Diplomarbeit Schmidt

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Diplomarbeit Schmidt
„Teenager außer Kontrolle“
–
Der Sozialpädagogische Blick auf ein
inszeniertes Auslandsprojekt
Diana Schmidt
Universität Siegen
Fachbereich 2
Integrierter Studiengang Sozialpädagogik und Sozialarbeit
Diplomarbeit
„Teenager außer Kontrolle“ – Der Sozialpädagogische
Blick auf ein inszeniertes Auslandsprojekt
vorgelegt von:
Diana Schmidt
Brucknerweg 5
57076 Siegen
Matrikelnummer: 737755
Referent: Herr Prof. Dr. Klaus Wolf
Koreferentin: Frau PD Dr. Imbke Behnken
Siegen, Juni 2009
1
INHALTSVERZEICHNIS
1
EINLEITUNG........................................................................................... 4
1.1
Das Forschungsinteresse ............................................................................................ 4
1.2
Zum Aufbau der Arbeit.............................................................................................. 5
2
ERLEBNISPÄDAGOGISCHE PROJEKTE IM AUSLAND ..................... 6
2.1
Grundgedanken .......................................................................................................... 6
2.2
Ursprünge erlebnispädagogisch orientierter Auslandsprojekte............................. 7
2.3
Chancen und Ziele ...................................................................................................... 9
2.4
Kritikpunkte.............................................................................................................. 10
2.4.1 Allgemeine Kritikpunkte ............................................................................................ 10
2.4.2 Die Transferproblematik............................................................................................. 12
2.5
3
Auslandsprojekte heute............................................................................................ 13
DIE RTL-SERIE „TEENAGER AUßER KONTROLLE“........................ 14
3.1
Beschreibung der Serie............................................................................................. 14
3.2
Das „Catherine Freer Wilderness Therapy Program“.......................................... 15
3.3
Die beteiligten Personen ........................................................................................... 16
3.3.1 Die Mitarbeiter............................................................................................................ 16
3.3.2 Die Jugendlichen......................................................................................................... 17
3.4
Kritik an pädagogischer Arbeit in einer kommerziellen „Reality-Show“ ........... 20
2
4
ANALYSE DER SOZIALPÄDAGOGISCHEN GESICHTSPUNKTE..... 22
4.1
Forschungsdesign...................................................................................................... 22
4.1.1 Vorgehensweise .......................................................................................................... 22
4.1.2 Beschreibung der Szenen............................................................................................ 23
4.1.3 Transkription............................................................................................................... 25
4.2
Selbst- und Fremdkontrolle ..................................................................................... 26
4.2.1 Die Anwendung von Strafen....................................................................................... 27
4.2.2 Partizipation ................................................................................................................ 43
4.3
Beziehungen............................................................................................................... 62
4.3.1 Die Beziehungen zwischen den Professionellen und den Jugendlichen: Der
pädagogische Bezug.................................................................................................... 62
4.3.2 Die Beziehungen zwischen den Jugendlichen und ihren Eltern: Elternarbeit ............ 89
4.3.3 Die Beziehungen zwischen den Jugendlichen: Die Bedeutung der Gruppe ............. 113
4.4
Ressourcenorientierung.......................................................................................... 123
4.5
Die Darstellung der Jugendlichen – Zum Menschenbild .................................... 135
5
FAZIT ................................................................................................. 147
6
LITERATURVERZEICHNIS ................................................................ 150
7
EHRENWÖRTLICHE ERKLÄRUNG .................................................. 156
3
ABBILDUNGSVERZEICHNIS
ABBILDUNG 1: BETREUER........................................................................... 16
ABBILDUNG 2: DZENETA.............................................................................. 17
ABBILDUNG 3: ANDREAS ............................................................................. 18
ABBILDUNG 4: VIVIEN................................................................................... 18
ABBILDUNG 5: STACEY ................................................................................ 18
ABBILDUNG 6: KURT..................................................................................... 19
ABBILDUNG 7: PASCAL ................................................................................ 19
ABBILDUNG 8: KEVIN.................................................................................... 19
ABBILDUNG 9: DAVID ................................................................................... 19
ABBILDUNG 10: KEVIN UND SEINE ELTERN WERDEN GEFILMT ............ 21
ABBILDUNG 11: PARTIZIPATIONSLEITER NACH ARNSTEIN.................... 43
4
1 Einleitung
1.1 Das Forschungsinteresse
„Sozialpädagogin wirst du? Ist das nicht so was, wie die Super Nanny oder dieser
Thomas Sonnenburg?“ Diese und ähnliche Fragen hört man als angehende
Sozialpädagogin nicht selten, denn Sendungen, in denen es inhaltlich um pädagogische
Arbeit geht, stehen in der heutigen Fernsehlandschaft hoch im Kurs. Neben der wohl
bekanntesten Pädagogin im TV, der „Super Nanny“ Katia Saalfrank, gibt es nun allein
beim Sender RTL den Streetworker Thomas Sonnenburg, den Schuldenberater Peter
Zwegat und Annegret Noble von „Teenager außer Kontrolle“, die zusammen mit ihrem
Team in der amerikanischen Wüste schwererziehbaren deutschen Jugendlichen den
Weg „zurück ins Leben“ zeigt (F4, 0:55). Doch was ist das für ein Bild von
pädagogischer Arbeit, das Millionen von Zuschauern durch diese Sendungen vermittelt
wird? Ich habe mich immer geweigert, die Frage „Ist das nicht so was wie die Super
Nanny?“ zu bejahen – aber warum eigentlich? Im Rahmen dieser Arbeit habe ich
genauer hingesehen und anhand der Serie „Teenager außer Kontrolle“ untersucht, ob
und wenn ja, inwiefern sich die pädagogische Arbeit im Fernsehen von einer
professionellen pädagogischen Arbeit unterscheidet, die Standards wie beispielsweise
Ressourcenorientierung oder die Partizipation der Beteiligten berücksichtigt. Obwohl es
meines Erachtens durchaus positiv zu bewerten ist, den Fernsehzuschauern durch diese
Sendungen zu vermitteln, dass es verschiedene Arten von Hilfe gibt und sie so zu
ermutigen, sich in Krisensituationen an professionelle Pädagogen und Sozialarbeiter zu
wenden, könnte ein verzerrtes Bild von Sozialer Arbeit zu Missverständnissen führen.
So dürfte eine Mutter, die im Fernsehen beobachtet hat, wie die Super Nanny eine
Woche lang bei einer Familie zu Gast war und aus schlimmen Rabauken kleine
Engelchen „gemacht“ hat, schockiert sein, wenn man ihr mitteilt, dass eine
Familienhilfe meist über ein ganzes Jahr mit einer Familie zusammenarbeitet. Oder es
könnten Eltern, die gesehen haben, dass Kinder in der amerikanischen Wüste acht
Wochen lang an einem Programm teilnehmen und dann „geheilt“ zurück nach Hause
kommen, zu der Ansicht gelangen, dass die Eltern nichts mit dem Veränderungsprozess
zu tun haben und überrascht sein, wenn im Rahmen der Hilfen zur Erziehung von ihnen
Mitarbeit erwartet wird.
Ein Ziel meiner Arbeit ist es also, mögliche Unstimmigkeiten in der medialen
Darstellung pädagogischer Arbeit aufzudecken, um Missverständnisse und falsche
Erwartungen der Hilfesuchenden zu minimieren. Die im Rahmen einer Diplomarbeit
5
erforderliche Einhaltung der wissenschaftlichen Standards ist außerdem äußerst
geeignet, um fachlich fundiert begründen zu können, warum ich der Frage, ob die
Inhalte meiner späteren beruflichen Arbeit mit der bei „Teenager außer Kontrolle“
dargestellten Pädagogik vergleichbar sind, nicht zustimmen möchte. Ein zweites Ziel
der
Arbeit
ist
demnach
eine
kritische
Auseinandersetzung,
Analyse
und
Kommentierung der beobachteten Szenen.
1.2 Zum Aufbau der Arbeit
Bei „Teenager außer Kontrolle“ handelt es sich um ein erlebnispädagogisches
Auslandsprojekt, deshalb beginne ich in Kapitel 2 mit einigen theoretischen Grundlagen
zu diesem Thema. Neben Grundgedanken und den geschichtlichen Ursprüngen
erlebnispädagogischer Projekte im Ausland, werden Chancen und Ziele, sowie
Kritikpunkte dieses Ansatzes aufgeführt und ein kurzer Überblick über die heute
übliche Ausgestaltung der Projekte gegeben.
Darauf folgen in Kapitel 3 Beschreibungen der Serie, des dahinter stehenden
Therapieprogramms, sowie eine kurze Vorstellung der beteiligten Personen.
Abschließend erörtere ich, warum ich pädagogische Arbeit in einer kommerziellen
„Reality-Show“ prinzipiell für bedenklich halte.
Im empirischen Teil meiner Arbeit, in Kapitel 4, analysiere ich nach der Darstellung
des Forschungsdesigns verschiedene pädagogische Dimensionen der Sendung. Die
behandelten Aspekte sind das Verhältnis von Selbst- und Fremdkontrolle, die
Beziehungen zwischen den beteiligten Personen, sowie die Ressourcenorientierung und
das vorliegende Menschenbild. Jede dieser pädagogischen Dimensionen leite ich mit
einer kurzen theoretischen Begriffsbestimmung ein, um dann die in der Serie
beobachteten Szenen mit diesem theoretischen Hintergrund vergleichen zu können (zur
genaueren Vorgehensweise siehe Kapitel 4.1.).
Im Fazit werden dann noch einmal die wichtigsten Ergebnisse meiner Analyse
zusammengefasst.
6
2 Erlebnispädagogische Projekte im Ausland
2.1 Grundgedanken
Als erlebnispädagogische Projekte im Ausland werden mehrwöchige Trips mit
bewegungsintensiven Aktivitäten in der Natur, für eine Gruppe von Jugendlichen
verstanden. Die Umgebung ist für die Teilnehmer neu, herausfordernd und anregend.
Sie werden aus ihrem sozialen Umfeld gelöst, um sich durch neue und intensive
Erfahrungen selbst zu entdecken und weiterzuentwickeln. Viele verschiedene Formen
dieser Projekte sind denkbar: Bergsteigen, Wandern, Segelturns, Höhlenforschen,
Kajakfahren, etc.
Im Rahmen der Hilfen zur Erziehung werden erlebnispädagogische Projekte im
Ausland meist als Intensive Sozialpädagogische Einzelbetreuung nach § 35 SGB VIII
gewährt.
Zu den Grundprinzipien dieser Maßnahmen gehören nach Klawe und Bräuer das Leben
unter einfachen Bedingungen, eine Kontinuität und starke Intensität der Beziehungen,
die große Distanz zum früheren Millieu und das Erleben von Erfahrungen im
Grenzbereich des Einzelnen (vgl. Klawe/Bräuer 2001, 13). Zentral ist außerdem die
Bedeutung der Gruppe, denn Aufgaben sind meist in Kooperation mit anderen
Jugendlichen zu lösen, der Einzelne soll sich in der Gemeinschaft geborgen fühlen. Des
Weiteren ist zu beachten, dass die Projekte nicht Selbstzweck sind – sie sollen zur
Auseinandersetzung mit sich und der Gruppe führen. Die Erlebnisse sind demnach als
Medium oder Metapher zu verstehen. Um die Wirkung von Aufgaben, Natur und
Gruppe gezielt zu unterstützen, werden Methoden der Sozialen Arbeit, wie
beispielsweise positive Verstärkung, Gruppengespräche und Reflexion eingesetzt (vgl.
Amesberger 2003, S.9 ff.).
Bei der Wahl des Durchführungsortes wird oft das einfache, primitive Leben in
abgelegenen Regionen bevorzugt, da hier die Unmittelbarkeit von (Über-)
Lebenszusammenhängen am deutlichsten gespürt werden kann. Auch eine große
Differenz zwischen der Kultur im Heimat- und Projektland kann von Vorteil sein, denn
die Offenheit und das Interesse der fremden Menschen lassen die Jugendlichen sich
selbst neu erleben. Außerdem führen die Bedingungen im Ausland (fremde Kultur und
Sprache) oft dazu, dass sich die Jugendlichen stärker am Betreuer orientieren und so die
7
Hierarchie Erwachsener-Kind auf natürliche Weise wieder hergestellt wird (vgl. Bohry
1992, 254).
Klawe und Bräuer haben anhand einer Befragung der Jugendämter herausgearbeitet,
welche die häufigsten Zuweisungsgründe für erlebnispädagogische Maßnahmen sind.
Sie nennen an erster Stelle die Unfähigkeit, tragfähige soziale Beziehungen aufzubauen
sowie eine Perspektivlosigkeit der Jugendlichen. Bei Jungen kommt außerdem
aggressives und wiederholt kriminelles Verhalten, bei Mädchen Selbstgefährdung hinzu
(vgl. Klawe/Bräuer 2001, 101). Sie kritisieren jedoch, dass in der Praxis häufig
„besonders schwierige Kinder und Jugendliche zugewiesen werden, ohne daß überprüft
wird, ob die Indikation im Zusammenhang mit dem Hilfeplan sinnvoll ist und die
erlebnispädagogische Maßnahme von ihren Bedingungen her diesen Kindern und
Jugendlichen gerecht werden kann“ (ebd., 61). Nach § 27 SGB VII ist eine Hilfe im
Ausland zwar nur gestattet „wenn dies nach Maßgabe der Hilfeplanung zur Erreichung
des Hilfeziels im Einzelfall erforderlich ist“ (Beck-Texte Jugendrecht 2006, 26 ff.),
doch diese gesetzliche Bestimmung führt häufig eben gerade dazu, dass die
Auslandsprojekte als „finales Rettungskonzept“ verstanden und gewählt werden, wenn
bei einem Jugendlichen keine andere Hilfeform erfolgreich war. Es besteht somit die
Gefahr, dass die Projekte mit zu großen Hoffnungen und Erwartungen belegt werden
(vgl. Klawe/Bräuer 2001, 15).
2.2 Ursprünge erlebnispädagogisch orientierter Auslandsprojekte
Will man den Ursprüngen erlebnispädagogisch orientierter Auslandsprojekte auf den
Grund gehen, schlagen einige Autoren vor, schon bei Rousseau (1712 – 1778) zu
beginnen (vgl. z.B. Heckmair/Michl 1998). Als Bewunderer der Natur und Prediger der
Einfachheit war er davon überzeugt, dass drei Dinge den Menschen erziehen: Die
Natur, die Dinge und die Menschen, und letztere sollten auch nur die Erziehung durch
die Natur und die Dinge ermöglichen (vgl. ebd., 4 f.). So schlägt er vor, Kinder mehr
durch Handlungen als durch Worte zu erziehen und unterrichten, ganz getreu seinem
Motto „Leben ist nicht atmen, leben ist handeln“ (zit. n. Heckmair/Michl 1998, 6).
Erlebnis, Erfahrung und Abenteuer sieht er als notwendige Lernprinzipien, „denn
Kinder vergessen leicht was sie gesagt haben und was man ihnen gesagt hat, aber nicht,
was sie getan haben und was man ihnen tat“ (ebd., 80).
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Damit hat Rousseau sicher schon wesentliche Prinzipien der Erlebnispädagogik voraus
genommen, als deren Begründer gilt in der Literatur jedoch meist Kurt Hahn (1886 –
1974). Er war es, der den Erlebnisbegriff in der Pädagogik institutionalisierte und noch
heute wird in der modernen Erlebnispädagogik immer wieder auf Hahn und seine
„Erlebnistherapie“ Bezug genommen.
1941 gründete der Politiker und Pädagoge in Wales die erste sogenannte „Short-term
School“, die bald darauf in „Outward Bound School“ umbenannt wurde. Hier sollten
Jugendliche innerhalb vierwöchiger Kurse nach Hahns Erlebnistherapie auf das Leben
vorbereitet werden (vgl. Hahn 1998, 273). Unter Erlebnistherapie verstand er „die
Vermittlung von reinigenden Erfahrungen, die den ganzen Menschen fordern und der
Jugend den Trost und die Befriedigung geben: Wir werden gebraucht.“ (ebd., 275).
Hahn erhoffte sich hierdurch eine Heilung der Gesellschaft, welche seiner Meinung
nach unter Verfallserscheinungen litt (daher auch der Begriff „Erlebnis-Therapie“, also
eine Therapie der Gesellschaft durch das Erlebnis) (vgl. Putensen 2000, 32 ff.). Die
Erlebnistherapie beinhaltete vier Elemente, die dem Abenteuer- und Erlebnisdrang der
Jugendlichen einen Spielraum geben sollen:
− Das körperliche Training: Zum Beispiel leichtathletische Übungen und
Natursportarten
− Die Expedition: Eine mehrtägige Tour durch die Natur – hier könnte man die
Ursprünge der Auslandsprojekte sehen. Berg, See und Meer sah Hahn dabei als
Erziehungsmedien an
− Das Projekt: Eine thematisch und zeitlich abgeschlossene Aktion mit
handwerklichen, technischen oder künstlerischen Anforderungen
− Der Dienst am Nächsten: Zum Beispiel Erste Hilfe, Berg- oder Seenotrettung
Bezüglich des Ursprungs der Auslandsprojekte ist außerdem Hahns Modell der
pädagogischen
Provinz
besonders
hervorzuheben,
die
Teil
der
sogenannten
Landerziehungsheimbewegung der Reformpädagogik war: Hahn befürwortet eine
Erziehung in bestimmten, räumlich und sozial abgegrenzten Zentren, um die
Jugendlichen vor der für krank erklärten Gesellschaft (darunter auch die Eltern) zu
schützen und ihnen Erlebnisse zu ermöglichen (vgl. Bauer 1985, 20 f.).
Kurzschulen nach Hahns Modell, also Kurse von zwei bis vierwöchiger Dauer, in denen
Jugendlichen durch Bewehrungsfelder an der See oder in den Bergen Impulse zur
Formung und Festigung ihres Charakter vermittelt werden sollten, verbreiteten sich
sowohl in Deutschland als auch im Ausland (ebd., 29). Die wichtigsten Grundgedanken
waren:
9
− eine Loslösung aus der Routine des Alltags in eine abenteuerliche Welt, in der
sich durch neue Aktionsmöglichkeiten die Persönlichkeit des Jugendlichen neu
formt
− eine hohe Forderung, bei der die Jugendlichen an ihre Grenzen und über diese
hinaus gehen und so Erfolgserlebnisse und mehr Selbstbewusstsein verspüren
− die Erfahrung, dass sich gemeinsam in einer Gruppe viele Aufgaben leichter
lösen
lassen
und
die
Einsicht,
dass
gegenseitige
Rücksichtnahme,
Verantwortung und Hilfsbereitschaft zwischen Menschen möglich und wertvoll
sind (vgl. ebd., 29 ff.)
Damit war der Grundstein für die modernen erlebnispädagogisch orientierten
Auslandsprojekte gelegt.
2.3 Chancen und Ziele
In der Literatur findet man die unterschiedlichsten vermuteten Wirkungen und damit
verbunden lange Listen mit Zielen erlebnispädagogischer Auslandsmaßnahmen. Als
Beispiel sei hier die von Klawe und Bräuer vorgeschlagene Unterteilung in individuelle
und soziale Lernziele angeführt. Das Erlernen von Techniken und Fähigkeiten, die
benötigt werden, um Aktivitäten auszuführen (wie z.B. Klettertechniken) sind eher als
Mittel zum Zweck, als Nebenprodukt anzusehen (vgl. Putensen 2000, 53).
Individuelle Lernziele:
− ohne Ablenkung in Kontakt mit sich selbst und der Umwelt kommen
− positive Einstellung zur eigenen Person und den eigenen Fähigkeiten erlangen
− gesteigertes Selbstwertgefühl
− Selbstverantwortung für getroffene Entscheidungen übernehmen
− Eigeninitiative, Kreativität, Spontaneität, Improvisation
− Lernmotivation und Lernfähigkeit entwickeln
− körperliche Strapazen bewältigen
Soziale Lernziele
− Verantwortlichkeit für andere
− Einstellung auf die Normen der Gruppe
− Erhöhung der Konfliktfähigkeit
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− Kooperation und Kommunikationsfähigkeit
− Vertrauen und Offenheit gegenüber Jugendlichen und Erwachsenen
− Fähigkeit, eigene Gefühle zu zeigen
(vgl. Klawe/Bräuer 2001, S.13f.)
Bei der Betrachtung solcher Zielkataloge sollte man jedoch nicht vergessen, dass man
nicht beliebig in die Jugendlichen „hineinintervenieren“ kann (vgl. Wolf 2006, 65), da
jeder der Jugendlichen – bewusst oder unbewusst - ganz individuell entscheidet, was er
aus dem Projekt für sich und sein persönliches Leben mitnimmt. Die Ziele sind also als
Chancen und Möglichkeiten, nicht als To-Do-Listen oder Erfolgskriterien zu sehen.
Daher halte ich es für sinnvoller, wie Fischer und Ziegenspeck ganz allgemein zu
formulieren, dass es das Ziel sein sollte, Einstellungen, Haltungen und Werte zu
vermitteln, die nach der Rückkehr im Lebensumfeld der Jugendlichen zu neuen
Integrationsmöglichkeiten führen (vgl. Fischer/Ziegenspeck, 2000, 272).
Bohry sieht eine ganz besondere Chance in Auslandsaufenthalten, bei denen sich die
Beteiligten bereits vorher kennen (beispielsweise ein Betreuer und eine kleine Gruppe
aus der Heimerziehung). Seinen Erfahrungen zufolge tritt dann das Medium, also die
Auslandsmaßnahme, in den Hintergrund und die Beziehung zwischen den Personen in
den Vordergrund. Das Entscheidende sei, dass der Betreuer den Jugendlichen
vermittelt: „Ihr seid mir so wichtig, dass ich ein solch intensives und großes Projekt mit
euch angehe“. Das Medium sei dann nur noch insofern von Bedeutung, als dass es das
Mittel des Erziehers ist, sich vollständig auf die Zöglinge einzulassen und es zu
gemeinsamen, intensiven Erfahrungen verhilft.
2.4 Kritikpunkte
In diesem Abschnitt möchte ich zuerst auf einige allgemeine Kritikpunkte und Gefahren
der erlebnispädagogischen Auslandsprojekte eingehen, bevor ich mich mit dem meist
diskutierten Streitpunkt, der so genannten Transferproblematik, auseinandersetzen
werde.
2.4.1
Allgemeine Kritikpunkte
Laut Amesberger ist ein großes Problem der Auslandsmaßnahmen deren zeitliche
Begrenzung. Gerade für Jugendliche, die bereits viele Beziehungsabbrüche verarbeiten
11
mussten, ist ein Projekt mit sehr intensiven Beziehungen, das von vorne herein nur auf
kurze Dauer angelegt ist, zweifelhaft. Für die Jugendlichen besteht die Gefahr,
illusionäre Vorstellungen über längerfristige Beziehungen zu entwickeln und so
zusätzliche Belastungen zu erleben. Auch für die pädagogische Arbeit im Allgemeinen
hält
Amesberger
zeitlich
begrenzte
Projekte
für
problematisch,
da
eine
Auseinandersetzung mit Grundproblemen wesentlich länger dauern würde und damit
nur eine 'handlungswirksamkeits-orientierte Arbeit' möglich sei (vgl. Amseberger 2003,
71ff.).
Des Weiteren wird davor gewarnt, erlebnispädagogische Auslandsaufenthalte als
Allheilmittel
zu
betrachten.
Jeder
Jugendliche
benötigt
einen
individuellen
Erziehungsplan, der seinen Bedürfnissen angepasst wird. Die Lösung muss nicht
unbedingt eine Auslandsmaßnahme sein, denn beispielsweise können sich manche
Jugendliche aufgrund ihrer bisherigen Lebenserfahrungen auf ein solch exklusives
Beziehungsangebot nicht mehr einlassen (vgl. Bohry 1992, 256). Amesberger (2003,
223) gibt zu bedenken: „Vor überzogenen, unrealistischen Erwartungen ist zu warnen:
Auch Outdoor-Aktivitäten können grundlegende sozialpolitische Defizite nicht
kompensieren.“. Es muss also davon abgesehen werden, Auslandsprojekte aus Mangel
an Alternativen zu einer weiteren Maßnahme in einer langen Jugendhilfekarriere
werden zu lassen, den Jugendlichen aber gleichzeitig fälschlicherweise zu vermitteln,
dass sie das Projekt als neue, verwandelte Menschen verlassen werden (vgl. Putensen
2000, 46, 55).
Putensen sieht außerdem eine Gefahr in einem „geheimen Lehrplan konservativmännlicher Tugenden“ (ebd., 49 f.). Er befürchtet, dass den Jugendlichen zum Teil
Härte, Selbstdisziplin, Unterordnung und die Beherrschung negativer Gefühle vermittelt
werden. Damit einhergehend wirft er die Frage auf, ob die Programme Jungen-orientiert
sind, da diese hier eine vertraute Sozialisationslinie fortsetzen, während Mädchen sich
mit Rollenwidersprüchen konfrontiert sehen.
Auch der Machtüberhang der Betreuer, der oft durch deren technischen und
körperlichen Vorsprung gegeben ist, sei hier kritisch erwähnt. Gelegentlich versuchen
die Leiter der Projekte ein sehr autoritäres Verhalten zu legitimieren, indem sie auf die
Gefahren der Natur aufmerksam machen. Sogar „Schläge werden scheinbar logisch
begründet“, um schlimmeren Schaden zu vermeiden (Heckmair/Michl) 1998, 207).
Vertreter der Lebenswelt- und Alltagsorientierung bemängeln die milieuferne
Unterbringung mit dem Argument, dass die Probleme der Teilnehmer in dem Umfeld
12
angegangen werden müssen, indem sie zuvor entstanden sind, da diese hier einen
Zweck erfüllen.
In der Öffentlichkeit werden Auslandsmaßnahmen, wohl aufgrund der Unkenntnis über
die pädagogischen Hintergründe, oft als „Urlaub auf Staatskosten“, „Pädagogik unter
Palmen“ oder „Belohnung von Straftätern“ kritisiert (Stüwe 2005, 244).
2.4.2
Die Transferproblematik
Der wohl am meisten diskutierte Kritikpunkt der Auslandsmaßnahmen ist die
sogenannte Transferproblematik. Gemeint ist das Problem, die während des Projekts
gewonnenen Einsichten, Erkenntnisse und Verhaltensansätze in den Alltag zu
übertragen.
Die
Transfermöglichkeit
ist
bedeutend,
denn
ohne
sie
bleiben
erlebnispädagogische Erfahrungen reiner Selbstzweck (vgl. Bauer 1989, 159).
Bis Ende der sechziger Jahre herrschte die 'The Mounatins Speak for Themselves“Theorie vor. Man war der Überzeugung, dass die erlebnispädagogischen Maßnahmen
„für sich selbst sprechen“ und daher eine weitere Reflexion der Aktivitäten überflüssig
sei. In der aktuellen Literatur wird dieser Ansatz jedoch kritisiert: „Die Annahme eines
'naiven' Transfers ist abzulehnen. Unter naivem Transfer verstehen wir, dass erworbene
Handlungskompetenzen etwa der Selbstwirksamkeit, der Kommunikationsfähigkeit, ...,
mechanisch auf Bereiche wie Arbeitssituation, die Wohnsituation, ... übertragbar sind.“
(Amesberger 2003, 234). Heute favorisiert man das „Outward Bound Plus“ Modell,
welches besagt, dass für den Transfer das Erlebte kognitiv verarbeitet werden muss.
Durch eine Reflexion mit dem Einzelnen oder in der Gruppe soll der Bezug zwischen
Erlebnis und Alltag hergestellt werden (vgl. Putensen 2000, 56). Um den Transfer zu
erleichtern, schlägt Bühler vor, die Lebens- und Alltagsrealität der Teilnehmer bereits
während des Kurses zu berücksichtigen, also durch biografische Anknüpfungspunkte
Verbindungen zur Lebenserfahrung und zu den Perspektiven der Jugendlichen zu
suchen (vgl. Bühler 1968, 71). Bühler nennt weiter die geringe Ähnlichkeit zwischen
Alltag und Projektsituation und eine mangelnde Begleitung im Alltag nach dem Projekt,
die einen Transfer erschweren können. Außerdem ist die die Kurzfristigkeit der Projekte
problematisch, da im Vergleich zu den Sozialisationsinstanzen im Alltag (Familie,
Freunde, etc.) die Auslandsmaßnahme eine geringere prägende Kraft hat.
Als
Lösungswege
schlägt
Bühler
daher
folgendes
vor:
Klare
Ziel-
und
Erwartungsabsprachen im Vorfeld sind unabdingbar. Hierdurch werden auch eine
Mitbestimmung der Teilnehmer garantiert und starre Kursstrukturen verhindert. Des
13
Weiteren sollte eine Nacharbeit gewährleistet sein. Eine mögliche Form wären weitere
Treffen der Teilnehmer, bei denen „Back-Home-Frustrationen“ aufgefangen und
Lösungsmöglichkeiten erarbeitet werden können. Durch eine angemessene Vor- und
Nacharbeit verkommt der Auslandsaufenthalt nicht zu einer isolierten Phase im Laufe
der Jugendhilfekarriere des Heranwachsenden, sondern stellt eine Intensivphase eines
längerfristigen Lernprozesses dar (vgl. Bühler 1986, 75).
2.5 Auslandsprojekte heute
Die heutigen, modernen Auslandsmaßnahmen in den Hilfen zur Erziehung sind
intensivpädagogische
Projekte,
die,
wenn
überhaupt,
nur
noch
wenig
mit
Erlebnispädagogik zu tun haben. Laut Pforte und Wendelin (2007, 177) hat sich seit den
1990er Jahren ein deutlicher Trend zu Standprojekten ergeben. Gab es damals noch zu
etwa 36% Reise- und Schiffsprojekte, sind es heute zu fast 100% Standprojekte, bei
denen zum größten Teil nur ein bis zwei Klienten betreut werden. Deutschlandweit
bieten nur vier Träger zusätzlich nach Bedarf Reiseprojekte an, außerdem ist ein
Schiffsprojekt mit maximal sechs Plätzen bekannt.
Häufig leben die Klienten der intensivpädagogischen Auslandsmaßnahmen in
Gastfamilien, also in familiären Betreuungssettings. Die Zielorte befinden sich zu fast
80% in der EU. Länder wie Russland, Kanada und Neuseeland, die für solche Projekte
vor einigen Jahren noch sehr beliebt waren, werden zurzeit stärker vernachlässigt.
Mit insgesamt etwa 600 Fällen im Dezember 2006 machen Auslandsmaßnahmen einen
Anteil von nur 1,4% an allen Hilfen zur Erziehung aus (vgl. Wendelin/Pforte 2007,
188). Die Fallzahlen sind insgesamt rückläufig. Seit 2003 wird von einem Rückgang
von mindestens 25% ausgegangen, was man auf negative Medienberichte und eine neue
Gesetzgebung im Jahr 2005 zurückführt. Es wird heute versucht, intensivpädagogische
Maßnahmen verstärkt auf das Inland zu verlagern, aber dem Auslandssetting ähnliche
Bedingungen zu schaffen (vgl. Pforte/Wendelin 2007, 178).
14
3 Die RTL-Serie „Teenager außer Kontrolle“
3.1 Beschreibung der Serie
„Teenager außer Kontrolle – Letzter Ausweg wilder Westen“ ist eine neunteilige Serie
des Senders RTL und gehört zum Genre des Reality-Fernsehens. Die ca. 45-minütigen
Folgen der zweiten Staffel wurden von der Firma Tresor TV Produktions GmbH
produziert und ab dem 21.02.2008
jeweils mittwochs ab 20:15 ausgestrahlt
(http://de.wikipedia.org). Mit ca. vier Millionen Zuschauern pro Sendung war die
zweite Staffel ähnlich erfolgreich wie die erste und erreichte in der werberelevanten
Zielgruppe einen Marktanteil von durchschnittlich 19,2% ( www.rtv.de).
In dieser Unterhaltungssendung geht es um acht verhaltensauffällige und teilweise
straffällige Jugendliche, die im US-Bundesstaat Oregon auf Wunsch ihrer Eltern an
einer Therapie der Organisation „Catherine Freer Wilderness Therapy Expeditions“
teilnehmen und dadurch lernen sollen, „ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen“
(www.rtl.de). Begleitet werden sie dabei von Cheftherapeutin Annegret Fischer Noble
und fünf weiteren Betreuern. Laut RTL handelt es sich um eine „erlebnispädagogische
Verhaltenstherapie in der freien Natur“, bei der die Teilnehmer alte Verhaltensmuster
ablegen, ein neues Selbstwertgefühl sowie eine positive Lebensperspektive gewinnen
und somit eine „Chance auf eine neue Zukunft haben“ (www.rtl.de).
Der Zuschauer kann den Verlauf der Therapie Woche für Woche chronologisch
verfolgen. Neben Interviews mit den Jugendlichen und den Therapeuten werden
außerdem Beiträge über das bisherige Leben der Teilnehmer eingeblendet, in denen
man die Jugendlichen zu Hause oder mit Freunden sieht. Auch die Eltern werden
interviewt und nehmen mit der sogenannten „Elternkamera“ besonders markante
Szenen des Familienlebens auf.
Das Originalformat der Sendung, das in Großbritannien auf Channel 4 ausgestrahlt
wird, nennt sich „Brat Camp“ (brat: Englisch für Gör, Blag, Quälgeist) und gewann
einen internationalen Emmy. Auf der Internetseite des Channel 4 wird der Inhalt der
Sendung mit wenigen Worten eindrucksvoll beschrieben: „In the new Brat Camp series,
seven rude, spoilt and lazy teenagers from cosy homes in Britain are tracked as they get
the shock of their lives in the US.“
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3.2 Das „Catherine Freer Wilderness Therapy Program“
Die folgenden Angaben zum Therapiekonzept stammen, wenn nicht anders angegeben,
aus der englischen Informationsbroschüre „Catherine Freer Wilderness Therapy
Program – Changes That Last A Lifetime“.
Die 1988 gegründete Organisation hat ihren Hauptsitz in Albany, Oregon und ist nach
der Bergsteigerin Catherine Freer benannt, die 1987 auf dem Mount Logan, dem
höchsten Berg Kanadas, ums Leben kam. Ihr Name, der laut Broschüre für Stärke, Mut
und Sensibilität steht, soll die Prinzipien des Programms widerspiegeln.
An einer Expedition dürfen maximal acht verhaltensauffällige Jugendliche im Alter von
13 bis 18 Jahren teilnehmen. In der Wüste und den Bergen Oregons sollen die
Teilnehmer lernen, ihr bisheriges Leben zu reflektieren und eine Basis für eine
erfolgreiche Zukunft zu entwickeln. Gerade der Abstand zum Alltag wird hierbei als ein
entscheidender Faktor angesehen, da dies den Jugendlichen ermöglichen soll, ihr Leben
aus einer anderen Perspektive zu sehen. Das Leben in der Natur und die gemeinsamen
Herausforderungen fördern laut Konzept außerdem eine intensive Beziehung zwischen
den Teilnehmern und den Therapeuten.
Das achtwöchige Programm umfasst zwei Phasen, den sogenannten Trek und die
Abenteuerphase. Beim dreiwöchigen Trek wandern die Teenager schweigend durch die
Wüste. In den Pausen dürfen sie sich unterhalten, die Gespräche werden jedoch von den
Mitarbeitern beaufsichtigt, da sie „produktiv und positiv“ sein müssen. Dieser Ansatz
soll gewährleisten, dass die Jugendlichen viele Stunden mit ernsthafter Selbstreflexion
verbringen, um über die therapeutischen Gespräche nachzudenken. Laut der Website
von Annegret Noble „übernehmen die Betreuer zeitweise die Kontrolle, wenn die
Jugendlichen sich weigern, dies in produktiver Weise selbst zu tun.“ Das Ziel sei
jedoch, dass die Jugendlichen ihr Verhalten und damit ihr Leben selbst kontrollieren.
Ein typischer Tag der ersten Phase sieht folgendermaßen aus: Nach einer Wanderung
am Morgen pausiert die Gruppe, um Mittag zu essen. Während dieser Pause gibt es ein
therapeutisches Gruppengespräch zu Themen wie Drogen, Depressionen oder
Aggressionsbewältigung. Nach einer weiteren, mehrstündigen Wanderung werden am
späten Nachmittag die Zelte aufgeschlagen, Feuer gemacht und das Abendessen
zubereitet. Der Tag endet mit einer weiteren Gruppentherapie am Lagerfeuer. „Das
Programm
verbindet
also
individuelle
Therapie
und
Gruppentherapie
mit
therapeutischem Verhaltensmanagement in der natürlichen Umgebung der Wildnis.“
(www.rtl.de). In der fünfwöchigen zweiten Phase, der Abenteuerphase soll den
Jugendlichen die Möglichkeit gegeben werden, die in Phase Eins erworbenen
16
Fähigkeiten in einer therapeutischen Umgebung anzuwenden und zu erproben. Laut
Konzept ist dieser zweite Teil sehr gruppenorientiert; abenteuerliche Aufgaben wie
Wildwasserfahren oder Klettern sollen in der Gemeinschaft bewältigt werden. Die
Teilnehmer bekommen nach und nach mehr Rechte und Verantwortung und dürfen
teilweise auch Führungsrollen übernehmen.
Auch die körperliche Genesung der Jugendlichen spielt eine entscheidende Rolle.
Gesundes Essen, genügend Schlaf und Bewegung, sowie der völlige Verzicht auf
Zigaretten, Alkohol und andere Drogen sollen den Körpern der Teenager zu einem
gesundem Gleichgewicht verhelfen.
Durch den Einfluss der Natur und durch die Erlebnisse miteinander sollen sich die
Jugendlichen also verändern und wachsen (www.annegret-noble.com).
Parallel
wird
mit
den
Familien
gearbeitet.
Neben
einer
Beratung
der
Erziehungsberechtigten gibt es zwei Familientreffen, jeweils am Anfang und am Ende
des Programms. Während der Abenteuerphase tauschen Eltern und Teilnehmer
außerdem wöchentlich Briefe aus, um den „Heilungsprozess zu fördern“. Auch eine
Nachbetreuung soll gewährleistet sein, in welcher Form diese angeboten wird, lässt sich
dem Konzept leider nicht entnehmen.
3.3 Die beteiligten Personen
Im Folgenden werde ich auf die Mitarbeiter des Projektes und die teilnehmenden
Jugendlichen eingehen. Obwohl auch die Familien der Teenager Beteiligte der Serie
sind, kann ich sie aufgrund mangelnder Informationen leider nicht weiter beschreiben.
3.3.1
Die Mitarbeiter
Das Mitarbeiterteam bei „Teenager
außer Kontrolle“ besteht aus zwei
Therapeutinnen,
(Cheftherapeutin
Annegret Noble und Kami Schott)
und
vier
„Wilderness-Experten“
(Marlies Luepges, Dan Coyle, Lina
Hofmann
und
Kris
Schock)
(http://snyelmn.wordpress.com/).
Abbildung 1. Betreuer.
Von links: Annegret, Kris, Marlies, Kami, Lina, Dan
17
Da Annegret Noble als Cheftherapeutin die Leiterin des Projekts ist, möchte ich kurz
auf ihre Biografie eingehen:
Die zum Zeitpunkt der Ausstrahlung 37-jährige Deutsch-Amerikanerin ist laut ihrer
Website (www.annegret-noble.com) lizensierte Familien- und Eheberatungstherapeutin.
Sie absolvierte außerdem eine Ausbildung zur Gesprächstherapeutin und studierte
Wirtschaft, Psychologie und Soziologie an der Universität Tübingen, sowie der Tufts
University in Boston, USA. Nach ihrem Studium arbeitete sie acht Jahre als
Therapeutin im Loma Linda University Behvorial Medicine Centre unter anderem mit
drogen- und alkoholabhängigen Jugendlichen. Als therapeutische Leiterin des
Programms „Passages to Recovery“ für drogenabhängige Jugendliche, Loa, Utah, USA
sammelte sie erste Erfahrungen als Erlebnistherapeutin. Seit April 2008 besitzt sie eine
Lizenz als Master Addiction Counselor und arbeitet momentan als stellvertretende
Direktorin der therapeutischen Abteilung an der Summit Preparatory School in
Kalispell, USA.
3.3.2
Die Jugendlichen
Die acht teilnehmenden Jugendlichen sind zwischen 15 und 17 Jahre alt und befinden
sich aufgrund sehr unterschiedlicher Problematiken im „Catherine Freer Wilderness
Therapy Program“. Es scheint, als wolle man mit der Auswahl der Jugendlichen die
komplette Bandbreite an Verhaltensauffälligkeiten im Jugendalter abdecken.
Alle Angaben über die Teenager stammen aus Mangel an alternativen Quellen von der
Internetseite www.rtl.de. Die wörtlichen Zitate habe ich von dort übernommen, möchte
mich jedoch deutlich von deren Inhalt und Wortwahl distanzieren.
Dzeneta B.
Die 15-jährige Dzeneta aus Frankfurt wird als „Schlägerbraut“
beschrieben. „Die Innenstadt ist ihr Revier, hier schlägt sie mit
ihrer Clique jeden zusammen, der ihr nicht passt.“ Laut RTL
wurde sie von der Schule verwiesen, verbrachte sechs Monate in
Abbildung 2. Dzeneta
einem
Heim
und
wurde
aufgrund
von
Selbst-
und
Fremdgefährdung in eine Psychiatrie eingewiesen. Außerdem experimentiere sie mit
Drogen und trinke „just for fun Spiritus in Kombination mit Antibiotika“.
18
Andreas E.
Der 15-jährige Andreas aus Münster, der in der
Sendung
als
„Serieneinbrecher“
gilt,
soll
in
verschiedene Geschäfte, Schulen und Kindergärten
eingebrochen sein. RTL berichtet, dass sein Vater ihn
angezeigt hätte, als er gestohlene Gegenstände in
Andreas Zimmer fand. Ihm wird nachgesagt, oft
Abbildung 3. Andreas
grundlos auszurasten, für mehrere Tage von zu Hause
wegzulaufen und die Schule zu schwänzen. Er kiffe gelegentlich und trinke täglich
Alkohol. Seine Eltern leben getrennt, Andreas selbst ist Vater einer einjährigen Tochter.
Vivien T.
Vivien aus Görlitz ist 16 Jahre alt und hat den Titel
„Ausreißerin“. Laut ihren Eltern trinkt sie viel, schlägt
schnell zu und klaut Geld, seit sie ein Jahr zuvor neue
Freunde kennen gelernt hat. Sie sei außerdem von der
Schule verwiesen worden, nachdem sie schwänzte,
Lehrer angriff und Einrichtungsgegenstände demolierte.
Vier Wochen verbrachte Vivien angeblich in einer Abbildung 4. Vivien
nicht weiter spezifizierten - „geschlossenen Anstalt“.
Stacey G.
Die 17-jährige Stacey kommt aus Hönow in Brandenburg. Mit dem Titel
„Schulabbrecherin“ kommt sie im Vergleich zu den
anderen Jugendlichen noch glimpflich davon. Aufgrund
von verbalen und körperlichen Übergriffen habe sie
bereits mehrere Anzeigen bekommen. Ihre Mutter, die
zum zweiten mal verheiratet ist, habe sie wegen
„unkontrollierten Wutanfällen“ in die Obhut des
Jugendamtes übergeben, da sie in Stacey eine „Gefahr
für die Familie“ sah.
Abbildung 5. Stacey
19
Kurt Z.
Der 16-jährige Kurt kommt aus Sachsen-Anhalt und wird als „NeoNazi“ beschrieben. Da seine Eltern geschieden sind lebt er seit
seinem zwölften Lebensjahr bei seinem Vater. Trotz schlechter
Noten und Hänseleien durch die Mitschüler versuche Kurt seinen
Abbildung 6. Kurt
Hauptschulabschluss zu machen. Mit seinen „rechten Kameraden“
schlage er andere „um Wut abzulassen“.
