1.Liedpredigt im Lutherjahr 2012 „Reformation und Musik“ Karfreitag
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1.Liedpredigt im Lutherjahr 2012 „Reformation und Musik“ Karfreitag
1.Liedpredigt im Lutherjahr 2012 „Reformation und Musik“ Karfreitag: O Haupt voll Blut und Wunden Die Gnade unseres Bruders Jesus Christus und die Gemeinschaft des heiligen Geistes sei mit uns allen. Amen Liebe Gemeinde, manchmal trifft einen das Leben hart. Das mein ich nicht verbittert und auch nicht klagend, sondern ganz nüchtern und ehrlich. Unverschuldet in einen Strudel von Leid zu geraten z.B., wie der 17jährige junge Mann aus Emden, der für 2 Tage unter Mordverdacht stand und dessen Leben nie mehr dasselbe sein wird –trotz seiner Unschuld!- (und das seiner Eltern wohl auch nicht). Noch mehr grausame Lebenshärte erleben die Eltern, die ganze Familie der kleinen 11jährigen getöteten Lena. Gewalterfahrung oder Krankheit, Tod und Abschiede, auch Misserfolge –und seien wir selbst an ihnen Schuld- es gibt ein Spektrum von Möglichkeiten, das Leben in all seiner Härte zu erfahren. Das ist auch dem Theologen und Dichter des 17. Jahrhunderts –Paul Gerhard- nicht anders ergangen: mit 14 wird er Vollwaise....in seinem späteren Wohnort Grimma wütet die Pest: nur wenige überleben, er ist einer davon....dann bricht der 30jährige Krieg aus: Plünderungen, Misshandlungen, Gewalterfahrungen, wohin man blickt...später werden Paul Gerhard und seiner Frau Anna 5 Kinder geboren, von denen 4 schon im Kindesalter versterben. Wer sich mit Paul Gerhards Biographie beschäftigt, mag denken: „Meine Güte, der hätte Grund zur Klage!“ Doch das Klagen ist Paul Gerhards Sache nicht! Allerdings das nüchterne und ehrliche Bestandaufnehmen: das Leben ist manchmal richtig hart! Es gibt Einiges an Not und Leid, das es auszuhalten gilt. Immer wieder ist Karfreitag in unserem Leben. Die Worte, die Paul Gerhard findet, um seine Leiderfahrungen offen und ehrlich anzusprechen, um sich selbst im „Standhalten“ zu üben, sind die Verse des Liedes „O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn.“ Wir haben schon angefangen sie zu singen und werden es nach der Predigt weiter tun. Es ist vielleicht das bekannteste Passionslied. Das Passionslied schlechthin, das im kollektiven Gedächtnis der heutigen weltweiten Kirche mit Schmerz und Trauer verbunden wird. Paul Gerhard hat sich dieses Lied nicht ausgedacht. Er greift zurück auf einen 7teiligen lateinischen Hymnus des Zisterzienser-Abtes Arnulf von Löwen, der 400 Jahre zuvor sich gleichsam vor Christ Kreuz aufstellt und dessen Leiden anhand verschiedener Körperteile Schritt für Schritt durchbuchstabiert, durchmeditiert. Nach den Füßen, den Knien, den Händen, der Seite, der Brust und dem herzen folgt schließlich das Haupt, dem sich nun Paul Gerhard widmet mit einer Übersetzung und Bearbeitung, die durchaus neue und eigenständige Wege geht. Und auch die Melodie gab es vorher schon: es ist ein zeitgenössisches Liebeslied: „Mein Gemüt ist mir verwirrt – das macht eine Jungfrau zart“. Aus der Melodie einer Liebespassion wird der Inbegriff einer Leidenspassion. Vielleicht ist Paul Gerhards Umformung so erfolgreich, weil Liebe und Schmerz so nah verwandt sind und weil Jesu Kreuzestod auch ein Liebestod ist. Doch zurück zum Lied: nicht wegschauen...nicht am gekreuzigten Christus vorbeisehen, sondern dem Anblick standhalten, das ist die Botschaft dieses Liedes. In diesem Standhalten ist Beides enthalten: das nicht wegsehen...das sich nicht abwenden, weil der Anblick zu schrecklich ist, aber auch dieses nicht abstumpfen, sich-nicht-drangewöhnen, weil es vielleicht viel Leid zu sehen gibt....damals im 30jährigen Krieg sicherlich und heute durch unsere Fernsehbilder, die auf uns niederprasseln mit Not und Hunger und Krieg und Tod und Katastrophen und die auch abstumpfende Wirkung bei uns zeigen können. Hinschauen. Ehrlich und standhaft. Aushalten. Das entspricht der Bedeutung des Karfreitags. Natürlich ist der blick auf den Gekreuzigten hart! Natürlich möchte ich mich manchmal schaudernd abwenden! Kirchen mit einem Kruzifix muten uns einiges zu! Ich denke an die Nathan-Söderblom Kirche in Reinbek (an der ich mal tätig war) mit ihrer Christusdarstellung, die den KZ-Opfern nachempfunden ist. Diesen ausgemergelten Gestalten, dem Tod näher als dem Leben, die in ihren gestreiften fetzen von Häftlingskleidung von den Alliierten erst befreit und dann fotografiert der deutschen Bevölkerung vorgehalten worden sind, was in dem kollektiven Aufschrei mündete: „davon haben wir nichts gewusst!