JUGENDSTRAFRECHT 1. ENTWICKLUNG UND GESCHICHTE

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JUGENDSTRAFRECHT 1. ENTWICKLUNG UND GESCHICHTE
Universität Freiburg/Juristische Fakultät
Wahlfachgruppe 14/Jugendstrafrecht
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JUGENDSTRAFRECHT
1. ENTWICKLUNG UND GESCHICHTE DES JUGENDSTRAFRECHTS
1.1 Die Entdeckung von Kindheit und Jugend
Literatur: Aries, P.: Geschichte der Kindheit. München, Wien 1975; deMause, L.: Hört ihr die Kinder weinen? Eine
psychogenetische Geschichte der Kindheit. Suhrkamp, Frankfurt 1977; Platt, A.: The Child-Savers. The Invention of
Delinquency. 2. Aufl., Chicago 1977; Mitterauer, M.: Sozialgeschichte der Jugend. Frankfurt 1986; Münchmeier, R.:
Strukturwandel der Jugendphase - Aufwachsen unter veränderten Bedingungen. DVJJ-Journal 1995, Nr. 1, S. 10-17;
Kaiser, G.: Kinder und Jugendliche als Subjekte und Objekte in der Welt der Normen. RdJB 1998, S. 145-155.
Kindheit und Jugend als soziale Erscheinungen hat es nicht immer gegeben. Im Mittelalter galten
Kinder als "kleine Erwachsene", die keine von Erwachsenen getrennten Lebensbereiche hatten. Der
Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen wird dann freilich im 18. Und 19. Jahrhundert
immer stärker betont und führt schließlich zu der (sozialen und kulturellen, schliesslich rechtlichen)
Entfernung des Kindes aus der Erwachsenengesellschaft. Diese Entwicklung wird unterschiedlich
beurteilt. Eine Extremposition betont eine Verschlechterung der Position des Kindes, insbesondere
als Folge der „Wegnahme“ von Rechten und der Zuordnung eines sozialen Status in der Gesellschaft, der einen Ausschluß von als riskant gedeuteten Lebensbereichen mit sich bringt (Aries); eine
andere Position vertritt die These einer Besserstellung des Kindes durch die Aufnahme des Gedankens an Kinderschutz in die (auch rechtliche) Organisation der Gesellschaft (deMause). Freilich
entsteht mit der Herausbildung von Kindheit und Jugend ein besonderes System sozialer Kontrolle,
das sich aus jugendspezifischen Normen sowie Institutionen der Erziehung und Sozialisation zusammensetzt (Jugendamt, Schule etc.), darüber hinaus natürlich auch in Konzepten der Jugenddelinquenz bzw. von Eingriffstatbeständen zum Ausdruck kommt, die bei Risiken für die Erziehung
und Sozialisation Interventionen der Jugendhilfe und des Jugendstrafrechts mit sich bringen.
Jugend ist freilich (neben den hierin enthaltenen biologischen, chronologischen, entwicklungspsychologischen Konzepten) vor allem eine soziale Kategorie, in der Vorstellungen über eine Statuspassage zum Tragen kommen. Die Entwicklungen im 20. Jahrhundert haben beträchtlichen Wandel
im Hinblick auf diese Statuspassage (in die Erwachsenenrollen) mit sich gebracht. Hierzu gehören
insbesondere die beträchtliche Verlängerung der Jugendphase und die Veränderungen in der Struktur der Familien mit dem Wandel hin zu Klein- bzw. Kernfamilien.
Im Strafrecht genossen Kinder und Jugendliche bis in die Neuzeit hinein keine Sonderrolle. Sie unterfielen den für Erwachsene geltenden Strafen. Die Constitutio Criminalis Carolina (1532) kannte
zwar noch keine Festlegung der Strafmündigkeit, doch enthielt sie Sonderregelungen für jugendliche Straftäter. Art. 164 regelt die strafrechtliche Behandlung von jungen Dieben. Diese sollen lediglich eine gemilderte Strafe erhalten. Anstelle der Todesstrafe treten Leibesstrafen verbunden mit
ewiger Landesverweisung. Art. 179 verweist auf eine Verknüpfung von Jugend und Zurechnungsfähigkeit insoweit als dort ausgeführt wird, dass „jemandt, der jugent oder anderer gebrechlichkeyt
halben, wissentlich seiner synn nit hett“ nach dem Rat sachverständiger Personen abgeurteilt und
bestraft werden sollte.
Im Strafgesetzbuch für die Preussischen Staaten von 1851 erfolgte eine Orientierung am französischen Rechtssystem. Danach wird in §42 erklärt: „Wenn ein Angeschuldigter noch nicht das sechzehnte Lebensjahr vollendet hat, und festgestellt wird, dass er ohne Unterscheidungsvermögen gehandelt hat, so soll er freigesprochen, und in dem Urtheile bestimmt werden, ob er seiner Familie
überwiesen oder in eine Besserungsanstalt gebracht werden soll“. Mit dem „Unterscheidungsvermögen wird auf die „discernement“ Bezug genommen.
1.2 Die Abspaltung des Jugendstrafrechts vom Erwachsenenstrafrecht
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Literatur: Schaffstein/Beulke: Jugendstrafrecht, 1991, S.30ff; Kaiser: Jugendstrafrecht. In: Kleines Kriminologisches
Wörterbuch, 3. Aufl. 1993, S. 200.
Entscheidende Impulse zur Schaffung eines selbständigen Jugendstrafrechts kommen aus der sog.
"modernen Strafrechtsschule" mit ihrer Betonung der Spezialprävention/Resozialisierung (F. v.
Liszt) sowie aus der "Jugendgerichtsbewegung". Im Jahre 1923 tritt das Jugendgerichtsgesetz in
Kraft, im Jahre zuvor (1922) war das Jugendwohlfahrtsgesetz in Kraft getreten. Das Jugendgerichtsgesetz vom 16.2.1923 löste die §§55-57 des Reichsstrafgesetzbuches ab, in denen Sonderregelungen für Jugendliche im Rahmen des allgemeinen Strafrechts enthalten waren. Den Beginn der
Strafmündigkeit hatte §55 des RStGB auf 12 Jahre festgelegt. Im übrigen war die Jugendlichkeit des
Täters lediglich als Strafmilderungsgrund konzipiert; die Erwachsenenstrafen kamen deshalb zur
Anwendung.
In der Abspaltung vom allgemeinen Strafrecht kommt es auch zu unterschiedlicher Betonung
rechtsstaatlicher Prinzipien im Verhältnis zur Förderung des Kindes- und Jugendwohls. Hieraus
resultieren Streitfragen, die sich insbesondere darauf beziehen, warum und wann spezifische Gesichtspunkte des Kindeswohls eine unterschiedliche Gestaltung des Verfahrens und des materiellen
Rechts begründen können. Der amerikanische Oberste Gerichtshof hat hierzu ausgeführt, dass der
Staat nur dann eine unterschiedliche Behandlung von jungen Menschen rechtfertigen könne (Bellotti vs. Baird, 443 U.S. 622, 1979), wenn dies durch (1) die besondere Verwundbarkeit von jungen
Menschen, (2) die Unfähigkeit eine bedeutsame Entscheidung in kluger und reifer Art und Weise zu
treffen und (3) die Bedeutung von Eltern in der kindlichen Sozialisation geboten sei.
1.3 Die Entstehung des Systems des Jugendrechts
Literatur: Walter, Jugendrecht, Jugendhilfe, Jugendschutz. In: Kleines Kriminologisches Wörterbuch 3.Aufl, 1993,
S.191ff; Hasenclever, Jugendhilfe und Jugendgesetzgebung seit 1900, Göttingen 1978.
Das Jugendgerichtsgesetz und das Jugendwohlfahrtsgesetz (nunmehr Kinder- und Jugendhilfegesetz, KJHG) sind nur Teil des Systems des Jugendrechts, mit dem der Gedanke der Erziehung und
des Jugendschutzes in allen gesellschaftlichen Bereichen durchgesetzt wird. Zum Jugendrecht gehören u.a.: Jugendarbeitsschutzgesetze, Gesetz zum Schutz der Jugend in der Öffentlichkeit, der strafrechtliche Jugendschutz (Kindesmißhandlung, sexueller Mißbrauch, Pornographieverbreitungsverbote etc., vgl. insb. §§174ff StGB). Geregelt wird im wesentlichen das Verhältnis zwischen Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen sowie Rechte und Pflichten von Kindern und Jugendlichen.
Das Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts entstehende System des Jugendrechts kann als
Teil der Wandlung von bürgerlichem Rechtsstaat zum modernen Sozialstaat des Industriezeitalters
verstanden werden.
1.4 Jugendstrafrechtsreformen der Neuzeit
Literatur: Trenczek/Wimmer: Was bringt das neue JGG? DVJJ-Journal 1990, S. 26-29; Kerner, Jugendkriminalrecht als
„Vorreiter“ der Strafrechtsreform? Überlegungen zu 40 Jahren Rechtsentwicklung in Rechtsprechung, Lehre und Kriminalpolitik. DVJJ-Journal 1990, Nr. 133,S. 68-81.
Das im Jahre 1923 neu geschaffene Jugendgerichtsgesetz wurde in den Jahren 1943 sowie 1953
jeweils reformiert. Im Jahre 1990 trat schließlich das 1. Änderungsgesetz zum JGG (1. JGGÄndG)
in Kraft. Durch das Jugendgerichtsgesetz 1923 wurden Kinder bis zum Alter von 13 Jahren aus dem
Geltunsgbereich des Strafrechts ausgenommen. Im übrigen trat neben die Freiheitsstrafe als Sanktion für 14 bis 17-jährige eine System von Erziehungsmaßregeln, wobei Freiheitsstrafe erst dann verhängt werden durfte, wenn Erziehungsmaßregeln nicht ausreichten. Die Freiheitsstrafe konnte erstmals zur Bewährung ausgesetzt werden. Eingeführt wurde dann die Jugendgerichtshilfe sowie ein
besonderes Strafverfahren, wo Einschränkungen des Legalitätsgrundsatzes sowie der Ausschluß der
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Öffentlichkeit jugendspezifische Bedürfnisse erfüllen sollten. Das Jugendgerichtsgesetz von 1943
führte die Dreigliederung der jugendstrafrechtlichen Reaktionsmittel ein. Neben Erziehungsmaßregeln und Jugendstrafe traten die sog. Zuchtmittel. Mit der Einführung des Jugendarrests als Zuchtmittel wurde die kurze Freiheitsstrafe für Jugendliche abgeschafft. Die Mindeststrafe der Jugendstrafe wurde zunächst auf 3 Monate erhöht, im übrigen wurde die Möglichkeit der Strafaussetzung
zur Bewährung wieder abgeschafft. Gleichzeitig mit der Umbenennung der Freiheitsstrafe in Jugendstrafe brachte das JGG 1943 auch die Beseitigung der im Erwachsenenstrafrecht geltenden
Strafrahmen. Andererseits wurden in der Zeit des Nationalsozialismus Änderungen eingeführt, die
es erlaubten in als schwer bezeichneten Fällen auch Kinder ab 12 Jahren zu bestrafen; im übrigen
wurde im Verordnungswege die Möglichkeit eingeführt, auf jugendliche „Schwerverbrecher“ Erwachsenenstrafrecht, insoweit auch die Todesstrafe, anzuwenden. Im JGG 1953 wurde die Strafaussetzung zur Bewährung wiedereingeführt, gleichzeitig auch Bewährungshilfe und -aufsicht vorgesehen. Ferner sind seit 1953 die Heranwachsenden (18-20 Jahre) teilweise in das Jugendstrafrecht
einbezogen. Die sechziger und siebziger Jahre sind dann durch die Diskussion von Grundsatzreformen bestimmt, wobei die Vorschläge für ein erweitertes Jugendhilferecht der Arbeiterwohlfahrt von
1970, dann ein Diskussionsentwurf des Bundesministeriums für Jugend, Familie und Gesundheit
eine bestimmende Rolle spielten. Freilich haben sich die Vorstellungen, Jugendliche vollständig aus
dem Strafrecht herauszunehmen, und dafür ein einheitliches „Jugendkonfliktrecht“ für erziehungsbedürftige Kinder und Jugendliche wie für straffällige Jugendliche einzusetzen, nicht durchsetzen
können. Im Jahre 1990 trat schließlich eine Teilreform in Gestalt des 1. Änderungsgesetzes zum
JGG in Kraft. Im 1. JGGÄndG werden insb. Änderungen des §45, der Erziehungsmaßregeln und
der Zuchtmittel eingeführt. Im übrigen wird die unbestimmte Jugendstrafe abgeschafft. Besondere
Bedeutung kam der Einführung der Betreuungsweisung, der sozialen Trainingskurse und des TäterOpfer-Ausgleichs zu; die Auferlegung von Arbeitsverpflichtungen ist seit 1990 auch als Weisung
zulässig. Trotz der erheblichen Kritik am Jugendarrest und an der wegen schädlicher Neigungen
verhängten Jugendstrafe reformiert das 1. JGGÄndG hier nur sehr vorsichtig. Schließlich wird die
Untersuchungshaft (§72 JGG) durch die Einführung des §72 II JGG für bis zu 16-Jährige bei dem
Haftgrund der Fluchtgefahr eingeschränkt und mit §72a JGG als neue Aufgabe der Jugendgerichtshilfe die sog. Haftentscheidungshilfe eingefügt. Das 1. JGGÄndG bringt auch eine Anpassung an
das neue KJHG (insb. im Zusammenhang mit den Erziehungsmaßregeln und hier §12 JGG (Hilfe
zur Erziehung).
1.5 JUGENDSTRAFRECHT IM INTERNATIONALEN VERGLEICH
Literatur: Bureau of Justice Statistics: Capital Punishment 1997, Washington 1998, S. 5-9; Wormith, S. et al.: Ontario´ s
Strict Discipline Facility is not just another „Boot Camp“. Forum on Corrections Research 11(1999), S. 34-38; Doob,
A.N., Sprott, J.B.: Canada Considers New Sentencing Laws for Youth: A Sheep in Wolf´s Clothing? Overcrowded Times 10(1999), S. 1, 5-11; Sagel-Grande, I.: Jugendkriminalität und Jugend(Straf)Recht in den Niederlanden unter besonderer Berücksichtigung des Halt-Projekts und der Aufgabenstrafen. DVJJ-Journal 1/2000, S. 9-19; Graham, J.: Aktuelle Entwicklungen in der Jugendjustiz in England und Wales. DVJJ-Journal 4/1998, S. 317-321; Stando-Kawecka,
B., Dünkel, F.: Strafverantwortlichkeit Jugendlicher in Polen. DVJJ-Journal 4/1999, S. 409-418; Crofts, Th.: Mit zehn
Jahren strafmündig. Zur Reform der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von Kindern in England. ZsTW 111(1999), S.
728-741.
Die Anwendung von Erwachsenenstrafrecht und vor allem von Erwachsenensanktionen auf schwere
Straftaten Jugendlicher hat sich partiell in den USA durchgesetzt. Hier kann die Todesstrafe in einzelnen Bundesstaaten bei 14-Jährigen verhängten werden (beispw. Arkansas, Virginia), in anderen
ist die Todesstrafe bei einem Täteralter von 16 Jahren erlaubt (Alabama, Florida, Nevada etc.). Am
31.12. 1997 sassen ingesamt 69 Personen in amerikanischen Todeszellen ein, die die der Verurteilung zur Todesstrafe zugrundeliegende Tat im Alter von bis zu 17 Jahren begangen hatten.
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Eine weitere Entwicklung betrifft einen gewissen Trend hin zur Disziplin und Disziplinierung. Besonders deutlich wird dies in der Einrichtung von so genannten „Boot Camps“, zunächst in Nordamerika und nun zunehmend auch in Europa beachtet. In „Boot Camps“ wird auf militärischen Drill
und Disziplin sowie einen stark strukturierten Tagesablauf gesetzt. In eben diese Richtung geht trotz
gegenteiliger Beteuerungen das, was in Ontario als „strict discipline facility“ bezeichnet wird. Auch
hier steht der bis in die letzte Minute strukturierte Tagesablauf im Vordergrund.
Das neue kanadische Jugendstrafrecht sieht insbesondere neue Strafzumessungsgrundlagen vor.
Die jugendstrafrechtlichen Sanktionen haben zum Ziel: Schutz der Gesellschaft, indem die Verantwortlichkeit des jungen Straftäters durch gerechte Strafen, die wiederum bedeutsame Konsequenzen
für den jugendlichen Straftäter haben, verdeutlicht wird; sie sollen auch der Rehabilitation und der
Wiedereingliederung dienen (Sec. 37). Eine jugendstrafrechtliche Sanktion soll der Schwere der Tat
und der Schuld angemessen sein; betont wird der Verhältnismässigkeitsgrundsatz. Eingeführt werden neue Sanktionen (attendance order, deferred custudy and supervision order, intensive probation); Polizeidiversion wird schliesslich ebenfalls betont. Für relativ schwere Delikte können 14Jährige nunmehr vom Jugendgericht nach Erwachsenenstrafrecht bestraft werden (vorher bestand
die Möglichkeit der Abgabe des Falls an ein Erwachsenengericht).
Das im Entwurf vorliegende neue Schweizerische Jugendstrafrecht (Schellenberg, B.: Entstehungsgeschichte und Inhalt des Entwurfs zu einem neuen Jugendstrafrecht in der Schweiz. DVJJ-Journal
1/2000, S. 3-9) wird den Beginn der strafrechtlichen Verantwortlichkeit von nunmehr 7 Jahren auf
10 Jahre anheben. Freilich sind bestimmte Sanktionen erst ab einem höheren Alter vorgesehen. So
soll eine Busse (Geldstrafe) erst ab Vollendung des 15. Lebensjahres anwendbar sein. Auch der
Freiheitsentzug wird erst ab Vollendung des 15. Lebensjahres verhängt werden dürfen Er ist auf
höchstens 1 Jahr beschränkt. Längere Freiheisstrafen (bis maximal 4 Jahren) sind für jugendliche
Straftäter vorgesehen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben und die wegen Verbrechen verurteilt
werden, für die nach Erwachsenenstrafrecht eine Mindeststrafe von 3 Jahren Freiheitsentzug vorgesehen ist. Im übrigen trennt der Entwurf zwischen „Schutzmassnahmen“ (Aufsicht, persönliche
Betreuung, Behandlung und Unterbringung) sowie Strafen (Verweis, persönliche Leistungen (zugunsten des Opfers oder als gemeinnützige Arbeit), Busse, Freiheitsentzug).