Pascal S.
Der 17-jährige „Dealer“ aus Sonsbeck in NRW konsumiert laut
RTL Drogen und wurde beim Dealen erwischt. Seine Familie
beklage sich über Wutanfälle, bei denen Pascal gegen Möbel
trete, seine Geschwister schlage und seine Mutter beschimpfe.
Er habe der Mutter außerdem schon mehrmals Geld gestohlen.
Abbildung 7. Pascal
Kevin O.
Kevin, der als „Gang-Mitglied“ beschrieben wird, kommt aus
Köln, ist 15 Jahre alt und „klaut, randaliert und knackt Autos“
mit seinen Freunden. Er schwänze die Schule, bestehle seine
Familie und sei in Schlägereien verwickelt. Von der
vorherigen Schule wurde er angeblich verwiesen, als er eine
Lehrerin bedrohte und beschimpfte.
Abbildung 8. Kevin
David P.
Der 17-jährige David aus Berlin konsumiert laut RTL große
Mengen Drogen und Alkohol. Er hänge nur ab, sei aggressiv
und
ohne
Schulabschluss.
Der
sogenannte
„Drogenkonsument“ lebt bei seiner Mutter und hat zwei
Halbgeschwister.
Abbildung 9. David
20
3.4 Kritik an pädagogischer Arbeit in einer kommerziellen „RealityShow“
„Teenager außer Kontrolle“ wird auf dem privaten Fernsehsender RTL ausgestrahlt und
ist damit eine kommerzielle Sendung, die von einem Millionenpublikum verfolgt wird.
Das Genre der Sendung wird mit dem Begriff „Reality-Show“ beschrieben. In diesem
Abschnitt möchte ich erläutern, warum ich es als kritisch erachte, pädagogische Arbeit
in dieser Form darzustellen.
Formate die unter den Gattungsbegriff „Reality-Show“ fallen, vermitteln eine
Aufbereitung von persönlichen Geschichten und Schicksalen. „Angesichts der Überfülle
des Fiktiven und Künstlichen des Mediums Fernsehen erfüllt sie (die Reality-Show,
d.V.) offenbar das Kontrastbedürfnis nach Realität. Aber wo diese dargestellte Realität
allzu banal und spannungslos zu werden droht, wird sie durch Mittel der Inszenierung
konsumierbar gemacht ...“ (Prokop/Jansen 2006, 39). Aufgrund der audio-visuellen
Umsetzungsmöglichkeiten des Fernsehens, Dramatik und Emotionen zu übermitteln,
entsteht eine Mischform zwischen Realität und Show. Einerseits finden sich Elemente
einer Magazinsendung, mit ihrem Anspruch auf Information und Darstellung realer
Ereignisse, andererseits bedient sich die Reality-Show einiger Gestaltungsmittel aus
dem fiktiven Bereich. Mit besonderen Montage- und Kameratechniken, sowie
subjektiven Interviewausschnitten versucht man gezielt, Emotionen der Zuschauer
'hervorzulocken', „wobei den Produzenten die Faszination der Intimität durchaus
bewusst ist“ (Herrmanns 2007, 68). So verschwimmen die Grenzen zwischen Realität
und Fiktion oder Dokumentation und Inszenierung. Neuerdings zeichnet sich sogar ein
Trend ab, die Ereignisse erst zum Zweck der Ausstrahlung zu inszenieren; so auch bei
„Teenager außer Kontrolle“. Es besteht die Gefahr, dass die ausgestrahlte Sendung, die
den Zuschauern als Dokumentation der Realität verkauft wird, die Jugendlichen in
einem ganz anderen Licht darstellt, als diese sich selbst erlebt haben. Eine sehr
einseitige, auf Emotionen ausgerichtete Präsentation der Teilnehmer kann so leicht zu
Stigmatisierungen führen und nicht abschätzbare negative Auswirkungen auf diese und
ihr weiteres Leben mit sich bringen.
Ein weiterer Kritikpunkt ist der kommerzielle Hintergrund der Sendung. Im Gegensatz
zu den öffentlich-rechtlichen Sendern, die sich durch die Rundfunkgebühren finanzieren
und mit dem Ziel arbeiten, dem staatlichen Auftrag nach Bildung, Information und
Unterhaltung nachzukommen, handelt es sich bei den privaten Sendern um
21
Wirtschaftsunternehmen, die gewinnbringend arbeiten. Größtenteils stammen die
Einnahmen aus der Werbung, daher müssen hohe Quoten erreicht werden, um einen
möglichst attraktiven Geschäftspartner für die Werbetreibenden darzustellen. Zugespitzt
formuliert: Die Inhalte dienen als Rahmen für Werbung (vgl. Herrmanns 2007, 47).
Man kann also davon ausgehen, dass der Wert nicht auf der Qualität der Sendung liegt,
sondern auf den Einschaltquoten. Die Programme müssen eine Massenattraktivität
aufweisen, was dazu führt, dass ethisch umstrittene Sendungen produziert, die
Verzweiflung von Menschen ausgenutzt und Gefühle im Close-up zur Schau gestellt
werden, um einen hohen Marktanteil zu erreichen. Um die dahinter stehenden
Menschen und Schicksale, oder gar darum, ihnen zu helfen, geht es dabei nicht.
Des weiteren halte ich die mit der
Reality-Show verbundene Auflösung
der Grenze zwischen Privatheit und
Öffentlichkeit
für
äußerst
problematisch. „In der Gesellschaft
scheint ein Wille zur Selbstdarstellung
und
Selbstveröffentlichung,
Sehnsucht
Abbildung 10. Kevin und seine Eltern werden
gefilmt
nach
Berühmtheit
zu
Prominenz
existieren.
eine
und
Diese
Nachfrage bedienen verschiedene TVFormate,
indem
sie
Raum
zur
Selbstdarstellung bieten. Da die Kandidaten aber somit gleichsam im Rahmen
kommerzieller Verwertungsinteressen instrumentalisiert werden, muss eine mögliche
Verletzung ihrer Menschenwürde überprüft werden.“ (Herrmanns, 2007, 65). Dass in
sogenannten pädagogischen Reality-Shows wie „Teenager außer Kontrolle“ oder „Die
Super Nanny“ gerade minderjährige Personen beteiligt sind, die die Folgen ihres TVAuftrittes nicht abschätzen können, finde ich unverantwortlich und äußerst fragwürdig.
22
4 Analyse der Sozialpädagogischen Gesichtspunkte
4.1 Forschungsdesign
4.1.1
Vorgehensweise
Im Analyseteil dieser Arbeit habe ich die ersten vier Folgen der zweiten Staffel
„Teenager außer Kontrolle“ untersucht, bei dem Punkt „Elternarbeit“ habe ich
zusätzlich die fünfte Folge hinzugezogen, da die Teenager hier Besuch von ihren Eltern
bekommen.
Obwohl laut Wolf (1999, 35) „eine Wahrnehmung ohne Wahrnehmungsselektion allein
wegen der Komplexität der sozialen Wirklichkeit … nicht möglich“ ist, habe ich vor der
ersten Durchsicht der Serie auf die Bildung von Hypothesen verzichtet, um alle
Eindrücke so wenig selektiert wie möglich auf mich wirken zu lassen und um zu
verhindern, dass interessante Aspekte aufgrund dieser vorgefertigten Hypothesen
unberücksichtigt bleiben. In einem Beobachtungsprotokoll habe ich meine Eindrücke,
erste Interpretationen und Anmerkungen festgehalten und anschließend anhand dieser
Notizen zentrale, unter sozialpädagogischen Gesichtspunkten relevante, Themengebiete
herausgearbeitet. Zu jedem dieser Themen habe ich eine kurze theoretische Einleitung
verfasst, bei der es sich aufgrund des zeitlich engen Rahmens einer Diplomarbeit nur
um eine grobe Begriffsbestimmung handeln kann. Sicher könnte man über nahezu jeden
dieser Punkte eine eigene Arbeit verfassen, für meine Zwecke genügt jedoch eine kurze
Übersicht über das behandelte Thema. Bei den darauf folgenden Durchsichten der Serie
bin ich höchst selektiv vorgegangen und habe alle Ausschnitte, die mit dem jeweiligen
Themenbereich in Verbindung stehen, herausgefiltert. Wenn eine Szene zu mehreren
Themenkomplexen passte, habe ich sie inklusiv zugeordnet. Durch eine gezielte Suche
auch nach Szenen, die meine bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Vermutungen über
die Serie widerlegen, wurde die Objektivität bewahrt und eine Distanz zur
Alltagswahrnehmung geschaffen (vgl. ebd., 45ff.). Im tatsächlichen Analyseteil habe
ich die beobachteten Szenen mit dem vorangehenden theoretischen Teil verglichen, um
so feststellen zu können, inwieweit es sich bei dem beobachteten Vorgehen der
Professionellen um qualifizierte pädagogische Arbeit handelt. Die Analyse folgte
keinem vorgefertigten Schema, denn „der Auswertungsprozess läßt sich in der
23
qualitativen Forschung nicht als eine lineare Abfolge von einzelnen Operationen
darstellen, sondern er ist als ein komplexer Interpretationsprozess angelegt“ (ebd., 45).
Bei der Abfolge der Themen habe ich mit sehr speziellen Beobachtungen (zum Beispiel
bezüglich der Strafpraktiken) begonnen, um im Prozess der Analyse immer allgemeiner
zu werden, denn beispielsweise das Menschenbild, der letzte Punkt dieses Kapitels,
lässt sich erst durch speziellere Beobachtungen, wie über die Möglichkeit der
Partizipation, erschließen.
Um Missverständnisse zu vermeiden, sei noch einmal ausdrücklich erwähnt, dass es
sich um eine Analyse des Gezeigten handelt, also eine Analyse dessen, was der
Zuschauer beobachtet. Denn das ist es, was ihm als pädagogische Arbeit vermittelt
wird. Es ist natürlich nicht auszuschließen, dass durch die Auswahl der gesendeten
Szenen ein verzerrter Eindruck des Projekts entsteht – meine Aussagen beziehen sich
daher also immer auf das Dargestellte und nicht auf das Catherine Freer
Therapieprogramm als solches.
4.1.2
Beschreibung der Szenen
Da es sich hier primär um eine inhaltliche Analyse des pädagogischen Vorgehens der
beteiligten Personen und nicht um eine Filmanalyse im klassischen Sinn handelt,
werden Begriffe der Filmanalyse nur verwendet, um die Serienszenen so detailliert und
anschaulich wie möglich zu beschreiben und um herauszustellen, wo Besonderheiten
der Kameraeinstellungen oder des Tons eine gewisse Stimmung erzeugen und somit auf
bestimmte Absichten des Produzenten schließen lassen. Auf eine Analyse der
verwendeten Stilmittel muss aufgrund des engen Rahmens einer Diplomarbeit
verzichtet werden.
Die Beschreibung der Szenen entspricht der Gestaltung eines Filmskripts: „... the
filmscript must be coceived as a description and not as an interpretation .... What is
needed is not a statement of the film maker's intentions or a character's motivation, but a
careful description of what is seen on the screen“ (Faulstich 1980, 121). Es handelt sich
also um eine neutrale Beschreibung des Gesehenen.
Für den Fall, dass die Szenenbeschreibungen zur bildhaften Vorstellung an einigen
Punkten nicht ausreichen, habe ich eine DVD mit den von mir analysierten Folgen
beigefügt.
24
Im Folgenden möchte ich die von mir verwendeten Begriffe der Film- und
Fernsehanalyse kurz erläutern. Die beschriebenen Kategorien zeigen das Verhältnis des
Zuschauers zum Gezeigten, da der Zuschauer nur sieht, was ihm durch die Kamera
gezeigt wird. „Er sieht nur den Ausschnitt an Wirklichkeit, den ihm die Kamera
vorführt.“ (Hickethier 1978, 45). An den Kameraeinstellungen lässt sich also ablesen,
welche Absichten der Produzent hatte, welchen Ausschnitt er dem Zuschauer zeigen
will.
Einstellungsgrößen
Hickethier (1978. 46 ff.) unterscheidet acht Einstellungsgrößen: Detail, Groß, Nah,
Amerikanisch, Halbnah, Halbtotal, Total und Weit. Bei der Detail-Einstellung geht die
Kamera sehr nah an den Gegenstand heran, der Zuschauer sieht nur einen kleinen
Ausschnitt, was ein Gefühl von Nähe oder Intimität vermittelt. Die Einstellungsgröße
Groß zeigt einen Menschen von den Schultern aufwärts. Häufig wird diese Einstellung
in Gesprächssituationen verwendet, da man die Mimik der Sprechenden sehr gut
verfolgen kann. Die Nah-Einstellung zeigt den Menschen vom Kopf bis zur Brust.
Obwohl noch immer die Mimik im Vordergrund steht, kann man bereits etwas vom
Hintergrund erkennen. Bei der sogenannten Amerikanischen Einstellung sieht man die
Person bis unterhalb der Hüften und kann so ihr Verhältnis zu den Mitmenschen oder
dem Umfeld erkennen. Die Einstellungsgröße Halbnah zeigt den Menschen von den
Knien an aufwärts, was einen „räumlich orientierten und im Raum orientierenden
Eindruck“ vermittelt (ebd., 47). In der Halbtotalen ist der Gegenstand oder die Person
soweit vom Zuschauer entfernt, dass eine Distanz zum Geschehen empfunden wird.
Personen sind von Kopf bis Fuß zu sehen. Ihre Gestik und eine charakteristische
Umgebung treten in den Vordergrund. Die Einstellungsgröße Total gibt vor allem einen
Überblick und räumliche Orientierung. Bei Weiten Einstellungen, die oft mit
symbolischer Funktion eingesetzt werden, sieht man beispielsweise Landschaften oder
Skylines.
Einstellungsperspektiven
In der Kategorie „Einstellungsperspektive“ unterscheidet man zwischen der
Normalansicht, also der Sicht eines erwachsenen Menschen, der Froschperspektive, bei
der die Kamera von unten nach schräg oben filmt und dem Betrachter häufig das Gefühl
von Unterlegenheit vermittelt und der Vogelperspektive, bei der sich die Kamera über
dem dargestellten befindet und so ein Gefühl der Überlegenheit erzeugt (vgl. ebd., 49).
25
Kamerabewegungen
Die Kamerabewegung Stand filmt ein Objekt aus ein- und derselben Perspektive, es
findet keine Bewegung statt. Beim Schwenk hingegen bewegt sich die Kamera analog
zur Bewegung mit dem Kopf und der Ausschnitt des Gezeigten verändert sich. Die
Fahrt ist ähnlich wie die menschliche Bewegung mit dem ganzen Körper. Beim einem
Sonderfall der Fahrt, der Subjektiven Kamera, geht der Kameramann „mit einer Kamera
auf der Schulter genauso durch die Gegend, als habe er gar keine vor Augen. Dadurch
entsteht ein hektischer Eindruck. (...) Der Zuschauer soll den Eindruck gewinnen, er sei
am Geschehen unmittelbar beteiligt.“ (ebd., 50).
Montage
Auch mit der Länge der Einzelnen Einstellungen lässt sich eine Atmosphäre schaffen.
So ist einem häufigen Wechsel von Einstellungen mit kurzer Dauer eher eine subjektive
Darstellungsweise zuzurechnen. Wenige, dafür lange Einstellungen hingegen geben
dem Betrachter die Möglichkeit, genauer hinzusehen.
4.1.3
Transkription
Bei der Transkription der Dialoge, der Kommentare des Sprechers und der
Interviewausschnitte habe ich das Gesprochene wortwörtlich aufgeschrieben und
außerdem nach Glinka (2003, 64f.) folgende Transkriptionszeichen verwendet:
…
Pause. Die Anzahl der Punkte gibt die Dauer der Pause in Sekunden
wieder. (Drei Punkte am Ende eines Satzes machen eine Unterbrechung
durch den Gesprächspartner deutlich)
immer
Betonung eines Wortes
schön
gedehntes Sprechen
Anmerkungen, wie zum Beispiel „(lacht)“, sowie wichtige körpersprachliche
Beobachtungen habe ich kursiv und in Klammern direkt an die betreffende Stelle im
Dialog gesetzt, um eine lebendigere Vorstellung der Szene zu ermöglichen.
26
4.2 Selbst- und Fremdkontrolle
Um in unserer Gesellschaft zurechtzukommen, ist ein hohes Maß an Selbststeuerung
gefragt. Das Ziel der pädagogischen Arbeit sollte daher immer die Selbstkontrolle der
Kinder sein. Sie durch Befehle und Strafen, also durch Fremdkontrolle, zum Befolgen
von Vorgaben und Regeln zu bringen, mag auf den ersten Blick wirksam sein, reicht
jedoch nicht aus, um erfolgreich ein eigenständiges Leben zu führen (vgl. Wolf 2006,
6). Oft lernen die Heranwachsenden hierdurch lediglich, beim Verletzen der Regeln das
Sanktionsrisiko
abzuschätzen
und
sich
nicht
erwischen
zu
lassen.
Damit
Scheinanpassungen vermieden und tatsächlich Effekte im Inneren der Jugendlichen
erzielt werden, ist es unabdingbar, mit ihnen zu verhandeln und sie zu beteiligen, denn
das unterscheidet Erziehung von Dressur (vgl. ebd., 5f.). Natürlich kann man Kinder
nicht von Anfang an sich selbst überlassen und sie alles entscheiden lassen, doch „es
muss eine Entwicklung vom Fremdzwang zum Selbstzwang stattfinden. Das, was
zunächst äußerer Zwang ist – nämlich das unmittelbare Eingreifen des Erwachsenen
oder seine Durchsetzung mit Sanktionen oder ihrer Androhung – muss zur Fähigkeit
werden, auf sich selbst Zwang auszuüben, sich selbst Vorschriften zu machen, die
Erwartungen an sich selbst auch gegen eigenen Widerstände durchzusetzen“ (Wolf
2000, 5). Diese Entwicklung bezeichnet Kohlberg als das Erreichen der konventionellen
Ebene der moralischen Urteile, bei der eine Verinnerlichung bestehender Regeln
stattgefunden hat (vgl. Mietzel 2005, 101). Vor allem Heranwachsende, die diese Stufe
bereits erreicht haben, sind gekränkt, wenn sie bloßer Fremdkontrolle ausgesetzt sind.
Denn ihre Bereitschaft, sich an in ihren Augen sinnvolle Regeln zu halten, wird durch
den äußeren Zwang übergangen und ihre Fähigkeit zur Selbststeuerung unterdrückt. Sie
gehen also in Folge dessen zurück auf die präkonventionelle Ebene, bei der es lediglich
darum geht, Strafen zu vermeiden, unabhängig davon, ob man die Regeln für sinnvoll
oder gerecht hält (vgl. Wolf 2000, 6). Ein wesentlicher Aspekt pädagogischer Arbeit ist
es also, systematisch die Fremdkontrolle zu verringern, um eine Entwicklung zur
verantwortungsvollen Selbststeuerung auf einer höheren Ebene der moralischen
Orientierung zu ermöglichen.
Um das Verhältnis von Selbst- und Fremdkontrolle bei „Teenager außer Kontrolle“
einschätzen zu können, untersuche ich in diesem Kapitel die Strafpraktiken der Betreuer
(Fremdkontrolle)
(Selbstkontrolle).
und
die
Partizipationsmöglichkeiten
der
Jugendlichen
27
4.2.1
Die Anwendung von Strafen
Friedhelm Peters (1999, 931) definiert Strafe als „Zufügung eines Übels, Leids oder
Schmerz – als Schaffen einer unangenehmen Situation.“. Oft ist die Strafe mit Zielen
und Intentionen verbunden, wie beispielsweise der Förderung des individuellen
Lernens. Wie bereits erwähnt, führen Strafen jedoch vor allem zu Scheinanpassungen,
das heißt die Einhaltung von Regeln allein aus Angst vor Sanktionen. Sobald die
Autoritätspersonen abwesend sind oder aus anderen Gründen keine Strafe mehr zu
erwarten ist, fällt der Jugendliche zurück in seine alten Verhaltensmuster. Eine
Verinnerlichung findet dadurch nicht statt (vgl. Wolf 2000, 5). Mit anderen Worten:
„Strafen erzeugt Angst vor Bestrafung und steuert damit – wenn überhaupt – das
Verhalten auf der untersten Stufe der Moralität“ (Müller 1993, 221). Schon aus diesem
Grund sollte darauf, wenn eben möglich, verzichtet werden. Hinzu kommt, dass
Bestrafungen die Beziehung zwischen Erzieher und Zögling verletzen können. Daher
muss zweierlei beachtet werden: Erstens sollte ein Zusammenhang zwischen dem
vorangegangenen Verhalten des Heranwachsenden und der Strafe erkennbar sein, damit
das Kind den Sinn der Strafe versteht und sie nicht als willkürliche Gemeinheit der
Erwachsenen einordnet (vgl. Peters 1999, 935). Zweitens sollte das Kind das Gefühl
haben, so die vorherige Verletzung der Grenze überwinden zu können. Strafen müssen
also eine aufbauende Komponente haben, auf das Wiedergutmachen, Wieder-InOrdnung-bringen der Situation angelegt sein. „Die Strafen als Sühne, als Rache, als
Schadenszuführung, als Abschreckung – sie alle haben in der Erziehung keinen Ort.“
(Flitner 1982, 86).
Im Folgenden möchte ich untersuchen, ob die Professionellen bei „Teenager außer
Kontrolle“ zu Strafen greifen und wenn ja, wie diese Strafpraktiken aussehen: Gibt es
einen Zusammenhang zwischen der Grenzüberschreitung des Jugendlichen und der
darauf folgenden Strafe und ist diese auf Wiedergutmachung angelegt, oder wird sie als
Rache oder Abschreckung eingesetzt?
Analyse
Die drei folgenden Zitate zeigen, dass Strafen - oder Konsequenzen, wie es in der Serie
heißt - im Therapieprogramm fest vorgesehen sind:
28
F1, 1:26:40 – 1:26:49
Die Kamera schwenkt über die Jugendlichen, die sich in einer Reihe aufgestellt
haben und Annegret Noble zuhören. Dann ist Annegrets Gesicht in „Groß“ zu
sehen.
Im Hintergrund vernimmt man einige leise Töne, die unheimlich klingen und an
einen spannenden Film erinnern.
Annegret:
„Wir werden euch sagen, was wir erwarten, wir werden erwarten,
dass ihr das tut, dass wir keine Widerrede bekommen. Wenn da
Widerrede ist, dann gibt's Konsequenzen.“
F2, 8:26 – 8:42
Kameraflug über eine karge, unbewachsene Wüstenlandschaft. Anschließend
wird eine Landkarte von Oregon eingeblendet, auf der man den Weg von
Wagontire nach Little Juniper verfolgen kann. Am unteren, rechten Ende der
Karte öffnet sich ein kleiner Kasten, in dem Bilder der Landschaft gezeigt
werden.
Rockige Gitarrenklänge im Hintergrund.
Sprecher:
„Insgesamt dauert der erste Teil der Therapie, die so genannte
Expeditionsphase, 21 Tage. In diesen drei Wochen müssen die
Teenager über 250 Kilometer bewältigen. Wer das nicht schafft,
muss wieder von vorne anfangen und die gesamte Strecke noch
mal zurücklegen. Allein.“
F4, 42:42 - 42:47
Viele verschiedene, kurze Aufnahmen der Jugendlichen beim Wandern.
Ziemlich laute, fröhliche Musik.
Sprecher:
„Wer sich nicht völlig öffnet, dessen Eltern können auch in letzter
Minute wieder ausgeladen werden.“
Annegret Noble stellt schon vor der Wanderung klar, dass bereits jede Widerrede zu
Konsequenzen führt. Den Jugendlichen werden Strafen angedroht, noch bevor sie gegen
irgendeine Regel verstoßen oder irgendeine Grenze überschritten haben. Außerdem
29
steht von vorn herein fest, dass man die gesamte Strecke von 250 Kilometern noch
einmal allein wandern muss, sollte man sie in den vorgegebenen drei Wochen nicht
schaffen. Sogar der Besuch der Eltern wird als Druckmittel benutzt, die Jugendlichen
werden dazu gezwungen, sich zu öffnen und Gefühle zu zeigen, sonst droht ihnen die
Ausladung der Eltern. Diese Drohungen haben den Sinn, die Jugendlichen
einzuschüchtern um sie dazu zu bewegen, sich aus Angst vor den Strafen unhinterfragt
an alle Anweisungen der Betreuer zu halten. Diese Absicht beschreibt Marlies Luepges
auch in den folgenden zwei Interviewausschnitten:
F2, 43:41 – 43:58
Die Teenager werden zuerst mit ihrer Wanderausrüstung im Halbkreis stehend
gezeigt. Dann verkleinert sich diese Aufnahme zu einem Kasten auf der rechten
Seite des Bildes. Links erscheint ein Kasten mit Marlies’ Gesicht in
Großaufnahme. Dieser Kasten wächst während Marlies’ Worten, bis er
schließlich das ganze Bild füllt. Unten links erscheint die Information 'Marlis
Luepges. Betreuerin'.
Marlies:
„Ich (..) erwarte, dass sie überrascht sein werden, wenn sie sehen,
dass Dzeneta nicht mehr mit ihnen dabei ist, ich nehme an, dass
auch n bisschen n Schockeffekt haben könnte, das erhoffen wir
uns eigentlich auch, damit sie schon wissen, dass wir, wenn
Jugendliche nicht so mitmachen wie wir uns das erwünschen,
dass es auch Konsequenzen hat.“
F4, 20:02 – 20:20
Situation: Als Strafe dafür, dass sie sich einige Meter von ihrem Zeltplatz
entfernt hat, muss Vivien mitten in der Nacht innerhalb von fünfzehn Minuten
ihr Zelt abbauen.
Da diese Szenen nachts aufgenommen wurden, sind die Bilder sehr dunkel. In
einem Kasten am linken Bildrand ist Marlies Luepges in der Einstellungsgröße
„Nah“ zu sehen. Im rechten Kasten sieht man Vivien ihr Zelt zusammenbauen.
Marlies:
„Wir probieren eigentlich jetzt im Ausführen von der Konsequenz
ziemlich mysteriös zu sein. Wir wollen halt, dass sie ..
30
verunsichert ist im Moment, dass sie verst, dass sie unklar ist, was
als nächstes passiert und eine Möglichkeit, das noch n bisschen zu
vertiefen ist halt, sie jetzt da warten zu lassen und hoffentlich n
paar Gedanken damit anzuregen.“
Dzenetas Ausschluss aus der Gruppe wird bewusst eingesetzt, um die anderen
Teilnehmer zu verängstigen. Laut Frau Luepges sollen die Teenager dadurch lernen,
dass es Konsequenz hat, sich nicht wie von den Betreuern erwünscht zu benehmen.
Selbst beim Durchführen der Strafen bemühen sie sich, möglichst „mysteriös“ zu
wirken, um die Heranwachsenden weiter zu verunsichern. Es geht offenbar nur darum,
die Jugendlichen dazu zu bewegen, sich während des Programms an alle Regeln und
Vorgaben zu halten. Dass ein solches Vorgehen von vorn herein nur auf
Scheinanpassungen angelegt ist, wie der folgende Interviewausschnitt von Andreas
eindrucksvoll beweist, scheint die Professionellen nicht weiter zu interessieren:
F2, 27:45 – 28:00
Situation: Die Jugendlichen haben Müll, Andreas Breireste, an ihrem Zeltplatz
gelassen. Marlies Luepges teilt ihnen mit, dass sie so lang kein neues Essen
bekommen, bis sie ihren Müll weggeräumt haben.
Zuerst Aufnahmen von Andreas, der auf dem staubigen Boden hockend etwas
aufliest. Dann sieht man ihn in „Groß“ aus der Froschperspektive, ein Interview
gebend. Einblende: „Andreas, 15 Jahre. Serieneinbrecher“.
Andreas:
„Essens-Sachen und so, das wird ja dann von Tieren aufgegessen,
oder verwest, oder keine Ahnung. So Papier oder so kann ich ja
noch verstehen, aber Essens-Sachen eigentlich nicht. Ja, beim
nächsten Mal wenn ich was wegwerfe versteck ich das nachher
einfach besser.“
Offensichtlich sieht Andreas ein, dass man beispielsweise Papier nicht einfach in der
Wüste zurücklassen sollte. Nach der Androhung von Konsequenzen befolgt er jedoch
Marlies’ Aufforderung, auch die Speisereste wegzuräumen. Da er den Sinn dieser
Anordnung aber nicht einsieht, kündigt er an, die Reste beim nächsten Mal einfach
besser zu verstecken. Das Strafen - oder Androhen von Strafen - hat also nur eine sehr
kurzfristige Wirkung, von einer Verinnerlichung kann nicht die Rede sein.
31
Es stellt sich die Frage, ob es denn zumindest einen für die Jugendlichen erkennbaren
Zusammenhang zwischen den Grenzüberschreitungen und den daraufhin vergebenen
Konsequenzen gibt. Auf den ersten Blick scheinen manche der Strafen logisch:
F1, 59:38 – 59:58
Situation: Dzeneta weigert sich, einen Sonnenhut zu tragen.
Links im Bildschirm sieht man einen Kasten mit Annegret, die in „Groß“Einstellung ein Interview gibt. In einem weiteren Kasten auf der rechten Seite
verfolgt die Kamera Dzeneta, die davongeht. Abschließend Annegret, eine Plane
aufspannend, im Vollbild.
Annegret:
„Wir können ihr nicht vertrauen, sie ist nicht vertrauenswürdig,
sie benimmt sich wie ein kleines Kind und dann müssen wir sie
jetzt eben wie ein kleines Kind behandeln und das bedeutet, dass
wir ihr jetzt irgendwo nen kleines Sonnendach aufstellen, wo sie
die ganze Zeit drunter sein muss. Da hat sie jetzt nicht mehr ihr
Zelt, da hat sie nicht mehr ihre Liegematte, da hat sie nicht mehr
ihre eigenen Sachen, sondern jetzt müssen wir eben auf sie
aufpassen.“
Mit dem Satz „Sie benimmt sich wie ein kleines Kind und dann müssen wir sie jetzt
eben wie ein kleines Kind behandeln“ versucht Annegret Noble zu begründen, warum
ihr Vorgehen die logische Konsequenz aus Dzenetas Verhalten ist. Bei genauerer
Betrachtung erscheinen die Konsequenzen jedoch ziemlich sinnlos: Da die Jugendliche
ihren Hut nicht tragen möchte, werden ihr das Zelt und all ihre Sachen weggenommen.
Sie muss unter einer Plane im Betreuer-Camp sitzen und steht die ganze Zeit unter
Beobachtung. Meines Erachtens steht hier das Ausmaß der Strafe in keiner Relation zu
Dzenetas Weigerung, den Hut zu tragen. Eher geht es den Betreuern darum, Dzeneta so
zum Aufgeben zu bewegen und sie dazu zu zwingen, den Hut aufzusetzen.
Wahrscheinlich ist es tatsächlich sehr wichtig, in der Hitze einen Kopfschutz zu tragen,
durch diese Art von Strafe wird die Jugendliche das jeoch nicht einsehen. Dzeneta
selbst macht zuvor den Vorschlag, ihren Schal um den Kopf zu wickeln, da ihr der
Sonnenhut einfach „zu hässlich“ (F1, 58:12) ist. Darauf gehen die Betreuer jedoch nicht
ein. Meiner Meinung nach wird dadurch deutlich, dass es nicht wirklich um den
32
Sonnenschutz geht, sondern darum, das Tragen des Hutes durchzusetzen, um Dzeneta
zu zeigen, wer die Regeln macht (vgl. F2, 36:50), wer der Mächtigere in dieser
Situation ist. Von einer logischen Konsequenz kann also nicht die Rede sein.
F4, 24:06 – 24:42
Situation: Nach einem Fluchtversuch muss Andreas zur Strafe einige seiner
Sachen abgeben.
Dunkle Aufnahmen bei Nacht. Marlies Luepges und Kris Schock hocken vor
Andreas’ Zelt und beobachten ihn, wie er im Inneren des Zelts Sachen in eine
Tüte steckt.
Man hört langsame Gitarrenklänge.
Marlies:
„Also wirklich, es geht jetzt nur drum: Briefkasten wird aufgelöst,
Tagebücher kommen mit uns, natürlich kommt Taschen-, oder
das, die Stirnlampe und die Schuhe mit uns und die Klamotten.
Das heißt du wirst nur in deinem Unter, in deiner Unterwäsche
schlafen.“
Andreas:
„Schlafen auch?“
Marlies:
„Hm. Uns geht es ganz klar darum, dass du nicht von deinem Zelt
dich weg bewegst, du wirst, äh, Sit-Ups machen müssen wenn du
kalt hast oder so dich warm behalten. Ganz wichtig, den
Schlafsack ganz zu. Es ist nicht kalt genug für den Schlafsack,
nicht wirksam zu sein. Und das ist n Teil deiner Konsequenz. Ich
kann da jetzt keine Diskussion eingehen.“
Kris:
„Alle Sachen außer die Boxershort.“
Andreas:
„Und Socken?“
Kris:
„Die auch.“
Andreas:
„Boah.“
Nach Andreas’ Fluchtversuch scheint es noch sinnvoll, ihn vor allem über Nacht an
einer neuen Flucht zu hindern und ihm daher seine Schuhe und seine Stirnlampe
wegzunehmen. Dass er außerdem seine Tagebücher, seinen Briefkasten (während des
Solos die einzige Möglichkeit, mit den Betreuern Kontakt aufzunehmen) und seine
komplette Oberbekleidung, inklusive der Socken, abgeben muss, steht hingegen mit der
Fluchtgefahr nicht in Verbindung. Den Jugendlichen nachts nur mit einer Boxershort
33
bekleidet zurück zu lassen ist meiner Meinung nach beabsichtigte Schadenszuführung
und Demütigung.
F1, 1:25:14 - 1:25:27
Zuerst eine Aufnahme von Dzeneta: die Kamera beginnt bei ihren Füßen und
schwenkt hoch, bis ihr Kopf zu sehen ist. Sie steht mit ihrem Stock und ihrem
Rucksack auf dem Rücken im freien Feld. Anschließend sieht man Annegret
Noble in „Groß“ beim Interview, hinter ihr sieht man Dzeneta, noch immer
bepackt und Frau Noble den Rücken zugekehrt. Abschließend wird die
Jugendliche noch einmal in der „Halbtotalen“ aus der Froschperspektive gefilmt,
Vivien läuft im Hintergrund an ihr vorbei.
Annegret:
„Die Dzeneta steht da grad mit ihrem Rucksack noch, weil die
uns vorhin, ähm, n bisschen Zeit gekostet hat und jetzt ist das so n
bisschen, bezahlt se die Zeit eben zurück. Die hat vorhin ihren
Rucksack abgenommen, jetzt muss sie ihn n bisschen länger
tragen.“
Das Zurückzahlen der Zeit, welche Dzeneta die anderen Teenager gekostet hat, scheint
auf den ersten Blick eine faire, sinnvolle und logische Konsequenz zu sein. Dass sie
jedoch 45 Minuten voll bepackt in der Sonne stehen muss ist reine Quälerei und hilft
den anderen Jugendlichen in keinster Weise. Viel sinnvoller wäre es, Dzeneta als
Wiedergutmachung etwas für die Gruppe tun zu lassen - beispielsweise für alle das
Abendessen zuzubereiten oder Wasser zu holen. Leider belegen viele weitere Szenen,
dass die Strafen bzw. Konsequenzen nicht darauf angelegt sind, etwas wieder in
Ordnung zu bringen und sich dadurch zu entschuldigen. Sie erscheinen eher wie
willkürliche Schadenszufügungen, die die Jugendlichen sozusagen aus Rache nur um
der Strafe willen erhalten:
F1, 1:17:55 – 1:18:14
Es ist der Tag der ersten Wanderung. Die Jugendlichen und Betreuer stehen im
Kreis zusammen und werden aus der Froschperspektive gefilmt. Die Teenager
stehen zum größten Teil vorn über gebeugt und auf ihren Stock gestützt, als
würde der Rucksack sie herunterziehen. Während Frau Luepges spricht, lässt
Pascal genervt den Kopf fallen.
34
Marlies:
„Wenn Leute während der Wanderung sprechen, dann werden die
ihre Konsequenz tragen, dass die für jede Unterbrechung die sie
machen, am Schluss des Tages, da wo wir ankommen, fünf
Minuten stehen müssen, mit dem Rucksack an, wenn alle anderen
den Rucksack bereits, ähm, abgezogen haben und ihr Zelt
aufstellen.“
Das Miteinander-Sprechen während der Wanderung wird mit der sogenannten Packzeit
bestraft. Das heißt, dass die Teenager am Ende des Tages mit ihrem Rucksack bepackt
für eine gewisse Zeit herumstehen müssen. Diese Konsequenz steht weder in einem
logischen Zusammenhang mit dem unerlaubten Sprechen, noch wird durch sie
irgendetwas wieder gut gemacht. Es soll den Heranwachsenden lediglich zeigen: Wenn
du dich nicht an die Regeln hältst, wird dir etwas Unangenehmes zugefügt. In einem
Ausschnitt erwähnt Marlies Luepges dies noch einmal ganz deutlich:
F4, 14:53 – 15:23
Marlies, Dan und Kris treffen sich auf einem Zeltplatz und begrüßen sich
überschwänglich und lachend. Anschließend sieht man Kris Schock und Marlies
Luepges abwechselnd in der Einstellungsgröße „Nah“.
Sprecher:
„Expeditionsleiterin Marlies berät mit Kris über die Strafe für
Andreas und Vivien.“
Kris:
„Ich hab ihr ganz deutlich gesagt: Du wirst deine Konsequenz
dafür kriegen, ich muss mit den anderen Betreuern mal darüber
reden.“
Marlies:
„Okay. Die brauchen ganz klare Konsequenz. Die haben jetzt den
Eindruck, dass sie . machen können, was sie wollen. Super, dass
du das so gesehen hast und die ertappt hast und jetzt müssen wer
denen irgendwie zeigen: So nicht.“
Das eindrucksvollste Beispiel für wahllose und willkürliche Bestrafung ist die
Konsequenz für Andreas’ Fluchtversuch:
35
F4, 15:45 – 18:49, 20:43 – 20:50, 23:45 - 23:50
Situation: Nach Andreas' Versuch wegzulaufen haben sich die Betreuer über
Konsequenzen für diesen Regelverstoß unterhalten.
Marlies kniet vor Andreas' Zelt und schaut zu ihm hinein. Andreas liegt in
seinem Schlafsack, hat sich auf einen Arm aufgestützt und schaut Marlies
verschlafen an. Um die beiden herum ist es dunkel.
Im Hintergrund hört man sehr leise Gitarrenmusik.
Marlies:
(sehr bestimmt) „Ich möcht, dass du alles packst und dich zum
Schluss auf den Rucksack setzt und da auf uns wartest. Keine
Fragen, 15 Minuten, du bist immer noch auf Solo, du kannst nicht
mit uns sprechen. Wir sprechen! Los geht’s, Zeit ist gestartet!“
Sprecher:
„Nach Ansicht der Betreuer bedeutet Andreas’ Verhalten einen
großen Vertrauensbruch – er hat sich in Lebensgefahr gebracht.
Von Anfang an war beim Solo eines klar: Es wird heftige
Konsequenzen geben, wenn einer der Teenager die wichtigste
Regel bricht und sich von seinem Zeltplatz entfernt.“
Etwas später, Andreas hat alles gepackt:
Marlies:
„Du bist noch nicht fertig.“
Andreas:
„Warum?“ (schaut suchend vor sich auf den Boden)
Kris:
„Hast du alle Sachen eingepackt, die du hast? …. Das glauben wir
nicht.“
Andreas sucht weiter den Boden um sich herum ab.
Marlies:
„Hey! Nur mit Rumstehen wirst du’s wohl nicht finden.“
Andreas geht ein Stück weiter und findet einen Moment später den Sack mit den
Heringen.
Marlies:
„Die Zeit? Wie weit sind wer?“
Kris:
„Drei Minuten zu lang.“
Marlies:
„Du hast jetzt 15 Minuten, das Ganze wieder aufzubauen und im
Schlafsack dich zu befinden. Schuhe müssen draußen sein, ich
will dich schnarchen hören. .. Zeit startet jetzt.“
Andreas weigert sich.
36
Marlies:
„Ich möchte nur sagen, du bekommst bereits Konsequenzen für
dein Verhalten. Je länger du uns jetzt hier rum stehen lässt, desto,
desto stärker werden die Konsequenzen auch für dich sein. Desto
unangenehmer. (…) Ich kann dir gleich sagen, dass diese Art von
Handlungen, die werden dich später unangenehme Folgen.“
Sprecher:
Die Betreuer sind davon überzeugt, dass ihre Konsequenzen
angemessen sind. Sie können es nicht hinnehmen, dass die
Jugendlichen sich in Gefahr bringen.“
Später:
Marlies:
„Es gibt dafür noch ne ganze Reihe Konsequenzen, das kann ich
dir schon mal sagen. Wir haben erst grad angefangen.“
Als die Betreuer ihm etwas später ein zweites Mal mitteilen, dass sie die ganze
Nacht mit ihm wach stehen werden, bis er die Aufgabe annimmt, gibt er jedoch
nach und baut sein Zelt erneut auf, ab, und wieder auf, um dann schlafen zu
können.
Marlies:
„Schuhe aus. Zelt zugemacht u n d, ähm, n Schnarchton wär ganz
nett, wenn du im Schlafsack bist.“
Andreas zieht vor dem Zelt die Schuhe aus, verschwindet darin und simuliert ein
Schnarchgeräusch.
Marlies:
(lacht vor sich hin)
Etwas später:
Marlies:
„Du hast den ersten Teil von deiner Konsequenz jetzt quasi
abverdient, es wird aber noch weiter gehen.“
Als Strafe soll Andreas sein Zelt zuerst in fünfzehn Minuten abbauen. Als er dafür drei
Minuten länger benötigt, soll er das Zelt in jeweils fünfzehn Minuten auf-, ab- und
wieder aufbauen. Um zu beweisen, dass er danach wieder in seinem Schlafsack liegt,
muss er Schnarch-Geräusche imitieren. Diese Maßnahme ist nicht pädagogisch zu
rechtfertigen. Es handelt sich lediglich um das willentliche Schaffen einer
unangenehmen Situation, in Kombination mit Demütigung, um den Jugendlichen in
eine unterlegene Position zu drängen. Diese Art von Strafe ist meines Erachtens nicht
tragbar und hat mit professioneller pädagogischer Arbeit nichts zu tun.
37
Ein weiterer problematischer Punkt ist die Unberechenbarkeit der Strafen, die neben
dem oben stehenden Satz von Marlies Luepges („Du hast den ersten Teil von deiner
Konsequenz jetzt quasi abverdient, es wird aber noch weiter gehen.“) auch in folgender
Szene sichtbar wird:
F4, 25:07 - 25:14
Dunkle Nachtaufnahmen. Vivien liegt in ihrem Zelt, Marlies Luepges steht
davor und spricht mit der Jugendlichen.
Sprecher:
„Vivien hat ihre Strafmaßnahme ohne Widerstand hinter sich
gebracht. Noch weiß sie aber nicht, dass es für sie weitere
Konsequenzen geben wird.“
Selbst, wenn die Jugendlichen die Strafen widerstandslos annehmen, können die
Betreuer es nicht dabei belassen. Statt den Teenagern eine faire Konsequenz für ein
bestimmtes Fehlverhalten zu geben und die Sache dann auf sich beruhen zu lassen,
denken sich die Mitarbeiter immer weitere Strafen aus, ohne dass die Heranwachsenden
einen Einfluss darauf hätten. Sie müssen sich praktisch dauernd vor neuen Maßnahmen
fürchten.
