Thomas Mann und die Musik
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Thomas Mann und die Musik
Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 3 Volker Mertens Groß ist das Geheimnis Thomas Mann und die Musik Militzke Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 4 Der Abdruck der Zitate von Thomas Mann erfolgt mit freundlicher Genehmigung der S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt a. M. Bibliographische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Angaben sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Copyright © 2006 by Militzke Verlag e. K., Leipzig Alle Rechte vorbehalten Lektorat: Siegfried Kätzel Bildlektorat und CD: Lars Pietzschmann Umschlaggestaltung: Ralf Thielicke unter Verwendung eines Fotos von Keystone Satz und Gestaltung: Ralf Thielicke Gesetzt aus der Agfa Rotis Serif Printed in Germany ISBN: 978-3-86189-747-7 Besuchen Sie den Militzke Verlag im Internet unter: http://www.militzke.de Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 5 Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 6 Inhalt Vorwort 8 1 Eine lebenslange Liebe 10 2 Bei Buddenbrooks 17 3 Thomas Mann in der Oper 25 4 Musik als dichterisches Bild und als Gefahr 33 5 Mann und Wagner im Sanatorium: »Tristan« 43 6 Wagners wirkmächtiges Werk 50 7 Ein musikalischer Bruderzwist im Hause Mann 58 8 »Sympathie mit dem Tode« 70 Thomas Mann und Pfitzner 9 »Ohne Musik wäre das Leben ein Irrtum« 79 Nietzsche und Thomas Mann 10 »Fülle des Wohllauts« 87 Musik auf dem Zauberberg 11 »Seelenzauber« 99 Musik als deutsche Kunst 12 »Wie ist mir wohl, das ich ein Deutscher bin«? 112 Thomas Mann und die italienische Musik 13 Das leichtere, genußreiche Musizieren: 119 der Freund Bruno Walter 14 Zwei fremde Sonntagskinder Thomas Mann und Richard Strauss 128 Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 7 15 »Das kam zu mir!« 139 Thomas Mann und die Schallplatte 16 Leiden und Größe Richard Wagners 149 17 Der Richard-Wagner-Protest der Stadt München 155 18 Thomas Mann und die Musikalische Moderne 164 19 Ein deutscher Musiker 171 »Doktor Faustus« 20 Der »Wirkliche Geheime Rat« 181 Thomas Mann und Adorno 21 »Es ist viel Hitler in Wagner« 195 22 Einfluß auf mein eigenes Bilden und Bauen: 212 Thomas Manns musikalische Erzählkunst 23 Doktor Faustus – ein deutsches, ein musikalisches Thema 225 24 Thomas Manns Wunschkonzert 234 25 Wenn Thomas Mann Komponist geworden wäre ... 243 Epilog Ein Wunschkonzert für Thomas Mann 249 Anhang 259 259 269 269 271 Anmerkungen Quellen Literatur Musikstücke auf der CD Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 8 8 Vorwort Das Zusammenfallen des 130. Geburtstags und des 50. Todestags von Thomas Mann im Jahre 2005 war der Anlaß für eine Sendereihe im Kulturradio des Rundfunks Berlin Brandenburg und des Mitteldeutschen Rundfunks. Die gute Resonanz der 26 Folgen regte das vorliegende Buch an. Wenn er nicht Dichter geworden wäre, hätte er Musiker sein mögen, hat Thomas Mann einmal gesagt. In der Weltliteratur ist er der Autor, der wohl die engste Beziehung zur Nachbarkunst gehabt hat. So entsteht ein Lebensund Schaffensbild Thomas Manns aus einer besonderen Perspektive, das zugleich ein Panorama der Musikpflege in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist. Musik begleitet Manns Leben und Schaffen, er hat über Musik geschrieben, Musikbeschreibungen an Schlüsselstellen seiner Werke plaziert und sie selbst nach musikalischen Prinzipien gebaut: Leitmotive verwendet wie Richard Wagner, Montageprinzipien benutzt wie Igor Strawinsky und die Reihentechnik wie Arnold Schönberg. Er war in Lübeck und München ein begeisterter Opernbesucher, hat lange keine Tristan-Vorstellung versäumt, aber auch Puccini und Verdi gehört. Wagner, dessen ›Lohengrin‹ sein erstes großes Opernerlebnis war, hat ihn sein Leben lang fasziniert, doch auch irritiert; vor allem seiner politischen Wirkungen wegen hatte er später ein durchaus ambivalentes Verhältnis zu seinem Werk. Schließlich war sein großer Wagner-Essay Anlaß für den »Protest der Richard-Wagner-Stadt München«, der ihn letztlich aus Deutschland ins Schweizer und dann ins amerikanische Exil getrieben hat. Er hat eine Zeitlang Hans Pfitzner bewundert, mit Arnold Schönberg und Igor Strawinsky verkehrt und sich von Theodor W. Adorno in musikalischen Fragen beraten lassen. Als junger Mann war er ein guter Geiger, der sich an Sonaten von Edward Grieg und Richard Strauss wagen konnte. Später hat er das Violinspiel aufgegeben und wurde zum begeisterten Schallplattenhörer, er besaß eine große Sammlung, von der heute noch ein bedeutender Teil erhalten ist, so daß man seine musikalischen und interpretatorischen Vorlieben erschließen kann. Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 9 9 Die Kapitel sind so konzipiert, daß man sie einzeln lesen kann, daher habe ich kürzere Zitatwiederholungen nicht gescheut. Um einen plastischen Eindruck von Manns dichtender Beschäftigung mit Musik zu geben, kommt er selbst in einigem Umfang zu Wort. Dem Buch liegt eine CD bei, die auf Aufnahmen zurückgreift, die Thomas Mann nachweislich besessen und gehört hat, auf sie wird mit Angabe der Nummer des Tracks im Text verwiesen. Auf diese Weise bekommt der Leser einen guten Eindruck, nicht nur von Manns musikalischer Welt, sondern auch von der Eindringlichkeit der Musikbeschreibungen in seinen Werken. Im Januar 2006 Volker Mertens Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 10 10 1 Eine lebenslange Liebe Kein Autor von Weltrang hat die Musik so ins Zentrum seines Lebens und Schaffens gestellt wie Thomas Mann, nicht E.T.A. Hoffmann, der selbst Musiker war, nicht Hugo von Hofmannsthal, der für Richard Strauss die Textbücher geschrieben hat. Thomas Mann konnte sich vorstellen, in einem anderen Leben Dirigent geworden zu sein, sogar Komponist, so wie Goethe oder Adalbert Stifter Maler geworden wären. Er hat gesagt: »Groß ist das Geheimnis der Musik – sie ist ohne Zweifel die tiefsinnigste, philosophisch alarmierendste, durch ihre sinnlich-übersinnliche Natur, durch die erstaunliche Verbindung, die Strenge und Traum, Sittlichkeit und Zauber, Vernunft und Gefühl, Tag und Nacht in ihr eingehen die faszinierendeste Erscheinung der Kultur und Humanität. Von jung auf habe ich dem Rätsel ihres Wesens nachgehangen, sie belauscht, sie zu ergründen gesucht, bin als Schriftsteller ihren Spuren gefolgt, habe unwillkürlich ihrer Wirkungsart Einfluß auf mein eigenes Bilden und Bauen gewährt.«1 In seinem Werk finden wir Musikbeschreibungen in reicher Form: Sie charakterisieren die Figuren, sie bilden Sinnzentren. Mann hat mit dem ›Doktor Faustus‹ einen Musikerroman geschrieben, in dem die Musik nicht nur das Ausdrucksmittel des Helden ist, nicht nur Stationen seines Lebens charakterisiert, sondern Symbol der Weltgeschichte wird. Der große Romancier hat musikalische Strukturen für sein Erzählen benutzt. Der Autor Richard Schaukal schreibt schon früh über ihn: »Thomas Mann ist eminent musikalisch. Man kann das nicht bloß aus gelegentlichen delikaten Aeußerungen über Werke der Tonkunst an den bis zur zitternden Sensibilität gesteigerten Musikergestalten, die er geschaffen, man kann das noch überzeugender aus der durchaus rhythmischen Art seiner gleichsam schwingenden Prosa erkennen. Sein Stil, ein gemeißelter, bewußt erworbener Stil ist der Stil eines allmächtigen, durchaus taktfesten – Dirigenten. Er hat Gehalt, Selbstgewicht. Bei aller Reserve ist dieser Stil artistisch im Sinne der wirkungssicheren Nüancierung. Eine beson- Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 11 Eine lebenslange Liebe dere Eigentümlichkeit sind die Leitmotive, wiederkehrende, der Erinnerung behilfliche, der Verdeutlichung wirksame, festverbundene Charakteristika.«2 Thomas Mann verwendet von Anfang an sprachliche Leitmotive, ähnlich wie Richard Wagner musikalische. Seinen ›Josephsroman‹ baut er als Großform sogar analog zur Ring-Tetralogie Wagners. Die Schönbergsche Reihentechnik wird im ›Doktor Faustus‹ nicht nur beschrieben, sondern als Strukturprinzip eingesetzt, Montagetechniken benutzt der Autor ähnlich wie Igor Strawinsky oder der späte Richard Strauss. Ohne seine Liebe zur Musik und seine Kenntnis musikalischer Werke und Techniken wäre sein erzählerisches Werk weder vom Inhalt noch von der Erzählform her vorstellbar. »Was mich betrifft, muß ich mich zu den Musikern unter den Dichtern rechnen«, hat er gesagt. »Der Roman war mir immer eine Symphonie, ein Werk der Kontrapunktik, ein Themengewebe, worin die Ideen die Rolle musikalischer Motive spielen«.3 Thomas Mann hat allerdings als ausübender Musiker nie den Stand eines gebildeten Dilettanten hinter sich gelassen. Seine