münchen - Münchner Stadtmuseum
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2012-13 | Heft 23 münchen Stummfilmtage Jean Rollin Nuri Bilge Ceylan Ulrike Ottinger Martin Scorsese Prager Frühling Das Erinnern weitertragen Rumänien Olympia 1936 Rosa von Praunheim Neapel und der Film Sonja Ziemann Jean-Marie Straub Filmemigration Denis Villeneuve Henri-Georges Clouzot FilmWeltWirtschaft Eintrittspreise 4 € (3 € für MFZ-Mitglieder). Ab 120 Minuten Filmlänge oder mit Gästen: 1 € Aufschlag. Ab 180 Minuten, mit Live-Musik oder bei 3D: 2 € Aufschlag. Die Kasse öffnet jeweils 60 Minuten vor und schließt 30 Minuten nach Beginn der Vorstellung. Bei allen öffentlichen Veranstaltungen bleibt ein Kartenkontingent für den freien Verkauf an der Abendkasse reserviert. Teilnahme an den Mitgliederversammlungen des MFZ, in denen die Programmplanungen des Filmmuseums diskutiert und Projekte entwickelt werden. Mitgliedsanträge sind an der Kinokasse erhältlich. Die Termine der nächsten Mitgliederversammlungen des MFZ stehen in der Kalenderübersicht. Weitere Informationen unter 0176/50472957 oder www.filmzentrum-muenchen.de oder [email protected]. Kartenreservierung Kartenreservierungen sind ab vier Wochen im voraus möglich und können unter der Telefonnummer 089/ 233 96450 auf Band gesprochen werden. Vorbestellte Karten müssen bis 20 Minuten vor Vorstellungsbeginn an der Kasse abgeholt worden sein, ansonsten verfällt die Reservierung. Programmabonnement Das Kinoprogramm und aktuelle Newsletter können Sie im Internet unter www.filmmuseum-muenchen.de kostenlos abonnieren. Das Programmheft wird an Mitglieder des MFZ auf Wunsch kostenlos versandt. Ansonsten bitten wir um die Zusendung eines mit 1,45 € frankierten und adressierten DIN A5-Briefumschlages an die Adresse des Filmmuseums. Kartenvorverkauf Kartenvorverkauf ist ab vier Wochen im voraus möglich. Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass unmittelbar vor Vorstellungsbeginn bei starkem Besucherandrang kein Kartenvorverkauf möglich ist. Vorverkaufte Karten behalten ihre Gültigkeit nur bis Vorstellungsbeginn. An der Abendkasse können vorverkaufte Karten bis 20 Minuten vor Vorstellungsbeginn gegen Kostenerstattung wieder zurückgegeben werden. Mitgliedschaft Wer sich für die Arbeit des Filmmuseums interessiert, kann Mitglied im Verein der Freunde des Filmmuseums München, dem Münchner Filmzentrum e.V. (MFZ) werden. Der Jahresbeitrag beträgt 20 € und berechtigt zum ermäßigten Eintritt ins Filmmuseum sowie zur Rollstuhlfahrer / Hörgeschädigte Der Kinosaal im Untergeschoss ist über einen Aufzug für Rollstuhlfahrer zugänglich. Die Behindertentoilette befindet sich im Untergeschoss neben dem Kinoeingang. Das Kino ist mit einer Induktionsschleife für Hörgerätebesitzer ausgestattet. Saalmikrofon Das Kino ist mit einem Saalmikrofon zur Kontrolle des Kinotons durch die Filmvorführer ausgestattet. Verkehrsverbindung Sie erreichen das Filmmuseum in 3 Gehminuten vom U/S-Bahnhof Marienplatz oder in 5 Gehminuten vom U-Bahnhof und der Tramhaltestelle Sendlinger Tor. »Open Scene« am Donnerstag Die Termine am Donnerstag sind teilweise für aktuelle Sonderveranstaltungen reserviert. Das Programm wird spätestens acht Tage vorher festgelegt und in den Schaukästen an der Kinokasse, im E-Mail-Newsletter, auf der Website www.filmmuseum-muenchen.de, auf Facebook, auf Twitter und durch Ankündigungen in der Tagespresse bekanntgegeben. Ausstellungen im Kinofoyer In den Schaukästen im Kinofoyer sind kleinere Fotoausstellungen zu sehen, die die Filmreihen und Kinoveranstaltungen des Filmmuseums begleiten. Impressum Landeshauptstadt München. Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München, 089/233 20538, [email protected] Redaktion: Stefan Drößler, Claudia Engelhardt, Stephanie Hausmann, Christoph Michel, Klaus Volkmer Gestaltung: Heiner Gassen, München · Druck: Mediengruppe Universal, Allach Digitalisierung, Gäste, Open Scene, Katrin Seybold In rasanten Schritten geht die Digitalisierung voran. Die Umstellungen in der Filmbranche sind massiv, Insolvenzen und Zusammenbrüche technischer Firmen verändern die Landschaft, Filmlager werden aufgelöst, die Kinos geraten als Programmanbieter immer mehr in die Defensive, und alle rätseln, wie das Handling und die Lagerung der digitalen Daten langfristig am sichersten vonstatten gehen sollte. Das digitale Fernsehen mit seinem 16:9Bildformat reduziert noch einmal die Ausstrahlung alter Filme, und die Anzahl der Blu-ray-Veröffentlichungen alter Klassiker jenseits des Mainstreams ist erschreckend gering. Die Digitalisierung bietet aber auch Chancen. Plötzlich werden Filme in optimaler Qualität verfügbar, die im Kino nur in verstümmelten Fassungen oder in minderer Bildqualität zu sehen waren. Eine Retrospektive wie die mit Filmen von Jean Rollin wäre vor Jahren undenkbar gewesen, als es noch keine Abtastungen vom ungeschnittenen Originalnegativ gab. Auch die Bandbreite des Werks von Martin Scorsese, das neben seinen Kinofilmen auch Fernsehdokumentationen, Werbefilme und Musikvideos umfasst, hätte im Filmmuseum nicht gezeigt werden können. Insgesamt bewirkt der Medienwandel durchaus Positives: Die Akzeptanz abgenutzter Filmkopien mit verrauschtem Ton, Sprüngen in Dialogen und Lücken in Handlungsabläufen, starken Farbstichen, schlechter Bildqualität und beschnittenem Bildformat hat abgenommen, niemand nimmt solche Beeinträchtigungen als unvermeidliches Übel hin, wenn er im Kino einen alten Film sieht. Das Filmmuseum hat in vielen Fällen eine analoge und eine digitale Kopie desselben Films verglichen um zu testen, welche auf der Kinoleinwand einen authentischeren Eindruck vom Film gibt. Die Ergebnisse sind eindeutig: Wenn wir nicht eine nagelneue 35mm-Kopie bekommen, ist in fast allen Fällen die digitale Kopie die bessere Alternative. Das neue Programm bietet wieder die gewohnte Mischung aus Bekanntem und Unbekanntem, Neuem und Altem, Genrekino und Autorenfilm, anspruchvollem Mainstream und innovativer Avantgarde. Wir freuen uns, Gespräche mit vielen Gästen aus den verschiedensten Bereichen anbieten zu können: Filmemacher und Schauspieler, Dokumentaristen und Kameraleute, Filmkritiker und Filmhistoriker, Zeitzeugen und Psychoanalytiker. Dazu kommen noch die kurzfristig programmierten Veranstaltungen in der »Open Scene«, über die Sie sich durch unseren E-Mail-Newsletter, über Facebook und Twitter, auf der Website des Filmmuseums und durch den Aushang in den Schaukästen an der Kinokasse informieren können. Am 6. September wird beispielsweise Thomas Weidner im Begleitprogramm zur Ausstellung »Typographie des Terrors« den Film SA-MANN BRAND (1933) vorstellen, am 13. September präsentiert Thilo Wydra seine Biografie über Grace Kelly, die zu ihrem 30. Todestag erscheint. Am 27. Juni 2012 ist Katrin Seybold verstorben. Sie war eine begeisterte Besucherin des Filmmuseums, hat dort auch viele ihrer eigenen Filme vorgestellt und für unser Programmheft noch wenige Monate vor ihrem Tod einen schönen Text über Tony Gatlif geschrieben. Wir vermissen sie sehr und werden sie 2013 mit einer umfangreichen Retrospektive würdigen. Ihr Filmmuseum 3 Stummfilmtage . . . . 6 Jean Rollin . . . . 11 Nuri Bilge Ceylan . . . . 15 Ulrike Ottinger . . . . 18 Martin Scorsese . . . . 30 Prager Frühling . . . . 39 Das Erinnern weitertragen . . . . 41 Underdox . . . . 42 Rumänien . . . . 46 Film und Psychoanalyse . . . . 48 Olympia 1936 . . . . 51 Rosa von Praunheim . . . . 55 Neapel und der Film . . . . 58 Zuschauerkino . . . . 59 Sonja Ziemann . . . . 62 Jean-Marie Straub . . . . 70 Filmemigration . . . . 77 Denis Villeneuve . . . . 80 Henri-Georges Clouzot . . . . 86 FilmWeltWirtschaft . . . . 87 Kalenderübersicht . . . . R = Regie · B = Drehbuch · K = Kamera · M = Musik · S = Schnitt · D = Darsteller · P = Produktion · OF = Originalfassung · OmU = Originalfassung mit deutschen Untertiteln · OmeU = Originalfassung mit englischen Untertiteln · OmfU = Originalfassung mit französischen Untertiteln · OmÜ = Originalfassung mit deutscher Übersetzung · dtF = deutsche Synchronfassung © = Copyright Rückblick 26. Februar 2012: München ehrt die Unterzeichner des Oberhausener Manifests. Zum Festakt im Filmmuseum kamen zusammen: Christian Doermer, Dieter Lemmel, Bernhard Dörries, Edgar Reitz, Rob Houwer, Hansjürgen Pohland, Wolfgang Urchs, Ronald Martini, Alexander Kluge und der damalige Leiter der Internationalen Westdeutschen Kurzfilmtage Oberhausen Hilmar Hoffmann. 25. April 2012: Anlässlich einer Retrospektive ihrer Filme im Rahmen des Projekts »Stimmen der Roma« waren Delphine Mantoulet und Tony Gatlif im Filmmuseum zu Gast. 22. März 2012: Dieter Wieland und Claudia Engelhardt vor den Schaukästen des Filmmuseums beim Empfang zu Ehren von Dieter Wieland anlässlich seines 75. Geburtstags. 