In Holland beginnt die strafrechtliche Verantwortlichkeit mit 12 Jahren. Für Jugendliche gelten
dieselben Hauptstrafen wie für Erwachsene, nämlich Geldstrafe (allerdings bei einer Obergrenze
von 5000 Gulden) sowie Freiheitsentzug (bei bis 15-Jährigen bis höchstens 12 Monate; bei 16-18
Jährigen bis 24 Monate). Neben den Hauptstrafen exisitieren sogenannte „Aufgabenstrafen“, die
zwischen Geldstrafe und Freiheitsstrafe angesiedelt werden, nämlich die Arbeitsstrafe (10-200
Studnen), Teilnahme an Lern- und Trainingsprojekten sowie die Kombination zwischen Arbeitsstrafe und Lernprojekten.
Die Entwicklung des Jugendstrafrechts in England/Wales ist durch ein Weggehen vom Jugendwohlfahrtsmodell und durch die Hinwendung zu einem Modell, das die Verantwortlichkeit junger
Menschen für Strafaten betont, gekennzeichnet. Der Crime and Disorder Act 1998 hat die Pflicht
zum Nachweis des Doli Incapax abgeschafft. Mit diesem Schritt ist es nunmehr nicht mehr erforderlich bei 10-13-Jährigen Beschuldigten den Nachweis zu erbringen, dass der Beschuldigte nicht
bloss mit Vorsatz handelte, sondern auch zwischen Recht und Unrecht unterscheiden konnte. Insoweit wird nunmehr unterstellt, dass Kinder ab dem 10. Lebensjahr in vollem Umfang und ohne
Pflicht zur Nachprüfung (vgl. hierzu auch §3 JGG) strafrechtlich verantwortlich sind. Verstärkt wird
sodann die auch strafrechtliche Verantwortlichkeit der Eltern bzw. Erziehungsberechtigten für strafrechtlich relevantes Verhalten der Kinder. Unter bestimmten Bedingungen kann ein Gericht Eltern
dazu verpflichten, Anordnungen zur besseren Kontrolle der Kinder nachzukommen, deren Verlet-
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zung zu einer Geldstrafe bis zu 3000 DM führen kann. Eingeführt werden dann Elemente einer
„Restaurative Justice“ und zwar mit einer Wiedergutmachungsanordnung, die (bei Zustimmung des
Verletzten) den jugendlichen Straftäter zu Reparationen an den Verletzten bzw. die Gemeinschaft
verpflichtet. Eingeführt werden soll im übrigen eine Rechtsfolge der sog. FamiliengruppenKonferenz (Erfunden in NeuSeeland), anlässlich der Familie, Straftäter sowie Opfer zusammen einen Plan
bzw. Vertrag ausarbeiten, der sicherstellen soll, dass die Bedürfnisse des Opfers erfüllt werden und
dass der Täter sich seiner Verantwortung stellt. Ferner setzt die englische Jugendkriminalpolitik
nunmehr auf Frühintervention mittels verschiedener Massnahmen. Hierzu gehören:
► Das Programm der letzten Warnung: Die Polizei kann dann, wenn sie davon ausgeht, dass ein
jugendlicher Tatverdächtiger Gefahr läuft, eine kriminelle Laufbahn zu beginnen, eine so genannte
„Letzte Warnung“ aussprechen, an die sich die Einschaltung eines lokalen „Jugendkriminalitätsteams“ anknüpft, das wiederum die Aufgabe hat, ein individuelles Interventionsprogramm zur Vermeidung weiterer Straffälligkeit zu entwerfen.
► Ausgangssperren für Kinder unter 10 Jahren können nunmehr von Gemeinde und Polizei nach
Rücksprache mit den Anwohnern der betroffenen Gebiete angeordnet werden (für zunächst 3 Monate, mit Verlängerungsmöglichkeit).
► Eine Child Safety Order kann durch das Familiengericht angeordnet werden im Falle eines Kindes unter 10 Jahren, das entweder eine Straftat begangen hat, prä-delinquente Verhaltensweisen
zeigt, die Nachbarschaft durch sein Verhalten stark stört oder belästigt oder sich über eine Ausgangssperre hinweggesetzt hat. Mit einer solchen Anordnung können verschiedene Bedingungen
gesetzt werden: Schulbesuch, Aufenthalt zuhause, Vermeiden bestimmter Orte etc.
Ferner sieht die neue englische Jugendkriminalpolitik ein Verschieben der Resourcen von der Repression zur Prävention vor.
Die strafrechtliche Verantwortlichkeit von Jugendlichen, Rechtsfolgen sowie Verfahren sind in Polen im StGB (1997) sowie im Gesetz über Verfahren in Jugendsachen (1982) geregelt. In Ausnahmefällen kann ein jugendlicher Straftäter ab 15 Jahren in bestimmten Fällen (Art. 10§2 StGB) nach
Erwachsenenstrafrecht abgeurteilt werden. Die Höchststrafe beträgt dann zwei Drittel des für Erwachsene geltenden Strafrahmens. Im übrigen gelten besondere Bestimmungen für Jugendliche im
Gesetz über Verfahren in Jugendsachen, das vor den Familiengerichten stattfindet. Jugendliche sind
14-17-Jährige. Heranwachsende unterfallen dem StGB. In Jugendsachen werden grundsätzlich Erziehungs- und Besserungsmassnahmen angeordnet. Hierunter fallen: Ermahnung, Auferlegung
bestimmer Pflichten (beispw. Wiedergutmachung); Aufsicht durch Eltern, Bewährungshelfer, Arbeitsstelle etc.; Einweisung in ein Bewährungshilfezentrum, Unterbringung in einer Pflegefamilie
oder in einem Fürsorgeerziehungsheim, Unterbringung in einer Resozialisierungsanstalt; Unterbringung in einer Besserungsanstalt. Ein Familiengericht kann ausnahmsweise Strafe verhängen, nämlich dann, wenn die Voraussetzungen der Unterbringung in einer Besserungsanstalt gegeben sind
und wenn der Täter im Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts oder vor Vollstreckung der Massnahme das 18. Lebensjahr vollendet hat (Streitig, vgl. Stando-Kawecka/Dünkel 1999, S. 411).
2. JUGENDKRIMINALITÄT
2.1 Umfang und Entwicklung
Lit.: Villmow/Stephan: Jugendkriminalität in einer Gemeinde. Freiburg 1983; Kreuzer, Jugendkriminalität. In: Kleines
Kriminologisches Wörterbuch, 3.Aufl., 1993, S.182ff; Schüler-Springorum, Mehrfach Auffällig - Untersuchungen zur
Jugendkriminalität, 1982; Wolfgang, M., Figlio, R.M., Sellin, T.: Delinquency in a Birth Cohort. Chicago, London
1972.; Frehsee, D.: Sozialer Wandel und Jugendkriminalität. DVJJ-Journal 3-4/1995, S. 269-278; Kaiser/Schöch, Kri-
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minologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, 4. Aufl. München 1994, S. 170-180; Heinz, W.: Jugendkriminalität uwischen
Verharmlsoung und Dramatisierung. DVJJ-Journal 3/1997, S. 270-293; Steffen, W., Elsner, E.: Aktuelle Probleme der
Jugendkriminalität. In: Bundeskriminalamt (Hrsg.):
Es ist unbestritten, daß sich das Ausmaß bekannt gewordener Jugendkriminalität seit den fünfziger
Jahren ganz beträchtlich erhöht hat. Dies gilt praktisch für alle westlichen Industriestaaten. Ebenso
deutlich ist auch, daß sich seit Beginn der achtziger Jahre der Umfang der Jugendkriminalität auf
hohem Niveau stabilisiert. Zuwächse lassen sich seit anfang der neunziger Jahre wieder beobachten.
Besondere Beachtung verdient in diesem Zusammenhang der Befund, daß offensichtlich nicht nur
im Dunkelfeld bleibende Jugendkriminalität normal oder ubiquitär ist, sondern daß auch die offizielle Registrierung als Tatverdächtiger normal zu werden beginnt. Übereinstimmend wird aus
England, den USA und aus der BRD berichtet, daß mit Abschluß des Jungerwachsenenalters bei
etwa 24 Jahren etwa ein Drittel der männlichen Bevölkerung wenigstens einmal registriert oder gar
sanktioniert worden ist. Übereinstimmung herrscht international auch in dem Befund, daß Jugendliche disproportional häufig an der bekanntgewordenen Kriminalität beteiligt sind. Die Folgerungen,
die aus diesen Befunden gezogen werden oder gezogen werden können, müssen allerdings auch in
Rechnung stellen, daß Jugendkriminalität in der Regel einfache, leichte und wenig überlegte und
geplante Delikte umfasst. So dominieren regelmäßig einfache Formen der Eigentumskriminalität.
Es gilt noch immer, daß die besonders schadensträchtigen Bereiche der Eigentums- und Vermögenskriminalität, der Umweltdelikte und insbesondere auch der schweren Gewaltdelikte eine
Domäne der Erwachsenen darstellen. Ferner sind Jugendliche geständnisfreudiger, von daher bei
den Tatverdächtigen überrepräsentiert. Schließlich sorgt die häufige Begehung von Straftaten in der
Gruppe, daß auf die Jugendlichen durchschnittlich weniger Straftaten entfallen als auf Erwachsene.
Jugendkriminalität ist im wesentlichen Einmal- oder Gelegenheitskriminalität. Sie hat episodenhaften Charakter. Zum Standardwissen über Jugendkriminalität gehört auch, daß relativ kleine Gruppen
von sog. chronischen Straftätern bzw. Karrierestraftätern für einen außergewöhnlich großen Anteil
der auf Jugendliche entfallenden Straftaten verantwortlich sind. So wurde in einer der größten
Längsschnittuntersuchungen zur Jugendkriminalität festgestellt, daß etwa ein Fünftel der in dieser
Untersuchung erfassten Jugendlichen mehr als die Hälfte aller von den in die Untersuchung insgesamt einbezogenen Jugendlichen im Untersuchungszeitraum verübten Straftaten begangen haben,
und, noch wichtiger, für fast alle schweren Straftaten verantwortlich waren. Ähnlich liegen die
Verteilungen in anderen Ländern, auch in der Bundesrepublik Deutschland. Jedoch ist auch für diese Gruppe der Intensiv- oder chronischen Straftäter bekannt, daß ein wesentlicher Teil mit dem Übergang in das Erwachsenenalter die Karriere abbricht und ein unauffälliges Leben führt. Derartige
"Spontanremissionen" werden jedoch in neuerer Zeit offensichtlich durch Arbeitslosigkeitsprobleme
erschwert. Diese reduzieren die Gelegenheiten zum Ausstieg aus derartigen Jugendproblemen und
zum Einstieg in ein nicht unwesentlich durch Arbeitsplatz, Berufsrolle und hiermit zusammenhängende Familiengründung, also soziale Bindungen gekennzeichnetes konformes und konventionelles
Leben. Man rechnet jedoch insgesamt damit, daß ca 2-4% aller im Kindheits- und Jugendalter Auffälligen auch als Erwachsene weiter auffällig bleiben. Die gegenwärtige Entwicklung der Zusammensetzung der jungen Tatverdächtigen ist vor allem durch den Anstieg der jungen ausländischen
Straftäter charakterisiert. Sie machen in Großstadtbereichen (der alten Bundesländer) heute schon
bis zu 75% der Tatverdächtigen aus. Damit sind Folgeprobleme für die Strafverfolgung wie für die
Sozialen Dienste in der Justiz, vor allem auch für die JGH verbunden, die einmal Sprachprobleme,
zum anderen kulturelle Differenzen, dann auch die Art der Leistungen etc. betreffen, die auf ausländische jugendliche Tatverdächtige zugeschnitten sein sollen.
In den neunziger Jahren hat sich die Auseinandersetzung um die Frage, ob und inwieweit Jugendkriminalität zunimmt, drastisch verschärft. In der Beantwortung dieser Frage ist die Jugendkriminologie nach wie vor ganz wesentlich auf die Polizeiliche Kriminalstatistik angewiesen, die freilich
auf registrierte Jugendkriminalität beschränkt ist und deshalb für Veränderungen der Kontrollstrate-
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gien sowie der Anzeigeneigung in der Bevölkerung anfällig ist. Was sich in der Entwicklung der
neunziger Jahre tatsächlich beobachten läßt ist ein teilweise drastischer Anstieg der relativen Belastung von Jugendlichen und Heranwachsenden mit bestimmten Formen recht schwerer Straftaten
(insbesondere aber Raub und räuberische Erpressung, gefährliche Körperverletzung). Dabei spielt
im Falle des Raubes der Straßenraub eine besondere Rolle. Im übrigen läßt die Entwicklung der
Altersverteilung der Raubopfer erkennen, daß sich Raubstraftaten junger Menschen fast ausschließlich innerhalb derselben Altersgruppen abspielen. Jedoch kann andererseits auch nachgewiesen
werden, daß ein entsprechender Anstieg in den Verurteiltenzahlen derselben Altersgruppen nicht zu
beobachten ist. Wie dieses Auseinanderklaffen von Polizeistatistik und Verurteiltenstatistik interpretiert werden sollte, ist fraglich. Denn einerseits mögen mehr Bagatelldelikte angezeigt werden
(worauf die Justiz mit Einstellungen gem. §§45 47 JGG reagiert), andererseits mag sich die Bewertung von Straftaten als Bagatellen verändert haben. Ferner mögen justizökonomische Gründe dazu
führen, dass
Deutsche jugendliche und heranwachsende Tatverdächtige bzw. Verurteilte (pro 100.000 der jeweiligen Bevölkerungsgruppe 1984-1999); Alte Bundesländer
Jugendliche
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
Heranwachsende
Straftaten Insg.
Raub
TVBZ
VZ
TVBZ
VZ
3659
3566
3484
3477
3477
3756
4377
4325
4586
4606
5150
5811
6238
6534
6745
6648
1356
1241
1143
1098
1109
1000
948
874
873
899
934
1013
1097
1207
82
85
72
70
71
69
91
125
137
131
147
197
226
262
255
245
39
34
34
29
31
30
29
37
38
42
44
53
69
88
gefährl. Körper- Straftaten insg.
verletzung
TVBZ VZ
TVBZ VZ
TVBZ
VZ
191
187
186
183
187
206
233
281
312
324
329
379
425
482
534
576
118
114
102
98
90
88
101
121
128
125
124
158
170
183
181
184
51
47
46
41
41
40
38
47
47
51
52
49
59
67
60
58
57
55
54
56
61
59
63
69
78
79
95
107
4201
4249
4278
4228
4094
4120
4366
4475
4677
4815
5312
5788
6251
6473
6831
6822
1812
1685
1628
1579
1592
1507
1410
1407
1454
1574
1656
1706
1803
2001
Raub
gefährl. Körperverletzung
TVBZ VZ
330
321
312
307
299
311
327
364
379
368
385
405
456
488
549
616
102
93
85
81
83
80
85
89
93
97
97
98
96
118
Quelle: Heinz, W.: Jugendkriminalität zwischen Verharmlosung und Dramatisierung. DVJJ-Journal 1997, S. 270-293.
TVBZ: Tatverdächtigenbelastungsziffer; VZ: Verurteiltenziffer; Polizeiliche Kriminalstatistik; Strafverfolgungsstatistik..
2.2 Erklärung der Jugendkriminalität
Literatur: Stichwörter Kriminalitätstheorien. In: Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3. Aufl. 1993.
Die Theoriebildung auf dem Gebiet der Jugendkriminalität ist nach wie vor defizitär. Sie ist konzentriert auf Großstadtbereiche und männliche Jugendliche. Es konkurrieren nach wie vor mehrere
theoretische Ansätze, die jedoch, was die empirische Relevanz angeht, offensichtlich keine wesent-
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lichen Unterschiede mit sich bringen. Regelmäßig erklären die eingeführten Variablen 20-25% der
beobachteten Varianz in krimineller oder sonstiger Auffälligkeit.
- STRESSTHEORIEN, insb. in Form der Anomietheorie haben seit den sechziger Jahren an Attraktivität verloren.
- SOZIALISATIONSTHEORIEN haben nach wie vor ihren Platz innerhalb akzeptierter Jugendkriminalitätstheorien.
- KONTROLLTHEORIEN sind seit ab 1970 in den Mittelpunkt des Interesses gerückt. Danach entscheiden das Vorhandensein und das Ausmass von Bindungen (emotionaler und rationaler Art) an
relevante Andere (insb. Eltern), Institutionen und Normen über das Ausmass von Konformität.
Fehlen die Bindungen, ist das Individuum frei, auch zu kriminellem Verhalten. Offensichtlich
kommt diese Theorie der allgemeinen Einschätzung des Verlustes an Funktion und Bedeutung ehemals zentraler gesellschaftlicher Institutionen (Familie, Schule, Religion, Arbeit) entgegen (die Akzeptanz von Theorien ist ja in der Regel nicht nur abhängig von ihrer Güte, sondern insbesondere
auch davon, inwieweit sie sich allgemeinen Überzeugungsmustern fügen).
- Veränderte GELEGENHEITEN, insb. Erweiterung der Risikosituationen durch drastische Veränderungen in der Sozialstruktur und Mobilität.
2.3 Extremistische Jugendgewalt
Literatur: Kohaus, H., Cladder-Micus, A.: Integrative Arbeit mit gewalttätigen Jugendlichen und ambulantes AntiAggressivitätstraining in Nottuln. DVJJ-Journal 3-4/1995, S. 347-353; Möller, K.: Rechtsextremismus und Gewalt.
Empirische Befunde und individualisierungstheoretische Erklärungen. In: Lust auf Randale. Jugendliche Gewalt gegen
Fremde, Breyvogel, W. (Hrsg.), Bonn 1993, S. 35-64. Willems, H: Fremdenfeindliche Gewalt. Einstellungen, Täter,
Konflikteskalation, Opladen 1993; Schumann, K.F., Schutz der Ausländer vor rechtsradikaler Gewalt durch Instrumente
des Strafrechts? Strafverteidiger 1993, S. 324ff (abgedruckt auch in DVJJ-Journal 1993, S. 256ff).