kompositionstechnischen Kenntnisse gingen ebenfalls nicht über das Niveau eines verständigen Liebhabers hinaus, jedoch eines Liebhabers im wahren Sinn des Wortes. Mann hat der Musik Möglichkeiten abgewonnen wie kein anderer Erzähler vor und nach ihm. Er war ein unersättlicher aktiver Musikhörer, in der Oper, im Konzert, von der Schallplatte, aus dem Radio. Darüber geben seine Tagebücher Auskunft. Die Musik war seine lebenslange Liebe. Sie begann in seiner Jugend. Dem Vater, Inhaber einer Getreidehandlung und Senator der Hansestadt Lübeck, war die Musik gleichgültig, die Mutter aber war hochmusikalisch: Julia da Silva-Bruhns, die schönste Frau Lübecks. Sie war von deutsch-brasilianischen Eltern in Brasilien zur Welt gekommen, sie spielte sehr gut Klavier und sang dazu. Ihre Liebe zur Musik hat sie dem Sohn mitgegeben. Für ihn verband sich daher die Musik immer mit der Sphäre des Weiblichen. Die Erinnerung an seine Kindheit ist vom Liedgesang der Mutter durchklungen. Seine Liebe zur Vokalmusik, »zur glorreichen Kultur des deutschen Kunstlieds«, wie er sagt, hat hier ihre Wurzeln. Eine Stimme wie eine Glocke habe Julia Mann gehabt, sagte man, ihr Sohn spricht von ihrer »kleinen, aber überaus angenehmen und lieblichen Stimme«. Sie begleitete sich selbst am Klavier, besonders gern habe sie Lieder von Mozart, Schubert, Brahms und von Schumann gesungen, heißt es. Thomas muß nicht nur auf die Musik, sondern auch auf die Worte genau gelauscht haben, denn viele Gedichte kannte er zuerst aus den Vertonungen. 11 Satz_122-272_CD+korr222 12 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 12 Eine lebenslange Liebe Auch auf dem Klavier bevorzugte Julia Mann die Romantiker, Chopin war einer ihrer Lieblingskomponisten. Im erzählerischen Frühwerk ihres Sohnes kommen immer wieder chopinspielende Frauen vor, so in seiner Novelle ›Tristan‹, wo Detlev Spinell die lungenkranke Gabriele Klöterjahn zum Klavierspielen verführt: zuerst spielt sie das Nocturne op. 9 Nr. 2 in Esdur, dann den Klavierauszug von Richard Wagners ›Tristan‹. Ein Musikinstrument zu lernen, gehörte zum Bildungsprogramm der Lübecker Honoratioren. Also bekam Thomas Geigenstunden. Er muß recht begabt gewesen sein, denn er spielte nach den Sonatinen von Schubert bald die Sonaten von Robert Schumann, sogar an eine technisch so anspruchsvolle Novität wie die Violinsonate von Richard Strauss will er sich gewagt haben. Freunde sprechen davon, daß er vorzüglich geigte. Das eigene Üben empfand er als »ernste Arbeit«. Es hat ihm die eine Dimension der Musik vermittelt: die Disziplin. Von der zweiten, dem Rauschhaften, soll noch später die Rede sein. Einmal füllte er einen Fragebogen im Gästebuch von Ilse Martens, der Schwester seines Jugendfreundes Armin, aus. Unter den Lieblingskomponisten nach Wagner und vor Grieg nannte er Richard Strauss, den damals noch umstrittenen, vielfach beargwöhnten und abgelehnten Neutöner. Bis zu seinem 40. Lebensjahr hat er zur Geige gegriffen, mit Münchner Freunden Kammermusik gemacht. Lange hat er auch noch mit der Mutter gespielt, die ihn in seinen Jugendtagen begleitet hatte – so bei der Frühlingssonate von Ludwig van Beethoven. »Bei dem Adagio sang die Geige wie ein Engel«, heißt es in Erinnerung daran in ›Buddenbrooks‹. Sein Geigenspiel hat Thomas Mann verschiedenen Personen seiner Romane und Erzählungen mitgegeben: Gerda Buddenbrook, Johannes Friedemann aus der Erzählung ›Der kleine Herr Friedemann‹, Tonio Kröger und vor allem Rudi Schwerdtfeger im ›Doktor Faustus‹. Sein jugendlicher Hochstapler Felix Krull allerdings tut nur so: bei einem Kurkonzert spielt er auf einer billigen Violine mit einem sorgfältig mit Vaseline bestrichenen Bogen, er imitiert das Gehabe eines virtuosen Wunderkindes auf perfekte Weise. »Die schwingende Bewegung der linken Hand zur Erzeugung eines seelenvollen Tones, das weiche Hinauf- und Hinabgleiten aus einer Grifflage in die andere, die Fingergeläufigkeit bei virtuosenhaften Passagen und Kadenzen, das schlanke und geschmeidige Durchbiegen des rechten Handgelenkes bei der Bogenführung, die versunkene und lauschend gestaltende Miene bei hingeschmiegter Wange – dies alles wiederzugeben gelang mir mit einer Vollkommenheit, die besonders meinem Vater den heitersten Beifall abnötigte.