17. März 2012: Podiumsdiskussion im Filmmuseum beim dreitägigen Symposium über den Umgang mit »Vorbehaltsfilmen« aus der NS-Zeit mit Karl Griep (Bundesarchiv), Christiane von Wahlert (Freiwillige Selbstkontrolle der Filmwirtschaft), Markus Zimmer (ConcordeFilm), Ernst Szebedits (Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung), Hans Schmid (Filmhistoriker) und Stefan Drößler (Filmmuseum München). Das Filmmuseum München beginnt sein neues Programm traditionsgemäß mit einer Auswahl von seltenen und neu rekonstruierten Stummfilmen aus dem Programm des »Bonner Sommerkinos«, des größten deutschen Stummfilmfestivals. Zur Aufführung gelangen die besten Kopien der jeweiligen Filme, oft wertvolle Unikate, für die namhafte Stummfilmmusiker neue Musikbegleitungen ausarbeiten und live aufführen. Die einzelnen Filme werden in einem separaten Programmheft vorgestellt, das an der Kinokasse ausliegt und im Internet unter www.foerderverein-filmkul tur.de zum Download bereitsteht. Die Auswahl für das Programm des Münchner Filmmuseums konzentriert sich auf Raritäten, die hier noch nicht zu sehen waren. Es sind sehr unterschiedliche Filme aus verschiedenen Ländern und Kontinenten, die die Vielfalt und hohe Qualität des Stummfilmschaffens dokumentieren. Die meisten Filmkopien sind das Ergebnis aufwändiger Restaurierungsarbeiten der internationalen Filmarchive, die in der FIAF (Fédération Internationale des Archives du Films) zusammengeschlossen sind und zu deren Mitgliedern auch das Filmmuseum München zählt. Gleich zu Beginn können Sie ein besonderes Experiment erleben: Der Schauspieler, Kabarettist und Sänger Norbert Alich wird einen Film in der Tradition eines klassischen Filmerzählers live kommentieren – eine weitgehend vergessene Praxis aus der Frühgeschichte des Kinos, die sich heute nur in Japan noch einer ungebrochenen Popularität erfreut. Stefan Drößler KAFKA VA AU CINEMA (KAFKA GEHT INS KINO) – Frankreich 2002 – R+B: Hanns Zischler – K: Ute Adamczewski, Miriam Fassbender, Hanns Zischler – 52 min, dtF – Hanns Zischler untersucht in seinem Filmessay Kafkas Kinobesuche und ihren Niederschlag in Kafkas Werk. – NICK WINTER ET LE VOL DE LA JOCONDE (NICK WINTER UND DER RAUB DER MONA LISA) – Frankreich 1911 – R+B: Paul Garbagni, Gérard Bourgeois – D: Georges Vinter – 6 min, OF – Der weltweit Aufsehen erregende Diebstahl des Gemäldes »Mona Lisa« aus dem Louvre wurde zeitnah vom Kino aufgegriffen. Franz Kafka und Max Brod sahen den Film: »Die Geschichte spielt im Louvresaal, alles trefflich imitiert, die Gemälde und in der Mitte die drei Nägel, an denen die Mona Lisa hing. Entsetzen; Herbeirufen eines komischen Detektivs; ein Schuhknopf Croumolles als falsche Fährte; der Detektiv als Schuhputzer; Jagd durch die Pariser Kaffeehäuser.« (Max Brod) – DEN HIVDE SLAVEHANDELS SIDSTE OFFER (DIE WEISSE SKLAVIN) – Dänemark 1911 – R: August Blom – B: Peter Christensen – K: Axel Graatjær – D: Clara Pontoppidan, Lauritz Olsen, Thora Meincke, Otto Lagoni – 47 min, OmÜ – Eine kolportagehafte Geschichte um internationalen Mädchenhandel. Franz Kafka sah den Film 1911 und war so beeindruckt, dass er sich für eine Episode in dem mit Max Brod konzipierten Roman »Samuel und Richard« inspirieren ließ. ▶ Donnerstag, 30. August 2012, 19.00 Uhr (Am Flügel: Joachim Bärenz, Filmerzähler: Norbert Alich, Einführung: Stefan Drößler) HYAKUNENGO NO ARUHI (EIN TAG IN 100 JAHREN) – Japan 1933 – R+B+K: Shigeji Ogino – 11 min, OmeU – Amateurfilmer Shigeji Ogino reflektiert über seine Rolle als Filmemacher und sieht verblüffenderweise den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ziemlich genau voraus. Ogino bedient sich verschiedener Tricktechniken, die er geschickt mit Realaufnahmen kombiniert. – TOKYO NO EIYU (DER HELD VON TOKYO) – Japan 1935 – R: Hiroshi Shimizu – K: Hiroshi Nomura – D: Mitsugu Fuji, Mitsuko Yoshikawa, Yuichi Iwata, Michiko Kuwano, Kôji Mitsui – 64 min, OmeU – Einer der letzten japanischen Stummfilme erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der mit seinen krummen Geschäften ins Halbweltmilieu abdriftet und seine Familie enttäuscht. Die konzentrierte Ökonomie im Einsatz filmischer Mittel bestätigt Hiroshi Shimizu als einen der großen Autoren des japanischen Kinos, der erst in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde. Sein düsterer Gangsterfilm ist gegen den Strich erzählt und erreicht dennoch eine ungewöhnliche Intensität. ▶ Freitag, 31. August 2012, 18.30 Uhr (Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald) Stummfilmtage Internationale Stummfilmtage 3 Stummfilmtage THE WEDDING MARCH (HOCHZEITSMARSCH) – USA 1928 – R: Erich von Stroheim – B: Erich von Stroheim, Harry Carr – K: Ben F. Reynolds, Hal Mohr – D: Erich von Stroheim, Fay Wray, Matthew Betz, Zasu Pitts, George Fawcett – 109 min, OF – Erich von Stroheim tern: Einem Bankräuber, einem Falschspieler und einem Pferdedieb. »Ford löst die Story in einer perfekten Balance von persönlichen und epischen Elementen auf. Die drei guten-bösen Männer können, so scheint es – so scheint es aber auch nur –, nichts ernst nehmen, schon gar nicht sich selbst.« (Janey Ann Place) ▶ Samstag, 1. September 2012, 18.30 Uhr (Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald) 4 selbst spielt in seinem Film die Hauptrolle als Spross einer heruntergekommenen Habsburger Adelsfamilie, der sich im Wien von 1914 in ein Mädchen aus einfachen Verhältnissen verliebt. Damit gerät er in Konflikt mit seinem Vater, der für seinen Sohn eine Geldheirat organisiert. »Bordellszenen mit sinnlos betrunkenen Fürsten und Hoflieferanten, Ehekuppelei der oberen Tausend, Sittenlosigkeit, Zynismus, Brutalität und Dekadenz sind von Stroheim, diesem Kenner jener Kaste, so bildhaft geworden, dass man mitunter denkt: Grosz oder Dix hätten photographiert! Stroheim scheint mitunter von einem naturalistischen Bildwollen erfüllt zusein, das an Besessenheit grenzt …« (Erich Kästner) Die Schlusssequenz vor dem Stephansdom wurde im Zweifarbtechnicolor-Verfahren gefilmt. LE VOYAGE DANS LA LUNE (DIE PHANTASTISCHE REISE NACH DEM MONDE) – Frankreich 1902 – R+B: Georges Méliès – K: Michaut, Lucien Tainguy – D: Georges Méliès, Henri Delannoy, Bleuette Bernon, Jeanne d’Alcy, Victor André – 15 min, OF – Vor 110 Jahren hatte dieser frühe Science-Fiction-Film Premiere, in dem Zauberkünstler Georges Méliès in naiver Tricktechnik im Stile Jules Vernes eine Expedition zum Mond beschreibt. – ROTAIE (SCHIENEN) – Italien 1929 – R: Mario Camerini – B: Corrado D’Errico, Mario Camerini – K: Ubaldo Arata – D: Käthe von Nagy, Maurizio D’Ancora, Daniele Crespi, Giacomo Moschini, Mario Camerini, Carola Lotti – 72 min, OmU – Ein junges Liebespaar will aus dem Leben scheiden, als es bei einem ziellosen Spaziergang eine gefüllte Brieftasche findet, mit dem Zug an die Riviera fährt und beim Rou- ▶ Freitag, 31. August 2012, 21.00 Uhr (Am Flügel: Joachim Bärenz) 3 BAD MEN (DREI EHRLICHE BANDITEN) – USA 1926 – R: John Ford – B: John Stone, nach dem Roman »Over the Border« von Herman Whittaker – K: George Schneiderman – D: Tom Santschi, J. Farrell MacDonald, Frank Campeau, George O’Brien, Olive Borden, Lou Tellegen – 91 min, OF – Der letzte Stummfilmwestern von John Ford zeigt schon all die Qualitäten auf, die seine späteren Meisterwerke auszeichnen. Vor dem Hintergrund des landrush von Dakota, als 1876 Indianergebiet zur Goldsuche und Besiedelung freigegeben wurde, wird die Geschichte von drei Banditen erzählt, die eine junge Frau retten und mit einem verbrecherischen Sheriff abrechnen. Fords Sympathien liegen ganz eindeutig bei den Außensei- lette sein Glück versucht. Die realistische Milieubeschreibung nimmt Elemente des Neorealismus vorweg, der das italienische Kino der Nachkriegszeit berühmt machte. Die verloren geglaubte originale Stummfilmfassung dieses italienischen Klassikers wurde erst jüngst von der Cineteca Italiana in Mailand restauriert. ▶ Samstag, 1. September 2012, 21.00 Uhr (Am Flügel: Joachim Bärenz) L’INHUMAINE (DIE UNMENSCHLICHE) – Frankreich 1924 – R: Marcel L’Herbier – B: Pierre MacOrlan – K: Georges Specht – D: Georgette Leblanc, Jaque Cate- ▶ Sonntag, 2. September 2012, 18.30 Uhr (Am Flügel: Joachim Bärenz) EAST SIDE, WEST SIDE (TITANIC) – USA 1927 – R+B: Allan Dwan, nach dem Roman von Felix Riesenberg – K: Teddy Pahle, George Webber – D: George O’Brien, Virginia Valli, J. Farrell MacDonald, Dore Davidson, Sonia Nodell – 90 min, OF – Der deutsche Verleihtitel lenkt die Aufmerksamkeit auf den ausführlich geschilderten Untergang eines Ozeanliners, dem sich im Film eine Nebenfigur ausgesetzt sieht. Doch im Mittelpunkt von Allan Dwans wunderbarer Hommage an die Stadt New York geht es um den Aufstieg eines jungen Mannes, der beim Wolkenkratzerboom der 1920er Jahre als Architekt und Ingenieur mitmischen will. Dabei steigt er von der ärmlichen East Side Manhattans in die bessere Gesellschaft der West Side auf. »EAST SIDE, WEST SIDE (1927) beweist, dass man selbst in einer doch eher schablonenartig konstruierten Liebes- und Abenteuergeschichte unzählige Momente wahrer Filmkunst entdecken kann.« (Thomas Vorwerk) Der Film wurde vom Museum of Modern Art mit Unterstützung der National Endowment for the Arts und The Film Foundation restauriert. ▶ Sonntag, 2. September 2012, 21.00 Uhr (Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald) DAS WEISSE STADION – Schweiz 1928 – R+B: Arnold Fanck, Othmar Gurtner – K: Sepp Allgeier, Richard Angst, Albert Benitz, Hans Schneeberger – 100 min – Der offizielle abendfüllende Film über die 2. Olympischen Winterspiele 1928 in St. Moritz. Mit Hilfe der Kameraleute Sepp Allgeier, Hans Schneeberger, Albert Benitz und Richard Angst, die sich schon bei Fancks Bergfilmen bewährt hatten, entstand ein einzigartiger, wegweisender Sportfilm. Seine Bildästhetik und Montagesequenzen, an denen auch Avantgardefilmer Walther Ruttmann mitarbeitete, wurden 1936 von Leni Riefenstahl, die in einigen Spielfilmen Fancks mitgewirkt hatte, wieder aufgegriffen und weitergeführt. Selbst die Fancks Filmen sonst sehr ablehnend gegenüberstehende Zeitschrift »Film und Volk« notierte anerkennend: »Ein Sport- und Naturfilm, aus dem der Regisseur seine unausstehliche Leni Riefenstahl samt allem ›Humor‹ weggelassen hat, und der deshalb ausgezeichnet geworden ist.« DAS WEISSE STADION wurde vom International Olympic Committee aufwändig rekonstruiert und digital restauriert. ▶ Dienstag, 4. September 2012, 18.30 Uhr (Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald) OKTJABR (ZEHN TAGE, DIE DIE WELT ERSCHÜTTERTEN) – Sowjetunion 1927 – R: Sergej M. Eisenstein – B: Sergej M. Eisenstein, Grigorij Aleksandrov – K: Eduard Tissé, Vladimir Nilsen, Vladimir Popov – M: Edmund Meisel – D: Nikolaj Popov, Vasilij Nikandrov, Boris Livanov, Eduard Tissé – 116 min, OmU – Sergej Eisenstein arbeitete an seinem Jubiläumsfilm zum Jahrestag der Oktoberrevolution so intensiv, dass er erst mit fünf Monaten Verspätung aufgeführt werden konnte. Der Film hat in unterschiedlichen Schnittfassungen überlebt, aus denen die Urfassung vom Filmmuseum München rekonstruiert wurde – inklusive einer später von Stalin entfernten Szene mit Trotzki. Edmund Meisel schrieb für den Film eine furiose Orchestermusik, die synchron eingespielt wird. »Eine Musik, die versucht, den Puls des Films rein und unmittelbar umzusetzen. Die Musik malt nicht aus, sie schafft keine zweite oder dritte Sinnebene, sondern läuft wie ein Transformator von Energien mit dem Bild.