Ein Blick in`s Buch - Michael Imhof Verlag

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Ein Blick in`s Buch - Michael Imhof Verlag
Künstlerverzeichnis
Anselmi, Michelangelo (?)
Kat. 83
Bandinelli, Baccio
Bassano, Jacopo
Boscoli, Andrea
Botticelli, sandro, Umkreis
Bronzino
Kat. 34–36
Kat. 87
Kat. 43
Kat. 11
Kat. 39
caccia, Guglielmo (Moncalvo)
cambiaso, Giovanni
cambiaso, luca / Umkreis
campagnola, Domenico
campi, Antonio
carpi, Girolamo
castello, Giovanni Battista (il Genovese)
cesari, Giuseppe (cavaliere d’Arpino)
clovio, Giulio
correggio
Dosio, Giovan Antonio (?)
Kat. 68
Kat. 63
Kat. 64–65, 66
Kat. 85, 86
Kat. 69
Kat. 72
Kat. 67
Kat. 61–62
Kat. 51
Kat. 28–30
Paggi, Giovanni Battista (?)
Palma Giovane
Parmigianino
Passeri, Bernardino
Penni, luca
Perugino, Pietro, Umkreis
Peruzzi, Baldassare
Pesellino, Werkstatt
Piombo, sebastiano del
Pisanello, Umkreis
Poccetti, Bernardino
Polidoro da caravaggio / nachfolge
Pontormo
Primaticcio
Kat. 66
Kat. 90
Kat. 77–82
Kat. 58
Kat. 48
Kat. 14
Kat. 45
Kat. 4
Kat. 20
Kat. 1
Kat. 42
Kat. 46, 47
Kat. 33
Kat. 70
raffael
raffael, Werkstatt
rosso Fiorentino, zugeschrieben
ruggieri, ruggiero de’
Kat. 20–25
Kat. 26
Kat. 32
Kat. 71
6
vorwort
9
italienische renaissance-zeichnungen im städel Museum
19
KAtAlOG
21
i. Das 15. Jahrhundert
Kat. 1–15
63
ii. Die Bildung des Kanon: hochrenaissance
Kat. 16–31
117
iii. rom und Florenz: Künstler in Mittelitalien (1525–1600)
Kat. 32–62
Kat. 56
Fenzoni, Ferraù
Finiguerra, Maso
Fra Bartolommeo
Kat. 59
Kat. 3
Kat. 16–17
Giulio romano (Pippi)
Kat.75–76
laureti, tommaso (?)
ligozzi, Jacopo
lippi, Filippino / Umkreis
Kat. 74
Kat. 44
Kat. 12, 13
Meister der »sacra conversazione settmani«
Michelangelo Buonarotti
Muziano, Girolamo (?)
Kat. 8
Kat. 18
Kat. 57
naldini, Giovanni Battista
Kat. 40
Orsi, lelio
Kat. 84
4
inhAlt
salimbeni, ventura
salviati, Francesco
samacchini, Orazio
sarto, Andrea del
Kat. 60
Kat. 49
Kat. 73
Kat. 27
tibaldi, Pellegrino (?)
tintoretto
tizian
Kat. 52
Kat. 88
Kat. 31
Unbekannt
vaga, Perino del / Umkreis
vasari, Giorgio
veronese, Paolo
viti, timoteo
zoppo, Marco
zuccari, Federico
zuccari, taddeo
197
iv. Kunstzentren im norden italiens (1525–1600)
Kat. 63–90
273
Wasserzeichen
278
literaturverzeichnis
Kat. 2, 5, 7, 9, 10, 11, 41
295
register
Kat. 26, 50, 52
Kat. 37–38
Kat. 89
Kat. 15
301
Abbildungsnachweis
302
impressum
Kat. 6
Kat. 54–55
Kat. 53
5
vOrWOrt
Die schon bei der stiftung des städelschen Kunstinstituts vor nunmehr fast 200 Jahren bedeutenden Bestände an Altmeister-zeichnungen erfuhren um die Mitte des 19. Jahrhunderts
durch Johann David Passavant eine erweiterung und markante strukturierung. Passavant,
der von 1840 bis zu seinem tod 1861 für die sammlungen des städel Museums verantwortlich
war, vertrat die strategie gezielter erwerbungen einzelner und, wie er schrieb, »nur ausgezeichneter« Werke, um den Besuchern des Museums durch konzentrierte Qualität eine eindrucksvolle Anschauung der Kunstgeschichte und ein intensives erlebnis der Kunst »aller
zeiten und schulen« zu ermöglichen. Passavant hatte seine laufbahn als nazarenischer Maler
begonnen und die verehrung der großen vorbilder raffael und Dürer zu einer fundierten
Kennerschaft auf den Gebieten der italienischen und deutschen renaissance ausgebaut. so
bildeten sich hier schwerpunkte, die in der zeichnungssammlung des instituts besonders
deutlich zutage treten. Der Bestand der italienischen renaissance-zeichnungen, dem der vorliegende Katalog gewidmet ist, zählt heute – auch dank einzelner ergänzender erwerbungen
späterer zeit – zu den herausragenden in Deutschland, und in keiner anderen deutschen sammlung ist raffael mit mehr und bedeutenderen zeichnungen vertreten.
so erscheint es angebracht, nach mehr als dreißig Jahren diesem teil der sammlung
eine erneute wissenschaftliche Untersuchung zu widmen. 1980 hat lutz s. Malke zum ersten
Mal einen kritischen Auswahlkatalog der italienischen zeichnungen des 15. und 16. Jahrhunderts im städel Museum vorgelegt. ebenso wie damals ist auch jetzt aus dem Gesamtbestand
von etwa 450 Blättern dieser epoche eine Auswahl getroffen, womit das vorliegende Buch
sowohl als Bestands- als auch als Ausstellungskatalog dient. es bestehen Planungen, die nicht
publizierten Blätter online zugänglich zu machen. Die Auswahl von 2014 differiert zu der von
1980; ein teil der Werke, vor allem die besonders prominenten, ist erneut – unter einbezug
neuer erkenntnisse – besprochen, ein anderer teil wird zum ersten Mal thematisiert. Die Kriterien der Auswahl waren dabei künstlerische Qualität und besonderes wissenschaftliches interesse. Den raffael-zeichnungen des städel Museums wurde 2012/13 eine eigene Ausstellung
mit internationalen leihgaben und umfassendem Katalog gewidmet, sodass es möglich wurde,
sich bei diesen Werken jetzt auf eine exemplarische Auswahl zu beschränken.