«4 Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 13 Eine lebenslange Liebe Wegen des bestrichenen Bogens hört man natürlich keinen Ton, aber der Erfolg ist vollkommen. Er erzählt: »Als ich mit einem vollen und energischen Bogenstrich über alle Saiten geendigt hatte, erfüllte das Geprassel des Beifalls, untermischt mit hohen und tiefen Bravorufen, die Kuranlagen. Man hebt mich, nachdem der kleine Kapellmeister meine Geige nebst Bogen in Sicherheit gebracht, zur ebenen Erde nieder. Man überhäuft mich mit Lobsprüchen, mit Schmeichelnamen, mit Liebkosungen. Aristokratische Damen und Herren umdrängen mich, streicheln mir Haare, Wangen und Hände, nennen mich Teufelsbub und Engelskind.«5 Von der Schule hatte Tommy, wie man ihn überall nannte, wenig Anregung zu erwarten. Das Lübecker Katharineum galt unter den bekannten Gymnasien als eines der schlechtesten in Deutschland. Der junge Thomas Mann war allerdings schwer zu beschulen, wie man heute sagt. Vielleicht erging es ihm so wie seinem »Verfallsprinzen« Hanno Buddenbrook, der im Unterricht versagt, weil er am Vorabend Wagners ›Lohengrin‹ besucht hatte. Der Lohengrin, insonderheit das Vorspiel, blieb eines der Lieblingsstücke Thomas Manns. Seine Mutter hatte ihm die Liebe zur Musik Richard Wagners vermittelt, sie begleitete ihn ein Leben lang. Er hat sie bewundert, geliebt wie keine andere, kritisiert, abgelehnt, aber nie aufgehört, sie nahe bei sich zu tragen. Vor allem faszinierte ihn der ›Tristan‹: Das war die Musik des Rausches, der Entrückung, der »Sympathie mit dem Tode«, oder, wie Friedrich Nietzsche sagt: »Mir behagt an Wagner … die ethische Luft, der faustische Duft, Kreuz, Tod und Gruft«. Wenn Thomas Manns literarische Figuren der Musik verfallen, sagen sie sich vom Leben los wie Hanno Buddenbrook oder Gabriele Klöterjahn in der ›Tristan‹-Novelle. Daß der ›Lohengrin‹ seine und seines Lieblingshelden Hanno Buddenbrook erste Wagneroper war, ist typisch: es war die meistgespielte. Jedes Stadttheater hatte sie auf dem Programm. Thomas Mann erinnerte sich immer an die Zeit in Lübeck, als er diese romantische Oper zum ersten Mal hörte. (• CD, tr. 1–3) »Es war damals, daß mir zuerst die Kunst Richard Wagners entgegentrat, diese moderne Kunst, die man erlebt, erkannt haben muß, wenn man von unserer Zeit irgend etwas verstehen will. Und dieses ungeheure und fragwürdige Werk, das zu erleben und zu erkennen ich nicht satt werde, dieser kluge und sinnige, sehnsüchtige und abgefeimte Zauber, diese fixierte theatralische Improvisation, die außerhalb des Theaters nicht vorhanden ist – sie ist es in der Tat, und sie allein, die mich auf Lebenszeit dem Theater verbindet. Daß man die dramatischen Dichter, Schiller, Goethe, Kleist, Grillparzer, 13 Satz_122-272_CD+korr222 14 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 14 Eine lebenslange Liebe daß man Henrik Ibsen und unsere Hauptmann, Wedekind, Hofmannsthal nicht ebensogut lesen als aufgeführt sehen könne, daß man in der Regel nicht besser tue, sie zu lesen, wird niemand mich überzeugen. Aber Wagner ist nur im Theater zu finden, ist ohne Theater nicht denkbar.«6 Als Thomas Mann 16 Jahre alt war, starb sein Vater. Er hatte seiner Frau die Fortführung der Firma ebensowenig zugetraut wie seinem ältesten Sohn Heinrich, die Getreidehandlung wurde daher liquidiert, Thomas erhielt aus dem Vermögen eine monatliche Rente von umgerechnet etwa 1 500 Euro. So konnte er unabhängig leben und war dem verhaßten Zwang zum Geldverdienen entkommen. Denn in dem erwähnten Fragebogen hatte er als seine Idee vom Unglück genannt: »Mittellos und daher abhängig zu sein.« Mit noch nicht ganz 20 Jahren zog er nach München, zunächst zur Mutter, dann nahm er verschiedene Wohnungen in ihrer Nähe, sorgte stets dafür, daß ein Klavier dort stand. Er lebte das Leben eines vernünftigen Bohemiens. Er verbrachte viel Zeit in Italien, arbeitete an seinem Familienund Gesellschaftsroman ›Buddenbrooks‹, in dem die Musik eine Schlüsselrolle spielt. In München erweiterte sich Thomas Manns musikalischer Gesichtskreis erheblich. Während der Fertigstellung seines Romans begann die Bekanntschaft mit den Brüdern Paul und Carl Ehrenberg. Carl war Pianist, Paul, der Maler, ein begabter Geiger. Zu ihm entwickelte sich eine erotisch gefärbte Freundschaft. Paul wird noch in der Gestalt des Violinisten Rudi Schwerdtfeger im ›Doktor Faustus‹ gespiegelt. Man traf sich oft bei Julia Mann. Carl Ehrenberg