« (Bernd Thewes) ▶ Mittwoch, 5. September 2012, 18.30 Uhr Stummfilmtage lain, Philippe Hériat, Marcello Pradot, Fred Kellerman, Léonid Walter de Malte – 134 min, OmU – Das legendäre Meisterwerk von Marcel L’Herbier um eine berühmte Sängerin, die in einem ultramodernen Haus wohnt, und einen Erfinder, der in seinem futuristischen Labor Tote wieder zum Leben erwecken kann, verbindet Elemente des Science-Fiction-Films mit Stilmitteln der französischen Avantgarde der 1920er Jahre. Zu den Set-Designern des Films gehören Fernand Léger und Robert Mallet-Stevens. »Alle bisherigen Sensationen werden in den Schatten gestellt durch die Szenen, die sich anlässlich der Todeserweckung abspielen. Der Architekt – es ist Frankreichs modernster Baukünstler Mallet Stevens – hat hier mit dem Filmkünstler atemberaubende Bilder gestellt, ein hohes Lied auf die Monumentalität der modernen und utopischen Technik.« (Adolf Loos) Der Film wurde mit seinen Farbviragen vom Centre National du Cinéma in Paris restauriert. 5 Jean Rollin Die phantastischen Welten des Jean Rollin Jean Rollin bei den Dreharbeiten zu LE VIOL DU VAMPIRE 6 Jean Rollin polarisiert. Für die einen ist er der Schöpfer dilettantischer Machwerke mit amateurhaft agierenden Darstellerinnen, die als lesbisch-exhibitionistische Vampirinnen ihre Brüste entblößen, um die Löcher in den unlogischen Handlungsabläufen zu kaschieren. Für die anderen ist er der abseits des kommerziellen Erzählkinos wandelnde und deshalb häufig missverstandene Regisseur einiger Juwelen des phantastischen Films, die sich durch eine surrealistische, stets originelle und in ihrer Art unvergleichliche Bildsprache auszeichnen und traumhaft-poetische Welten der Imagination auf die Kinoleinwand zaubern. Nachdem die Rollin-Verächter lange in der Überzahl waren und die oft vernichtende Kritik bestimmten, holen die Rollin-Connaisseure inzwischen auf. Die Feuilletons großer Tageszeitungen, die Rollin früher als pathetischen Nichtskönner und »Sultan der Verderbtheit« schmähten, berichten heute wohlwollend darüber, wenn seine Filme in digital überarbeiteten Fassungen auf DVD erscheinen. Der vom British Film Institute herausgegebene »Companion to Horror« erteilt ihm den Ritterschlag der Cineasten, indem er ihn als den einzigen auteur des Horrorgenres würdigt, den Frankreich hervorgebracht hat. Rollins Karriere ist auch für Filmliebhaber interessant, die sich eher nicht für Horror und Sex-Vampire begeis- tern. Sie ist ein Prüfstein dafür, wie viel Toleranz eine Filmkultur dem scheinbar Abseitigen und dezidiert Persönlichen gegenüber aufbringt und ob Kritiker über das geeignete Instrumentarium verfügen, um ihre Vermittlungsfunktion zu erfüllen, statt das der Norm Trotzende a priori abzulehnen. Wie viel persönliche Vision verträgt der Mainstream, ohne sein Publikum zu vergrätzen? Wie viel braucht er, um nicht steril zu werden? Wie bestimmt man, ob jemand gegen die etablierten Regeln des Filmemachens verstößt, weil er sie studiert und für untauglich befunden hat oder ob er sie nicht einhalten kann, weil er sie nicht kennt? Wo verläuft die Grenze zwischen dem Kunstwillen der Avantgarde und der ganz persönlichen Kunst des Dilettanten? Und spielt das überhaupt eine Rolle, solange das Ergebnis originell ist? Das sind Fragen, mit denen man sich beim manchmal enigmatischen, gelegentlich enervierenden und immer wieder erstaunlichen und faszinierenden Werk von Jean Rollin konfrontiert sieht. Wer sich ihnen stellt, erfährt viel über den Film an sich. Jean Michel Rollin le Gentil (1938–2010), wie er mit vollem Namen hieß, stammte aus einer der Kunst zugewandten Familie und wuchs nach der Trennung der Eltern im noblen Pariser Vorort Neuilly-sur-Seine unter Frauen auf. Seine Mutter war mit Georges Bataille be- Jean Rollin romane. Das Nebeneinander von Vergangenheit und Gegenwart. Das Trügerische der Erinnerung. Die Liebe zu alten, dem Untergang geweihten Bauten, vom Schloss über die Villa auf dem Lande bis zu von der Abrissbirne bedrohten Mietquartieren im Pariser Arbeiterund Einwandererviertel Belleville. Die hypnotisch langsame Erzählweise. Und ein unheimlicher Strand, der in Rollins Filmen immer wieder auftauchen und zu seiner Seelenlandschaft werden sollte wie das Monument Valley für John Ford. Kritiker sahen darin ein Sammelsurium von Idiosynkrasien und den fehlgeleiteten Ausdruckswillen eines Dilettanten. Das greift zu kurz. Rollin schrieb das »Szenario« für den 1967 erschienenen Kult-Comic »Saga de Xam«, in dem eine Agentin von einem fernen Planeten zur Erde und dort durch Zeit und Dimensionen reist. Das gibt die Richtung für seine filmischen »Traumflüge« vor (wie er sie nennt), auf denen er falsch und richtig Erinnertes, Träume und Realität, Vergangenes und soeben Erlebtes mischt, ohne die Übergänge immer kenntlich zu machen. Im Idealfall gelingen ihm atmosphärische, von einer morbiden Melancholie durchdrungene Bilder, die aus sich selbst heraus so stark sind, dass sie sich mit anderen solchen Bildern zu einer zusätzlichen, parallel zur Handlung verlaufenden oder diese kreuzenden Bedeutungsebene verbinden. Statt mit den Mitteln des realistischen Kinos phantastische Inhalte zu erzählen, versucht Rollin in seinen Filmen, eine dem Phantastischen adäquate Form zu finden, »eine Öffnung hin zu einer 7 LE FRISSON DES VAMPIRES freundet, der dem kleinen Jean zum Einschlafen Geschichten von einem als Priester getarnten Wolf erzählte. Rollin würde später Filme mit viel Eros und religiöser Ikonographie drehen, die man auch als Märchen für Erwachsene bezeichnen könnte. Wer diese in einen kulturgeschichtlichen Zusammenhang einordnen will, hat in Batailles Schriften einen guten Ausgangspunkt. Rollin verfügte nur über rudimentäre praktische Kenntnisse, als er mit 20 Jahren seinen ersten Kurzfilm inszenierte. Nachdem er mit einem selbst finanzierten, unvollendet gebliebenen Langfilm (mit Dialogen von Marguerite Duras) seine Ersparnisse verloren hatte, entdeckte er eine Nische, die ihm einen Grad an künstlerischer Freiheit gewährte, von der renommiertere Kollegen nur träumen konnten, solange er sich an zwei simple Regeln hielt: Er musste ein fast nicht existentes Budget einhalten, und seine Darstellerinnen mussten in gewissen Abständen die Hüllen fallen lassen, damit der Produzent Abnehmer fand. Rollins erster Vampirfilm, auf dem Höhepunkt der Studentenunruhen im Mai 1968 in Paris uraufgeführt, war ein Skandalerfolg. Bei LE VIOL DU VAMPIRE deuten sich schon einige der Elemente an, die dann zu seinen Markenzeichen werden sollten: Die ungewöhnlich starken Frauenfiguren. Die meditative Mischung des Melodramatischen mit dem Bizarren. Das Anzitieren von Autoren wie Gaston Leroux und Gustave Gailhard sowie der surrealistischen, von Illustratoren wie Gino Starace gestalteten Umschläge ihrer Sensations- und Kriminal- Jean Rollin 8 Poesie des Anderswo«, wie er es im Spätwerk LA NUIT DES HORLOGES formuliert, mit dem er ein Resümee seines Schaffens zieht. Rollin war ein echter auteur: also einer, der einem Film, obwohl Produkt der Anstrengung von vielen Leuten, seinen ganz persönlichen Stempel aufdrückt. Das bestreiten nicht einmal seine Gegner. Im Nachhinein fragt man sich, warum es ihm nicht glückte, als Teil der nouvelle vague zu Ruhm und Ehre zu gelangen. Mit Truffaut, Chabrol und Godard, die alle ein paar Jahre älter als er waren, verband ihn die Lust an der Dekonstruktion überkommener Genremuster. Doch das Trennende überwog (am ehesten lässt er sich noch mit Jacques Rivette vergleichen). Rollin bewunderte den poetischen Realismus der Filme von Marcel Carné und Jacques Prévert, gegen den sich die Kritiker der Cahiers du cinéma um Truffaut polemisch abgrenzten, mischte ihn mit Horror-, Comic- und Pop-Art-Elementen, gab Surrealismus, Fetischkostüme, nackte Busen, alte Gemäuer, Geheimgesellschaften sowie Verweise auf Malerei und Literatur mit dazu, inszenierte lyrische Dialogpassagen im deklamatorischen Stil von Prévert und ironisierte diesen durch von den Darstellern improvisierte Unsinnssätze, ersetzte die psychologisch-realistische Erzählweise durch assoziative Bilderfolgen, favorisierte die episodisch offene Handlung der ciné-romans von Louis Feuillade (LES VAMPIRES) und der US-Serials der 1930er und 1940er Jahre. Für Zuschauer, die gern die eigene Phantasie walten lassen und die sich nicht am Gängelband durch eine vorgegebene Geschichte führen lassen wollen, hat diese wilde, auf Kinokonventionen keine Rücksicht nehmende Melange etwas ungemein Befreiendes. Aber sie war auch so originell, dass sie zu keiner Gruppierung passte. Rollins Filme fragen, ob die Lebenden von den Toten oder die Toten von den Lebenden träumen, ob die Toten tot sind oder die Lebenden noch nicht lebendig. Es wird nicht überraschen, dass er, selbst mehrfacher Außenseiter, den Außenseitern seine Sympathien schenkte. Aus dem gängigen Horrorpersonal suchte er sich die Vampire aus, weil sie den Menschen am nächsten sind. Oft sind Rollins Monster sogar humaner als die Menschen. Seine Vampirfrauen sind oft blind oder stumm, werden das Opfer von männlichen Übergriffen, von Umweltsünden oder von die Normabweichung nicht tolerierenden Familien, müssen sich einen Platz am Rande einer Gesellschaft erstreiten, die sie nicht haben will. Er mag Frauen, die in einer männlichen Welt wie Schwestern sind und ein auch sexuelles Verhältnis zueinander haben. Das Ungekünstelte und Laienhafte der Darstellerinnen verleiht seinen Sexszenen eine mit Unschuld gepaarte Erotik, die sie von denen anderer Regisseure unterscheidet. Dabei sind seine Frauen beileibe nicht nur Opfer und Lustobjekte. Das Rachemotiv nimmt in seinem Werk eine zentrale Stelle ein. Vermutlich war es all das, was Rollin so interessant für Ovidie machte, Frankreichs prominenteste Vertreterin des »sex-positiven Feminismus«. »Wir müssen uns der Idee hinter der offiziellen Filmgeschichte widersetzen, dieser würdevollen Prozession von ›wichtigen Werken‹, die einige der aufregendsten Filme und Filmemacher im Schatten versteckt hält«, schreibt Martin Scorsese in einem seiner Texte zu den abseits der großen Studios und der institutionalisierten Finanzstrukturen operierenden Helden der No-BudgetProduktion. »Je anrüchiger das Genre und je niedriger das Budget, desto weniger hat man zu verlieren und desto mehr Freiheit hat man, zu experimentieren und neue Bereiche auszuloten.