Die Strafmaßnahmen sollen mit folgenden Kommentaren gerechtfertigt werden:
F4, 21:29 – 21:42
Dunkle Nachtaufnahmen. Rechts ein Kasten mit Marlies Luepges im Interview,
links sieht man Andreas, der mit Rucksack und Stock bepackt herumsteht. Am
Ende des Interviews vergrößert sich der Kasten mit Frau Luepges zum Vollbild
und die Worte „Marlies Luepges. Leitet die Expedition“ werden eingeblendet.
Marlies:
(mit einem leichten Grinsen) „Zu Hause erleben die Jugendlichen
oft keine Konsequenzen, die durchgeführt werden. Von daher
denken wir, dass es ganz besonders wichtig ist, dass die
Jugendlichen hier verstehen, dass wir da nicht aufgeben.“
Ohne Frage brauchen Kinder und Jugendliche Grenzen, denn auch im „echten“ Leben
muss man für seine Handlungen Verantwortung übernehmen und mit Konsequenzen
38
rechnen. Um Heranwachsende auf ihre Zukunft als eigenständige Menschen
vorzubereiten, ist es daher sicher sinnvoll, ihnen dies beizubringen. Gewisse logische
und faire Konsequenzen sind also durchaus gerechtfertigt. Die Wortwahl „dass wir da
nicht aufgeben“ impliziert aber eher, dass es hier um einen Machtkampf zwischen den
Professionellen und Jugendlichen geht. Die Konsequenzen werden durchgesetzt, um
diesen Kampf zu gewinnen und nicht, um die Jugendlichen auf ihre Zukunft
vorzubereiten. Es scheint, als ginge es nur um das Durchsetzen an sich, nicht um eine
mögliche Wirkung oder Entwicklungschance für die Teenager. Daher überraschen die
folgenden beiden Zitate besonders:
F4, 22:21 – 22:29
Da es Nacht ist, sind die Aufnahmen sehr dunkel. Außer Andreas, der in einem
leuchtend roten Pullover sein Zelt aufbaut, erkennt man kaum etwas.
Fröhliche Rock-Popmusik im Hintergrund.
Sprecher:
„Maßnahmen wie diese sind üblich bei Catherine Freer
Expeditions. Nach Ansicht der Betreuer sind die Konsequenzen
für die Jugendlichen nur zu ihrem Besten.“
F4, 23:51 – 24:06
Als Frau Luepges zu sprechen beginnt sieht man Andreas, der mit gesenktem
Blick in seinem Zelteingang hockt. Anschließend sieht man die Betreuerin in
„Nahaufnahme“, der Hintergrund ist komplett schwarz. Einblende: „Marlies
Luepges. Expeditionsleiterin“.
Marlies:
„Die Konsequenzen, die wir den Jugendlichen geben, sehen oft
wie Schikanen aus. Wie wir aber jetzt auch grad wieder erlebt
haben mit dem Andreas, kann da sehr viel Großes draus
entstehen. Unsere Hoffnung ist, ist eigentlich in allen Fällen, dass
wir Jugendlichen so die Möglichkeit geben können, über sich raus
zu wachsen.“
Laut Sprecher und Marlis Luepges sind die Konsequenzen zum Besten der
Jugendlichen, da sie ihnen die Möglichkeit geben, über sich hinaus zu wachsen. Frau
Luepges selbst räumt jedoch ein, dass die Strafen wie Schikanen aussehen, was
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eigentlich beweist, dass sie nicht in einem logischen Zusammenhang mit den
vorangehenden Taten der Jugendlichen stehen. Aus dem mehrmaligen Ab- und wieder
Aufbauen der Zelte, auf das sich die Betreuerin hier bezieht, soll also „sehr viel Großes“
entstanden sein. Tatsächlich hat Andreas, nachdem er sich geweigert hatte, diese Strafe
anzunehmen, nachgegeben und sein Zelt in durchschnittlich acht Minuten – statt der
vorgegebenen fünfzehn – auf und abgebaut. Für die Betreuer ist das sicherlich ein
Erfolg – sie haben durchgesetzt, was sie zuvor als Strafe beschlossen haben. Was diese
Maßnahme dem Jugendlichen bringt, wie er dadurch „über sich selbst hinauswächst“
und wieso dies zu seinem Besten ist, bleibt jedoch unklar. Meiner Meinung nach ist
Andreas nur auf die Aufforderungen eingegangen, um endlich schlafen zu können und
das Einzige, was er daraus lernt ist, dass man nachgeben und absolut sinnlosen
Forderungen nachgehen muss, um nicht weiter bestraft zu werden.
In vier Szenen werden die Jugendlichen sogar durch körperliches Durchgreifen bestraft:
F1, 51:54 – 52:44
Die Kamera ist sehr weit vom Geschehen weg, man sieht die Beteiligten in der
Einstellungsgröße „Total“. Stacey, Dan und Marlies stehen in der freien Natur,
um sie herum sieht man nichts als Gras und Sträucher. Stacey geht einige
Schritte von den Betreuern weg, Dan kommt hinter ihr her, um sie festzuhalten.
Als sie versucht sich aus dem Griff zu lösen, kommt Marlies Luepges hinzu, die
dann auch nach Staceys Arm greift. Zwischenzeitlich wird Kurts Gesicht aus der
Froschperspektive gezeigt, er scheint die Szene zu beobachten.
Harte Rockmusik im Hintergrund.
Stacey:
„Lassen sie mich in Ruhe!“
Sprecher:
„Stacey verliert nach Stunden des Widerstands völlig die
Kontrolle. Ihre ständigen Provokationen und Attacken zwingen
die Betreuer zu drastischeren Maßnahmen.“
Die Kamera hat nun herangezoomt, die Tonaufnahmen sind jedoch sehr
schlecht. Betreuer Dan hat Staceys Arm ergriffen und auf ihren Rücken gedreht.
Stacey:
„Haut ab!“
Marlies Luepges sagt etwas für den Zuschauer unverständliches zu ihrem
Kollegen Dan und ergreift Staceys anderen Arm.
40
Stacey:
„So schon gar nicht! Mit Gewalt läuft hier gar nichts! Ich möchte
erstmal, bevor ich irgendetwas mache, (Dan dreht den Arm noch
etwas mehr, Stacey schreit laut auf) Aua!“
Marlies:
„Sobald du läufst, lässt er los.“
Stacey:
(mit weinerlicher Stimme) „Lass mich doch mal in Ruhe, Alter!
(versucht, sich aus Dans Griff zu befreien)
Obwohl die Kamera sehr weit von dieser „Kampfszene“ entfernt ist, wackelt sie
hin und her, als wäre sie mitten im Geschehen und würde umgestoßen.
Stacey:
„Merkt ihr nicht, dass ihr voll Psychoterror macht? (kreischt,
quietscht, versucht die Betreuer abzuschütteln und sich aus dem
Griff zu befreien) Meine Fresse…“
Stacey sinkt zu Boden. Eine langsame und traurige Gitarrenmelodie erklingt.
Sprecher:
„Der sogenannte therapeutische Griff ist für die Betreuer die
letzte Möglichkeit. Mit dem harten Durchgreifen von Marlies und
Dan hat Stacey nicht gerechnet und gibt schließlich klein bei.“
Marlies streichelt Stacey, die zusammengekauert auf dem Boden liegt, über den
Rücken.
Für den Zuschauer ist völlig unklar, wie es zu diesem harten Durchgreifen kommt. Der
Sprecher erwähnt zwar, dass Stacey „die Kontrolle verloren hat“, was genau darunter zu
verstehen ist, bleibt offen. Annegret Noble erklärt später, warum der „therapeutische
Griff“ angewendet wird und warum sie ihn nicht als Strafe betrachtet:
F1, 1:11:15 – 1:11:40, F1, 1:12:20 – 1:12:30
Situation: Auch Pascal wurde mit dem „therapeutischen Griff“ fixiert und auf
den Boden gedrückt.
Während Frau Noble zu sprechen beginnt, sieht man Pascal auf dem staubigen
Boden zwischen Gegenständen liegen, jemand hält seinen Arm nach hinten
gedreht fest. Das Bild teilt sich anschließend in zwei Kästen, links sieht man
Annegret Noble beim Interview, rechts weiterhin, wie Pascal festgehalten wird.
Zum Schluss wächst der Kasten mit Frau Noble bis zum Vollbild.
Annegret:
„Wir wollen den Kindern nicht weh tun, aber wir müssen die
Kinder kontrollieren und da benutzen wir die Punkte im Körper,
wenn man da drauf drückt, dann tut das weh und je stärker man
41
drückt, desto mehr tut’s weh. Aber da kann man eigentlich nichts
verletzten, das ist auch jetzt nicht n Schmerz, der was bricht, oder
was verstaucht, sondern es ist einfach unangenehm. Und damit
können wir den Kindern dann helfen, sich zu beruhigen und selbst
die Kontrolle wieder zu übernehmen.“
Etwas später:
Pascal liegt am Boden, Annegret Noble streichelt über seinen Rücken.
Annegret:
„Manchmal verliert man die Kontrolle. Und dann .. wollen wir sie
jetzt nicht bestrafen, sondern ihnen einfach nur helfen, sich zu
beruhigen und dass es ihnen besser geht.“
Frau Noble gibt zu, dass den Teenagern absichtlich Schmerzen zugefügt werden, um sie
zu kontrollieren. Bei akuter Selbst- oder Fremdgefährdung mag das Fixieren der
betroffenen Person sinnvoll sein; auf einem großen, offenen Feld, wie in Staceys Fall,
scheint mir dies allerdings unwahrscheinlich. Außerdem ist es möglich, einen
Jugendlichen auch ohne das bewusste Zufügen von Schmerzen festzuhalten, bis er sich
beruhigt hat. Die hier angewendete Methode scheint hingegen brutal und schmerzhaft,
die Jugendliche eher verzweifelt als aggressiv. So muss wohl davon ausgegangen
werden, dass es auch in dieser Szene lediglich darum geht, einen Machtüberhang zu
demonstrieren und die Jugendlichen einzuschüchtern. Auch der Kommentar des
Sprechers „sie gibt schließlich klein bei“ bestätigt diese Annahme. Hinzu kommt, dass
der Einsatz des direkten, körperlichen Zwangs von den Teenagern selbst höchst
wahrscheinlich als Strafe erlebt wird und somit die Beziehung zwischen den Beteiligten
gefährden könnte. Dass die Betreuer die Jugendlichen nach diesen schmerzhaften
Fixierungen streicheln, macht die Situation nicht besser, sondern eher noch schlimmer:
Dieses nahezu schizophrene Verhalten wird für die Jugendlichen kaum zu ertragen sein.
Während sie fixiert werden, sind sie wütend auf die Betreuer, hassen sie dafür und im
nächsten Moment sollen sie mit diesen Menschen intime, körperliche Nähe zulassen.
Außerdem wird ihnen vermittelt, dass sie positive Zuwendung bekommen, wenn sie
sich unterwerfen und Schmerzen über sich ergehen lassen Die Botschaft der
Professionellen lautet demnach: „Wir tun dir nur weh, wenn du ein böses Kind bist.
Wenn du dich angepasst verhältst und unsere Regeln befolgst, haben wir dich gern und
trösten dich“.
42
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass Strafen bzw. Konsequenzen in den
gezeigten Szenen sehr häufig vorkommen. Sie sind außerdem von Anfang an fest
geplanter Bestandteil des Therapieprogramms, denn sie werden bereits angedroht, bevor
gegen eine Regel verstoßen wurde. Die Ausgestaltung der Strafen ist leider weder
logisch, das heißt in einem sinnvollen Zusammenhang mit dem vorangegangenen
Verhalten der Jugendlichen, noch auf Wiedergutmachung angelegt. Häufig erscheinen
die Konsequenzen wie Schikanen, die nur um der Strafe selbst willen, also quasi als
Rache, durchgeführt werden. Hinzu kommt, dass sie für die Jugendlichen nicht
berechenbar sind – für eine Grenzüberschreitung der Heranwachsenden kann es eine
beliebige Anzahl an Konsequenzen geben, die ihnen nicht mitgeteilt wird. Die Teenager
müssen für eine Tat ständig neue Strafen befürchten. Vor allem das harte, körperliche
Durchgreifen der Betreuer und das absichtliche Zufügen von Schmerzen kann die
Beziehung zwischen Erziehern und Heranwachsenden nachdrücklich beeinträchtigen,
denn die Teenager werden sich in diesen Momenten hilflos und gedemütigt fühlen. Die
Mitarbeiter versuchen Gewalthandlungen zu rechtfertigen und spielen sie herunter. Sie
vermitteln den Heranwachsenden, dass psychischer und physischer Zwang zum Besten
einer Person sein kann und durch anschließendes Streicheln relativiert wird. Es besteht
die Gefahr, dass die Teenager diese Botschaft verinnerlichen und später mit ihren
eigenen Kindern nach diesem Muster umgehen.
Alles in allem muss davon ausgegangen werden, dass mit dieser großen Menge an
sinnlosen Strafen lediglich eine Scheinanpassung der Jugendlichen erreicht wird. Sie
verhalten sich angepasst, um Strafen zu vermeiden und akzeptieren die Konsequenzen,
um noch mehr Strafen zu verhindern. Eine tatsächliche Entwicklung wird hiermit nicht
bewirkt. Es bleibt zu hoffen, dass die Verharmlosung von Gewalt nicht das Einzige ist,
was sie aus diesem Projekt für ihr späteres Leben mitnehmen.
43
4.2.2
Partizipation
Klienten Sozialer Arbeit, Erwachsene wie Kinder, sind an den Entscheidungen, die sie
betreffen, zu beteiligen. Einerseits, weil es die professionelle Haltung verlangt, sich am
Subjekt, seiner Lebenswelt und seinem Eigensinn zu orientieren, andererseits, weil
Interventionen, an deren Ausgestaltung die Klienten mitverantwortlich waren,
wirksamer sind. Man kann nur für Entscheidungen Verantwortung übernehmen, die
man selbst (mit-)getroffen hat. Wie bereits oben erläutert ist es außerdem nur durch
Partizipation (also Selbstkontrolle) möglich, Heranwachsende auf ihr Leben in unserer
Gesellschaft vorzubereiten. Jugendliche sollten „ihre Interessen, Wünsche, und
möglicherweise
auch
Befürchtungen
und
Ängste
einbringen
und
deren
Berücksichtigung erwarten“ können (Reimer/Wolf 2008, 2). Partizipation ist eine
Voraussetzung für Erziehung, denn „die Entwicklung der Subjekte ist ihre
Eigenleistung, die Erziehenden können und sollen am guten pädagogischen Ort ein
entwicklungsförderndes Lebens- und Lernfeld arrangieren, in dem dann in
Koproduktion Entwicklung möglich wird“ (ebd., 4).
In der achtstufigen Partizipationsleiter nach
Arnstein wird zwischen der Nicht-Beteiligung,
Quasi-Beteiligung
und
echter
Beteiligung
unterschieden, welche sich jeweils wieder in
Zwischenstufen aufteilen lassen (siehe Grafik).
Die unterste Stufe der Partizipationsleiter ist die
Nicht-Beteiligung, die sich in Manipulation und
Therapie gliedert. Nicht-Beteiligung bedeutet,
dass die Entscheidungen nur einseitig von den
Professionellen getroffen werden. Bei der ersten
Abbildung 11: Partizipationsleiter nach
Form der Nicht-Beteiligung, der Manipulation,
Arnstein
gibt
es
weder
Diskussionen
noch
eine
Berücksichtigung der Äußerungen der Kinder
und Jugendlichen. Bei der Therapie hingegen werden die Probleme zwar diskutiert, die
Meinung der Klienten wird jedoch als patholog bewertet und daher bei Entscheidungen
nicht berücksichtigt.
Die mittlere Stufe des Modells ist die Quasi-Beteiligung, die sich ihrerseits in
Information, Beratung und Wertschätzung aufteilt. Bei dieser Vorstufe zur Partizipation
44
können die Beteiligten ihre Meinung äußern, ein Entscheidungs- und Revisionsrecht
bleibt allerdings aus. Die Klienten zu informieren ist hierbei der erste Schritt und eine
Grundvoraussetzung für Partizipation, doch eine Beteiligung der Klienten ergibt sich
hieraus noch nicht. Beim zweiten Schritt, der Beratung, werden die Kinder- und
Jugendlichen zwar ausdrücklich nach ihren Ansichten gefragt und es wird ihnen
mitgeteilt, inwieweit ihre Wünsche berücksichtigt werden, die Entscheidung aber liegt
letztendlich noch bei den Professionellen. Auf der Stufe der Wertschätzung wird auf die
Interessen der Klienten großen Wert gelegt, sie werden dokumentiert und können die
Entscheidung beeinflussen. Obwohl es auch hier keinen Aushandlungsprozess gibt, ist
den Professionellen die Zustimmung der Jugendlichen wichtig.
Die oberste Stufe der Partizipationsleiter, die echte Beteiligung, ist gekennzeichnet
durch eine gleichberechtigte Interaktion zwischen Klienten und Professionellen und
gliedert
sich
in
die
partnerschaftliche
Aushandlung,
die
Delegation
von
Entscheidungskompetenzen an Kinder und Jugendliche und die Autonomie. Bei der
partnerschaftlichen Aushandlung gibt es auf keiner Seite „ein alleiniges Entscheidungsoder Revisionsrecht. Problemlösungen werden gemeinsam erarbeitet und können ...
wieder revidiert werden.“ (ebd., 3). Werden zudem Entscheidungskompetenzen an die
Kinder und Jugendlichen delegiert, haben sie einen zusätzlichen Einfluss auf den
Problemlösungsprozess. Die Professionellen stehen dabei beratend und unterstützend
zur Seite, lassen die Klienten jedoch ihre eigene Erfahrungen machen und Lösungen
finden. Die höchste Stufe der Leiter ist die Autonomie. „Jugendliche werden als
Mündige gesehen. Sie sind kompetent und berechtigt, eigene Vorhaben zu leiten und
unabhängig zu bestimmen, unter welchen Umständen Änderungen ihrer Lebensplanung
vorgenommen werden sollen, sie treffen eigene Entscheidungen über ihre selbst
definierten Ziele.“ (ebd., 4)
Zusammenfassend beinhaltet Partizipation also, dass Kinder über die Entscheidungen,
die sie betreffen, informiert werden. Des Weiteren müssen ihre Ansichten angehört und
wertgeschätzt werden. So weit wie möglich sollten dann alle Entscheidungen
ausgehandelt und entweder partnerschaftlich oder von den Klienten autonom getroffen
werden. Wo Entscheidungen gegen den ausdrücklichen Wunsch des Kindes oder
Jugendlichen getroffen werden müssen, sollte man zumindest immer um dessen
Zustimmung bemüht sein.
Anhand der vorgestellten Partizipationsleiter möchte ich im Folgenden analysieren, ob
in den ausgewählten Szenen der Grundsatz der Beteiligung der Klienten berücksichtigt
45
wurde. Ich beginne dabei mit Szenen, die dem unteren Teil der Leiter zuzuordnen sind
und gehe dann Schritt für Schritt höher, bis zur echten Partizipation.
Analyse
An den folgenden zwei Szenen, die Kevin und Vivien beim Interview vor dem Start des
Auslandsprojekts zeigen, sieht man sehr deutlich, dass sich die Jugendlichen
Partizipation und Selbstbestimmung wünschen:
F1, 5:56 – 6:03
Kevin wird gefilmt, während er lässig (vermutlich auf der Rückenlehne einer
Parkbank) vor einem Baum sitzt und einen kurzen Monolog in die Kamera hält.
Die Kapuze seines Sweatshirts trägt er trotz Sonnenscheins auf dem Kopf, in der
Hand hält er eine Zigarette. Während er spricht wird ein roter Kasten mit den
Worten „Kevin, 15 Jahre. 'Ich lasse mir von keinem was sagen!'“ am unteren
Bildschirmrand eingeblendet.
Im Hintergrund ertönt zunächst leises, aber nervös wirkendes SchlagzeugTicken, das sich im Laufe der Szene bis hin zu einem aggressiven Trommeln
steigert.
Kevin:
„Nur weil ich 15 bin, müssen doch nicht meine Eltern immer über
mich sagen, dass ich das machen muss. Ich hab mein eigenes
Leben, ich kann doch über mein Leben selber bestimmen.“
F1, 13:31 – 13:52
Gezeigt wird eine Aufnahme von Vivien in der Einstellungsgröße „Halbnah“.
Sie sitzt auf dem Fensterbrett in einem offenen Fenster, draußen sieht man die
grünen Zweige eines Baumes und einen Teil des Nachbarhauses. Während
Vivien spricht, wird ein Kasten mit den Worten „Vivien, 16 Jahre. 'Ich wollte
meine Eltern vergiften'“ eingeblendet. Bei ihrem letzten Satz sieht man sie auf
einer Wiese stehen und Steine gegen ein altes Haus werfen. Einmal wackelt die
Kamera kurz und scheinbar unkontrolliert, als sei sie getroffen worden.
Vivien:
„Jo, das auf jeden Fall, also ich kann meine Entscheidungen
immerhin selber treffen, was ich mache und wo, wo ich zum
Beispiel hingeh, wann ich wiederkomme, oder so. Das kann ich
46
alles allene machen und brauch kener sagen 'Hier, du bist um die
und die Uhrzeit da, und ... du machst jetzt das und das und das.’
Ne, kann ich nich ab!'“
Ob der Wunsch der Teenager nach eigenen Entscheidungen im Catherine Freer Therapy
Programm ihrem Alter angemessen berücksichtigt wird, möchte ich anhand einiger
Szenen analysieren.
Bereits in den ersten Minuten der ersten Folge wird deutlich, dass die
Entscheidungsträger, die die Teilnahme an diesem Projekt veranlasst haben, nicht die
Jugendlichen selbst sind:
F1, 0:39 – 0:49
Verschiedene Aufnahmen, meist aus der Vogelperspektive, einer kargen
Wüstenlandschaft, eines Sonnenaufgangs im Zeitraffer und wilder Pferde mit
der Kameraeinstellung „Weit“. Außerdem sieht man eine Schlange, einen
Gecko, eine amerikanische Flagge an einem typisch amerikanischen Briefkasten
und ein Schild mit der Aufschrift „Catherine Freer. Wilderness Therapy
Expeditions“ in der Einstellung „Detail“. Viele Schnitte, also ein häufiger
Wechsel von Einstellungen mit kurzer Dauer.
Im Hintergrund ist aggressiv wirkende Gitarren-Musik zu hören.
Sprecher:
„Der letzte Ausweg für die ratlosen Eltern liegt tief im Wilden
Westen der USA. Hier gibt es eine Therapieeinrichtung, die seit
über zwei Jahrzehnten Jugendlichen ihre Grenzen aufzeigt:
Catherine Freer Wilderness Expeditions.“
F4, 8:33 – 8:46
David sitzt im Schneidersitz vor einem Baum auf dem staubigen Boden. Er sieht
krank aus, seine Augen scheinen viel kleiner als sonst, er trägt eine graue
Wollmütze obwohl die Sonne scheint. Links erscheint ein Kasten mit den
Worten 'David, 17 Jahre. Junkie'.
Ruhige Musik im Hintergrund.
47
David:
(sehr ruhig und nachdenklich) „Und ich geb euch nen Tipp, d i e,
meine Kumpels, die kiffen und so, wenn ihr ... nicht hier her
wollt, nach Amerika, in dieses Free-Camp-Therapie, dann hört
auf so schnell mit dem Kiffen wie's geht. Weil eure Eltern können
euch im Null-Komma-Nichts hier anmelden.“
Diese beiden Zitate zeigen, dass es sich augenscheinlich um eine Lösung für die Eltern
der Teenager handelt; die Jugendlichen selbst werden nicht erwähnt. Da von einer
vorangegangenen Befragung der Jugendlichen oder einer Diskussion nicht die Rede ist,
muss man davon ausgehen, dass es sich um die unterste Stufe der Partizipationsleiter,
also um Manipulation, handelt. Auch die Formulierung „(…) Jugendlichen ihre
Grenzen aufzeigt“ macht deutlich, dass es nicht um Verhandlungen, sondern um eine
bloße Begrenzung der selbstbestimmten Aktivitäten der Teenager geht. Statt diese
Aktivitäten zu nutzen, zu fördern und weiterzuentwickeln, sollen sie gebremst und
unterdrückt werden. Wie dieses „Grenzen aufzeigen“ genau aussieht, wird in der
folgenden Szene deutlich:
F1, 1:13 – 1:20
Bilder von einigen Jugendlichen, die in der Natur Holz hacken und anschließend
die Scheite auf einen Lastwagen laden. Im Kontrast dazu jeweils eine Aufnahme
von Andreas, der raucht und Vivien, die etwas aus einer Flasche trinkt. Noch
immer viele kurze Einstellungen hintereinander.
Im Hintergrund aggressive Gitarren-Musik.
Sprecher:
„Bei Catherine Freer sollen die Jugendlichen durch harte Arbeit
und eiserne Disziplin zu verantwortungsvollen Menschen
werden.“
Die Ausgestaltung des Programms ist also vorherbestimmt, die Jugendlichen haben die
Aufgabe, an der harten Arbeit teilzunehmen und sie mit eiserner Disziplin
durchzuhalten. Da auch hier von Gesprächen oder Diskussionen nicht die Rede ist, wird
es sich um die unterste Stufe der Partizipationsleiter, die Manipulation handeln. Wie
man durch bloßes befolgen von Regeln zu einem verantwortungsvollen Menschen
werden kann, bleibt jedoch unbeantwortet.
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F1, 3:21 – 3:26
Verschiedene Aufnahmen am Frankfurter Flughafen: Eine Abflugzeiten-Tafel,
Stacey, die neben ihrer kleinen Schwester und ihrer Mutter auf die Kamera zu
läuft, Stacey allein, weinend in der Einstellung „Groß“.
Im Hintergrund weiterhin Gitarren-Musik.
Sprecher:
„Wann sie (die Teenager, D.S.) wieder zurück dürfen, hängt
allein von ihrem Verhalten in der Therapie ab“
F1, 16:05 – 16:11
Kameraflug in der Einstellung „Weit“ über eine Landschaft und einige Häuser in
einer sonst sehr kargen Wüstengegend, dabei eine unruhige Kameraführung.
Im Hintergrund weiterhin Gitarrenmusik.
Sprecher:
„Wann diese Herausforderung endet bestimmen sie (die
Jugendlichen, D.S.) selbst. Je mehr sich
die Teenager
widersetzen, umso länger dauert die Therapie.“
Auch an der Entscheidung, wann das Projekt beendet wird, sind die Jugendlichen
demnach nur indirekt beteiligt. Indem sie sich wie von den Betreuern gewünscht
verhalten, können sie sie zwar positiv beeinflussen, von Partizipation kann jedoch nicht
die Rede sein, da sie dabei völlig von den Professionellen und deren gutem Willen
abhängig sind. Für eigene Entscheidungen und Aktivitäten, die gegen die Regeln des
Programms gehen, werden sie mit einem längeren Aufenthalt bestraft. Die Teilnahme
an diesem Projekt von vorne herein als Strafe anzukündigen ist jedoch problematisch,
da sich die Jugendlichen so weder auf das Programm einlassen, noch positive
Erwartungen und eigene Ziele entwickeln können.
Auch die folgenden Szenen zeigen, dass die Jugendlichen bei manchen Entscheidungen
weder informiert, noch nach ihrer Meinung gefragt werden. Es handelt sich also wieder
um die unterste Stufe der Partizipationsleiter, die Manipulation:
F1, 22:38 – 22:49
Während Annegret Noble zu sprechen beginnt sieht man eine Nahaufnahme von
Stacey, die vor Kami an einer Wand hockt und genervt vor sich hin starrt. Dann
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Frau Noble in „Groß“ vor einer orangefarbenen Wand. Am unteren Bildrand
werden die Worte „Annegret Noble. Cheftherapeutin“ eingeblendet.
Im Hintergrund hört man leise Gespräche.
Annergret:
„Wir haben im Moment den erwarteten Widerstand, die Kinder
wissen nicht genau, was sie erwartet und ich denke, dass können
sie auch nicht wissen, bis sie 's wirklich erleben und das ist auch
in Ordnung.“
F1, 1:18:28 – 1:18:33
Zuerst Großaufnahmen von den Füßen der Jugendlichen. Dann schwenkt die
Kamera hoch, bis sie in der amerikanischen Einstellung zu sehen sind. Mit
großen Rucksäcken und Wanderstöcken laufen sie hintereinander her durch die
Wüstenlandschaft.
Laute Rockmusik im Hintergrund.
Sprecher:
„Die Teenager wissen nicht, wie lange sie heute laufen müssen
und wohin die Reise geht.“
Annegret Noble bemerkt zwar den Widerstand der Jugendlichen und sieht diesen auch
im Zusammenhang mit deren Informationsdefiziten bezüglich des weiteren Verlaufs des
Programms, die Frage, warum man die Beteiligten nicht aufklärt, um ihnen ihre Ängste
zu nehmen und die Situation zu entschärfen, bleibt jedoch unbeantwortet. Die Betreuer
verpassen somit die Chance, die Jugendlichen von dem Projekt zu überzeugen und
ihnen die Möglichkeit zu geben, sich mit der Maßnahme zu identifizieren.
Viele
weitere Szenen belegen, was der Sprecher hier erwähnt: Die Jugendlichen werden nicht
über das, was auf die zukommt, informiert. Marlies Luepges erklärt die
dahinterstehende Überlegung:
F2, 43:41 – 43:58
Die Teenager werden zuerst mit ihrer Wanderausrüstung im Halbkreis stehend
gezeigt. Dann verkleinert sich diese Aufnahme zu einem Kasten auf der rechten
Seite des Bildes. Links erscheint ein Kasten mit Marlies Gesicht in
Großaufnahme. Dieser Kasten wächst während ihrer Worte, bis er schließlich
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das ganze Bild füllt. Unten links erscheint die Information „Marlis Luepges.
Betreuerin“.
Marlies:
„Ich .. erwarte, dass sie überrascht sein werden, wenn sie sehen,
dass Dzeneta nicht mehr mit ihnen dabei ist, ich nehme an, dass
auch ’n bisschen ’n Schockeffekt haben könnte, das erhoffen wir
uns eigentlich auch, damit sie schon wissen, dass wir, wenn
Jugendliche nicht so mitmachen wie wir uns das erwünschen,
dass es auch Konsequenzen hat.“
Frau Luepges erläutert, dass sich die Professionellen sogar erhoffen, dass die
Jugendlichen geschockt sind und sich aus Angst angepasst verhalten. Von einer
Beteiligung der Jugendlichen wird also sehr bewusst Abstand genommen, um
überraschend und unerwartet handeln zu können. Dieses Verhalten wird wahrscheinlich
dazu führen, dass die Jugendlichen eine abwartende und abweisende Haltung
einnehmen, da sie immer wieder neue, unangenehme Überraschungen befürchten
müssen. Dass dieser Zustand der Ungewissheit für die Jugendlichen belastend und
beängstigend ist, beweist folgendes Zitat:
F4, 26:46 – 26:54
Situation: Die Jugendlichen sollen beim so genannten 'Solo' einige Tage völlig
allein in ihren Zelten verbringen, die weit voneinander entfernt stehen.
Pascal sitzt im Schatten eines Baumes mit angezogenen Beinen auf dem Boden.
Am unteren Bildschirmrand wird „Pascal, 17 Jahre. Dealer“ eingeblendet.
Während er spricht wird Annegret Noble gezeigt, die hinter einem Lagerfeuer
sitzend die Tagebücher der Jugendlichen liest. Hierbei ist das Feuer, das sich im
Vordergrund befindet, scharf aufgenommen, Frau Noble unscharf.
Langsame Geigenmusik im Hintergrund.
Pascal:
(traurig) „Ja, hier das einsam sein, das ist schon scheiße. Ich
hoffe, dat dat nur zwei Monate sind, nicht drei“
Die Jugendlichen geben in Interviewsequenzen immer wieder an, wie einsam, isoliert
und deprimiert sie sich während der Zeit des „Solos“ fühlen. Die Information, für
welchen Zeitraum diese Phase geplant ist, würde ihnen helfen, sich auf die Situation
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einzustellen. Im Gegensatz zu dem Zuschauer, der weiß, dass das Solo auf wenige Tage
beschränkt ist, sind die Teenager völlig ahnungslos. Pascal geht sogar von zwei bis drei
Monaten aus, was für ihn eine beängstigende Vorstellung sein muss. Diese völlige
Unklarheit über den Verlauf der nächsten Tage, Wochen und Monaten macht die
Jugendlichen abhängig und machtlos und schließt jegliche Partizipation aus.
F4, 15:45 – 15:57
Situation: Nach Andreas' Fluchtversuch haben sich die Betreuer über
Konsequenzen für diesen Regelverstoß unterhalten. Marlies kommt nun mitten
in der Nacht in Andreas Zelt und verlangt von ihm, alles in 15 Minuten zu
packen und abzubauen.
Marlies kniet vor Andreas' Zelt und schaut zu ihm hinein. Andreas liegt in
seinem Schlafsack, hat sich auf einen Arm aufgestützt und schaut Marlies
verschlafen an. Um die beiden herum ist es dunkel.
Im Hintergrund hört man sehr leise Gitarrenmusik.
Marlies:
(sehr bestimmt) „Ich möcht, dass du alles packst und dich zum
Schluss auf den Rucksack setzt und da auf uns wartest. Keine
Fragen, 15 Minuten, du bist immer noch auf Solo, du kannst nicht
mit uns sprechen. Wir sprechen!“
F3, 3:59 – 4:08
Situation: Dzeneta wurde von der Gruppe getrennt und soll nun alleine wandern.
Neben Marlies begleitet sie noch eine neue Mitarbeiterin, die Marlies Dzeneta
vorstellt.
Eine Aufnahme von Tanja, die mit einem großen Rucksack bepackt im Feld
steht und lächelt. Dann sieht man Marlies und Dzeneta, ebenfalls mit ihren
Wandersachen, gefolgt von einer Detailaufnahme von
Dzenetas lachendem
Gesicht, das zur Hälfte von ihrem Sonnenhut bedeckt ist.
Marlies:
„Da drüben ist die Tanja.“
Dzeneta:
„Wir wandern zu dritt oder wie?“
Marlies:
„Psch! Ich möcht als erstes, möchte ich, dass du still bist. ... Du
wirst nur dann sprechen, wenn wir das sagen.“
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Dzeneta:
(grinst und lacht tonlos vor sich hin, schüttelt dabei ungläubig
den Kopf).
Diese Szenen zeigen, dass die Jugendlichen in manchen Situationen nicht nur keine
Informationen bekommen, sondern dass ihr Wunsch nach Auskunft sogar unterdrückt
wird, indem ihnen das Sprechen und somit das Nachfragen verboten wird. Eine
Partizipation ist somit vollkommen ausgeschlossen und das unterste Ende der
Partizipationsleiter ist erreicht.
Die Jugendlichen selbst, in diesem Fall Kevin, beklagen immer wieder das mangelnde
Mitspracherecht:
F2, 31:31 – 31:34
Links im Bild befindet sich ein Kasten mit Kevins Gesicht, das halb unter seiner
Mütze verschwindet, in „Detail“-Aufnahme. Im rechten Kasten sieht man ihn
mit einer Kappe in „Groß“, als er gerade ein Interview gibt. Bei beiden
Aufnahmen weint er.
Kevin:
„Das ist hier schlimmer als im Knast. Die zwingen mich zum
kochen obwohl ich keinen Hunger habe, zwingen mich zu
trinken, obwohl ich keinen Durst habe.“
Obwohl es verständlich ist, dass Kevin in der Wüste aufgrund der klimatischen
Bedingungen und körperlichen Anstrengungen ausreichend essen und trinken muss,
sollten die Professionellen ihm diese Notwendigkeit erklären, statt ihn einfach zur
Nahrungsaufnahme zu zwingen. Für Kevin scheint das Verhalten der Betreuer somit
eine willkürliche Gemeinheit zu sein, deren einziger Sinn es ist, Regeln durchzusetzen.
Ohne die nötigen Informationen kann nicht von Partizipation gesprochen werden.
Die folgenden beiden Szenen zeigen Situationen, die auf der Partizipationsleiter einen
Grad höher, also bei der Therapie, einzustufen sind.
F1, 28:22 – 28:56
Situation: Es ist der Ankunftstag und Vivien will unbedingt wieder nach Hause.
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Sie sitzt an die Wand gelehnt auf dem Betonboden eines Kellerraumes. Neben
ihr sitzt ein Mann, links im Bild kniet Annegret Noble. Vivien hat ein rotes
Gesicht, verquollene Augen, sie schreit und weint, sie hyperventiliert fast.
Vivien:
(schreit) „Ich will hier weg und zwar sofort!“
Annegret:
„Ich denke, du hast ein bisschen u n realistische Erwartungen im
Moment, weil deine Entscheidung...“
Vivien:
„Das ist mir jetzt so scheißegal, was sie denken, ich will einfach
nur noch nach Hause und darum soll sich jetzt irgendjemand
drum kümmern, damit ich hier weg komm- (schluchzt) komme.“
Annegret:
„Wie gesagt, Deine Entscheidung ist wirklich mehr, ob du dich
jetzt umziehst oder später.“
Vivien:
(brüllt) „Ich zieh mich gar nicht um. Ich will einfach nur nach
Hause, warum begreifst du das nicht?“ (schluchzt laut)
Annegret:
(seufzt) „Sieht so aus, als ob ich dir im Moment nicht helfen kann.
Es tut mir leid.“ (Steht auf und geht)
Vivien äußert klar ihre Vorstellungen, sie will das Projekt abbrechen und zurück nach
Hause fliegen. Annegret Noble gibt ihr zwar die Gelegenheit, darüber zu sprechen, mit
den Worten „du hast ein bisschen unrealistische Erwartungen im Moment“ macht sie
jedoch deutlich, dass Viviens Meinung bei den Entscheidungen nicht berücksichtigt
wird, da sie nicht ernst zu nehmen ist. Diese Abwertung führt bei Vivien zu Wut und
Verzweiflung, da sie merkt, dass sie an ihrer Situation nichts verändern kann und von
den Professionellen völlig abhängig ist. Das könnte dazu führen, dass sie in Zukunft
alles einfach über sich ergehen lässt und sich unterordnet. Diese Form der erlernten
Hilflosigkeit würde selbständige Aktivitäten ihrerseits und somit die Möglichkeit, sich
zu entwickeln, verhindern.
F4, 12:44 – 12:56
Links im Bild ist ein Kasten mit einer Großaufnahme von Annegret Noble, die
ein Interview gibt. Im Kasten rechts sieht man Pascal auf sein Zelt zugehen. Ein
männlicher Betreuer beobachtet ihn dabei und ruft ihm etwas zu. Dann
vergrößert sich der Kasten mit Annegrets Kopf, bis er den gesamten Bildschirm
ausfüllt. Einblende: 'Annegret Noble. Cheftherapeutin.“
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Annegret:
(leicht grinsend) „Wir geben ihnen .. das, was sie brauchen, nicht
unbedingt das, was sie wollen, damit sie lernen, was wirklich
wichtig im Leben ist. Und wir vermitteln ihnen Einsichten, die
ihnen helfen, sich selbst und ihr Leben besser zu verstehen.“
Mit den Worten „das, was sie brauchen, nicht unbedingt das, was sie wollen“ unterstellt
Annegret Noble, dass sie die Bedürfnisse der Jugendlichen besser einschätzen kann, als
diese selbst. Des Weiteren behauptet sie, dass die Heranwachsenden sich selbst und ihr
Leben nicht, oder zumindest nicht richtig, verstehen. Sie geht davon aus, dass die
Teenager nicht dazu in der Lage sind, eigene, für sie richtige Entscheidungen zu treffen
und rechtfertigt so, dass sie ihnen diese abnimmt.
Die folgenden Szenen stehen beispielhaft für Situationen, in denen den Jugendlichen
schon ein größeres Maß an Partizipation zugesprochen wird. Es handelt sich um die
Stufe der Quasi-Beteiligung.
F1, 29:40 – 29:55
Situation: Stacey will sich nicht umziehen.
Sie hockt in einem Raum an eine Wand gelehnt, Marlies Luepges befindet sich
neben ihr, sie hat ihre Hand auf Stacey Schulter gelegt. Im Hintergrund ist ein
Mann zu sehen. Zwischendurch wird Staceys Gesicht im Detail gezeigt, sie
weint.
Marlies:
„Du brauchst die Klamotten, die du brauchst, um da draußen dich
wohl zu fühlen.“
Stacey:
„Und noch mal, ich habe auch gesagt, ich möcht nicht in der
Wildnis. Alles... (murmelt weiter)
Marlies:
„Okay. Das ist alles, was ich dir zu sagen habe. Das ist alles.“
(steht auf und geht)
Stacey:
„Ja siehst du, du gehst jetzt weg und kener hört mir zu.“
(schluchzt)
Marlies Luepges erklärt Stacey, dass sie für das Leben in der Wildnis besondere
Kleidung braucht. Da sie sich jedoch nicht auf eine Diskussion mit ihr einlässt, handelt
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es sich nicht um Beratung sondern lediglich um die unterste Stufe der QuasiBeteiligung, um Information. Die Entscheidung bleibt nach wie vor bei den Betreuern.
F3, 34:25 – 34:36
Situation: Die Jugendlichen nehmen an einer Therapiestunde zum Thema
Drogen teil. David hat dazwischen gesprochen und musste den Kreis verlassen.
Kami fordert ihn nun auf, so nah an die Gruppe heran zu kommen, dass er
zuhören kann.
Der Teenager sitzt fernab der Gruppe auf dem Boden, schaut nach unten und
spielt mit einem Stock. Kurz werden die anderen Jugendlichen eingeblendet, die
in einem Halbkreis zusammen sitzen.
Kami:
„Ich denke diese Gruppe ist für dich sehr wichtig und ich möchte,
dass du auch da rüber gehst und es dir zuhörst.“
David:
(genervt) „Boah ey, siehste, dat verstehst du schon wieder gar
nich, wat soll ick denn da (zeigt mit dem Stock in Richtung
Gruppe) machen, wenn ick da noch nichtmals was sagen darf?“
Auch in der Therapiestunde handelt es sich um die Stufe der Information, denn die
Jugendlichen werden aufgeklärt, äußern dürfen sie sich jedoch nicht. Hier wird sehr
deutlich, dass David das nicht ausreicht. Er möchte nicht nur zuhören, was die
Erwachsenen zu sagen haben, er möchte sich beteiligen und diskutieren, da er sonst
keinen Sinn in dieser Runde sieht.
F1, 22:13 – 22:39
Situation: Die Jugendlichen haben erfahren, dass sie während der Therapie nicht
rauchen dürfen.
Stacey und Kami Schott stehen sich in einem weißen Kellerraum gegenüber.
Stacey, die Arme in die Seiten gestemmt, sieht man seitlich im Vordergrund,
Kami Schott mit vor der Brust verschränkten Armen frontal etwas weiter hinten.
Stacey:
(die Tonlage eine Mischung aus gereizt und verzweifelt): „Ich bin
abhängig. Das weiß ich. Ich werd aggressiv ohne Nikotin.“
Kami:
(nickt dabei ruhig, fast gelangweilt und mit geschlossenen Augen)
„Hmm.“
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Erst Detailaufnahme von Staceys Gesicht, sie scheint mit den Tränen zu
kämpfen. Dann zoomt die Kamera heraus, so dass man auch Frau Schott sehen
kann. Beide hocken mittlerweile gegen die Wand gelehnt am Boden.
