Kiffen für die Staatskasse

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Kiffen für die Staatskasse
SEITE DREI
Dienstag, 6. Oktober 2009
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Kiffen für die Staatskasse
In Kalifornien beginnt
die Cannabis-Ernte – für
„medizinische Zwecke“.
Schon nächstes Jahr
könnte der Anbau von
Marihuana komplett
legal sein. Gouverneur
Arnold Schwarzenegger
hofft auf die Steuereinnahmen, um seine
Finanznöte zu lindern.
Axel Gerdau über eine
Wende in der amerikanischen Drogen-Politik.
Eric Sligh (30) baut in seinem Garten
Marihuana an – legal dank Attest.
FOTOS: A. GERDAU (3), GETTY, PICTURE-ALLIANCE
R
ichard Nixon und Ronald Reagan hätten Eric Sligh gemeinsam mit Schwerverbrechern
und Terroristen ins Gefängnis
gesperrt – nur wegen seines Gartens.
Denn hinter seinem Einfamilienhaus in
Redwood Valley, einem Städtchen zwei
Autostunden nördlich von San Francisco, pflegt der 30-Jährige elf Pflanzen
mit wissenschaftlicher Sorgfalt. Er
stutzt und schneidet, wässert und
düngt. Aus den Setzlingen, die er im April unter künstlichem Licht in seinem
Wohnzimmer großgezogen hat, sind
riesige Büsche geworden, die nun zwei
Meter hoch in den Himmel ragen. Jetzt
erntet er ihre Blüten und Blätter. „Ich
rechne mit einem Ertrag von fast 20 Kilogramm“, sagt Sligh. Er baut keine
Himbeeren an. Sondern Marihuana.
Nixon und Reagan wollten mit aller
Macht gegen illegale Rauschmittel vorgehen. Der eine erklärte den „Krieg gegen Drogen“, der andere führte ihn verbissen im In- und Ausland weiter. Sie
bauten Gefängnisse, befahlen Großrazzien und ordneten Militärschläge an.
Doch der „War on Drugs“ scheint verloren zu sein. Und im liberalen Kalifornien löst sich der konservative Traum von
einem drogenfreien Amerika in Rauch
auf. Der bevölkerungsreichste Bundesstaat der USA, für sich genommen die
neuntgrößte Wirtschaftsmacht der
Welt, könnte schon im nächsten Jahr
Marihuana legalisieren.
Das entscheidende Argument für diesen Schritt lieferte dabei weder die
Heilkraft der Cannabis-Pflanze noch
die Vielzahl wissenschaftlicher Gutachten, die Marihuana als weniger gefährlich einstufen als Alkohol und Tabak.
Der Grund ist das Geld. Denn Kalifornien ist pleite – 26 Milliarden Dollar fehlten dieses Jahr im Haushalt, und die
Parlamentarier mussten tiefe Einschnitte vornehmen, genau dort, wo es
wehtut: in der Bildungs-, Gesundheitsund Kommunalpolitik. Bis zu 1,43 Milliarden Dollar, rechnen Experten vor,
könnte Kalifornien mehr einnehmen,
wenn Marihuana an Erwachsene verkauft und ähnlich besteuert würde wie
Schnaps, Alkohol und Zigaretten.
Schon heute ist der Gebrauch der Pflanze in Kalifornien, ebenso wie in 13 weiteren Bundesstaaten, zu medizinischen
Zwecken erlaubt. Eine
Politik, die unter Präsident Barack Obama
geduldet wird.
Richard Lee leitet die „Oaksterdam
University“, die alles über Cannabis lehrt.
Jose Correa kauft im „Blue Sky Cafe“
Cannabis-Kekse gegen die Schmerzen.
Der republikanische Gouverneur Arnold Schwarzenegger fordert daher,
das Thema öffentlich zu diskutieren.
Demokratische Politiker bereiten einen
Gesetzentwurf vor, der in der Landeshauptstadt Sacramento debattiert werden soll. Aktivisten
wollen bis Jahresende genügend Unterschriften sammeln, um 2010 die Legalisierung im Rahmen einer
Volksabstimmung zu erzwingen – nur für den Fall,
RISIKEN UND
NEBENWIRKUNGEN
Gouverneur Arnold Schwarzenegger
raucht heute nur noch Zigarren.