Kurz nach der Wiedervereinigung Deutschlands hat eine steigende Zahl von polizeilich registrierten Vorfällen der Gewalt gegen ethnische Minderheiten dazu beigetragen, die Aufmerksamkeit auf Zusammenhänge zwischen Umbruch, sozialem Wandel, Jugend und Gewalt zu lenken.
Insbesondere die Gewalt gegen Minoritäten mag nicht nur verstanden werden als eine Folge
schnellen sozio-politischen Wandels und seiner Auswirkungen in Form sozialer Desintegration.
Ein erhöhtes Niveau an Gewalt könnte auch interpretiert werden als Indikator einer kulturellen
Desintegration oder der kulturellen Segregation. Darüber hinaus könnten diese Zeichen als Indikatoren für grundsätzliche Diskriminierung ethnischer Minderheiten dienen. Soziologische
und kriminologische Ansätze, die in dieser Hinsicht über Konzepte wie Xenophobie, rassistische oder diskriminierende Einstellungen bzw. traditionelle Erklärungen von Jugendgewalt
hinausgehen, sind selten. Der vorherrschende Ansatz in der Erklärung von Jugendgewalt gegenüber Minoritäten bezieht sich auf die traditionelle Frustrations- Aggressionshypothese, vgl. Rommelspacher, B.: Männliche Jugendliche als Projektionsfiguren gesellschaftlicher Gewaltphantasien.
Rassismus im Selbstverständnis der Mehrheitskultur. In: Breyvogel, W. (Hrsg.): Lust auf Randale.
Jugendliche Gewalt gegen Fremde. Verlag Dietz, Bonn 1993, S. 65-82, S. 75 und Bliesener, Th.:
Psychologische Hintergründe der Gewalt gegen Ausländer. In: DVJJ-Regionalgruppe Nordbayern
(Hrsg.): Ausländer im Jugendstrafrecht. Neue Dimensionen. Erlangen 1992, S. 15-32; der größere
Teil der Gewalttaten wird von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen begangen. 70 % der Tatverdächtigen fallen in die Altersgruppe der14 bis 20jährigen, lediglich 3 % der Tatverdächtigen sind
30 Jahre oder älter, Verfassungsschutzbericht 1991, S. 83. Jedoch bemerken wir neuerdings neues
soziologisches Interesse für diese Phänomene, von denen man dachte, daß sie der Vergangenheit angehören. Es ist offensichtlich, daß sich diese gegen ausländische und ethnische Minoritäten gerichteten Gewaltausbrüche teilweise auf ein „kollektives Bewußtsein“ beziehen, das
sich um die Themen der Nation, des Nationalstaats sowie um kulturelle und rassische Unterschiede seit den achtziger Jahren wieder sichtbar entwickelt. Es wurde bereits bedauert, daß die
moderne soziologische Theorie offensichtlich nicht dazu in der Lage ist, solche Entwicklungen
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wegen der besonderen Betonung, die in der soziologischen Theorie auf die Beschreibung und
Erklärung der post-industriellen Gesellschaften gelegt worden sei, zu erklären. Nationalistische
Ideologien, die man durch strukturelle Veränderungen in modernen Gesellschaften und ihre
Bindung an Rationalität überwunden glaubte, sind offensichtlich in allen europäischen Ländern
wieder auf dem Vormarsch. Ganz offensichtlich liegt diese Veränderung außerhalb der Reichweite soziologischer Erklärungen. Die auch als „Haßkriminalität“ bezeichnete fremdenfeindliche Gewalt gewinnt ihre soziale und politische Brisanz daraus, daß sie auf die Beziehungen
zwischen Gruppen hinweist. Die herkömmliche Betrachtung von Gewalt als Akte von Einzelpersonen gegen Einzelpersonen ist demnach zu verlassen. Vielmehr sind soziale und ethnische
Gruppen bzw. die Gruppensolidarität in den Mittelpunkt zu rücken.
Die Debatte um die ausländerfeindliche Gewalt war auch verbunden mit Versuchen, die Heranwachsenden wieder stärker in das Erwachsenenstrafrecht einzubeziehen und deren Behandlung als Jugendliche bzw. nach Jugendstrafrecht als Ausnahmesachverhalt vorzusehen (vgl.
nunmehr BT-Drs. 562/97, Gesetzesantrag des Landes Bayern). Zu einer kurzen Diskussion dieser Forderungen, die freilich auch ganz allgemein mit steigender Jugendgewalt und ansteigender Kriminalität und Sicherheitsproblemen begründet wurden, vgl. Bannberg, B.: Strafe als
Reaktion auf gesellschaftliche Forderungen. DVJJ-Journal 1/1995, S. 63ff; Sonnen, B.R.: Verschärfungsbestrebungen im Jugendstrafrecht. DVJJ-Journal 1997, S. 222-223).
3. DIE KONZEPTION DES JUGENDSTRAFRECHTS
3.1 Kinderkriminalität, Jugendverfehlung und relative Strafmündigkeit
Lit.: Frehsee, D.: „Strafverfolgung“ von strafunmündigen Kindern. ZStW 100(1988), S. 290-328; Lauer, T.: Aus der
Hand gelesen. Die Zulässigkeit von Röntgenaufnahmen der Hand zum Zwecke der Altersfeststellung bei unbegleiteten
minderjährigen Flüchtlingen. DVJJ-Journal 3-4/1995, S. 317-323; Weinschenk, C.: Beginnt die Schuldfähigkeit wirklich
erst mit der Vollendung des 14. Lebensjahres? Monatsschrift für Kriminologie 1984, S. 15ff; Walter/Kubink, §3 JGG §17 StGB: Gleiche Tatbestandsstruktur? DVJJ-Journal 1/1995, S. 113ff.; Walter-Freise, Der vergessene Paragraph Aktuelle Fragen zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit junger Menschen - §3 JGG, DVJJ-Journal 1/1995, S. 137ff;
Thomas, K.: Der Kinderdelinquenz Einhalt gebieten – aber wie? ZRP 1999, S. 193-196; Hefendehl, R.: Täter und Opfer
bei kindlicher Gewaltkriminalität. JZ 2000, S. 600-608.
Das Jugendstrafrecht gilt für Jugendliche (14-17-jährige). Diese werden als „relativ strafmündig“
dem Jugendstrafrecht unterstellt. Dabei gilt aber gem. §3 JGG die Bedingung, daß der Jugendliche
entwicklungsmäßig so weit sein muß, daß er das Unrecht seiner Tat einsehen und entsprechend dieser Einsicht handeln konnte. Obwohl die gesetzgeberische Konzeption des §3 JGG darauf hinweist,
daß die Strafmündigkeit in jedem Einzelfall positiv festgestellt werden muß, scheint die Praxis vom
Bestehen der Strafmündigkeit im Regelfall ohne weitere Untersuchungen auszugehen. Heranwachsende (18-20-jährige) gelten als strafmündig, können aber gem. §105 JGG als Jugendliche behandelt und nach Jugendstrafrecht abgeurteilt werden. Im Falle von Straftaten von Kindern gibt es keine Strafverfolgung. Freilich ist im einzelnen umstritten, ob und inwieweit gegenüber straffälligen
Kindern einzelne Strafverfolgungsmaßnahmen, insb. Zwangsmaßnahmen der StPO zulässig sind
(vgl. im einzelnen Frehsee 1988). Jedoch gilt prinzipiell, daß Kinder nicht Beschuldigte im Sinne
der StPO sein können. Denn Beschuldigter kann nur derjenige sein, gegen den mit dem Ziel einer
Aburteilung ein Ermittlungsverfahren eingeleitet werden darf. Da Kinder aber als strafunmündig
gelten (§19 StGB) kann gegen sie ein Ermittlungsverfahren mit dem genannten Ziel gar nicht eingeleitet werden.
Kindliche Straftäter unterfallen dem Kinder- und Jugendhilfegesetz. Das Jugendamt hat im Falle der
Delinquenz von Kindern gegebenenfalls zu prüfen, ob Erziehungshilfen nach dem KJHG in Betracht kommen. Ferner ist grundsätzlich eine familienrechtlich und vormundschaftsrechtlich begründete Intervention gegen die Inhaber des Sorgerechts denkbar (§1666 BGB). Ein von Freistaat
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Bayern vorgelegter Gesetzesantrag vom 26.2. 1998 (BR DrS 645/98) schlägt vor, in §1666 BGB
eine gesetzliche Vermutung einzuführen, nach der das Familiengericht von einer Gefährdung des
Kindeswohls bei wiederholten und erheblichen Verstössen gegen Strafgesetze ausgehen könnte.
Vorgeschlagen wird auch die Klärung in einem richterlichen „Erziehungsgespräch“, das mit den
Sorgeberechtigten und dem betroffenen Kind durchgeführt werden soll. Nach den Vorstellungen
Bayerns soll das Familiengericht sowohl den Sorgeberechtigten als auch dem betroffenen Kind (erzieherische) Weisungen erteilen können. Derartige Weisungen gegenüber den Eltern sollen dann
gem. §33 FGG zwangsweise durchsetzbar sein (Verhängung von Zwangsgeld). Damit wäre freilich
ein Teil der jugendstrafrechtlichen Weisungen (Erziehungsmassregeln) auch auf Kinder ausgedehnt
und die Absenkung des Strafmündigkeitsalters sozusagen durch die „Hintertür“ herbeigeführt (vgl.
hierzu insb. Hefendehl 2000 mit Abwägungen zwischen Opferinteressen, Kinderschutz sowie positiver Generalprävention).
3.2 Jugendverfehlung und Straftat
Lit.: Albrecht, P.-A., Jugendstrafrecht, 2.Aufl. 1993, S.91.
§1 JGG spricht von der "Verfehlung". Damit wird zwar der Begriff der Straftat vermieden, was die
unterschiedlichen Orientierungen von Jugend- und Erwachsenenstrafrecht zum Ausdruck bringen
soll, doch wird damit auch an die Straftatbestände des Besonderen Teils des Strafgesetzbuchs und
an diejenigen des Nebenstrafrechts angeknüpft. Das JGG enthält keine Sonderstraftatbestände für
Jugendliche.
3.3 Das Verhältnis zwischen Kinder- und Jugendhilferecht und Jugendkriminalrecht
Das am 1.1.1991 in Kraft getretene Kinder-und Jugendhilfegesetz löste das Jugendwohlfahrtsgesetz
ab und ordnete das Jugendhilferecht neu. Dabei schoben sich die Gesichtspunkte der Leistung sowie
der Freiwilligkeit stärker in den Vordergrund (vgl. insb. §8 KJHG: Kinder und Jugendliche sind
entsprechend ihrem Entwicklungsstand in allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen
Jugendhilfe zu beteiligen; vgl. auch §9 KJHG), während andererseits stigmatisierende Begriffe, die
in der Vergangenheit vor allem auch mit Zwangseingriffen und stationärer Unterbringung verbunden waren, hier insbesondere die Verwahrlosung sowie die hierdurch ausgelöste Fürsorgeerziehung,
abgelöst wurden. Das KJHG regelt die im Falle entsprechender Bedürfnisse an Kinder und Jugendliche sowie deren Familien anzubietenden Leistungen. Verschränkungen mit dem Jugendstrafrecht
werden sichtbar in der Aufgabe des Jugendamts, Jugendgerichtshilfe zu leisten sowie der als Erziehungsmaßregeln in das System der jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen eingegliederten Hilfen zur
Erziehung (§12 JGG). Das KJHG wendet sich verstärkt der Jugendgerichtshilfe zu, die gem. §52
KJHG vom Jugendamt auszuüben ist. Dabei wird die sozialpädagogische Hilfestellung durch die
Jugendgerichtshilfe betont. Herausgehoben sind der Angebotscharakter sowie die Betreuungsfunktion. Dies markiert verstärkt den Konflikt, dem die JGH im Strafverfahren gegen Jugendliche infolge der Kontroll- und Betreuungsverpflichtungen ausgesetzt ist. §12 JGG sieht im übrigen vor, daß
der Jugendrichter den jugendlichen Straftäter nur im Einvernehmen mit dem Jugendamt dazu verpflichten kann, Hilfe zur Erziehung anzunehmen.
3.3Einspuriges oder zweispuriges Jugendrecht: Wohlfahrtsmodell oder Rechtsstaatsmodell?
Lit.: Arbeiterwohlfahrt Bundesverband e.V.(Hrsg.), Vorschläge für ein erweitertes Jugendhilferecht. Denkschrift der
Arbeiterwohlfahrt zur Reform und Vereinheitlichung von Jugendwohlfahrtsgesetz und Jugendstrafgesetz. Schriften der
Arbeiterwohlfahrt, Nr. 22, 3. Aufl. 1970; Walter, Jugendrecht, Jugendhilfe, Jugendschutz, Kleines Kriminologisches
Wörterbuch. 3. Aufl., 1993, S. 191-199; Hemmens, C., Bennett, K.: Juvenile Curfews and the Courts: Judicial Response
to a Not-So-New Crime Control Strategy. Crime&Delinquency 45(1999), S. 99-121.
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Die Frage, ob für Jugendliche ein einheitliches Jugendrecht (Erziehungsrecht) oder ein zweispuriges
System der Jugendhilfe einerseits und des Jugendstrafrechts andererseits etabliert werden solle, war
seit Entstehung des Jugendrechts umstritten. Auch heute lassen sich international zwei Modelle,
nämlich einmal das Wohlfahrtsmodell (mit der Betonung von Jugendproblemen als Anknüpfungspunkt für staatliche Interventionen sowie eine einheitliche Behandlung von jugendlichen Straftätern
und Kindern bzw.Jugendlichen mit anderen Problemen durch Jugendhilfe und Erziehung), zum anderen das sog. Rechtsstaatsmodell (mit der Betonung der Straftat als Anknüpfungspunkt für ein jugendangepasstes System von erzieherisch legimierten Sanktionen und justizförmigem Verfahren bei
Trennung von Jugendhilfe und Jugendstrafrecht), beobachten. Der deutsche Gesetzgeber hat sich
aber ganz eindeutig für ein zweispuriges System entschieden, in dem Straftaten Jugendlicher nach
Jugendkriminalrecht (freilich mit ausschließlich spezialpräventiver Zielsetzung) beurteilt werden
und in dem auf Erziehungsprobleme anderer Art nach dem Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG)
reagiert wird.
International bewegt sich die Jugendkriminalpolitik zwischen beiden Modellen. Auch in den USA,
wo in den letzten zwei Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts die Aburteilung Jugendlicher nach Erwachsenenstrafrecht erhebliche Bedeutung bekommen hat, stehen in den Antworten auf (wahrgenommenen) Anstieg der Jugendkriminalität partiell immer noch besondere auf Kinder und Jugendliche abgestimmte allgemeine Massnahmen im Vordergrund. So hat sich dort die Anwendung von
allgemeinen Ausgehverboten (curfews) in der Regel zur Nachtzeit in vielen Grossstädten durchgesetzt (Hemmens/Bennett 1999).
3.4 Das Prinzip "Erziehung"
Lit.: Bundesministerium der Justiz (Ed.): Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, 1991; Heinz,
Abschied von der "Erziehungsideologie" im Jugendstrafrecht? Zur Diskussion über Erziehung und Strafe. Recht der
Jugend und des Bildungswesens 1992, S.123-143; Streng, F.: Die Öffnung der Grenzen - die Grenzen des Jugendstrafrechts. DVJJ-Journal 2/1995, S. 163-169; Scholz, Ch.: Reaität der und Erwartungen an die Jugendgerichtsbarkeit in
Deutschland. DVJJ-Journal 1999, S. 232-247.
Das Jugendstrafrecht steht ganz unter der Zielvorstellung der Erziehung jugendlicher Straftäter. Das
Erziehungsprinzip ist aber in neuerer Zeit sehr umstritten. Unklar ist, was Erziehung im Jugendkriminalrecht bedeuten soll und ob im Rahmen des Jugendkriminalsystems überhaupt erzogen werden
kann. Einerseits wird die Frage gestellt, was als Begründung der Absonderung des Jugendstrafrechts
vom Erwachsenenstrafrecht bleibt, wenn auf das Erziehungsprinzip verzichtet wird. Befürchtet wird
dann, daß sich ein Entwicklung ähnlich derjenigen in den USA ergeben könnte, mit der jugendliche
Straftäter der Geltung des Erwachsenenstrafrechts unterworfen werden, mit der Folge der Anwendung von Erwachsenenstrafen. Andererseits wird versucht, bei Aufgabe des Erziehungsziels die
Absonderung des Jugendstrafrechts durch die unterschiedliche allgemeine soziale und rechtliche
Position von Jugendlichen (verringerte Handlungsmöglichkeiten, weniger Rechte etc. im Vergleich
zu Erwachsenen) zu legitimieren und das Ziel des Jugendstrafrechts auf die Spezialprävention im
Sinne der Verhütung zukünftiger Straftaten einzuschränken.
4. DIE BETEILIGTEN AM JUGENDSTRAFVERFAHREN
4.1 Der Jugendrichter
Literatur: Adam et al., Jugendrichter und Jugendstaatsanwälte in der Bundesrepublik Deutschland, 1986; Hauser, Der
Jugendrichter - Idee und Wirklichkeit, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 1980, 1ff; Eilsberger, Die
Hauptverhandlung aus der Sicht jugendlicher und heranwachsender Angeklagter, Monatsschrift für Kriminologie und
Strafrechtsreform 1969, S.304ff; Pommerening, Das Selbstbild der deutschen Jugendrichter, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 1982, S.193ff.
4.1.1 Das Jugendgericht und Gerichtsverfassung
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Für Jugendstrafverfahren sind besondere Gerichte eingeführt worden, die als Jugendrichter, Jugendschöffengericht (beide auf der Ebene des Amtsgerichts) und Jugendstrafkammer (Landgericht) bezeichnet werden (§33 Abs. 2 JGG). Auf der Ebene des Oberlandesgerichts und des Bundesgerichtshofs existieren aber keine besonderen Gerichte für Jugendliche. Die sachliche Zuständigkeit des
Jugendrichters ergibt sich aus §39 JGG, die des Jugendschöffengerichts aus §40 JGG und die der
Jugendstrafkammer aus §41. Danach ist der Jugendrichter im wesentlichen zuständig für solche
Verfehlungen jugendlicher Straftäter, für die nur Zuchtmittel und Erziehungsmaßregeln in Betracht
kommen und wenn der Jugendstaatsanwalt beim Jugendrichter anklagt. Die Rechtsfolgenkompetenz
erhöht sich (aus prozeßökonomischen Gründen) nach §39 Abs. 2 auf ein Jahr Jugendstrafe, wenn
die Hauptverhandlung eröffnet worden ist und sich dann herausstellt, daß Zuchtmittel und Erziehungsmaßregeln nicht ausreichen (die verzögernde Verweisung an das Jugendschöffengericht soll
hierdurch vermieden werden). Jugendschöffengerichte sind für alle Jugendstraftaten zuständig, für
die nicht die Zuständigkeit eines anderen Gerichts begründet ist (§40 JGG). Eine solche besondere
Zuständigkeit begründet §41 JGG für die Jugendstrafkammer. Diese ist insbesondere zuständig für
solche Straftaten, für die nach allgemeinem Strafrecht das Schwurgericht zuständig wäre (§74e
GVG), also Tötungsdelikte.