Kami:
„Ich weiß, dass hier in dem Programm kein, kein Rauchen, kein
gar nichts eigentlich erlaubt ist, das ist nicht was persönliches
gegen dich, oder…“
Stacey:
(unterbricht sie, fährt etwas lauter fort) „Das ist mir egal! Ich
mach ohne Nikotin nischt (schnieft). Und somit ist die Therapie
für mich abgebrochen.“ (Stacey schaut vor sich hin, an Kami
Schott vorbei).
Kami:
(untersucht vor und nach dem Sprechen ihre Fingernägel,
gestikuliert während ihres Satzes jedoch mit den Armen) „Also
für dich ist das wirklich unvorstellbar, ne, geht nicht.“
Stacey:
„Geht nicht. Es geht nicht ohne Nikotin, ich werd aggressiv und
kann mich selber nicht mehr kontrollieren.“ (Sie schaut zu Frau
Schott, doch diese dreht ihren Kopf weg).
Einige Sekunden Schweigen.
Im Hintergrund Töne eines Streichinstrumentes, die Unheilvolles anzukündigen
scheinen.
Auch in dieser Szene handelt es sich um Quasi-Beteiligung, aber schon um die etwas
höhere Stufe der Beratung. Kami Schott diskutiert mit Stacey, hört sich geduldig an,
was sie zu sagen hat und teilt ihr offen und ehrlich mit, dass ihre Wünsche leider
aufgrund der vorherrschenden Regeln nicht berücksichtigt werden können („Ich weiß,
dass hier in dem Programm kein, kein Rauchen, kein gar nichts eigentlich erlaubt ist,
das ist nicht was persönliches gegen dich, oder…“). Die Entscheidung bleibt zwar bei
den Betreuern, eine Diskussion mit der Jugendlichen wird jedoch zugelassen.
In der folgenden Situation lässt sich eine Entwicklung von Manipulation bis zur Stufe
der Wertschätzung beobachten:
F1, 23:50 – 24:06, 24:36 – 24:55
Situation: Dzeneta soll ihre Kleider ausziehen und ihre Wertgegenstände
abgeben.
Sie befindet sich in einer weißen Kammer, Marlies Luepges steht davor und
schaut zu Dzeneta rein. Die Kamera filmt über Marlies Schultern hinweg, so
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dass man Dzeneta aus der Froschperspektive erst in der „Halbtotalen“, dann in
der „amerikanischen“ Einstellung sieht.
Man hört langsames Paukenschlagen, das fast gruselig wirkt.
Marlies:
„Du wirst alle deine Klamotten hier lassen. Nix von deinem alten
Leben kannst du mitnehmen außer dir selbst.“
Dzeneta:
(grinsend) „Ach echt.“
Marlies:
(klatscht in die Hände) „Wie siehts denn aus? Möchtest du, bist
du parat, die Schuhe auszuz i e h e n, oder die, die äh…(Dzeneta
zieht ihre Schuhe aus, und Marlies steckt sie in einen großen
Beutel) .... So.“
Etwas später: Dzeneta will ihr Mobiltelefon nicht abgeben.
Marlies:
„Das ist auch wieder ein riesen Risiko. Wenn du das mit ins Feld
nimmst...“
Dzeneta:
„Hm?“
Marlies:
(schüttelt den Kopf) da kann ich nicht garantieren, dass das ganz
bleibt.“ (Sie hält Dzeneta eine Tüte hin, in die sie das Handy
werfen soll.)
Dzeneta:
(grinst) „Mann, mein Handy!“
Marlies:
„Ich verst...“
Dzeneta:
(jammert gespielt, schaut auf ihr Handy) „Hmmm...“
Marlies:
(freundlich, ermutigend) „Komm schon! Du kannst das!“
Dzeneta:
(atmet tief aus, schüttelt den Kopf, lächelt nicht mehr)
Marlies:
„Befrei Dich!“
Dzeneta:
(wirft das Handy in die Tüte) „Ihr seid so asozial! Ich schwör auf
meine Mutter“
Marlies:
(anerkennend) „Puh! Das ist ein großer Schritt!“
Marlies Luepges erste Worte „Du wirst…“ machen eigentlich deutlich, dass der weitere
Verlauf schon feststeht und keine Verhandlungen möglich sind, womit es sich um die
Partizipationsstufe Manipulation handelt. Dann wird Dzeneta jedoch gefragt, ob sie sich
umziehen möchte, ob sie „parat“ ist, was eine Diskussion erlauben würde. Da man nicht
weiß, wie Frau Luepges auf Widersprüche von Dzeneta reagiert hätte, lässt sich die
genaue Stufe der Partizipation nicht bestimmen. Als sie ihr jedoch erklärt, warum sie ihr
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Mobiltelefon nicht mit in die Wüste nehmen sollte, handelt es sich um die InformationsStufe. Durch das gute Zureden und das Lob am Ende dieser Sequenz wird deutlich, dass
Marlies Luepges um Dzenetas Zustimmung bemüht ist. Würde es das weitere Vorgehen
beeinflussen, wenn die Jugendliche die Forderungen der Betreuerin ablehnte, wäre diese
Szene der Stufe Wertschätzung zuzurechnen.
Die nachstehenden Szenen zeigen Situationen, in denen den Jugendlichen echte
Partizipation zugesprochen wird.
F1, 25:30 – 25:55, 26:22 – 26:36
Situation: Dzeneta soll sich komplett entkleiden, in die Hocke gehen, die Arme
hochhalten und sich einmal um 360 Grad drehen.
Man sieht abwechselnd Marlies, die vor einer Kammer steht und Dzeneta, in
einer „Nah“-Einstellung, die sich in der Kammer befindet.
Langsame Töne einer E-Gitarre und eines Schlagzeugs im Hintergrund.
Marlies:
„Und Dzeneta?“
Dzeneta:
„Nein!“
Marlies:
„Ich kann Dir sagen...“
Dzeneta:
„Ich mach das nicht!“
Marlies:
(schaut Dzeneta intensiv an und atmet schwer aus) „So leid es
mir tut, du wirst es machen müssen.“
Dzeneta:
„Ich werd's nicht machen.“
Marlies:
„Entweder jetzt hier .. oder später, in einem weniger ..
angenehmen Umfeld.“
Dzeneta:
„Ich mach es nicht, nein. .. Das geht aber wirklich nicht, ich
mein's ernst.“
Marlies:
„Das wird schwierig, hm?“
Dzeneta:
„Eh, es wird nicht, es wird einfach nicht gehen!“
Etwas später:
Marlies:
„Kannst du dir vorstellen, deinen, deinen BH auszuziehen, in,
wenn du mir den Rücken zudrehst? Und den neuen anzuziehen?“
Dzeneta:
(grinst ein wenig) „Das ist hier echt .. psychisch krank.“
Marlies:
(strahlt, als sie Dzeneta den neuen BH reicht) „Danke schön!“
Dzeneta:
„Ihr seid voll krank, ich hasse euch, woa?“
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Marlies Luepges informiert Dzeneta eingehend darüber, wie sie sich beim Entkleiden zu
verhalten hat. Mit den Worten „So leid es mir tut, du wirst es machen müssen.“, teilt sie
ihr mit, dass Dzenetas Meinung nicht berücksichtigt werden kann. Sie zeigt jedoch
Verständnis und ist um die Zustimmung der Jugendlichen bemüht. Hiermit würde es
sich also nur um „Quasi-Beteiligung“ handeln. Dann ändert Frau Luepges allerdings die
Regeln und schlägt Dzeneta vor, ihr den Rücken zuzudrehen, während sie ihren BH
auszieht. Die Jugendliche hatte somit Einfluss auf die Entscheidung der Betreuerin. Da
Dzeneta dieses Angebot annimmt, handelt es sich um eine partnerschaftliche
Aushandlung. Obwohl sie noch etwas herumschimpft, kann man davon ausgehen, dass
beide Parteien mit der Lösung zufrieden sind. Dass Marlies mit diesem Vorgehen
Dzeneta dazu bewegen kann, ihre Sachen auszuziehen, zeigt, dass die Jugendliche dazu
bereit ist, sich auf das Programm einzulassen, wenn ihre Bedürfnisse und Wünsche
berücksichtigt werden.
F3, 11:39 – 11:56
Situation: Dzeneta ist schon ein großes Stück gewandert und soll nun
entscheiden, ob sie noch weiter wandern möchte.
Abwechselnd werden Dzeneta und Marlies in verschiedenen Einstellungsgrößen
gezeigt, die gegenüber voneinander auf dem Boden hocken.
Marlies:
„Variante eins .. ist, dass wir .. hier ne kurze Pause machen .. und
weiter wandern, oder Variante zwei wäre, dass wir hier unser
Nachtlager aufschlagen .. u n d, ähm, dann morgen aber umso
weiter laufen müssen.“
Marlies Luepges fragt Dzeneta, ob sie weiter wandern oder ihre Zelte aufstellen wollen.
Unterschwellig rät sie ihr zwar weiterzuwandern, letztendlich überläst sie ihr aber die
Entscheidung. Somit handelt es sich um die Delegation von Entscheidungskompetenzen
an die Jugendliche und die zweithöchste Stufe der Partizipationsleiter.
F1, 58:14 – 58:52
Situation: Dzeneta will keinen Sonnenhut tragen.
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Dzeneta und Annegret stehen in der prallen Sonne auf einem staubigen Weg in
der Wüste, die Kamera schwenkt während des Dialoges zwischen den beiden hin
und her. Im Hintergrund ist ein Mann zu sehen.
Heavy-Metal-Klänge als Hintergrundgeräusche.
Annegret:
„Das Problem ist, dass du was auf dem Kopf haben musst, weil
die Sonne dich sonst krank macht.“
Dzeneta:
„Die macht mich nicht krank!“
Annegret:
„Wenn du irgendwas Kreatives findest, um dir das auf den Kopf
zu packen, hab ich kein Problem...“
Dzeneta:
„Ich setz mir doch keine Scheiße auf den Kopf!“
Annegret:
„Kein Problem damit, du musst was auf dem Kopf haben. Wenn
du keine Verantwortung für dein Leben übernimmst, dann werden
wir es tun. Und ich geb dir jetzt zwei Minuten dir da was
auszudenken, wenn du in dein Zelt gehen willst...“
Dzeneta:
„Nein, ohne scheiß, ich will nichts. Nein!“
Annegret:
„Und dir was überlegen möchtest...“
Dzeneta:
„Nein.“
Annegret:
„Dann kannst du es gerne machen...“
Dzeneta:
„Nein.“
Annegret:
„ Du hast jetzt zwei Minuten...“
Dzeneta:
„Nein.“
Annegret:
„Und danach ist dann deine Entscheidung entweder du hast dir
was ausgedacht, oder wir übernehmen's“
Dzeneta:
„Ne.“
Annegret:
„Okay. Zwei Minuten.“
Dzeneta:
„Ich hab mir aber nix ausgedacht und ich denk mir auch nix aus“
Da Dzeneta sich weigert, einen Sonnenhut zu tragen, gibt Annegret Noble ihr die
Möglichkeit, sich eine andere Kopfbedeckung auszudenken. Frau Noble besteht jedoch
darauf, dass Dzeneta überhaupt etwas aufsetzt und lässt ihr nicht die Wahl, sich
ungeschützt in der Sonne aufzuhalten. Daher handelt es sich auch hier um die
Delegation von Entscheidungskompetenzen an Dzeneta. Sollte sie sich jedoch weigern,
diese Möglichkeit wahrzunehmen, macht Frau Noble ihr mit den Worten „oder wir
übernehmen's“ klar, dass ihr dann jedes Mitspracherecht genommen wird.
61
F1, 27:18 – 27:24
Situation: Dzeneta soll sich zwischen zwei Sonnenhüten für einen entscheiden.
Sie und Marlies befinden sich beide im Bild, die Einstellung ist „Amerikanisch“.
Dzeneta:
„Ich werd sowas nicht anziehen. Iiiih!“
Marlies:
(freundlich abwehrend) „Okay, okay. Ich will dir nur, ich will nur
sicherstellen, dass du einen mit dabei hast.“ (Packt den Hut in
Dzenetas Tasche).
Die Entscheidung, welchen von zwei Hüten Dzeneta mitnehmen möchte, darf sie völlig
autonom treffen. Es handelt sich hierbei also um die höchste Stufe der
Partizipationsleiter. Als sie sich weigert, sich zu entscheiden, zwingt Marlies Luepges
sie nicht, sondern nimmt ihr die Entscheidung ab. Ob Dzeneta überhaupt einen Hut
mitnimmt, darf sie nicht frei entscheiden. Es handelt sich hier um einen sehr kleinen
und unbedeutenden Bereich, bei dem die Jugendliche autonom entscheiden darf. Es ist
meiner Meinung nach bezeichnend, dass diese Szene die einzige innerhalb der ersten
vier Folgen ist, die die Partizipationsstufe „Autonomie“ zeigt.
Die Analyse der Partizipationsmöglichkeiten hat gezeigt, dass die Jugendlichen bereits
an der Entscheidung, an diesem Projekt teilzunehmen, nicht beteiligt wurden. Häufig
werden sie zudem über wichtige Angelegenheiten während des Programms nicht
informiert, in manchen Situationen wird ihnen sogar das Nachfragen verboten. In diesen
Fällen ist Partizipation natürlich ausgeschlossen. In den sehr seltenen Szenen, in denen
es zu echter Beteiligung kommt, geht es leider fast ausschließlich um unwichtige
Entscheidungen. Die Mitsprachemöglichkeiten im hier vorgefundenen Umfang sind
eindeutig zu gering, um von einer dem Alter und Entwicklungsstand der Teenager
angemessenen Partizipation zu sprechen. Dass sie sich unter diesen Umständen auf das
Projekt einlassen und mit ihm identifizieren können, halte ich für unwahrscheinlich. Die
Wirkung der Interventionen und die Entwicklungschancen für die Jugendlichen sind
daher als gering einzuschätzen.
62
4.3 Beziehungen
Die persönlichen Netzwerke sind wichtige Ressourcen im Leben des Klienten. Eine
Aufgabe der sozialpädagogischen Arbeit ist es daher einerseits, ihm beim Aufbau
konstruktiver Beziehungen zu unterstützen und andererseits, selbst eine tragfähige
Beziehung zu ihm aufzubauen. Wie unter Punkt 2.3 bereits erwähnt, zählen neue
Integrationsmöglichkeiten im Lebensumfeld der Jugendlichen zu den wichtigsten Zielen
der erlebnispädagogischen Auslandsprojekte. Gerade weil den Jugendlichen der Serie
immer wieder Rücksichtslosigkeit im Bezug auf ihre Mitmenschen unterstellt wird,
scheint die Verbesserung ihrer Beziehungen ein wichtiger Ansatzpunkt. Stabile
Beziehungen sind außerdem eine Voraussetzung für das Erreichen eines höheren
Moralitätsniveaus. Die strafunabhängige Einhaltung von Regeln geschieht im ersten
Schritt einem wichtigen Menschen zu Liebe – man verhält sich regelkonform, um den
anderen nicht zu enttäuschen. Im Folgenden habe ich daher den pädagogischen Bezug,
die Elternarbeit und das Verhältnis der Jugendlichen untereinander betrachtet und daran
untersucht, ob die Professionellen bei „Teenager außer Kontrolle“ um die Wichtigkeit
persönlicher Beziehungen wissen und diese fördern.
4.3.1
Die Beziehungen zwischen den Professionellen und den Jugendlichen: Der
pädagogische Bezug
Nohl definiert den pädagogischen Bezug als „das leidenschaftliche Verhältnis eines
reifen Menschen zu einem werdenden Menschen, und zwar um seiner selbst willen,
dass er zu seinem Leben und zu seiner Form komme.“ (zit. n. Colla 1999, 348) Um
seiner selbst willen bedeutet hierbei, dass es um die Bedürfnisse des Jugendlichen gehen
muss und nicht um die Integrationsansprüche, die die Gesellschaft an den
Heranwachsenden stellt. Nohl ist davon überzeugt, dass ohne diesen Bezug alles Übrige
vergeblich bleibt. Auch Colla betont, dass „ein pädagogischer Bezug … Grundlage allen
pädagogischen Handelns ist.“ (ebd., 345), denn Jugendliche suchen Erwachsene, die sie
verstehen und sie so akzeptieren, wie sie sind. Es geht darum, „emotionale Stützung
durch gegenseitiges Geben und Erhalten von Zuneigung durch persönliche Offenheit,
Verständnis, Akzeptanz, Selbstachtung und Vertrauen zu geben, daneben soll eine
kognitive Unterstützung durch Information und Beiträge zur Entwicklung eines
kognitiven Rahmens zur Interpretation und Konstruktion von Realität ermöglicht
63
werden.“ (ebd., 354). Das Verhältnis basiert also auf einer Atmosphäre emotionaler
Verbundenheit und einem tiefen Vertrauen vom Heranwachsenden zum Erziehenden
und kann daher von diesem nicht erzwungen werden. Der pädagogische Takt, der sich in
einer bewussten Zurückhaltung aus Respekt vor der Intimsphäre des Jugendlichen und
seinem Wunsch nach Abgrenzung zeigt, ist außerdem unabdingbar. Nur durch diese
gewisse Distanz entsteht für den Heranwachsenden genügend Freiraum, um
Selbständigkeit entfalten zu können.
Ob von den Betreuern bei „Teenager außer Kontrolle“ versucht wird, eine auf
Akzeptanz, emotionale Wärme und Vertrauen basierende Beziehung aufzubauen, ob sie
Veränderungen um der Jugendlichen selbst willen und nicht aufgrund von
Integrationsansprüchen der Gesellschaft anstreben und ob sie pädagogisch taktvoll
handeln, möchte ich im Folgenden analysieren.
Analyse
Eine emotionale Wärme zwischen den Beteiligten ist die Grundlage eines positiven
pädagogischen Verhältnisses. Bereits im Kapitel über die Strafpraktiken wurde deutlich,
dass das Verhalten der Betreuer den Jugendlichen gegenüber leider oft streng und kalt
ist. Einige Beispiele seien hier noch einmal kurz aufgeführt:
F1, 49:26 – 49:59
Situation: Am ersten Abend des Programms sind Stacey und Dzeneta sehr
aufgebracht und beschweren sich bei Annegret Noble und ihren Kollegen.
Es ist Nacht und sehr dunkel, man sieht nur die beteiligten Personen, die
wahrscheinlich von Scheinwerfern angestrahlt werden. Stacey, eine gelbe
Regenjacke tragend und mit Stirnlampe auf dem Kopf, steht Annegret Noble
gegenüber und gestikuliert während sie spricht. Anschließend sieht man Stacey
meist in der Einstellung „Amerikanisch“. Die Kameraführung ist sehr unruhig,
was die Szene verwirrend und chaotisch erscheinen lässt.
Nervöses Ticken im Hintergrund.
Stacey:
(aufgeregt) „Ihr macht, ihr, ihr versucht, uns voll in irgend ne
Außenseiterposition zu bringen. So versucht ihr, uns zu erziehen,
aber ich bin nicht mehr zu erziehen, will ich dir mal sagen. (dreht
sich um und geht einige Schritte von der Gruppe weg)
Kris:
„Komm mal zurück! Es nervt mich langsam.“ (geht Stacey nach)
64
Stacey:
„Nein… Ich möchte, ich möchte nicht sein, ich möchte hier nicht
sein.“
Kris:
(laut) „Wir meinen das ganze ziemlich ernst!“
Stacey:
(aufgebracht und nörgelnd) „Ik werd hier nischt machen wat hier
gegen meinen Willen ist! (geht weiter weg) „Ich will doch hier
nicht…“
Kris Schock sagt etwas auf Englisch zu seinem Kollegen.
Stacey:
„Dann kann ich ja auch gleich hier…“
Kris kommt auf sie zu, packt sie.
Stacey:
„Hör’n se auf!“
Kris:
„Dann geh freiwillig!“
Stacey:
„Hau’n se ab von mir, ich schwör ihnen, ich hau ihnen sonst so
ein in die Fresse, Alter, sie bluten!“
Betreuer Dan und sein Kollege sprechen kurz miteinander, dann kommt auch der
Kollege auf Stacey zu, diese wehrt ihn mit einer Armbewegung ab.
Stacey:
„Hau ab! Fass mich nicht an, Alter, ich schwöre!“
Diese Szene steht als Beispiel für einige weitere, in denen statt mit den Jugendlichen zu
sprechen – und so eine respektvolle, warme Beziehung zu ihnen aufzubauen –
körperlich
hart
durchgegriffen
wird.
Sich
durch
körperliche
Überlegenheit
durchzusetzen, manchmal auch mit Hilfe anderer Betreuer, mag vielleicht die einfachste
Lösung sein, verhindert aber ein positives Verhältnis zwischen den Beteiligten. Die
Jugendlichen werden sich in solchen Situationen erniedrigt und übergangen fühlen, was
ihre heftigen Reaktionen auf diese Übergriffe beweisen.
F3, 3:59 – 4:08
Situation: Dzeneta wurde von der Gruppe getrennt und soll nun alleine wandern.
Neben Marlies begleitet sie noch eine neue Mitarbeiterin, die Marlies Dzeneta
vorstellt.
Eine Aufnahme von Tanja, die mit einem großen Rucksack bepackt im Feld
steht und lächelt. Dann sieht man Marlies und Dzeneta, ebenfalls mit ihren
Wandersachen, gefolgt von einer Detailaufnahme von Dzenetas lachendem
Gesicht, das zur Hälfte von ihrem Sonnenhut bedeckt ist.
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Marlies:
„Da drüben ist die Tanja.“
Dzeneta:
„Wir wandern zu dritt oder wie?“
Marlies:
„Psch! Ich möcht als erstes, möchte ich, dass du still bist. ... Du
wirst nur dann sprechen, wenn wir das sagen.“
Dzeneta:
(grinst und lacht tonlos vor sich hin, schüttelt dabei ungläubig
den Kopf).
Marlies Luepges verhält sich Dzeneta gegenüber in dieser Situation kalt und abweisend.
Mit dem Verbot zu sprechen stellt sie sich außerdem eindeutig über die Jugendliche und
verhindert so eine gleichberechtigte Beziehung. Verständlicherweise reagiert Dzeneta
verächtlich mit einem Grinsen und Kopfschütteln.
F4, 35:32 – 35:54
„Nahaufnahme“ von Staceys Gesicht, sie schaut unsicher und scheint mit den
Tränen zu kämpfen. Dann sieht man Marlies Luepges, die wild gestikulierend
und selbstbewusst vor der Jugendlichen steht. Abschließend schwenkt die
Kamera noch einmal zu Stacey zurück, die traurig zu Boden schaut und
zwischenzeitlich eingeschüchtert nickt.
Marlies:
(spricht sehr schnell, streng und unfreundlich) „Ich möcht, dass
du mit dem ganzen Firlefanz aufhörst. Das ganze „Danke“, das
viele Schwatzen und so weiter, ich hab dir das schon mal gesagt,
und ich sag das noch mal: Ich möchte, dass all das weg geht,
damit du dich auf solche wichtigen Sachen konzentrieren kannst!
Probier dich nicht einzuschleimen, probier dir hier keine Freunde
hier zu gewinnen, probier nur auf dich selber aufzupassen, damit
du die Sachen, die du machen musst, richtig machst.“
Meines Erachtens ist dieses Zitat von Marlies Luepges an Gefühlskälte nicht zu
übertreffen. Stacey, die ernsthaft bemüht ist, Beziehungen zu ihren Mitmenschen
aufzubauen und dabei die gemeinhin akzeptierten Regeln der Höflichkeit (wie ein
„Danke“) anwendet, muss diesen Ausspruch der Betreuerin wie einen Schlag ins
Gesicht empfinden. Marlies verlangt von dem Teenager, sich jegliche Freundlichkeiten
zu verkneifen, keine Freundschaften zu schließen und nur darauf zu achten, ihre
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Aufgaben zu erfüllen. Diese Aufforderung verhindert mit Nachdruck jegliche positive
Beziehung und somit auch einen pädagogischen Bezug.
Ich habe dennoch auch einige Szenen gefunden, in denen die Professionellen bemüht
sind, ein Verhältnis zu schaffen, dass auf emotionaler Wärme und Herzlichkeit beruht.
Auch hierfür seien einige Beispiele aufgeführt:
F1, 43:38 – 43:54
Situation: Bereits am ersten Abend des Programms unternimmt Pascal in der
Wüste einen Fluchtversuch. Betreuer Dan Coyle versucht, ihn zurückzuholen. Er
bekommt Pascal am Pullover zu fassen und hindert ihn so am Weglaufen.
Da es Nacht und damit sehr dunkel ist, sieht man meist nur Pascals roten
Pullover deutlich. Der Rest lässt sich bei unruhiger Kameraführung nur erahnen.
Aggressive und laute Rockmusik, die sich während der Szene in traurige
Gitarrenklänge verwandelt.
Pascal:
(weinend) „Lass mich los, ey“
Als Pascal stehen bleibt, lockert Dan seinen Griff und geht einmal halb um den
Jungen herum, so dass er ihn von der Seite anschauen kann. Seine Hand bleibt
sacht auf Pascals Schulter liegen.
Dan:
(ruhig) „Bitte! … Zurück. .. Zurück. Bitte.“
Pascal:
(schluchzt)
Dan:
(hält Pascal bei den Schultern, schaut ihm ins Gesicht) „Es ist
schwierig. Für alles. Ich weiß.“
Pascal schnieft, zieht sich seinen Pullover tief ins Gesicht, wahrscheinlich um
die Tränen vor der Kamera zu verstecken, und geht zurück. An seinem Zeltplatz
angekommen setzt er sich auf den Boden und Dan legt ihm fürsorglich den
Schlafsack um die Schultern.
Obwohl Dan Coyle aufgrund seiner geringen deutschen Sprachkenntnisse wenig redet,
wird deutlich, dass er sehr warmherzig mit Pascal umgeht. Er tritt bewusst mit ihm in
Kontakt, indem er ihm direkt in die Augen schaut und macht ihm mit ruhiger Stimme
klar, dass er ihn versteht, dass er nachvollziehen kann, dass die Umstellung schwierig
für ihn ist. Als Pascal aufgibt und Dans Ziel, ihn zurückzuholen eigentlich erreicht ist,
überlässt er den Jugendlichen nicht sich selbst, sondern zeigt ihm ohne Worte, dass er
sich um ihn kümmert und für ihn da ist, indem er ihm seinen Schlafsack um die
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Schultern legt. Mit wenigen Gesten gelingt es dem Betreuer also den Grundstein für
eine freundliche und herzliche Beziehung zu legen. Dass er mit diesem Vorgehen Pascal
sehr bald zum Umkehren bewegen kann, spricht für sich.
F2, 17:16 – 18:02
Vivien wird beim Wandern gezeigt. Teilweise ihr Kopf mit Oberkörper,
teilweise Detailaufnahmen ihrer Wanderschuhe auf staubigem Untergrund. Die
Einstellungsgröße wechselt häufig, die Kamera bewegt sich ständig.
Man hört leicht aggressive Rockmusik.
Sprecher:
„Vivien hat schon nach wenigen Metern keine Lust mehr und
fängt an, sich zu beklagen.“
Vivien:
„Oh, ich will n Rucksack a b s e t z e n!“
Annegret:
„Ham wer fast geschafft, Vivien!“
Vivien:
(jammert) „Ja, aber das wird mir zu schwer!“
Annegret:
„Du kannst es…“
Vivien:
„Das geht übelst auf die K n o c h e n…“
Annegret:
„Im Moment, ich versteh es, wir haben’s fast geschafft, hier ist ne
ganz schlechte Stelle.“ (nimmt Vivien bei der Hand und hilft ihr
den Abhang hinunter)
Sprecher:
„Das Jammern hat nichts gebracht – Vivien hat eine andere Idee:
Sie täuscht einen Sturz vor.“
Detailaufnahme von einem Fuß, der gegen einen großen Stein stößt. Vivien
stürzt.
Vivien:
„Hilfst du mir hoch, ich rutsch ganz runter sonst.“ (Vivien sitzt
einen Moment auf dem Boden, rückt ihren Sonnenhut wieder
zurecht)
Sprecher:
„Doch
Therapeutin
Annegret
zeigt
sich
von
Viviens
absichtlichem Sturz nicht besonders beeindruckt. Das Manöver
war zu durchschaubar. Vivien muss einsehen, dass sie hier, im
Gegensatz zu früher, mit Tricks nicht mehr durchkommt“
Kurt und Annegret helfen Vivien auf.
Vivien:
(erleichtert, schüchtern und freundlich) „Dankschön.“
Kurt:
„Bitte.“
Annegret:
„Stehste?“
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Vivien:
„Ja.“
In dieser Szene beklagt sich Vivien über die schwere Wanderung, doch statt sie zu
ermahnen, still zu sein, zeigt Annegret Noble Verständnis und spricht der Jugendlichen
Mut zu. Als Vivien stürzt, hilft ihr die Therapeutin auf und erkundigt sich im Anschluss,
ob Vivien jetzt sicher steht. Meiner Meinung nach handelt es sich hierbei um eine
warmherzige Situation, in der Vivien merkt, dass Annegret Verständnis hat und für sie
da ist, leider manipuliert der Sprecher die Wahrnehmung des Zuschauers durch seine
unpassenden Kommentare, die den Sturz des Teenagers als beabsichtigt darstellen und
ihre Schwierigkeiten bei der Wanderung auf mangelnde Lust zurückführen. Offenbar
wird hier – wahrscheinlich der Quoten wegen - versucht, positiven Szenen einen
negativen Beigeschmack zu geben und die Jugendlichen möglichst schlecht
darzustellen.
Auch durch ein kurzes Lob und eine freundliche Unterstützung bei Problemen lässt sich
emotionale Wärme in einer Beziehung herstellen:
F2, 21:25 – 21:36
Situation: Vivien hat Essen gekocht.
Sie sitzt im Schneidersitz auf einer Matte auf dem Boden, vor ihr stehen einige
Koch-Utensilien. Kris Schock hockt ihr gegenüber.
Ruhige Gitarrenklänge, die an eine Lagerfeuer-Situation erinnern.
Kris:
„Du hast alles im Griff. Super, bin stolz auf dich! Lass es dir
schmecken.“
Die Kamera zoomt Vivien heran, im Hintergrund sieht man Herrn Schocks
Füße, als er sich von Viviens Zeltplatz entfernt.
Vivien:
„Danke.
Kris:
„Bitte sehr.“
Vivien:
„Bin jetzt stolz auf m i c h.“ (macht ein stolzes Gesicht und klopft
sich auf die Brust)
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F3, 13:52 – 13: 54
Situation: Der erste Wandertag von Dzenetas „Quest“, bei dem sie gemeinsam
mit Marlies und Tanja einen großen Teil der bisherigen Strecke noch einmal
laufen muss, ist vorbei.
Dzeneta und die Betreuerin stehen mit ihren Rucksäcken und Stöcken bepackt
im Halbkreis.
Laute und fröhliche Rockmusik.
Marlies:
„Gut gemacht!“ (lacht, zupft Dzeneta freundlich an der Mütze und
streichelt ihr mit dem Daumen kurz über den Kopf)
Dzeneta:
(lächelt freundlich) „Dankeschön!“
F2, 33:40 - 34:06
Situation: Dzeneta schafft es nicht, ihren Rucksack aufzusetzen.
Die Kamera schwenkt in der „Totalen“ über die karge Landschaft bis zu
Dzeneta, die etwas abseits der anderen zwischen einigen Sträuchern steht. Aus
der Froschperspektive mit Blick auf die Sonne beobachtet man, wie Marlies den
großen Rucksack aufhebt und ihn Dzeneta aufsetzt.
Marlies:
„Dzeneta, du sagtest du brauchst Hilfe? (…..) Okay. (hilft
Dzeneta, den Rucksack anzuziehen) Wunderbar! Kannst du in die
Schleife reingehen?“
Dzeneta:
„Oh mein Gott!“
Marlies:
„Und klick das mal ein. Und jetzt geht’s drum, das zur Seite zu
ziehen und dabei kann ich dir auch gerne helfen.“
Dzeneta:
„Äh! Oh mein Gott, ich kann mich kaum bewegen!“
Marlies:
(lacht) „Du machst das ganz toll!“
Die ersten beiden Szenen zeigen, was man gemeinhin mit „wie man in den Wald hinein
ruft, so schallt es heraus“ umschreibt: Die Jugendlichen reagieren auf die freundlichen
Bemerkungen der Betreuer ebenfalls mit Freundlichkeit und es entsteht sofort eine
angenehme Atmosphäre. Die dritte Szene steht beispielhaft für einige weitere, in denen
die Betreuer entweder tatkräftig einschreiten und den Jugendlichen beim Packen oder
Kochen helfen, oder einfach ihre Unterstützung anbieten.
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Vor allem Annegret Noble gelingt es oft, den Jugendlichen liebevoll und mit echter
Wertschätzung für die vollbrachten Leistungen gegenüber zu treten:
F1, 1:08:13 – 1:08:28
Situation: David will weglaufen und betont immer wieder, dass er nach hause
muss, um sich um seine Mutter zu kümmern. Annegret versucht, ihn vom
Bleiben zu überzeugen.
Die beiden sitzen nebeneinander am Wegrand auf dem staubigen Boden, neben
ihnen liegt Davids Rucksack. Der Jugendliche hat seinen Kopf zwischen seinen
angezogenen Beinen vergraben, so dass man sein Gesicht nicht sieht.
Annegret:
(schaut David an, streichelt ihm mit der Hand über den Rücken)
„Ist doch in Ordnung, David. Ich find das wirklich wunderschön,
dass du dir solche Sorgen um deine Mama machst. (…) Ich hab
nur die Befürchtung, dass wenn du jetzt hier los läufst, dass du
deiner Mutter größere Sorgen machst als wenn du jetzt hier
bleibst.“
F4, 27:03 - 27:15, 27:50 - 27:59
Links im Bild gibt Annegret Noble ein Interview, rechts sieht man einen der
Jugendlichen seine Sachen zusammenpacken und im Anschluss daran
verschiedene Jugendliche, die einzeln hinter jeweils einem Betreuer einen Weg
entlanglaufen.
Leise Gitarrenklänge.
Annegret:
„Heute ist das Ende des Solos und wir werden die Jugendlichen
gleich abholen und dann ihren Erfolg feiern und das auch wirklich
ehren, was sie da vollbracht haben.
Etwas später:
Die Teenager sitzen mit den Betreuern zusammen auf Matten im Kreis. Die
Kamera filmt ihre Gesichter einzeln in „Großaufnahme“, als Annegret mit ihnen
spricht.
Leise, aber fröhliche Musik im Hintergrund.
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Annegret:
„Herzlich willkommen. Es ist wirklich heute ne Ehre hier bei
euch zu sein. Ihr habt ne tolle Leistung vollbracht in den letzten
Tagen.“
F3, 37:19 – 37:30
Situation: Dzeneta kommt von ihrem Teil der Wanderung, den sie allein
bewältigen musste, zurück und trifft auf die anderen.
Detailaufnahme von Dzenetas Gesicht, im Hintergrund sieht man Tanja und
Kris, die sie interessiert anschauen. Die anderen Teenager kommen, in einer
Reihe wandernd, auf Dzeneta zu. Am Schluss stehen alle zusammen im Kreis.
Man hört fröhliche, aber emotionale Musik, die immer lauter wird.
Dzeneta:
„Ich will hören was die jetzt sagen. Die Annegret. (lacht)“
Annegret:
„Wir freuen uns, dass du wieder da bist!“
Dzeneta:
„Dankeschön!“
Annegret:
„Wie freuen uns ganz doll, dass wir dich wieder haben.“ (lächelt)
Sowohl mit kleinen Gesten, wie zum Beispiel über den Rücken streicheln, als auch mit
verständnisvollen und anerkennenden Worten, baut die Therapeutin eine herzliche
Beziehung zu den Jugendlichen auf, die von diesen offensichtlich angenommen wird:
David lässt die Berührungen zu und Dzeneta ist bei ihrer Rückkehr gespannt auf die
Reaktion der Therapeutin. Das beweist, dass die Bemühungen der Professionellen, eine
ehrliche und positive Beziehung zu den Kindern aufzubauen, sich durchaus bezahlt
machen. Die Betreuer haben einen viel größeren Einfluss auf die Teenager, wenn diese
sie als wichtige Bezugspersonen anerkennen.
Neben der emotionalen Wärme bedarf es außerdem Akzeptanz und Verständnis. Die
Jugendlichen müssen sich mit all ihren Eigenschaften uneingeschränkt akzeptiert und
verstanden fühlen, um darauf vertrauen zu können, dass die Betreuer es gut mit ihnen
meinen. Es zeigt sich jedoch schon in der ersten halben Stunde der ersten Folge, dass
die Akzeptanz der bisherigen Lebensformen der Teenager sehr eingeschränkt ist:
72
F1, 23:46 – 23:56
Situation: Dzeneta soll ihre Kleider ausziehen und ihre Wertgegenstände
abgeben.
Sie befindet sich in einer weißen Kammer. Marlies Luepges steht davor und
schaut zu ihr rein. Die Kamera filmt über Marlies Schultern hinweg, so dass man
Dzeneta aus der Froschperspektive erst in der „Halbtotalen“, dann in der
„amerikanischen“ Einstellung sieht.
Man hört langsames Paukenschlagen, das fast gruselig wirkt.
Marlies:
„Was wir hier hinten machen ist: Neue Klamotten für dich. Du
wirst alle deine Klamotten hier lassen. Nix von deinem alten
Leben kannst du mitnehmen außer dir selbst.“
Mit dem Satz „Nix von deinem alten Leben kannst du mitnehmen außer dir selbst“
verdeutlicht Marlies Luepges, dass es sich bei dem Projekt um einen absoluten
Neuanfang handeln soll. Das Abgeben der persönlichen Kleidung und der
Wertgegenstände hat hier einen symbolischen Charakter: Mit dem „alten Leben“ soll
abgeschlossen werden, was gleichzeitig impliziert, dass es nichts Gutes daran gab, was
es zu behalten Wert wäre. Diese Abwertung wird mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu
beitragen, dass die Jugendliche sich eben nicht angenommen und akzeptiert fühlt. Da
immer wieder betont wird, dass es bei dem Projekt darum geht, die Jugendlichen zu
verändern und sie zu anderen oder besseren Menschen zu machen, verwundert es nicht,
dass ich keine Szene gefunden habe, in der eine uneingeschränkte Akzeptanz der
Jugendlichen und ihrer bisherigen Lebenssituationen sichtbar wird. Und auch das
Verständnis für ihre Bedürfnisse während des Projekts ist oft nicht zu erkennen:
F1, 1:21:00 – 1:21:22, 1:22:15
Situation: Es ist der erste Tag der Wanderung und Dzeneta möchte eine Pause
machen, da sie erschöpft ist. Als Marlies keine Pause im Sitzen erlaubt, wirft
Dzeneta ihren Rucksack zu Boden, läuft ein Stück von der Gruppe weg und setzt
sich auf den Boden. Die anderen Jugendlichen müssen mit den Rucksäcken
bepackt in der Sonne stehen und warten, bis Dzeneta weiter wandert.
Aufnahme von Marlies aus der Froschperspektive (etwa Dzenetas Perspektive,
da sie auf dem Boden sitzt). Dann schwenkt die Kamera erst zu Dzeneta
herunter, die weinend ihr Gesicht in den angezogenen Beinen und zwischen
73
ihren Armen vergraben hat und zum Schluss noch einmal zu Marlies zurück, die
dann, halb zu Dzeneta gebeugt, in der „amerikanischen“ Einstellung zu sehen
ist.
Marlies:
„Schau mir mal darüber bitte, (zeigt zur Gruppe) schau dir mal
die Gruppe an. Dzeneta?
Dzeneta:
(weinend) „Ich hab keinen Bock mehr, lass mich in Ruhe, Mann,
ich will nach Hause!“
Marlies:
(wütend und streng) „Dzeneta, du bist im Moment verantwortlich
für die ganze Gruppe!“
Dzeneta:
„Ich scheiß auf die ganze Gruppe und auf euch scheiß ich
genauso.“ (schluchzt)
Marlies:
„Die stehn, die stehn jetzt in der Sonne, im Moment haben sie
Wasser, aber die stehen da mit ihren Rucksäcken an,
währenddessen du hier sitzt. Ohne Rucksack.“
F2, 35:48 – 16:19
Situation: Dzeneta ist erschöpft und kann nicht mehr weiterwandern.
Sie steht weinend Marlies gegenüber abseits der Gruppe und hat ihren Rucksack
abgesetzt. Zwischenzeitlich werden Großaufnahmen der anderen Teenager und
Betreuer gezeigt, die mit ihrem Rucksack bepackt in der Sonne stehen und
warten.
Dzeneta:
(mit weinerlicher Stimme) „Ich kann nicht mehr. Nein. Ich lauf
auch nicht mehr…“
Marlies:
(unterbricht sie) „Dzeneta, bleib mal hier, bleib mal hier.“
Dzeneta:
„Ich lauf nicht mehr weiter! Fertig, aus. (setzt sich auf den Boden)
Ich bleib jetzt hier sitzen. Nein.“
Marlies:
(hockt sich daneben) „Dzeneta? Wie, wie du mit der, mit dem
Umziehen und wie auch mit den anderen Sachen wird sich hier
jetzt nix verändern. Unsere Destination ist gegeben, das Wasser
steht da jetzt da…“
Dzeneta:
(unterbricht sie verzweifelt, legt die Hände auf ihren Kopf) „Ich
kann nicht mehr! Hallo?! Ich kann nicht mehr, ich kack hier ab!“
Marlies:
(ruhig) „Was brauchst du von uns, Dzeneta?“
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Dzeneta:
„Ich will mich einfach nur hier hinsetzen, ich will hier bleiben.“
(schluchzt)
Marlies:
„Das geht nicht. Das wird unsere ganze Gruppe in, in Gefahr
bringen.
Dzeneta ist offensichtlich an die Grenzen ihrer körperlichen Belastbarkeit gestoßen und
teilt dies der Betreuerin auch offen mit. Mit weinerlicher, fast verzweifelter Stimme
erklärt sie Marlies, dass sie „nicht mehr kann“, sich hinsetzen und ausruhen möchte.
Statt darauf einzugehen und Verständnis zu zeigen, denkt Frau Luepges jedoch nur an
die Gruppe und das Tagesziel der Wanderung. Die einzelne Jugendliche nimmt sie hier
nur als Störfaktor wahr und schafft es nicht, ihre Bedürfnisse zu erkennen und zu
verstehen. Selbst wenn eine Pause tatsächlich nicht möglich wäre, würde es Dzeneta
wohl schon helfen, sich von Marlies verstanden zu fühlen. Eine Stärkung wie „Ich weiß
Dzeneta, es ist ganz anstrengend im Moment und ich sehe, wie sehr du kämpfst. Du hast
das bisher ganz toll gemacht. Trink mal in Ruhe einen Schluck und dann versuchen wir
zusammen noch ein Stück zu wandern.“, wäre mit großer Wahrscheinlichkeit
erfolgreicher als die Ermahnung, das Gruppenziel zu gefährden oder ihr die Schuld
dafür zu geben, dass die Gruppe nun mit ihren Rucksäcken bepackt in der Sonne stehen
muss. Dzeneta wird das Gefühl haben, nur als Teil der Gruppe wahrgenommen zu
werden und für ein Ziel zu arbeiten, dass mit ihr selbst eigentlich nichts zu tun hat. In
diesem Fall fällt das Aufgeben natürlich leicht. Auch in anderen Situationen wird sie
von den Professionellen einfach nicht verstanden:
F1,1:24:35 - 1:24:58
Situation: Im Gesprächskreis sollen die Jugendlichen nach einem schweren
Wandertag mitteilen, wie sie sich jetzt fühlen.
Die Gruppe steht mit den Wandersachen bepackt im Kreis, Dzeneta und die
anderen Beteiligten werden abwechselnd in verschiedenen Einstellungsgrößen
gezeigt.
Langsame und dramatisch wirkende, einzelne Töne.
