Was ist eigentlich guter Journalismus?

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Was ist eigentlich guter Journalismus?
DIE MACHER
Die große Jubiläums-Zeitung
Donnerstag, 6. Juli 2006
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Was ist eigentlich guter Journalismus?
Kritisch, glaubwürdig, unabhängig – Zeitungen sind seriös, wenn sie diese Kriterien erfüllen und dem Leser kein X für ein U vormachen
Von unserem Redaktionsmitglied
Michael Schröder
Ü
ber Ihren einseitigen Kommentar
zur Gesundheitsreform“, schreibt
Hermann K. aus Mannheim, „habe
ich mich schon heute Morgen beim Frühstück geärgert.“ Dann fährt er schweres
Geschütz auf: „Sie verzerren die Wahrheit
und ignorieren die Fakten.“ Zum Schluss
fragt Herr K.: „Und das soll guter Journalismus sein?“ Da ist er wieder, der „gute
Journalismus“. Woran erkennt man ihn eigentlich, wie wird er erzeugt und was
zeichnet ihn aus? Für Hermann K. scheint
klar: Gut ist, wenn seine Perspektive und
die der Zeitung deckungsgleich sind. Aber
was ist mit den anderen Lesern, die sich –
anders als Hermann K. – darüber freuen,
dass ihre Zeitung wieder mal voll ins
Schwarze getroffen hat? Hängt vielleicht
die Qualität des Journalismus vom Standpunkt des jeweiligen Betrachters ab?
Wir schauen bei der Journalistengewerk-
Wirtschaftlicher Erfolg sichert
redaktionelle Qualität
schaft nach, ob die unsere Frage beantworten kann. „Guter Journalismus“, erklärt
man dort, „ist zu Dumpingpreisen nicht zu
machen.“ Dem ist nicht zu widersprechen,
schließlich garantiert nur eine professionelle, umfassende Ausbildung, dass aus
jungen, tatendurstigen Schreib-Talenten
verantwortungsvolle, kompetente Redaktionsmitglieder werden. Qualität zum Nulltarif oder „fer umme“, wie man in der Kurpfalz sagt, gibt es nicht. Aber so richtig zufrieden stellend ist der Gewerkschafts-Rat
nicht. Haben wir doch beim „Mannheimer
Morgen“ schon immer großen Wert auf ein
gründliches Volontariat (das ist die „Lehrzeit“ junger Journalisten) gelegt.
Hören wir jetzt dem Vorstandschef eines
großen Zeitungskonzerns zu: „Guter Journalismus ist ohne wirtschaftlichen Erfolg
auf Dauer nicht lebensfähig“, befindet er
und verweist auf die Verbesserung der Rendite als absolute Voraussetzung für journalistische Unabhängigkeit und redaktionelle
Qualität. Da hat auch er zweifellos Recht.
Stimmt die wirtschaftliche Basis nicht,
scheitert selbst das allerbeste Produkt.
Fleißige Hände schreiben auf einer Pressekonferenz mit. Gute Journalisten
gehen danach ans Werk: Sie recherchieren die Fakten.
Bild: photothek
(Was im Umkehrschluss nicht ausschließt, munalpolitiker, wenn sie ihn auf der Straße
dass man zuweilen auch mit miesen Blätt- treffen, Rede und Antwort stehen;
chen sein Geld verdienen kann.) Allein, ● unabhängig, weil gute Zeitungsjournazum Kern, was guten Journalismus aus- listen sich nicht für PR-Dienste einspannen
macht, sind wir immer noch nicht vorge- lassen und Distanz zu den Mächtigen haldrungen.
ten. Auch wenn die Versuchung zuweilen
Stöbern wir daher ein wenig im Archiv – groß ist, mit den wichtigen Akteuren „auf
und siehe da: Hier finden wir zehn Thesen, Augenhöhe“ zu kommunizieren: Unvergesdie der verstorbene Bundespräsident Jo- sen ist der Satz der „Tagesthemen“-Legenhannes Rau vor ein paar Jahren bei einem de Hanns-Joachim Friedrichs: „Ein JourVortrag vor Journalisten formuliert hat nalist sollte sich mit keiner Sache gemein
(siehe unten stehenden Kasten). Verdichtet machen, auch nicht mit einer guten.“
Ist das also die Quintessenz eines anman seine Sätze auf eine Kernaussage,
dann könnte diese in etwa so lauten: Den spruchsvollen Journalismus? Richtig, aber
Qualitätsjournalismus zeichnet aus, dass er selbst Qualitätsjournalismus kann nur be1. glaubwürdig, 2. kritisch und 3. unabhän- geistern, wenn er mit Leidenschaft betriegig ist. Das hört sich irgendwie selbstver- ben wird und Lust aufs Lesen macht. Inforständlich an, ist es aber nicht, wenn wir uns mation und Unterhaltung schließen sich
in der deutschen Presselandschaft um- nicht aus, ja, sie bedingen sogar einander.
schauen. Vom „Krawalljournalismus“ mit Im Idealfall sind der neugierige Journalist
seinen dicken Schlagzeilen für Kurzsichti- und der neugierige Leser ein eingespieltes
ge bis zur „Yellow Press“, die dem blauen Team: Der Schreiber weiß, was der Leser
Blut ins Schlafzimmer nachstellt, wird die will, und der Konsument bekommt, was er
journalistische Messlatte nicht überall vom Lieferanten erwartet. Ist ein Artikel
spannend und denhoch gelegt. Doch
noch seriös gedie große Mehrheit
schrieben, bietet er
der überregionalen
Eine informative Zeitung muss
viel
Hintergrund,
wie regionalen ZeiAnalyse und Sertungen in der Bunauch begeistern können
vice, aber so, dass
desrepublik leistet
der Leser es auch
gute, seriöse Arbeit.
versteht – dann sind
Sie wissen: Ihre Leser geben sich mit Schlechtem nicht zufrie- beide Seiten glücklich.