Das Wesensmerkmal eines Museums ist die ständige sammlung. sie gestaltet und definiert den Ort, an den sie gebunden ist und sorgt für eine unverwechselbare identität. Um
diese identität lebendig zu erhalten, gilt es, sie immer wieder kritisch zu überprüfen. Die Bedeutung der wissenschaftlichen erforschung der eigenen sammlung kann nicht hoch genug
veranschlagt werden. Daher gilt unser grundlegender, tief empfundener Dank der stiftung Gabriele Busch-hauck, Frankfurt am Main, insbesondere Gabriele Busch-hauck, Maria Busch und
clemens Busch. zum mittlerweile siebten Mal haben sie durch ein zweijähriges stipendium,
im vorliegenden Fall zudem durch die Finanzierung des Katalogs, die wissenschaftliche Bearbeitung und Publikation eines teilbestandes der zeichnungen der Graphischen sammlung im
städel Museum ermöglicht. erst dieses im besten sinn bürgerschaftliche engagement macht
die so notwendige Auseinandersetzung mit der eigenen sammlung möglich.
Darüberhinaus danken wir unserem Kulturpartner hr2-kultur.
Die italienische Kunstgeschichte der renaissance ist heute von einem einzelnen nicht
mehr zu überblicken. Umso dankbarer sind hier die vielen Kollegen und Freunde zu nennen, die
den Kurator des vorliegenden Projekts durch Auskünfte, vorschläge und kritische Diskussionen
unterstützt haben: Bernard Aikema (venedig), stijn Alsteens (new York), Massimo Baucia
(Piacenza), rhea sylvia Blok (Paris), Jonathan Bober (Washington), Giulio Bora (Mailand),
sonja Brink (Düsseldorf), stephanie Buck (london), Beket Bukovinská (Prag), carmen
Bambach (new York), hugo chapman (london), Martin clayton (Windsor), Dominique
6
cordelier (Paris), heiko Damm (Mainz), Ana Debenedetti (london), Marzia Faietti (Florenz),
tilman Falk (Augsburg), evelyne Ferlay (Genf), eliška Fučíková (Prag), Peter Fuhring (Paris),
Achim Gnann (Wien), Almut Goldhahn (Florenz), Anja Grebe (nürnberg), Antony Griffiths
(london), cordélia hattori (lille), Frédéric hueber (Genf), Markus Kersting (München),
David Klemm (hamburg), Dagmar Korbacher (Berlin), Astrid Krüger (Bad homburg), Mariehélène de la Mure (Paris), erik löffler (Den haag), Maria elena de luca (Florenz), Ger
luijten (Paris), Federica Mancini (Paris), Giorgio Marini (Florenz), David Mctavish (Kingston),
christof Metzger (Wien), Anette Michels (tübingen), catherine Monbeig Goguel (Paris),
Béatrice de Moustier (Paris), Yannick nexon (Paris), tobias nickel (Wien), charles noble
(chatsworth), Alessandro nova (Florenz), Martin Olin (stockholm), stephen Ongpin
(london), everardus Overgaauw (Berlin), Bernadette Py (Paris), Francesca rossi (Mailand),
Michael roth (Berlin), F. carlo schmid (Düsseldorf), naoko takahatake (los Angeles),
Annamaria Petrioli tofani (Florenz), simonetta valenti Prosperi rodinò (rom), lothar sickel
(rom), Patrizia tosini (rom), Françoise viatte (Paris), sarah vowles (london), Martin
Warnke (hamburg), Aidan Weston-lewis (edinburgh), catherine Whistler (Oxford), linda
Wolk-simon (new York), Wolfgang Wolters (Berlin), Karolina zgraja (rom) und Martin
zlatohlávek (Prag). Gedankt sei auch jenen Gelehrten, die ihre Urteile in Passepartout-notizen
niedergelegt haben, aber inzwischen verstorben sind.
es ist uns sehr willkommen, dass unsere Ausstellung im Frühjahr 2015 auch in der Fondation custodia/collection Frits lugt in Paris gezeigt wird. Als stiftung einer Privatsammlung
ist die Pariser institution mit dem städel Museum verwandt, und da sie namentlich der zeichenkunst großes interesse entgegen bringt, ist sie ein ausgezeichneter Ort für die hier versammelten Werke. Wir danken Ger luijten, dem Direktor der Fondation custodia, für die vertrauensvolle und freundschaftliche zusammenarbeit.
Ausstellung und Katalog sind das ergebnis der zusammenarbeit vieler im städel Museum. zu danken ist den Mitarbeitern der Graphischen sammlung, der Papierrestaurierung,
der Bibliothek, des Ausstellungsdienstes, der haustechnik, der Ausstellungsgrafik, der externen
Partner, der Bildung und vermittlung, des Marketing, der Grafik, der Presse, des sponsoring,
des Fundraising, der verwaltung, der eDv, der veranstaltungen, des Museumsshops, des
Direktionsbüros und des Katalogmanagements.
Die realisierung des Katalogs besorgte gewohnt zuverlässig der verlag Michael imhof,
Petersberg, das gewissenhafte lektorat nahm ines Dickmann vor, die ausgezeichneten Fotoaufnahmen stammen von Peter Mcclennan.
Besonders zu danken ist ruth schmutzler, leiterin der Papierrestaurierung im städel
Museum, die aufwendige Untersuchungen zur Bestimmung von technik und Wasserzeichen
sowie notwendige konservatorische und restauratorische Maßnahmen an den ausgestellten
Blättern vorgenommen hat, sowie Martin sonnabend, leiter der Graphischen sammlung für
Werke bis 1750, der das Projekt vonseiten des hauses verantwortlich betreut hat.
Der größte Dank aber gilt Joachim Jacoby, der in dem kurzen zeitraum von zwei Jahren
die mannigfaltigen Probleme und Fragen rund um zeichnungen der verschiedenen Kulturlandschaften im italien des 15. und 16. Jahrhunderts bearbeitet hat. er hat damit nicht nur zum
wiederholten Mal seine ausgezeichnete Kennerschaft und höchste wissenschaftliche Kompetenz
eingebracht, sondern auch eine Publikation geschaffen, die noch lange als referenzwerk zu
den italienischen renaissance-zeichnungen des städel Museums dienen wird.