Cannabis (Hanf) wird seit Jahrtausenden als Nutz- und Heilpflanze verwendet und gehört zu den ältesten
bekannten Rauschmitteln. Hauptwirkstoff ist das Tetrahydrocannabinol
(THC). In Deutschland wird Marihuana
meist zerkleinert und mit Tabak in
einem Joint geraucht oder pur in
einer speziellen Haschischpfeife.
Gewünschte Effekte sind Entspannung und eine verbesserte Stimmungslage. Als akutes Risiko des
Cannabis-Konsums gilt, dass die
Droge die psychische und körperliche
Leistungsfähigkeit mindert, was u. a.
zur Einschränkung der Fahrtüchtigkeit
führt. Zu den mittel- und langfristigen
Risiken gehören eine psychische
Abhängigkeit sowie ein nachhaltiger
Verlust von Aktivität und Euphorie.
Die Experten der Deutschen Hauptstelle für Suchtfragen warnen außerdem, dass im Zusammenhang mit
dem Konsum von Cannabis „auch
Psychosen mit Halluzinationen und
Wahnvorstellungen“ ausgelöst werden können. (axg)
dass sich die Abgeordneten nicht eini- Oakland, der Nachbarstadt von San „War on Drugs“ hat wesentlich dazu len vorgehen will, sofern sie sich an gelgen können. Ihre Chancen stehen gut. Francisco, werden an der „Oaksterdam beigetragen, dass heute in den Verei- tendes Recht der Bundesstaaten halten.
Nach Umfragen unterstützen 56 Pro- University“ (ein Wortspiel aus Oakland nigten Staaten 25 Prozent der weltwei- Von einer Legalisierung auf nationaler
und Amsterdam), Ecke Broadway und ten Gefängnisbevölkerung hinter Git- Ebene ist Amerika noch weit entfernt.
zent der Kalifornier die Legalisierung.
Ganz anders sieht es in Kalifornien
Marihuana ist längst eine feste Größe 19. Straße, jeden Monat 250 Personen tern sitzen. Etwa 500 000 Amerikaner
in der kalifornischen Wirtschaft. Das ausgebildet. Die „Schüler“ belegen Wo- verbüßen Haftstrafen aufgrund von aus, dem Bundesstaat mit den toleranweiß auch Cannabis-Gärtner Eric Sligh, chenendkurse und 13-wöchige Abend- Verstößen gegen geltende Drogenge- testen Gesetzen. Hier scheint jeder, der
der in Mendocino County aufgewach- seminare und hören Vorlesungen zu setze – zwölfmal so viele wie 1980. Har- 150 Dollar für eine medizinische Untersen ist – der Südspitze des „Grünen Themen wie Drogenpolitik, lokale und vard-Ökonom Jeffrey Miron hat errech- suchung zahlen kann, ein ärztliches AtDreiecks“ in Nordkalifornien, zu dem nationale Gesetzgebung und Garten- net, dass US-Behörden mehr als 44 Mil- test für den Cannabis-Konsum zu erauch Humboldt County und Trinity bau. „Jeder Absolvent erhält ein Di- liarden Dollar im Jahr ausgeben, um halten. Wähler in Oakland haben entVerbote illegaler Rauschmit- schieden, dass ihre Polizei MarihuanaCounty gehören. Die Landkreitel durchzusetzen. Allein 7,7 Delikte als letzte Priorität betrachten
se sind seit den 60er-Jahren
Milliarden Dollar entfallen soll. Damit ist der Umgang mit der Drofür ihre Cannabis-Kultur be- „Die Hippies haben angefangen, in Mendocino
ge praktisch entkriminalisiert worden.
auf Cannabis-Straftaten.
kannt. „Die Hippies haben anWeil die Verkaufssteuern für mediziDoch der Anteil der amerigefangen, in Mendocino Mari- Marihuana anzubauen. Heute dreht sich hier
nisches Marihuana auf 1,8 Prozent anhuana anzubauen“, sagt Sligh. fast alles um Gras.“
Cannabis-Gärtner Eric Sligh kanischen Bevölkerung, der
Cannabis konsumiert, liegt gehoben wurden, muss Richard Lee
„Heute dreht sich hier fast alseit Jahren über zehn Pro- 50 000 Dollar zusätzlich an Steuern
les um Gras.“
Bis zu zwei Drittel der Wirtschafts- plom, das einen erfolgreichen Einstieg zent. Dabei sind die Zahlen in den Bun- zahlen. Sein „Blue Sky Cafe“, eine Ableistung in der Region hängen von Ma- in das Cannabis-Geschäft sichert“, sagt desstaaten mit liberalen Gesetzen nicht gabestelle, die er neben seiner Tätigwesentlich höher als in den strikteren keit als Oaksterdam-Schulleiter berihuana ab. Cannabis-Gärtner produ- Schulleiter Richard Lee.