schreibt über seinen Freund Thomas: »Oft kam er zum Plaudern oder um mich zu einem kleinen Bummel abzuholen zu mir auf meine ›Bude‹, wo er mich vor lauter Tabakqualm bisweilen nicht gleich sehen konnte, sonst aber trafen wir uns bei seiner Mutter. Dort begann der Abend meist mit Musik, dann lasen wir, d. h. ›Tommy‹ las aus Tolstoi, Knut Hamsun oder aus eigenen Werken vor, hierauf gabs wieder Musik und so fort bis spät in die Nacht, und wenn unsre Ausdauer auch nicht zu bewundern war, so doch die Langmut der übrigen Hausbewohner, welche diese Musikorgien geduldig sich gefallen ließen. Es wurden Klaviertrios und Geigensonaten von Haydn, Beethoven, Schubert, Grieg, Brahms und R. Strauss gespielt.« Bei den Trios hat vermutlich Julia Mann Klavier, Carl Ehrenberg Cello und Paul Violine gespielt, vielleicht übernahm auch Thomas gelegentlich den Geigenpart. Als der Kontakt mit dem Geiger Paul Ehrenberg nach dem Weggang seines Bruders Carl zum Stadttheater Posen und Manns Heirat im Jahre 1905 Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 15 Eine lebenslange Liebe lockerer wurde, gewann er mit dem Nietzscheforscher Ernst Bertram einen neuen Duopartner. Mit ihm musizierte er aus dem vertrauten Repertoire. Im Jahre 1903 hatte Thomas Mann Katharina Pringsheim kennengelernt und sich entschlossen, um sie zu werben. Er kommt damit in ein großbürgerlich-musikalisches Ambiente. Sie erzählt, daß sie schon mit elf Jahren in den ›Meistersingern‹ war und alle dachten: »Ach, da wird das Kind ja einschlafen.« Dabei sei sie ganz betrübt gewesen, als die Oper vorbei war. Mit Wagners Musik war sie aufgewachsen, mit der Idee, daß sie das Herrlichste überhaupt sei. Aber wirklich viel gemacht aus Musik hat sich Manns Auserwählte nicht. In der Villa in der Arcisstraße 12, im Familienjargon ›Arcissi‹ genannt, gab es jeden Sonntag Hausmusik. Alfred Pringsheim, Manns späterer Schwiegervater, war nicht nur ein großer Wagnerverehrer, sondern auch ein vorzüglicher Pianist, so erklang oft Wagner auf den zwei Flügeln des Salons. »Nach Tische Wagner. Champagner«, vermeldet Thomas Mann in seinem Notizbuch. Die Kombination scheint ihm ausnehmend wohl gefallen zu haben, denn für Luxus hatte er etwas übrig. Im Pringsheimschen Salon verkehrte die Künstlerprominenz Münchens, die Komponisten Max von Schillings und Richard Strauss, der Malerfürst Franz von Lenbach und sein Kollege Franz von Stuck, die Dichter Paul Heyse und Karl Wolfskehl und die wegen ihrer freizügigen erotischen Ansichten berüchtigte Franziska Gräfin Reventlow. Zu den Musiknachmittagen kamen Sänger und Sängerinnen der Oper. Katia Mann erinnert sich vor allem an die Kroatin Milka Ternina, die eine bedeutende Kundry und Isolde war – und die Geliebte des Hausherrn. In die Oper ging Thomas Mann regelmäßig. Später notiert er, daß er keine Tristan-Vorstellung ausließ. Aber er hörte auch alles, was das Haus sonst an Repertoire zu bieten hatte: Puccini nahm einen wichtigen Platz ein, Verdi gab es ebenfalls häufig, Mozart und Beethoven wurden gespielt, Bizet und Gounod. Seit 1920 hörte er mehr und mehr Schallplatten, ja wurde geradezu süchtig danach, das Geigenspiel hingegen trat zurück: »Es widerte ihn an, herumzudilettieren«, hat Katia Mann gemeint. Im ›Zauberberg‹ hat er der neu entdeckten »technischen Reproduzierbarkeit« der Musik ein Denkmal gesetzt. ›Fülle des Wohllauts‹ heißt das Kapitel. Von seinem Nobelpreis-Geld kaufte er sich im Jahre 1929 ein elektrisches Grammophon und viele, viele Schallplatten; etwa ein Drittel der Sammlung ist in Archiven in Wiesbaden und Berlin erhalten. Im Jahre 1933 verließ Thomas Mann Deutschland – den Anlaß bot seine kritische Würdigung der Musik Wagners. Die bösartigen Reaktionen 15 Satz_122-272_CD+korr222 16 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 16 Eine lebenslange Liebe auf seinen Vortrag ›Leiden und Größe Richard Wagners‹ machten ihm klar, daß er in Hitlerdeutschland nicht bleiben konnte. 