« Kaum einer machte davon mehr Gebrauch als Jean Rollin. Holen wir ihn also aus dem Schatten. Hans Schmid LES PAYS LOINS (DAS WEITE LAND) – Frankreich 1965 – R+B: Jean Rollin – K: Gérard de Battista – D: Pascal Fardoulis, Nadine Ninio, Bernard Papineau, Ben Zimet – 17 min, OmeU – Ein Mann und eine Frau geraten in eine Parallelwelt mit babylonischem Sprachgewirr; auf der Suche nach einem Ausweg begegnen sie Schwarzafrikanern, Arabern und dem Sänger Ben ▶ Dienstag, 4. September 2012, 21.00 Uhr (Einführung: Hans Schmid) LES AMOURS JAUNES (DIE GELBEN LEIDENSCHAFTEN) – Frankreich 1958 – R+B: Jean Rollin – D: Jean Denisse, Dominique Vidal, Guy Huiban – 10 min, OmeU – Evokation der maritimen Verse des von den Surrealisten und Huysmans’ Romanfigur Jean des Esseintes (»Gegen den Strich«) hoch geschätzten Tristan Corbière; mit Zeichnungen von Fabien Loris. – LA VAMPIRE NUE (DIE NACKTE VAMPIRIN) – Frankreich 1970 – R+B: Jean Rollin – K: Jean-Jacques Renon – M: Yvon Serault – D: Caroline Cartier, Olivier Rollin, Marie-Pierre und Catherine Castel, Michel Delahaye, Ursule Pauly – 88 min, OmeU – Pierre begegnet einer Vampirfrau, die von Männern mit Tiermasken verfolgt wird, gerät an den Pariser Ableger von Robert Louis Stevensons Selbstmörderclub und findet heraus, dass sein Vater mysteriöse Blutexperimente betreibt, was ihn in ein Schloss auf dem Lande und an den Strand von Pourville führt. Am Ende steht nur fest, dass auch Geschäftsleute sterblich sind. Ein Film im Stil der alten Serials – über parallele Welten, beeinflusst von den Gemälden von Max Ernst und André Delvaux sowie von den Filmen von Georges Franju. Mit dem bei den Cahiers du cinéma als Kritiker gerade gefeuerten Michel Delahaye als Großmeister der Außerirdischen. ▶ Dienstag, 11. September 2012, 21.00 Uhr JEAN ROLLIN, LE REVEUR EGARE (JEAN ROLLIN, DER STREUNENDE TRÄUMER) – Frankreich 2011 – R+B: Damien Dupont, Yvan Pierre-Kaiser – K: Thomas Van Hoecke, Yvan Pierre-Kaiser – M: Philippe D’Aram – mit Jean Rollin, Jean-Pierre Bouyxou, Pete Tombs, Natalie Perrey, Brigitte Lahaie, Ovidie, Jean-Loup Philippe – 78 min, OmeU – Deutsche Erstaufführung eines Dokumentarfilms über Jean Rollin, der die Premiere nicht mehr miterlebte. »Was an dem Film beeindruckt, ist Rollin selbst, seine Menschlichkeit und sein Humor, sein präziser Blick und seine ehrlichen Worte über seine Filme, ihre Stärken und ihre Schwächen. Rollin ist ein Anarchist. Man erfährt, dass er seine Darsteller nicht führt, weil er es nicht mag, von jemand anderem Anweisungen zu erhalten. Sein Kino strahlt eine Art von Freiheit aus, erinnert zuweilen an Jahrmarkt, und besitzt etwas Magisches.« (Nicolas Bardot) ▶ Dienstag, 18. September 2012, 21.00 Uhr (Zu Gast: Yvan Pierre-Kaiser) LE FRISSON DES VAMPIRES (DAS ERSCHAUDERN DER VAMPIRE) – Frankreich 1971 – R+B: Jean Rollin – K: Jean-Jacques Renon – M: Acanthus – D: Sandra Julien, Jean-Marie Durand, Michel Delahaye, Jacques Robiolles, Dominique, Marie-Pierre Castel, Kuelan Herce, Nicole Nancel – 95 min, OmeU – Ein frisch verheiratetes Paar will auf der Hochzeitsreise die in einem Schloss wohnenden Cousins der Braut besuchen und erfährt, dass diese gestorben seien. Als um Mitternacht Jean Rollin Zimet, dem Bewahrer der Kultur des osteuropäischen Judentums. – LE VIOL DU VAMPIRE (DIE VERGEWALTIGUNG DES VAMPIRS) – Frankreich 1968 – R+B: Jean Rollin – K: Guy Leblond – M: Yvon Géraud, François Tusques – D: Solange Pradel, Bernard Letrou, Jacqueline Sieger, Ariane Sapriel, Eric Yan, Ursule Pauly – 90 min, OmeU – Die Geburt des nackten Kino-Vampirs. Ein Psychiater will vier in einem einsamen Landhaus lebende Frauen vom Vampirismus heilen, den er für eine Psychose hält, bis er erkennt, dass es nicht ganz so einfach ist. Ein Film, der aus der Zeit gefallen scheint und doch die Umwälzungen des Jahres 1968 reflektiert; entstanden im Umfeld des Lacan-Schülers und Psychiatrie-Rebellen Félix Guattari, dessen Klinik La Borde damals als die mögliche Keimzelle einer neuen Gesellschaft galt. Mit einer Verwaltungsangestellten der Klinik als Königin der Vampire und mit der Musik von François Tusques, dem Pionier des Free Jazz. 9 Jean Rollin 10 die mit einem Ketten-Kostüm bekleidete, hinter Vorhängen und aus Standuhren auftauchende Vampirin Dominique erscheint und die Braut verführt, wird klar, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht. Eine Vampirfilm-Parodie mit experimenteller Farbgestaltung, Hippie-Vampiren, einer Verneigung vor René Magritte und einem Showdown am Strand von Pourville. ▶ Dienstag, 2. Oktober 2012, 21.00 Uhr LA ROSE DE FER (DIE EISERNE ROSE) – Frankreich 1973 – R+B: Jean Rollin – K: Jean-Jacques Renon – M: Pierre Raph – D: Françoise Pascal, Hugues Quester, Natalie Perrey, Mireille Dargent – 85 min, OmeU – Rollins Version von Luis Buñuels EL ANGEL EXTAMINADOR (DER WÜRGEENGEL) ist sein poetischster Film – und war sein größter kommerzieller Misserfolg. Eine junge Frau und ein junger Mann streifen durch den Friedhof von Amiens und können den Ausgang nicht mehr finden. Ein Friedhof, sagt Rollin in einem Interview, sei für ihn wie eine gigantische Steinskulptur. Der ideale Ort für eine Meditation über die Jugend und das Alter, das Leben und den Tod sowie darüber, was wir dem Sterben entgegenzusetzen suchen. ▶ Dienstag, 9. Oktober 2012, 21.00 Uhr LES DEMONIAQUES (DIE DÄMONISCHEN) – Frankreich 1974 – R+B: Jean Rollin – K: Jean-Jacques Renon – M: Pierre Raph – D: Joëlle Cœur, John Rico, Lieva Lone, Patricia Hermenier, Louise Dhour, Willy Braque, Paul Bisciglia – 95 min, OmeU – »Ein expressionistischer Film« (Vorspann), im Geiste des Marquis de Sade. Zwei schiffbrüchige Schwestern werden von Strandpiraten überfallen, schließen in der Ruine eines Klosters einen Pakt mit dem Teufel und kehren als Geister wieder, um sich zu rächen. Mit Joëlle Cœur als sadistischer femme fatale sowie einer Hommage an Fritz Lang, dessen MOONFLEET einer von Rollins Lieblingsfilmen war. Poesie zwischen Halluzination und Banalität. ▶ Dienstag, 16. Oktober 2012, 21.00 Uhr LEVRES DE SANG (BLUTIGE LIPPEN) – Frankreich 1975 – R: Jean Rollin – B: Jean Rollin – K: Jean-François Robin – M: Didier William Lepauw – D: Jean-Loup Philippe, Annie Belle, Natalie Perrey, Marie-Pierre und Catherine Castel, Martine Grimaud, Serge Rollin – 88 min, OmeU – Die surreale Geschichte einer amour fou. Frédéric hat Visionen von einer sinnlichen jungen Frau, der er als Kind in einer Burg begegnete. Als er ein Foto der Burg sieht und bald danach auch die junge Frau, die seit seiner Kindheit nicht gealtert scheint, begibt er sich auf eine Suche, in deren Verlauf er eine Gruppe von Vampirinnen freisetzt, auf ein finsteres Familiengeheimnis stößt und zum Château-Gaillard gelangt, wo einst, im ciné-feuilleton von Louis Feuillade, Judex sein Hauptquartier hatte. Ein Film über die Magie des Kinos, über die Entdeckung der Sexualität, über verlorene Erinnerungen und darüber, wie es ist, wenn man sie wiederfindet. ▶ Dienstag, 23. Oktober 2012, 21.00 Uhr FASCINATION (FASZINATION) – Frankreich 1979 – R: Jean Rollin – B: Jean Rollin – K: Georgie Fromentin – M: Philippe d’Aram – D: Franca Maï, Brigitte Lahaie, Jean-Marie Lemaire, Myriam Watteau, Fanny Magier – 80 min, OmeU – Rollin lässt seine Figuren gern in steinernen Zeugen der Vergangenheit wie Burgen und Friedhöfen agieren. Hier siedelt er die gesamte Geschichte in einer untergegangenen Epoche an. 1905. Ein Bandit auf der Flucht findet Unterschlupf in einem Wasserschloss, wo sieben Frauen einen Blutkult zelebrieren. Frankreichs Erotik-Ikone Brigitte Lahaie als Sensenfrau. Inspiriert von Joseph-Ferdinand Gueldrys Gemälde »Die Bluttrinker« und YELLOW SKY, einem Western von William Wellman. Kurzum: Auch ohne Vermischung von Zeitebenen und Dimensionen ein echter Rollin. ▶ Dienstag, 30. Oktober 2012, 21.00 Uhr Nuri Bilge Ceylan Dreharbeiten BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA: Nuri Bilge Ceylan, Gökhan Tiryaki Retrospektive Nuri Bilge Ceylan 11 Nuri Bilge Ceylan (geboren 1967) ist ein Filmemacher, der als Fotograf begann. Diese Tatsache wurde oft schon zu einem wesentlichen Schlüssel für sein Werk gemacht, aus guten Gründen. Denn in diesen sechs Langfilmen und einem Kurzfilm, die bisher vorliegen, ist ein Blick auf die Welt zu erkennen, der in zweierlei Hinsicht fotografisch strukturiert ist: die Bilder sind so verfasst, dass sie sich eher einer allmählichen Entzifferung preisgeben als einer sofortigen Erfassung (der Faktor Zeit wird gegenüber der Bewegung privilegiert); und der Ton tritt zu diesen Bildern in einer Weise hinzu, die ihrer ursprünglichen Stummheit noch zu entsprechen scheint. Nicht von ungefähr war sein erster (Kurz)Film KOZA noch ohne Dialog – eine Meditation über das Verstreichen der Zeit, die von alten Fotografien ihren Ausgang nahm. Schon hier bleiben