Die Nachfrage ist groß. Seit Lee 2007 Staaten. „Wir haben Milliarden in den treibt, setzt jährlich drei Millionen Dolzieren in Mendocino jährlich legale und
illegale Blüten im Wert von einer Milli- in einem winzigen Seminarraum die Krieg gegen die Drogen investiert. Aber lar um. Trotzdem begrüßt er die Steuarde Dollar. In ganz Kalifornien sollen ersten 50 Schüler unterrichtet hat, ex- was haben wir erreicht?“, fragt Norm ererhöhung. „Die Stadt braucht das
es sogar 14 Milliarden sein. Damit ist pandiert Oaksterdam ständig. Mittler- Stamper. Der ehemalige Polizeipräsi- Geld, und der Entschluss ist ein weiteMarihuana das lukrativste landwirt- weile gibt es einen Campus in Los Ange- dent von Seattle ist Sprecher der Orga- rer Schritt in der Legitimation der Canschaftliche Produkt in dem Bun- les und einen zweiten etwa eineinhalb nisation LEAP (Law Enforcement nabis-Industrie.“
Einer der Hunderten von Kunden im
desstaat, der etwa 20 Prozent aller Stunden nördlich von San Francisco. Against Prohibition), einem ZusamUS-Agrarprodukte produziert. Die Auch in Michigan, wo Marihuana eben- menschluss von Polizisten, Richtern „Cafe“ ist Jose Correa. Der 60-Jährige
Umsatzzahlen sind doppelt so hoch wie falls für medizinische Zwecke genutzt und Staatsanwälten, die sich in Wa- leidet an Hepatitis C. Die Droge, die er
werden darf, bieten Oaksterdam-Ex- shington für eine drastische Liberali- am liebsten als Gebäck einnimmt, lindie des offiziellen Spitzenreiters: Milch.
In Slighs Garten wachsen derzeit elf perten Seminare an. Und im Herbst sierung der nationalen Drogengesetze dere seine Schmerzen, helfe ihm beim
Pflanzen heran. Nach lokaler Recht- zieht der Campus in Oakland in ein Ge- engagieren. „Drogen sind heute leich- Einschlafen und rege seinen Appetit an.
sprechung in Mendocino dürften es so- bäude, das mit knapp 3000 Quadratme- ter verfügbar, sie sind günstiger und Er sagt: „Die Leute rauchen doch auch,
gar 25 sein, denn sein Arzt hat Sligh tern auf drei Etagen fast sechsmal so stärker als früher“, sagt er. „Der ,War wenn sie nicht krank sind, ob verboten
oder nicht. So wie unser Gouverneur.“
on Drugs‘ ist gescheitert.“
Marihuana als Arzneimittel verschrie- viel Platz bietet wie die jetzigen Räume.
Tatsächlich hat Schwarzenegger zuDas scheint auch die neue Regierung
Die Schüler, die in der Cannabis-Uni
ben. „Gegen meine Schlafstörungen“,
sagt er und grinst. Das Attest berechtigt die Schulbank drücken, sind dabei alles so zu sehen. Der Terminus „War on gegeben, am Ende seines Films „PumSligh zum Kauf von getrockneten Can- andere als jugendliche Kiffer. Die meis- Drugs“ soll nicht mehr verwendet wer- ping Iron“ von 1977 einen Joint genabis-Blüten in staatlich lizenzierten ten stehen mitten im Leben, und viele den, verstärkt wird für Therapiepro- raucht zu haben. Auch Bill Clinton,
Abgabestellen und zum persönlichen sind auf der Suche nach einem zweiten gramme geworben. Justizminister Eric George W. Bush und Barack Obama haAnbau für den Eigenbedarf. 20 Kilo Ma- beruflichen Standbein. Wie Teri Su- Holder unterstrich im Frühjahr, dass ben mit Cannabis experimentiert. Was
rihuana gegen Schlafstörungen? „Ja“, bido. Die 45-Jährige aus San José be- die neue Regierung nicht gegen Privat- Nixon und Reagan wohl dazu gesagt
antwortet er knapp – und lächelt er- sucht die Oaksterdam-Universität drei- personen und Marihuana-Abgabestel- hätten?