Max hollein
Direktor
7
14 Perugino-Umkreis, Berto di Giovanni?
taufe christi, um 1500
verso: Der heilige Martin begegnet dem satan
Feder in Braun, über Griffel, auf Papier;
277 × 213 mm; unten links am rand eingerissen
(rückseitig hinterlegt)
Wasserzeichen nicht vorhanden, stegabstände
(horizontal) |39|39|37|40|40|37|
versO
Feder in Braun, spuren von schwarzem stift
(Kreide ?), senkrechte Griffellinie zentral durch
die Figur des teufels (einstichpunkt an seinem
linken horn), durchgegriffelt
Unten links trockenstempel »tl« (l. 2445),
unten rechts in der ecke beschriftet mit der
Feder in Braun »19 [?]«, stempel des städelschen Kunstinstituts (l. 2356)
inv. 378
PrOvenienz
conte Baglione, Perugia1
vielleicht Pierre Wouters (um 1702–1792),
lierre; Katalog (1797) und versteigerung Wouters: Demarneffe, Brüssel, 16. november 1801
(lr. 5685 & 6327), s. 206, nr. 15[a], als
Pietro Perugino (fl. 10-10, henri)2
sir thomas lawrence (1769–1830), london
(l. 2445)3
samuel Woodburn (1786–1853), london
(l. 2584)
Willem ii. (1792–1849), König der niederlande;
versteigerung Willem ii.: Jérome de vries,
corneille François roos, Jean Albert Brondgeest, Den haag, 12. August 1850 (lr. 19978),
s. 146, nr. 64, als Perugino (fl. 365-00, städelsches Kunstinstitut)
literAtUr (Angaben zu recto und verso beziehen sich auf die heutige zuordnung)
lawrence 1835, iX (1836), s. 9, nr. 3 (recto:
Perugino; verso: raffael) – Passavant 1839, ii
(1839), s. 559, nr. c (recto: schüler Peruginos; verso: geistlos), iii (1858), s. 208, nr. 598
(recto: Perugino, verso: raffael), 307, nr. 42 –
souvenir 1850, s. 19, nr. 64 (verso: Perugino)
– Passavant 1860, i, 51, ii, s. 455–456, nr. 279
(recto: Perugino, verso: raffael), 539, nr. pp –
springer 1879, s. 41 (recto: Perugino, verso:
raffael) – Muntz 1879, s. 176 (recto: Perugino,
verso: raffael) – Morelli 1880, s. 353 (verso,
eusebio di san Giorgio) – lecoy de la Marche
1881, taf. Xvi (verso, Federlithografie) –
Anonym 1880 [1881], s. 497–498, Abb. 17
(verso, Federlithografie) – Muntz 1881, s. 53
(recto: Perugino, verso: raffael) – Morelli
1881, s. 246 (recto, Perugino, irrige standortangabe) – crowe & cavalcaselle 1882, i,
s. 78, 90 (recto & verso: raffael) – Kahl 1882,
s. 57 (verso, nicht raffael) – springer 1883, i,
s. 59–60 (recto: Perugino; verso: raffael) –
crowe & cavalcaselle 1883, i, s. 59–60, 69
56
Berto di Giovanni (um 1470 ?–1529 Perugia) zuerst 1488 nachgewiesen, 1495 Schüler und
Mitarbeiter von Pietro Perugino; im Dezember 1505 zusammen mit Raffael Auftrag für eine
Himmelfahrt Marias für Santa Maria di Monteluce, Perugia (Vertrag 1516 erneuert, das
Altarblatt erst nach Raffaels Tod von seinen Schülern vollendet).
Diese zeichnung ist mit recht kontroversen
ergebnissen untersucht worden. in der
lawrence-sammlung – abgesehen von einer
möglichen nennung 1797/1801 – galt die
Taufe Christi als Pietro Perugino (1450–
1523), der Heilige Martin als raffael. nach
ersten zweifeln sah Johann David Passavant
(1858) im recto eine vorzeichnung Peruginos für ein angeblich 1502 ausgeführtes
Altarbild in sant’Agostino in Perugia (Galleria
nazionale dell’Umbria); unter Annahme, raffael habe nicht auf der rückseite einer studie
Peruginos gezeichnet, datierte Passavant den
Heiligen Martin vor 1502.4 crowe und cavalcaselle (1882) schrieben recto und verso
raffael zu, die Taufe Christi als Kopie nach
Perugino, das verso euphorisch als »the ear-
liest original study that raphael ever made.«
Bei zunehmender stilkritik schlug Morelli
(1880) gegen ende des 19. Jahrhunderts
mit eusebio da san Giorgio (um 1465 – um
1550) einen Künstler aus dem Umkreis Peruginos vor, Wickhoff (1884) nannte tiberio
d’Assisi (um 1470–1524), vermutlich aufgrund motivischer nähe zu einem Fresko des
themas von tiberio. Das zeichnerische Werk
dieser Meister war – und ist – nicht in nennenswertem Umfang zu fassen. Für die
abweichenden Bewertungen werden die Unterschiede zwischen der kontrollierten regelmäßigkeit der Taufe Christi und der freieren
Anlage auf dem verso ausschlaggebend
gewesen sein. Oskar Fischel (1917) entfernte
die Taufe Christi mit der pejorativen titulierung »fürchterliche zeichnung« definitiv aus
dem Œuvre Peruginos. Umberto Gnoli
(1923) ordnete das Blatt ohne weitere Begründung dem Perugino-schüler Berto di
Giovanni zu, worin ihm Gualdi (1961) und
Ferino-Pagden (1982) gefolgt sind.