“. Nein, davon will man am liebsten nichts wissen. Leid, so wie es auch Paul Gerhard beschreibt, davon will man wirklich nichts wissen: 1. O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn, o Haupt, zum Spott gebunden mit einer Dornenkron’, o Haupt, sonst schön gezieret mit höchster Ehr’ und Zier, jetzt aber höchst schimpfieret; gegrüßet sei’st du mir! 2. Du edles Angesichte, davor sonst schrickt und scheut das große Weltgewichte, wie bist du so bespeit, wie bist du so erbleichet! Wer hat dein Augenlicht, dem sonst kein Licht nicht gleichet, so schändlich zugericht’t? 3. Die Farbe deiner Wangen, der roten Lippen Pracht ist hin und ganz vergangen; des blassen Todes Macht hat alles hingenommen, hat alles hingerafft, und daher bist du kommen von deines Leibes Kraft. Nichts beschönigen, nichts überspielen, nicht wegschauen, sondern standhalten....darum ist Karfreitag wichtig. Es geht nicht darum, Leiden zu verklären oder gar zu verherrlichen, es geht eher darum, wie in einer Art Spiegel, Eigenes zu entdecken, -auch und gerade eigene Schuld. Andacht vor dem Kreuz, Meditation, Versenkung führt immer in die Bitte um Vergebung....führt in die Demut und Anerkenntnis, was mir durch Jesu Leben und Sterben alles geschenkt ist: 4. Nun, was du, Herr, erduldet, ist alles meine Last; ich hab’ es selbst verschuldet, was du getragen hast. Schau her, hier steh’ ich Armer, der Zorn verdienet hat; gib mir, o mein Erbarmer, den Anblick deiner Gnad’! 5. Erkenne mich, mein Hüter, mein Hirte, nimm mich an! Von dir, Quell’ aller Güter, ist mir viel Gut’s getan. Dein Mund hat mich gelabet mit Mich und süßer Kost; dein Geist hat mich begabet mit mancher Himmelslust. Andacht vor dem Kreuz...Meditation....Versenkung führt aber auch dazu, dass der Abstand zwischen mir und dem Geschauten immer kleiner wird... das Ziel ist: ich soll mithineingezogen werden in dieses Kreuzesgeschehen...ich bin nicht Betrachter von Ferne...ich bleibe nicht unberührt, sondern spüre zutiefst: dies ist geschehen/dies geschieht Jesus, um mir nahe zu sein! Gerade auch dann, wenn mein Leben hart ist. Ich darf vertrauen und hoffen, dass Jesus mit mir verbunden bleibt, auch und gerade wenn’s für mich ganz hart kommt! 7. Es dient zu meinen Freuden und kommt mir herzlich wohl, wenn ich in deinem Leiden, mein Heil, mich finden soll. Ach, möcht’ ich, o mein Leben, an deinem Kreuze hier mein Leben von mir geben, wie wohl geschähe mir! 8. Ich danke dir von Herzen, o Jesu, liebster Freund, für deines Todes Schmerzen, da du’s so gut gemeint. Ach gib, dass ich mich halte zu dir und deiner Treu’ und, wenn ich nun erkalte, in dir mein Ende sei! Am härtesten trifft uns wohl alle eine Tatsache des Lebens: nämlich , dass es vergänglich ist. Was am Kreuz geschieht lässt mich hoffen und glauben, dass Jesus auch in meinem Tod und über den Tod hinaus mit mir verbunden bleibt. Dafür stehen die letzten beiden Strophen, die so eine Art eigenes Lied geworden sind, weil sie bei uns oft bei Trauerfeiern gesungen werden. Sie machen deutlich: Sterben ist immer auch mit Angst und Ängsten verbunden. Bei den Strophen zuvor weht einen fast so eine Art Todessehnsucht an, um die es aber Paul Gerhard überhaupt nicht geht. Es geht ihm um Lebensfülle angesichts unserer Vergänglichkeit. Vor dem Kreuz kann ich auch dem Gedanken an mein eigenes Sterben nicht ausweichen. Vor dem Kreuz wird der 90. Psalm erfahrbar: „Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden.“ Paul Gerhard legt uns nahe, das Sterben als Teil unseres Lebens bewusst anzunehmen und uns darauf vorzubereiten: 9. Wenn ich einmal soll scheiden, so scheide nicht von mir. Wenn ich den Tod soll leiden, so tritt du dann herfür; wenn mir am allerbängsten wird um das Herze sein, so reiß mich aus den Ängsten kraft deiner Angst und Pein! 10. Erscheine mir zum Schilde, zum Trost in meinem Tod, und lass mich sehn dein Bilde in deiner Kreuzesnot! Da will ich nach dir blicken, da will ich glaubensvoll dich fest an mein Herz drücken. Wer so stirbt, der stirbt wohl. Mit diesem Lied gibt Paul Gerhard weiter, was er selbst als tragenden Grund in seinem –oft harten- Leben erlebt hat: das Evangelium von Jesus Christus! Mit diesem Lied gibt Paul Gerhard die frohe Botschaft weiter, dass wir bei allem, was uns im Leben begegnet, darauf vertrauen können, mit Jesus Christus verbunden zu bleiben. „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die da ist in Jesus Christus“: Das Leben nicht. Das sterben nicht. Und der Tod auch nicht. Darauf dürfen wir hoffen und vertrauen. Amen