wesentliche Momente einer möglichen Geschichte unausdrücklich; man kann sich davon eine Vorstellung machen, aber die Hinweise sind spärlich. Überreich ist hingegen die Zeichenwelt in KOZA. Die Welt spricht, aber sie spricht in Rätseln. Sie ist durchlässig für die Träume, die in Bildern sprechen, die ein Rätsel darstellen, das Rätsel der jeweils eigenen Identität. Von KOZA bis zu BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA (ONCE UPON A TIME IN ANATOLIA) hat Nuri Bilge Ceylan eine enorme Entwicklung durchgemacht, ohne sein Vorgehen im Kern allzu stark verändert zu haben. Er hat nur die erzählerischen Möglichkeiten entscheidend erwei- tert: Das, was sich aus den vielen, für nicht-türkische Zuschauer häufig gar nicht erkennbaren, Details ergibt, sind Situationen, in denen das Universale des menschlichen Geschichtenerbes mit den konkreten Umständen der Türkei in der gegenwärtigen Epoche der Transformation vermittelt wird. Dass er schon im Titel seines jüngsten Films ausdrücklich Anatolien ins Spiel bringt, also das Hinterland der türkischen Metropolen Istanbul und Ankara, ist dabei ein Programm, das sich durch das Werk zieht. In einem Land ohne ein nennenswertes bürgerliches Milieu sind auch die meisten Intellektuellen und Künstler noch stark mit ihrer ländlichen Herkunft verbunden, durch Familienmitglieder (wie in UZAK) oder durch Projekte wie das des Filmemachers Muzaffer, der in MAYIS SIKINTISI (BEDRÄNGNIS IM MAI) in sein Dorf zurückkehrt, um dort einen Film zu machen. Dem Verhältnis von Film und Fotografie setzt Nuri Bilge Ceylan dabei noch ein anderes Bilderverhältnis entgegen: Die Provinz ist in der Türkei auch der Ort populärer Fernsehserien, in denen das Landleben idealisiert wird und die Traditionen, die in der Stadt brüchig werden, kulturindustriell noch einmal durchgearbeitet werden – als Beschwernisse in einer melodramatischen Erzählung, aber auch als Identitätsanker in schwierigen Genealogien. In IKLIMLER (JAHRESZEITEN) finden wir die weibliche Hauptfigur am Ende in einer winterlichen Landschaft weit im Osten bei den Dreharbeiten zu einer solchen Nuri Bilge Ceylan UZAK 12 populären Serie, während die männliche Hauptfigur zwischen Stadt und Land, zwischen promisker Sexualität und Paarbeziehung verloren gegangen ist. Dieser einsame Mann, den Nuri Bilge Ceylan selbst spielt (und für den er keine Sympathien zu schinden versucht) ist Fotograf, wie auch schon die Hauptfigur in UZAK (WEIT). Zieht man dann noch in Betracht, dass Ceylans Ehefrau Ebru in IKLIMLER die zweite Hauptrolle spielt, dann entsteht aus all diesen Figuren so etwas wie ein autobiographischer Knoten in Ceylans Werk, der allerdings nicht auf die Geheimnisse der eigenen Biographie zielt, sondern auf das repräsentative Element, das darin begriffen liegt: Die Bewegung, die jemand durchmacht in seiner Distanzierung von Ursprungsmotiven, ist die einer Kunst, die auf Welterschließung hinausläuft, bei gleichzeitiger Entfremdung durch Kontemplation. Ceylans Werk ist geprägt von beobachtenden Figuren, Männern vor allem, die in ihrer Reflexivität gefangen zu sein scheinen. Dem stehen gelegentliche Ausbrüche von Sinnlichkeit entgegen wie die wilden Liebesszenen in IKLIMLER, denen aber alles Erlösende fehlt. In ÜC MAYMUN (DREI AFFEN) wird Ceylans Ästhetik der Beobachtung besonders konkret mit gesellschaftlichen Umständen in Zusammenhang gebracht. Dialoge spielen kaum eine Rolle, gesprochen wird nur das, was im Alltag unumgänglich ist. Stattdessen blicken wir immer wieder lang in die verschlossenen Gesichter der Protagonisten, dazu hören wir, wie Türen knarren oder sich über dem Meer ein Gewitter zusammenzieht. Der Politiker Servet, der einen Unfall zu vertuschen sucht, ist die Figur, die all das auf sich zieht und damit zur mächtigen Bezugsperson, aber auch irgendwie zum Sündenbock wird. Die drei Affen, von denen im Titel die Rede ist, sind drei Menschen, die nicht so sehr vor der Wirklichkeit die Augen und Ohren und den Mund verschließen, sondern die sich aus der Wirklichkeit ausschließen, weil sie lieber in der stummen Welt ihres Rückzugs leben, in der Welt einer Resignation, von der offen bleibt, ob der stilbewusste Regisseur sie ihnen aufzwingt oder ob er sie so zeigt, weil er die Augen vor der türkischen Realität nicht verschließen will. Diese in ÜC MAYMUN spürbare, latente Gefahr einer Gefangensetzung der Figuren in einem formalen Konzept lässt Ceylan in BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA souverän hinter sich. In diesem seinem bisherigen Hauptwerk finden die Themen und Strategien zu einer großen Erzählung zusammen, die sich aber als solche geradezu versteckt in den Einzelheiten, von denen das Bild und die Dialoge erzählen. Ein Mord ist geschehen, zwei Verdächtige wurden festgenommen, nun geht es darum, bei einem Lokalaugenschein die Leiche zu finden. In dieser langen Nacht, in der eine Gruppe von Polizisten und Justizbeamten mit den beiden Tätern durch die Landschaft irrt, wird ein ganzes Panorama der türkischen Gesellschaft erkennbar, allerdings weitgehend indirekt: Es setzt sich zusammen aus den kleinen Unterschieden zwischen den Figuren. Unterschiede, auf die diese manchmal geradezu erpicht sind, aber auch solche, über die sie sich nicht hinwegsetzen können. In einem gewagten Manöver radikaler Andeutung verleiht Ceylan der Geschichte am Ende noch eine KOZA – Türkei 1995 – R+B+K: Nuri Bilge Ceylan – D: Fatma Ceylan, Mehmet Emin Ceylan, Turgut Toprak – 20 min, ohne Dialog – Zwei alte Leute leben in der Natur. Auf den Fotografien, die zu Beginn zu sehen sind, sind sie jung und einträchtig, ein Paar, das sich gemeinsam der Kamera darbietet. In den Szenen, die darauf folgen, sind sie mit sich allein, aber doch immer noch aufeinander bezogen. Und diese Bezogenheit ist das Geheimnis des Films, der immer wieder minutenlang durch die Wälder streift, zu Musik von Bach oder des russischen Komponisten Artemjev. – KASABA (DIE KLEINSTADT) – Türkei 1997 – R+B+K: Nuri Bilge Ceylan, nach einer Geschichte von Emin Ceylan – D: Mehmet Emin Toprak, Havva Saglam, Cihat Butun, Mehmet Emin Ceylan, Fatma Ceylan – 86 min, OmU – Die vier Jahreszeiten in einem türkischen Dorf, das nur geografisch fern vom Zentrum liegt: Die Schule, mit der die Bewegung des Films im Winter beginnt, dient der Integration in ein Gemeinwesen, das die beiden Kinder vorerst nur abstrakt begreifen können. KASABA ist eine politische Pastorale, ein Initiationsritus, der sich am natürlichen Kreislauf orientiert, diesem aber ein gesellschaftliches Ziel gibt. ▶ Mittwoch, 5. September 2012, 21.00 Uhr MAYIS SIKINTISI (BEDRÄNGNIS IM MAI) – Türkei 1999 – R+B+K: Nuri Bilge Ceylan – D: Mehmet Emin Ceylan, Muzaffer Özdemir, Fatma Ceylan, Mehmet Emin Toprak – 131 min, OmeU – Eine weitere Geschichte vom Land: Der Filmemacher Muzaffer, ein deutliches Alter ego von Ceylan, begibt sich in das Dorf seiner Herkunft, um dort mit den Menschen vor Ort einen Film zu machen. Zur Hauptfigur wird sein Vater, der mit den Behörden einen Kampf gegen die Abholzung eines Pappelhains führt. Gedreht in derselben Gegend wie KASABA, ist MAYIS SIKINTISI reich an autobiographischen Bezügen, die aber auf eine universale Ebene gehoben werden. Durch die Widmung an Tschechov (an dessen »Kirschgarten« man hier denken könnte) und durch die unübersehbaren Anleihen vor allem beim iranischen Kino stellt Ceylan hier sein Werk erstmals in einen konkreten ästhetischen Zusammenhang. Er ist ein Regisseur des Ostens, der aber nicht orientalisiert. ▶ Mittwoch, 12. September 2012, 21.00 Uhr UZAK (WEIT) – Türkei 2002 – R+B+K: Nuri Bilge Ceylan – D: Muzaffer Özdemir, Mehmet Emin Toprak, Zuhal Gencer Erkaya, Nazan Kirilmis – 110 min, OmU – Auf eine pessimistische Weise ist UZAK der komischste Film von Ceylan: Zwei Männer, die sich den beschränkten Raum einer Wohnung in Istanbul teilen müssen. Der Fotograf Mahmut ist schon lange in der Stadt, er hat es geschafft und sich ein Leben geschaffen, während der jüngere Yusuf sich unter Berufung auf die familiäre Verbindung bei ihm einquartiert hat und nun seinerseits in Istanbul nach einem Leben sucht. Ein Film über misstrauisches Beobachten, über Beschattung und Erkundung, und über die sexuellen Bedürfnisse Nuri Bilge Ceylan tragische Note: Die persönlichen Zwecke liegen eben manchmal mit allgemeineren im Streit. Diese aporetische Urerfahrung der Moderne, die ihre Wurzeln allerdings schon in der griechischen Tragik hat, wird in BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA gewissermaßen »inkulturiert«. Im Weltkino sind es gerade Nationen, die sich in großen Veränderungsprozessen befinden, die in Autoren der Beobachtung ihre Chronisten gefunden haben: Jia Zhangke in China, Cristi Puiu in Rumänien, Nuri Bilge Ceylan in der Türkei – das sind die prononciertesten Registrierer. Man könnte sie als Geschichtsschreiber der Gegenwart begreifen. Sie beobachten das Geschehen, dessen Zeugen sie sind, mit einem Blick, der die Gegenwart durchsichtig macht für das, was an ihr essentiell ist. Dass dieses Essentielle häufig gerade in Details liegt, die man bei einem weniger fotografisch strukturierten Blick leicht übersehen könnte, ist eine Pointe, die Ceylans Werk einen Schein von Unendlichkeit verleiht. Bert Rebhandl 13 einsamer Männer, die sich wortlos und unausdrücklich um das den ganzen Film hindurch zentral positionierte Fernsehgerät streiten. Der für Ceylan konstitutive Gegensatz zwischen Stadt und Land ist in UZAK in die Stadt eingewandert. Nuri Bilge Ceylan ▶ Mittwoch, 19. September 2012, 21.00 Uhr IKLIMLER (JAHRESZEITEN) – Türkei 2006 – R+B: Nuri Bilge Ceylan – K: Gökhan Tiryaki – D: Nuri Bilge Ceylan, Ebru Ceylan, Nazan Kesal, Mehmet Eryilmaz – 101 min, OmU – Eine Liebe in Ruinen. Nuri Bilge Ceylan spielt selbst den verspäteten Akademiker Isa, der zu Beginn mit seiner Partnerin Bahar an einer Ausgrabungsstätte nach fotografischen Motiven sucht. Nach Motiven auch für eine Fortsetzung dieser Beziehung, aus der er sich längst in eine brütende Selbstbezüglichkeit davongemacht hat. Ceylan erzählt einmal mehr von den Jahreszeiten und führt eine vergehende Liebe allmählich in eine nicht mehr offene Zukunft: Der Sommer weicht dem Herbst, im Winter ist Bahar auch geografisch schon weit weg von Isa, und der Gegensatz zwischen Stadt und Land (wo eine populäre Fernsehserie gedreht wird) wird zur Figur für eine urban konnotierte Entfremdung, die auch in den stereotypen Szenen der Seifenoper keine Erlösung findet. 