1936 wurde er ausgebürgert, sein Besitz konfisziert. Im Exil blieb er ein leidenschaftlicher Musikhörer – von Hausmusik, von Konzerten, aber vor allem von der Schallplatte und aus dem Radio. Zweimal nannte er seine Lieblingsplatten: Wagner und Schubertlieder, Mendelssohn und Berlioz, Beethoven und Schumann sowie die d-moll-Sinfonie von Cesar Franck, die er gern selbst geschrieben hätte. Er traf Strawinsky und Schönberg, hörte Alban Bergs Violinkonzert und seinen ›Wozzeck‹. Die Musik der Wiener Moderne wurde ihm zum Modell für das Komponieren seines Musikerhelden Adrian Leverkühn im ›Doktor Faustus‹. Sein Duzfreund, der große Dirigent Bruno Walter, fürchtete sogar eine Zeitlang, Thomas Mann könnte zur Zwölftonmusik überlaufen, aber er brauchte keine Sorgen zu haben. Zwar hat Thomas Manns »deutscher Tonsetzer« Leverkühn in der Reihentechnik komponiert, der Autor aber meinte: »Ich würde nie eine solche Musik schreiben.« Manns musikalische Heimat blieb trotz aller Horizonterweiterung die im Elternhaus zuerst vermittelte deutsche Romantik: Wagner, gewiß, doch nicht nur er. Schubert vor allem rückte ihm immer näher. Am 2. Januar 1947, fünf Jahre vor seiner Rückkehr nach Europa, nach Zürich, notierte Thomas Mann: »Abends das vertraute Trio von Schubert. Glücklicher Zustand der Musik. Man wünschte, sie wäre auf der Stufe geblieben.« So kehrt er gewissermaßen zu den Vorlieben seiner Mutter zurück. Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 17 17 2 Bei Buddenbrooks Geplant war ein Roman von 250 Seiten, aber das Buch hatte seinen eigenen Willen und wurde dreimal so lang. Der Verleger zweifelte, ob es so von den Lesern akzeptiert würde: Er könne es nur drucken, wenn der Autor es um die Hälfte kürze. Der lehnte es rundum ab, denn die Länge mit den motivischen Rückbezügen, so schrieb er, seien eine wesentliche Eigenschaft des Werkes. Verleger Fischer war überzeugt und entschloß sich zum Druck. Die Rezensenten allerdings waren unzufrieden: So ein Wälzer, wie ein im Sand mahlender Lastwagen, hieß es. Langsam aber fand der Roman Anklang, im Lauf eines Jahres waren 1 000 Exemplare verkauft. Heute liegt die Auflage bei über vier Millionen. Thomas Manns Erstlingsroman, die Geschichte vom Verfall der Familie Buddenbrook, ist andauernd populär: Im Oktober 2004 wählten ihn die deutschen Leser auf Platz 6 der liebsten Bücher. »Wie Musik« sei der Roman geschrieben, sagte der Laudator Heinrich Breloer und meinte damit die vom Autor genannten »motivischen Rückbezüge«. Musik als Thema hingegen spielt erst in der letzten, der vierten Generation eine Rolle: Hanno Buddenbrook, der »Verfallsprinz«, ist der einzig Musikalische der Familie. Die meisten Buddenbrooks, so heißt es, »konnten nicht einmal die Choräle erkennen, die in der Marienkirche gespielt wurden«. Vier Generationen der Lübecker Kaufmannsfamilie Buddenbrook treten im Roman auf: Der Urgroßvater Johann Buddenbrook ist etwa 1765 geboren. Er verkörpert Selbstsicherheit, ein ungebrochenes Lebensgefühl, vertraut auf seine Tatkraft und seinen Unternehmergeist. Er führt ein gutbürgerliches Leben, Kunst ist darin Zierat, wie schöne Möbel, wie zartfarbige Tapeten, nichts Existentielles. Musik gehört zur bürgerlichen Bildung und so spielt Johann »gern ein wenig die Flöte«. Nach dem Festessen im himmelblauen Speisesaal, das am Anfang des Romans beschrieben wird, will der 70jährige Johann den Gästen noch etwas auf der Flöte vorspielen: Satz_122-272_CD+korr222 18 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 18 Bei Buddenbrooks »Die sechs Herren hörten noch, als sie durch die Säulenhalle schritten, im Landschaftszimmer die ersten Flötentöne aufklingen, von der Konsulin auf dem Harmonium begleitet, eine kleine, helle, graziöse Melodie, die sinnig durch die weiten Räume schwebte. Der Konsul lauschte, so lange etwas zu hören war. Er wäre gar zu gern im Landschaftszimmer zurückgeblieben, um in einem Lehnsessel bei diesen Klängen seinen Träumen und Gefühlen nachzuhängen.«1 Die Flöte war das Lieblingsinstrument des 18. Jahrhunderts. Kronprinz Friedrich von Preußen spielte sie und hatte Johann Joachim Quantz, den bedeutendsten Flötenspieler der Zeit, an seinen Hof geholt. Er schrieb eine Flötenschule: den ›Versuch einer Anweisung die Traversière [also die Querflöte zu spielen]‹. Vielleicht hat Johann Buddenbrook nach dieser das Flötenspiel erlernt. Das gehobene Bürgertum orientiert sich am Hof mit einiger Verspätung. So wird er auch den Komponisten des 18. Jahrhunderts die Treue gehalten haben. Zwar war er Zeitgenosse der Romantiker, der Brüder Schlegel, von Novalis und Clemens Brentano, aber entrückte Stimmungen wie in dessen Gedicht dürften seinem Flötenspiel fremd geblieben sein: »Hör, es klagt die Flöte wieder, Und die kühlen Brunnen rauschen. Golden wehn die Töne nieder, Stille, stille, laß uns lauschen! Holdes Bitten, mild Verlangen, Wie es süß zum Herzen spricht! Durch die Nacht, die mich umfangen, Blickt zu mir der Töne Licht.