden. Hierunter fallen zum Beispiel das Angebot von Fotos und Infografiken in hoher Auflösung, das Freischalten von Statistiken und Zahlen in wirtschaftlichen Artikeln (vgl. Gollus 2013), sowie die Möglichkeit einer personalisierten Nachrichtenabfrage. Ein weiterer Faktor, welcher die Akzeptanz von Paid Content essentiell begünstigt, besteht darin, die Einstiegshürden möglichst niedrig zu halten; hierzu gehört auch ein kostengünstiger, unverbindlicher Einblick in das gesamte redaktionelle Angebot. Anstatt nur hochpreisige Jahresabonnements anzubieten, sollte daher stets auch ein günstiger Tages- oder Monatspass erwerbbar sein (vgl. ebd.), um ein „Hereinschnuppern“ in das Artikelspektrum zu ermöglichen. Das Wissen über die Kontinuität und Intensität der eigenen Nutzung, sowie die Qualität der Inhalte bildet sich schließlich erst im Laufe der Zeit heraus (vgl. Verband Deutscher Zeitschriftenverleger 2003, S. 25). 8 Fazit und Ausblick 86 Um die Subskriptionsbereitschaft des Nutzers nicht zu gefährden, ist es unerlässlich, den Registrierungs-, sowie den Bezahlvorgang so simpel wie möglich zu gestalten. Die Bedienung dieser Funktionen darf nicht umständlich sein und muss sich durch ein hohes Maß an Usability auszeichnen. (vgl. ebd.) Der potentielle Käufer, bzw. Abonnent darf nicht durch den Anschein von bürokratischem Aufwand abgeschreckt werden. Zudem sollte dieser bei der Nutzung des Bezahlsystems stets ein Gefühl von Sicherheit bezüglich seiner Transaktionen empfinden (vgl. Pürer; Raabe 2007, S. 443). In diesem Zusammenhang wäre ein gängiger technischer Bezahlstandard sinnvoll, welchen der Kunde beim Bezug der Angebote verschiedener Verlage nutzen kann. Unterschiedliche Bezahlverfahren und eine aufwändige Mehrfachregistrierung könnten auf diese Weise umgangen werden (siehe Abschnitt 6.3). (vgl. Verband Deutscher Zeitschriftenverleger 2003, S. 16) Weitere essenzielle Faktoren zur Steigerung der Zahlungsbereitschaft sind Fairness und Transparenz: Der Verlag muss seinen Lesern offenlegen, welche Kosten für die Produktion journalistischer Inhalte anfallen und die hieraus resultierende Preisbildung genau erläutern. Nur wer diesbezüglich von Anfang an mit offenen Karten spielt, kann eine Abkehr von Gratisinhalten authentisch rechtfertigen und auf Verständnis seitens der Leser hoffen. (vgl. Gollus 2013) In diesem Zusammenhang müssen die Preise selbstverständlich so fair angesetzt werden, dass eine Rechtfertigung stets nachvollziehbar bleibt. Bezüglich der inhaltlichen Gestaltung von Print- und Online-Ausgabe sollten die Verlage die Konvergenz so gering wie möglich halten, um eine Doppelnutzung nicht von vornherein auszuschließen und die Eigenschaften beider Trägermedien optimal auszunutzen. Auch Schwarzer hält die Abkehr von der weit verbreiteten Praxis der Zweitverwertung von Print-Inhalten für absolut notwendig: „Im Vordergrund darf zukünftig nicht mehr das Content-Recycling stehen, sondern es gilt, den Leser mit neuen Ideen und Konzepten für die „Zeitung der Zukunft“ zu begeistern“ (Schwarzer 2010, S. 141). Selbst wenn eine Zeitung all diese Faktoren berücksichtigt, kann der Erfolg eines Paid Content-Modells nicht mit Gewissheit vorausgesagt werden. Die Verlagswelt befindet sich derzeit in einer Phase des Ausprobierens, in der Experimentierfreude verlässliche Vorhersagen ersetzen muss. Um eine flächendeckende Akzeptanz von Bezahlmodellen im Internet zu erreichen, sollte sich langfristig optimalerweise der gesamte Markt in Richtung Paid Content entwickeln. Umso mehr Verlage sich diesen Modellen zuwenden, desto einfacher wird es für jeden einzelnen von ihnen, auf Verständnis seitens der Leser zu stoßen. 