14 ▶ Mittwoch, 26. September 2012, 21.00 Uhr BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA ÜC MAYMUN (DREI AFFEN) – Türkei 2008 – R: Nuri Bilge Ceylan – B: Ebru Ceylan, Ercan Kesal, Nuri Bilge Ceylan – K: Gökhan Tiryaki – D: Yavuz Bingöl, Hatice Aslan, Ahmet Rifat Şungar, Ercan Kesal – 109 min, OmU – Der Chauffeur Eyüp geht für seinen Chef, einen lokalen Politiker, nach einem Unfall ins Gefängnis, die Familie bekommt während dieser Zeit eine regelmäßige Summe Geld, am Ende soll es einen größeren Betrag geben, zur endgültigen Begleichung der verschobenen Schuld. Während Eyüp im Gefängnis sitzt, lebt sein Sohn Ismail ziellos in den Tag hinein. Er schläft viel, wenn seine Mutter Hacer ihn darauf anspricht, weicht er aus und läuft davon. Hacer wiederum findet ihre eigene Beziehung zu dem Machtmenschen, der hier eine ganze Familie im übertragenen Sinn in seine Gewalt bringt. Ceylans am meisten stilisierter Film, gedreht in Istanbul mit ständigem Blick auf das Meer, fällt ein wenig aus dem Gesamtwerk heraus, und zielt am stärksten auf eine konkrete Kritik der sozialen Verhältnisse. ▶ Mittwoch, 3. Oktober 2012, 21.00 Uhr BIR ZAMANLAR ANADOLU’DA (ONCE UPON A TIME IN ANATOLIA) – Türkei 2011 – R: Nuri Bilge Ceylan – B: Ebru Ceylan, Nuri Bilge Ceylan, Ercan Kesal – K: Gökhan Tiryaki – D: Muhammet Uzuner, Yilmaz Erdogan, Taner Birsel, Ahmet Mümtaz Taylan – 157 min, OmU – In einem Dorf in Anatolien ist ein Mord geschehen. Zwei Verdächtige sind festgenommen worden, nun sollen sie gemeinsam mit Vertretern der einschlägigen Behörden (Polizisten, Staatsanwaltschaft, ein Arzt, Fahrer) bei einem Lokalaugenschein die Leiche bergen. Doch die Suche zieht sich hin, von den Mördern ist nur einer wirklich ansprechbar, ob er sich nicht erinnern kann oder nur Zeit gewinnen will, ist nicht gleich klar. Ceylan gewinnt dadurch die Zeit für eine detail- und beziehungsreiche Erzählung, die am Ende mit der Andeutung eines ungeheuren Geheimnisses alles noch einmal in ein anderes Licht stellt. ONCE UPON A TIME IN ANATOLIA ist ein Höhepunkt des impliziten Erzählens, das zu den wichtigsten Charakteristiken des avancierten Weltkinos geworden ist. ▶ Mittwoch, 10. Oktober 2012, 19.00 Uhr Landschaften und Gesichter, Farben, Formen und Räume, vor allem die Schönheit fremder Kulturen und Mythologien prägen das einzigartige Werk von Ulrike Ottinger. Die Malerin und Fotografin, Kamerafrau, Autorin, Regisseurin und Produzentin von rund zwanzig großen Spiel- und Dokumentarfilmen erkundet seit vierzig Jahren einen eigenwilligen Bilderkosmos, der an die Moderne des frühen zwanzigsten Jahrhunderts anknüpft und beständig neu die Fragen nach Norm und Abweichung, Vorgefundenem und Inszeniertem, Objektwelt und Imagination stellt. Ulrike Ottingers Filme, ihre Fotografien, Installationen und Bücher feiern die Lust an Expeditionen ins Unbekannte, erforschen die Terrains möglicher Metamorphosen und dokumentieren mit unpathetischer Grandezza, wo auch in der Gegenwart die sieben Weltwunder zu finden sind. »Als Avantgardistin habe ich mich selbst nie gefühlt, aber die Reaktion eines Teils der Kritik hat mich dazu gemacht. Für mich war selbstverständlich, dass ich so gearbeitet habe«, beschreibt die siebzigjährige Künstlerin in einem Interview ihre Position innerhalb des deutschen Autorenfilms. Seit ihrem ersten experimentellen Spielfilm LAOKOON UND SÖHNE – DIE VERWANDLUNGSGESCHICHTE DER ESMERALDA DEL RIO (1972) arbeitet Ulrike Ottinger an einem Gesamtkunstwerk, in dem sich ihre eigenen fotografischen, grafischen und collagierten Bilder mit ethnografischen, kunsthistorischen und literarischen Inspirationen kreuzen und durchdringen. Mit der Gender-Maskerade DIE BETÖRUNG DER BLAUEN MATROSEN (1975), dem Piratinnen-Märchen MADAME X – DIE ABSOLUTE HERRSCHERIN (1977) und BILDNIS EINER TRINKERIN (1979) entwickelte Ulrike Ottinger, damals gemeinsam mit der Zeichnerin, Szenenbildnerin, Muse und Protagonistin Tabea Blumenschein, ihre eigene künstlerische Handschrift. Die Trilogie der Berlin-Filme BILDNIS EINER TRINKERIN, FREAK ORLANDO (1981) und DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE (1984) ist als surrealistischer Kommentar auf die grotesken Freiräume, die das von der Mauer umgebene Westberlin darstellte, zu einem Klassiker des deutschen Autorenfilms geworden. Seit 1973 lebt die Künstlerin in Berlin. 1942 in Konstanz als Tochter eines Malers und einer Übersetzerin geboren, studierte Ulrike Ottinger zunächst in München Kunst und setzte danach bis 1969 ihre Arbeit als Malerin und Grafikerin in Paris fort, wo sie neben ethnologischen und kulturwissenschaftlichen Vorlesungen an der Sorbonne die Filmprogramme der Cinémathèque Française zur Schule ihrer ästhetischen Vorlieben machte. Die Gründung eines Avantgarde-Programmkinos und einer Galerie Anfang der 1970er Jahre in ihrer frisch zur Universitätsstadt avancierten Heimatstadt Konstanz schärfte ihr Gespür für die Korrespondenzen zwischen Grafik, Fotografie und Film. Ulrike Ottingers bildmächtige Sehnsucht nach Expeditionen in die asiatischen Kulturen, die einen weiteren großen Zyklus ihrer Arbeit prägt, rekurriert auf Kindheitserzählungen und die Bücher-, Bilder- und Skulpturensammlungen ihrer ethnologisch interessierten Vorfahren. Lange vor dem heute zum Allgemeingut gewordenen Interesse an China zog sie zu ihren großen Reisen nach China, in die mongolische Taiga, später nach Japan und Korea aus. Filme über die west/östlichen Traditionsrouten auf dem Balkan und am Schwarzen Meer kamen hinzu. Ihre z. T. mehrstündigen Filmessays CHINA. DIE KÜNSTE, DER ALLTAG (1985) und TAIGA (1992), auch der Spielfilm JOHANNA D’ARC OF MONGOLIA (1989) und die dokumentarische Spurensuche nach dem Überleben jüdischer Holocaust-Flüchtlinge in EXIL SHANGHAI (1997) sind die markantesten Beispiele ihrer bis in die Gegenwart nicht versiegenden Faszination für die lebendige Tradition östlicher Lebenskunst. Ulrike Ottinger Hommage à Ulrike Ottinger 15 Ulrike Ottinger PRATER 16 Anders als die meisten Filmemacherinnen, die in den 1970er Jahren begannen, ihre Anerkennung im männlich dominierten Neuen deutschen Film zu reklamieren, setzte sich Ulrike Ottinger konsequent vom autobiografisch gefärbten Kino des feministischen Diskurses ab. Konsequent löste sie das Narrativ des Identifikationskinos auf und gewann mit ihrer Bildsprache früh große Aufmerksamkeit im internationalen Festival- und Kunstkontext. Ulrike Ottinger, die mit zahlreichen internationalen Preisen ausgezeichnet wurde, steht für ein kinematographisches Universum, in dem hermetisch schöne Frauen in Matrosinnen, Piratinnen, Amazoninnen und weibliche Dandies verwandelt sind und Oscar Wildes Dorian Gray und Virginia Woolfs Orlando als cineastische Schaubilder der Gender-Transgression wiederkehren. Mit Darstellerinnen wie der UndergroundIkone Magdalena Montezuma, dem Nouvelle-VagueStar Delphine Seyrig und dem Zeitgeist-Model Veruschka von Lehndorff schuf sie Chiffren einer eigentümlich diesseitigen Absolutheit. Eine statuarische Aura umgibt ihre Frauenbilder, in großen Tableaus und Landschaftspanoramen entgrenzen sich die Bildräume ihrer Filme. Gleich ob in BILDNIS EINER TRINKERIN eine elegante Nacht-Diva auf eine enthemmte Alkoholikerin trifft oder in ihrem jüngsten Film-Essay UNTER SCHNEE (2011) die freundlichen Geister des japanischen Kabuki-Theaters durch eine wundersam verschneite japa- nische Bergregion driften, Ulrike Ottingers Filme spielen mit dem Staunen und der Lust am stilvollen Zusammenprall des Inkompatiblen. Claudia Lenssen BILDNIS EINER TRINKERIN – BRD 1979 – R+B+K: Ulrike Ottinger – M: Peer Raben – D: Tabea Blumenschein, Christine Lutze, Magdalena Montezuma, Nina Hagen, Kurt Raab, Monika von Cube – 107 min – Ein altes Hotel am Berliner Kurfürstendamm wird zum morbide dekorativen Rückzugsort für zwei rebellische Trinkerinnen. Die schöne stumme Wiedergängerin weiblicher Ikonen à la Medea, Beatrice, Aspasia, ein Überweib großer Hollywood-Gestik und ihre vom Alkohol gezeichnete obdachlose Gefährtin entgleiten dem kontrollierten Rausch. ▶ Freitag, 7. September 2012, 18.30 Uhr FREAK ORLANDO – BRD 1981 – R+B+K: Ulrike Ottinger – M: Wilhelm Dieter Siebert – D: Magdalena Montezuma, Delphine Seyrig, Albert Heins, Galli Müller, Eddie Constantine, Claudio Pantoja – 126 min – Ein »Kleines Welttheater«, ein szenisches Schauderkabinett der monströsen Geschichte der Zivilisation, in der »Freaks« dem Wahnsinn und der Grausamkeit ausgesetzt waren. Fünf Episoden surrealer Visualisierung der Dialektik von Norm und Abweichung. ▶ Samstag, 8. September 2012, 18.30 Uhr PRATER – Österreich 2007 – R+B+K: Ulrike Ottinger – Mit Veruschka von Lehndorff, Peter Fitz, Elfriede Jelinek, Robert Kaldy-Karo – 107 min – Eine liebevolle Spurensuche nach den Schau-Kabinetten, Geisterbahnen und Grusel-Figurinen auf dem Prater-Gelände in Wien. »Das Faszinierende an diesem Ort ist, wie Geschichte, eigentlich die Kulturgeschichte der Vergnügungen, quer zu Ständen, sozialen Schichten, Zeitgeist, Moden, technischen Entwicklungen und Erfindungen, in frappierender Weise sichtbar wird.