Annegret:
„Dzeneta, wenn du uns n Gefühl geben könntest, dann…“
Dzeneta:
(unterbricht sie): „Scheiße!“
Annegret:
„Das ist kein Gefühl.“
Dzeneta:
„Ja und? Für mich is ein Gefühl.“
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Annegret:
„Okay. Bist du wütend, bist du frustriert, biste ängstlich?“
Dzeneta:
„Ich hab kein Bock mehr auf gar nichts hier.“
Annegret:
„Dzeneta, es würde jetzt wirklich helfen, wenn du uns n Gefühl
gibst, damit wir weiter machen können.“
Dzeneta:
(laut) „Aber mir geht’s scheiße! Was n Gefühl, Alter?!“
Marlies:
„Im Moment verlängerst du das Rumstehen mit dem…“
Dzeneta:
„Na und? Bockt mich kein Meter, mir geht’s scheiße und das
war’s.“
Dzeneta fühlt sich „scheiße“. In der Umgangssprache und vor allem in Dzenetas
bisherigem Umfeld wird das ein selbstverständlicher Ausdruck sein, bei dem jeder weiß,
was gemeint ist. Die Jugendliche gibt auf die Frage nach ihrem Gefühl aus ihrer Sicht
also eine ehrliche Antwort und ist verwirrt, als diese nicht akzeptiert wird. Für sie ist das
ein Gefühl, betont sie noch einmal und versteht nicht, was die Betreuer noch von ihr
wollen. Statt diese Äußerung hinzunehmen und zu verstehen, dass es Dzeneta einfach
schlecht geht, weil sie von der Wanderung erschöpft ist und sie den ganzen Tag Ärger
mit den Betreuern und den anderen Jugendlichen hatte, bestehen sie darauf, dass die
Jugendliche ihnen ein anderes Gefühl nennt. Leider aber nicht aus Interesse, warum
genau es ihr „scheiße“ geht, sondern damit der nächste in der Runde weitermachen
kann.
Dass es auch anders geht, beweist Kris Schock in folgender Szene:
F1, 34:50 – 34:59
Situation: Andreas soll bei Beginn des Programms seine letzte Zigarette
abgeben. Als er sich trotz der Bitten von Kris Schock weigert, kommt ein Mann
hinzu, der ihn packt und ihm die Zigarette abnehmen will. Nach einem kurzen,
für beide Seiten erfolglosen, „Kampf“ versucht Herr Schock doch noch einmal,
mit Andreas zu reden.
Die Kamera filmt über Kris Schocks Schulter hinweg Andreas, der in einer
weißen Kammer steht, und zoomt so lang heran, bis sein Gesicht in einer
„Detailaufnahme“ zu sehen ist.
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Kris:
„Ich meine, ich kann dich schon verstehen, es ist, es tut mir
w i r k l i c h leid. (langsame Gitarrentöne erklingen) Aber …., es
muss so sein.“
Andreas überlegt kurz und gibt ihm dann langsam die Zigarette, was von der
Kamera genau verfolgt wird.
Nach der vorangegangenen Eskalation zeigt Kris Verständnis für Andreas. In ruhigem,
ehrlichem und bedauerndem Ton erklärt er ihm außerdem, dass ihm die Umstände für
den Jugendlichen leid tun, er aber nichts daran ändern kann. Obwohl Andreas fest
entschlossen war, sich durchzusetzen, gibt er in Folge dessen nach, denn Kris erkennt
und akzeptiert Andreas’ Bedürfnisse. Der Jugendliche kann sich angenommen fühlen
und auf das Projekt einlassen.
Obwohl die Teenager in vielen Situationen nicht bedingungslos akzeptiert oder
verstanden werden, sollte eine Veränderung in ihrem Leben zumindest um der
Jugendlichen selbst willen angestrebt werden. Hier werden in der Sendung schon zu
Beginn der ersten Folge unterschiedliche Sichtweisen vermittelt:
F1, 2:45 – 2:55
Aus mehreren Perspektiven Aufnahmen der Teenager, in der Wüste in einer
Reihe stehend. Sie tragen dabei ihre Einheitskleidung (einfarbige, meist
neonfarbene T-Shirts, blaue Shorts und beige Sonnenhüte). Zwischenzeitlich
sieht man eine Detail-Aufnahme von Annegret Nobles Gesicht.
Im Hintergrund ertönt sehr harte Rockmusik.
Sprecher:
„Annegret Noble und ihre Crew stehen vor der großen
Herausforderung, aus diesen deutschen Teenagern wieder Töchter
und Söhne zu machen, vor denen sich ihre Eltern nicht mehr
fürchten müssen.”
F1, 3:25 - 3:32
Verschiedene Aufnahmen am Frankfurter Flughafen: Staceys weinendes Gesicht
in „Groß“, ein Schwenk durch das Flughafengebäude, Kevin der traurig zu
Boden schaut, David und sein Vater, die einen Gang entlang laufen, sowie eine
„Großaufnahme“ von Davids Gesicht.
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Rockmusik im Hintergrund.
Sprecher:
Das Programm in den USA ist der letzte Ausweg für die
Jugendlichen. Hier in Deutschland droht ihnen das Gefängnis
oder ein Leben auf der Straße.
Das erste Zitat legt nahe, dass die Veränderung von den Eltern der Teenager und nicht
von diesen selbst gewünscht wird. Eine halbe Minute später erklärt der Sprecher dann,
dass es der letzte Ausweg für die Jugendlichen selbst sei, da ihnen sonst ein Leben im
Gefängnis oder auf der Straße drohe. Abgesehen von diesen Kommentaren zeigt sich in
der Sendung leider häufiger, dass es nicht um den einzelnen Jugendlichen und seine
speziellen Bedürfnisse geht. Es gibt festgelegte Strukturen und ein Programm, das alle
Jugendlichen ungeachtet ihrer persönlichen Eigenschaften durchlaufen müssen. Dass
die Teenager durch solch vorgefertigte Rahmenbedingungen „zu ihrer Form kommen“
halte ich für sehr unwahrscheinlich. Meist geht es eben nur um das „Weiterkommen“
oder das Wohl der gesamten Gruppe:
F3, - 5:17
Marlies:
„Das heißt, wir werden jetzt mit dir trainieren, damit du dann
schneller wandern kannst und die Gruppe nicht mehr aufhältst in
der Zukunft.“
Dzenetas „Quest“ soll nicht sie persönlich weiter bringen, sondern dafür sorgen, dass sie
in Zukunft die Gruppe nicht mehr aufhält. Wie bereits in vorangegangenen Situationen,
bei denen Dzeneta wegen Erschöpfung nicht weiter wandern konnte deutlich wurde,
geht es nicht um sie selbst. Anstatt Dzeneta beispielsweise zu erklären, dass sie über
sich selbst hinaus wachsen kann und dann sehr stolz auf sich sein wird, wenn sie ein
weiteres Stück der Wanderung schafft, wird sie immer wieder an das Wohl der Gruppe
erinnert. Wo hierbei die Vorteile für die Jugendliche liegen – außer vielleicht zu
verhindern, dass die anderen wütend auf sie werden - bleibt völlig unklar. Dem
Zuschauer erklärt Marlies Luepges später:
F3, 25:21 – 25:39
Situation: Marlies bietet Dzeneta an, die Gruppe zu führen.
78
Aufnahmen
aus
verschiedenen
Perspektiven
und
in
verschiedenen
Einstellungsgrößen von Marlies und Dzeneta. Dann sieht man Marlies in
„Groß“,
ein
Interview
gebend.
Die
Worte
„Marlies
Luepges.
Expeditionsleiterin“ werden in einem roten Kasten eingeblendet.
Marlies:
„Wir möchten einfach nur ein, ein Beispiel setzen, vor allem auch
für die Dzeneta, dass sie das kann. Dass sie schnell wandern kann.
Dass sie auf sich aufpassen kann. Dass sie kommunizieren kann.
Es geht uns wirklich darum, dass sie das selbst mal erlebt. Dass
sie Erfolg hat und, dass wir nachher darauf zurückgreifen können,
als Erlebnis.“
Hierbei handelt es sich um die einzige Szene, in der explizit erwähnt wird, dass eine
Veränderung der Jugendlichen selbst wegen angestrebt wird. Viel häufiger sind Szenen
nach dem oberen Muster, bei denen es entweder um das Wohl der Gruppe, oder aber
den Veränderungswunsch der Eltern geht.
Ein weiterer kritischer Punkt ist das Vertrauensverhältnis zwischen den Jugendlichen
und Betreuern. Obwohl ein beiderseitiges Vertrauen als Bestandteil des pädagogischen
Bezugs elementar wäre, zeigen sich immer wieder Szenen, die ein großes gegenseitiges
Misstrauen erahnen lassen:
F3, 14:40 – 14:53
Nach einer „Großaufnahme“ von Marlies sieht man Dzeneta in ihrem Zelt sitzen
und ein Interview geben
Dzeneta:
„Die Marlies ist auf jeden Fall netter zu mir. Und, so lang die nett
ist bin ich auch nett. Ich hoffe, die .. macht dann nicht wieder
irgendwelche Faxen morgen oder so. (zieht die Nase hoch) Kann
man ja nie wissen, bei diesen Betreuern hier.“
Dzeneta hat das Gefühl, immer auf der Hut sein zu müssen. Sie stellt zwar erfreut fest,
dass sich Marlies ihr gegenüber netter verhält, erwartet jedoch eigentlich, dass auf
dieses Freundlichkeit etwas Unangenehmes folgt. Sie hat offensichtlich durch
vorangegangene Situationen, bei denen sich die Betreuer unberechenbar gezeigt haben,
79
gelernt, vorsichtig zu sein. Dass ihre Befürchtungen nicht unbegründet sind, zeigt der
folgende Ausschnitt:
F3, 6:30 – 7:03
Situation: Dzeneta wurde ausgeschlossen und muss ein großes Stück allein mit
zwei Betreuern wandern.
Die anderen Jugendlichen und Kris Schock stehen mit ihren Rucksäcken bepackt
im Kreis. Die Kamera schwenkt hin und her und filmt die Beteiligten.
Kris:
„Wir sind wie eine Familie, oder?“ (breitet die Arme aus)
Jugendliche: (murmeln)
Kris:
„Und wenn einer von uns Stress hat, oder Schwierigkeiten hat
oder so .. hat fast jeder von uns auch diesen Stress und diesen,
diese Schwierigkeiten, oder?“
Jugendliche: „Ja“
Kris:
„Das ist eigentlich so mit der Dzeneta ge, gewesen, oder? (…) Sie
hat
Schwierigkeiten,
wir haben
auch
mit
ihr ..
diese
Schwierigkeiten miterlebt, vor allem beim Wandern haben wir
das gesehen, oder?“ (nickt)
Jugendlicher: „Ja.“
Kris:
„Heute
sind
wir
ziemlich
schnell
gewandert
..,
aber
normalerweise, wenn sie dabei ist, gehen wir ziemlich langsam,
oder?“
Vivien:
„Ja.“
Kris:
„Okay.“
Während Dzeneta auf ihrem „Quest“ ist und feststellt, dass Marlies netter zu ihr ist,
hetzt Kris hinter ihrem Rücken die anderen Jugendlichen gegen sie auf. Als
Bezugsperson der Jugendlichen wäre es hingegen eigentlich seine Aufgabe, bei den
anderen um Verständnis für Dzeneta zu werben. Stattdessen betont er noch einmal, dass
das langsame Vorankommen an der Jugendlichen lag und die Gruppe ohne sie besser
dran ist. Durch dieses Verhalten bestätigt Kris, dass Dzenetas Misstrauen gerechtfertigt
ist.
Andererseits misstrauen die Betreuer auch den Jugendlichen:
80
F4, 3:16 – 3:25
Situation: Die Jugendlichen sollen beim so genannten 'Solo' einige Tage völlig
allein in ihren Zelten verbringen, die weit voneinander entfernt stehen.
Links im Bild sieht man Kris Schock, der ein Interview gibt, rechts sieht man
nacheinander Vivien und Pascal ihre Schuhe abgeben.
Im Hintergrund hört man sehr leisen Gesang mit Trommelgeräuschen.
“Kris:
„Wir nehmen die Schuhe und die Stirnlampe weg, damit die
Jugendlichen nicht einander besuchen können und dass sie nicht
weglaufen können.“
F4, 22:55 – 23:05
Situation: Als Strafe soll Andreas sein Zelt auf-, ab- und wieder aufbauen.
Nachdem er sich anfänglich geweigert hat, stimmt er jetzt zu, da er sonst die
ganze Nacht lang wach bleiben muss.
Da es mitten in der Nacht und sehr dunkel ist, erkennt man bei dieser Szene nur
wenig. Marlies und Kris beobachten Andreas, der seine Sachen zusammenpackt.
Sprecher:
„Die Betreuer wollen testen, ob Andreas wirklich nachgegeben
hat und ziehen die Maßnahme weiter durch. Noch trauen sie dem
Frieden nicht. Zu sehr hat sich Andreas bisher dem Programm
widersetzt.“
Es scheint, als erwarteten die Mitarbeiter zu jedem Zeitpunkt einen Regelverstoß der
Jugendlichen. Statt ihnen einen Vertrauensvorschuss entgegenzubringen und ihnen die
Möglichkeit zu geben, sich als vertrauenswürdig zu beweisen, versuchen die Betreuer
von Anfang an, alle Eventualitäten auszuschließen. Sie nehmen den Jugendlichen ihre
Sachen weg und testen sie, als wären sie gefährliche Kriminelle, die im Zaum gehalten
werden müssen. Meines Erachtens zeugt dieses Verhalten von einer großen Unsicherheit
seitens der Professionellen und verhindert zudem ein Sich-Einlassen auf den jeweils
anderen. Nur in zwei Situationen, in denen faktisch keine negativen Folgen zu erwarten
sind, wird den Jugendlichen ein wenig Vertrauen entgegengebracht, in dem man ihnen
Entscheidungen überlässt:
81
F3, 25:00 – 25:16
„Nahaufnahme“ von Marlies Luepges. Sie trägt ihre Wandersachen.
Marlies:
„Was hältst du denn davon (…), unsere Gruppe hier anzuführen?“
Die Kamera schwenkt zu Dzeneta herüber. Sie grinst ungläubig. Dann eine
Aufnahme eines langen Pfades, der durch die Wüste verläuft und am Horizont
verschwindet.
Dzeneta:
(nach einer langen Pause) „Ich weiß nicht. Das wär grad nicht
so… Also es würde langsamer dann gehen.“
Marlies und Dzeneta stehen nebeneinander, die Jugendliche schaut auf den
Boden und spielt mit ihrem Wanderstock.
Marlies:
„Denkst du?“
Dzeneta:
(nickt) „Ja.“
Marlies:
„Willst du’s mal probieren?“
Nur in Situationen, in denen das Risiko sehr gering ist, schaffen es die Betreuer, den
Jugendlichen zu vertrauen (vgl. auch S.59, F3, 11:39 – 11:56). Mit ihrem sonstigen
Misstrauen begünstigen sie ein angespanntes und kühles Verhältnis zwischen den
Beteiligten.
Neben den aktiven Aspekten des pädagogischen Bezugs ist in manchen Situationen
auch Zurückhaltung angebracht. Der pädagogische Takt verlangt von den Betreuern sich
zurückzuziehen, wenn die Jugendlichen nach Freiraum und Privatsphäre verlangen. Vor
allem in Situationen, in denen die Teenager von ihren Gefühlen übermannt werden und
einen Moment allein sein möchten, akzeptiert Annegret Noble diese Reaktion und
bestärkt sie sogar, sich diese Auszeiten zu nehmen:
F3, 17:37 – 17:41
Situation: Annegret hat aus dem Brief von Pascals Mutter vorgelesen. Dieser ist
währenddessen weinend aufgestanden und hinter sein Zelt gelaufen.
Zuerst eine Aufnahme in der „Totalen“. Man sieht Pascals Zelt in der Bildmitte,
um das Zelt herum ist nur Wüstenlandschaft zu erkennen. Frau Noble sitzt
davor, Pascal kommt zurück auf sie zu.
Die Szene wird von trauriger Klaviermusik untermalt.
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Annegret:
„Danke. Das ist total in Ordnung. Wenn du das noch mal machen
musst, machste das, okay?“
F4, 34:21 – 34:26
Situation: Pascal hat im Gesprächskreis von seinem Opa erzählt, ist in Tränen
ausgebrochen und ein Stück von der Gruppe weggelaufen.
Nach einer Rückenansicht des weinenden Pascals sieht man Annegret und den
Rest der Gruppe im Kreis stehen.
Annegret:
„Pascal! Ja super, nimm die ein paar Minuten und dann kommste
wieder.“
Frau Noble respektiert, dass Pascal sich zurückziehen möchte und versucht nicht, ihn
zum Bleiben oder zu Gesprächen zu überreden. Er kann in Ruhe weinen und traurig
sein, aber jederzeit zu Annegret zurück kommen, wenn er ein Gespräch oder tröstende
Worte sucht. Auch in anderen Situationen erklärt die Therapeutin den Jugendlichen
mehrmals, dass sie ihr mitteilen sollen, wenn sie mit einer Situation überfordert sind
und sich Auszeiten nehmen möchten. Dieses Vorgehen fördert die Entwicklung der
Jugendlichen, da sie nur durch eine Zurückhaltung der Professionellen lernen können,
selbstständig mit Situationen umzugehen. Außerdem zeigt es den Teenagern, dass ihre
Bedürfnisse respektiert werden und unterstützt somit ein positives Verhältnis zwischen
den Beteiligten.
In Situationen, bei denen die Teenager Empfindungen zeigen, hierfür aber allein sein
möchten, gelingt es Annegret also, sich zurückzuhalten. Anders verhält es sich, wenn
sich die Jugendlichen nicht auf ihre Therapie einlassen wollen und sich weigern, ihre
Gefühle preiszugeben. Beispielhaft sei die folgende Szene angeführt:
F4, 36:25 – 42:36
Situation: Die Teenager sollen im „Kreis der Wahrheit“ den anderen erzählen,
was sie bewegt.
Annegret und Stacey stehen nebeneinander, die anderen Teenager stehen um die
beiden herum.
Annegret:
„Okay Stacey, hast du was?“
Stacey:
“Muss ich?”
83
Annegret:
“Du musst nicht, ich fänd’s aber sehr schön, wenn du das Risiko
eingehen könntest.“
Stacey:
(atmet tief ein und aus) „Ich hab Angst, dass wenn meine Eltern
morgen in der Wüste kommen, (ihre Stimme beginnt zu zittern)
dass meine kleine Schwester vielleicht von ner Klapperschlange
gebissen wird oder so.“
Annegret:
„Okay.“
Annegret akzeptiert Staceys Antwort zuerst, stellt Stacey aber später, abseits der
Gruppe, noch mal zur Rede.
Stacey:
„Bullshit?“
Annegret:
„Das war Drama.“
Stacey:
(dreht sich um und geht)
Annegret:
„Stacey!“
Laute Rockmusik beginnt zu spielen.
Die Kamera verfolgt Stacey, die vor Annegret davonläuft und die Therapeutin,
die versucht sie einzuholen. Zwischendurch Aufnahmen der anderen Teenager.
Sprecher:
„Anstatt offen über ihre Probleme zu reden, weicht Stacey eher
aus. Therapeutin Annegret verfolgt jetzt nur ein Ziel: Sie will sie
provozieren, um endlich an sie heran zu kommen.“
Die Rockmusik verstummt.
Annegret:
„Stacey, guck mich bitte an!“
Stacey:
(läuft weiter vor Annegret davon) „Ich guck dich ganz bestimmt
nicht mehr an. Ich soll über meine Gefühle reden, dann red ich
über meine Gefühle…“
Annegret:
(unterbricht sie laut:) „Du hast nicht über deine Gefühle geredet!“
Stacey:
(bleibt stehen, schaut sie an) „Ne?!“
Annegret:
„Du hast Drama gemacht!“
Stacey:
„Ach, ich hab Drama gemacht? Wahrscheinlich geschauspielert,
vielleicht lieb ich meine kleine Schwester nicht, oder was?“
(weint)
Annegret:
(breitet die Arme aus, schreit) „Okay! Dann sag das! (Stacey geht
weiter weg, Annegret hinter ihr her) Klapperschlange! Blödsinn!“
Stacey:
„Ja, warum?!“
Annegret:
„Wenn du Angst um deine Schwester hast, dann sag, dass du
Angst um Deine Schwester hast.“
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Stacey:
(schreit) „Du weißt, was in mir drinne vorgeht?“
Annegret:
„Jetzt bist du ehrlich!“
Stacey:
„Du kennst meine Gefühle, du kennst meine Ängste? Du kennst
nichts von mir, außer was du vielleicht von meinen Eltern…
(hörst)!“
Annegret:
(unterbricht sie, brüllt) „Weil du’s nicht draußen, weil du’s nicht
raus lässt!“
Stacey:
„Vielleicht möchte ich’s auch nicht! (gestikuliert mit einer Hand)
Aus so nem Grund wie diesem!“
Annegret:
„Hast du’s eben auch nicht rausgelassen?“
Stacey:
„Doch!“
Annegret:
„Nein!“
Stacey:
„Ich hab grad das gesagt, was ich gefühlt habe!“
Annegret:
„Deine Schwester kommt sowieso nicht, das weißt du auch! Jetzt
sei endlich ehrlich, Stacey!“
Stacey:
„Ich bin ehrlich, wie oft denn noch?!“
Annegret:
„Ja, im Moment biste ehrlich. Jetzt sag mir nur mal was Ehrliches
vom Herzen!“
Stacey:
„Du sagst, ich soll meine Probleme reden, oder das was ich
fühle…“
Annegret:
„Das ist nicht dein Problem, d, d, das deine Schwester von ner
Klapperschlange gebissen wird.“
Stacey:
„Nein? Weißt du, was in mir vorgeht?! Weißt du, ob ich nicht
(Angst habe)?“
Annegret:
(unterbricht sie) „Dann sag’s mir doch!“
Stacey:
(schreit und weint) „Das hab ich grad gesagt! Check es! (tippt
sich an den Kopf) Mach dein Gehirn auf und lass es einfach rein
fließen! (geht ein paar Schritte weiter weg, schweigt) …. Wenn
du es nicht merkst, wenn ich einmal von Gefühlen rede und das
ist genau der Grund, warum ich aufgehört habe, irgendwie über
meine Gefühle zu reden. Weil man mich nicht ernst genommen
hat! (Annegret fängt einzelne Silben an, die sie abbricht, als
Stacey einfach weiterredet) Du bist genauso grad wie meine
Eltern!“
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Annegret:
(etwas ruhiger) „Es ist sehr schwer dich ernst zu nehmen, wenn
du so redest, als ob es alles nur um Drama geht. (läuft auf Stacey
zu) Und dass das nicht n ehrliches Gefühl ist. Wenn du einfach
sagst ‚Ich hab halt Angst um meine Schwester’ dann ist das in
Ordnung.“
Etwas später, Stacey hat letztendlich doch erzählt, warum sie Angst hat.
Fröhliche Musik erklingt.
Sprecher:
„Endlich weiß die Cheftherapeutin was Stacey wirklich bewegt.
Annegrets kleine Provokationen haben gewirkt. Wenn Stacey
jetzt nicht ehrlich gewesen wäre, hätte sie ihre Eltern nicht sehen
dürfen.“
Schon zu Beginn der Szene fragt Stacey, ob sie etwas erzählen muss. Die Therapeutin
verneint zwar, betont aber, dass sie es sich eigentlich wünscht. Staceys Antwort ist für
sie dann jedoch nicht zufriedenstellend und sie spricht sie abseits der Gruppe noch
einmal darauf an. Sie unterstellt ihr „Drama gemacht zu haben“, also nicht ehrlich
gewesen zu sein, was die Jugendliche verletzt, da sie sich nicht ernst genommen fühlt.
Im darauffolgenden Streitgespräch verdeutlicht Stacey mehrmals, dass sie aufgrund
schlechter Erfahrungen nicht gern über ihre Gefühle spricht. Statt pädagogisch taktvoll
zu reagieren und Stacey frei entscheiden zu lassen, wann sie sich der Therapeutin und
der Gruppe anvertraut, besteht Annegret Noble weiterhin darauf, dass sie ihr „nur mal
was Ehrliches vom Herzen“ sagt. Mit den Worten „Du kennst meine Gefühle, du kennst
meine Ängste? Du kennst nichts von mir, außer was du vielleicht von meinen Eltern
hörst!““ stellt Stacey außerdem klar, dass für sie der pädagogische Bezug (noch) nicht
stabil genug ist, um über heikle Gefühle zu sprechen. Annegret Noble geht leider nicht
darauf ein und insistiert weiter auf völlige Offenheit. Der abschließende Kommentar des
Sprechers „Annegrets kleine Provokationen haben gewirkt. Wenn Stacey jetzt nicht
ehrlich gewesen wäre, hätte sie ihre Eltern nicht sehen dürfen.“, verdeutlicht das
fehlende pädagogische Taktgefühl in dieser Szene noch einmal. Die Jugendlichen
werden mit allen Mitteln dazu gebracht, ihre Gefühle preiszugeben, ansonsten folgen
Sanktionen.
Neben dem pädagogischen Takt ist auch ein allgemeines Taktgefühl angebracht. In der
folgenden Szene zeigt sich Marlies Luepges – wenn auch erst auf den zweiten Blick –
Dzeneta gegenüber taktvoll:
86
F1, 25:30 – 25:55, 26:22 – 26:36
Situation: Dzeneta soll sich komplett entkleiden, in die Hocke gehen, die Arme
hochhalten und sich einmal um 360 Grad drehen.
Man sieht abwechselnd Marlies, die vor einer Kammer steht und Dzeneta, in
einer Nah-Einstellung, die sich in der Kammer befindet.
Langsame Töne einer E-Gitarre und eines Schlagzeugs im Hintergrund .
Marlies:
„Und Dzeneta?“
Dzeneta:
„Nein!“
Marlies:
„Ich kann Dir sagen...“
Dzeneta:
„Ich mach das nicht!“
Marlies:
(schaut Dzeneta intensiv an und atmet schwer aus) „So leid es
mir tut, du wirst es machen müssen.“
Dzeneta:
„Ich werd's nicht machen.“
Marlies:
„Entweder jetzt hier .. oder später, in einem weniger ..
angenehmen Umfeld.“
Dzeneta:
„Ich mach es nicht, nein. .. Das geht aber wirklich nicht, ich
mein's ernst.“
Marlies:
„Das wird schwierig, hm?“
Dzeneta:
„Eh, es wird nicht, es wird einfach nicht gehen!“
Etwas später:
Marlies:
„Kannst du dir vorstellen, deinen, deinen BH auszuziehen, in,
wenn du mir den Rücken zudrehst? Und den Neuen anzuziehen?“
Dzeneta:
(grinst ein wenig) „Das ist hier echt .. psychisch krank.“
Marlies:
(strahlt, als sie Dzeneta den neuen BH reicht) „Danke schön!“
Dzeneta:
„Ihr seid voll krank, ich hasse euch, woa?“
Die Aufforderung, sich vor einer völlig fremden Frau komplett zu entkleiden und eine
demütigende Pose einzunehmen ist ohne Frage sehr taktlos. Verständlicherweise weigert
sich Dzeneta vehement gegen diese Anweisung. Mit den Worten „Das wird schwierig,
hm?“ kommt Marlies ihr jedoch schon ein Stück entgegen. Sie erkennt, wie
unangenehm die Situation ist und findet später sogar einen Kompromiss: Dzeneta soll
ihren BH wechseln, darf der Betreuerin dabei aber den Rücken zukehren. Durch ihre
87
freundliche Art macht sie die Szene außerdem angenehmer und erträglicher für die
Jugendliche und beweist somit Taktgefühl, was die Jugendliche mit Kooperation
belohnt. Ein solch taktvolles Verhalten gelingt Betreuerin Marlies jedoch nicht immer,
wie die folgende Szene beweist:
F2, 23:48 – 26:15
Situation: Die Teenager haben Müll (zum Beispiel Teebeutel) an ihren
Zeltplätzen zurück gelassen, Stacey die Plastikhülle eines Tampons.
Marlies Luepges und die Jugendlichen, die im Kreis stehen und der Betreuerin
zuhören, werden einzeln in der Einstellungsgröße „amerikanisch“ gezeigt.
Zwischendurch sieht man eine Detailaufnahme des Mülls, den Frau Luepges
aufgesammelt und vor den Teenagern auf den Boden gelegt hat.
Marlies:
„Es gibt auch noch weitere Sachen, die ich in Camps gefunden
hab, die so abstoßend sind, dass ich nicht mitgebracht hab. Die
Leute möchte ich jetzt gern auch, dass die jetzt dazu stehen. (…)
Stacey, was ist in deinem Camp noch zurück geblieben?
Stacey:
„Ich weiß es nicht.“
Stacey gibt später zu, Grießbrei verschüttet zu haben. Marlies Luepges schickt
sie zum Zeltplatz, um es wegzuputzen.
Die Kamera in der Einstellung „subjektive Kamera“ verfolgt Stacey, als sie den
Wüstenboden nach Müll absucht. Marlies steht im Hintergrund, die Arme in die
Hüften gestemmt, und beobachtet die Jugendliche.
Sprecher:
Expeditionsleiterin Marlies weiß genau, dass Stacey sie wegen
ihres Mülls angelogen hat. Sie will Stacey testen, ob sie ihr doch
noch die Wahrheit sagt.
Bei ihrem Zeltplatz angekommen fordert Marlies Stacey auf, die Stelle zu
inspizieren. Stacey sucht immer wieder den Boden ab, bis sie die
Tamponverpackung findet und aufhebt.
Stacey:
„Ah! Das meintest du, oder?“
Marlies:
„Ja.“
Stacey:
(ganz leise) „Gut. Tschuldigung. Hab ich nicht gesehen.“
Marlies:
„Wenn du Tampon raus nimmst, den benutzt, dann muss der
Abfall sofort in Abfall rein.“
Stacey:
(noch leiser) „Ich hab’s nicht gesehen. Tschuldigung.“
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Marlies Luepges hält in strengem Ton einen Vortrag über die Natur. Staceys
Gesicht wird bis zur „Detailansicht“ herangezoomt, sie hat Tränen in den Augen.
Frau Luepges verlangt zuerst von Stacey vor der ganzen Gruppe zuzugeben, was für
eine Art Müll sie bei ihrem Zeltplatz hat liegen lassen, wobei sie genau weiß, dass es
sich um die Verpackung eines Tampons handelt. Gerade im Jugendalter stellt das eine
außerordentlich peinliche Situation dar. Anstatt sie später, am Zeltplatz angekommen,
einfach kurz darauf hinzuweisen, lässt Marlies sie immer wieder den Boden absuchen.
Selbst als Stacey das Papierchen gefunden hat, es aufhebt und sich entschuldigt, kann
die Expeditionsleiterin die Sache nicht auf sich beruhen lassen. Sie spricht noch einmal
vor der Kamera laut aus, dass es sich um Damenhygieneartikel handelt und hält einen
Vortrag über die Natur. Stacey ist diese Situation so peinlich, dass sie zu weinen
beginnt. Von Taktgefühl kann hier nicht die Rede sein, es scheint, als würde die
Jugendliche vorsätzlich vorgeführt. Auch Andreas wird gedemütigt, als er
Schnarchgeräusche imitieren soll (vgl. S. 36). Um zu beweisen, dass er im Schlafsack
liegt, verlangt Marlies Luepges von ihm zu schnarchen, anschließend macht sie sich
darüber lustig. Dieses Vorgehen ist dem Jugendlichen gegenüber respektlos und macht
eine herzliche Beziehung zwischen Teenager und Betreuer schlichtweg unmöglich.
Alles in allem gibt es also durchaus Situationen, in denen sich die Professionellen den
Jugendlichen gegenüber freundlich, fürsorglich, hilfsbereit und anerkennend verhalten.
Da die Teenager darauf meist ebenfalls mit Freundlichkeit reagieren, kommt es zu einer
warmherzigen Atmosphäre, die aber leider manchmal durch die Kommentare des
Sprechers relativiert wird. Ich befürchte jedoch, dass andere Situationen, nämlich
solche, in denen die Betreuer kalt und auch handgreiflich mit den Jugendlichen
umgehen, die herzlichen Beziehungsansätze ruinieren. Gerade das Verbot zu sprechen,
harte Strafen und ein respektloses und demütigendes Verhalten wird die Jugendlichen
davon abhalten, sich auf ein mögliches Beziehungsangebot einzulassen. Dass die
Beziehungen zwischen den Jugendlichen und Erwachsenen durch ein enormes
Misstrauen gekennzeichnet sind, verwundert daher nicht. Erschwerend kommt ein
Mangel an Akzeptanz und Verständnis für die Heranwachsenden hinzu, ihre
persönlichen Bedürfnisse werden entweder nicht gesehen oder zugunsten der Gruppe
oder des vorgefertigten Programms ignoriert. Es geht also eben nicht um das Wohl des
einzelnen Jugendlichen oder, um mit Nohl zu sprechen, ihn dabei zu unterstützen „zu
seiner Form zu kommen“.
89
4.3.2
Die Beziehungen zwischen den Jugendlichen und ihren Eltern: Elternarbeit
Die Eltern sind für die in Institutionen lebenden Kinder wichtige subjektive
Erlebnisbereiche, die berücksichtigt werden müssen, denn nicht nur die körperliche
Anwesenheit der Eltern beeinflusst die Kinder, sondern auch ihr Elternbild in
Vorstellungen und Phantasien. Kurz gesagt, die Eltern sind immer „anwesend“. Diese
Tatsache auszublenden würde zum Scheitern der pädagogischen Bemühungen führen
(vgl. Hansen 1999, 1023f.), denn „zahlreiche empirische Befunde belegen, dass die
frühzeitige Mitwirkung der Eltern in Hilfe- und Betreuungsprozessen großen Anteil am
Erfolg einer Jugendhilfemaßnahme haben“ (Schulze-Krüdener 2007, 99). Vor allem bei
kurzzeitpädagogischen Maßnahmen, bei denen eine Rückführung von vorne herein fest
steht, muss das Ziel der pädagogischen Arbeit die Refunktionalisierung des familialen
Gesamtsystems sein. „Nur bei veränderten, neu organisierten Systembedingungen
innerhalb der Familie, nur bei einer systematischen Vorbereitung der Rückführung
bleiben dem Kind (und auch den Eltern) weitere Enttäuschungen im Zusammenleben
erspart.“ (Hansen 1999, 1024). Die Elternarbeit ist daher sowohl ein unverzichtbarer
Ansatz als auch ein Qualitätskriterium der stationären Hilfen zur Erziehung – wer
Veränderungen erreichen will muss eben mit und nicht gegen die Eltern arbeiten (vgl.
Homfeldt/Schulze-Krüdener 2007, 11). Diese sind dabei als gleichberechtigte
Erziehungspartner zu sehen, die mit den Professionellen gemeinsam Verantwortung für
die Kinder und Jugendlichen tragen (vgl. ebd., 9). „Eine gleichwertige Begegnung
zwischen Eltern und denjenigen, die Begleitung anbieten, ist ... eine erste
Voraussetzung für die Erreichbarkeit (der Eltern, D.S.). Wenn Elternbildung davon
ausgeht, dass es nur die Eltern sind, die etwas zu lernen haben und die Pädagogen als
die Wissenden diese Lernangebote für Eltern konzipieren sollen, dann werden Eltern als
Zielgruppe von Angeboten schnell zu Objekten herabgesetzt.“ (Tschöpe-Scheffler 2007,
26). Statt den Eltern Veränderungen einfach zu verordnen sollte man ihre Ressourcen
erkennen und darauf aufbauen (vgl. ebd., 41). Für den Erfolg stationärer Maßnahmen ist
es also unverzichtbar, dass die Arbeit vor Ort an den bisherigen Bewältigungsversuchen
der Familien ansetzt und die Potenziale der Eltern und Kinder (bisherige
Problembewältigungsstrategien, eigene Erziehungserfahrungen, Beobachtungen im
Alltag) erkennt und wertschätzt (vgl. Homfeldt/Schulze-Krüdener 2007, 8). Eltern
erleben die stationäre Unterbringung ihrer Kinder ohnehin oft als Entmündigung und
Demütigung, sie empfinden häufig Selbstzweifel, Scham, Versagensgefühle und
Ohnmacht (vgl. Schulze-Krüdener 2007, 102). Daher ist es umso wichtiger, auf
90
negative Zuschreibungen wie „faul“ oder „desinteressiert“, zu verzichten, denn diese
werden zu Recht als Abwertung und Bedrohung erlebt, was zu einer Ablehnung des
Angebots und der Kontakte führen kann. Der Fokus sollte auf jeden Fall auf der
Gegenwart und der Zukunft liegen. Um die Gegenwart besser verstehen zu können, ist
es zwar oft hilfreich, einen Blick auf die Biographie zu werfen, Fehleranalysen,
Schuldzuschreibungen und Etikettierungen müssen allerdings unbedingt vermieden
werden (vgl. Hofer 2007, 143).
Doch was genau ist unter Elternarbeit zu verstehen? Definiert man sie nach Hamberger
als „alle Kontakte zwischen Eltern, Erziehungsberechtigten, der Einrichtung und den
Kindern, die sich entweder informell oder planmäßig ergeben und deren verbindendes
Element ist, in Bezug auf den Hilfe- und Erziehungsprozess eine gemeinsame
Vertrauensbasis und entsprechende Unterstützung, in manchen Fällen auch eine
Mitarbeit der Eltern sicherzustellen und so einen für alle Beteiligten gelungenen
Hilfeverlauf zu ermöglichen“ (zit.n. Hofer 2007, 136), so sind viele Formen und
Methoden denkbar. Elternarbeit kann von einfachen Besuchen über Elterntrainings bis
hin zu intensiver therapeutischer Arbeit reichen (vgl. Schulze-Krüdener 2007, 104). Die
traditionellste
Form
ist
die
Kontaktpflege,
zum
Beispiel
durch
Besuche,
Telefongespräche, oder Briefe. Außerdem werden mancherorts systematisch geplante,
intensive Familiengespräche angeboten. Denkbar wären jedoch auch Aktivitäten mit
mehreren Eltern zusammen, wie zum Beispiel Feste oder themenzentrierte
Gesprächsrunden, denn der Austausch mit anderen Betroffenen und die Erweiterung des
persönlichen Netzwerks sind für viele Erziehungsberechtigte hilfreich (vgl. Günder
2007, 78 ff.). Auf jeden Fall sollte Elternarbeit aber die folgenden Aspekte beinhalten:
−
Vermittlung des Gefühls von Willkommensein in der Einrichtung und Betonung
der Wichtigkeit der Zusammenarbeit
−
Betonung der weiterhin gegebenen Verantwortung für die Kinder
−
Einbeziehung der Eltern in den Alltag und bei Erziehungsschwierigkeiten
−
Entlastung der Eltern von Schuldgefühlen
−
Alltag für die Eltern transparent machen (vgl. Conen 2007, 67f.)
Beim manchen Kindern ist es allerdings aus verschiedenen Gründen einfach nicht
möglich mit den Eltern zu arbeiten. Sei es, weil sie partout keinen Kontakt wollen, oder
weil sowohl Jugendamt als auch Gericht aufgrund bestimmter Vorfälle jeglichen
Kontakt zwischen Kind und Eltern ablehnen. In ihrem Konzept „Elternarbeit ohne
91
Eltern“ betont Conen (2007, 75f.) dass es trotzdem wichtig ist, mit den Kindern
Gespräche über mögliche Erwartungen und Vorstellungen der Eltern zu führen, da
ihnen dies eine innere Auseinandersetzung ermöglicht. „Heimkinder, die keine
Kontakte zu ihren Eltern haben, benötigen dennoch die Auseinandersetzung mit ihnen,
um die Vergangenheit zu bewältigen und um zu einer eigenen Identifikation zu
gelangen“ (Günder 2007, 87).
Im Folgenden möchte ich herausarbeiten, wie die Elternarbeit in der Serie dargestellt
wird und ob sie den aufgeführten professionellen Standards entspricht.
Analyse
In vielen Szenen wird deutlich, dass das Verhältnis zwischen den Jugendlichen und
ihren Eltern angespannt und problematisch ist:
F1, 12:39 – 12:47
Aufnahme von Vivien in der „Halbnahen“. Sie sitzt auf dem Fensterbrett in
einem offenen Fenster, draußen sieht man die grünen Zweige eines Baumes und
einen Teil des Nachbarhauses. Dann sieht man sie rauchend, ihr Gesicht in
Großaufnahme. Einmal wackelt das Bild kurz, verzerrt sich und es ertönt ein
Geräusch, das an einen Stromschlag erinnert.
Schrille Klänge wie aus einem Horrorfilm.
Vivien:
„Die (Mutter, D.S.) interessiert sich gar nicht für mich. So
kommts mir zumindest rüber und .... (leiser) kann man vergessen,
ist sinnlos.“
F1, 42:44 - 42:51
Frau Sluiter-Mengels, Pascals Mutter, wird in Großaufnahme eingeblendet mit
der Bildunterschrift “Heike Sluiter Menges. ‘Mein Son macht mich fertig!’”.
Zwischendurch Aufnahmen von Pascal, der mit einem Freund zusammen eine
Wasserpfeife raucht.
Sehr leise, schaurige Klänge im Hintergrund.
P.'s Mutter:
„Also, ich hasse meinen Sohn .. manchmal extrem. Aber ich ..,
ich schäme mich auch dafür.“
92
F3, 38:58 – 39:17
Dzeneta und Annegret Noble sitzen nebeneinander auf dem Wüstenboden und
unterhalten sich. Die Kamera schwenkt während des Gesprächs zwischen ihnen
hin und her. Im Hintergrund sieht man vertrocknete Pflanzen.
Dzeneta:
„Also ich glaub der kein Wort, wenn da jetzt irgendwie drin steht,
dass sie mich vermisst.“
Annegret:
„Warum nicht?“
Dzeneta:
„Ich weiß nicht. Ich kann meiner Mutter nicht glauben. Sie hat
mich immer belogen, mein ganzes Leben hat die mich schon
belogen. Denkt auch ich bin dumm.“
Annegret:
„Glaubst du denn, dass sie dich lieb hat?“
Dzeneta:
„Vielleicht mag sie mich so als Menschen, aber nicht als Tochter.
Also ich glaub nich, ne.“
Schon in diesen drei beispielhaft ausgewählten Szenen zeigen sich viele mögliche
Ansatzpunkte für die Arbeit mit Eltern und Kinder. Außerdem werden häufig Szenen
aus dem Familienalltag gezeigt, in denen sich die Familienmitglieder heftig streiten.
Damit sich die Beziehung zwischen ihnen nachhaltig, das heißt auch längere Zeit nach
dem Auslandsprojekt, verbessern kann, ist eine intensive Elternarbeit unabdingbar. Im
Therapiekonzept des Auslandsprojekts sind daher Kontakte mit den Familien der
Teenager trotz der großen Distanz zwischen den USA und Deutschland ausdrücklich
vorgesehen:
F3, 5:45 – 5:55
Kameraschwenk über die Wüstenlandschaft bis die Teenager, in einer Reihe
wandernd,
herangezoomt
werden.
Zwischendurch
sieht
man
eine
„Nahaufnahme“ von Annegret Noble.
Sprecher:
„Kurz nach der Trennung von Dzeneta verlässt auch Therapeutin
Annegret die Gruppe. Sie will mit den Eltern der Jugendlichen
Kontakt aufnehmen. Die Elterntelefonate sind ein fester
Bestandteil des Programms.“
93
Auch Annegret Noble und ihre Kollegen scheinen die Notwendigkeit der Elternarbeit zu
erkennen:
F5, 5:50 – 6:21
Situation: Vivien darf ihre Eltern bei den anstehenden Elternbesuchen nicht
sehen, da sie sich während des „Solos“ von ihrem Zeltplatz entfernt hat.