4.1.2 Die Theorie des Jugendrichters: „Ersatzvater“ oder Strafrichter
Der Jugendrichter gilt als zentrale Figur des Jugendstrafverfahrens. Seine Aufgaben ergeben sich
aus §34 Abs.1 JGG und entsprechen denjenigen eines Richters beim Amtsgericht in Strafsachen.
Gem. §34 Abs.2 JGG soll der Jugendrichter gleichzeitig Vormundschaftsrichter sein; mit einer solchen Personalunion soll eine einheitliche, aufeinander abgestimmte erzieherische Wirkung von jugendrichterlichen und vormundschaftsrichterlichen Maßnahmen gewährleistet werden. §37 JGG
besagt dann, daß Jugendrichter erzieherisch befähigt sein und in der Jugenderziehung Erfahrungen
haben sollen. Nach den Zielvorstellungen des Gesetzes kommt dem Jugendrichter deshalb die Aufgabe zu, maßgeblich den erzieherischen Anspruch des JGG umzusetzen. Damit soll der Jugendrichter gleichzeitig Richter und Pädagoge sein. Freilich lassen die empirischen Untersuchungen zum
Jugendrichter den Schluß zu, daß der Anspruch nicht realisiert wird, da offensichtlich die Auswahl
des Jugendrichters nicht allein an den Kriterien der Eignung orientiert ist. Heute überwiegt deshalb
eine kritische Sicht der pädagogischen Funktion des Jugendrichters. Im übrigen versteht der Bundesgerichtshof §37 als bloße Ordnungsvorschrift (BGH NJW 1958, S.639). Eine Verletzung des
§37 allein (dadurch, daß die Auswahl nicht entlang der in §37 genannten Kriterien getroffen wurde),
begründet demnach nicht die Revision. Neben den Berufsrichtern in Jugendsachen sehen Jugendschöffengerichte und Jugendstrafkammern Laienrichter, die sog. Jugendschöffen, vor (§35 JGG).
Anders als die Schöffen in Erwachsenengerichten werden Jugendschöffen auf der Grundlage eines
Vorschlags des Jugendwohlfahrtsausschusses gewählt (§35 Abs. 1 JGG). Auch Jugendschöffen
sollen erzieherisch befähigt und in der Jugenderziehung erfahren sein (§35 Abs. 2 JGG).
4.2 Der Jugendstaatsanwalt
Literatur: Albrecht, Jugendstrafrecht, 2.Aufl. 1993, S.333ff.
Für den Jugendstaatsanwalt, der als solcher gem. §36 JGG bestellt werden muß, jedoch in die allgemeine Staatsanwaltschaft bei den Landgerichten eingegliedert ist, gelten gem. §37 dieselben Ansprüche wie an den Jugendrichter. Auch der Jugendstaatsanwalt soll erzieherisch befähigt und in der
Jugenderziehung erfahren sein. Freilich zeigt die Forschung zum Jugendstaatsanwalt ebenfalls, daß
diese Ansprüche in der Praxis ganz überwiegend nicht durchgesetzt werden. Die Bedeutung des
Jugendstaatsanwalts hat im übrigen mit der wachsenden Bedeutung der Einstellung des Jugendstrafverfahrens gem. §45 JGG beträchtlich zugenommen (vgl. hierzu auch die Ausführungen zur
Diversion).
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4.3 Die Jugendgerichtshilfe
Literatur: Lakies, Das KJHG und das neue JGG und die Arbeit der Jugendgerichtshilfe, Recht der Jugend 1991, S.206ff;
Mommsen, Der Einfluß der Jugendgerichtshilfe auf die Entscheidung des Jugendrichters, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 1982, S.65ff; Schenker, Die Zusammenarbeit zwischen Jugendgerichtshilfe und Polizei, Zeitschrift für Jugendrecht 1977, S.247ff; Weyel, Haftentscheidungshilfe durch die Jugendgerichtshilfe, DVJJ-Journal 1990,
S.143fff; Wild, Jugendgerichtshilfe in der Praxis, 1989; Johne, R.: Flüchtlinge, Asylbewerber, Durchreisende. Was kann
die Jugendgerichtshilfe tun? DVJJ-Journal 1/1995, S. 41-43; Trenczek, Th.: Datenschutz in der Jugendgerichtshilfe.
DVJJ-Journal 1991, S. 251ff; Dölling, D.: Die Berichterstattung der Jugendgerichtshilfe unter besonderer Berücksichtigung des Datenschutzes. DVJJ-Journal 1991, S. 242ff.; Laubenthal, Jugendgerichtshilfe im Strafverfahren, Köln u.a.
1993; Bex, H.: Beschlagnahme von Akten der Jugendgerichts- und Jugendhilfe. DVJJ-Journal 4/2000, S. 409-412.
Die Jugendgerichtshilfe gilt als wesentliche Stütze des Erziehungsgedankens im Jugendstrafrecht
und als wesentliches „Einfallstor“ für sozialpädagogische und fürsorgerische Elemente in das Jugendstrafverfahren.
4.3.1 Organisatorische Zuordnung und konzeptionelle Überlegungen
Literatur: Laubenthal, Jugendgerichtshilfe im Strafverfahren, 1993, S. 47-56; Emig, O.: Brauchen wir eine spezialisierte
Jugendgerichtshilfe? DVJJ-Journal 1997, S. 237-240.
Die Aufgaben der Jugendgerichtshilfe sind in §38 JGG geregelt. Die Jugendgerichtshilfe ist nach
§38 Abs. 1 JGG Aufgabe des Jugendamts (vgl. auch §85 KJHG iV mit §2 III Nr. 8 KJHG). Die
JGH ist deshalb nicht Teil der Justiz, sondern von dieser unabhängig. Insoweit unterscheidet sich
die Stellung der JGH von den Positionen der Erwachsenengerichtshilfe und anderer sozialer Dienste
in der Justiz, die in die Justizorganisation eingegliedert sind.
Zur konzeptuellen Orientierung der Jugendgerichtshilfe liegen verschiedene Auffassungen vor. Soweit die Organisation betroffen ist, variieren die Vorschläge zwischen Selbständigkeit und Spezialisierung einerseits sowie Eingliederung in den allgemeinen Sozialdienst (des Jugend-und Sozialamts) andererseits. Hinsichtlich der Tätigkeiten werden die Einbeziehung und Untergliederung in
verfahrensbezogene Tätigkeit, Jugendhilfeorientierung/individuelle und systemische Verbesserung
der Lebenslagen Jugendlicher und Gemeinwesenarbeit (Stadtteilarbeit) vorgeschlagen. Eine organisatorische Verselbständigung und Spezialisierung ist allerdings bereits aus Datenschutzgesichtspunkten zu empfehlen. Denn die Vereinigung verschiedener Funktionen in einer Hand (Sozialhilfe,
Jugendhilfe, Jugendgerichtshilfe) mag zu Situationen führen, in denen Konflikte und damit Hindernisse für die Jugendgerichtshilfefunktion entstehen (vgl. hierzu Vieten-Groß, D.: Die Anforderungen der Justiz an die Jugendgerichtshilfe: Kritische Betrachtungen zum Ist-Zustand und Versuch der
Einordnung in die aktuelle Debatte. DVJJ-Journal 1997, S. 246-253, S. 250f).
Im übrigen wird neuerdings verstärkt auf eine Dienstleistungsorientierung der Jugendhilfe (und damit auch der JGH) hingewiesen. Dies entspricht im übrigen der auch gesetzgeberisch gewollten
Verlagerung der Funktion der Jugendhilfe von Intervention auf Angebote (vgl. auch Bielefelder
Erklärung zur Kinder- und Jugendpolitik, DVJJ-Journal 1997, S. 294-297).
4.3.2 Rechte und Pflichten
Die JGH soll die Persönlichkeit des Jugendlichen und die sozialen Umstände der Tat erforschen,
einen Jugendgerichtshilfebericht anfertigen und in der Verhandlung den Bericht vortragen (§38 Abs.
2 JGG). Darüber hinaus soll die JGH einen Vorschlag zu den Rechtfolgen der Straftat machen. Die
Jugendgerichtshilfe ist so früh wie möglich von der Einleitung eines Jugendstrafverfahrens zu unterrichten. Der Vertreter der JGH hat in allen Verfahrensphasen ein Äußerungsrecht, er hat ein umfassendes Verkehrsrecht mit dem in U-Haft befindlichen Beschuldigten oder Angeklagten (§93 Abs. 3
JGG), schließlich ein Anwesenheitsrecht in der Hauptverhandlung (§50 Abs. 3 JGG) und das Recht
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auf nachgehende Betreuung und Überwachung des jugendlichen Straftäters (§38 Abs. 2 JGG). Die
JGH gilt ferner als eine sozialpädagogische "Einbruchsstelle" im Jugendstrafverfahren. Insoweit
kommt ihr nach den Vorstellungen des Gesetzgebers neben dem Jugendrichter auch eine Schlüsselfunktion für die Umsetzung des Erziehungsgedankens zu. Da die JGH dem Gericht, aber ebenso
dem jugendlichen Straftäter Hilfe leisten soll, ist ein Zielkonflikt zu erwarten. Denn letztendlich
wird sie im Rahmen strafrechtlicher Sozialkontrolle tätig. Die JGH sollte deshalb dem Jugendlichen
gegenüber ihre Ermittlungsfunktion nicht verschleiern. Vielmehr muß sie (entsprechend §136 StPO)
den Jugendlichen auf das Schweigerecht hinweisen (dieser hat als Beschuldigter keine Pflicht zur
Selbstbelastung, sondern darf natürlich schweigen, wenn Fragen gestellt werden, die sich auf den
Nachweis des Tatvorwurfs und das Strafmaß auswirken können). Die JGH muß im Jugendverfahren
immer herangezogen werden. Freilich kann sie ihre Tätigkeit selbstverantwortlich bestimmen. Weisungen des Jugendgerichts ist sie nicht unterworfen, insbesondere kann die JGH nicht dazu gezwungen werden, einen Bericht anzufertigen (Bex 2000). Umstritten ist, ob der JGH die Prozeßkosten dann auferlegt werden können, wenn sie trotz Aufforderung des Gerichts keinen Bericht
vorlegt und wenn deshalb die Hauptverhandlung vertagt werden muß. Während ein Teil der Literatur und Rechtsprechung der Auffassung ist, daß dem ordnungsgemäß geladenen Vertreter der JGH
bei unentschuldigtem Nichterscheinen entsprechend den Regelungen für Zeugen etc gemäß §§51,
77, 145IV, 467 II StPO, §56 GVG Kosten auferlegt werden können, lehnt die wohl herrschende
Meinung die entsprechende Anwendung mit der Begründung ab, weil eine vom Gesetzgeber nicht
in Betracht gezogene Gesetzeslücke eben nicht vorliege.
Umstritten ist auch, ob und inwieweit die Akten der JGH beschlagnahmt werden dürfen (zustimmend LG Bonn Neue Zeitschrift für Strafrecht 1986, S.40; LG Trier DVJJ-Journal 2/2000, S.
186ff). Freilich ist bei der Frage nach der Beschlagnahmefähigkeit von Akten der JGH auch der
Sozialdatenschutz einzubeziehen (§61ff KJHG). Für die Übermittlung von Daten aus den Akten des
Jugendamts an die Strafverfolgungsbehörden gilt folgendes. Für die Übermittlung von Sozialdaten
gem. §§35 I SGB I, 67 I SGB X bedarf es einer Befugnis. Eine solche Befugnis kann einmal in der
Einwilligung des Betroffenen liegen (§§61 I SGB VIII, 67b I SGB X, 35 SGB I). Liegt eine Einwilligung nicht vor, dann ist zu prüfen, ob eine Weitergabe im Wege der sog. „einfachen Amtshilfe“
möglich ist. Einfache Amtshilfe gem. §68 I SGB X ist dann zulässig, wenn schutzwürdige Belange
des Betroffenen nicht entgegenstehen. Werden schutzwürdige Belange geltend gemacht, so bedarf
es für eine Weitergabe einer richterlichen Anordnung (§73 SGB X), mit der die Zulässigkeit und der
Umfang der Datenübermittlung festgestellt werden. Das LG Siegen geht für den Fall des Fehlens
eines entsprechenden richterlichen Beschlusses von einem Beschlagnahmeverbot aus (LG Siegen
DVJJ-Journal 1/1996, S. 84f). Demgegenüber hat das Landgericht Trier ausgeführt, §§38 II, 3, 43 I,
4 JGG stellten eine den allgemeinen Datenschutzbestimmungen der §§61 ff KJHG vorgehende bereichsspezifische Regelung dar (LG Trier DVJJ-Journal 2/2000, S. 188). § 73 SGB X findet danach
im Verhältnis JGH und Jugendgericht keine Anwendung. Im übrigen können Akten mit einem
Sperrvermerk der vorgesetzten Behörde versehen werden, was ihre Beschlagnahme entfallen läßt.
Die JGH überwacht dann u.a. Auflagen und vollzieht die Betreuungsweisungen. Das 1. JGGÄndG
hat der JGH auch die sog. Haftentscheidungshilfe übertragen.
4.3.3 Der Jugendgerichtshilfebericht
Nach §38 II JGG bringen die Vertreter der Jugendgerichtshilfe die erzieherischen, sozialen und fürsorgerischen Gesichtspunkte im Verfahren vor den Jugendgerichten zur Geltung. Zu diesem Zweck
unterstützt die Jugendgerichtshilfe die beteiligten Behörden durch die Erforschung der Persönlichkeit, der Entwicklung und der Umwelt des Beschuldigten und äußert sich zu den Maßnahmen, die
zu treffen sind. Damit wird der Jugendgerichtshilfebericht angesprochen, der in der Hauptverhandlung durch einen Vertreter der JGH (möglichst durch denjenigen, der die Ermittlungen durchgeführt
und den Bericht erstellt hat, vgl. §38 II, 4; hierdurch soll die Praxis der sog. „Gerichtsgeher“ eingeschränkt werden) vorgestellt werden und auch Angaben über die geeigneten Rechtsfolgen bzw. ju-
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gendgerichtlichen Sanktionen enthalten soll. Die entscheidende Grundlage des Berichts sollte der
persönliche Kontakt mit dem Jugendlichen sein. Dabei ist die JGH zur Objektivität verpflichtet, hat
also für den Jugendlichen günstige und ungünstige rechtsfolgenrelevante Umstände in den Bericht
aufzunehmen.
Die Jugendgerichtshilfepraxis ist heute in großstädtischen Bereichen auch geprägt durch Probleme
des zunehmenden Anteils von ausländischen Jugendlichen an der JGH-Klientel. Dabei handelt es
sich nicht nur um die sog. 2. oder 3.Generation, sondern auch um Illegale, Asylbewerber, unbegleitete Flüchtlinge etc. (vgl. hierzu Johne, R.: Flüchtlinge - Asylbewerber - Durchreisende. Was kann
die Jugendgerichtshilfe tun? Erfahrungsbericht der JGH Frankfurt. DVJJ 1/1995, S. 41ff).
4.4 Der Jugendverteidiger
Literatur: Bundesministerium der Justiz, Verteidigung in Jugendstrafsachen, 1987.
Das Erziehungsprinzip macht die Aufgabe des Strafverteidigers im Jugendstrafverfahren zu einem
besonderen Problem. Denn er galt lange Zeit als potentieller "Störenfried", jedenfalls in der Rolle
eines Strafverteidigers wie sie im Erwachsenenstrafverfahren unbestritten ist. Freilich sollte der
Strafverteidiger nicht "miterziehen". Richtig ist es, wenn auch der jugendliche Angeklagte so wie
der Erwachsene verteidigt wird und wenn deshalb der Verteidiger im Jugendstrafverfahren einseitig
die Interessen des Beschuldigten bzw. Angeklagten wahrnimmt. Die Grundsätze der notwendigen
Verteidigung gelten auch im JGG (§68 JGG; vgl. hierzu LG Düsseldorf DVJJ-Journal 4/1997, S.
440, mit Anm. Schmitz-Justen). Ist ein Verbrechen angeklagt, so ist die Mitwirkung eines Verteidigers auch dann notwendig, wenn die Sache im vereinfachten Jugendverfahren verhandelt wird
(OLG Düsseldorf NStZ 1999, S. 211f). Darüberhinaus ist ein Verteidiger zu bestellen, wenn den
Erziehungsberechtigten die prozessualen Rechte entzogen worden sind, wenn Unterbringung droht
und wenn der Jugendliche in Untersuchungshaft genommen worden ist.
4.5 Sonstige: Jugendpolizei, Bewährungshilfe, Erziehungsberechtigte
Literatur: Ostendorf, H.: Jugendsachbearbeitung der Polizei unter besonderer Berücksichtigung der kriminalpolitischen
Entwicklungen. DVJJ-Journal 1/1995, S. 103-107; Kuhnath, W.: PDV 382 „Bearbeitung von Jugendsachen“. DVJJJournal 1/1997, S. 24ff.