Die eigenhändigen zeichnungen von
Perugino schließen aus, dass das Frankfurter
Blatt von ihm stammt. erste Gedankenskizzen
besitzen einen abweichenden charakter,
penibel ausgeführte Federzeichnungen im stil
des städel-Blattes fehlen von ihm ganz, sind
aber – meist Wiederholungen nach seinen
entwürfen – zahlreich aus seinem Umkreis erhalten.5 eine Kopie in der Morgan library,
new York, nach Peruginos Prophet Jeremias
ist linearer angelegt als die Frankfurter Taufe,
ein Heiliger Franziskus in Florenz besitzt
dagegen beweglichere, modellierende strich-
(Kat. 14, recto)
Abb. 8 Pietro Perugino, Taufe Christi, um
1495/1500 (?), schwarzer stift (Kreide ?), auf
rötlich getöntem Papier, 196 × 124 mm. Musée
Bonnat-helleu, Bayonne (inv. 1314)
57
26 Raffael-Werkstatt, Perino del Vaga (?)
Gottvater zeigt noah den regenbogen, um 1518/19
Feder in Braun, weiß gehöht (schwarz verfärbt,
partiell regeneriert ?), mit schwarzem stift
(Kohle) quadriert (£ 18–18,5 mm), auf hellbraun getöntem Papier; 135 × 326 mm; auf
halber Blatthöhe rechts und links rote Farbspuren,
an der Oberfläche stark berieben, am oberen
und unteren rand reste einer einfassungslinie
mit schwarzem stift, ganzflächig aufgelegt
Wasserzeichen: Anker im Kreis (ø 40 mm) unter
siebenzackigem stern, Bindedraht als Mittelachse, stegabstände (horizontal) |27|35|38|1
Unten links trockenstempel »tl« (l. 2445)
Auf der rückseite (auf dem Auflagekarton) unten links stempel des städelschen Kunstinstituts
(l. 2356) mit der dazugehörigen nummer
»375« (Bleistift), unten rechts mit schwarzem
stift »# 375«
inv. 375
PrOvenienz
sammlung revil, Paris2
sir thomas lawrence (1769–1830), london
(l. 2445)3
samuel Woodburn (1786–1853), london
(l. 2584)
Willem ii. (1792–1849), König der niederlande;
versteigerung Willem ii.: Jérome de vries,
corneille François roos, Jean Albert Brondgeest, Den haag, 12. August 1850 (lr. 19978),
s. 150, nr. 115 »raphael, attribué à« (fl. 510,
engelberts für städelsches Kunstinstitut)
literAtUr
lawrence 1835, iX (1836), s. 22, nr. 59 (raffael)
– Passavant 1839, ii (1839), s. 553–554, nr.
325, iii (1858), s. 127, nr. 182, 207, nr. 595,
299, nr. 3 – souvenir 1850, s. 21, nr. 115 – Passavant 1860, ii, s. 185, 455, nr. 275, 534, nr. c
– ruland 1876, s. 227, nr. lv/2 – crowe & cavalcaselle 1882, ii (1885), s. 507 (Kopie) – crowe
& cavalcaselle 1883, ii (1885), s. 412 (Kopie)
– Passavant 1882, iii (1891), s. 150, nr. 275,
236, nr. c – cavalcaselle & crowe 1884, iii (1891),
s. 280, Anm. 1 – Fischel 1898, nr. 237a (Kopie)
– Popham & Wilde 1949, s. 344 – Frz, iX
(1972), nr. 471 (Penni), taf. 71 – Dacos 1977,
s. 83, 295 (Perino del vaga), taf. cXXXviib –
Frankfurt 1980, nr. 78 (raffael-Werkstatt),
Abb. – Dacos 1986, s. 83, 295, taf. cXXXviib –
Parma Armani 1986, s. 21, 252 (Perino del
vaga, falsche inventar-nummer), Abb. 11 – sander 1989, s. 133, 135 – Ferino Pagden 1990,
s. 197 – schröter 1990, s. 374 – Kat. Paris 1992,
s. 406 – Kat. Wien 1992, i, s. 94 (Perino del
vaga) – Parma 1997, s. 21–23 (Perino del vaga,
falsche inventar-nummer), Abb. 11 – Wien
1999, nr. 111 (raffael), Abb. – leone de castris
2001, s. 34, 59 (Perino del vaga ?) – Dacos
2008, s. 193 (Perino del vaga), Abb. 51 – Frankfurt 2012, s. 70–71, 75, Abb. 45
96
Piero Buonaccorsi, gen. Perino del Vaga (Florenz 1501–1547 Rom), geht um 1516 nach einer
ersten Ausbildung in Florenz nach Rom, Beteiligung an den Dekorationsprojekten der RaffaelWerkstatt; nach dem Sacco di Roma 1528 Wechsel als Hofmaler von Andrea Doria nach Genua,
ab 1538 erneut in Rom, wo er unter anderem die Ausmalung des Castel Sant’Angelo leitet (1545–
1547).
Dieses Blatt ist die endgültige reinzeichnung,
der modello, für ein Fresko in der loggia
raffaels im vatikanischen Palast. seit seinem
Wechsel nach rom 1508/09 arbeitete raffael
fast ununterbrochen an der Ausmalung der
päpstlichen Wohn- und zeremonialräume im
vatikan (Kat. 22), dazu zählte auch die von
Bramante konzipierte loggia, die dem Gebäude im Osten vorgeblendet ist. es ist nicht
bekannt, wann genau das Bauwerk die höhe
der stanzen im zweiten Obergeschoss erreicht hat, nach zeitgenössischen Berichten
war die mehrjährige Ausschmückung der
loggia auf dieser ebene im Mai 1519 vollendet.4 in dem langen, in dreizehn Joche unterteilten Bau von beeindruckenden Dimensionen entwickelte raffael in einer vollkommen
eigenständigen verarbeitung antiker Wandmalerei eine vorbildlose, bahnbrechend neue
raumgestaltung. in den Gewölbefresken wird
die Geschichte der Welt von der schöpfung
bis zur erlösung der Menschheit durch Jesus
christus erzählt, die dazugehörigen Gewölbezwickel und die Pilaster sind überreich mit
Grotesken-stuck überzogen. im sockelbereich waren auf der Palastseite in monochromen Fresken – in imitation von Bronzereliefs
– biblische ereignisse dargestellt, die inhaltlich
jeweils auf die hauptperson des betreffenden
Jochs Bezug nahmen. Die Frankfurter zeichnung bereitet eine szene aus der Geschichte
noahs im dritten Joch vor. Die Wandmalerei
ist heute weitgehend verloren, einen eindruck vermittelt eine nachzeichnung aus der
zeit um 1555 (Abb. 16).5 nach der sintflut
schloss Gott mit noah – stellvertretend für
alle Menschen – einen neuen Bund, dessen
sinnbild der regenbogen war (Gen. 9,12–17).