Die Jugendliche wird in Nahaufnahme gezeigt. Sie sitzt bei sehr windigem und
regnerischem Wetter im Eingangsbereich ihres Zelts und weint. Ihr Gesicht ist
rot, ihre Augen sind dick und aufgequollen. Zwischenzeitlich sieht man Marlies
Luepges und Annegret Noble, die vor dem Zelt hocken und mit der Jugendlichen
sprechen.
Langsame und traurige Klaviermusik im Hintergrund.
Marlies:
(strenger Tonfall) „Es wird allenfalls die Möglichkeit für dich
geben, später ... ein solches Gespräch nachzuholen. Das kommt
aber sehr, sehr stark auf dein Verhalten drauf an.“ (Vivien nickt
schüchtern)
Annegret:
„Du hast wirklich viel, das du mit deiner Familie bearbeiten musst
und wir wollen, dass das passiert. Wir wollen auch, dass das
möglichst bald passiert. Das ist für uns ne, ne Gelegenheit mit dir
und deiner Familie zu arbeiten und wir wollen die auf jeden Fall
wahrnehmen. Aber, wir müssen jetzt ..... (schüttelt den Kopf) uns
auf dich verlassen, dass du das, dass du das kannst.“
Leider ist dies die einzige Szene, die zeigt, dass die Mitarbeiter die Elternarbeit für
notwendig und unverzichtbar halten. Viel häufiger hingegen werden die Besuche der
Eltern und die gemeinsame Arbeit als Privileg für die Teenager dargestellt, das sie sich
erarbeiten müssen und das als Druckmittel benutzt wird, um die Jugendlichen dazu zu
bewegen, bestimmte Aufgaben zu erledigen oder sich an die Anweisungen der Betreuer
zu halten.
F4, 25:26 – 25:33
Verschiedene Aufnahmen der kargen, staubigen Wüstenlandschaft. Ein Kasten
mit den Worten „20. Tag“ wird eingeblendet.
Langsame Gitarrenmusik.
94
Sprecher:
„Die Jugendlichen müssen ihre schriftlichen Aufgaben erledigt
haben, sonst dürfen sie ihre Eltern bei den anstehenden
Zwischenbesuchen nicht sehen.“
F5, 4:49 – 5:19
Situation: Kurts Vater kann wegen einer Knieverletzung nicht zu den
Elternbesuchen kommen. Laut des Sprechers hätte Annegret Noble den Besuch
jedoch ohnehin nicht erlaubt, da sich „Kurt bisher auf das Programm nicht
eingelassen hat“ (F4, 44:18).
Kurt sitzt weinend im Halbdunkeln im Eingangsbereich seines Zelts. Annegret
Noble hockt davor.
Leise Rockmusik im Hintergrund.
Annegret:
„Die nächsten paar Tage möchten wir, .... dass du dich noch mal
ganz auf dich konzentrierst und wenn du da mitmachst, dann hast
du ne Chance, dir ein Telefonat mit deinem Vater zu verdienen.
Also es kommt jetzt so n bisschen drauf, drauf an, wie du da
mitziehst. Wir wollen, wollen dir wirklich die Gelegenheit geben,
das ist jetzt furchtbar schwer für dich ... dass du noch n bisschen
extra Zeit mit den Betreuern verbringen kannst, zum Nachdenken,
zum traurig sein. “
F5, 6:22 – 6:30
Vivien wird in der Einstellung „Nah“ gezeigt, während sie in ihrem Zelt auf dem
Boden sitzt und ihre Tränen mit einem Papiertuch abwischt. Zeitgleich stehen
Frau Noble und Frau Luepges auf und geht davon.
Ruhige Gitarren- und Schlagzeugtöne.
Sprecher:
„Vivien bekommt eine Bewährungsfrist. Wenn sie die nächsten
Tage keine Regeln bricht, darf sie ihre Mutter sehen, weil sie nach
ihrem Fehler einsichtig war.“
F4, 42:42 - 42:47
Viele verschiedene und kurze Aufnahmen der Jugendlichen beim Wandern.
Ziemlich laute, fröhliche Musik.
95
Sprecher:
„Wer sich nicht völlig öffnet, dessen Eltern können auch in letzter
Minute wieder ausgeladen werden.“
Viele weitere Szenen dieser Art ließen sich in den ersten fünf Folgen finden. Dadurch,
dass sie die Treffen mit den Eltern von Bedingungen abhängig machen, verpassen die
Mitarbeiten teilweise die Gelegenheit, an der familiären Situation der Teenager zu
arbeiten - der Hälfte der Teilnehmer wird der Besuch letztendlich untersagt, obwohl die
Arbeit mit den Eltern zu einem der unverzichtbaren Standards der stationären
Unterbringung gehört und der Erfolg der Maßnahme davon abhängig sein kann.
Die folgenden Zitate zeigen, dass eine Elternarbeit nicht an den Eltern scheitert. Sie
wären bereit, etwas zu verändern, da sie ihre Kinder lieben und das Beste für sie
wollen.
F1, 8:59 – 9:08
Großaufnahme von Andreas’ Mutter am Flughafen. Im Hintergrund laufen
Passanten an ihr vorbei. Einblende: „Evi Eckert. Mutter von Andreas”. Nach
einer
„Detail”-Aufnahme
des
“Departure”-Schilds
sieht
man
Andreas
davongehen und seine Eltern ihm nachwinken.
A.'s Mutter:
„Wir hatten keinen Zugang mehr in den letzten Jahren und ham
auch vieles versucht und dass ist jetzt noch mal ne Chance, dass
er da durch den Abstand und die intensive Therapie für sich neue
Wege entdeckt.“
F1, 7:49 - 7: 58
Situation: Kevins Eltern verabschieden ihren Sohn am Flughafen.
Detailaufnahme von Kevin und seiner Mutter, die ihn weinend in den Arm
nimmt und an sich drückt.
Sehr leise Rockmusik im Hintergrund.
K.’s Mutter: „Wir haben Dich lieb, ne? Denk dran. (schnieft) Wir machen dat
net, um dir weh zu tun, ne? Net vergessen, ja? (küsst Kevin) Du
schaffst dat, ja?“
96
F1, 46:25 – 46:44
Kurt steht mit verschränkten Armen vor dem Haus seiner Eltern. Die Kamera
zoomt heran, bis er in der Einstellung “Amerikanisch” zu sehen ist. Im
Anschluss daran wird er gezeigt, als er, wahrscheinlich in seinem Zimmer auf
dem Bett sitzend, mehrere an der Wand hängende Schusswaffen abnimmt und in
seinen Rucksack steckt. Rechts im Bild erscheint ein Kasten mit Kurts Vater,
der, ebenfalls die Arme verschränkt, ein Interview gibt.
K.'s Vater:
„Wir lieben unseren Sohn, da gibt’s überhaupt kene Frage und wir
.. wollen ihn daraus haben, aus diesem Sumpf. Das hat er nicht
verdient und das soll nicht sein. Sämtliche Schulpsychologen,
oder, oder Jugendämter, äh, vorher, (schüttelt den Kopf) null
Hilfe. Es hilft dir ja keiner. “
In diesen Szenen zeigt sich deutlich, dass eine emotionale Basis besteht. Die Eltern
betonen, dass sie ihre Kinder lieben, dass sie sich Sorgen machen und Hilfe für sie
suchen. Kurts Vater und Andreas’ Mutter erwähnen sogar, dass sie schon einiges
versucht haben, um ihrem Nachwuchs zu helfen, bisher jedoch leider ohne Erfolg. An
den nach wie vor starken Gefühlen für die Kinder und dem Wunsch nach Veränderung
ließe sich hervorragend ansetzen, um die Eltern auf die Notwendigkeit ihrer Mitarbeit
aufmerksam zu machen und sie mit einzubeziehen. Doch wird diese Chance von den
Professionellen genutzt? Geben sie den Eltern die Möglichkeit, auch während des
stationären Aufenthalts ihrer Kinder weiterhin Verantwortung zu übernehmen?
F1, 2:45 – 2:55
Aus mehreren Perspektiven Aufnahmen der Teenager, in der Wüste in einer
Reihe stehend. Sie tragen dabei ihre Einheitskleidung (einfarbige, meist
neonfarbene T-Shirts, blaue Shorts und beige Sonnenhüte). Zwischenzeitlich
sieht man eine Detail-Aufnahme von Annegret Nobles Gesicht.
Im Hintergrund ertönt sehr harte Rockmusik.
Sprecher:
„Annegret Noble und ihre Crew stehen vor der großen
Herausforderung, aus diesen deutschen Teenagern wieder Töchter
und Söhne zu machen, vor denen sich ihre Eltern nicht mehr
fürchten müssen.”
97
F5, 13:44 – 13:50
Detailaufnahme der Hände zweier Mütter: Staceys Mutter streichelt aufgeregt
die Hand von Kevins Mutter. Dann schwenkt die Kamera hoch, so dass man die
beiden Mütter und einen weiteren Vater in der Einstellung „Nah“ sieht. Sie
stehen in einer Reihe und schauen nervös in eine Richtung. Im Anschluss daran
zeigt die Kamera im Vordergrund, also scharf, den Draht von einem
Stacheldrahtzaun, im Hintergrund erscheinen die Kinder unscharf am Horizont.
Traurige Klaviermusik.
Sprecher:
„Nach drei Wochen gibt es endlich ein Wiedersehen. Die Eltern
wissen nicht, ob sich ihre Kinder wirklich geändert haben.
Diese kurzen Szenen beweisen eindrucksvoll, dass die Eltern während des Programms
nicht an der Erziehung ihrer Kinder beteiligt werden. Schon die Formulierung, dass die
Mitarbeiter des Programms aus den Kindern „wieder Töchter und Söhne … machen ...“
sollen, zeigt, dass die Eltern nichts anderes zu tun haben, als ihre Kinder abzugeben und
sie hinterher „verändert und verbessert“ wieder im Empfang zu nehmen.. Auch der Satz
„Die Eltern wissen nicht, ob sich ihre Kinder wirklich geändert haben“ macht deutlich,
dass ihnen jede Verantwortung genommen wird - sie werden augenscheinlich nicht
einmal über den Verlauf des Programms informiert. (Abgesehen davon ist es ziemlich
unrealistisch, zu erwarten, dass sich die Kinder nach drei Wochen in der Wüste
„wirklich geändert“ haben.) Auch Dzenetas Mutter beklagt in einer Szene, dass sie nicht
erfährt, wie es ihrer Tochter geht und Kevins Mutter fragt sich in einer anderen
weinend, ob ihr Sohn sie wohl vermisst oder böse auf sie ist. Von einer Transparenz des
Alltags und des Programms kann also keine Rede sein – und ohne Transparenz ist
natürlich auch keine Mitarbeit und Mitverantwortung der Eltern möglich.
F5, 16:04 – 16:15
Annegret Noble, Kris Schock, Pascal und seine Eltern sitzen in einem Raum auf
Stühlen im Halbkreis während Frau Noble etwas zu erklären scheint – sie
bewegt die Lippen und gestikuliert. Pascal befindet sich dabei seinen Eltern
gegenüber, im Hintergrund erkennt man die anderen Familien. Außerdem
werden nacheinander „Detailaufnahmen“ von Annegrets und Pascals Gesicht,
sowie eine „Halbnah“-Aufnahme der Eltern eingeblendet.
Leise Rockmusik im Hintergrund.
98
Sprecher:
„Die Elterntreffen haben eine feste Struktur. Die Teenager
müssen in den so genannten Offenbarungen ihre schlimmsten
Taten gestehen. Ihre Eltern sollen ruhig und ohne Kommentare
zuhören.“
Selbst während ihres Besuchs in den USA sollen die Eltern „ruhig und ohne
Kommentare
zuhören“.
Das
kommentarlose
Zuhören
kann
natürlich
als
Kommunikationsregel sinnvoll sein, dass jedoch keine Situation gezeigt wird, in der die
Eltern nach ihrer Meinung gefragt oder an einer Entscheidung beteiligt werden
(abgesehen von den Elternbriefen, in denen sie ihren Kindern sagen sollen, was diese
falsch gemacht haben), stellt sie sehr passiv dar. Alles in allem scheint die Elternarbeit
bei „Teenager außer Kontrolle“ ohnehin eher Arbeit für die Jugendlichen zu sein. Es
finden sich immer wieder Szenen, die zeigen, dass es die Heranwachsenden sind, die
sich sowohl auf die Kontakte vorbereiten müssen, als auch während der Besuche
Aufgaben zu erledigen haben:
F4, 25:38 – 25:53
Links im Bild eine Nahaufnahme von Annegret Noble beim Interview. Rechts
sieht man sie, umgeben von einigen anderen Betreuern, unter einem Pavillon
stehend handgeschriebene Seiten lesen.
Ruhige, traurige Gitarrenklänge.
Annegret:
„Die Jugendlichen hatten viele Schreibaufgaben, vor allen
Dingen, sich auf das Familientreffen vorzubereiten, ähm, Gefühle
und Erlebnisse, Erinnerungen aufzuarbeiten.“
F4, 34:24 - 34.32, 35:06 – 35.19
Situation: In einem Gesprächskreis sollen die Teenager etwas sehr Persönliches
von sich erzählen, etwas, was die anderen der Gruppe noch nicht wissen. Pascal
fängt einen Satz an, bricht aber in Tränen aus.
Die Kamera filmt Pascal, der etwas abseits der Gruppe steht und den Kopf
hängen lässt, aus mehreren Perspektiven.
Langsame Gitarrenmusik im Hintergrund.
99
Sprecher:
„Noch fällt es Pascal schwer, offen über seine Probleme zu reden.
Bei den Elternbesuchen wird es aber eine seiner Aufgaben sein,
genau das zu tun.“
Etwas später:
Verschiedene Nahaufnahmen der weinenden Jugendlichen.
Weiterhin langsame Gitarrenmusik im Hintergrund.
Sprecher:
„Die anderen Jugendlichen haben große Probleme damit, der
Gruppe ihre Sorgen anzuvertrauen. Dennoch lässt Annegret
Noble nicht locker. Denn wenn die Teenager nicht ehrlich sein
können, machen die Besuche der Eltern keinen Sinn.“
Die Familientreffen
dienen
also
offensichtlich
nicht
dazu,
die Eltern
bei
Erziehungsfragen zu unterstützen oder ihre Ressourcen zu entdecken, vielmehr sollen
die Teenager an sich arbeiten, um ihren Eltern bei den Besuchen die „Ergebnisse“ als
Beweis ihrer Veränderung vorführen zu können. Besonders der Satz „denn wenn die
Teenager nicht ehrlich sein können, machen die Besuche der Eltern keinen Sinn“ zeigt,
dass es einzig und allein darum geht, den Eltern die Geständnisse ihrer Kinder
vorzuführen. Dass ein Elternbesuch auch ohne solche Offenbarungen sehr sinnvoll ist,
da es viele andere Möglichkeiten der Elternarbeit gibt, wird überhaupt nicht in Betracht
gezogen. Die Jugendlichen sind also die Aktiven, die sich –durch die Arbeit der
Betreuer – verändern, die Eltern hingegen die Passiven, die diese Veränderung
begutachten und feststellen sollen. Diese passive Elternrolle vermittelt den Beteiligten
unterschwellig zweierlei: Erstens, dass die Teenager „Schuld“ sind an der schwierigen
familialen Situation und zweitens, dass die Eltern nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu
erziehen oder zumindest bei der Erziehung mitzuwirken. Für beides lassen sich viele
weitere Szenen finden. Ich beginne mit Ausschnitten, die zeigen, dass den Eltern keine
Wertschätzung entgegengebracht und keine Kompetenz zugesprochen wird:
F1, 0:39 – 0:44
Verschiedene Aufnahmen, meist aus der Vogelperspektive, einer kargen
Wüstenlandschaft
mit
der
Kameraeinstellung
„Weit”.
Außerdem
ein
Sonnenaufgang im Zeitraffer. Viele Schnitte, also häufiger Wechsel von
Einstellungen mit kurzer Dauer.
Im Hintergrund aggressiv wirkende Gitarren-Musik.
100
Sprecher:
„Der letzte Ausweg für die ratlosen Eltern liegt tief im Wilden
Westen der USA.”
F4, 0:30 – 0:34
Erneut die Aufnahme des Sonnenaufgangs im Zeitraffer und verschiedene Bilder
der Wüstenlandschaft. Auch hier viele Schnitte, also häufiger Wechsel von
Einstellungen mit kurzer Dauer.
Im Hintergrund aggressiv wirkende Gitarren-Musik.
Sprecher:
„Der Wilde Westen der USA ist die letzte Hoffnung für die
überforderten Familien.“
Diese beiden sehr ähnlichen Ausschnitte verdeutlichen das vermittelte Elternbild: Sie
sind „ratlos“ und „überfordert“, ihnen muss also von den Professionellen geholfen
werden. Da keine weiteren Adjektive, wie beispielsweise „besorgt“, „entschlossen“,
oder „liebend“ verwendet werden, erhalten die Erziehungsberechtigten ein negatives
Image.
F1: 11:00 – 11:06
Situation: Vor dem Programm, kurz vor dem Abflug in die USA, weigert sich
Vivien einzuchecken.
Aufnahme von Vivien in der Einstellung „Amerikanisch“ am Frankfurter
Flughafen. Sie wird von hinten gefilmt während sie mit ihrem Handy telefoniert.
Nach einem Schnitt sieht man sie den Terminal verlassen.
Sehr laute und aggressive Gitarrenmusik.
Sprecher:
„Viviens Mutter scheint – wie immer – machtlos zu sein. Auch
zuhause hat Vivien immer nur das getan, was sie wollte.“
Noch deutlicher wird das vermittelte Image durch dieses Zitat. Die Verallgemeinerung
„wie immer“ impliziert, dass Viviens Mutter bei der Erziehung ihrer Tochter eigentlich
nutzlos ist. Sie schafft es angeblich nie, ihrer Mutterrolle nachzukommen und Vivien
Grenzen zu setzten. Leider wird es auch nicht erwähnt, oder gar positiv anerkannt, als
man in einer Szene eindeutig erkennt, dass eine der Mütter sehr wohl in der Lage ist,
101
Grenzen und Regeln aufzustellen und diese auch durchzusetzen:
F1, 32:29- 32:42, 32:56 – 33:07
Aufnahmen mit der „Elternkamera”. Man sieht in verwackelten Bildern, wie
Andreas’ Mutter mit einer Flasche in der Hand, gefolgt von ihrem Sohn, die
Küche betritt. Dann „Kampfaufnahmen“ vor dem Spülbecken: Andreas’ Mutter
schüttet den Inhalt der Flasche in den Ausguss während Andreas versucht, sie
davon abzuhalten.
A.'s Mutter:
„Das glaub ich nicht. Immer hier...“
Andreas:
(brüllt) „Verpiss dich!“
A.'s Mutter:
„So lange du...“
Andreas:
„Verpiss dich!“
A.'s Mutter:
„...in diesem Haus wohnst, Andreas, wirst du kein Alkohol hier...“
Andreas:
„So eine behinderte Schlampe, Mama, ne?!“
A.'s Mutter:
„Hör auf...“
Etwas Später:
Andreas:
„Bist du behindert im Kopf oder was, du Fotze?“
A.'s Mutter:
„So lange du hier...“
Andreas:
„Verpiss dich!“
A.'s Mutter:
„Gleich ist es alle, da kannst du gucken! (Als die Flasche leer ist:)
So, jetzt kannst du die Flasche mitnehmen.“
Andreas:
„Verpiss dich! (nimmt die Flasche und verlässt wütend die
Küche) Schlampe, Alter!“
Obwohl es Andreas’ Mutter gelingt, ihren Sohn vom Alkohol trinken in der elterlichen
Wohnung abzuhalten, wird dies in keinster Weise positiv erwähnt. Stattdessen soll diese
Szene belegen, dass es bei Andreas zuhause “drunter und drüber” geht. Der Ausschnitt
wird nämlich gezeigt, nachdem Andreas’ Mutter sich beklagt, nicht mehr auf ihren Sohn
einwirken zu können. Statt an den Ressourcen anzusetzen und der Mutter zu vermitteln,
dass sie es sehr wohl noch schafft, ihrem Sohn Grenzen zu setzen – und er diese
letztendlich auch, trotz seiner Beschimpfungen, akzeptiert – wird überhaupt nicht darauf
eingegangen. Auch sonst habe ich leider keine einzige Szene gefunden, in denen an den
Ressourcen der Familien angesetzt wird. Im Gegenteil:
102
F5, 9:45 – 5:52
Aufnahme des Vollmonds bei Nacht, im unteren Drittel des Bildes erkennt man
die Umrisse dreier Bäume. Im Anschluss daran sieht man einen Sonnenaufgang
und die Einblende „22. Tag“.
Sprecher:
„In den Tagen vor den Elternbesuchen sollten die Jugendlichen
ihre schlimmsten Taten aufschreiben, um sie dann ihren Eltern zu
gestehen.“
Der Fokus liegt also nicht auf der Zukunft, indem man an neuen, gemeinsamen Wegen
arbeitet, sondern auf der Vergangenheit. Alte Geschichten werden besprochen, die
Kinder müssen ihren Eltern ihre „schlimmsten Taten“ gestehen. Diese Praxis finde ich
äußerst fragwürdig – Davids Vater formuliert nach Davids „Offenbarung“ sehr treffend:
„Ich bin eigentlich froh, dass unsere Mutter heut nicht hier ist. (…) Hätte ihr
wahrscheinlich heute das Herz gebrochen.“ (F5, 23:54 - 24:04). Der Problemfokus
kann also dazu führen, dass sich Eltern und Kinder noch weiter voneinander entfernen.
Auch die Darstellung der Familien ist alles andere als ressourcenorientiert:
F1, 5:08 – 5:15
Kevins Eltern stehen links im Bild vor ihrem Haus. Im ersten Stock des
Mehrfamilienhauses sitzt Kevin im Fenster und lässt die Beine heraushängen.
Man empfindet man die Distanz zwischen Eltern und Sohn als sehr groß.
K.’s Vater:
„Ich heiße Wolfgang Obladen, das ist meine Frau Monika, und
oben dat ist unser kleiner Herr Gangster, Kevin.“
Da fast alle Familien nach diesem Schema vorgestellt werden (die Eltern zusammen,
das Kind mit großem Abstand in einer anderen Ecke des Bildes), kann man davon
ausgehen, dass die Anordnung absichtlich arrangiert wurde. Damit wird impliziert, dass
die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern kaputt sind, dass es keine gemeinsame
Basis gibt. Ressourcenorientierung würde hingegen bedeuten, nach Gemeinsamkeiten
zu suchen, oder Dinge herauszuarbeiten, die in den Familien gut funktionieren. Auch in
vielen weiteren Szenen werden die Beziehungen negativ dargestellt, der Fokus liegt auf
den Problemen und nicht auf den Potenzialen der Familien. Beispielhaft seien hier die
folgenden zwei Situationen angeführt:
103
F1, 15:26 - 15:32
Situation: Vivien hatte sich geweigert, mit in die USA zu fliegen.
Sie wird in der „Totalen” gezeigt, als sie mit einer Tasche bepackt zurück zum
Terminal kommt.
Töne einer E-Gitarre im Hintergrund.
Sprecher:
„Vivien kehrt zurück. Sie fährt lieber in die USA als mit ihrer
Mutter zurück ins verhasste Zuhause.“
F1, 10:17 – 10:21
Detailaufnahme von Staceys kleiner Schwester, die beim Abschied am
Flughafen weint.
Sprecher:
„Stacey waren ihre Eltern und Geschwister immer egal.“
In der ersten Szene sieht man, dass die Beziehungen zwischen den Beteiligten möglichst
negativ dargestellt werden. Der Grund für Viviens Rückkehr könnte ein ganz anderer
sein, beispielsweise der Wunsch, doch etwas zu verändern, die Sorge um die eigene
Zukunft, oder die Überlegung, ihrer Mutter einen Gefallen tun zu wollen. Statt diese
Möglichkeiten in Erwägung zu ziehen wird einfach behauptet, sie wolle bloß nicht
„zurück ins verhasste Zuhause“. Besonders beim zweiten Ausschnitt handelt es sich
nicht nur um Schwarzmalerei, sondern schlichtweg um eine falsche Darstellung der
Umstände, um dem Zuschauer eine möglichst aussichtslose Familiensituation
vorzuspielen. Erstens sind keinem Kind die „Eltern und Geschwister immer egal“ und
zweitens betont besonders Stacey in allen Folgen immer wieder, wie wichtig ihr ihre
kleine Schwester ist und wie sehr sie unter der kühlen Beziehung zu ihrer Mutter leidet.
Ihre Familie ist ihr also alles andere als egal. Von Ressourcenorientierung kann keine
Rede sein.
Der zweite zuvor angesprochene Punkt ist das Schuldgefühl, das den Teenagern durch
die Elternarbeit vermittelt wird. Annegret Noble hat die Eltern gebeten, den Teenagern
in Briefen ihre Gefühle mitzuteilen. Das führt in den meisten Fällen dazu, dass sie
schreiben, wie schlecht es ihnen momentan geht und sie die Kinder dafür verantwortlich
machen. Augenscheinlich war das genau so von der Therapeutin angedacht:
104
F3, 15:07 – 15:27
Kevin wird beim Wandern aus der Froschperspektive gefilmt. Anschließend
sieht man Frau Noble in der „amerikanischen” Einstellung – sie steht allein in
der kargen Landschaft und blickt den Teenagern entgegen, die mit ihrer
Wanderausrüstung ankommen und sich dann im Halbkreis aufstellen. Während
ihres Interviews sieht man sie in „Nah-“ Aufnahme
Mysteriös wirkende einzelne Töne im Hintergrund.
Sprecher:
„Therapeutin Annegret Noble ist zurück in der Wüste. Sie hat
Nachrichten aus Deutschland. Die Eltern der Teenager haben
Briefe geschickt.“
Annegret:
„Diese Briefe werden den Jugendlichen hoffentlich helfen zu
verstehen, warum sie hier sind, woran sie arbeiten müssen und
was sie ändern müssen, um zu hause, mit ihren Familien,
zusammen zu leben.“
F3, 20:50 – 21:00
Links im Bild befindet sich ein Feld mit Annegret Noble. Sie steht in der
Wüstenlandschaft und gibt ein Interview. In einem kleineren Feld auf der
rechten Bildschirmhälfte sieht man sie mit verschiedenen Teenagern und einem
Brief in der Hand vor den Zelten sitzen. Zum Schluss vergrößert sich der linke
Kasten zum Vollbild. Einblende: „Annegret Noble. Cheftherapeutin“.
Man hört eine traurige Geigenmelodie.
Annegret:
„Für die meisten der Jugendlichen wird es schon ne sehr
emotionale Erfahrung sein, von zuhause zu hören und auch
wirklich noch mal dran erinnert zu werden, warum sie hier sind.“
Den Jugendlichen wird also vermittelt, dass sie allein Schuld sind, an der familialen
Situation, dass sie sich ändern müssen, um „zuhause, mit ihren Familien, zusammen …
leben“ zu dürfen. Das Projekt wird nicht als Hilfe für die Kinder gesehen, sondern als
Strafe dafür, wie sie sich in ihrem bisherigen Leben verhalten haben. Das wird
besonders durch den Satz „und auch wirklich nochmal dran erinnert zu werden, warum
sie hier sind” deutlich.
105
F3, 17:40 – 18:18
Situation: Annegret hat Pascal aus dem Brief seiner Eltern vorgelesen.
Die beiden werden aus der Froschperspektive, auf dem Boden vor Pascals Zelt
sitzend, gefilmt. Frau Noble hält den Brief auf dem Schoß, der Jugendliche
weint und hat den Kopf gesenkt, so dass man nur noch seinen Hut sehen kann.
Traurige Klaviermusik.
Annegret:
„Was passiert grad in dir?“
Pascal:
„Ach, ich bin traurig. ..... (schnieft) Dass ich meiner Mom weh
getan hab.“
Annegret:
„Ich hab gehört, dass, dass sie sich sehr, sehr wünscht, dass sich
zu hause bei euch was verändert. Was denkst denn, was du tun
musst, damit das zu hause auch klappt?“
Pascal:
„Ja, einfach ruhig bleiben, wenn die mich aufregen.“
Annegret:
„Kannst du das schon?“
Pascal:
„Ja, n bisschen. ... Hier kann ich ja nur den Anfang lernen, und
dat Rest muss ich ja dann zu hause weiter lernen.“
Annegret:
„Stimmt, hast total recht.“
Pascal:
„Ja, ich weiß, dass ich meiner Mom seelisch weh getan hab und
so.“
Selbst im direkten Gespräch mit Pascal vermittelt Frau Noble ihm, dass es seine
Aufgabe sei, etwas zu tun, „damit es zu hause auch klappt”. Statt zu fragen „was müsste
sich denn zu hause ändern, damit es besser klappt und was könnte jeder von euch dazu
beitragen?“, wird er allein für das Gelingen verantwortlich gemacht. Am Rande sei
angemerkt, dass ich die „Bewältigung“ der Schwierigkeiten, die ihm offensichtlich
während des Programms beigebracht wurde, für äußerst zweifelhaft halte: „Einfach
ruhig bleiben, wenn die mich aufregen“ heißt meines Erachtens nur, nichts an der
familialen Situation und den Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern zu ändern,
sondern die Probleme herunterzuschlucken. Pascals „Aufregen“ könnte ein Ausdruck
von Spannungen innerhalb der Familie oder seines weiteren Umfelds sein – diese Wut
einfach „in sich hinein zu fressen“ und in sich aufzustauen führt meiner Meinung nach
nur noch zu größeren Problemen. Frau Nobles Frage „Kannst Du das schon?“ zeigt
jedoch, dass sie diese „Lösung“ für akzeptabel und richtig hält.
106
Auch die Eltern selbst scheinen der Meinung zu sein, dass nur die Jugendlichen an sich
arbeiten müssen. Stellvertretend für fast alle Elternbriefe, die sehr ähnlich sind, habe ich
folgende beiden Szenen ausgewählt.
F3, 16:42 – 17:10
Situation: Die Eltern haben ihren Kindern Briefe geschrieben.
Nahaufnahme von Pascal. Er sitzt weinend mit angezogenen Beinen auf dem
Boden, den Sonnenhut tief herunter gezogen und das Gesicht hinter den Armen
vergraben, die auf seine Beine aufgestützt sind. Die Kamera zoomt noch etwas
näher heran bis zur Einstellungsgröße „Detail“. Anschließend sieht man ihn und
Annegret Noble in der „Halbtotalen“ auf dem Boden vor Pascals Zelt sitzen.
Frau Noble, die man zwischenzeitlich auch in „Nahaufnahme“ sieht, liest aus
dem Brief vor.
Eine traurige und langsame Klaviermelodie im Hintergrund.
Annegret:
(liest aus dem Brief von Pascals Mutter vor) „Wenn du dich nicht
änderst, dann muss ich dir sagen, dass du gehen musst. Ich kann
es nicht mehr sehen, dass du fast alle terrorisierst und mich
nervlich fertig machst. Ich habe momentan Wut auf dich, weil du
dir nicht helfen lässt. Es tut sehr weh, so etwas zu sagen, aber ich
muss es dir sagen, vielleicht änderst du dich ja. Das hoffe ich so
sehr. Wenn du dich nicht änderst, dann muss ich dir sagen, dass
du hier gehen musst.“
(Pascal steht weinend auf und geht hinter sein Zelt)
F3, 21:45 – 21:54
Nahaufnahme von Kurt, der vor seinem Zelt sitzt und sich, während er Kris
zuhört, immer wieder die Augen reibt. Zwischenzeitlich eine Detailaufnahme
vom Brief seiner Eltern.
Im Hintergrund hört man dramatische Geigenmusik.
Kris:
(liest aus dem Brief von Kurts Vater vor) „Jetzt werde ich mich
wieder auf mein Leben mit Anke konzentrieren. Denn du bist
dabei, unsere Familie und das Familienleben zu zerstören.“
107
Diese Einstellung der Eltern ist an sich wohl nicht ungewöhnlich. Es wäre jedoch
Aufgabe der Betreuer und sinnvoller Inhalt der Elternarbeit, ihnen zu vermitteln, dass es
nicht um Schuldfragen, sondern um neue Wege für die Zukunft der Familien geht.
Dieser Schritt bleibt jedoch aus, die Briefe der Eltern und die darin enthaltenen
Vorwürfe bleiben unkommentiert. So verwundert es nicht, dass die Teenager diese
Sichtweise verinnerlichen und bald selbst der Meinung sind, für alles verantwortlich zu
sein und nur für ihre Eltern an dem Programm teilzunehmen:
F3, 27:38 – 27:47
Kevin sitzt bei Sonnenuntergang im Eingangsbereich seines Zelts und liest den
Brief seiner Eltern. Bei einer Nahaufnahme seines Gesichts erscheint ein roter
Kasten mit den Worten „Kevin, 15 Jahre. Gang-Mitglied.“
Langsame, fast traurige Popmusik im Hintergrund.
Kevin:
„Ja, ich hab Schuldgefühle in mir von meinen Eltern. (schnieft,
wischt sich die Nase ab) Dass mir das alles Leid tut, was ich
gemacht hab, dass ich das denen angetan hab.“
F2, 22:12 – 22:30
Nahaufnahme von Stacey, im Hintergrund erkennt man die karge Landschaft.
Einblende: „Stacey, 17 Jahre. Schulabbrecherin“. Anschließend sieht man sie
aus der Froschperspektive, mit ihrem Rucksack und dem Wanderstock bepackt.
Eine sehr leise, ruhige Melodie spielt im Hintergrund.
Stacey:
„Ich bin traurig, weil ik zu meiner Mutter möchte und deswegen
mach ich eigentlich das auch hier (wischt sich eine Träne weg).
Und deswegen geb ich mir auch so viel Mühe und deswegen hab
ich auch eigentlich die ganze Kraft. Weil ich hoffe, dass wenn ich
hier gut arbeite, und dass meine Mutter es dann hört, dass ich
dann gleich mit darf, wenn sie mich besuchen kommt.“
Viele weitere Szenen dieser Art habe ich in den Folgen gefunden. Durch die
Schuldzuschreibungen fühlen sich die Jugendlichen verantwortlich und sind traurig
darüber, was sie ihren Eltern „angetan” haben. Das führt letztendlich dazu, dass sie sich
108
durch das Programm durchkämpfen, um den Eltern einen Gefallen zu tun, um sie aber
auch stolz zu machen. Sie hoffen, dass sie, wenn sie nur brav an sich arbeiten und alles
befolgen, was von ihnen verlangt wird, wieder mit nach hause dürfen. Die Chancen
eines Auslandsprojekts, als Hilfe und Angebot für die Jugendlichen und ihre Eltern,
werden damit verspielt. Selbst als Vivien die Betreuer direkt darauf aufmerksam macht,
dass die familiären Schwierigkeiten keinem allein zugeschrieben werden können, gehen
diese nicht darauf ein.
F3, 29:11 – 29:17
Situation: Die Teenager sollen während eines Gesprächskreises berichten, was
für sie das Wichtigste war, dass ihre Eltern ihnen in den Elternbriefen
geschrieben haben.
Vivien in der Einstellungsgröße „Amerikanisch“ am Lagerfeuer.
Ruhige Gitarrenmusik, die zur Lagerfeuerstimmung passt, im Hintergrund.
Vivien:
„Meine Mutter hat mir geschrieben, dass sie's endlich eingesehen
hat, dass, .. dass sie auch Fehler gemacht hat.“
Ich habe jedoch auch einige Szenen gefunden, in denen man meiner Meinung nach von
einer gelungenen Elternarbeit sprechen kann:
F3, 23:37 – 23:50
Situation: David hat gerade den Brief seiner Eltern gelesen.
Zurrst eine Detailaufnahme von seinem Gesicht, er ist weint. Dann sieht man ihn
neben Frau Noble auf dem Boden vor seinem Zelt sitzen Statt sie anzuschauen
blickt er runter und spielt im Sand herum.
David:
(schnieft) „Jetzt weiß ich auch wenigstens, wie sich meine Eltern
gefühlt haben. (schluchzt)“
Annegret:
„Ja“
David:
„Hauptsächlich hatten sie eben Angst um mich. (schnieft) Und det
hab ich nie begriffen vorher.“
Hier hat die Elternarbeit, also die Briefe, die die Eltern ihren Kindern schreiben sollten,
offensichtlich zu mehr Verständnis für die Familienmitglieder geführt. David kann das
Verhalten der Eltern jetzt positiv deuten – nämlich als Sorge um ihn und daher als
109
Liebe. Diese Einsicht könnte der Grundstein für alternative Verhaltensweisen sein und
zu mehr Kommunikation innerhalb der Familie führen. Von Schuldzuschreibungen
wird abgesehen.
F2, 13:39 – 13:57
Situation: Annegret schlägt den Jugendlichen vor, sich in Situationen, in denen
sie wütend werden, eine Auszeit zu nehmen und zu gehen.
Die Jugendlichen und Annegret Noble sitzen auf dem Boden unter einem
Sonnendach im Kreis zusammen. Frau Noble hat einige Blätter Papier auf ihrem
Schoß liegen und gestikuliert. Im Hintergrund sieht man David, der wie in der
Schule aufgeregt seinen Finger hebt und augenscheinlich etwas sagen will. Die
meisten der Teenager scheinen interessiert zuzuhören, andere wiederum flüstern,
spielen mit ihrem Sonnenhut oder grinsen amüsiert.
Annegret:
„Und manchmal ist das Leben nicht so ideal. Aber das ist das
Ziel. Und ich werde mit euren Eltern dran arbeiten, dass die das
machen, ... hoffentlich lernt ihr, wie ihr diese, diese gelbe Karte
euch dann nehmt und wirklich diese Auszeit euch nehmt, diese
Ruhepause, damit ihr euch beruhigen könnt.“
Hier wird also von einer einseitigen Schuldzuschreibung abgesehen, Kinder und Eltern
sollen beide an sich arbeiten. Das gibt einerseits den Eltern das Gefühl wichtige
Beteiligte zu sein und in ihrer Elternrolle wertgeschätzt zu werden und andererseits
vermittelt es den Jugendlichen, dass sie nicht allein für die familiären Probleme
verantwortlich gemacht werden. Nach diesem Prinzip sollte die Elternarbeit eigentlich
immer ablaufen, leider handelt es sich bei „Teenager außer Kontrolle“ mit diesem
Ausschnitt jedoch um eine Ausnahme. Es ist tatsächlich die einzige Szene in der
erwähnt wird, dass auch mit den Eltern an Zielen gearbeitet wird.
F3, 39:40 – 41:10, 41:26 – 41:50
Situation: Annegret Noble hat einen Brief mitgebracht, den Dzenetas Mutter
geschrieben hat.
Dzeneta und Frau Noble sitzen nebeneinander auf dem Boden, sie werden
abwechselnd in „Groß“ gezeigt. Aufgrund des schlechten Wetters sind beide
110
sehr dick angezogen und tragen Mützen. Einmal wird der Brief in „Detail-“
Aufnahme gezeigt.
Dzeneta:
„Kumma, kumma was n Shit, das regt mich jetzt schon auf!
Kumma, was n Scheiß die da schreibt! Wie wenig, ey ne, Alter!“
(traurige Gitarrenmusik beginnt zu spielen)
Annegret:
„Bist du jetzt enttäuscht?“
Dzeneta:
„Ich, ne, ich hab eigentlich gar nicht erwartet, dass irgendwie
jetzt, ich find’s c o o l, PC-Schrift, ich glaub das war ihr Freund,
dass der das geschrieben hat, oder meine Schwester am PC.“
Annegret:
„Deine Mutter schreibt am PC gar nicht?“
Dzeneta:
„Ne, ich glaub nicht, dass sie weiß wo die Tasten sind, (lacht)
oder ne Maus bewegen kann.“
Annegret:
„Okay, ich les es dir jetzt mal vor.“
Dzeneta:
„Ja.“
Annegret:
(liest vor) „Liebe Dzena, wir vermissen dich sehr. Ich finde es
schade, dass bei euch das Netz so schlecht ist und wir nicht näher
erfahren können wie es euch läu, wie es bei euch läuft. Ich backe
dir einen ganz großen Schokokuchen wenn du kommst.“
Dzeneta:
„Soll sich verpissen, Alter!“
Annegret:
(liest weiter) „Wenn du wieder hier bist, ist die neue Wohnung
schon fertig. Danjo fragt auch die ganze Zeit wann du kommst.
Ich schreib dir bald wieder. Ich hab dich sehr lieb. Deine Mama.
Dzeneta:
(lacht, dreht sich weg)
Annegret:
„Was geht dir jetzt grad durch den Kopf?“
Dzeneta:
„Gar nichts eigentlich.“
Annegret:
„Doch...“
Dzeneta:
„Scheiße, Alter.“
Annegret:
„Du hast Dich umgedreht und gelacht, dir ging was durch den
Kopf.“
Dzeneta:
„Ja, ich find’s einfach nur lächerlich, was sie da schreiben.“
Annegret:
(nickt) „Bist du enttäuscht?“
Dzeneta:
„Ich bin nicht enttäuscht. Ich hab’s auch erwartet, meine Mutter,
ich hab’s ja auch die ganze Zeit gedacht...“
Annegret:
(unterbricht sie) „Bist du enttäuscht?“
111
Dzeneta:
(überlegt, grinst ein bisschen) „Ich bin schon mein ganzes Leben
von meiner Mutter enttäuscht. Von daher ist ja klar, ich hab, ich
hab’s gewusst, dass sie's nicht war, weil meine Mutter nennt mich
nicht Dzena. Meine Mutter nennt mich Jenny, will mich deutsch
machen, geht nicht, meine Schwester ist diejenige und meine
ganzen Freunde, die mich Dzena nennen. Und meine Mutter
nicht.“
Annegret:
„Bist du enttäuscht?“
Dzeneta:
(lacht tonlos) „Ja, ’türlich bin ich enttäuscht! Ich bin doch die
ganze…“
Annegret:
(ruft) „Danke ums zuzugeben, dass du’s zugegeben hast.“
Etwas später:
Annegret:
„Deine Mutter ist so. Und vielleicht können wir die nie verändern.
Vielleicht ändert die sich nie. Und, und du wirst immer tief in dir
drin traurig sein,
Dzeneta:
(„Detail-“ Aufnahme von Dzenetas Gesicht). (Sehr ruhig, traurig)
„Ja. ... Was soll ich machen.“
Annegret:
„Weiß ich auch nicht, aber vielleicht können wer j a mal dahin
gehen. Können wir ja mal den See erforschen, und gucken, wo die
Tränen alle herkommen, die du nicht geweint hast.
Diese letzte Szene ist meiner Meinung nach ein gelungenes Beispiel für die sogenannte
„Elternarbeit ohne Eltern“. Dzenetas Mutter, die ihre Tochter bereits nicht wie die
anderen Eltern am Flughafen verabschiedet hat, schreibt ihr zwar eventuell einen Brief
(vielleicht war es ja auch der Freund oder die Schwester), kümmert sich jedoch nicht so
intensiv um ihre Tochter wie es die anderen Eltern tun. Abgesehen davon, dass es
meiner Meinung nach Aufgabe der Professionellen wäre zu versuchen, Dzenetas Mutter
mehr zu involvieren und zu motivieren, finde ich, dass Annegret Noble in diesem
Ausschnitt sehr sensibel und verantwortungsbewusst mit Dzenetas Verletzung und
Enttäuschung umgeht. Statt über die Mutter zu schimpfen, Dzenetas Trauer
herunterzuspielen, oder das Gespräch abzubrechen bietet sie ihr an, die Verletzungen
aufzuarbeiten und mit ihr über die Beziehung zu ihrer Mutter zu sprechen.