neut. Der Wert seiner Ernte ist Sligh be- mal pro Woche gemeinsam mit ihrem
kannt: „Je nach Angebot und Nachfra- Mann, einem Ingenieur. „Wir überlege könnte eine solche Menge knapp gen, eine Abgabestelle für medizinisches Marihuana aufzubauen“, sagt
50 000 Dollar einbringen.“
MARIHUANA: ALLES, WAS RECHT IST
Offiziell verdient Sligh seinen Lebens- Subido, die früher als Reisekauffrau geunterhalt als Publizist der Zeitschrift arbeitet hat und seit Jahren an rheuKonsum ist nicht strafbar, jedoch verstößt
In den USA sind die Produktion und der
„Grow“. Derzeit liefert das „Nachrich- matoider Arthritis leidet.
gegen das Gesetz, wer Cannabis oder
Besitz sowie der Handel mit Marihuana,
Als die chronischen Schmerzen zu
tenmagazin der lokalen Cannabis-KulMarihuana „anbaut, herstellt, mit ihnen
den getrockneten Blüten und Blättern der
tur“ zweimal pro Jahr auf mehr als 80 groß wurden, musste Subido ihren Job
Handel treibt, sie (…) einführt, ausführt,
Cannabis-Pflanze, verboten. Allerdings
Seiten Einblicke in die Drogenwirt- aufgeben. Irgendwann hat sie sich
veräußert, abgibt, sonst in Verkehr bringt,
haben 14 Bundesstaaten Sonderregelunschaft Nordkaliforniens. Hochglanzfo- dann vom Arzt Cannabis verschreiben
erwirbt oder sich in sonstiger Weise
gen eingeführt, die den Gebrauch von
tos zeigen Cannabis-Pflanzen in voller lassen. Es war ein Akt der Verzweifverschafft“. Wer eine Menge mit sich
Marihuana zu medizinischen Zwecken
Blüte, Autoren schreiben über Razzien lung, sagt Subido, denn sie hatte große
führt, die über den Eigenbedarf hinauserlauben. Das erste Gesetz dieser Art
der Polizei auf illegalen Plantagen und Vorbehalte: „Da mein Ex-Mann sich regeht, muss mit einer Freiheitsstrafe von
wurde 1996 in Kalifornien verabschiedet.
geben Anbautipps für Hobbygärtner. gelmäßig mit Gras zugedröhnt hat, ist
bis zu fünf Jahren rechnen. Auch als
In vielen Kommunen existieren Richtlinien,
Anzeigen locken Erstkunden mit Gra- meine erste Ehe kaputtgegangen. Und
Medizin ist Cannabis lediglich in seltenen
die vorschreiben, wie viel Cannabis ein
tisangeboten und bieten Lieferungen ich habe lange versucht, meinem Sohn
Ausnahmefällen erlaubt.
Patient mit ärztlichem Attest besitzen,
für schwer kranke Patienten frei Haus. das Kiffen zu verbieten.“ Aber heute ist
Die liberalsten Cannabis-Gesetze haben
kaufen und anbauen darf. In San FrancisKritiker nennen seine Zeitschrift „Can- sie von ihrer Medizin überzeugt –
die Niederlande, Tschechien und Spanien,
co sind es bis zu 24 Pflanzen, in San
nabis-Pornografie“, sagt Sligh, doch „Nichts hilft besser gegen meine chrowo es zwar keine generelle Freigabe gibt,
Diego sind sechs ausgewachsene oder
das sei ihm egal: „Wir wollen schon nischen Schmerzen“ – und hofft, schon
kleine Mengen aber erlaubt sind. In Kanazwölf heranwachsende Pflanzen erlaubt.
bald jeden Monat ein neues Heft veröf- bald einige ihrer 13 herkömmlichen
da darf Marihuana staatlich kontrolliert zu
In Deutschland untersteht Cannabis dem
Medikamente absetzen zu können.
fentlichen. Der Markt wächst.“
medizinischen Zwecken abgegeben werBetäubungsmittelgesetz – genau wie
Die strenge Drogenpolitik findet in
Die kalifornische Cannabis-Industrie
den.
Heroin, Kokain und Ecstasy. Der bloße
ist salonfähig geworden. Im Herzen von den USA immer mehr Kritiker. Der
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