Eine spezialisierte Jugendpolizei gibt es nicht. Freilich hat sich im Rahmen der Durchsetzung des
Jugendschutzes eine Spezialisierung innerhalb der Kriminalpolizei ergeben. Besondere Bedeutung
für die Jugendsachbearbeiter der Polizei wird der Zusammenarbeit mit Jugendstaatsanwaltschaft
bzw. der Jugendgerichtshilfe auf den Gebieten der Einstellungen gem. §45 I und II (Diversion), der
Haftentscheidungshilfe (§72a) sowie der Kinderdelinquenz beigemessen. Erörtert wird ferner eine
Verlagerung der Einstellungskompetenz (gem. §45) auf die Polizei. Freilich widerspräche dies der
beherrschenden Stellung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und dem Grundsatz, daß
nur die Staatsanwaltschaft dazu befugt ist, abschließende Entscheidungen im Ermittlungsverfahren
(Anklage oder Einstellung des Verfahrens) vorzunehmen. Auch eine besondere Jugendbewährungshilfe ist nicht vorgesehen. Vielmehr übernimmt die allgemeine Bewährungshilfe auch die Bewährungsbetreuungen von Jugendlichen. Eine Besonderheit besteht im Hinblick auf die Erziehungsberechtigten. Diese sind Verfahrensbeteiligte (§67 JGG) und können im Verfahren eigenständige
Rechte geltend machen, insbesondere auch Rechtsmittel einlegen.
5. DAS JUGENDSTRAFVERFAHREN
5.1 Kinder und Strafverfahren
Literatur: Walter-Freise, H.: Erkennungsdienstliche Behandlung von Kindern. DVJJ-Journal3-4/1995, S. 314-317; VG
Freiburg NJW 1980, S. 901
Im Zusammenhang mit von Kindern begangenen Straftaten stellt sich die Frage, ob und inwieweit
gegen sie strafprozessuale Zwangsmaßnahmen, insb. erkennungsdienstliche Maßnahmen, zulässig
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sind. Die Frage ist umstritten. Richtig ist aber die Auffassung, die StPO enthalte keine Eingriffsbefugnisse gegen kindliche Straftäter. Denn gem. §152 StPO bestehen Verfolgungspflicht und Verfolgungsrecht nur dann, wenn es sich um Straftaten handelt, die verfolgt werden können. Straftaten
von Kindern können aber nicht verfolgt werden; eine Hauptverhandlung gegen sie ist nicht möglich,
da sie schuldunfähig sind. Insoweit würde ein Ermittlungsverfahren aber ins Leere laufen. §81b
StPO ermächtigt zu Zwangseingriffen, darunter die erkennungsdienstliche Behandlung von Beschuldigten. Auch dies bedeutet, daß gegen Kinder, die nicht Beschuldigte sein können, keine prozessualen Zwangsmaßnahmen zulässig sind. Im übrigen läßt auch das Polizeirecht Erkennungsdienstliche Maßnahmen gegen Kinder nur dann zu, wenn das Ziel die Verhütung weiterer Straftaten,
also präventiv ausgerichtet ist.
5.2 Die Politik der Diversion: §§ 45, 47 JGG
Literatur: Heinz/Storz, Diversion im Jugendstrafverfahren der Bundesrepublik Deutschland, 1992; Albrecht, P.A.: Jugendstrafrecht, 2. Aufl. 1993, S.116ff; Kaiser, G.: Diversion. In: Kleines Kriminologisches Wörterbuch, 3. Aufl., Heidelberg 1993, S.88ff.; Heinz, W.: Die Jugendstrafrechtspflege im Spiegel der Rechtspflegestatistiken. Ausgewählte
Daten für den Zeitraum 1955-1988. Monatsschrift für Kriminologie 1990, S. 210ff.; Meyer/Hassemer, 10 Jahre Arbeit
der Brücke-Projekte - Standort und Perspektiven. DVJJ-Journal 1990, Nr. 133, S. 36-40; Hering/Sessar, Praktizierte
Diversion. Das „Modell Lübeck“ sowie die Diversionsprogramme in Köln, Braunschweig und Hamburg. Pfaffenweiler
1990; Heinz, W.: Diversion im Jugendstrafrecht und im Allgemeinen Strafrecht. Teil 3. DVJJ-Journal 2/1999, S. 131148.
5.2.1 Theoretische Grundlagen der Diversion
Mit Diversion wird eine rechtspolitische Strömung bezeichnet, die danach trachtet, den jugendlichen Straftäter um ein volles Jugendstrafverfahren "umzuleiten" und damit insb. die Hauptverhandlung zu vermeiden. Die Praxis stützt sich in der Umsetzung von Diversionsbestrebungen primär auf die Norm des §45 JGG. Diese erlaubt es dem JStA, ein Verfahren unter bestimmten Bedingungen einzustellen und von der Anklage beim Jugendgericht abzusehen. Von dieser Befugnis wurde in den letzten Jahren immer stärker Gebrauch gemacht. Die Anwendungsmöglichkeiten wurden
durch das 1. JGÄndG erweitert. Die Diversion begründet sich ganz wesentlichen mit der Erwartung,
man könne Stigmatisierung verhindern oder doch reduzieren, wenn ein jugendlicher Straftäter nicht
das volle Strafverfahren durchläuft, sondern möglichst früh und zwar in Form "ambulanter" Maßnahmen erzieherisch behandelt wird. Insoweit ist ein Bezug der Diversion zum sog. Labeling Approach unverkennbar. Freilich spielen auch Gesichtspunkte der Verfahrensökonomie eine Rolle.
§45 Abs. 1 JGG erlaubt es dem JStA zunächst ein Verfahren gegen einen jugendlichen Beschuldigten einzustellen, wenn die Voraussetzungen des §153 StPO (Einstellung eines Strafverfahrens wegen geringer Schuld (Bagatellfälle) vorliegen. Ferner kann der Jugendstaatsanwalt von der Verfolgung dann absehen, wenn eine erzieherische Maßnahme bereits durchgeführt oder eingeleitet ist und
weder eine Beteiligung des Jugendrichters noch die Erhebung einer Anklage für erforderlich gehalten wird. Mit dieser Einstellungsvariante vermag der Jugendstaatsanwalt auch, auf bereits durchgeführte Erziehungsmaßnahmen in Familie und Schule zu reagieren und festzustellen, daß wegen der
bereits durchgeführten Erziehung kein weiterer durch das Jugendgericht aufzugreifender Erziehungsbedarf besteht. §45 Abs. 2, S. 2 JGG stellt fest, daß einer solchen erzieherischen Maßnahme
das Bemühen des Jugendlichen um einen Ausgleich mit dem Tatopfer gleichsteht. Der besonderen
Betonung von Wiedergutmachung und Täter-Opfer-Ausgleich in neuerer Zeit wurde damit im 1.
JGÄndG Rechnung getragen. Insoweit ist §45 auch Ausdruck der Subsidiarität jugendkriminalrechtlicher Eingriffe: ist das Notwendige bereits im privaten, familiären Bereich veranlaßt, dann
wäre es unverhältnismäßig, würden darüber hinaus noch staatliche Maßnahmen eingeleitet. Im übrigen entspricht dies auch dem Vorrang des elterlichen Erziehungsrechts gem. Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz. Während die in §§45 Abs. 1 und 2 JGG Einstellungsmöglichkeiten dem Jugendstaatsanwalt
keine Befugnis einräumen, selbst eine erzieherische oder andere Maßnahme anzuordnen, erlaubt es
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§45 Abs. 3 JGG, bei dem Jugendrichter die Erteilung einer Ermahnung, von Weisungen oder Auflagen anzuregen und, wenn der Jugendliche geständig ist und der Jugendrichter dieser Anregung entspricht, von der weiteren Verfolgung abzusehen.
Einstellungen des Verfahrens können auch dann noch erfolgen, wenn Anklage erhoben wurde und
eine Hauptverhandlung durchgeführt wird. §47 JGG erlaubt es dem Jugendrichter, bei Zustimmung
des Jugendstaatsanwalts, unter im wesentlichen denselben Bedingungen wie in §45 JGG genannt,
das Verfahren einzustellen.
Die neuere Entwicklung der Diversionspolitik verweist auf eine stärkere Einbeziehung der Polizei
in einer aktiven Rolle (vgl. beispw. die Gemeinsame Anordnung der Senatsverwaltungen für Justiz,
für Inneres und für Schule, Jugend und Sport zur vermehrten Anwendung des §45 JGG im Verfahren gegen jugendliche und Heranwachsende (Diversionsrichtlinien) vom 22. März 1999; abgedruckt
in DVJJ Journal 2/1999, S. 201ff). So traten in Schleswig-Holstein zum 1.7.1998 Richtlinien in
Kraft, nach denen die Polizei die Einstellungsvoraussetzungen des §45 I JGG dadurch herbeiführen
kann, indem sie mit dem Beschuldigten anlässlich der Vernehmung ein „erzieherisches, normverdeutlichendes Gespräch“ führt oder bei Beschuldigten eine sofortige Entschuldigung bzw. eine sofortige Schadenswiedergutmachung anregt (Bericht über die Erfahrungen im praktischen Umgang
mit den neuen Richtlinien zur Förderung der Diversion bei jugendlichen und heranwachsenden Beschuldigten. DVJJ-Journal 1/2000, S. 78-83). Nach den Berliner Diversionsrichtlinien kommt eine
Einstellung nach §45 I in der Regel dann in Betracht, wenn es sich um die „Tat eines erstmals auffälligen Jugendlichen sowie um ein jugendtypisches Fehlverhalten mit geringem Schuldgehalt und
geringen Auswirkungen handelt und wenn kein Bedarf für erzieherische Massnahmen vorhanden
ist. Jugendtypische Straftaten mit geringem Gewicht werden in einem Katalog aufgeführt, wonach
hierunter insbesondere fallen: §§242, 246, 259 bei Schadenshöhen bis zu 100 DM (50 Euro); Betrug
bis zu 100 DM), Fälle von Verweisungen auf §248a; §248b; §265a; leichte Fälle der Sachbeschädigung; Hausfriedensbruch; leichte Fälle der Nötigung und Bedrohung; Beleidigung; fahrlässige Körperverletzung; einfache Körperverletzung bei leichtem Angriff und leichten Folgen; Fahren ohne
Fahrerlaubnis in leichten Fällen sowie leichte Verstöße gegen das PflVG, leichte Fälle des §142;
geringfügige ausländerrechtlche Verstösse; geringfügige Verstösse gegen das Urheberrechtsgesetz
sowie geringfügige Vergehen gegen das Waffengesetz. Erzieherische Massnahmen sollen dann entbehrliche sein, wenn Unrechtseinsicht gezeigt wurde oder wenn die Tat länger zurückliegt und der
Jugendliche in der Zwischenzeit nicht mehr auffällig geworden ist.
Eine Einstellung nach §45 II ist insbesondere vorgesehen für wiederholte Begehung solcher Delikte,
die gem. §45 I im erstmaligen Fall eingestellt werden, sowie für schwerere Straftaten. Bei der Berücksichtigung von bereits durchgeführten oder anzuregenden Erziehungsmassnahmen ist insb. Zu
denken an die Erziehungsberechtigten, das Jugendamt, die Schule sowie den Ausbilder. Darüber
hinaus sind einzubeziehen alle präventiv wirkenden Massnahmen, die auf Grund der Tat getroffen
worden sind und auf tat und Täter individuell abgestimmt worden sind. Zu berücksichtigen sind
auch solche Leistungen, die der jugendliche Beschuldigte selbst vorschlägt: hierunter können fallen:
Entschuldigung, Schmerzensgeldzahlung, TOA, Arbeitsleistungen, Teilnahme an polizeilichem
Verkehrsunterricht; normverdeutlichendes Gespräch mit dem ermittelnden Polizeibeamten; erzieherisches Gespräch der Jugendhilfe oder des Staatsanwaltes.
Sind Einstellungen nach §45 I, II nicht möglich, so ist die Anwendung des §45 III zu prüfen. Dieses
setzt voraus: glaubhaftes Geständnis, Einschaltung des Jugendrichters scheint geboten, Erhebung
der Anklage scheint nicht geboten. Anwendung soll §45 III in Fällen im Grenzbereich zur mittleren
Kriminalität sowie bei Wiederholter leichter bis mittlerer Kriminalität finden.
Nach den Richtlinien hat in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Polizei zunächst zu prüfen, ob eine
Einstellung gem. §45 I, II in Betracht kommt. Wird dies bejaht, so haben ausser einer verantwortlichen Vernehmung und einem Kontakt mit den Erziehungsberechtigten weitere Ermittlungen im
sozialen Umfeld des Jugendlichen zur Vermeidung unnötiger Stigmatisierung zu unterbleiben. In
der Vernehmung durch einen speziell geschulten Beamten ist den für die Diversionsentscheidung
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relevanten Umständen besondere Beachtung zu schenken. Kommt eine Einstellung nach §45II in
betracht, so führt der vernehmende Beamte mit dem jugendlichen Tatverdächtigen ein „normverdeutlichendes“ Gespräch“. Hält der Vernehmungsbeamte eine Einstellung nach §45 II bei erst noch
durchzuführenden erzieherischen Maßnahmen für angemessen, so klärt der vernehmende Beamt mit
der Staatsanwaltschaft telephonisch ab, ob ein sog. „Diversionsmittler“ (Berliner Büro für Diversionsvermittlung) eingeschaltet werden soll. Ist die Staatsanwaltschaft einverstanden, so soll der Jugendliche über die durch die Diversionsvermittlung ggfs. angeregten Leistungen etc, aufgeklärt
werden, insb. Darüber, dass dies freiwillig ist und ggfs. die Voraussetzung für eine Einstellung nach
§45 II schafft. Ist der Jugendliche einverstanden, so wird der Diversionsmittler eingeschaltet, der
entsprechende erzieherische Massnahmen einleitet und darüber die Polizei unterrichtet. Nach
Rückmeldung werden die Akten an die Staatsanwaltschaft weitergeleitet, die die Durchführung der
erzieherischen Massnahme überwachte und die JGH verständigt.
5.2.2 Unbeabsichtigte Nebenfolgen und kritische Erwägungen zur Diversion: Die Ausweitung
des „Netzes“ (Sozialer Kontrolle) und anderes
Die teilweise mit von jugendlichen Tatverdächtigen abverlangten Leistungen versehenen Einstellungen des Strafverfahrens bzw. „Umleitungen“ um die Jugendjustiz haben zu der Annahme geführt, mit dem Konzept der Diversion könne das „Netz“ Sozialer Kontrolle ausgeweitet worden
sein. Diese Kritik wurde insb. in solchen Systemen geäußert, die durch das sog. Opportunitätsprinzip geprägt sind und in denen die Polizei auf die Einleitung eines Strafverfahrens verzichten kann
(vor allem common law Systeme). In Deutschland veranlasst jedoch das Legalitätsprinzip die Polizei dazu, Tatverdachtsfälle an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten, die allein das Nichtverfolgungsrecht gem §45 JGG (bzw. §§153f StPO) hat. Insoweit ist in Deutschland wohl nicht von einer
Ausweitung des Netzes in dem Sinne auszugehen, daß nunmehr solche Fälle, die vorher nicht in
Ermittlungsverfahren aufgenommen worden wären, formell erfasst und dann in Diversionsprojekte
„umgeleitet“ würden. Jedoch könnte immerhin dort, wo vorher von einer folgenlosen Einstellung
Gebrauch gemacht worden ist, nunmehr die Einstellung mit einer zusätzlichen Verpflichtung des
Jugendlichen ausgestattet werden.
Kritisch diskutiert werden dann die Kompetenzerweiterungen in der Jugendstaatsanwaltschaft (und
die Reduzierung der Bedeutung des Jugendgerichts), Probleme des Rechtsstaatsprinzips, mögliche
Verletzungen des Schuldgrundsatzes und die Frage der Gleichbehandlung. Gerade im Zusammenhang mit der Gleichbehandlung jugendlicher Tatverdächtiger sind freilich die in den einzelnen Bundesländern erstellten „Diversionsrichtlinien“ zu nennen, mit denen die Justizverwaltung versucht,
eine Vereinheitlichung der jugendstaatsanwaltschaftlichen Einstellungspraxis zu erzielen. Die
Richtlinien beruhen auf der in §§146, 147 GVG verankerten Weisungskompetenz.
5.3 Zwangsmittel, insbesondere Untersuchungshaft
Walter, Untersuchungshaft und Erziehung bei jungen Gefangenen, Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform 1978, S.337ff; Dünkel/Meyer, Jugendstrafe und Jugendstrafvollzug, Teilband 1, 1985; Albrecht, P.-A., Jugendstrafrecht, 2.Aufl. 1993, S.230ff; Matenaer, H.: Haftentscheidungshilfe im Jugendstrafverfahren in NordrheinWestfalen. DVJJ-Journal 3-4/1995, S. 354f.; Bindel-Kögel, G., Heßler, M.: Vermeidung von Untersuchungshaft durch
Jugendhilfe. DVJJ-Journal 1997, S. 297-307; Will, H.-D.: U-Haftvermeidung in Thüringen. Evaluation einer Vereinbarung zwischen Jugendhilfe und Justiz. DVJJ-Journal 1999, S. 49-64; Bindel-Kögel, G., Heßler, M.: Vermeidung von
Untersuchungshaft bei Jugendlichen im Spannungsfeld zwischen Jugendhilfe und Justiz. Das Berliner Modell. Pfaffenweiler 1999.
Die Haftgründe ergeben sich auch für jugendliche Tatverdächtige aus der Strafprozeßordnung. Die
StPO gilt insoweit auch für jugendliche Straftäter. Sonderregelungen bestehen in §§71ff JGG, wo
insbesondere schädlichen Einflüssen der U-Haft begegnet werden soll. Hierzu gehören auch die
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Alternative der Heimunterbringung und die Haftentscheidungshilfe durch die JGH, durch die Untersuchungshaft für jugendliche Straftäter vermieden bzw. verkürzt werden soll. Das Jugendgerichtsgesetz schränkt die Anordnung und den Vollzug von Untersuchungshaft gegenüber Jugendlichen im
Vergleich zur StPO ein. Denn selbst wenn Haftgründe vorliegen darf U-Haft nur dort angeordnet
und vollzogen werden, wo der Zweck der Untersuchungshaft (nämlich die Sicherung des Verfahrens) nicht durch vorläufige Anordnungen zur Erziehung oder anderes erreicht werden kann (§72
JGG). Gem. §71 I, II JGG sind vorläufige Anordnungen über die Erziehung entweder Weisungen
gem. §10 JGG oder erzieherische Hilfen des KJHG bzw. die Unterbringung in einem Jugendhilfeheim.