112
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass es durchaus positiv zu bewerten ist, dass bei
„Teenager außer Kontrolle“ trotz der großen räumlichen Distanz zwischen Deutschland
und den USA viel Wert auf die Arbeit mit den Familien gelegt wird. Telefonate, Briefe
und Besuche der Eltern gehören fest zum Konzept. Leider ist die Ausgestaltung der
Elternarbeit jedoch meist weniger gelungen: Die Kontakte werden von Bedingungen
abhängig gemacht und als Druckmittel verwendet, die Eltern werden für ihre bisherigen
Leistungen nicht wertgeschätzt und nicht weiter in die Erziehung der Kinder involviert.
Die Arbeit vor Ort ist für sie nicht transparent genug und der Fokus liegt eher auf den
Problemen der Vergangenheit statt auf den Ressourcen und der Zukunft. Die Kinder
werden außerdem in den meisten Fällen für die aufgetretenen Schwierigkeiten innerhalb
der Familien verantwortlich gemacht. Letztendlich kann es so dazu kommen, dass die
Elternarbeit zu Schuldgefühlen seitens der Kinder und dem Gefühl der Nutzlosigkeit
seitens der Eltern führt, was nicht ihrem Sinn entspricht. Szenen, die eine gute
Elternarbeit zeigen, sind leider sehr selten.
113
4.3.3
Die Beziehungen zwischen den Jugendlichen: Die Bedeutung der Gruppe
Die soziokulturelle Theorie besagt, dass sich Kinder über soziale Lernprozesse die
Kultur ihrer Lebenswelt aneignen (vgl. Opp/Unger 2006, 58). Neben Erwachsenen, die
Kindern als Vorbild fungieren, für sie da sind und ihnen Grenzen setzten, benötigen
Heranwachsende als Interaktionspartner aber auch ihresgleichen. Da die sogenannten
„Peers“ in der Regel weder über einen Erfahrungs- noch einen Kompetenzvorsprung
verfügen, sind Jugendliche im Umgang mit ihnen der Realität sehr viel stärker
ausgesetzt, als in der asymmetrischen Beziehung zu Erwachsenen und können so
wichtige soziale Kompetenzen erwerben. Das gleichaltrige Gegenüber ist weder
Versorger, noch Beschützer oder Welterklärer, sondern jemand mit dem auf gleicher
Augenhöhe verhandelt wird (vgl. ebd., 202). Mit anderen Worten: „Der sozialisatorische
Beitrag der Kinderinteraktion kann sich nicht auf Erfahrung, Vorbild und Belehrung
stützen, sondern in der Kinderwelt konfrontieren sich relativ Gleiche mit ihren
Erwartungen und Absichten und stehen vor der Aufgabe, ihre Sichtweisen und Vorhaben
wechselseitig zu koordinieren“ (Krappmann 1998, 355f.). Nach Reinders und Youniss
(2005, 260) wird durch symmetrische Peerbeziehungen auch die moralische
Entwicklung der Heranwachsenden gefördert, denn oft befolgen Kinder lediglich aus
Liebe oder Furcht die Anweisungen der Erwachsenen, noch bevor sie eigene Einsichten
gewonnen haben. In der Beziehung zu den Gleichaltrigen hingegen müssen sie sich
ihrer eigenen Ansicht bewusst werden und diese in Interaktion mit dem Gegenüber
behaupten. Sozialpsychologische Forschungen zeigen des Weiteren, dass Vergleiche mit
der Bezugsgruppe für die Bildung eines Selbstkonzepts und Selbstwertgefühls von
zentraler Bedeutung sind. Denn das eigene Selbstbild kann korrigiert werden, wenn der
Jugendliche lernt, sich selbst aus der Perspektive anderer wahrzunehmen. Dies kann
außerdem dazu führen, eigene Verhaltensweisen und Angewohnheiten neu zu bewerten
und zu überdenken (vgl. Uhlendorff 2005, 91). Vor allem bei alltäglichen Problemen
wird die Bedeutung der Peerbeziehungen verständlich: Oft haben Jugendliche das
Gefühl, von Erwachsenen einfach nicht verstanden oder ernst genommen zu werden,
manchmal bezieht sich der Konflikt auch gerade auf die erwachsene Bezugsperson. So
kommt es nicht in Frage, bei ihr Rat zu holen. Sich hingegen im Austausch mit
Freunden verstanden zu fühlen und zu erfahren, dass diese ganz ähnliche Probleme
haben, kann schon einen ersten Schritt aus der Krise darstellen (vgl. Opp/Unger 2006,
203).
Bei allen positiven Aspekten darf nicht verschwiegen werden, dass die Peers neben
114
einem entwicklungsfördernden auch einen entwicklungsgefährdenden Einfluss haben
können (vgl. Reinders/Youniss 2005, 272). So ist abweichendes Verhalten oft in
Netzwerke von Gleichaltrigenbeziehungen eingebettet und wird durch gewisse
Freundschaften sogar begünstigt. Statt aus Angst zu versuchen, Beziehungen zwischen
den Jugendlichen von vorne herein zu verhindern, sollte man um die förderlichen
Aspekte wissen und versuchen, eine positive Peerkultur zu unterstützen (vgl.
Opp/Unger 2006).
Analyse
In vielen Situationen zeigt sich, dass die Betreuer um jeden Preis versuchen zu
verhindern, dass die Jugendlichen untereinander Beziehungen aufbauen.
F1, 36:53 - 37:02
Frau Luepges steht während sie das Interview gibt in einem ungemütlich und
kalt wirkenden Kellerraum und hält einen Notizblock in der Hand. Ein roter
Kasten mit den Worten „Marlies Luepges. Betreuerin“ wird eingeblendet. Im
Hintergrund sieht man einige der Jugendlichen auf dem Boden sitzen.
Marlies:
„Dann haben wir auch die Mitarbeiter so verteilt, das wir Deutsch
sprechende Leute haben, dass wir genügend, ähm, Betreuer
zwischen den Jugendlichen haben und so weiter. Dass da keine
negativen Verbindungen geschafft werden können.“
F1, 37:12 – 37:18
Man sieht die Jugendlichen einen dunklen Flur entlanggehen.
Harte und aggressive Rockmusik.
Sprecher:
„Die Teenager werden voneinander getrennt. Den Betreuern ist
das Risiko eines weiteren Aufstands zu groß.“
F1, 1:16:52 – 1:16:59
Die Jugendlichen stehen mit ihren Wandersachen bepackt im Kreis auf einem
Feld. Die Sonne scheint, man hat den Eindruck, dass es sich um einen sehr
heißen und trockenen Tag handelt.
115
Kami:
„Es wird auch erwartet, ähm, dass während wir wandern, dass ihr
auch Stille übt, ne?“
F4, 3:03 – 3:25
Aufnahme aus der Froschperspektive: Im Vordergrund befindet sich eine gelbe
Pflanze, die Gruppenmitglieder und Betreuer wandern nacheinander im
Hintergrund an dieser Pflanze vorbei. Dann teilt sich das Bild in zwei Kästen,
rechts sieht man Kris Schock beim Interview, links Betreuer Dan, der den
Jugendlichen einen Zeltplatz zuweist.
Leise, mysteriös wirkende Musik im Hintergrund.
Kris:
„Das Solo bedeutet ein konkretes Alleinseins. Das heißt, die
Jugendliche sind alle verteilt worden und sie können die andere
Jugendliche nicht sehen. (...) Wir nehmen die Schuhe und die
Stirnlampe weg, damit die Jugendliche sich nicht einander
besuchen können und dass sie nicht weglaufen können.“
Über die Gründe für dieses Vorgehen lässt sich nur spekulieren. Die ersten beiden Zitate
legen die Befürchtung der Professionellen nahe, dass die Teenager sich gegen sie
verbünden könnten. Möglich wäre auch, dass sie hoffen, einen größeren Einfluss auf die
Jugendlichen zu haben, wenn sie für sie die einzigen Bezugspersonen sind. In zwei
Situationen teilt man den Teenagern sogar wörtlich mit, dass es in diesem Programm
nicht darum geht, mit anderen in Beziehungen zu treten oder gar Freunde zu finden:
F2, 39:18 – 39:34
Situation: Die Jugendlichen haben sich gestritten.
Sie stehen zusammen mit mehreren Betreuern auf einem Feld, während
Annegret Noble spricht, zoomt die Kamera ihr Gesicht bis zur Detailansicht
heran.
Zwischendurch
werden
Bilder
der
Jugendlichen
in
ihrer
Wanderausrüstung gezeigt.
Annegret:
(langsam, fast beschwörend) „Dzeneta. Du bist n u r für Dich
verantwortlich. Für keinen anderen. Du bist dafür verantwortlich,
dass du dich .. entsprechend benimmst. Mach dir über alle
anderen keine Sorgen. Das ist unsere Sorge.“
116
F4, 35:32 – 35:54
Das Bild ist dunkler als sonst, was verdeutlichen soll, dass es sich um eine
Rückblende handelt. Abwechselnd sieht man Marlies Luepges, die wild
gestikuliert, in „amerikanischer“ Einstellung und Stacey, die betrübt vor sich hin
schaut, in „Großaufnahme“.
Einzelne, lang gezogene Töne, fast wie bei einem Western.
Marlies:
(streng und unfreundlich) „Ich möcht dass du mit dem ganzen
Firlefanz aufhörst. Das ganze „Danke“, das viele Schwatzen und
so weiter, ich hab dir das schon mal gesagt, und ich sag das noch
mal: Ich möchte, dass all das weg geht, damit du dich auf solche
wichtigen Sachen konzentrieren kannst! Probier dich nicht
einzuschleimen, probier dir hier keine Freunde hier zu gewinnen,
probier nur auf dich selber aufzupassen, damit du die Sachen, die
du machen musst, richtig machst.“
Auch mit diesen Aussagen versuchen die Betreuer, Beziehungen zwischen den
Gleichaltrigen
zu
verhindern.
Um
die
möglichen
positiven
Effekte
der
Peergemeinschaft wissen sie entweder nicht, oder sie nehmen einfach in Kauf, auf sie
zu verzichten. Frau Luepges verlangt von Stacey, sich entgegen aller gesellschaftlichen
Verhaltensnormen zu benehmen. Um einen Menschen auf ein eigenständiges Leben
nach dem Projekt vorzubereiten, ist diese Aufforderung sehr kontraproduktiv.
In anderen Szenen hingegen wird die Gruppe explizit genutzt, vor allem, wenn sie als
Druckmittel fungieren soll:
F1, 1:19:19 – 1:19:25
Situation: Dzeneta hat beim Wandern ihren Stock weggeschmissen und möchte
nicht mehr weiter gehen.
Die Wüstenlandschaft bei sehr sonnigem Wetter dominiert das Bild. Nachdem
gezeigt wird, wie Dzeneta sich ein Stück von der Gruppe entfernt, sieht man
Bilder der erschöpften Gruppenmitglieder, die sich auf ihren Stock stützen und
Wasser trinken.
Langsame, einzelne Töne im Hintergrund.
117
Marlies:
„Wenn du dich jetzt hinsetzt, oder wenn du es jetzt länger machst,
bedeutet das, dass all deine Freunde hier so lange mit den
Rucksäcken rumstehen müssen.“
F1, 1:21:00 – 1:21:22
Situation: Es ist der erste Tag der Wanderung und Dzeneta möchte eine Pause
machen, da sie erschöpft ist. Als Marlies keine Pause im Sitzen erlaubt, wirft
Dzeneta ihren Rucksack zu Boden, läuft ein Stück von der Gruppe weg und setzt
sich einfach hin. Die anderen Jugendlichen müssen so lang, bis Dzeneta wieder
weiter wandert, mit den Rucksäcken bepackt in der Sonne stehen und warten.
Aufnahme von Marlies aus der Froschperspektive (etwa Dzenetas Perspektive,
da sie auf dem Boden sitzt). Dann schwenkt die Kamera erst zu Dzeneta
herunter, die weinend ihr Gesicht in den angezogenen Beinen und zwischen
ihren Armen vergraben hat und zum Schluss noch einmal zu Marlies zurück, die
dann, halb zu Dzeneta gebeugt, in der „amerikanischen“ Einstellung zu sehen
ist.
Marlies:
„Schau mir mal darüber bitte, (zeigt zur Gruppe) schau dir mal
die Gruppe an. Dzeneta?
Dzeneta:
(weinend) „Ich hab keinen Bock mehr, lass mich in Ruhe, Mann,
ich will nach Hause!“
Marlies:
(streng) „Dzeneta, du bist im Moment verantwortlich für die
ganze Gruppe!“
Dzeneta:
„Die, ich scheiß auf die ganze Gruppe und auf euch scheiß ich
genauso.“ (schluchzt)
Marlies:
„Die stehn, die stehn jetzt in der Sonne, im Moment haben sie
Wasser, aber die stehen da mit ihren Rucksäcken an,
währenddessen du hier sitzt. Ohne Rucksack.“
Marlies Luepges versucht in mehreren Szenen Dzeneta zum Weiterwandern zu
bewegen, indem sie sie auf die Folgen für die Gruppe aufmerksam macht.
Paradoxerweise haben die Betreuer selbst bestimmt, dass die anderen Teenager mit
ihren Rucksäcken bepackt weiterhin in der Sonne stehen müssen, bis die Situation
geklärt ist. Die Angst vor Sanktionen und negativen Reaktionen seitens der Peers wird
118
bewusst genutzt. Das folgende Zitat von Kevin (stellvertretend für mehrere
aufgebrachte Kommentare der Gruppenmitglieder) zeigt, dass dieses Vorgehen durchaus
erfolgreich ist:
F1 1:22:00 – 1:22:10
Kevin wird in Großaufnahme gezeigt, während er ein Interview gibt. Er steht
rechts im Bild, so dass man links bis zum Horizont die Wüstenlandschaft sieht.
Einblende: „Kevin, 15 Jahre. War Mitglied einer Gang.“
Kevin:
„Ja, ich find das scheiße, dass wir wegen der hier rumstehen
müssen. Wir, ich, wir haben hier alle Schmerzen, nur weil die das
einzige ist, die dann, die faxen muss und das ausziehen müssen,
müssen wir darunter leiden.“
Statt auf die Betreuer zu schimpfen, die diese Regel aufgestellt haben, ärgern sich die
Jugendlichen über Dzeneta, was natürlich ein positives Gruppenklima verhindert. Als
diese letztendlich von der Gruppe getrennt wird, um einen großen Teil der Strecke noch
einmal allein zu wandern, macht Kris Schock den Jugendlichen noch einmal bewusst,
dass sie ohne Dzeneta eigentlich besser dran sind:
F3, 6:30 – 7:03
Die Jugendlichen und Kris Schock stehen mit ihren Rucksäcken bepackt im
Kreis. Die Kamera schwenkt hin- und her und filmt die unterschiedlichen
Beteiligten.
Kris:
„Wir sind wie eine Familie, oder?“
Jugendliche: (murmeln)
Kris:
„Und wenn einer von uns Stress hat, oder Schwierigkeiten hat
oder so .. hat fast jeder von uns auch diesen Stress und diesen,
diese Schwierigkeiten, oder?“
Jugendliche: „Ja“
Kris:
„Das ist eigentlich so mit der Dzeneta ge, gewesen, oder? (…) Sie
hat
Schwierigkeiten,
wir haben
auch
mit
ihr ..
diese
Schwierigkeiten miterlebt, vor allem beim Wandern haben wir
das gesehen, oder?“ (nickt)
119
Jugendlicher: „Ja.“
Kris:
„Heute
sind
wir
ziemlich
schnell
gewandert
..,
aber
normalerweise, wenn sie dabei ist, gehen wir ziemlich langsam,
oder?“
Vivien:
„Ja.“
Kris:
„Okay.“
Mit diesem Vorgehen erreichen die Professionellen zweierlei: Erstens wird durch den
vorübergehenden Ausschluss ein Gemeinschaftsgefühl der ganzen Gruppe verhindert
und zweitens werden die restlichen Jugendlichen Angst bekommen, selbst
ausgeschlossen zu werden. Dass die Schuldzuschreibungen erfolgreich waren, zeigt das
folgende Zitat von Andreas, welches für den Zuschauer noch durch die Anmerkungen
des Sprechers bekräftigt wird:
F3, 12:58 – 13:14
Die Kamera steht zuerst fest an einem Platz und filmt die Jugendlichen, die mit
ihren Rucksäcken und Stöcken bepackt in einer Reihe an der Kamera vorbei
laufen. Zuerst sieht man sie von vorn, dann von hinten. Bei Andreas’
Kommentar wird er allein in „Nahaufnahme“ gezeigt, unter seinem Kopf
erscheinen die Worte „Andreas, 15 Jahre. Serieneinbrecher“. Abschließend noch
einmal
Aufnahmen
der
wandernden
Jugendlichen,
aus
verschiedenen
Perspektiven.
Erst gruselig wirkenden, langsame Gitarrenklänge, dann lautere Rockmusik.
Sprecher:
Das frische Erfolgserlebnis ohne Dzeneta gibt ihnen zusätzliche
Motivation.“
Andreas:
„Ja, normalerweise, äh, gehen wir immer langsamer, wegen
Dzeneta. Aber die ist heute nicht da, deswegen können wir so n
bisschen schneller gehen.“
Sprecher:
„Wie von einer Last befreit geben die Teenager noch mal Gas.“
.
Dem Zuschauer wird also vermittelt: Wenn ein Jugendlicher nicht gehorcht, dann muss
er aus der Gruppe ausgeschlossen werden, damit es den Anderen besser geht. Welche
Belastungen daraus für den Ausgeschlossenen und auch für den Rest der Gruppe
entstehen, wird dabei verschwiegen.
120
Dass den Teenagern die Gruppengemeinschaft trotz allem sehr wichtig ist, zeigen die
folgenden Zitate:
F3, 37:00 – 37:18
Situation: Dzeneta hat ihren „Quest“ erfolgreich beendet und darf zurück zu den
anderen Teenagern.
Dzeneta, Tanja und Kris stehen nebeneinander auf einem Weg. Als Dzeneta
spricht, zoomt die Kamera heran, bis sie in „Nahaufnahme“ zu sehen ist.
Anschließend sieht man die Gruppe in der Kameraeinstellung „Weit“ durch die
weite Landschaft auf Dzeneta und die Betreuer zuwandern.
Kris:
„Was ist dein Gefühl jetzt, die Gruppe wieder zu sehen?“
Dzeneta:
„Ja, ist cool. Ich weiß nicht. Erleichtert, dass ich wieder hier bin,
auf jeden Fall.“
Kris:
„Mhm.“
Dzeneta:
„Dass ich nicht wieder so .. Einzelfall bin.“
Sprecher:
„Dzeneta trifft auf die Gruppe, die ihr vor drei Tagen noch völlig
egal war. Der Quest hat seinen Zweck mehr als erfüllt.“
F3, 37:54 – 38:01
Die Jugendlichen stehen mit ihren Wandersachen bepackt im Halbkreis. Kevin
wird in der Einstellung „Amerikanisch“ gefilmt, er steht leicht vorn über
gebeugt, wahrscheinlich aufgrund des Gewichts des Rucksacks.
Kevin:
„Ich fühl mich erleichtert, dass die Gruppe wieder zusammen ist
und ich .. bin sehr stolz auf Dzeneta, dass sie's geschafft hat und
überlebt hat.“
Vor allem die Zeit des Solos, bei dem die Teenager keinen Kontakt zu den
Gruppenmitgliedern haben dürfen, ist für sie eine große Belastung:
F4, 7:07 – 7:18
Als erstes sieht man Kris Schock, der Pascals Zeltplatz verlässt und zwischen
Büschen verschwindet. Anschließen eine Aufnahme von Pascal im Interview; er
sitzt im Schneidersitz im Schatten eines großen Baumes. Die Einstellungsgröße
121
ist die „Totale“, was Pascal klein erscheinen lässt. Einblende: „Pascal, 17 Jahre.
Dealer“.
Leise, traurige Klänge.
Pascal:
„Ich wär lieber in ner Gruppe, weil dann kann man auch mehr so,
ist man nicht alleine, so wie früher, bei mir. .. Ja.“
F4, 30:41 - 30:50
Aufnahme der Gruppe, die zusammen im Schatten auf dem Boden sitzt. Nach
einem Schwenk zur Landschaft wird Dzeneta, auf dem Boden sitzend und ein
Interview gibt, gefilmt.
Ruhige, aber fröhliche Klavierklänge.
Dzeneta:
„Also ich find's geil, dass wir jetzt wieder alle zusammen hier
sind. .. Weil ... ich voll Angst hatte, alleine die vier Tage und ich
voll die Alpträume hatte.“
Viele der Teenager berichten über Ängste und Gefühle der Einsamkeit. Sie sehnen sich
sehr nach Kontakt zu den anderen Teenagern, dürfen ihren Zeltplatz aber nicht
verlassen. Die Betreuer ignorieren die Bedürfnisse der Jugendlichen und ziehen das
Programm durch. Meines Erachtens wäre es viel sinnvoller, die Sehnsucht nach der
Gruppe zu nutzen, um gemeinsam an einer positiven Peerkultur zu arbeiten.
Insgesamt habe ich nur zwei Szenen gefunden, in denen ein positives Gruppenklima
explizit gezeigt wird:
F2, 15:00 – 15:10
Die Jugendlichen und Kami Schott stehen in einer Reihe nebeneinander. Die
Kamera schwenkt herum und man sieht das letzte Stück des Weges, das sie
zurückgelegt haben.
Kami:
(ruft laut) „Eins, zwei, drei! Wuuuuuuhuuuuu!“
Alle:
„Wuuuuuhuuuuuuu!“
Aufnahme der Jugendlichen im Halbkreis.
Sprecher:
„Zum
erste
Mal
Gemeinschaftsgefühl.“
erlebt
die
Gruppe
so
etwas
wie
122
F4, 34:43 – 35:03
Situation: Pascal sollte im Gesprächskreis etwas Persönliches erzählen und ist in
Tränen ausgebrochen.
Die Teenager stehen, fast alle mit roten Fleecepullovern bekleidet, im Kreis und
schauen betrübt zu Boden. Zwischendurch schauen sie kurz zu Annegret auf.
Im Hintergrund hört man traurige Gitarrenmusik.
Annegret:
„Das hier ist Pascal (streicht Pascal über den Rücken). Ganz,
ganz roh und ehrlich. Und, und sein innerster Kern. Und da
müssen wir vorsichtig mit umgehen. .. Wenn man was von seinem
innersten Kern, von seinem innersten Herzen sagt, dann muss
man auch vertrauen können, dass die anderen Leute damit
umgehen können. Und darum möcht ich das mit euch auch üben.“
Interessanterweise lassen sich allerdings ab und zu im Hintergrund unkommentierte
Szenen beobachten, in denen die Jugendlichen beispielsweise gemeinsam um das
Lagerfeuer sitzen. Es scheint also durchaus angenehme Situationen in der Gruppe zu
geben, die jedoch leider für den Zuschauer unauffällig bleiben.
Es ist also festzuhalten, dass Szenen überwiegen, in denen die Professionellen
versuchen, Beziehungen zwischen den Gleichaltrigen zu verhindern oder die Gruppe im
negativen Sinn, nämlich als Druckmittel benutzen, um die Jugendlichen zu einem
bestimmten Verhalten zu bewegen. Obwohl die Teenager mehrfach äußern, dass ihnen
die Gemeinschaft mit den anderen Jugendlichen wichtig ist, gehen die Betreuer nicht
darauf ein. Unter diesen Umständen muss man zu dem Schluss kommen, dass die
entwicklungsfördernden Chancen der Peerbeziehung nicht genutzt werden. Einige,
meist unkommentierte Szenen zeigen hingegen, dass zumindest Ansätze einer
angenehmen Gruppenatmosphäre vorhanden sind. Diese positiven Situationen bleiben
für den Zuschauer jedoch weitgehend unauffällig.
123
4.4 Ressourcenorientierung
Um ihre Probleme zu bewältigen, benötigen Menschen Ressourcen. Darunter versteht
man Hilfsmittel und Reserven jeglicher Art, beispielsweise finanzielle Mittel,
Netzwerke, Orientierungsmittel, persönliche Stärken und Fähigkeiten oder ermutigende
Lebenserfahrungen (vgl. Wolf Wintersemester 2005/2006, Seminarunterlagen; HerwigLempp 2007, 215). Fallen die vorhandenen und die für eine Situation benötigten
Ressourcen auseinander, kommt es zu einer in diesem Moment nicht zu bewältigenden
Krise. Die Aufgabe der Sozialen Arbeit ist also, Ressourcen zur Verfügung zu stellen;
entweder, indem sie sie selbst schafft, oder indem sie den Zugang zu bereits
vorhandenen Ressourcen erleichtert. Dieser Ansatz baut auf die Überzeugung, dass
jeder Mensch fähig ist, seinen Alltag zu meistern, wenn ihm die entsprechenden
Ressourcen zur Verfügung stehen (vgl. Ritscher 2007, 27). Ressourcenorientierung
bedeutet außerdem, an den bereits vorhandenen Ressourcen der Menschen anzusetzen
und auf diese aufzubauen. Man erkundigt sich beispielsweise nach den Stärken des
Klienten oder fragt nach wichtigen Personen in seinem Umfeld. Auch wenn der Klient
anfangs der Meinung ist, weder über Stärken, noch über Bezugspersonen zu verfügen,
vertraut dieser Ansatz darauf, dass bei jedem Menschen Ressourcen vorhanden sind
(vgl. Herwig-Lempp 2007, 214ff.). Der Blick wird auf das gerichtet, was gut gelingt,
man schaut in die Zukunft und auf Lösungen. Das bedeutet gleichzeitig, dass ein Fokus
auf die Probleme überflüssig wird (vgl. Hofer 2007, 140f.). Mit einer Distanzierung von
Defizitorientierungen geht überdies eine Wertschätzung des Klienten einher und durch
die Konzentration auf seine Fähigkeiten und seine Potenziale wird er von Beginn an
positiv wahrgenommen.
Ob die Professionellen der Sendung „Teenager außer Kontrolle“ ihren Blick auf die
Stärken und Potenziale der Jugendlichen richten, ihnen Ressourcen zugänglich machen
und von einer Defizitorientierung absehen, möchte ich im Folgenden untersuchen.
Analyse
Bei der Durchsicht der Folgen wird eines deutlich: Ausschnitte, in denen der Fokus auf
negativen Aspekten liegt, dominieren die Sendung. Das beweist bereits die Einleitung
des Sprechers eindrucksvoll:
124
F1, 0:03-0:11
In vielen kurzen Ausschnitten wird nacheinander Folgendes gezeigt: Pascal, der
eine Wasserpfeife raucht, Kevin, der ein Auto aufbricht, einige Jugendliche, die
Kampfbewegungen demonstrieren, eine Hand, die ein Fahrradschloss knackt, ein
Jugendlicher, der in einem Tarnanzug und mit einem Gewähr bewaffnet durch
ein Gelände läuft und auf einen anderen Jugendlichen schießt, ein Außenspiegel
eines Autos, der abgeschlagen wird. Alles wirkt hektisch und bedrohlich.
Aggressive, laute Rockmusik.
Sprecher:
„Teenager außer Kontrolle. Drogen und Gewalt bestimmen ihren
Alltag. Sie führen ein Leben ohne Rücksicht auf Verluste und auf
ihre Familien.“
Dieser erste Satz der ersten Folge (und die dazu gezeigten Szenen) lassen keinerlei
Raum für einen Blick auf die Potentiale der Jugendlichen. Bei dem Zitat handelt es sich
um eine geradezu vernichtende Aussage, die kein gutes Haar an den Teenagern lässt. In
unzählig vielen weiteren Szenen wird dem Zuschauer vermittelt: Die Jugendlichen sind
kriminell und rücksichtslos, man muss sie bestrafen um dies zu verändern. Ihre
positiven Eigenschaften werden konsequent ausgeblendet, noch nicht einmal die Idee,
an möglichen Potentialen anzusetzen, wird erwähnt. In den Sequenzen, in denen die
einzelnen Jugendlichen und ihre Familien vorgestellt werden, geht es ebenfalls nur um
die Probleme der Beteiligten, nicht um eine Suche nach positiven Ansatzpunkten.
Folgender Interviewausschnitt mit Viviens Mutter beweist, dass ausdrücklich nach
Schwierigkeiten gesucht wird:
F1, 13:51 – 14:03
Während Viviens Mutter zu sprechen beginnt sieht man Vivien von hinten,
Steine gegen eine Hauswand werfend. Dann werden Viviens Eltern
nebeneinander auf der Couch sitzend gezeigt. Im Hintergrund erkennt man eine
große, altmodische Schrankwand aus dunklem Holz. Während die Mutter
spricht, scheint der Vater kaum zuzuhören, er schaut in eine andere Richtung
und kratzt sich am Hals.
125
V.’s Mutter: „Für mich das Allerschlimmste? .. Dass man nicht mit ihr reden
kann, .. das Vertrauen ist weg, … (atmet hörbar ein) dass se
wieder und wieder lügt.“
Die Überlegung „Für mich das Allerschlimmste?“ steht am Anfang dieser
Interviewsequenz und stellt damit meines Erachtens eine Wiederholung der Frage dar,
die man der Mutter gestellt hat. Explizit wird der Fokus auf das gelenkt, was in den
Familien oder bei den Jugendlichen nicht gut funktioniert. Auch die zwischenzeitlich
eingeblendeten Aufnahmen der sogenannten „Elternkamera“, mit der die Eltern ihren
Familienalltag filmen, enthalten ausschließlich Szenen voller Gewalt, Eskalationen und
Beschimpfungen. Dabei ist es unwahrscheinlich, dass es im Alltag der Beteiligten
einfach keinerlei angenehme Situationen gibt. Wahrscheinlich wurden jedoch einzig
problematische Szenen zusammengeschnitten, um zu verdeutlichen, dass diese Familien
ohne das Therapieprogramm in den USA keinerlei Chance mehr hätten. Zitate wie das
folgende bestärken diese Vermutung:
F1, 23:50 – 23:56
Situation: Dzeneta soll ihre Kleiner ausziehen und ihre Wertgegenstände
abgeben.
Sie befindet sich in einer weißen Kammer. Marlies Luepges steht davor und
schaut zu Dzeneta rein. Die Kamera filmt über Marlies Schultern hinweg, so
dass man Dzeneta aus der Froschperspektive erst in der „Halbtotalen“, dann in
der „amerikanischen“ Einstellung sieht.
Man hört langsames Paukenschlagen, das fast gruselig wirkt.
Marlies:
„Du wirst alle deine Klamotten hier lassen. Nix von deinem alten
Leben kannst du mitnehmen außer dir selbst.“
Marlies Luepges impliziert mit den Worten „Nix von deinem alten Leben kannst du
mitnehmen außer dir selbst.“, dass es am bisherigen Leben nichts gäbe, woran es
festzuhalten lohnt, was gut war, woran man ansetzen könnte. Auch Kurt soll vor dem
Programm alle persönlichen Sachen abgeben, dieser weigert sich jedoch:
126
F1, 44:59 – 48:58
Situation: Es ist die Nacht der Ankunft. Die Jugendlichen dürfen ihre Zelte
aufschlagen und schlafen gehen, Marlies Luepges hält Kurt jedoch auf.
Da es dunkel ist, erkennt man nichts außer den drei Beteiligten, Kami, Kurt und
Marlies, die nebeneinander stehen und angeleuchtet werden.
Marlies:
„Ich muss dich bitten, noch schnell hier zu bleiben.“
Kurt:
(grinst) „Wieso?“
Marlies:
(berührt ihren Hals) „Ähm, .. wegen der Halskette, unter
anderem.“
Rückblick zur Einkleidungssituation im Basislager: Kurt steht mit nacktem
Oberkörper in einer Kammer, Kris Schock befindet sich davor. Die Kamera
filmt über Herrn Schocks Schulter hinweg, manchmal zoomt sie Kurts Gesicht
heran. Während der Worte des Sprechers öffnet der Teenager auf Befehl den
Mund und lässt Kris hineinsehen.
Sprecher:
„Die romantische Erinnerung an seine Freundin wollte Kurt beim
Umziehen nicht aufgeben.“
Kris:
„Ähm, kannst du mir deine Halskette geben?“
Kurt:
„Nein.“
Kris:
„Wir können nicht wirklich mit dem Programm anfangen, so
lange du die, die Kette hast.“
Kurt:
(schüttelt
mit
einem
beängstigenden
Grinsen
und
weit
aufgerissenen Augen den Kopf)
Kris:
„Und du, du kriegst sie…“
Kurt:
(sehr bestimmt) „Die gibt’s nicht.“
Zurück in der Wildnis, die Umgebung ist nach wie vor dunkel, Kirs Schock und
Kurt werden abwechselnd von der Seite in der Einstellungsgröße „Nah“ gezeigt:
Kris:
„Weil ich hab einfach Angst, dass du, dass die Kette mal ver,
verloren geht“
Kurt:
„Die Kette gibt’s nicht.“
127
Kris:
Glaubst du, was ist, was ist deiner Freundin wichtiger: Dass du
immer noch die Halskette hast, oder dass du dieses Programm .
supergut absolvierst?“
Kurt:
(mit Tränen in den Augen) „Wenn ich ihr versprochen hab, dass
ich die Kette nicht ablege, dann kriegst du die nicht.“
Die Kamera zoomt heran, so dass Kurts Gesicht in „Detailaufnahme“ zu sehen
ist.
Sprecher:
„Zum ersten mal seit langem zeigt Kurt Gefühle. In Deutschland
war dafür nie Platz.“
Rückblende zu Kurts Leben in Deutschland, begonnen mit rechtsradikalen
Parolen seiner Freunde, im Hintergrund das Lied „Arschloch“ von den Ärzten.
Wieder zurück in der Wüste:
Kris:
„Ich muss dir eins sagen, wir bleiben fest, bei diesem Thema. Das
ist entweder…“
Kurt:
(unterbricht ihn) „Ich auch.“ (wischt sich die Tränen weg)
Kris:
„Okay. Okay. Wir gehen jetzt zurück zum Kreis, okay?“
Kurt:
(zur Kamera gewandt, die filmt ihn aus der Froschperspektive)
„Wenn der noch mal versucht, mir die Kette abzunehmen, dann
schlag ich auf ihn ein.“
Sprecher:
„Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, lassen die Betreuer
Kurt seine Halskette. Fürs erste.“
Kurt hat seiner Freundin vor der Abreise versprochen, die Halskette als Andenken jeden
Tag zu tragen, was nicht zuletzt symbolischen Wert besitzt. Die Beziehung zu ihr stellt
für den Jugendlichen eine wichtige Ressource dar. Statt dies zu erkennen und darauf
aufzubauen (zum Beispiel könnte ihm das Tragen der Kette und damit die ständige
Erinnerung an seine Freundin Mut und Kraft geben, durchzuhalten und an sich zu
arbeiten), versucht man, ihm diese Ressource zu nehmen. Die Aufforderung der
Betreuer, die Kette, da sie ein Teil von Kurts altem Leben ist, abzugeben, bedeutet für
den Teenager in diesem Moment Verrat an seiner Freundin.
Auch in anderen Situationen erkennen die Betreuer die Möglichkeit zu einem
ressourcenorientierten Ansatz nicht:
128
F2, 6:50 – 6:58
Während Annegret Noble zu sprechen beginnt, sieht man Dzeneta noch von
hinten, die mit ihrem riesigen Wanderrucksack bepackt hinter Annegret hergeht.
Während der Interviewsequenz sieht man Frau Noble in „Nahaufnahme“, im
Hintergrund ist die Wüstenlandschaft zu erkennen. Einblende: „Annegret Noble.
Cheftherapeutin“.
Annegret:
„Dzeneta .. ist ein bisschen faul und will hier eigentlich auch nur
rum sitzen und nichts tun und ist immer die Letzte.“
Dzeneta fällt das Wandern tatsächlich sehr schwer. Sie gibt schneller auf und beklagt
sich öfter als die anderen Jugendlichen. Letztendlich lässt sie sich aber jedes mal
wieder motivieren und läuft Tag für Tag die komplette Strecke mit. Statt dies zu
würdigen und Dzeneta darin zu bestärken, jeden Tag aufs Neue einfach ihr Bestes zu
geben, beschwert sich Annegret Noble darüber, dass die Jugendliche faul und immer die
Letzte sei.
Sogar wenn sich die Jugendlichen den Aufforderungen der Betreuer entsprechend
verhalten, schaffen diese es häufig nicht, dies anzuerkennen und an das positive
Ereignis anzuknüpfen:
F4, 22:55 – 23:05
Situation: Andreas soll als Strafe sein Zelt ab, auf, ab und wieder aufbauen.
Da es Nacht ist und die Aufnahmen sehr dunkel sind, lässt sich kaum etwas
erkennen. Marlies Luepges steht in einer leuchtend roten Jacke zusammen mit
Kris Schock neben Andreas und schaut diesem beim Packen und beim Auf- und
Abbauen des Zelts zu.
Man hört verzerrte Gitarrenklänge.
Sprecher:
„Die Betreuer wollen testen, ob Andreas wirklich nachgegeben
hat und ziehen die Maßnahme weiter durch. Noch trauen sie dem
Frieden nicht. Zu sehr hat sich Andreas bisher dem Programm
widersetzt.“
Andreas bekommt eine Strafe für seinen Fluchtversuch und nimmt diese nach
anfänglichem Widerstand an. Obwohl er letztendlich kooperiert, testen ihn die
129
Professionellen, da sie ihm misstrauen. Von Ressourcenorientierung kann also nicht die
Rede sein.
Vor allem auch die Kommentare des Sprechers und die eingeblendeten Rückblicke
zeigen, dass selbst bei aktuellen Erfolgen der Blick immer wieder auf negative
Ereignisse in der Vergangenheit gelenkt wird:
F1, 35:25- 35:34
Verschiedene kurze Aufnahmen von Pascal während der Umkleidungssituation.
Beim Entkleiden seines einen Oberkörper wird er aus der Froschperspektive
gefilmt.
Aggressive Gitarrenmusik.
Sprecher:
„Die anderen Jugendlichen zeigen sich zunächst beeindruckt von
der Konsequenz der Betreuer. Zu Hause in Deutschland haben sie
sich jeder Regel widersetzt und auf Anweisungen mit
Aggressionen reagiert.“
F1, 54:40 – 57:25
Dzeneta liegt im Schlafsack in ihrem Zelt, Kami Schott kniet vor ihr. Die
Jugendliche streckt ihren Arm aus, wahrscheinlich, weil die Betreuerin den Puls
messen will.
Sprecher:
„Obwohl Dzeneta den Gesundheitscheck zunächst über sich
ergehen lässt, sperrt sie sich gleich darauf gegen die
Kleiderordnung. Noch hat sie ihre Aggressivität im Griff, für die
sie in ihrer Heimatstadt berüchtigt war.“
Rückblende zu Dzenetas Leben in Deutschland, ausschließlich Szenen über ihre
Strafanzeigen, Prügeleien und Schulschwierigkeiten.
F4, 20:25 – 20:38
Situation: Als Strafe muss Vivien ihr Zelt innerhalb von 15 Minuten abbauen
und all ihre Sachen zusammenpacken. Als sie dies geschafft hat, wartet sie auf
die Betreuer.
130
Da es Nacht und sehr dunkel ist, sieht man nur Vivien in der Einstellungsgröße
„Groß“, die während der Interviewsequenz von Scheinwerfern angestrahlt wird.
Einblende: „Vivien, 16 Jahre. Ausreißerin.“
Vivien:
(lächelnd) „Vor allen Dingen, weil, mitten in der Nacht!
Normalerweise schlaf ich schon um diese Uhrzeit!“ (lacht und
trinkt einen Schluck aus ihrer Wasserflasche)
Aggressive Hardrockmusik beginnt laut zu spielen.
Sprecher:
„Oder macht die Nächte durch, wie vor der Therapie.“
Viele weitere negative Rückblicke dieser Art habe ich in den analysierten Folgen
gefunden. Unabhängig davon, was die Jugendlichen sagen oder erreichen, es wird durch
eine Rückblende zu ihrer Vergangenheit oder einen zurückblickenden Kommentar des
Sprechers relativiert. Dem Zuschauer wird so vermittelt: „Vergiss nicht, dass die
Jugendlichen eigentlich ganz furchtbare Menschen sind und wenn sie sich ändern, dann
ausschließlich aufgrund unseres Programms.“
Im Gegensatz zu den Machern der Sendung, die also durch diese Rückblenden den
positiven Ereignissen meist einen negativen Beigeschmack geben, gelingt es den
Betreuern an einigen Stellen sehr wohl, anzuerkennen, wenn die Jugendlichen etwas
Besonderes erreicht haben:
F3, 26:15 – 26:30
Marlies Luepges in „Großaufnahme“ in einer Interviewsequenz. Sie sitzt bei
blauem Himmel auf dem Boden der kargen Wüstenlandschaft. Während sie
spricht, verkleinert sich dieses Bild zu einem Kasten auf der rechten Seite des
Bildschirms, links sieht man Dzeneta wandern.
Marlies:
„Dzeneta übertrifft sich selbst, von alledem, was wir hier bisher
gesehen haben. S i e leistet sehr, sehr viel, s i e zeigt uns so
richtig, was in ihr steckt, dass da n ganz, ganz starker
Durchhaltewille auch drin ist und den . benutzt sie jetzt in einer
positiven Art und Weise.“
131
F3, 35:41 – 35:57
Das Bild ist in zwei Kästen geteilt. Links sieht man Kris Schock in
„Nahaufnahme“ ein Interview geben, rechts Dzeneta, die sich ihren großen
Wanderrucksack aufschnallt.
Kris:
„Der Forstschritt ist unglaublich. Man kann ganz gut mit ihr
reden, sie .. hört zu, sie klopft an, es ist echt der Wahnsinn, ist
eine . total andere Dzeneta.“
F2, 21:22– 21:36
Situation: Vivien hat Essen gekocht.
Sie sitzt im Schneidersitz auf einer Matte auf dem Boden, vor ihr stehen einige
Koch-Utensilien. Kris Schock hockt ihr gegenüber.
Ruhige Gitarrenklänge, die an eine Lagerfeuer-Situation erinnern.
Kris:
„Du kannst jetzt den Streichholz behalten, du hast alles im Griff.
Super, bin stolz auf dich! Lass es dir schmecken.“
Vivien:
„Danke.
Kris:
„Bitte sehr.“
Vivien:
„Bin jetzt stolz auf m i c h.“ (macht grinsend ein stolzes Gesicht
und klopft sich auf die Brust)
Marlies Luepges und Kris Schock loben die Teenager – sowohl persönlich, als auch in
Interviewsequenzen. Sie können hier eine positive Entwicklung oder eine gute Leistung
der Jugendlichen uneingeschränkt wertschätzen und sehen davon ab, dies mit negativen
Situationen aus der Vergangenheit zu vergleichen. Der Fokus liegt also zumindest auf
der Gegenwart. Würden die Professionellen nun an den festgestellten Fortschritten
ansetzen und die Jugendlichen ermutigen, sich in anderen Situationen ähnlich zu
verhalten, könnte man von Ressourcenorientierung sprechen.
Es stellt sich die Frage, wie es mit dem Grundsatz aussieht, Klienten die benötigten
Ressourcen zur Verfügung zu stellen oder ihnen den Zugang zu vorhanden Ressourcen
zu erleichtern. In den allermeisten Szenen wird problematisches Verhalten der
Teenager, wie beispielsweise Fluchtversuche, nicht als Mangel an Ressourcen und
somit aus der Sicht der Jugendlichen, sondern einfach als Regelverstoß verstanden. Das
132
jeweilige Verhalten wird entweder unterdrückt oder bestraft, wie folgendes Beispiel
zeigt:
F1, 1:10:40 – 1:11:03
Situation: Pascal wollte weglaufen, wurde aber zurückgebracht. Als er wütend
gegen einen Gegenstand tritt, nimmt ein männlichen Betreuer Pascals Arm und
dreht in auf seinen Rücken, bis der Jugendliche zu Boden geht und sich nicht
mehr bewegen kann.