in der Darstellung sitzt Gottvater links auf
Wolken schwebend, mit der ausgestreckten
rechten weist er auf den regenbogen; noah,
der sich in heftiger Bewegung zu dem symbol des Bundes umwendet, kniet vorn im
Kreis seiner verwandten. rechts schließt an
den regenbogen eine halbrunde linie an,
dabei handelt es sich – wie aus der späteren
nachzeichnung hervorgeht – um einen steven
der Arche.6
Die loggia gehört zu den Projekten aus
raffaels später schaffenszeit. Aufbauend auf
seinen gezeichneten entwürfen wurde die
Ausstattung nach vasari unter leitung von
Giulio romano von einer größeren Künstlerequipe realisiert.7 tatsächlich weist die Ausführung der Fresken eine beachtliche stilistische vielfalt auf – und man ist seit langem
bemüht, den Anteil der beteiligten Künstler
zu bestimmen. Unter diesen vorgaben ist die
Frankfurter zeichnung nicht einheitlich beurteilt worden. Für Passavant eine eigenhändige
Arbeit, hielten crowe & cavalcaselle (1885)
das Blatt für eine Kopie, die einen Kupferstich
vorbereiten sollte. Mit fortschreitender Differenzierung unter den schülern raffaels wurde
eine allgemeine einordnung in die Werkstatt
oder die Autorschaft von Giovanni Francesco
Penni (um 1496 ? – um 1528) erwogen, nur
Konrad Oberhuber und Achim Gnann (Wien
1999) sahen in raffael selbst den zeichner;
John shearman (Dacos 1977) schlug überzeugend eine zuschreibung an Perino del
vaga vor. Der zeichenstil des Blattes mit kräftigen, auch winklig gesetzten Parallelschraffuren – stellenweise von kurzer länge – unterscheidet sich grundsätzlich von den charakteristischen modelli der raffael-Werkstatt, die
bei geringem einsatz der Feder technisch anders aufgebaut sind.8
nach vasari freskierte Perino mehrere
szenen der loggia, darunter im dreizehnten
Joch die Taufe Christi, für die sich eine vorzeichnung in london erhalten hat.9 Das Blatt
gehört stilistisch mit einer studie in Windsor
für das Fresko der Teilung des Landes im
zehnten Joch zusammen, das eigenhändigen
Arbeiten Perinos nahesteht.10 Die zeichnungen werden weder von Penni, der die Umrisslinien mit geringem Andruck gleichmäßig anlegt und in modelli fast vollständig auf schraffuren verzichtet, noch von Giulio romano
stammen, bei dem lineare Konturen planimetrische strukturen, kein raumgefüge entste-
hen lassen und schraffuren Flächenwerte bilden.11 Die mit Druckwechseln und verkantungen beweglich geführte Feder auf den studien in Windsor und london formt dagegen
plastische volumen, spezifisch sind für den
zeichner auch arabeskenhaft angelegte Abbreviaturen (Wolken, haarschopf); in der Gewandbehandlung bleibt ein deutlicher Kontrast
zwischen eingedunkelten Partien und hell belassenen zonen. ist für die beiden zeichnungen ein einziger Autor anzunehmen, scheint
auch das Frankfurter Blatt – eine reinzeich-
nung, kein spontaner entwurf – bei übereinstimmenden Merkmalen von demselben
Künstler zu stammen. eine technisch analog
gearbeitete Kopie nach einem Fresko Masaccios, die Perino anscheinend noch vor seinem
Wechsel von Florenz nach rom um 1516 ausgeführt hat, bestätigt diese zuordnung; hier
finden sich bereits vergleichbare Kürzel für
hände und perspektivisch herausgestellte Gebärden.12 hat raffael das Dekorationssystem
der loggia im Grundsatz entworfen, sind
von ihm nur studien für die ersten Joche be-
97
33 Pontormo
Aktstudien (zwei sitzende Männer, in einen handspiegel blickend, und
ein sitzender Knabe), um 1520
schwarzer stift (Kreide ?, steinkreide ?), weiße
Kreide, auf blau meliertem Papier; 422 × 272 mm;
obere rechte ecke keilförmig abgetrennt und auf
dem Auflagekarton farblich angepasst, links
unten zwei kleine löcher auf dem Auflagekarton
farblich angepaßt, vertikale Falte links unten
entlang des rands, schwarzer strich oben links
parallel zur Kante, horizontaler einriss rechts in
der Mitte, stockflecken, ganzflächig aufgelegt
(stauchfalten)
Wasserzeichen und stegabstände nicht feststellbar
Auf der rückseite (auf dem Auflagekarton) mit
der Feder in Braun unten am rand beschriftet
»n. 5 | n. 85, Giacomo carrucci da Pontormo.«,
links unten mit schwarzem stift (Kreide ?) beschriftet »f c 1a [1 c c/a ?]«, unten in der Mitte
stempel des städelschen Kunstinstituts
(l. 2356) mit der dazugehörigen nummer
»4288« (Bleistift)
inv. 4288
PrOvenienz
Alter Bestand, vor 1862 erworben (als J. Pontormo)
literAtUr
Berenson 1903, nr. 2250 – clapp 1914, s. 32,
66, 87, 126, 255, 289–290 – clapp 1916, s. 35,
Abb. 77 – stift und Feder, 1927, nr. 80, Abb. –
Wiesbaden 1946, s. 24–25 – Berenson 1961,
ii, nr. 2250 – cox-rearick 1964, s. 200, nr. 187,
Abb. 176 – Frankfurt 1980, nr. 51, Abb. – coxrearick 1981, i, nr. 187, ii, Abb. 176 – longstreet 1986, [nr. 18], Abb. – Frankfurt 1994,
nr. z 26, Abb. – costamagna 1994, s. 162,
Anm. 1, Abb. – Philadelphia 2004, nr. 1, Abb. –
Frankfurt 2008, nr. 11, Abb.