« (Ulrike Ottinger) ▶ Freitag, 14. September 2012, 18.30 Uhr DIE KOREANISCHE HOCHZEITSTRUHE – Deutschland 2009 – R+B: Ulrike Ottinger – K: Ulrike Ottinger, Lee ▶ Samstag, 15. September 2012, 18.30 Uhr Ulrike Ottinger ▶ Sonntag, 9. September 2012, 18.00 Uhr Sunyoung – M: Kim Youngdong, Kim Soyoung – Mit Kim Keum-Hwa, Boseong, Kim Minja, Ahn Baekseung, Yun Minkyung – 82 min – Nach koreanischer Tradition erhält ein Brautpaar eine »nach alten Regeln sorgfältig gepackte, verpackte und verschnürte Holztruhe« (Ottinger). Der in Seoul entstandene Film-Essay folgt im Gestus einer Märchenerzählung den alten und neuen Ritualen koreanischer Hochzeitsfeierlichkeiten. UNTER SCHNEE – Deutschland 2011 – R+B+K: Ulrike Ottinger – M: Yumiko Tanaka – Mit Takamasa Fujima, Kiyotsugu Fujima, Yumiko Tanaka, Yoko Tawada, Hiroomi Fukuzawa, Akemi Takanami – 108 min – In der japanischen Bergregion Echigo liegt oft bis in den Mai hinein hoher Schnee. Der Film schildert die Poesie der Feste, religiösen Rituale und erlesenen Speisenzubereitungen der Alltagskultur, die für die Menschen der Region charakteristisch ist. Zwei Kabuki-Darsteller folgen den Spuren des japanischen Autors Bokushi Suzuki in Episoden seines Märchens »Schneeland Symphonie«. 17 ▶ Sonntag, 16. September 2012, 18.30 Uhr Die Filmvorführungen stehen in Zusammenhang mit einer Ausstellung in der Sammlung Goetz zu Ulrike Ottingers 70. Geburtstag, in deren Mittelpunkt bis zum 6. Oktober 2012 ihre Installation FLOATING FOOD zu sehen ist. UNTER SCHNEE DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE – BRD 1984 – R+B+K: Ulrike Ottinger – M: Peer Raben – D: Veruschka von Lehndorff, Delphine Seyrig, Tabea Blumenschein, Irm Hermann, Magdalena Montezuma, Toyo Tanaka – 152 min – Veruschka von Lehndorff als weiblicher Dr. Mabuse, die Virginia Woolfs Gender-Mutanten Dorian Gray neu erfindet, sich am Ende jedoch »mit der Phantasmagorie der vollkommenen Herrschaft über ihr Medienprodukt« betrügt. »Eine Gefangene des eigenen Wahns, ein Opfer technisch angezettelter Gefühle.« (Karsten Witte) Martin Scorsese Martin Scorsese und Michael Ballhaus bei den Dreharbeiten zu THE DEPARTED Martin Scorsese zum 70. Geburtstag 18 Das Kino als Schmelztiegel Kein anderer Regisseur scheint derart von der Freigebigkeit des Kinos überzeugt wie Martin Scorsese. Die Filmgeschichte birgt für ihn Reichtümer, an denen er sich ausgiebig bedienen kann. Seine prunkende Cinéphilie ist Ernte und Saat zugleich. Er versteht es wie kein zweiter Überlebender der ruhmreichen Epoche des New Hollywood, das neu zu erfinden, was er an seinen Vorbildern bewunderte und das Gelungene noch zu überbieten. Andere Filmemacher würden gewiss haushälterischer mit ihren Erzählideen umgehen und sie auf zwei, drei Filme verteilen. Er hingegen kann verschwenderisch sein, denn die Quellen seiner Inspiration werden nicht so schnell versiegen. Wie viel Disziplin es ihn kostet, im Schneideraum Entscheidungen zu treffen, wird nur seine treue Cutterin Thelma Schoonmaker ermessen können. Womöglich kann er sich deshalb so gut in die Erlebniswelt von Gangstern einfühlen, die sich ihrerseits der Verfügbarkeit der Welt gewiss sind. Er nähert sich ihnen mit dem Blick eines skeptischen Eingeweihten. In langen, subjektiven Plansequenzen demonstriert er in MEAN STREETS und GOODFELLAS, wie sich seine jungen Protagonisten als Fürsten durch ihr Milieu bewe- gen, sich im Zentrum eines dichten Netzes aus Ergebenheit und Loyalität wähnen. Wie im Rausch flanieren sie durch eine Welt, die ihnen als ein einziges, verlockend drapiertes Auslagenfenster erscheint. Ein gelehriger Meister Längst ist jeder neue Film von Martin Scorsese ein Ereignis; nicht nur in den Augen von eingeschworenen Bewunderern, sondern mittlerweile auch in den Bilanzen der Studios, für die er arbeitet. Er gilt vielen als der bedeutendste amerikanische Filmemacher seiner Generation. Sein Name steht für das große Publikum nicht mehr im Schatten seiner Hauptdarsteller, denen er in serieller Monogamie treu geblieben ist – anfangs Harvey Keitel, dann Robert De Niro und nun Leonardo DiCaprio –, er ist vielmehr zu einem Markenzeichen von großer eigener Strahlkraft geworden. Die unerschöpfliche Virtuosität seines Regiestils fasziniert selbst die strengsten Kritiker. Er hat jeden Aspekt seines Mediums reflektiert und beherrscht ihn. Es gibt keine Szene in seinem Werk, die er nicht durch ungekannte Kameraperspektiven und Rhythmen dynamisiert hätte. In seinen Filmen formiert sich der Blick auf das Vertraute neu. Martin Scorsese selbstverständlich hermetischen Umgebung auf (er betrat angeblich zum ersten Mal die West Side, als er anfing, an der New York University in Greenwich Village zu studieren). Nicht von ungefähr ist eine der dichtesten Passagen der Dokumentation Fellinis I VITELLONI gewidmet, der als direkte Inspiration für MEAN STREETS kenntlich wird. Das Viertel, das gerade einmal zehn Blocks umfasst, ist ein Bollwerk gegen die bedrängende Unübersichtlichkeit der Großstadt, aber es schürt zugleich Träume von Flucht und Aufstieg. So wie in seinen frühen Filmen hatte man das Milieu der italienischen Einwanderer im US-Kino noch nicht gesehen. In MEAN STREETS besitzen die hergebrachten Rituale von Gewalt und Familiensinn noch umfassende, unwidersprochene Macht. Scorseses Blick auf seinen Helden ist voller Empathie, aber ohne Komplizenschaft. Der Mafioso Charlie ist zerrissen zwischen maskuliner Loyalität, einer beklemmend paranoiden Sexualmoral, zwischen dem Katholizismus und der Klassenzugehörigkeit. Erlösung glaubt er nur durch Schmerz und Gewalt zu erlangen. »Man büßt für seine Sünden nicht in der Kirche,« sagt er, »sondern auf der Straße.« Angesichts der Brutalität und Ausweglosigkeit 19 TAXI DRIVER: Robert De Niro und Martin Scorsese Sein Kino schillert zwischen Tradition und Innovation. Es folgt einer persönlichen Vorstellung von Fortschritt und Bewahren. Er hat von den Besten gelernt und weiß, was er ihnen schuldig ist. In zwei großen Dokumentarfilmen erweist er seinen Vorbildern im amerikanischen und italienischen Kino seine Reverenz. Elia Kazan hat er eine Hommage gewidmet. Mit seiner Film Foundation bemüht er sich um die Restaurierung von Klassikern des Weltkinos. Die Filmgeschichte hat unverkennbare, verblüffende Spuren in seinem Werk hinterlassen. Es wird von dem ästhetischen Schock heimgesucht, den ihm die vagabundierende visuelle Phantasie eines Michael Powell in jungen Jahren bescherte. Bei GOODFELLAS hat er sich am Übermut der nouvelle vague inspiriert, an Truffauts JULES ET JIM und den launigen Regelbrüchen Godards. Referenzpunkte der Kampfszenen in GANGS OF NEW YORK sind das sowjetische Montagekino von Dovschenko, Eisenstein und Pudovkin sowie Orson Welles’ Shakespeare-Adaption CHIMES AT MIDNIGHT. Das Drehbuchmotiv des Helden, der sich in eine Gangsterbande einschleicht (und daraufhin in einen Gewissensund Loyalitätskonflikt gerät), ist an Sam Fullers UNDERWORLD, USA angelehnt. Die chinesische Pagode, in der einige Schlüsselszenen von GANGS OF NEW YORK spielen, ist dem Dekor nachempfunden, das Boris Leven (sein Szenenbildner bei NEW YORK, NEW YORK) für Sternbergs THE SHANGHAI GESTURE entwarf. In THE DEPARTED zitiert er versteckt Carol Reeds THE THIRD MAN, John Fords THE INFORMER und Howard Hawks’ SCARFACE. Derlei cinephile Verweise sind kein bloßer Selbstzweck, sondern entspringen einer biographischen Bringschuld. Das Kino war für ihn von Kindesbeinen an ein Instrument der Weltteilhabe und später eines, um sich über die eigenen Wurzeln Rechenschaft abzulegen. Es wird kein Zufall gewesen sein, dass Scorsese parallel zu den Vorbereitungen für GANGS OF NEW YORK an seinem Dokumentarfilm über das italienische Nachkriegskino arbeitete, IL MIO VIAGGIO IN ITALIA. Er ist gewissermaßen die epische Fortsetzung von ITALIANAMERICAN, der Dokumentation, die er 1974 über seine Eltern gedreht hat. In den Erinnerungen an seine Kindheit verdichtet sich das Bild von Little Italy als einer nahezu autarken, in sich geschlossenen Gemeinschaft. Das Kino war dort ein Medium der Heimatverbundenheit. Seine Großeltern, die 1910 aus Sizilien kamen, hatten keinerlei Bezug zur ihrer neuen Heimat. Ihre Kinder gingen morgens zur Arbeit »in eine andere Welt« (Scorsese); ihre Straße, die Elizabeth Street, »war Sizilien, jedes Haus ein anderes Dorf«. Ihr Enkel wuchs noch in einer und der heillosen Fiebrigkeit seiner Protagonisten, die in Scorseses filmischen Rekonstruktionen seiner Heimat herrscht, überrascht der Eindruck von Geborgenheit, den die Dokumentation erweckt. Scorsese erweist sich in IL MIO VIAGGIO IN ITALIA als wehmütiger Archäologe einer Welt, die längst verschwunden ist (nicht zuletzt dank der Emsigkeit ihrer asiatischen Nachbarn: Chinatown hat Little Italy heute fast gänzlich verschlungen). Es ist mithin auch das Dokument eines uramerikanischen Impulses, der Stammeszugehörigkeit. Eigentlich darf es nicht verwundern, dass einige der Lieblingsfilme dieses urbansten aller US-Regisseure Western sind. Martin Scorsese 20 Emphatische Eroberung Als Kind war er jedes Mal verblüfft, wenn er im Abspann eines Films über seine Heimatstadt las: »Made in Hollywood, USA«. Zwar hat auch er in NEW YORK, NEW YORK einmal eine in den Westküstenstudios entstandene, stilisierte Technicolor-Vision der Metropole entworfen. Aber vor allem hat er dem Kino ihre Realschauplätze als Terrain erobert. Sein Bild von New York ist in der atmosphärischen Erfahrung der Zerrissenheit, Fragmentierung, des Heterogenen grundiert. Scorseses filmisches New York besteht dementsprechend aus streng voneinander geschiedenen Sphären. So ist die Mobilität der Protagonisten von TAXI DRIVER und BRINGING OUT THE DEAD nur eine berufsbedingte, keine soziale. Getrieben von den Dämonen der Einsamkeit und dem Wunsch nach Erlösung bleiben sie allenthalben isoliert. In TAXI DRIVER erscheint die Stadt als ein Pandämonium aus Dunkelheit, Schmutz und Gewalt (es war ein Glücksfall für das Filmteam, dass während der Dreharbeiten gerade die Müllabfuhr streikte). Diese Verworfenheit ist