Als besonderes Problem ist die in der Praxis teilweise zu beobachtende Funktion der U-Haft als
Krisenintervention oder "Schnupper"-haft zu nennen. Der Vollzug der Untersuchungshaft selbst ist
bislang noch nicht gesetzlich geregelt. Dies begegnet erheblichen Bedenken. Freilich liegen Entwürfe vor. Zur Anwendung kommt daher immer noch die Untersuchungshaftvollzugsordnung. Hierin
kommt zum Ausdruck, daß auch die Untersuchungshaft bei Jugendlichen erzieherisch gestaltet sein
soll. Soweit aber die Untersuchungshaftvollzugsordnung eine Arbeitspflicht des jugendlichen UHäftlings vorsieht, begegnet dies erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken. Denn die Untersuchungshaft wird gegen einen Beschuldigten vollstreckt, der bis zu einem rechtskräftigen Urteil als
unschuldig zu gelten hat. Deshalb dürfen in der U-Haft nur solche Beschränkungen und Pflichten
auferlegt werden, die dem Zwecke der U-Haft, nämlich Verfahrenssicherung, dienen.
Zu den Voraussetzungen der Anordnung einer DNA-Analyse bei Jugendlichen und Heranwachsenden vgl. AG Hamburg Strafverteidiger 1/2001, S. 11-13.
6. DAS SANKTIONENSYSTEM DES JUGENDGERICHTSGESETZES
Literatur: BAG, Ambulante Ambulante sozialpädagogische Maßnahmen für junge Straffällige, 2. Aufl. 1986; Wolf,
Strafe und Erziehung nach dem Jugendgerichtsgesetz, 1984; Pfeiffer, Kriminalprävention im Jugendgerichtsverfahren;
Bundesministerium der Justiz, Grundfragen des Jugendkriminalrechts und seiner Neuregelung, 1991; Dünkel, Jugendstrafe und Jugendstrafvollzug, 1990; Kaiser/Schöch, Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug. 4. Aufl. München
1994, S. 181-203.
6.1 Das Konzept der Erziehungsmaßregeln
Literatur: Kerner/Kästner, Gemeinnützige Arbeit in der Strafrechtspflege, Bonn 1986; Schmidt-Strunk/Südhoff, „Mein
Lebensweg“ als Thema eines sozialen Trainingskurses. DVJJ-Journal 1/1993, S. 75ff; Kaiser/Schöch, Kriminologie,
Jugendstrafrecht, Strafvollzug, 4. Aufl., München 1994, S. 197ff; Winter, F., Gemeindenahe Konfliktregelung: TäterOpfer-Ausgleich in einem Bürgerhaus. DVJJ-Journal 1993, S. 277ff.; Kirstein, W.: Sozialer Trainingskurs und Betreuungsweisung. Ambulante Maßnahmen für mehrfachauffällige Jugendliche und Heranwachsende in Baden-Württemberg
- Was wird angeboten? In: Landesgruppe Baden-Württemberg der DVJJ (Hrsg.): Mehrfach Auffällige. Ambulante Hilfen und Maßnahmen als Alternativen zum Freiheitsentzug. Konstanz 1996, S. 43-62; Bizer, Kostentragungspflicht für
die jugendrichterliche Weisung, einen sozialen Trainingskurs zu besuchen. Zeitschrift für Jugendrecht 1991, S. 616ff;
Meyer, Zur Kostenträgerschaft bei ambulanten Maßnahmen nach dem Jugendgerichtsgesetz. DVJJ-Journal 1993, S.
62ff; Pfeiffer, H.: Ambulante Maßnahmen nach dem Jugendrecht - Wer trägt die Kosten? Landesgruppe BadenWürttemberg der DVJJ (Hrsg.: a.a.O. 1996, S. 63ff; Netzig/Wandrey, Was ist drin, wenn TOA draufsteht? Zur Entwicklung und Etablierung von Standards für den Täter-Opfer-Ausgleich. DVJJ-Journal 1/1996, S. 6ff; Miehe, O.: Zur
Anordnung von Hilfen zur Erziehung nach §§27-35 SGB VIII durch Vormundschafts- und Jugendrichter. YessiouFaltsi, P. u.a. (Hrsg.): Recht in Europa. Festschrift für Hilmar Fenge zum 65. Geburtstag. Hamburg 1996, S. 429-460.
Erziehungsmaßregeln sind in §§9ff JGG geregelt. Sie werden angeordnet aus Anlaß einer Straftat
eines Jugendlichen und sollen die Lebensführung des Jugendlichen erzieherisch wirksam beeinflussen. Unzumutbare Anforderungen dürfen nicht gestellt werden. In §9 sind genannt: Weisungen,
Erziehungsbeistandschaft, Heimerziehung und Erziehung in einer betreuten Wohnform. Die Vor-
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aussetzungen der Erziehungsmaßregeln sind ansonsten auch in §5 JGG angesprochen. Erziehungsmaßregeln werden „aus Anlaß“ einer Straftat angeordnet. Dies heißt, daß aus einer Straftat das Bedürfnis nach Einwirkung auf die Lebensführung (zur Vermeidung weiterer Straftaten) ableitbar sein
muß. Im übrigen ist auch darauf zu achten, ob Erziehungsmaßregeln ausreichen (§5 II). Reichen sie
nicht aus, dann ist an Zuchtmittel oder Jugendstrafe zu denken. Kritik richtet sich auf die Unbestimmtheit der Erziehungsmaßregeln und das Problem des Familienschutzes in Art. 6 GG.
Die Erziehungsbeistandschaft und die Heimerziehung haben keine quantitative Bedeutung. Im übrigen entstehen im Zusammenwirken von Jugendgericht, Erziehungsberechtigten sowie Jugendamt
insb. in der Durchführung von Hilfe zur Erziehung erhebliche rechtsdogmatische und praktische
Probleme (Miehe 1996). Der Heimerziehung kommt in der neueren Diskussion um adäquate Reaktionen auf erheblich straffällige Kinder und Jugendliche wieder mehr Bedeutung zu. Hier geht es
insbesondere um die Frage der Unterbringung in geschlossenen Heimen, die in gestalt der Fürsorgeerziehung in den sechziger und siebziger Jahren heftig kritisiert worden war.
Im Zusammenhang mit Weisungen (§10) sind die neuen ambulanten Maßnahmen wie Soziales
Training und Täter-Opfer-Ausgleich, Betreuungsweisung und gemeinnützige Arbeit zu nennen.
Untersuchungen zur Verbreitung Sozialer Trainingskurse zeigen beispw. für Baden-Württemberg
anfang der neunziger Jahre, daß in 38 von 51 Jugendamtsbezirken derartige Kurse ständig angeboten werden. Dies bedeutet wiederum, daß in einzelnen Regionen Trainingskurse als Angebot nicht
oder jedenfalls nicht regelmäßig zur Verfügung stehen. Die Zielgruppen der Sozialen Trainingskurse sind offensichtlich recht unterschiedlich. Im Vordergrund stehen: Mehrfachauffällige, Ersttäter
mit erheblicher Kriminalität, Jugendliche in sozialen Problemlagen, Jugendliche, die Gangs etc.
angehören. Die Sozialen Trainingskurse scheinen darüber hinaus von den Richtern und Staatsanwälten nicht akzeptiert zu werden. Begründet wird dies mit einer mangelnden Sanktionseignung der
Trainingskurse. Befürchtet wird, daß dies von den Jugendlichen als eine Art Freizeitangebot mißverstanden werde. Etwa 600 jugendliche Straftäter haben 1991 in Baden-Württemberg an Sozialen
Trainingskursen teilgenommen. Für Betreuungsweisungen gilt, daß 1991 etwa 500 Weisungen stattgefunden haben. 1992 und 1993 ist allerdings von einer gewissen Zunahme des Angebots wie der
Zahl der einbezogenen Jugendlichen auszugehen (vgl. hierzu Dünkel, F. u.a.: Neue ambulante
Massnahmen nach dem JGG – eine bundesweite Bestandsaufnahme. DVJJ Journal 1999, S. 170184).
Im Zusammenhang mit Sozialen Trainingskursen ist die Kostentragungspflicht umstritten. Die
Kosten für die Durchführung von Weisungen und Auflagen (§§10, 15) sind nicht als Verfahrenskosten vom Staat zu tragen bzw. dem Verurteilten aufzuerlegen. Zuden Verfahrenskosten gem.
§464a I, 1 StPO gehören diese Aufwendungen nicht. Auch der Begriff der Vollstreckungskosten
nach §464a I, 2 StPO passt hierauf nicht, da Weisungen nicht vollstreckt (im Sinne von erzwungen)
werden können. Die mit der Befolgung einer Weisung entstehenden Kosten sind auch keine notwendigen Auslagen des Verurteilten gem. §464a II StPO. Als Jugendhilfemaßnahme lösen Weisungen keine Kostenpflicht nach §91 KJHG aus (kein Verweis auf §29 KJHG). Insoweit verbliebt aber
die Kostentragungspflicht der Einrichtung, die den Kurs anbietet. Insoweit ist das Angebot allerdings abhängig von der finanziellen Ausstattung der freien und öffentlichen Jugendhilfeträger. In §
27 I KJHG ist der Anspruch auf erzieherische Hilfe geregelt. Nach Absatz 2 richten sich Art und
Umfang der Hilfen nach dem erzieherischen Bedarf im Einzelfall. Berechtigt und verpflichtet zur
Prüfung ist das Jugendamt. Entsprechende Entscheidungen können von den Verwaltungsgerichten
überprüft werden. Nun wird teilweise vertreten, die Jugendgerichtshilfe sei verpflichtet, soziale
Trainingskurse anzubieten und durchzuführen. Argumentiert wird, dem Jugendrichter obliege es in
diesem Fall, über Anordnung, Umfang und Beendigung des Trainingskurses zu entscheiden, und
damit die nach dem KJHG bestehenden Aufgaben der Jugendhilfe zu konkretisieren. Im Ergebnis
würde dann der Jugendrichter mit der Weisung feststellen, daß die Voraussetzungen des §27 I
KJHG vorliegen. Freilich unterscheidet sich der soziale Trainingskurs von der Betreuungsweisung
insoweit als letztere in §38 II, 7 der JGH zur Durchführung übertragen wird. Für den Sozialen Trai-
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ningskurs bestehen aber keine gesetzlichen Regelungen. Insoweit könnte aber der Standpunkt
bestritten werden, daß durch eine Weisung gem. §10 I, Nr.6 JGG eine öffentlichrechtliche Leistungspflicht der Jugendhilfe ausgelöst wird.
Laufzeit und nachträgliche Änderungen der Weisungen sind in §11 geregelt. Aus §11 III ergibt sich,
daß bei (schuldhafter) Nichterfüllung von Weisungen Ungehorsamsarrest (bis zu 4 Wochen) verhängt werden kann. Die Erzwingbarkeit von Weisungen über den Weg des Ungehorsamsarrests hat
im Zusammenhang mit gemeinnütziger Arbeit zur Frage geführt, ob hierin unzulässige Zwangsarbeit gesehen werden kann (die gem. Art 12 III GG nur bei richterlich angeordnetem Freiheitsentzug,
oder gem. Art. 12 II GG im Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen öffentlichen Dienstleistungspflicht zulässig ist). In BVerfGE 74, 102ff (NStZ 1987, 502) wird ausgeführt,
die gem. §10 angeordnete Arbeitsweisung, die über §11 III erzwingbar ist, berühre den Schutzbereich des Art. 12 III GG nicht.
6.2 Zuchtmittel
Literatur: Laue, Ch.: Jugenadarrest in Deutschland. DVJJ-Journal 1/1995, S. 91-95; Hinrichs, K.: Die Durchführung des
Jugendarrestes in den Alten Bundesländern. Auswertung zweier Befragungen 1986 und 1991. DVJJ-Journal 1/1993, S.
58ff.; Schaffstein/Beulke, Jugendstrafrecht, 12. Aufl., Stuttgart u.a. 1995, S. 102-113.
Zuchtmittel bestehen aus Auflagen (§15 JGG), Jugendarrest (§16 JGG) und Verwarnung (§14
JGG). Eine Ahndung mit Zuchtmitteln hat dann zu erfolgen, wenn Jugendstrafe nicht geboten ist
(§13 JGG). Die Zuchtmittel haben disziplinierenden Charakter. Sie sollen dem jugendlichen Straftäter eindringlich klar machen, daß er Unrecht getan hat (und insoweit natürlich auch erzieherisch
wirken). Besonders umstritten ist seit langer Zeit der Jugendarrest, der als Freizeitarrest, Kurzarrest
und Dauerarrest verhängt werden kann. Der Dauerarrest kann zwischen 1 und 4 Wochen liegen.
Eingeführt wurde der Jugendarrest im Jahre 1940, wobei mit diesem Zuchtmittel auf "an sich gutartige" Jugendliche gezielt wurde, für die der Jugendstrafvollzug als unangemessen und für die Erziehungsmaßnahmen wegen fehlender Sozialisationsdefizite als nicht erforderlich angesehen wurden.
Der BGH (BGHSt 18, 207ff) definierte im Jahre 1963 den Jugendarrest als Ahndungsmittel eigener
Art, mit dem sowohl Sühne der Tat als auch Erziehung verfolgt werde. Nach den Richtlinien zum
JGG kommt der Jugendarrest in Betracht bei nicht allzu schweren Verfehlungen gutgearteter Jugendlicher, die durch eine kurze, strenge Freiheitsentziehung, den damit verbundenen Zwang zur
Selbstbesinnung und die Betreuung während des Arrests noch erzieherisch beeinflusst werden können. Es handelt sich beim Arrest um eine kurze Freiheitsentziehung, deren pädagogischer Nutzen
bezweifelt und die wohl allgemein als Vorstufe zur Jugendstrafe betrachtet wird. In der Diskussion
um den Jugendarrest lassen sich im wesentlichen zwei Positionen beobachten, deren eine eine vollständige Abschaffung des Jugendarrests vorschlägt, deren andere aber eine pädagogisch orientierte
Reform des Jugendarrests bevorzugt. Freilich wäre mit einer solchen Neuorientierung des Jugendarrests unklar, wo diese Sanktion dann eingeordnet werden könnte. Denn der disziplinierende Charakter ginge verloren. Als Zuchtmittel könnte der Arrest nicht mehr gelten. Vielmehr würde es sich
dann tatsächlich um eine Vorstufe zur Jugendstrafe handeln. Diskutiert wird seit längerem auch der
sog. Einstiegsarrest, mit dem in der Kombination von Arrest und zur Bewährung ausgesetzter Jugendstrafe ein kurzer Freiheitsentzug („Schnupperhaft“) dem jugendlichen Straftäter der Ernst der
Lage deutlich gemacht werden soll. Die derzeit herrschende Meinung lässt auf der Basis von §8 II,
III JGG freilich zu Recht eine Kombination zwischen Jugendarrest und einer zur Bewährung ausgestezten Jugendstrafe nicht zu (vgl. Bay ObLG StV 1998, S. 331).
Unter den in §11 III genannten Bedingungen kann sog. Ungehorsamsarrest für die Nichterfüllung
von Weisungen und Auflagen angeordnet werden. Der Ungehorsamsarrest tritt dabei nicht an die
Stelle der Weisungen und Auflagen (wie beispw. die Ersatzfreiheitsstrafe bei nicht beitreibbarer
Geldstrafe), die schuldhaft nicht erfüllt wurden, sondern stellt eine selbständige Sanktion für die
Verletzung der durch den Jugendrichter auferlegten Pflichten dar. Insbesondere bei Weisungen, die
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auf Akzeptanz durch den Jugendlichen angelegt sein sollten, gilt der Ungehorsamsarrest (und der
hierin enthaltene Zwang) als systemwidrig. Freilich scheint Ungehorsamsarrest selten angewendet
zu werden. So ergab eine Untersuchung der Praxis des Hamburger Jugendgerichts folgende Resultate:
Verfahrenserledigungen insgesamt
Davon: Arbeitsleistungen
Geldauflagen
Betreuungsweisungen
Schadenswiedergutmachung
Kombinationen
Arrestbewehrte
Weisungen
und
Auflagen
Vollstreckte Ungehorsamsarreste
Ungehorsamsarrest in %
1991
3086
1992
2795
1993
2939
1994
2534
417
397
476
388
454
187
312
158
458
231
424
226
86
124
105
123
214
1358
170
1161
47
1317
26
1187
7
8
10
12
0,5
0,7
0,8
1,0
Quelle: Hinrichs, K.: Weisungen und Auflagen brauchen keinen Zwang durch Jugendarrest. DVJJ-Journal 1/1996, S.
59ff.
6.3 Jugendstrafe
Literatur: Schaffstein/Beulke, Jugendstrafrecht, 12. Aufl., Stuttgart u.a. 1995, S. 114-147; Kaiser/Schöch, Kriminologie,
Jugendstrafrecht, Strafvollzug, 4. Aufl., München 1994, Fälle 15, 16.
Die Jugendstrafe (§§17, 18 JGG) wird dann angeordnet, wenn in der Straftat eines Jugendlichen
"schädliche Neigungen hervorgetreten sind oder wenn die Schwere der Schuld Jugendstrafe fordert
(Generalprävention!). Sie beträgt mindestens 6 Monate und höchstens 5 Jahre. Droht das Erwachsenenstrafrecht aber Freiheitsstrafe von mehr als 10 Jahren an (Kapitaldelikte), dann erweitert sich der
Rahmen der Jugendstrafe auf bis zu 10 Jahre. Die Unter- und Obergrenzen der Jugendstrafe werden
begründet mit erzieherischen Einwirkungsmöglichkeiten.
Auch die Jugendstrafe ist (vor allem als nicht zur Bewährung ausgesetzte Strafe) sehr umstritten.
Dies hängt wesentlich mit den derzeitigen Bedingungen im Jugendstrafvollzug zusammen, der wohl
kaum als effizientes erzieherisches Mittel eingestuft werden kann. Insoweit wäre aber danach zu
frgen, ob und inwieweit mit der Verhängung einer Jugendstrafe das Ziel einer erzieherisch wirksamen Beeinflussung der „schädlichen“ Neigungen und damit der Zukunft eines Jugendlichen überhaupt erreicht werden kann. Angesprochen ist damit die Frage der Geeignetheit (vgl. dazu auch
OLG Schleswig Strafverteidiger 1985, S. 420). Die hiermit entstehenden, auch verfassungsrechtlichen Implikationen werden in der Regel mit dem Argument übergangen, daß eine gesetzgeberische
Entscheidung für diese Erziehungsstrafe vorliege (Ostendorf, Jugendgerichtsgesetz. Kommentar.