122
Jacopo Carrucci, gen. Pontormo (Pontorme, bei Empoli, 1494–1557 Florenz), nach Vasari in
Florenz bei Leonardo da Vinci, Andrea del Sarto und anderen ausgebildet, ist er ab 1513 mit
eigenständigen Arbeiten fassbar; vor allem im Dienst der Medici, für die auch Fresken entstehen
(Poggio a Caiano); sein sehr persönlicher Stil ist formal und farblich Inbegriff des Manierismus.
zwei Männer richten ihre Aufmerksamkeit auf
einen kleinen Gegenstand. ist der linke im
Profil gesehen, beugt sich der rechte wissensdurstig vor, um sich für die Begutachtung in
Positur zu bringen. starke überschneidungen
und die körperliche nähe machen das Plötzliche des Geschehens evident, das sich auch
im sinnbildlich aufgewühlten haar zeigt; selbst
der quer eingestellte Felsen, die Fußstütze der
Männer, erhöht die Dynamik. Die Autorschaft
Pontormos ist seit der ersten erwähnung
(1862) des meisterhaft komponierten Blattes
nicht in Frage gestellt worden. Die zeichnung
ist eine weit ausgeführte studie, im Unterschied zu ersten Gedankenskizzen, in denen
sich Pontormo auf breit gezeichnete Umrisse
beschränkt.1 Die muskulösen Akte sind aus
verwischten schraffuren entwickelt, die Wölbungen greifen mit den fein modulierten Konturlinien ineinander; wenige scharfgratige
striche präzisieren die Körpergrenzen. Auf
blauem Papier angelegt, bildet eine dezente
Weißhöhung die hellsten lichter. 2 Das städelBlatt kann keinem Dekorationsvorhaben zugeordnet werden, daher ist das entstehungsdatum nur grob einzugrenzen. stilistisch verwandt ist die Studie eines sitzenden Mannes in
Florenz, die cox-rearick (1964) um 1515/19
datiert.3 Bald nach 1520 bevorzugt der Künstler ein stärker gelängtes Körperideal, auch
ist dann die Wechselbeziehung zwischen den
Figuren verringert. cox-rearick schien ein entstehungsdatum um 1519/21 plausibel, costamagna (1994) datiert um 1517/18.
Man ist davon ausgegangen, dass die
Männer ihr spiegelbild anblicken; Malke (1980)
verband »die tiefgründig verdoppelte selbstbetrachtung« mit dem Gedanken der selbsterkenntnis, da der spiegel das Attribut der Prudentia ist. strehlke (2004) sah zwillinge dargestellt, es handele sich um eine Allegorie des
entsprechenden – traditionell mit zwei stehend sich umarmenden Männer dargestellten
– tierkreiszeichens (gemini).4 Ob die beiden
Gesichter tatsächlich identische züge besitzen, ist bei der offenen zeichenweise kaum zu
entscheiden, auch scheint im sitzmotiv ein
überkommenes – vielleicht antikes – Bildmuster aufgenommen.5 Der Mann links hält den
Gegenstand so, dass er direkt – gerade – darauf schaut, sein Begleiter kann dagegen nur
eingeschränkt einen einblick gewinnen – das
Kleinod ist nach außen zum Betrachter gedreht, wie am weiß gehöhten, also hell vom
licht getroffenen rahmen abzulesen ist. szenisch ist die Darstellung so zu deuten, dass
der sitzende vom Anblick unvermittelt getroffen ist und seinen Begleiter am aufwühlenden
erlebnis teil haben lassen muss. Dabei verschmelzen die beiden zu einer kompakten
Gruppe, selbst ihre Beine scheinen untrennbar ineinander verschoben. inhaltlich spiegelt
vielleicht die kleine Figur unten links mit überkreuz verschränkten Gliedern die verwickelte
situation. Auch muss es sich bei dem Kleinod
nicht um einen spiegel handeln, es könnte
auch ein gerahmtes Bild sein, der starken reaktion nach sogar ein miniaturartiges Bildnis,
wie es in prezioser Ausformung als Plakette
oder Gemälde verbreitet war. Ob es sich um
ein Geliebtenbildnis handelt, ›das zur liebe
zwingt‹, hat offen zu bleiben, zumindest wäre
damit kunstheoretisch die Wirkungsästhetik
von Bildern thematisiert.6
1
2
3
4
5
6
cox-rearick 1981, i, nr. 33, 147, 163.
Für eine technisch vergleichbare zeichnung in Florenz
(452 F) vgl. Kat. Florenz 1996, nr. vi.2.
cox-rearick 1981, i. nr. 20; costamagna 1994, nr. 19–22.
Philadelphia 2004, s. 56; cox-rearick 1984, s. 195; Bober &
rubinstein 1986, s. 158; vgl. nanni in: Vinci 2001, s. 23–45.
Bober & rubinstein 1986, nr. 123a .
Kris & Kurz 1979, s. 100–101; Warnke 1985, s. 279 (mit
hinweis auf venturi 1896, s. 57); colasanti 1904, s. 195–
196; vgl. Berlin 2011, nr. 92.
123
57 Girolamo Muziano, zugeschrieben
stehender heiliger König, um 1570/80 (?)
rote Kreide, auf hellbraun getöntem Papier;
364 × 176 mm; unten am rand in der Mitte
kleiner Ausriss (auf dem Auflagekarton retuschiert), unten am rand Feuchtigkeitsschaden,
allseitige einfassungslinie mit der Feder in
schwarz, ganzflächig aufgelegt
Wasserzeichen nicht vorhanden, stegabstände
(vertikal) |34|38|34|
Unten rechts trockenstempel eines unbestimmten Wappens, im schild – mit der Feder nachgezogen – gekreuzte szepter (?) unter
fünfzackiger Krone, Umschrift »MAr | zAnDeMArl« (nicht in l.)
Auf der rückseite (auf dem Auflagekarton)
unten links und in der Mitte stempel des städelschen Kunstinstituts (l. 2356)
inv. 5633
PrOvenienz
Unbekannter niederländischer (?) sammler
Alter Bestand, vor 1862 erworben (als unbekannt,
italienisch)
literAtUr
(keine veröffentlichung bekannt geworden)
Abb. 42 Girolamo Muziano, Studie eines
sitzenden Mannes, auf eine Lünette gelehnt,
um 1578/80, rote Kreide, auf Papier,
548 × 381 mm. Gabinetto disegni e stampe
degli Uffizi, Florenz (12901 F)
182
Girolamo Muziano (Brescia 1532–1592 Rom), in Padua und Venedig als Landschaftsmaler ausgebildet; 1549 nach Rom, wo er vor allem als Maler kirchlicher Themen unter Aufnahme von
Michelangelos idealem Stil arbeitet; 1560 Hofmaler von Kardinal Ippolito d’Este; mehrere Landschaftszeichnungen mit Eremiten von Cornelis Cort gestochen.
Die eher zierliche Gestalt auf dieser zeichnung
– nach der lilie an der szepterspitze vermutlich ein französischer König – besitzt auffallend gelängte Proportionen, eine durch den
sehr kleinen Kopf noch verstärkte Wirkung.