«2 Die Enkelin, Tony Buddenbrook, liest allerdings E.T.A. Hoffmanns Novellensammlung ›Serapionsbrüder‹, eine nicht unbedenkliche Lektüre im Hinblick auf Lebenstüchtigkeit und Lebensbewältigung. Für Johann ist das »fritzische« Flötenspiel »ein kleiner Nachtischspaß und Ohrenschmaus«, Verschönerung des Lebens und zugleich Ausweis bürgerlicher Kultur. Anderen gegenüber zeigt man ihn gern vor, aber auf das wirkliche Leben hat diese Kunstübung keinen Einfluß. Johanns Sohn ist »der Konsul«, er heißt ebenfalls Johann, wird aber zur besseren Unterscheidung Jean genannt. Er hat nicht mehr die Unbekümmertheit des Vaters, sondern stützt seine bürgerliche Lebensführung durch ein pietistisch-protestantisches Moralkorsett. Zu Weihnachten werden die Chorknaben der Marienkirche in Dienst genommen, die vierstimmige Weihnachtslieder singen, schließlich stimmt die Familie selbst ›O Tannebaum‹ an. Satz_122-272_CD+korr222 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 19 Bei Buddenbrooks Jean zeigt erstmals in der Familie ein emotionales Verhältnis zur Musik. Beim Flötenspiel seines Vaters wäre er »gar zu gern im Landschaftszimmer zurückgeblieben«, um in einem Lehnstuhl bei diesen Klängen seinen Träumen und Gefühlen nachzuhängen: Er ist der erste seines Geschlechts, der »unalltägliche, unbürgerliche und differenziertere Gefühle gekannt und gepflegt hatte«, wie es heißt. Allerdings wird er stets schnell »wieder Herr seiner Gefühle«. Die Musik spielt im Leben der zweiten Generation letztlich nur bei den pietistischen Morgen- und Abendandachten im Haus eine Rolle, die nach seinem Tode von der Konsulin, seiner Frau, verstärkt und weitergeführt wurden. Dabei wird eines Morgens »zu einer feierlichen, glaubensfesten und innigen Melodie« folgender Text gesungen: »Ich bin ein rechtes Rabenaas, Ein wahrer Sündenkrüppel, Der seine Sünden in sich fraß, Als wie der Rost den Zwippel. Ach Herr, so nimm mich Hund beim Ohr, Wirf mir den Gnadenknochen vor Und nimm mich Sündenlümmel In deinen Gnadenhimmel!«3 Die ›Rabenaas‹-Strophe stammt leider nicht von Thomas Mann, sie war damals seit mehr als einem halben Jahrhundert bekannt: als Parodie pietistischer Zerknirschung. Die »feierliche, glaubensfeste und innige Melodie« ist wahrscheinlich die von Johann Schop zu dem Lied: ›Ermuntre dich, mein schwacher Geist‹: »Ermuntre dich, mein schwacher Geist, und trage groß Verlangen, ein kleines Kind, das Vater heißt, mit Freuden zu empfangen. Dieß ist die Nacht, darin es kam, und menschlich’s Wesen an sich nahm, dadurch die Welt mit Treuen als seine Braut zu freyen.«4 Jean, der Konsul, ist als Kaufmann nicht eben erfolgreich, der »Verfall der Familie« deutet sich an. Er geht weiter bei seinen vier Kindern, Thomas und Christian, Tony und Clara. Thomas ist ein »später und komplizierter Bürger«, wie sein Autor ihn nennt; an ihm sei »ein bißchen was Gewisses«, meinen die Lübecker Honoratioren. Seine Kompliziertheit äußert sich in der 19 Satz_122-272_CD+korr222 20 31.01.2006 13:07 Uhr Seite 20 Bei Buddenbrooks Wahl der Ehefrau: Gerda Arnoldsen, Tochter eines großen Kaufmanns und eines beinahe »noch größeren Geigenvirtuosen«. Thomas Buddenbrook schreibt an seine Mutter über die Tischgespräche im Hause der Auserwählten: »In der Musik konnte ich ihr nicht Widerpart halten, denn wir bedauernswerten Buddenbrooks wissen allzuwenig davon … Nach Tische ließ ich mich dem alten Arnoldsen präsentieren, der mir mit ausgesuchter Verbindlichkeit entgegenkam. Später, im Salon, trug er mehrere Konzert-Piecen vor, und auch Gerda produzierte sich. Sie sah prachtvoll dabei aus, und obgleich ich keine Ahnung vom Violinspiel habe, so weiß ich, daß sie auf ihrem Instrument (einer echten Stradivari) zu singen verstand, daß einem beinahe die Thränen in die Augen traten.