Das Bild ist in zwei Kästen geteilt. Links ein kleinerer Kasten mit Frau Noble im
Interview, rechts ein größerer, in dem man in verschiedenen Einstellungen sieht,
wie Pascal auf dem Boden gehalten wird.
Annegret:
„Der Pascal ist total ausgeflippt und hat Kontrolle über sich selbst
verloren. Und in der Situation müssen wir dann Kontrolle
übernehmen. Er hat da unsere Sachen getreten und wir haben da
viele Sachen, die kaputt gehen können, die wir auch brauchen,
damit die Kinder sicher sind. Das können wir nicht zulassen.“
Pascal, der es in dem Programm offensichtlich nicht mehr aushält und fliehen will, wird
daran gehindert, indem man ihn zurückholt. Die Betreuer versäumen es jedoch, ihm
Hilfe und Unterstützung anzubieten oder in zumindest zu fragen, unter welchen
Umständen die weitere Teilnahme für ihn erträglicher wäre. Als er aus Wut und
Verzweiflung beginnt zu randalieren, fügt man ihm so lange Schmerzen zu, bis er
aufgibt. Annegret Noble deutet Pascals Verhalten schlichtweg als „ausflippen“, sieht
jedoch nicht die Gründe und somit seine dahinter liegenden Bedürfnisse. So lange man
sich aber nicht darum bemüht, die Bedürfnisse der Teenager zu erkennen, ist das zur
Verfügung stellen von Ressourcen ausgeschlossen.
In drei Situationen gelingt es den Betreuern, den Jugendlichen explizit Ressourcen zur
Verfügung zu stellen oder sie ihnen anzubieten:
F2, 12:40 – 13:17
Die Jugendlichen und Annegret Noble sitzen auf dem Boden unter einem
Sonnendach im Kreis zusammen und werden abwechselnd in verschiedenen
Einstellungen gezeigt. Frau Noble hat einige Blätter Papier auf ihrem Schoß
liegen und gestikuliert. Die meisten der Teenager scheinen interessiert
133
zuzuhören, andere wiederum flüstern, spielen mit ihrem Sonnenhut oder grinsen
amüsiert.
Sprecher:
„Therapeutin Annegret hat ein anderes Ventil für die Wut der
Jugendlichen.“
Annegret:
„Es ist wie die gelbe Karte beim Fußball. Man macht so ne Pause.
Und da kommt man wieder und dann .. findet man irgendwie ne
Lösung zu, zu der Situation. Und bei euch ist die gelbe Karte die
Pausenkarte. So, jetzt nimm dir mal ne Auszeit, beruhig dich mal,
dann darfst du wieder mitmachen. Und genauso ist das hier auch.
Wenn ihr merkt, es fängt an zu köcheln und da sind schon die
Blasen, dann muss ich hier sagen: Gelbe Karte für mich selbst, ich
muss jetzt ne Pause machen, mich beruhigen und dann kann ich
zu der Situation zurück.“
F3, 25:21 – 25:39
Situation: Marlies bietet Dzeneta an, die Gruppe zu führen.
Aufnahmen
aus
verschiedenen
Perspektiven
und
in
verschiedenen
Einstellungsgrößen von Marlies und Dzeneta. Dann sieht man Marlies in
„Groß“,
ein
Interview
gebend.
Die
Worte
„Marlies
Luepges.
Expeditionsleiterin“ werden in einem roten Kasten eingeblendet.
Marlies:
„Wir möchten einfach nur ein, ein Beispiel setzen, vor allem auch
für die Dzeneta, dass sie das kann. Dass sie schnell wandern kann.
Dass sie auf sich aufpassen kann. Dass sie kommunizieren kann.
Es geht uns wirklich darum, dass sie das selbst mal erlebt. Dass
sie Erfolg hat und dass wir nachher darauf zurückgreifen können,
als Erlebnis.“
F1, 1:15:20 - 1:15:30
Situation: Die Jugendlichen packen zum ersten Mal ihren Wanderrucksack.
Kevin steht, auf seinen Wanderstock gestützt, in der Sonne und die Kamera
schwenkt runter zu seinem Rucksack, der auf dem Boden steht.
134
Kevin:
„Ich schaff das eh nicht mehr! Wenn ich gleich nicht mehr kann,
ich geh keinen Schritt mehr weiter dann!“
Marlies:
„Okay. Ich bin hier um dich zu unterstützen.“
Kevin:
„Ja weißte, wie schwer der ist?!“
Marlies:
„Bist du bereit dafür?“
Kevin:
„Hm.“
Marlies:
„Darf ich dir, darf ich dir helfen?“ (hilft beim Aufsetzen des
Rucksacks)
Die Ressource, die Annegret Noble den Teenagern im ersten Beispiel zur Verfügung
stellt, würde ich „Handlungsoptionen“ nennen. Sie lernen hier, in problematischen
Situationen alternativ zu ihren bisherigen Verhaltensmustern zu agieren, was für das
Zusammenleben mit ihren Familienmitgliedern von Vorteil sein kann. Im zweiten
Beispiel handelt es sich um die Ressource „ermutigende Lebenserfahrungen“. Marlies
Luepges überlässt Dzeneta sehr bewusst die Führung der Gruppe, um ihr zu zeigen, was
sie alles kann. In folgenden Situationen könnte die Jugendliche auf dieses positive
Erlebnis zurückgreifen und mehr Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln. Im
dritten Beispiel ist die Ressource „tatkräftige Unterstützung“. Frau Luepges bietet
Kevin Hilfe beim Aufsetzen seines Wanderrucksacks an und zeigt ihm damit auch, dass
sie wahrnimmt, wenn er allein nicht zurecht kommt und in solchen Situationen für ihn
da ist.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei den Betreuern zumindest Ansätze der
Ressourcenorientierung
vorhanden
sind.
Sie
können
positive
Entwicklungen
anerkennen und den Jugendlichen in einigen Situationen die benötigten Ressourcen zur
Verfügung stellen. Diese Situationen gehen in der Sendung jedoch unter, da die
Produzenten mit allen Mitteln versuchen, negative Aspekte in den Vordergrund zu
stellen – sei es durch die Kommentare des Sprechers oder die Rückblenden zu
problematischen Szenen aus dem bisherigen Leben der Teenager, meist mit aggressiver
Musik untermalt. Dem Zuschauer wird so vermittelt, dass es bei pädagogischer Arbeit
darum geht, die Probleme, Schwierigkeiten und das antisoziale Verhalten der
Jugendlichen immer im Auge zu behalten, um daran „herumschrauben“ zu können.
Dass es viel effektiver und wertschätzender ist, die Teenager in dem zu bestärken, was
gut klappt, zu erkennen und anzuerkennen, was sie, auch in ihrem bisherigen Leben,
alles Positives geleistet haben und daran anzusetzen, wird übergangen.
135
4.5 Die Darstellung der Jugendlichen – Zum Menschenbild
Allgemein betrachtet ist das Menschenbild die Vorstellung über das Menschsein, also
über das Wesen des Menschen. Das Menschenbild einer Person bestimmt ihre
Vermutungen über die Eigenschaften, Charakterzüge und Intentionen ihres Gegenübers
und bildet somit die Grundlage allen pädagogischen Handelns. Das humanistische
Menschenbild beispielsweise, das in der sozialpädagogischen Arbeit wohl am weitesten
verbreitet ist, geht davon aus, dass der Mensch im Grunde gut und bestrebt ist, sein
Leben selbst zu bestimmen. Nach Carl Rogers ist er im Kern positiv, konstruktiv und
vertrauenswürdig, „von Grund auf sozial, vorwärtsgerichtet, rational und realistisch.“
(zit. nach Suter 1986, 96). Aggressives und asoziales Verhalten sieht Rogers als
Abwehr- und Angstreaktion. Er geht außerdem davon aus, dass der Mensch eine
„Aktualisierungstendenz“ besitzt. Das heißt, der Organismus ist zum Konstruktiven
ausgerichtet und strebt nach Entwicklung und Entfaltung seiner selbst (ebd., 97).
Je nach Menschenbild behandelt eine Person ihr Gegenüber, begegnet ihm aufgrund
von Rückschlüssen positiv oder negativ. Hat man einen positiven Eindruck von einem
Menschen, sieht man oftmals negative Ereignisse oder Äußerungen in einem anderen
Licht. In jedem Fall sollten Pädagogen offen und wertschätzend mit ihren Klienten
umgehen, um sie konstruktiv unterstützen zu können. Dies setzt ein positives
Menschenbild voraus. Da sich durch die Handlungen und Aussagen einer Person
Rückschlüsse auf ihr Menschenbild ziehen lassen, möchte ich im Folgenden
untersuchen, wie die Jugendlichen in der Serie dargestellt werden, um zu beurteilen,
welches Menschenbild durch die Sendung vermittelt wird.
Analyse
Bereits die ersten Szenen der Serie lassen erahnen, dass die Darstellung der
Jugendlichen zum größten Teil negativ ist:
F1, 1:58 – 2:44
Portraitaufnahmen der Teenager (zwei Reihen mit jeweils vier Jugendlichen) auf
einem roten Hintergrund. Während sie kurz einzeln vorgestellt werden
vergrößert sich das jeweilige Portrait zum Vollbild und eine Einblende erscheint
am linken, unteren Bildrand.
Aggressive Rockmusik.
136
Sprecher:
„Für diese acht Jugendlichen ist die Therapie der letzte Ausweg
Wilder Westen:
− Andreas, der über 50 Einbrüche verübt hat, (Einblende:
„Andreas, 15 Jahre. Serieneinbrecher“)
− Stacey, die aggressive Schulverweigerin, (Einblende:
„Stacey, 17 Jahre. Schulabbrecherin“)
− David, der auf dem besten Weg ist ein Junkie zu werden,
(Einblende: „David, 17 Jahre. Junkie“)
− Pascal, der Dauerkiffer und Crack-Raucher, (Einblende:
„Pascal, 17 Jahre. Dealer“)
− Dzeneta,
die
Mitschüler
und
Lehrer
verprügelt,
(Einblende: „Dzeneta, 15 Jahre. Schlägerbraut“)
− Kevin, Mitglied einer kriminellen Kölner Jugendgang,
(Einblende: „Kevin, 15 Jahre, Gang-Mitglied“)
− Vivien, die dauernd von zuhause ausreißt, (Einblende:
„Vivien, 16 Jahre. Ausreißerin“)
− und Kurt, der in die rechte Gewaltszene abgedriftet ist.“
(Einblende: „Kurt, 16 Jahre. Neo-Nazi“)
Diese erste Vorstellung der einzelnen Jugendlichen ist voll von Stigmatisierungen.
Wie bereits im vorangehenden Kapitel über die Ressourcenorientierung deutlich
wurde, liegt der Fokus nicht auf den positiven Eigenschaften oder Potenzialen der
Jugendlichen, sie werden hingegen durchgängig als aggressiv, gewalttätig,
drogenabhängig und/oder kriminell dargestellt. In Interviewausschnitten wird die
Stigmatisierung umso deutlicher: Während bei den Mitarbeitern von Catherin Freer
die Berufsbezeichnungen eingeblendet werden (z.B. F4, 23:57, Einblende: „Marlies
Luepges. Expeditionsleiterin), erscheinen bei den Teenagern ihre Straftaten wie
„Dealer“ oder „Schlägerbraut“ (z.B. F2, 27:58, Einblende: „Andreas, 15 Jahre.
Serieneinbrecher“). Dem Zuschauer wird so vermittelt: Die Jugendlichen sind
kriminell. Andere, positive Eigenschaften haben sie nicht und sie haben sich diese
Beschäftigungen ausgesucht wie andere Menschen ihren Beruf. Auch in Szenen mit
der Elternkamera oder kurzen Vorstellungssequenzen der einzelnen Jugendlichen,
werden grundsätzlich negative Aspekte gezeigt. Die Familienszenen sind chaotisch,
laut, voller Gewalt und Beschimpfungen. Die Teenager werden in den meisten
137
Fällen rauchend oder trinkend gezeigt und die Beteiligten werden ausschließlich zu
Straftaten, Prügeleien, Drogen- und Alkoholkonsum der Jugendlichen befragt.
Durch diese Konzentration auf Negatives wird dem Zuschauer unterschwellig
vermittelt, dass es nichts Positives gibt, dass es zu erwähnen wert wäre. Dass diese
Beschreibungen nicht nur für die Jugendlichen der Sendung, sondern für
Jugendlichen in Deutschland im Allgemeinen gelten, zeigt dieses Zitat des
Sprechers:
F3, 0:04 – 0:13
Verschiedene kurze Aufnahmen von Kurt, der mit Waffen hantiert, Dzeneta, die
raucht, Kevin, der ein Auto aufbricht und Stacey, die wütend gestikuliert.
Aggressive Hardrock-Musik.
Sprecher:
„Teenie-Alltag in Deutschland: Gewalt, Drogen, Kriminalität.
Skrupellose Jugendliche, die weder auf sich, noch auf ihre Eltern
Rücksicht nehmen.“
Junge Menschen prinzipiell als gewalttätig, kriminell und rücksichtslos darzustellen
vermittelt ein Menschenbild, das von Feindseligkeit geprägt ist. Es scheint, als sei es
das Ziel der Produzenten, möglichst viel Hass zu vermitteln. So werden auch an
anderen Stellen überspitzte Verallgemeinerungen und Übertreibungen eingesetzt,
um die teilnehmenden Teenager schlecht darzustellen:
F1, 35:29 – 35:34
Die Kamera zeigt Pascal aus der Froschperspektive. Er steht in einer Kammer,
entkleidet sich, reicht seine Kleidungsstücke einem Betreuer und zieht zum
Schluss ein orangefarbenes T-Shirt an.
Sprecher:
„Zu hause in Deutschland haben sie sich jeder Regel widersetzt
und auf Anweisungen mit Aggressionen reagiert.“
138
F3, 14:32 – 14:39
Dzeneta und Marlies Luepges sitzen in der Dämmerung auf dem Wüstenboden
um einen Kochtopf herum. Anschließend sieht man die Jugendliche in der
Einstellungsgröße „Groß“ in ihrem Zelt.
Gruselig wirkende Gitarrenklänge im Hintergrund.
Sprecher:
„Der erste Tag von Dzenetas Quest war zumindest ein Teilerfolg.
Sie hat zum ersten Mal Verantwortung übernommen und ist
weiter gewandert als erwartet.“
Natürlich haben sich die Jugendlichen in Deutschland nicht jeder Regel widersetzt
und natürlich hat Dzeneta schon in vorherigen Situationen in ihrem Leben
Verantwortung übernommen. Diese vom Sprecher gewählten Übertreibungen
implizieren jedoch: Eigentlich sind die Jugendlichen schlechte Menschen, dank des
Programms ist eine positive Veränderung aber immerhin möglich. Entwicklungen
der Heranwachsenden werden also nicht ihnen selbst, sondern der Therapie
zugeschrieben, die aus den rücksichtslosen Jugendlichen bessere Menschen macht.
Auch die häufigen Rückblicke auf kriminelle oder aggressive Szenen aus der
Vergangenheit der Jugendlichen, die nach positiven Situationen während der
Therapie eingeblendet werden, verstärken dieses Bild (vgl. Kapitel 4.4 zur
Ressourcenorientierung).
Das negative Bild der Teenager wird auf zahlreiche verschiedene Arten vermittelt.
Manche Zitate stellen sie beispielsweise als egoistisch und rücksichtslos dar:
F1, 0:03-0:11
In vielen kurzen Ausschnitten wird nacheinander folgendes gezeigt: Pascal, der
eine Wasserpfeife raucht, Kevin, der ein Auto aufbricht, einige Freunde, die
Kampfbewegungen demonstrieren, eine Hand, die ein Fahrradschloss knackt, ein
Jugendlicher, der in einem Tarnanzug und mit einem Gewähr bewaffnet durch
ein Gelände läuft und auf einen anderen Jugendlichen schießt, ein Außenspiegel
eines Autos, der abgeschlagen wird. Alles wirkt hektisch und bedrohlich.
Aggressive, laute Rockmusik.
139
Sprecher:
„Teenager außer Kontrolle. Drogen und Gewalt bestimmen ihren
Alltag. Sie führen ein Leben ohne Rücksicht auf Verluste und auf
ihre Familien.“
F1, 08:53 – 08:58:
Abschieds-Szene am Frankfurter Flughafen, Andreas’ Mutter nimmt ihren Sohn
lächelnd in die Arme und drückt ihn fest an sich.
Langsame Rockmusik.
Sprecher:
„Wie sehr sie (seine Eltern, D.S.) unter Andreas Verhalten leiden
war ihm bisher egal.“
In anderen Situationen wird ihnen sogar unterstellt, ihre Mitmenschen bewusst und
vorsätzlich zu schikanieren:
F2, 34:19 - 34:23
Verschiedene kurze Aufnahmen aus unterschiedlichen Perspektiven, die die
Jugendlichen beim Wandern zeigen.
Rockige Gitarrenmusik im Hintergrund.
Sprecher:
„Dzeneta hat sich offenbar vorgenommen, an diesem Tag wieder
mal quer zu schießen.“
F2, 37:50 – 37:56
Auch hier verschiedene kurze Aufnahmen der wandernden Jugendlichen.
Rockige Gitarrenmusik im Hintergrund.
Sprecher:
„Dzeneta ist fest entschlossen, ihre Machtprobe mit den Betreuern
fortzusetzen und damit die Gruppe aufzuhalten.“
F1, 49:01 – 49:07
Verwackelte, dunkle Aufnahmen bei Nacht, man erkennt Stacey und Dzeneta,
die Jacken in leuchtendem rot und gelb tragen.
140
Sprecher:
„Dzeneta und Stacey weigern sich, ihr Lager aufzuschlagen. Sie
wollen testen, wie weit sie bei den Betreuern gehen können.“
Kommentieren der Sprecher oder die Betreuer die Handlungen der Teenager, so
werden den Jugendlichen in allen Fällen berechnende oder böswillige Motivationen
unterstellt. Diese Vermutungen werden vor dem Zuschauer dann wie feststehende
Tatsachen geäußert. Die folgenden fünf Zitate stehen beispielhaft für viele weitere
ähnliche Kommentare.
F1, 15:26 - 15:32
Situation: Vivien ist vor dem Flug in die USA am Frankfurter Flughafen
weggelaufen, dann aber zurück gekehrt, um an dem Programm teilzunehmen.
Sie wird in der „Totalen” gezeigt, als sie mit einer Tasche bepackt zurück zum
Terminal kommt.
Töne einer E-Gitarre im Hintergrund.
Sprecher:
„Vivien kehrt zurück. Sie fährt lieber in die USA als mit ihrer
Mutter zurück ins verhasste Zuhause.“
Obwohl es viele denkbare Gründe gibt, warum Vivien letztendlich doch mit in die
USA fliegt, wird ihr einfach unterstellt, sie wolle lediglich nicht zurück ins
„verhasste Zuhause“. Mit anderen Worten: Sie entscheidet sich nur für das geringere
Übel. Mit einem positiveren Menschenbild als Grundannahme hätte man stattdessen
mutmaßen können, dass sie an dem Programm teilnimmt, um etwas zu verändern
und wieder besser mit ihren Familienmitgliedern auszukommen (vgl. S.103).
F1, 29:01 – 29:28
Als Frau Noble zu sprechen beginnt, sieht man Vivien, die neben einem Mann
an eine Kellerwand gelehnt sitzt, weint und ihr Mobiltelefon ans Ohr hält.
Anschließend sieht man Annegret Noble in der Einstellungsgröße „Groß“, die in
einem dunklen Raum sitzend ein Interview gibt. Zwischenzeitlich wird Vivien
eingeblendet, die mit roten, aufgequollenen Augen noch immer versucht, zu
telefonieren.
Langsame, traurige Klänge einer E-Gitarre ertönen leise im Laufe des
Interviews.
141
Annegret:
„Die
Vivien
probiert
gerade
mit
allen
möglichen
und
unmöglichen Mitteln hier weg zu kommen. (grinst) Und sie
versucht Erpressung, sie versucht Drohungen, sie versucht ..
(lacht ein wenig) nervöse Zusammenbrüche und ähm, im
Endeffekt ist alles ein Mittel, um zu erreichen, was sie will. Und
zu Hause hat das auch oft funktioniert und hier funktioniert das
nicht. Jetzt probiert sie eben eins nach dem anderen aus, bis sie
dann . wahrscheinlich nicht mehr weiter weiß und sich beruhigen
wird und wahrscheinlich auch mitmachen wird.“
F1, 1:03:31 - 1:03.39, F1, 1:08:35 – 1:08:38
Abwechselnd Aufnahmen von David, der entfernt von der Gruppe zwischen
Sträuchern steht und seinen Rucksack schultert und den restlichen Teenagern,
die mit den Betreuern zusammen in einem Kreis sitzen.
Sprecher:
„In einem unbeobachteten Moment macht sich David bereit zur
Flucht. Er hat jetzt schon genug von seinem neuen Leben ohne
Drogen und Kriminalität.“
Als die Betreuer ihn eingeholt haben erklärt er, dass er es in der Wüste nicht
aushält und sich um seine Mutter kümmern muss.
Er sitzt neben Annegret Noble am Wegrand, hat die Beine angezogen und den
Kopf hinter seinen Armen vergraben.
Sprecher:
„Der wahre Grund für Davids Flucht: Drogenentzug.“
Auch in diesen beiden Fällen wird den Teenagern eine negative Motivation
unterstellt: Statt ihr Verhalten als Verzweiflung zu deuten, da sie sich mit dem
Programm überfordert fühlen, nach Hause wollen und dabei von niemandem ernst
genommen oder unterstützt werden, behauptet Frau Noble im ersten Zitat, Vivien
handle aus Berechnung, nur „um zu erreichen was sie will“. Der Sprecher unterstellt
David in der zweiten Szene sogar zu lügen, da er sich nicht wie behauptet um seine
Mutter sorge, sondern nur versuche wegzulaufen, da er „genug von seinem Leben
ohne Drogen und Kriminalität“ habe.
142
F1, 1:01:43 – 1:01:59
Situation: Dzeneta will keinen Sonnenhut tragen.
Zuerst sieht man Annegret Noble ein Stück hinter Dzeneta herlaufen. Sie
befinden sich mit anderen Betreuen im „Staff-Camp“, um sie herum sieht man,
abgesehen von einer aufgespannten Plane, nur vertrocknete Sträucher.
Anschließend wird die Therapeutin beim Interview gezeigt, ein Kasten mit den
Worten „Annegret Noble. ‚Dzeneta will unsere Grenzen testen’“ wird
eingeblendet.
Annegret:
„Das Entscheidende für die Dzeneta war, dass sie gesehen hat,
wir spielen die Spielchen nicht mehr. Sie hat die ganze Zeit
gelacht, das war irgendwie w i t z i g, das ist hier nur, ich zeig den
doofen Betreuern, wie man das hier macht und als sie gemerkt
hat, dass wir da nicht mitspielen, sondern dass wir es ganz ernst
meinen, hat sie dann glaub ich auch aufgegeben.“
Dzenetas Verhalten wird als „Spielchen“ gedeutet, mit dem sie sich über die
Betreuer lustig macht und lediglich versucht, ihren Kopf durchzusetzen. Dass sich
die Jugendliche vielleicht tatsächlich schämt, den in ihren Augen hässlichen Hut
aufzusetzen und so im Fernsehen von ihren Freunden gesehen zu werden, wird nicht
in Betracht gezogen. In der bereits häufig zitierten Szene, in der Vivien stürzt, wird
besonders deutlich, dass den Teenagern negative Motivationen und Eigenschaften
einfach unterstellt werden. (vgl. S. 67) Bereits im ersten Satz wird Vivien Faulheit
und mangelnde Lust nachgesagt, obwohl sie möglicherweise einfach erschöpft und
am Ende ihrer Kräfte ist. Auch die Aussage „sie täuscht einen Sturz vor“ impliziert,
dass die Jugendliche berechnend und unehrlich ist. Dass Vivien tatsächlich
gestolpert und gestürzt sein könnte, wird nicht für möglich gehalten.
In den Rückblicken zu der vorangegangenen Sendung werden sogar Tatsachen
verdreht, um ein möglichst schlechtes Bild der Jugendlichen zu vermitteln:
F2, 3:15 – 3:23
Zuerst eine Aufnahme von Stacey, die versucht Betreuer Dan zu treten, um sich
so aus seinem „therapeutischem Griff“ zu befreien. Anschließend sieht man
Pascal, der gegen einen Gegenstand tritt und gleich darauf von einem
143
männlichen Betreuer zu Boden gerungen wird. Danach Dzeneta, die Dan mit den
Worten „Mach Dich mal ab, du Hurensohn, Alter!“ abwehrt.
Rockige Klänge einer E-Gitarre.
Sprecher:
„Die Teenager versuchten, sich mit körperlicher Gewalt zu
widersetzen.“
F3, 2:11 - 2:18
(Die selben Aufnahmen wie in der vorherigen Szene)
Sprecher:
„Die Jugendlichen wurden handgreiflich und zwangen die
Betreuer zu harten Maßnahmen.“
Tatsächlich werden nicht die Jugendlichen, sondern die Betreuer handgreiflich,
wenn die Teenager ihre Anweisungen nicht befolgen. In den zu den Zitaten
eingeblendeten Szenen erkennt man, dass die Jugendlichen lediglich versuchen, sich
aus den Griffen der Professionellen zu befreien oder sich zu wehren.
Auch die folgenden Szenen geben Hinweise auf das der Serien zugrunde liegende
Menschenbild:
F2, 29:36 – 30:01
Zuerst sieht man die Gruppe im Kreis um ein Lagerfeuer sitzen und sich
unterhalten. Dann wird links ein Kasten mit Annegret Noble in „Großaufnahme“
eingeblendet, der im Laufe des Kommentars zum Vollbild wird. Einblende:
„Annegret Noble. Cheftherapeutin“.
Langsame und traurige Klavierklänge.
Annegret:
„Kevin sagt im Moment, dass es eigentlich nur die Schuld seiner
Freunde ist, dass er so viele Probleme hat, mit der Polizei und
dass
er
Diebstähle
begangen
hat
und
dass
er
drei
Gerichtsverhandlungen noch hat. Und das stimmt auf keinen Fall.
Da ist irgendwas in ihm ja auch drin, das da mitgemacht hat und
das „ja“ gesagt hat. Und das wird er noch finden und das wird ihn
vielleicht auch n bisschen erschrecken, dass er das wirklich in
sich hat und dass das nicht nur seine Freunde sind.“
144
Laut dieser Formulierung von Annegret Noble hat Kevin etwas „in sich drin“, das
ihn Straftaten begehen lässt. Sie argumentiert anhand einer dispositionalen
Attribution, die besagt, dass die Ursachen für das Fehlverhalten einer Person in ihr
selbst und nicht in äußeren Umständen liegen. Frau Noble unterstellt Kevin also,
unabhängig von situationalen Bedingungen, etwas Destruktives in sich drin zu
haben. Diese Ansicht zeugt von einem überaus negativen Menschenbild.
F4, 12:44 – 12:56
Links im Bild sieht man ein Kasten mit einer Großaufnahme von Annegret
Noble, die ein Interview gibt. Im rechten Kasten geht Pascal auf sein Zelt zu. Ein
männlicher Betreuer beobachtet ihn dabei und ruft ihm etwas zu. Dann
vergrößert sich der Kasten mit Annegrets Kopf, bis er den gesamten Bildschirm
ausfüllt. Einblende: „Annegret Noble. Cheftherapeutin.“
Annegret:
(leicht grinsend) „Wir geben ihnen .. das, was sie brauchen, nicht
unbedingt das, was sie wollen, damit sie lernen, was wirklich
wichtig im Leben ist. Und wir vermitteln ihnen Einsichten, die
ihnen helfen, sich selbst und ihr Leben besser zu verstehen.“
Dieses Zitat besagt, dass die Mitarbeiter von Catherine Freer besser als die
Jugendlichen selbst wissen, was diese brauchen und gut für sie ist, da sie laut
Annegret Noble ihr Leben nicht richtig verstehen. Wie bereits im Kapitel über die
Partizipationsmöglichkeiten (4.2.2) herausgearbeitet wurde, werden die Teenager
als unmündig, wenn nicht sogar als dumm, verstanden und dargestellt.
Auffällig ist außerdem, dass die Jugendlichen oft wie gefährliche Kriminelle
betrachtet und behandelt werden, die man ständig bewachen muss und denen man
nicht vertrauen kann:
F1, 36:48 - 37:02
Frau Luepges steht, während sie das Interview gibt, in einem ungemütlich und
kalt wirkenden Kellerraum und hält einen Notizblock in der Hand. Ein roter
Kasten mit den Worten „Marlies Luepges. Betreuerin“ wird eingeblendet. Im
Hintergrund sieht man einige der Jugendlichen auf dem Boden sitzen.
145
Marlies:
„Es ist wichtig, dass wir auf der Fahrt so wenig Risiken wie
möglich eingehen. Dann haben wir auch die Mitarbeiter so
verteilt, das wir Deutsch sprechende Leute haben, dass wir
genügend, ähm, Betreuer zwischen den Jugendlichen haben und
so weiter. Dass da keine negativen Verbindungen geschafft
werden können.“
F4, 3:16 – 3:25
Situation: Die Jugendlichen sollen beim so genannten 'Solo' einige Tage völlig
allein in ihren Zelten verbringen, die weit voneinander entfernt stehen.
Links im Bild befindet sich Kris Schock, der ein Interview gibt, rechts sieht man
nacheinander Vivien und Pascal ihre Schuhe abgeben.
Im Hintergrund hört man sehr leisen Gesang mit Trommelgeräuschen.
Kris:
„Wir nehmen die Schuhe und die Stirnlampe weg, damit die
Jugendlichen nicht einander besuchen können und dass sie nicht
weglaufen können.“
Die Betreuer rechnen eigentlich zu jedem Zeitpunkt mit einem Aufstand oder
Fluchtversuchen seitens der Jugendlichen und behandeln sie dementsprechend von
vorne herein wie Verbrecher. Dieses Misstrauen widerspricht nicht nur, wie zuvor
erwähnt,
dem
Prinzip
der
Ressourcenorientierung
und
verhindert
einen
pädagogischen Bezug, es zeugt auch von einem sehr negativen Menschenbild. Die
Botschaft, die sowohl dem Zuschauer, als auch den Jugendlichen selbst vermittelt
wird, lautet: Man kann den Teenagern nicht vertrauen und muss vor ihnen immer
auf der Hut sein, da sie von Grund auf schlechte Menschen sind.
Insgesamt habe ich leider nur vier Situationen gefunden, in denen die Jugendlichen
etwas positiver betrachtet werden. Beispielhaft sei die folgende Szene aufgeführt:
F1, 1:22:15 – 1:22:31
Situation:
Dzeneta
weiterwandern.
hat
ihren
Rucksack
abgeworfen
und
will
nicht
146
Die Jugendliche ist in der Einstellungsgröße „Amerikanisch“ zu sehen, sie sitzt
im Schneidersitz am Boden und hat den Kopf gesenkt, so dass man nur ihren
Hut sieht. Die Kamera schwenkt hoch zu Frau Luepges, die mit ihrem Rucksack
bepackt und einer Wasserflasche in der Hand hinter der Jugendlichen steht.
Traurige Musik im Hintergrund.
Marlies:
„Und jetzt wär deine erste Möglichkeit, mal da was anderes
auszuprobieren. Ich versteh das schon, wenn man immer die
gleichen Art und Weise hat, mit Problemen umzugehen, dann,
dann (hockt sich hin, so dass sie sich mit Dzeneta auf einer
Augenhöhe
befindet)
fährt
man
sich
da
so
in
ne
Gewohnheitssachen rein. Jetzt hier in dem Moment hast du die
Möglichkeit, das zu ändern.“
Das hier vermittelte Menschenbild ist insofern positiv, als das den Jugendlichen
etwas zugetraut wird. Im ersten Zitat ist Marlies Luepges davon überzeugt, dass
Dzeneta alte Verhaltensweisen ablegen und neue ausprobieren kann, also
entwicklungsfähig ist.
Alles in allem muss man jedoch festhalten, dass die Darstellung der Jugendlichen und somit das vermittelte Menschenbild - überwiegend negativ ist. Sie werden als
kriminell, gewalttätig, egoistisch und rücksichtslos vorgestellt, Stärken und positive
Eigenschaften werden nicht erwähnt. Die Motivationen für ihre Handlungen sind
laut Sprecher und Mitarbeiter der Wille, den eigenen Kopf durchzusetzen, oder der
Wunsch, andere zu schikanieren. Laut Annegret Nobles dispositionaler Attribution
haben die Jugendlichen diese destruktiven Eigenschaften „in sich drin“, Verständnis
für ihr Verhalten ist somit höchst wahrscheinlich nicht zu erwarten. Passend dazu
werden sie als faul, dumm und unmündig dargestellt. Dass die Betreuer den
Teenagern in manchen Szenen immerhin zutrauen, sich zu entwickeln, wird an dem
negativen Eindruck, den der Zuschauer von den Jugendlichen erhält, wenig ändern.
Ihm
wird
damit
hingegen
vermittelt,
dass
positive
Veränderungen
der
Heranwachsenden, die während des Therapieprogramms zu beobachten sind, dem
Projekt und den Betreuern, nicht aber den Teenagern selbst zuzuschreiben sind.
147
5 Fazit
Die
kritische
Analyse
der
Szenen
hat
viele
Differenzen
zwischen
den
Erziehungspraktiken der Betreuer bei „Teenager außer Kontrolle“ und einer
professionellen Pädagogik sichtbar gemacht. Aufgrund dieser Unterschiede stimme ich
der Behauptung, meine spätere berufliche Praxis sei mit den in der Sendung
dargestellten Inhalten vergleichbar, nicht zu. Im Folgenden möchte ich noch einmal die
wichtigsten Differenzen herausstellen:
-
Bereits die Grundlage allen pädagogischen Handelns, das Menschenbild, ist bei
„Teenager außer Kontrolle“ negativ. Im Gegensatz zu professionellen
Pädagogen, die ihren Klienten mit Wertschätzung begegnen und sie prinzipiell
für gute Menschen halten, treten die Mitarbeiter des „Catherine Freer Therapy
Program“ den Jugendlichen von vorne herein mit Misstrauen und Abneigung
gegenüber. Sie unterstellen ihnen für ihre Handlungen negative Motivationen,
wie Berechnung oder das vorsätzliche Schikanieren ihrer Mitmenschen und
behandeln sie wie gefährliche Kriminelle. Den positiven Eigenschaften und
Potenzialen der Teenager wird keinerlei Beachtung geschenkt.
-
Dies geht einher mit einer kaum vorhandenen Ressourcenorientierung. Der
Fokus der Sendung liegt grundsätzlich auf negativen Aspekten: Selbst wenn es
den Betreuern partiell gelingt, positive Entwicklungen der Jugendlichen
anzuerkennen oder ihnen benötigte Ressourcen zur Verfügung zu stellen, lenken
abwertende Kommentare des Sprechers oder Rückblicke zum vorherigen Leben
der Jugendlichen, die Aufmerksamkeit des Beobachters auf das, was in der
Vergangenheit nicht funktioniert hat. Dem Zuschauer wird vermittelt, dass es in
den Hilfen zur Erziehung darum geht, die Probleme und „Fehler“ der Kinder
und Jugendlichen ständig im Auge zu behalten und darauf „herumzureiten“. Ein
guter Pädagoge hingegen würde anerkennen, was dem Klienten bisher gelungen
ist, ihn darin bestärken und daran ansetzen.
-
Bei „Teenager außer Kontrolle“ geht es kaum um die Beziehungen der
Jugendlichen, obwohl diese eine wichtige Ressource im Leben eines Menschen
darstellen. Vor allem auf positive Beziehungen der Jugendlichen untereinander
wird kaum Wert gelegt, die Peergruppe wird lediglich als Druckmittel benutzt.
Häufig versuchen die Mitarbeiter des Programms sogar, Freundschaften unter
148
den Gruppenmitgliedern zu verhindern. Pädagogisch betrachtet wäre es weitaus
sinnvoller und professioneller, eine positive Peerkultur zu unterstützen, um die
entwicklungsfördernden Aspekte der Gleichaltrigenbeziehungen zu nutzen und
mit den Teenagern an einem konstruktiven Verhältnis zu ihren Mitmenschen zu
arbeiten. Positiv ist zu erwähnen, dass trotz der großen räumlichen Distanz Wert
auf Elternarbeit gelegt wird. Sie von Bedingungen abhängig zu machen und als
Druckmittel zu benutzen, um die Jugendlichen zum Einhalten der Regeln zu
bewegen, ist pädagogisch betrachtet jedoch nicht sinnvoll. Auch die
Ausgestaltung der Elternarbeit ist mangelhaft: Die Eltern erfahren keine
Wertschätzung ihrer bisherigen Erziehungsleistungen und die Teenager werden
mit Schuldzuschreibungen konfrontiert. Des weiteren entspricht die Beziehung
zwischen Erzieher und Zögling nicht den Kriterien guter pädagogischer Arbeit:
Obwohl es den Betreuern in einigen Situationen gelingt, freundlich und
hilfsbereit zu sein, verhindern harte, teils demütigende Strafen, ein großes
Misstrauen den Jugendlichen gegenüber, ein Mangel an Akzeptanz und
Verständnis, sowie hartes körperliches Durchgreifen der Betreuer die
Entstehung eines pädagogischen Bezugs, ohne den laut Nohl „alles übrige
vergeblich“ bleibt. Die Möglichkeit, für die Teenager zu wichtigen
Bezugspersonen zu werden und einen positiven Einfluss auf sie zu haben, ist als
äußerst gering einzuschätzen.
-
Das Verhältnis von Selbst- und Fremdkontrolle ist außerdem als dem Alter
und Entwicklungsstand der Jugendlichen nicht angemessen zu bewerten.
Partizipationsmöglichkeiten werden den Heranwachsenden nur bei relativ
unbedeutenden Punkten zugesprochen, häufig werden sie noch nicht einmal über
die sie betreffenden Entscheidungen informiert. Das verhindert natürlich
jegliche Mitsprache und somit eine Selbstbestimmung der Teenager. Eine
Vorbereitung auf ein verantwortungsvolles Leben findet nicht statt, denn den
Jugendlichen wird die Chance auf eine Entwicklung zur Selbständigkeit
genommen. Die Fremdbestimmung wurde an den beobachteten Strafpraktiken
deutlich: Schon die Tatsache, dass die Strafen ein fest geplanter und häufiger
Bestandteil des Programms sind, steht im Widerspruch zu einer professionellen
Pädagogik. Da sie zu Scheinanpassungen führen, sollten sie lediglich in
Ausnahmefällen
angewandt
werden
und
immer
logisch
und
auf
Wiedergutmachung ausgelegt sein. Die Strafen bei „Teenager außer Kontrolle“
scheinen hingegen als willkürliche Racheakte und Schikanen.
149
Mit Blick auf all diese Mängel kann davon ausgegangen werden, dass es bei „Teenager
außer Kontrolle“ nicht um die Bedürfnisse der teilnehmenden Jugendlichen geht. Die
Methoden sind darauf ausgelegt, in möglichst kurzer Zeit sichtbare Veränderungen zu
erreichen, Scheinanpassungen werden dabei in Kauf genommen. Statt auf lang
anhaltende Entwicklungen hinzuarbeiten, wird versucht, große Effekte zu erzielen, um
Eltern und Zuschauer von der Wirkung des Programms zu überzeugen. Die
Heranwachsenden durch Strafen und Demütigungen gefügig zu machen und sie somit
zum Einhalten von Regeln zu bringen, mag für den Laien wie eine funktionierende
Maßnahme aussehen, ist jedoch Dressur und hat mit Erziehung nichts zu tun.
Eigenständig und verantwortlich mit ihrem Leben zurechtzukommen lernen die
Jugendlichen hierbei jedenfalls nicht.
Eltern, die Probleme mit ihren Kindern haben und diese Sendung sehen, könnten zu der
Überzeugung gelangen, dass ihre Kinder durch Strafen und sogar körperliche Gewalt zu
erziehen seien und dass Heranwachsende nach acht Wochen Jugendhilfemaßnahme als
neue, geheilte Menschen zu ihren Eltern zurückkehren. Die dargestellte Elternarbeit und
die mangelhafte Ressourcenorientierung könnten außerdem dazu führen, dass Eltern
sich in Krisensituationen nicht an das Jugendamt wenden, da sie befürchten aufgrund
der Konzentration auf Probleme bloßgestellt zu werden. Die zuschauenden Kinder
werden beim Anblick des Programms wahrscheinlich Angst vor pädagogischen
Maßnahmen bekommen, da sie die Teilnahme an der Therapie als Strafe und die
dargestellten Jugendlichen als Objekte erleben, deren Willen es zu brechen gilt.
Fernsehzuschauer, die der Meinung sind „die Jugendlichen von heute müssen nur mal
richtig bestraft werden“ und „manchmal muss man zum Besten der Kinder auch mal
handgreiflich werden“, sehen sich durch „Teenager außer Kontrolle“ in ihren Aussagen
bestätigt und schalten gern Woche für Woche ein. Dass die Mitarbeiter von Catherine
Freer demnach nicht über eine (schlechte) Alttagspädagogik hinauskommen und die
Darstellung der Teenager zu Abneigung gegen junge Menschen führen kann, scheint die
Produzenten der Sendung nicht zu stören – denn Gewalt und Hass bringen hohe
Einschaltquoten.
Alles in allem führt die Sendung also zu Missverständnissen und einem falschen Bild
pädagogischer Arbeit, was schwerwiegende und verheerende Folgen bezüglich der
Erwartungen
an
„echte“
Hilfen
zur
Erziehung
Erziehungsmaßnahmen der zuschauenden Eltern haben kann.
und
die
zukünftigen
150
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Zugriff: Februar 2009
Verfügbar unter: http://www.channel4.com/life/microsites/B/bratcamp/
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Die offizielle Website von Kris Schock:
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Zugriff: Februar 2009
Verfügbar unter: http://snyelmn.wordpress.com/teenager-ausser-kontrolleletzter-ausweg-wilder-westen-staffel-1/teenager-ausser-kontrolle-letzter-auswegwilder-westen-staffel-2/
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RTL – Teenager außer Kontrolle:
Das sind die acht Teenager
Zugriff: Februar 2009
Verfügbar unter:
http://www.rtl.de/tv/tv_932657.php?media=galerie1&set_id=8263
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RTV:
Noch mehr „Teenager außer Kontrolle“
Zugriff: Februar 2009
Verfügbar unter: www.rtv.de
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Wikipedia. Die freie Enzyklopädie:
Teenager außer Kontrolle – Letzter Ausweg Wilder Westen.
Zugriff: Februar 2009
Verfügbar unter:
http://de.wikipedia.org/wiki/Teenager_au%C3%9Fer_Kontrolle
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Wolf, Klaus:
„Macht, Pädagogik und ethische Legitimation“
Zugriff: Juni 2009
Verfügbar unter: http://www.unisiegen.de/fb2/mitarbeiter/wolf/wissarbeiten/wissarbeiten_veroeffentlichungen.ht
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Wolf, Klaus: Downloads zum Wintersemester 2005/2006
„Der Sozialpädagogische Blick. Einführung in die Soziale
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Zugriff: Januar 2006
Verfügbar unter: http://www.unisiegen.de/fb2/mitarbeiter/wolf/download_alt.html?lang=de
156
7 Ehrenwörtliche Erklärung
Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit in allen Teilen selbstständig
verfasst und keine anderen als die von mir angegebenen Quellen und Hilfsmittel
verwendet habe.
________________________
_____________________________
Datum
Unterschrift