Mit dem weiten, sperrig über die schulter gelegten Gewand entsteht eine monumentale
erscheinung, im stark herausgearbeiteten
helldunkel eine starke reliefwirkung. in der
nach oben gehenden Kopfbewegung und
den erstaunt geöffneten händen spiegelt sich
eine innere erregung oder die reaktion auf
ein von außen kommendes ereignis. Der eindruck einer impulsiven Bewegung wird weiter
gesteigert, da die Figur leicht versetzt vor
dem rückwärtigen Wandfeld dargestellt ist –
oder aus der enge der nische ins licht herauszutreten scheint.
in Passepartout-notizen ist das Blatt
weitgehend übereinstimmend nach Mittel-
italien eingeordnet und gegen ende des
16. Jahrhunderts datiert worden; hugo chapman (2009) vermutete als Autor einen in
rom tätigen Künstler, cristofano roncalli
oder Girolamo Muziano.1 Die Arbeiten von
roncalli (1551/52–1626) zeichnen sich
durch eine weniger substanzreiche verwendung der Kreide, eine lineare schraffurtechnik und ein verwandtes, aber unter stärkerer
torsion stehendes Körperideal aus.2 Die
zeichenweise scheint am engsten mit Muziano
verbunden. Auf vielen Arbeiten Muzianos
sind gestreckte Proportionen mit einer klassisch konzipierten haltung und Gewandführung vereint. Auch die gezierte handhaltung
oder die mit kurzen linien schraffierten
Finger finden hier eine entsprechung.3 Die
Oberfläche der zeichnung wirkt stark berieben, vielleicht ist die Kreide bei der Kaschierung in das Papier eingepresst worden.
ist das helldunkel daher technisch als übergangslose verreibung zu beschreiben, sind
dennoch die abschließend dunkler eingefügten – und für Muziano typischen – schattierstriche zu erkennen; auch die tief in den
höhlen liegenden Augen gehören zum repertoire des Meisters und lassen sich auch bei
zeichnungen in schwarzem stift beobachten.4
Muziano bereitete seine Bilder in
einem dicht strukturierten Werkverfahren vor.
Für eine Predigt des heiligen Hieronymus sind
die hauptakteure in mehreren studien entwickelt; dabei ist die haltung des heiligen im
Kern nicht mehr verändert, nur für einzelne
Motive sind Alternativen probiert.5 trotz der
skizzenhaft wirkenden Begrenzungslinien
auf der linken seite wird die städel-zeichnung
einer relativ späten Werkphase angehören,
wie der Unterschied zu einer erfindenden
zeichnung in Florenz verdeutlicht (Abb. 42).
zweifellos von Michelangelo angeregt, aber
im Unterschied zu Künstlern aus dem unmittelbaren Umkreis des Florentiner Bildhauers
bevorzugt Muziano für die monumentale Figur
eine weiche atmosphärische Modellierung.6
sollte der heilige ludwig von Frankreich gezeigt sein, könnte die zeichnung mit
der Himmelfahrt Marias, dem hauptaltarbild
der französischen nationalkirche san luigi
dei Francesi in rom, in zusammenhang stehen, die auf den seiten von Bildern des heiligen ludwig und des seligen Karl des Großen
flankiert war. Den Auftrag hierzu hatte Muziano
1566 erhalten, ihn aber erst um 1573/74 zu
ende geführt. Die studie in Frankfurt könnte
aber auch eine andere heiligendarstellung
vorbereiten, vielleicht sogar eine Ausführung
als Mosaik, wofür Muziano wiederholt entwürfe lieferte.7
1
2
3
4
5
6
7
Passepartout-notizen: Unbekannt (Daniele crespi, 1597/
1600–1630); Ugo ruggeri (nicht crespi, »fiorentino«);
elizabeth Pilliod (Florenz, 1575–1600); Bambach, 2013
(Matteo rosselli, 1578–1651); die überlegung von chapman nach einer handschriftlichen notiz, Archiv Graphische
sammlung (27. Februar 2009); Patrizia tosini (e-Mail,
17. Februar 2014) tendiert in Unkenntnis des Originals zu
einer zuschreibung an roncalli; zu rosselli vgl. thiem
1977, s. 334–338.
Kat. Florenz 1979, nr. 1–31; Kat. new York 1982, nr. 221–
222, 224; Detroit 1988, nr. 80–81; chiappini Di sorio
1983, s. 98–99, 106, 117, 122; Kat. Palermo 1995, nr. 40;
Di Giampaolo 2010, s. 320–323.
tosini 2008, nr. A 7, A 18, A 22, A 40, A 44, A 47, A 48;
zur handhaltung s. Anm. 5.
Kat. Avignon 1998, i, nr. 30; tosini 2008, nr. A 22; Kat.
sammlung Bonna 2010, nr. 57.
Windsor, inv. 0440 (Washington 1996, nr. 49; Kat. london 2007, nr. 25); Paris, inv. 5109, 5112, 5115; zum
Altar: tosini 2008, nr. A 50.
tosini 2008, s. 417.
tosini 2005, s. 13–14, 21–22; tosini 2008, s. 175, 476–
477, nr. D 44; für die Könige vgl. Procacci 1954, s. 251.
einen Stehenden König in Paris, inv. 10850, ordnen tosini
(2005, s. 22; 2008, nr. D 45) und John Marciari (Kat.
sammlung Bonna 2010, s. 138) in einen ähnlichen entstehungszusammenhang ein; für Mosaikarbeiten vgl. hochmann 2004, s. 396–397; tosini 2008, nr. 41; für eine
themenverwandte zeichnung von cesare nebbia in Ottawa
(national Gallery, inv. 6861) vgl. tosini 2008, s. 478.