8 Fazit und Ausblick 87 Auch wenn die brancheninternen Prognosen diesbezüglich sehr durchwachsen ausfallen, wecken einige der vorgestellten Beispiele durchaus Hoffnung, dass die Gratismentalität der Menschen eben doch nicht „in Stein gemeißelt“ ist (Verdenhalven 2012, S. 133); hierfür spricht auch das durchaus erfolgreiche Geschäft mit kostenpflichtigen Zeitungs-Apps im Rahmen mobiler Dienste (vgl. Kansky 2012, S. 154). Im Angesicht der immensen Konkurrenz durch das Nachrichtengebot branchenfremder Onlinedienste verfügt die Zeitung zudem über einen entscheidenden Wettbewerbsvorteil, welcher ihr auch in Zukunft - online wie offline - stets den Rücken stärken wird. Aufgrund ihres geschichtlich gewachsenen Status als erste Institution der Nachrichtenvermittlung kann sie in der Online-Welt etwas vorweisen, was in diesem Terrain oft schmerzlich vermisst wird: Glaubwürdigkeit und Qualität - beides Eigenschaften die die Leser mit der Zeitung verbinden - werden im Internet immer gefragt sein, und diese kann die Zeitung „aus ihrem originären Selbstverständnis heraus“ zweifellos vorweisen (vgl. Huber 2007, S. 155). Letztendlich sollte sich der Mensch den Glauben an eine erfolgreiche Zukunft auch in Krisenzeiten nicht nehmen lassen. Der Internet- und Medienexperte Clay Shirky lies einst verlauten, in Revolutionen zerbreche das Alte oftmals schneller, als das Neue sichtbar werde (vgl. Ruß-Mohl 2009, S. 262). Möglicherweise trifft diese Aussage auch auf den Zerfall der Geschäftsmodelle im Journalismus zu. In diesen Zeiten des Umbruchs bleibt den Verlagen nur eines - der Mut, von gewohnten Strukturen abzuweichen und zu experimentieren, solange sie dazu noch imstande sind. Dass sie gewillt sind, sich auf neue Vertriebsmodelle einzulassen, obgleich dies durchaus mit großen Risiken verbunden ist, beweisen die Zeitungshäuser derzeit auf vielfache Weise. Ob die „Rolle rückwärts“ (ebd., S. 261), die Abkehr vom Gratisjournalismus im Internet gelingt, beziehungsweise überhaupt sinnvoll ist, kann zum jetzigen Zeitpunkt noch niemand mit Gewissheit sagen. Worin letztendlich der goldene Weg für den Vertrieb von Zeitungswebsites besteht, ob in einer bestimmten Form von Paid Content, oder eben nicht, wird sich erst im Laufe der Zeit und mit steigenden Erfahrungswerten herauskristallisieren. Doch wer es vorzieht, regungslos abzuwarten anstatt zu handeln, der wird ihn womöglich niemals finden. Literatur- und Quellenverzeichnis 88 Literatur- und Quellenverzeichnis Ariely, Dan (2008): Predictably Irrational. The Hidden Forces that Shape our Decisions. New York, Harper Collins BDZV (o.J.a): Zeitungslandschaft. URL: http://www.bdzv.de/zeitungen-online/zeitungslandschaft (27.04.2013) BDZV (o.J.b): Paid Content Angebote deutscher Zeitungen. URL: http://www.bdzv.de/zeitungen-online/paidcontent/ (20.05.2013) BDZV (2012): Verlage setzen auf Paid Content. URL: http://www.bdzv.de/zeitungen-online/informationmultimed/artikel/detail/verlage_setzen_auf_paid_content/ (20.05.2013) BDZV (2013a): „New York Times” verkauft 640.000 Online-Abos. URL: http://www.bdzv.de/zeitungen-online/informationmultimed/artikel/detail/new_york_times_verkauft_640000_online_abos/ (20.05.2013) BDZV (2013b): „Schwäbisches Tagblatt“ errichtet Paywall. 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