Dem Leser gedanklich, emotional und
den.
sprachlich nahe sein – auch das macht guDiese Zeitungen sind
ten Journalismus aus. Auf die Wünsche, In● glaubwürdig, weil bei ihnen trotz kurz- teressen und Bedürfnisse der Menschen hölebigen „Infotainments“ auf allen Kanälen ren. Kurzum: Sie an die Hand nehmen und
noch immer sauber recherchiert wird. Den mit ihnen durch eine Welt gehen, die jeden
„investigativen“ Journalismus, der Skan- Tag neue, aufregende Erkenntnisse und
dale und Missstände aufdeckt, überlassen Überraschungen liefert. Ein anderer großer
auch Regionalzeitungen nicht mehr allein Journalist, der langjährige Gerichtsrepordem „Spiegel“. Journalisten müssen Fak- ter des „Spiegel“, Gerhard Mauz, hat einten suchen, prüfen, einordnen, gewichten, mal in einem Rundfunk-Interview den „guerklären, bewerten – und dem Leser kein X ten Journalismus“ so definiert: „Du befür ein U vormachen. Das ist das A und O nutzt das, was die Menschen lesen, hören
eines verantwortungsvollen Berufs, der Öf- und sehen wollen, als Brücke zu dem, was
fentlichkeit herstellt, der informiert und sie auch lesen, hören und sehen sollten –
aufklärt. Die Leser sollen sich auf ihre Zei- dann hast du etwas Wichtiges getan.“
tung verlassen können.
Und Hermann K., der erboste Leser aus
● kritisch, weil sie nicht jede offizielle Mannheim? Sein Zorn wird sicher schon am
Pressemitteilung oder Pressekonferenz für nächsten Tag verraucht sein. Er weiß ja,
bare Münze nehmen, gleich, ob die Erklä- dass ihm kaum ein anderes Medium in dierung vom Berliner Minister oder vom ser Breite tiefgründige Fakten liefern kann
Mannheimer Bürgermeister kommt. Dabei als die Zeitung. Auch wenn er sich manchhaben es vor allem die Lokaljournalisten mal an ihrer Meinung reibt. Aber das ist gut
nicht einfach, denn die müssen dem Kom- so. Denn Zeitung bewegt
Adler Mannheim, AIDA, Alice Cooper, André Rieu, Anna
Netrebko, ARD Gala on Ice, Backstreet Boys, Badesalz,
B.B. King, Bryan Adams, Bülent Ceylan, Chris Byrd,
Christina Stürmer, David Copperfield, Deep Purple,
Depeche Mode, Die Firma, Dieter Thomas Kuhn, Elton
John, Equi Magic, Eric Clapton, Gabriela Sabatini, George
Einen scharfen Blick sollten kritische Journalisten schon haben –
aber sie dürfen keine Scharfrichter sein. Bild: vario images/Profimedia
James Blunt, James Last, Jeanette Biedermann, Joana
„Journalisten
sind Beobachter“
Zimmer, John Miles, Joy Fleming, Manfred Mann, Marc
Terenzi, Marius Müller-Westernhagen, Massive Töne,
Was Johannes Rau den Medien ins Stammbuch schrieb
Der am 27. Januar 2006 verstorbene frühere Bundespräsident Johannes Rau
hielt im Juni 2004 auf der Jahrestagung
der Journalisten-Organisation „Netzwerk Recherche“ in Hamburg eine Rede
über die Anforderungen an einen seriösen Journalismus. Rau klagte, es gebe
„eine ganze Reihe von Entwicklungen,
die mir Sorgen machen“. So forderte er
beispielsweise eine gute Ausbildung von
Journalisten und betonte: „Forschheit
und Kritikfähigkeit sind noch lange
nicht dasselbe.“ Nachfolgend dokumentieren wir die zehn Sätze, die Rau als Voraussetzung für guten Journalismus zusammenfasste:
Michael, Groove Guerilla, Holiday on Ice, Hot Banditoz,
1. Gute Journalisten brauchen eine gute
Ausbildung.
Melanie C, Michael Bublé, Natasha Thomas, OMD,
2. Guter Journalismus kostet Geld.
Patrick Lindner, Peter Maffay, P!NK, Preluders, Rhein-
3. Journalisten müssen unabhängig von
ökonomischen Interessen sein.
Neckar Löwen, Rolf Stahlhofen, Ronan Keating, Sarah
4. Gute Journalisten brauchen einen
eigenen Kopf.
5. Journalisten müssen Zusammenhänge erkennen.
6. Journalisten sollten einen Standpunkt haben.
7. Journalisten sind Beobachter,
nicht Handelnde.
Connor, Sasha, Scooter, Silbermond, Simply Red,
Söhne Mannheims, Steffi Graf, THE EAGLES, Tokio Hotel,
Udo Jürgens, PUR, Wladimir Klitschko, Xavier Naidoo
8. Journalisten sollten die Wirklichkeit
abbilden.
9. Journalisten tragen Verantwortung
für das, was sie tun.
THE PLACE TO BE!
10. Journalisten tragen Verantwortung
für das Gemeinwesen.
ms
Tolle Schlagzeilen kommen nicht von
ungefähr. Herzlichen Glückwunsch,
Mannheimer Morgen!
Der frühere
Bundespräsident
Johannes Rau.
Bild: epd
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