183
81 Parmigianino
Die Anbetung der Könige, um 1527–30
Feder in Braun, braun laviert, weiß gehöht,
über schwarzem stift (Kreide ?), auf Papier;
341 × 245 mm; im unteren rechten viertel fleckige
Farbveränderungen, untere rechte ecke ausgerissen und ergänzt, allseitige einfassungslinie mit
der Feder in schwarz
Wasserzeichen: halbmond mit fünf strahlen,
darüber Kreuz, Bindedraht als Mittelachse,
stegabstände (vertikal) |38|40|39|27|39|39|
(vgl. Briquet 5220)
Unten links beschriftet mit der Feder in Braun
»Parmigi[anino]« (unter Uv-licht sichtbar),
unten rechts beschriftet mit der Feder in
Braun »le Parmesan«, in der unteren rechten
ecke stempel des städelschen Kunstinstituts
(l. 2356)
Auf dem verso oben links beschriftet mit der
Feder in Braun »24« (auf dem Kopf stehend),
unten links »a«, unten links in der ecke stempel
des städelschen Kunstinstituts (l. 2356) mit
der dazugehörigen nummer »402« (Bleistift)
inv. 402
PrOvenienz1
vielleicht Antoine-Joseph Dezallier d’Argenville
(1680–1765), Paris (vgl. l. 2951)2
vielleicht Destouche3
vielleicht charles Paul Jean-Baptiste de Bourgevin vialart de saint-Morys (1743–1795), Paris
und hondainville (vgl. l. 3620)4
vielleicht Martini (P. A. Martini, 1738–1797;
l. 1799a)
Alter Bestand, vor 1862 erworben (als Parmigianino)
literAtUr
Wien 1963, s. 42 – Popham 1969, s. 51. Anm. 9
– Popham 1971, i, s. 13, 36, 79–80, nr. 137, ii,
taf. 123 – trotter 1974, s. 258, taf. 73c – Frankfurt 1980, nr. 25, Abb. – labbé & Bicart-sée
1996, s. 174 – Parma 2003, s. 335–336 – Wien
2003, s. 310–311 – Ottawa 2003, nr. 63, Abb. –
St. Petersburg 2004, s. 115 – szanto 2006,
s. 253 – szanto & Dubois 2006, s. 22, Abb. 4 –
München 2007, s. 199 – Gnann 2007, i, s. 188–
189, 218, 337, Anm. 756, 456–457, nr. 660
(1527/29), ii, Abb. Kat. 660 – tonkovich 2011,
s. 42–45, Abb. 13, 29 – Wien 2013, s. 206, Abb.
54
242
nach der Bibel (Mt. 2,1–12) wird die Ankunft des erlösers – und damit die Menschwerdung Gottes – faktisch von der Außenwelt zuerst mit der Anbetung des neugeborenen Kindes durch die drei Könige aus
dem Morgenland wahrgenommen (epiphanias). Auf Parmigianinos Frankfurter zeichnung empfängt Maria die Könige auf dem
Boden sitzend mit Jesus auf ihrem schoß.
irritiert – in der innigen Bindung zur Mutter
unterbrochen – wendet sich der Knabe zu
dem vor ihm knienden König, der ihm als
Geschenk ein Prunkgefäß mit teller präsentiert. Der Künstler scheint für das thema
eine idyllische schilderung von Mutter und
sohn adaptiert zu haben, wie sie in Darstellungen der ruhe auf der Flucht oder der
Madonna dell’umiltà beliebt waren. Die zeichnung weicht hierin von einer verbreiteten
Konvention ab, in der die Muttergottes hoheitlich thront. von links drängen die Könige
zum heiligen Paar, die noch kaum gebändigten Pferde steigern die Unruhe; Joseph,
der über dem vordersten König steht und
am heiligenschein zu erkennen ist, scheint
seine Familie gutgemeint abschirmen zu
wollen, ist aber teil der heranflutenden Masse. rechts im hintergrund steht eine säule
auf hoher Basis, der einzige rest einer antiken ruine, die mit einer Decke aus holzbalken provisorisch zu einem stallgebäude
umfunktioniert ist. einer der Balken scheint
sich gelöst zu haben und ragt aus dem Gebälk schräg hinunter in die Figurengruppe.
Oben ist daran ein Querbalken angesetzt, der
– mit der räumlichen und baulichen logik
nicht recht in einklang stehend – absichtsvoll an eine Kreuzform zu erinnern und
damit auf den Kreuzestod christi anzuspielen scheint. Die über einer eckigen säulenbasis neu entstehende Architektur könnte
sinnbildlich auch auf die Gleichsetzung
christi mit einem eckstein ( lapis angularis)
hinweisen, über dem sich die Kirche des
neuen Bundes als geistiges Gebäude erhebt
(1 Petr. 2,4–7).5
Die komplexe Bildanlage ist im lichteinfall
feinsinnig orchestriert: im Kind ist das licht
gebündelt, auch Maria wird von der helligkeit von vorn – nicht wie die anderen Protagonisten von hinten oder der seite – getroffen; mit ihrem im schatten liegenden
rücken kommt die Komposition sinnvoll
zum Abschluss. helle und dunkle tonwerte
sind mit Deckweiß und einer braunen lavierung voneinander unterschieden, die Figuren
werden mit lebendigen, in Breite und verlauf
vielfach unterschiedenen Federstrichen
entwickelt, die dunkelsten zonen mit meist
parallel laufenden linien, nur selten mit
Kreuzschraffuren angezeigt. trotz aller Ökonomie elegant, ist die Frankfurter Anbetung
der Könige ein typisches Beispiel für die
technische virtuosität und scheinbar mühelos erreichte vollendung der zeichnungen
Parmigianinos.
Das Blatt steht mit einem chiaroscuro-holzschnitt in zusammenhang, der traditionell niccolò vicentino (nachgewiesen
1510–1550) zugeschrieben wird (Abb. 56).6
seit Popham wird angenommen, niccolò habe
den Druck unabhängig von Parmigianino –
und nach dessen tod – geschaffen, Gnann
(2003) hielt zunächst eine zusammenarbeit
noch in rom, später (2007) eine entstehung während Parmigianinos Bologna-Aufenthalt für möglich.7 in dem zur zeichnung
gleichsinnigen Druck, der in verschiedenfarbigen Abzügen bekannt ist (blau, grün,
braun), sind die helligkeitsabstufungen der
lavierung und Deckweißhöhung mit zwei
tonplatten und die mit der Feder angelegten
Umrisslinien mit einer dritten Platte – der
linienplatte – wiedergegeben. Bislang hat
sich nicht klären lassen, ob niccolò nach der
Frankfurter zeichnung gearbeitet hat. Da
der Druck mit dem Blatt in den Maßen übereinstimmt (nur rechts scheint von der
zeichnung ein schmaler streifen abgetrennt
worden zu sein), vermutete Popham darin
die unmittelbare vorlage; David Franklin wies
darauf hin, dass keine übertragungsspuren
243