1991, §17 Rdnr. 10). Mit der Voraussetzung der "schädlichen Neigungen" soll auf Persönlichkeitsmängel des jugendlichen Straftäters reagiert werden, die ohne eine "Gesamterziehungsanstrengung"
nicht beseitigt werden können und ohne eine solche Einwirkung zu weiteren (und zwar erheblichen,
LG Gera StV 1999, S. 660) Straftaten führen werden. Schädliche Neigungen müssen zum Zeitpunkt
des Urteils festgestellt werden. Deshalb ist in der Beurteilung auch das Nachtatverhalten zu berück-
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Wahlfachgruppe 14/Jugendstrafrecht
23
sichtigen (BGH StV 1998, S. 331). Das gängige Verständnis der schädlichen Neigungen bezieht
sich auf eine Entwicklungsstörung oder Entwicklungsgefährdung eines Ausmaßes, das die Begehung weiterer nicht unerheblicher Straftaten befürchten läßt. Insoweit enthält die Definition neben
einer Zustandsbeschreibung auch ein prognostisches Element (nicht unerhebliche Straftaten in der
Zukunft). Die Definition "schädlicher Neigungen" kann freilich präzise und nachvollziehbar nicht
gelingen. Deshalb wird zurecht die Abschaffung dieser Voraussetzung vorgeschlagen. Fraglich ist
dann aber, was anstelle dieser Voraussetzung treten könnte. Die Verhängung wegen Schwere der
Schuld verweist auf den Strafzweck der Generalprävention. In der Bestimmung der Schwere der
Schuld soll dem äusserlich erkennbaren Unrechtsgehalt der Straftat nach Auffassung des BGH nur
eine indirekte Wirkung zukommen, nämlich soweit er als Ausdruck der Persönlichkeit des Täters
gelten kann (BGH StV 1998, S. 336).
Die Bemessung der Jugendstrafe soll insbesondere nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs allein erzieherischen Erwägungen folgen (§18 JGG). Dabei gelten die allgemeinen Strafrahmen
des Erwachsenenstrafrechts zwar nicht, doch sollen wegen der auch im Jugendstrafrecht zu berücksichtigenden Limitierungsfunktion des Tatunrechts der im gesetzlichen Strafrahmen typisierte Unrechtgehalt allgemein berücksichtigt werden (BGH Strafverteidiger 1987, S. 306). Zur Limitierungsfunktion vgl. ferner BGH NStZ 1990, S. 389: die Jugendstrafe darf die nach oben noch schuldangemessene Strafe aus erzieherischen Gründen nicht übersteigen. Andererseits ist zu fragen, ob dem
Erziehungsprinzip beispw. bei schwersten Straftaten, insb. Tötungsdelikten, eine Limitierungsfunktion in solchen Fällen zukommt, wo Erziehungsbedürfnisse (beispw. Konflikttat) nicht oder nur in
geringem Umfang vorhanden sind. Die Rechtsprechung hierzu ist unklar, freilich wird die Berücksichtigung von Schuld und Vergeltung partiell zugelassen (BGH Strafverteidiger 1982, S. 121, S.
473). Mit der in §18 I, 2 JGG eröffneten Möglichkeit, eine Jugendstrafe zwischen 5 und 10 Jahren
zu verhängen, ergibt sich ein Problem der Begründung. Denn die Setzung eines Jugendstraferahmens von 6 Monaten bis zu 5 Jahren war vom historischen Gesetzgeber deshalb erfolgt, weil eine 45 Jahre übersteigende Aufenthaltsdauer in einer geschlossenen Einrichtung unter Erziehungsgesichtspunkten als unbrauchbar oder gar kontraproduktiv betrachtet wurde. Freilich betrachtet es der
BGH als richtig, wenn eine Jugendstrafe im Bereich zwischen 5 und 10 Jahren neben Schulderwägungen auch mit erzieherischen Bedürfnissen begründet wird (BGH StV 1998, S. 336). Gerechtfertigt wird diese Meinung mit dem Hinweis auf §18 II JGG, der auch bei der Bemessung der Jugendstrafe von mehr als 5 Jahren die Anpassung an erzieherische Bedürfnisse verlange. Gegen diese
Auffassung (der Zulassung erzieherischer Erwägungen) spricht, daß die Erweiterung des Strafrahmens auf 5 bis 10 Jahre im Gesetz alleine an das Vorliegen einer Straftat gebunden wird, die nach
Erwachsenenstrafrecht einen Strafrahmen von mehr als 10 Jahren eröffnen würde. Damit ist freilich
die Begründung ausschließlich an die Schuldschwere gebunden.
Die Jugendstrafe kann (übersteigt sie nicht 2 Jahre) unter den Voraussetzungen des §21 zur Bewährung ausgesetzt werden. Möglich ist dann die Aussetzung eines Strafrestes zur Bewährung (§§88,
89 JGG), wobei ein Drittel der Jugendstrafe verbüßt sein muß. Die Voraussetzung der Strafaussetzung zur Bewährung sind im Vergleich zum Erwachsenenstrafrecht erleichtert. So sind generalpräventive Erwägungen nicht zugelassen. Schließlich kann der Jugendrichter, vermag er nicht sicher
die schädlichen Neigungen festzustellen, die Verhängung einer Jugendstrafe zur Bewährung auszusetzen (§27 JGG). In der Praxis hat sich (außerhalb des Gesetzes) die sogenannte „Vorbewährung“
entwickelt. Sie beruht auf der Regelung des §57 JGG, nach der (Absatz 2) eine Strafaussetzung zur
Bewährung, die im Urteil abgelehnt wurde, nachträglich angeordnet werden kann, dann nämlich,
wenn sich zwischen Urteil und der Vollstreckung der Jugendstrafe Veränderungen nachweisen lassen. Insoweit hat die Praxis teilweise eine Vorbewährung entwickelt, mit der einerseits zwar eine
Jugendstrafe ausgesprochen, andererseits aber mit der Anordnung der Vollstreckung der Jugendstrafe eine Zeitlang zugewartet wird (bis zu 4-5 Monate). Diese Zeit wird wie eine Strafaussetzung zur
Bewährung ausgestaltet. Verhält sich der Verurteilte entsprechend den Weisungen des Jugendrich-
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Wahlfachgruppe 14/Jugendstrafrecht
24
ters, dann kann behauptet werden, daß nunmehr eine neue Sachlage eingetreten ist. Der Verurteilte
hat nachgewiesen, daß er sich bewähren kann. Der Jugendrichter kann nunmehr gem. §57 nachträglich und durch Beschluß die Strafaussetzung zur Bewährung anordnen.
6.4 Das Verhältnis zwischen Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe
Literatur: Kaiser/Schöch, Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, 4. Aufl., München 1994, Fall 16.
Das Verhältnis zwischen Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe ist in §5 JGG geregelt. Danach stehen Erziehungsmaßregeln, Zuchtmittel und Jugendstrafe in einem Stufenverhältnis,
das allein durch den erzieherischen Bedarf und die erzieherische Kapazität der verschiedenen Reaktionsformen festgelegt ist. Erziehungsmaßregeln werden verhängt, wenn diese als erzieherische
Maßnahmen ausreichen. Reichen sie nicht aus, dann erfolgt der Übergang zu Zuchtmitteln, reichen
Zuchtmittel nicht aus (sei es wegen schädlicher Neigungen, sei es wegen der Schwere der Schuld),
dann erfolgt der Übergang zur Jugendstrafe. Freilich steht das gesetzlich geformte Stufenverhältnis
zwischen Erziehungsmaßregeln, Zuchtmitteln und Jugendstrafe unter bestimmten Annahmen zu den
erzieherischen Einwirkungsmöglichkeiten durch diese verschiedenen Maßnahmen. Diese sind aber
in hohem Maße zweifelhaft. Jedenfalls kommt in diesem Verhältnis auch der Gedanke an die Subsidiarität zum Ausdruck. Dort, wo weniger einschneidende Maßnahmen ausreichen, darf nicht zu
den schwereren Maßnahmen gegriffen werden. In diese Stufenfolge sind auch die Diversionsmaßnahmen des §45 JGG einzubeziehen. Die erste Entscheidung bezieht sich demnach immer auf die
Frage, ob nicht eine Einstellung des Jugendstrafverfahrens, ggfs. unter Anordnung jugendrichterlicher Weisungen etc., ausreichend sind.
6.5 Maßregeln der Besserung und Sicherung im Jugendstrafrecht
Literatur: Schaffstein/Beulke, Jugendstrafrecht, 14. Aufl., Stuttgart u.a. 1995, S. 65-67.
Maßregeln der Besserung und Sicherung dienen im Erwachsenenstrafrecht grundsätzlich dem Gesellschaftsschutz vor gefährlichen Straftätern, sei es durch Behandlung, sei es durch Sicherung. Sie
treten entweder neben die Strafe oder anstelle einer Strafe dann, wenn der Täter schuldunfähig ist.
Maßregeln bestimmen sich nicht nach Schuldgrundsätzen, sondern allein am präventiven Bedarf.
Sie unterliegen freilich dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Zu den Maßregeln gehören die in §§61
ff StGB genannten Unterbringung in einer psychiatrischen Anstalt (zeitlich unbegrenzt) §63 StGB,
Unterbringung in einer Entiehungsanstalt (bis maximal 2 Jahre) §64 StGB, die Sicherungsverwahrung (1 Unterbringung maximal 10 Jahre, 2. Unterbringung zeitlich unbegrenzt) §66 StGB, die Führungsaufsicht (§§68ff StGB), der Entzug der Fahrerlaubnis §69ff StGB, das Berufsverbot §70 StGB.
Im Jugendstrafrecht sind die Maßregeln der Sicherungsverwahrung und des Berufsverbots ausgeschlossen. Sie dürfen nicht angeordnet werden (§7 JGG). Im übrigen setzt die BGH-Rechtsprechung
deutliche Beschränkungen für die Anordnung einer Unterbringung in der psychiatrischen Anstalt
(BGHSt 37, S. 373ff). Hierzu gehören die besonders gründliche Prüfung der tatsächlichen Voraussetzungen der gem. §63 erforderlichen Prognose sowie, über den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgedanken hinausgehend, die eingehende Untersuchung der Frage, ob nicht andere, weniger
eingreifende Maßnahmen ausreichen. Diese besonders ausgeprägten Prüfungspflichten sollen sich
aus dem allgemeinen Ziel der Förderung und der Reintegration eines jugendlichen Straftäters ergeben. Zusammengefasst ist der BGH, wie auch die Lehre, der Auffassung, daß eine Unterbringung
nur in seltenen Ausnahmefällen gerechtfertigt sein könne. Mit dem Gedanken der „Einspurigkeit“
freiheitsentziehender Massnahmen (BGH StV 1998, S. 341.verträgt es sich in der Regel wohl nicht,
wenn neben der Unterbringung in der Psychiatrie noch Jugendstrafe angeordnet wird (BGH NStZ
1998, 86). Die Unterbringung in einer Entziehungsanstalt ist gem. §93a JGG in einer besonderen,
für die Suchtbehandlung von Jugendlichen geeigneten Einrichtung zu vollziehen.
Nach §5 III JGG ist von der Verhängung von Zuchtmitteln oder Jugendstrafe dann abzusehen, wenn
infolge der Anordnung einer Unterbringung die Ahndung durch den Richter entbehrlich ist.
25
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Wahlfachgruppe 14/Jugendstrafrecht
6.5 Reformüberlegungen zum System jugendstrafrechtlicher Sanktionen: Differenzierung
oder Vereinfachung
Genannt werden als Alternativen zu stationären Maßnahmen des Jugendstrafrechts insb. die im
1.JGGÄnderG eingeführten Möglichkeiten der Wiedergutmachung bzw. des Täter-OpferAusgleichs, das soziale Training. International ist die sog. Bewährungstrafe bekannt, die der Aussetzung zur Bewährung nach §27 JGG ähnlich, aber in anderen Rechtskreisen selbständige Sanktion
ist. Freilich ist auch in die Überlegungen einzubeziehen, ob nicht eine Vereinfachung des Systems
der jugendstrafrechtlichen Rechtsfolgen angezeigt sein könnte. Denn offensichtlich entstehen Probleme der Auswahl und der Begründung der Auswahl unter dem weitgefächerten Angebot an Sanktionen. Im übrigen verfährt die Praxis wohl auch in Form einer Reduktion dieser Vielfalt auf einige
wenige Weisungen und Zuchtmittel, die, wie die gemeinnützige Arbeit, die Geldauflage und der
Arrest auch leicht abgestuft (und damit in ein Verhältnis zu unterschiedlichen Unrechtsgraden gebracht werden können.
7. DIE HAUPTVERHANDLUNG IM JUGENDSTRAFVERFAHREN
7.1 Das vereinfachte Verfahren
Im JGG gelten die Vereinfachungsmöglichkeiten des allgemeinen Strafverfahrens, insb. das sog.
(schriftliche) Strafbefehlsverfahren nicht. Das JGG kennt aber das sog. vereinfachte Jugendverfahren, das von verschiedenen Formvorschriften befreit. Hiermit soll nicht primär Kosteneinsparung,
sondern vor allem eine erzieherische Ausgestaltung der Hauptverhandlung (Informalität) erleichtert
werden.
7.2 Grundsätze der Hauptverhandlung
Literatur: Schaffstein/Beulke, Jugendstrafrecht, 12. Aufl., Stuttgart u.a. 1995, S. 197-202.
Das Jugendstrafverfahren unterscheidet sich in einigen wesentlichen Punkten vom Erwachsenenstrafverfahren. Die Hauptverhandlung ist nicht öffentlich (§48 JGG). Der Eideszwang ist gem. §49
JGG eingeschränkt. Schließlich sind die Opferrechte insoweit eingeschränkt, als Privat- und Nebenklage nicht zulässig sind. Insbesondere gegen den Ausschluß der Nebenklage wird aus der Opferperspektive neuerdings Kritik geübt. Als Reformansatz wird vor allem die Verhandlung am „Runden Tisch“ diskutiert, jedoch wird auch die Zweiteilung der Hauptverhandlung in einen Schuldfeststellungsteil sowie eine hierauf sich anschließende Hauptverhandlung, in der nur mehr Strafzumessungsfragen erörtert werden, behandelt.
8. DAS SYSTEM DER RECHTSMITTEL
Literatur: Kaiser/Schöch, Kriminologie, Jugendstrafrecht, Strafvollzug, 4. Aufl., München 1994, Fall 14.
Dem Jugendlichen steht gegen Urteile des Jugendrichters oder des Jugendschöffengerichts nur ein
Rechtsmittel zu (entweder Revision oder Berufung). Insoweit ist er im Vergleich zu erwachsenen
Verurteilten benachteiligt. Die Beschränkung der Rechtsmittel wird erzieherisch begründet.
9. DIE STRAFVOLLSTRECKUNG
JUGENDSTRAFVOLLZUG)
IM
JUGENDSTRAFRECHT
(INSBESONDERE
Literatur: Rössner, D.: Jugendstrafvollzug bei 14-18Jährigen. Problemanzeige und Perspektiven. In: Kerner/Kaiser:
Kriminalität. Berlin, Heidelberg 1990, S. 523ff; Schaffstein/Beulke, Jugendstrafrecht, 12. Aufl., Stuttgart u.a. 1995, S.
224-237.
9.1 Zuständigkeiten
Die Strafvollstreckung in Jugendsachen obliegt dem Jugendrichter. Er ist Vollstreckungsleiter und
hat damit eine Doppelfunktion als Richter und Verwaltungsbeamter.
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Wahlfachgruppe 14/Jugendstrafrecht
26
9.2 Der Jugendstrafvollzug
9.2.1 Rechtsgrundlagen des Jugendstrafvollzugs
Der Jugendstrafvollzug ist grundsätzlich vom Erwachsenenstrafvollzug getrennt. Ein spezielles Jugendstrafvollzugsgesetz existiert noch nicht. Andererseits ist das Strafvollzugsgesetz nicht auf den
Vollzug von Jugendstrafe anzuwenden. Verschiedene Entwürfe zu einem Jugendstrafvollzugsgesetz
liegen vor, so beispw. Der Arbeitsentwurf des Bundesministeriums der Justiz von 1984, der Entwurf eines Jugendstrafvollzugsgesetzes von Baumann (1985) sowie der Entwurf der Arbeitsgemeinschaft der Leiter der Jugendstrafanstalten in der DVJJ (1988). Seit 1991 liegt wiederum ein Referentenentwurf des Bundesjustizministeriums vor. Im übrigen betreffen nur wenige Vorschriften im
JGG den Vollzug der Jugendstrafe (§§91, 92, 85 II JGG). Danach muß der Vollzug erzieherisch
gestaltet sein. Sodann basiert der Jugendstrafvollzug auf den „Bundeseinheitlichen Verwaltungsvorschriften zum Jugendstrafvollzug“, einer Verordnung, die für den Richter aber nicht bindend ist.
Insoweit wird teilweise angenommen, daß der gegenwärtige Rechtszustand des Jugendstrafvollzugs
den Anforderungen des Rechtsstaatsprinzips nicht genüge (vgl. hierzu den Vorlagebeschluß des AG
Herford NStZ 1991, S. 255).
Die vorzeitige Entlassung aus dem Jugendstrafvollzug regelt §88. Sie ist flexibler als die Regelung
des §57 StGB, denn bei Jugendstrafe von mehr als einem Jahr ist die Strafrestaussetzung bereits
nach Vollstreckung eines Drittels möglich, soweit die Prognose des künftigen Verhaltens dies erlaubt (§88 II, 2). Freilich wird die vorzeitige Entlassung gerade bei langer Jugendstrafe, die wegen
der Schwere der Schuld verhängt worden ist (im wesentlichen Totschlag und Mord), in Anlehnung
an die Entscheidungskriterien des §57 von Sühne- und Schuldvergeltungserwägungen abhängig
gemacht (LG Berlin NStZ 1999, S. 102f). Jedoch ist dies mit Wortlaut und Ziel des Gesetzes nicht
zu vereinbaren (vgl. hierzu auch Schönberger, G.: Anmerkung zu LG Berlin NStZ 1999, S. 102ff).