«5 Was Gerdas Vater da gespielt haben mag, verrät der Erzähler nicht, aber Thomas Mann spielte selbst gut Geige und hatte eine Vorstellung vom Repertoire. Bach wird es nicht gewesen sein, das waren keine »Konzertpiecen«, eher romantisches Repertoire. Vielleicht eine Caprice von Paganini, die Arnoldsens Virtuosität ins beste Licht setzte. Gerda spielte sicher etwas Lyrisches, Gesangliches. Vielleicht eine Bearbeitung, vielleicht etwas Originales wie die Variationen über ›Letzte Rose‹ des bedeutenden Geigers Heinrich Wilhelm Ernst? Thomas Mann hat für die musikalische Form ›Thema und Variation‹ immer eine Schwäche gehabt: »Die Abwandlung, Vertiefung, Deutung des Gedankens: von hohem geistigen Reiz«, schreibt er. Bei der Verlobungsfeier greifen Vater und Tochter wieder zu ihren Instrumenten: »... hernach, während man den Kaffee nahm, spielte er die Geige wie ein Zigeuner, mit einer Wildheit, einer Leidenschaft, einer Fertigkeit … aber auch Gerda holte ihre Stradivari herbei, von der sie sich niemals trennte, und griff mit ihrer süßen Cantilene in seine Passagen ein, und sie spielten pompöse Duos, im Landschaftszimmer, beim Harmonium, an derselben Stelle, wo einstmals des Konsuls Großvater seine kleinen, sinnigen Melodien auf der Flöte geblasen hatte.«6 Vielleicht war es eines der damals populären Duos von Louis Spohr, etwas, was Thomas Mann selbst mit seinem Geigenlehrer, dem Konzertmeister des Stadttheaters, gespielt haben mag. Thomas Buddenbrook aber bleibt die musikalische Welt seiner Frau verschlossen, und besonders besorgt macht ihn, daß auch sein Sohn Hanno an ihr großen, zu großen Anteil nimmt. »Nie hatte er geglaubt, daß das Wesen der Musik seiner Familie so gänzlich fremd sei, wie es jetzt den Anschein gewann … er selbst hatte immer mit Wohlgefallen auf hübsche Melodien, die entweder eine leichte Grazie Endfassung_druck 07.02.2006 10:33 Uhr Seite 271 271 Musikstücke auf der CD Die CD vereint Aufnahmen, die Thomas Mann nachweislich besessen hat, lediglich bei Nr. 15 wissen wir nicht, welche des Schubert-Quintetts es war. Sie stammen teils aus der akustischen Zeit vor 1923/24, aus der »elektrischen« Schellackzeit und aus der Ära der Langspielplatte (seit 1951). So kann der Hörer nicht nur die Genauigkeit der Musikbeschreibungen z. B. im Grammophonkapitel aus dem ›Zauberberg‹ (Nr. 4–8, 11–13) verfolgen, sondern auch die Entwicklung der Aufnahmetechnik. Musikstücke Track Komponist Werk Titel Interpreten Aufnahmezeit Zeitdauer 1 Richard Wagner Lohengrin In fernem Land (Gralserzählung) Franz Völker Heinz Tietjen (Dir.), Orchester der Bayreuther Festspiele 1936 4.28 min 2 Richard Wagner Lohengrin Einsam in trüben Tagen Delia Reinhardt 1922 5.06 min 3 Richard Wagner Lohengrin Vorspiel zum 1. Akt Orchester der Bayerischen Staatsoper, Rudolf Kempe 1951 10.32 min 4 Charles Gounod Faust Da ich nun verlassen soll Joseph Schwarz 1919 3.52 min 5 Giacomo Puccini La Bohème O soave fanciulla Enrico Caruso, Nellie Melba 1907 3.25 min 6 Giuseppe Verdi Aida O terra addio Enrico Caruso, Johanna Gadski 1909 4.04 min 7 Georges Bizet Carmen Je vais danser Emmy Destinn, Karl Jörn 1908 3.10 min 8 Georges Bizet Carmen La fleur que tu m' avais jetee Alfred Piccaver 1923 3.54 min 9 Richard Wagner Die Walküre Siegmund heiß ich Lotte Lehmann, Lauritz Melchior, Bruno Walter (Dir.) 1935 3.26 min Endfassung_druck 07.02.2006 10:33 Uhr Seite 272 272 Musikstücke Track Komponist 10 Giacomo Puccini 11 Werk Titel Interpreten Aufnahmezeit Zeitdauer Che gelida manina Beniamino Gigli 1931 4.23 min Gioacchino Rossini Il barbiere di Siviglia Largo al factotum Titta Ruffo 1920 4.15 min 12 Giuseppe Verdi La Traviata E´strano!, Ah, fors e lui, Follie!, Sempre libera Luisa Tetrazzini 1907/ 1908 6.33 min 13 Franz Schubert Winterreise Der Lindenbaum Richard Tauber 1923 2.58 min 14 Franz Schubert Winterreise Im Dorfe Gerhard Hüsch 1935 3.58 min 15 Franz Schubert Quintett C-Dur op. 163 Allegretto Isaac Stern, Alexander Schneider, Milton Katims, Pablo Casals, Paul Tortelier 1952 9.45 min La Bohème Printed in Germany ISBN 3-86189-755-5 Tracks 1–4, 7, 12–15: Deutsches Musikarchiv Berlin Tracks 5, 6, 9, 10: Mit freundlicher Genehmigung von NAXOS Deutschland GmbH. Tracks 8, 11: Mit freundlicher Genehmigung von Preiser Records Wien. Tracks 1, 4–8, 12–14: Nachbearbeitung durch RAUMER RECORDS, Peter Talmann Musikverlag, Berlin Copyright © 2006 by Militzke Verlag e. K., Leipzig Alle Rechte, insbesondere das Recht auf Vervielfältigung, vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotokopie, Mikrofilm oder ein anderes elektronisches oder digitales Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden. Lektorat: Dr. Siegfried Kätzel, Lars Pietzschmann Gestaltung: Ralf Thielicke