9.2.2 Praktischer Jugendstrafvollzug
Das Durchschnittsalter bei Zugang zum baden-württembergischen Jugendstrafvollzug lag 1994 bei
etwa 20 Jahren. Die Deliktsstruktur der Zugänge ist bestimmt durch Diebstahl (36%) Betäubungsmitteldelikte (21%) und Raub (16%). Weniger bedeutsam sind Körperverletzungsdelikte (9%), Betrug (5%), Verkehrsdelikte (4%), Tötungsdelikte (3%) und Sexualdelikte (2%). Die wesentlichen
Veränderungen in der Struktur der Einweisungsdelikte spielten sich in den achtziger und neunziger
Jahren im Bereich der Diebstahls- (Anteil 1984: 47%) und Betäubungsmitteldelikte (Anteil 1984:
9%) ab. Die Wohnungssituation vor der letzten Verhaftung: bei den leiblichen Eltern, 34%, bei
Stiefeltern, Mutter oder Vater 23%, in Heim oder ähnlichem 12%, ohne festen Wohnsitz 20%, Verwandte oder Pflegeeltern 4%, Freunde 6%. Die durchschnittliche, zu verbüßende Jugendstrafe betrug 1994 etwa 19 Monate, von diesen 19 Monaten wurden durchschnittlich 10 Monate verbüßt.
Damit wird eine durchschnittliche Jugendstrafe durch (angerechnete) Untersuchungshaft und Strafrestaussetzung zur Bewährung etwa auf die Hälfte reduziert. Etwa 70% der Jugendstrafgefangenen
bleiben dabei weniger als ein Jahr in der Jugendstrafvollzugsanstalt. In der zentralen Jugendstrafvollzugsanstalt Adelsheim wurden im Jahre 1993 1616 Verfehlungen disziplinarrechtlich gem. Nr.
86, 87 der VVJug sanktioniert. Davon betrafen 670 oder 41% Arbeitsverweigerung, 200 oder 12%
Fehlverhalten gegen andere Gefangene, 151 oder 9% das Nichtbefolgen von Anweisungen, 135
oder 8% Fehlverhalten bei der Arbeit, 104 oder 6% Fehlverhalten gegenüber Bediensteten, 85 oder
5% Ruhestörung, 58 oder 4% Betäubungsmittelmißbrauch, 34 oder 2% Alkoholkonsum, 22 oder
1% Ausbruchsversuche, 22 oder 1% Diebstahl oder Sachbeschädigung, 29 oder 2% Lockerungsversagen, 13 oder 1% Tätowieren, 24 oder 1% Schmuggel, 5 oder 0% Unsauberer Haftraum. Hierfür
wurden verhängt: 778 1Tag Freizeitsperre (48%), 292 2 Tage Freizeitsperre (18%), 148 oder 9% 3
Tage Freizeitsperre, 169 oder 10% 4-7 Tage Freizeitsperre, 32 oder 2% 1-3 Wochen Freizeitsperre,
Ermahnung 13 (1%), Putzdienste 29 (2%), Hausgeldsperre (< 30 DM) 109 (7%), Hausgeldsperre >
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Wahlfachgruppe 14/Jugendstrafrecht
30 DM 42 (3%). 1992 befanden sich in Adelsheim 29% der Insassen in beruflicher, 15% in schulischer Ausbildung. 16% arbeiteten in Unternehmerbetrieben.
An Überbrückungsgeld hatten die Insassen 1993 durchschnittlich 659 DM (ohne Freigänger) angesammelt (bei einem Soll von 1025 DM).
Die Altersstruktur (verurteilter) ausländischer Strafvollzugsinsassen (in % aller Strafgefangenen)
1971
1972
1973
1974
1975
1976
1977
1978
1979
1980
1981
1982
1983
1984
1985
1986
1987
1988
1989
1990
1991
1992
1993
1994
1995
1997
Ratio
1971/
1997
14-17
2,3
3,8
3,9
3,3
4,9
18-20
3,2
3,3
4,3
4,6
4,3
21-24
4,3
5,5
6,3
6,1
6,3
25-30
3,2
4,3
5,1
6,4
7,3
31-40
2,9
3,4
3,8
4,6
4,7
41-50
5,3
4,9
5,2
5,7
5,5
51-60
4,6
5,5
6,6
7,8
8,4
>60
3,0
3,4
2,2
3,4
2,7
6,3
4,1
4,9
7,0
6,5
5,6
8,8
4,6
11,9
6,9
7,0
8,1
9,6
6,9
8,9
5,5
19,2
8,9
7,7
10,4
11,0
8,3
8,3
7,3
17,9
10,0
8,7
10,0
11,1
8,0
7,6
7,1
28,6
34,9
35,5
16,6
17,9
22,5
11,9
13,4
14,4
10,5
12,3
13,5
10,9
11,6
13,0
8,5
9,0
9,9
8,1
8,4
8,4
6,8
9,6
10,2
43,4
34,7
35,1
31,9
30,6
1:13
30,9
34,6
35,4
33
30,2
1:9
18,9
25,7
31,3
33,6
39,3
1:9
17,4
19,5
22,9
25,3
29,6
1:9
14,1
15,8
18,0
20,2
22,6
1:8
12,5
13,5
15,2
15,2
16,7
1:3
9,0
10,3
11,5
10,5
10,4
1:2
11,2
11,5
9,4
10,2
10,5
1:3
9.3 Registerrechtliche Folgen und Beseitigung des Strafmakels
Literatur: Schaffstein/Beulke, Jugendstrafrecht, 12. Aufl., Stuttgart u.a. 1995, S. 237-241.
Verurteilungen zu Strafe (und anderes) werden in das zentrale Strafregister (geführt beim Generalbundesanwalt, Berlin) eingetragen. Grundsätzlich werden auch jugendstrafrechtliche Entscheidungen registriert. Freilich ist für diese Eintragungen ein besonderes Register vorgesehen, nämlich das
sog. Erziehungsregister. Die registerrechtlichen Regelungen sind in Bundeszentralregistergesetz
enthalten. Dort finden sich Vorschriften darüber, wielange derartige Eintragungen erhalten bleiben,
unter welchen Bedingungen die Eintragungen gelöscht werden, wer Auskunft über Eintragungen
verlangen kann und welche Eintragungen in das Polizeiliche Führungszeugnis aufgenommen wer-
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Wahlfachgruppe 14/Jugendstrafrecht
28
den. Der Erziehungszweck des Jugendstrafrechts und das Ziel der Vermeidung stigmatisierender
Wirkungen bzw. benachteiligender Folgen für den Einstieg in das Berufsleben haben den Gesetzgeber dazu geführt, im Bundeszentralregistergesetz für das Erziehungsregister besonders restriktive
Bedingungen für die Auskunft zu setzen. Ferner werden in das Führungszeugnis prinzipiell nur Jugendstrafen aufgenommen, die andererseits auch in das zentrale Strafregister eingetragen werden.
Erziehungsmaßregeln und Zuchtmitteln werden weder in das Strafregister übernommen noch in das
Führungszeugnis eingetragen. Auch Jugendstrafen werden nur in beschränktem Umfang in ein polizeiliches Führungszeugnis eingetragen (§32 II BZRG). Für die Beseitigung des Strafmakels enthält
das JGG besondere Vorschriften, die kürzere Fristen als das Erwachsenenstrafrecht für die Tilgung
anordnen (§§97ff JGG).
10. DIE BEHANDLUNG DER HERANWACHSENDEN:
HERANWACHSENDER ALS JUGENDLICHER ABGEURTEILT?
WANN
WIRD
EIN
Literatur: Esser, G.: Sind die Kriterien der sittlichen Reife des §105 JGG tatsächlich reifungsabhängig? DVJJ-Journal
1/1999, S. 37-40; Toker, M.: Die Beurteilung der Reife gemäss §105 JGG in der interkulturellen Begutachtung. DVJJJornal 1/1999, S. 41-44.
Heranwachsende gelten als voll strafmündig. Sie werden aber unter den Voraussetzungen des §105
JGG (jugendtypische Verfehlung oder Reifeverzögerung) als Jugendliche behandelt (Verfahren
gem. §§107ff JGG). Damit ist auch die Konsequenz verbunden, daß die Rechtsfolgen des Erwachsenenstrafrechts nicht anwendbar sind (§105 III). Wird ein Heranwachsender freilich nach Erwachsenenstrafrecht abgeurteilt, so ist anstelle einer lebenslangen Freiheitsstrafe auf eine zeitige Freiheitsstrafe zwischen 10 und 15 Jahren zu erkennen (§106 JGG). Für Heranwachsende gilt, werden
sie als Jugendliche abgeurteilt, eine allgemeine Obergrenze der Jugendstrafe von 10 Jahren. Erziehungsbeistandschaft und Erziehungshilfen (also insbesondere Heimunterbringung) können gegen sie
nicht angeordnet werden. Maßgeblich für die Beurteilung ist die Tatzeit. Die Praxis zeigt, daß im
Falle schwerer Kriminalität (Tötungsdelikte, Raub etc.) die Gerichte fast ausschließlich Jugendstrafrecht auf Heranwachsende anwenden. Im Falle leichterer Delikte, die im Erwachsenenstrafrecht im
summarischen Verfahren per Strafbefehl (und damit im wesentlichen mit Geldstrafen) abgehandelt
werden, überwiegt dagegen die Anwendung des Erwachsenenstrafrechts.
29
Universität Freiburg/Juristische Fakultät
Wahlfachgruppe 14/Jugendstrafrecht
Nach Jugendstrafrecht verurteilte Heranwachsende (in%)
120
100
80
60
40
20
Strassenverkehr
Sexualdelikte
Raubdelikte
Alle Verurteilungen
97
96
19
95
19
19
94
19
93
92
19
91
19
19
90
19
89
88
19
87
19
86
19
19
85
19
84
83
19
82
19
19
81
19
19
80
0
Eigentumsdelikte
Die kriminalpolitischen Debatten der neunziger Jahre haben den Anstieg der Kriminalität junger
Menschen hervorgehoben und haben sich neben der Frage der Absenkung des Strafmündigkeitsalters auf 12 Jahre insbesondere mit der strafrechtlichen Antwort auf Heranwachsendenkriminalität
befasst. Ein Gesetzesantrag von Bayern vom 5.8.1997 schlägt insoweit eine Neugestaltung des §195
JGG vor (BR-Drs 562/97). Auf Heranwachsende wäre danach grundsätzlich Erwachsenenstrafrecht
anzuwenden. Lediglich als Ausnahme und für den Fall einer „erheblichen Reifeverzögerung“ und
hieraus resultierendem erzieherischen Bedarf soll Jugendstrafrecht anwendbar sein. Während die
Herabsetzung der Strafmündigkeitsgrenze fast einhellig abgelehnt wird, besteht bei der Forderung
nach einer neuen Einordnung der Heranwachsenden in das System von Erwachsenen- und Jugendstrafrecht offensichtlich eine offene Situation, in der, sicher auch wegen der derzeitigen Betonung
von Innerer Sicherheit, Kriminalitätsangst und Jugendgewalt, der Ausgang kaum vorhergesagt werden kann.
10.1 Jugendtypische Verfehlung
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Wahlfachgruppe 14/Jugendstrafrecht
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Die jugendtypische Verfehlung hat (im Verhältnis zur Reifeverzögerung) selbständigen Charakter
und soll für den Richter eine Beweiserleichterung im Vergleich zur aufwendigen Persönlichkeitsbeurteilung schaffen. Eine Straftat ist dann jugendtypisch, wenn sie nach den äußeren Umständen, der
Art der Begehung oder der Motivation für das Jugendalter besonders charakteristisch ist.
10.2 Reifeverzögerung
Der Reifezustand ist auf Grund einer Gesamtwürdigung der Persönlichkeit festzustellen. Dabei wird
das Heranwachsendenalter als Übergangszeit zwischen Jugend und Erwachsensein begriffen, was
dazu führt, daß die Frage danach gestellt werden muß, welche Bezüge den Heranwachsenden am
stärksten charakterisieren. Vgl. zur Frage auch die sog. „Marburger Richtlinien“ (behandelt in
Schaffstein/Beulke, Jugendstrafrecht 1995, S. 52).
Zur Untersuchung der „Reife“ können Instrumente eingesetzt werden, die, wie das „Mannheimer
Erwachsenen-Interview“, eine Operationalisierung der „Marburger Richtlinien“ versuchen. Die
hieraus resultierende Reifeskala (Esser 1999, S. 38) stützt sich auf: 1. Realistische Lebensplanung
(Berufsplan: aktive zukubftsorientierte Entscheidung, Berücksichtigung eigener Fähigkeiten und
Interessen, der Realisierbarkeit, Kompentenz zur Veränderung bei Fehlentscheidung; Planung von
Partnerschaft und Familie: Erfahrungen mit Freund- und Partnerschaft, Fähigkeit zeitliche Perspektiven zu entwickeln, Planung unter Berücksichtigung interner und externer Voraussetzungen); 2.
Eigenständigkeit im Verhältnis zu den Eltern (Ablösung von den Eltern, Aufbau eines eigenen
Wertesystems, Unabhängigkeit vom Urteil der Eltern); 3. Eigenständigkeit im Verhältnis zu Gleichaltrigen/Partner (Streben nach perrsönlicher Autonomie, Erwerb eines eigenen Wertesystems), 4.
Ernsthafte Einstellung zur Arbeit (Stabilität, Einbindung von Arbeit/Beruf in persönlichen Sinnzusammenhang); 5. Äusserer Eindruck; 6. Realistische Alltagsbewältigung (aktive Strukturierung des
Alltags unter Berücksichtigung eigener Interessen und objektiver Anforderungen); 7. Alter der
Freunde 8. Bindungsfähigkeit (Aufrechterhaltung von Bindungen über längeren Zeitraum, Vorherrschen von Offenheit, Vertrauen, Gleichberechtigung in Beziehung); 9. Integration von Eros und
Sexus (Aufrechterhaltung intimer Bindungen über längeren Zeitraum, Identität von Leibes- und
Sexualpartner); 10. Konsistente berechenbare Stimmungslage (ausgeglichene Stimmung, keine heftigen Stimmungswechsel). Die empirische Überprüfung der Skala erbrachte eine gute Trennungsschärfe zwischen Jugendlichen/Heranwachsenden und Jungerwachsenen (Esser 1999, S. 39).
Besondere Problemeergeben sich bei der Reifebeurteilung ausländischer Heranwachsender (vgl.
Toker 1999). Denn die gängigen in Deutschland verwendeten Testverfahren lassen sich – da in
Eichstichproben die ethnische Herkunft und damit kulturelle Differenzen bislang kaum berücksichtigt werden – nur mit Einschränkungen anwenden. Ferner unterscheiden sich bei einzelnen Tests
offensichtlich die Normwerte beträchtlich. So würden beispw. in den USA oder in der Türkei als
knapp durchschnittlich intelligent eingestufte Jugendliche in Deutschland als geistig behindert eingeorndet (Toker 1999, S. 43).
11. INTERNATIONALE
STRAFTÄTER
GRUNDSÄTZE
ZUR
BEHANDLUNG
JUGENDLICHER
Literatur: Schüler-Springorum, H: Die Mindestgrundsätze der Vereinten Nationen für die Jugendgerichtsbarkeit. ZStW
99(1987), S. 809ff.; Dünkel, F.: Zur Entwicklung von Mindestgrundsätzen der Vereinten Nationen zum Schutze inhaftierter Jugendlicher. ZStW 100(1988), S. 361-384; Schüler-Springorum, H.: Die Richtlinien der Vereinten Nationen für
die Prävention von Jugendkriminalität. ZStW 104(1992), S. 169ff; Jung, H.: Jugendgerichtsbarkeit und Menschenrechte.
DVJJ-Journal 1994, S. 220ff.; Gerstein, H.: UN-Kinderrechte und Jugendkriminalrecht. DVJJ-Journal 1/1996, S. 13ff.
Am 29. 11. 1985 wurden von den Vereinten Nationen Mindestgrundsätze für die Jugendgerichtsbarkeit beschlossen (Bejing Rules). Sie werden ergänzt durch Mindestgrundsätze für den Jugend-
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strafvollzug (2.4. 1991) sowie für die Prävention von Jugendkriminalität (Riyadh Guidelines,
28.3.1991). Die Mindestgrundsätze für die Jugendgerichtsbarkeit (United Nations Minimum Rules
for the Administration of Juvenile Justice) haben nicht den Charakter internationalen Rechts, sondern dienen eher als unverbindliche Empfehlungen für die Ausgestaltung des Jugendkriminalrechts
(insoweit vergleichbar den Europäischen Mindeststandards für die Behandlung von Gefangenen).
Diese sind sehr allgemein gehalten, geben aber insb. auch Einblick in die Schwierigkeiten, zu konsentierten internationalen Standards zu kommen. So legt Nr. 4 fest, daß das Alter der relativen
Strafmündigkeit nicht zu niedrig festgesetzt werden sollte, und daß bei der Definition der Jugend
die Entwicklung der emotionalen, seelischen und geistigen Reife zu berücksichtigen sei. Feste Altersgrenzen konnten offensichtlich nicht vereinbart werden. Jugendgerichtsbarkeit wird dann verstanden als wesentlicher Bestandteil eines Systems der sozialen Gerechtigkeit für Jugendliche, das
freilich auch zur Wahrung einer friedlichen Ordnung der Gesellschaft beitragen soll. In der Regelung der zuständigen Behörden werden einmal Gerichte bzw. Jugendgerichte, zum anderen Jugendverwaltung angesprochen. Damit wird der international sehr unterschiedlichen Kompetenzverteilung im Hinblick auf die Zuständigkeit für Reaktionen auf die Straftaten Jugendlicher Rechnung
getragen. Aufgegriffen werden dann die Grundsätze der Subsidiarität und der Proportionalität bzw.
Verhältnismäßigkeit, im übrigen die Verfahrensgrundsätze der Fairness und des gerechten Verfahrens. Betont wird dann der Grundsatz der Diversion, wobei für mit Auflagen versehene Diversionsmaßnahmen eine zweitinstanzliche Kontrolle vorgesehen ist. Insoweit entspricht aber das deutsche
Verfahren gem §45 JGG den Mindeststandards nicht. Gewicht wird schließlich auf die sozialarbeiterische Komponente der Jugendgerichtsbarkeit gelegt. Hier wird die Bedeutung von Qualifikation
und Ausbildung, Spezialisierung und Fortbildung betont, was einerseits in die Richtung der Entwicklung eines spezialisierten Jugendgerichtshelfers (im Gegensatz zum Vertreter der JGH, §38 II
JGG) geht, andererseits auch in eine Richtung weist, die sich mit der Praxis des §37 JGG nicht mehr
verträgt.