schillernd, wie der Taxifahrer Travis Bickle gleichermaßen mit Abscheu und Faszination diagnostiziert. Sie ist sein unwirtliches Lebenselement, er scheut auch jene verrufenen Ecken nicht, um die seine Kollegen einen großen Bogen machen, fährt seine Gäste nach Harlem, zum Times Square oder ins East Village. Visuell vollzieht Scorsese die Isolation seines Protagonisten, indem er ihn aus seiner Umgebung loslöst, Rauchschwaden schieben sich dazwischen, der Regen lässt die Fassaden verschwimmen, durch Unschärfe und Zeitlupe setzt er das Taxi und seinen Fahrer vom Hintergrund ab. Es ist kein realistischer, sondern ein paranoider Blick, den Scorsese und sein Drehbuchautor Paul Schrader auf die Stadt richten: Als wollten sie die schummrigen Bilderwelten des film noir in die Gegenwart hinüber retten. Auch BRINGING OUT THE DEAD ist von der subjektiven Perspektive des Helden geprägt, auch hier erscheint die Stadtlandschaft wie eine Halluzination. Die Feindseligkeit der Außenwelt macht Scorsese jedoch in einer divergierenden visuellen Strategie kenntlich: als Eindringen in das Gesichtsfeld des manisch-depressiven Rettungssanitäters. Jede Beobachtung, jeder Lichteinfall wirkt wie eine Aggression. Die Freizügigkeit, die Zirkulation innerhalb der Großstadt sind bei Scorsese stets gefahrvoll und schuldbesetzt, wie auch der Abstecher des Programmierers aus Uptown nach SoHo in AFTER HOURS illustriert. Er kommt gewissermaßen als Tourist aus einem anderen Manhattan. Selbst auf dem Erzählterrain einer schwarzen Komödie herrscht Paranoia. Dunkle, verlas- sene Straßen werden zur Bühne verstörender, schicksalhafter Begegnungen, die Etappen der nächtlichen Odyssee (eine Bar, ein Loft, ein Nachtclub) scheinen alle auf rätselhafte Weise miteinander verbunden. Spätestens mit THE AGE OF INNOCENCE verändert und erweitert sich sein Blick auf die Stadt. Die magistrale Edith-Wharton-Verfilmung ist ebenfalls die Chronik einer exklusiven, in sich geschlossenen Gesellschaft. Sie trägt sich im Wesentlichen in Interieurs zu, die Scorsese mit »anthropologischer Neugierde« erkundet und einem Zartgefühl und Raffinement, das an Ophüls und Visconti erinnert. Whartons New Yorker Aristokratie ist im engmaschigen Netz der Verwandtschaftsbeziehungen und gesellschaftlichen Konventionen gefangen. Die Vertreter dieser Schicht beziehen ihre Selbstgewissheit aus ihrer angestammten Umgebung und mondänen Ritualen, die freilich noch aus der alten Welt stammen. In GANGS OF NEW YORK wird er noch tiefer nach den europäischen Wurzeln des Schmelztiegels Amerika schürfen. Seither hat er zwar nicht endgültig mit New York abgeschlossen, aber sein Kino strebt anderen Horizonten entgegen. Verwurzelte Weltoffenheit Scorseses Filmografie, das wird mit den Jahren immer deutlicher, gewinnt Struktur und Schlüssigkeit aus dem Zusammenspiel von Komplementärfilmen: Man denke an TAXI DRIVER und BRINGING OUT THE DEAD, GOODFELLAS und CASINO, THE LAST TEMPTATION OF CHRIST und KUNDUN, RAGING BULL und spätere Biopics wie THE AVIATOR. In dem Maße, in dem er neue Schauplätze (Las Vegas in CASINO und THE AVIATOR, Tibet in KUNDUN, Boston in THE DEPARTED und SHUTTER ISLAND, schließlich Paris in HUGO CABRET) in den Blick nimmt, ist auch Scorseses Kino unvorhersehbarer geworden. Mit letzterem etwa hat er seinen ersten Kinderfilm gedreht, ein Plädoyer für Schaulust und Neugierde, bei dem er zugleich dem 3D-Kino den Ritterschlag verliehen hat, das er staunenswert phantasievoll einsetzt. Aber unberechenbar war er vielleicht schon immer. Mit ALICE DOESN’T LIVE HERE ANYMORE scherte er immerhin bereits 1974 erstmals aus dem maskulinen Universum seiner frühen Filme aus. Die Unvorhersehbarkeit ist freilich auch der Kern seines Schaffensprozesses. Es ist bekannt, dass ein Großteil seiner Regiearbeit im Schneideraum stattfindet. Es ist beinahe so, als würde dort, im Ringen um Narration und Abschweifung, der Film zum zweiten Mal entstehen. Die filmische Realität von Raum und Zeit wird aus dem Drehmaterial neu hergestellt. Durch den Soundtrack (auch das ein ▶ Freitag, 7. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag, 11. September 2012, 18.30 Uhr Martin Scorsese WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR (WER KLOPFT DENN DA AN MEINE TÜR?) – USA 1968 – R+B: Martin Scorsese – K: Richard H. Coll, Michael Wadleigh – D: Harvey Keitel, Zina Bethune, Lennard Kuras, Michael Scarla, Harry Northup – 90 min, OmU – Ein junger New Yorker aus einer italienischen Familie möchte seine Freundin gerne heiraten, doch er kann nicht mit der Tatsache umgehen, dass sie einmal Opfer sexueller Gewalt war. WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR wurde über Jahre hinweg gedreht und lief in unterschiedlichen Versionen unter diversen Titeln. Den Anfang nahm das Projekt als Studentenkurzfilm, auf Drängen eines Verleihers drehte Scorsese später (dezente) Sexszenen, um die Vermarktung zu erleichtern. BOXCAR BERTHA (DIE FAUST DER REBELLEN) – USA 1972 – R: Martin Scorsese – B: Joyce Hooper Corrington, John William Corrington, nach dem Roman »Sisters of the Road« von Ben L. Reitman – K: John M. Stephens – M: Herb Cohen – D: Barbara Hershey, David Carradine, Barry Primus, Bernie Casey, John Carradine, Harry Northup – 88 min, OmU – Die Bauerntochter Bertha verliert in der Weltwirtschaftskrise der 1930er Jahre ihr Zuhause und beginnt ein Leben am Schienenstrang. Sie schließt sich dem Gewerkschaftskampf der Gleisarbeiter an, der bald zum blutigen Widerstand wird. »Ein Partisanenfilm, aggressiv und zynisch. Nicht umsonst entwirft Scorsese für die Bewegungen seiner Helden keine wirkliche Zielrichtung. Die Balladenform kommt dieser Intention entgegen.« (Hans-Günther Pflaum) ▶ Samstag, 8. September 2012, 21.00 Uhr 21 MEAN STREETS (HEXENKESSEL) – USA 1973 – R: Martin Scorsese – B: Martin Scorsese, Mardik Martin – K: Kent Wakeford – D: Robert De Niro, Harvey Keitel, David Proval, Amy Robinson, Richard Romanus – 112 min, OmU – Freundschaft, Loyalität, Verrat, Gewalt und Schuld unter Kleinganoven in den 1960er Jahren im Little Italy New Yorks – ein period picture. Virtuos verwendet Scorsese bereits hier kühne Kamerabewegungen, überwältigende Musik und intensive Harvey Keitel und Zina Bethune in WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR Schmelztiegel heterogener Quellen – Popsongs stehen hier gleichberechtigt neben klassischen Werken wie »Le Sacre du Printemps« oder Bachs »Matthäuspassion«) fügt er seinen Filmen eine weitere entscheidende Dimension hinzu. Selbst seine engsten Mitarbeiter sind in der Regel verblüfft, das Endergebnis zu sehen: Sein Kameramann Michael Ballhaus erzählte einmal, bei der Premiere von GOODFELLAS habe er vollkommen vergessen, dass er den Film gedreht hatte. Gerhard Midding Farbeffekte. Scorsese sagte, er habe das Rot so eingesetzt wie sein Idol Michael Powell in THE RED SHOES; da traf es ihn umso schwerer, dass Powell den Film nicht mochte. Mit MEAN STREETS wurden Scorsese, De Niro und Keitel schlagartig weltbekannt. solle mir MEAN STREETS ansehen, der damals noch nicht herausgekommen war. Genau sowas suchten wir, denn unser Drehbuch war sehr gut geschrieben, aber ein bisschen zu glatt. Ich wollte was Rauheres.« ▶ Sonntag, 9. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mitt- tag, 18. September 2012, 18.30 Uhr Martin Scorsese woch, 12. September 2012, 18.30 Uhr 22 WHAT’S A NICE GIRL LIKE YOU DOING IN A PLACE LIKE THIS? – USA 1963 – R+B: Martin Scorsese – K: James Newman – M: Richard H. Coll – D: Zeph Michaelis, Mimi Stark, Sarah Braveman, Fred Sica, Martin Scorsese – 9 min, OF – Ein blockierter Schriftsteller entwickelt eine Obsession für ein Gemälde. – IT’S NOT JUST YOU, MURRAY! – USA 1964 – R: Martin Scorsese – B: Martin Scorsese, Mardik Martin – K+M: Richard H. Coll – D: Ira Rubin, Sam DeFazio, Andrea Martin, Catherine Scorsese – 15 min, OF – Ein Gangster blickt zurück auf seine Karriere und seinen vermeintlich besten Freund. – THE BIG SHAVE – USA 1967 – R+B: Martin Scorsese – K: Ares Demertzis – M: Peter Bernuth – 5 min, OF – »Eigentlich wuchs der Film aus meinen Gefühlen über Vietnam. Gemeint war er als wütender Aufschrei gegen den Krieg.« (Martin Scorsese) – ITALIANAMERICAN – USA 1974 – R: Martin Scorsese – B: Mardik Martin, Larry Cohen – Mit Catherine Scorsese, Charles Scorsese, Martin Scorsese – 49 min, OF – Scorseses Eltern sprechen von ihren Erfahrungen und Ansichten – und nebenbei erfahren wir ein hervorragendes Kochrezept. – AMERICAN BOY: A PROFILE OF STEVEN PRINCE – USA 1978 – R: Martin Scorsese – B: Mardik Martin, Julia Cameron – K: Michael Chapman – Mit Steven Prince, Martin Scorsese, Mardik Martin, Julia Cameron – 54 min, OF – Stephen Prince, der in TAXI DRIVER den Waffenhändler spielte, erzählt haarsträubende Begebenheiten aus seinem Leben. ▶ Freitag, 14. September 2012, 21.00 Uhr ALICE DOESN’T LIVE HERE ANYMORE (ALICE LEBT HIER NICHT MEHR) – USA 1974 – R: Martin Scorsese – B: Robert Getchell – K: Kent L. Wakeford – M: Richard LaSalle – D: Ellen Burstyn, Kris Kristofferson, Diane Ladd, Jodie Foster, Harvey Keitel – 112 min, OF – Als Alice Hyatts Mann durch einen Unfall ums Leben kommt, hofft sie ihre frühere Gesangskarriere wieder aufnehmen zu können. Der Weg mit ihrem Sohn in ein neues Leben ist schwer und desillusionierend. Treibende Kraft hinter diesem Film war Hauptdarstellerin Ellen Burstyn, die stark in der Frauenbewegung engagiert war: »Ich rief Francis Coppola an und fragte ihn nach jungen, aufregenden Filmemachern. Er sagte, ich ▶ Samstag, 15. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Diens- TAXI DRIVER – USA 1976 – R: Martin Scorsese – B: Paul Schrader – K: Michael Chapman – M: Bernard Herrmann – D: Robert De Niro, Cybill Shepherd, Albert Brooks, Harvey Keitel, Jodie Foster, Peter Boyle, Martin Scorsese – 110 min, OmU – Travis Bickle, 26 Jahre alt, Vietnamveteran, fährt nachts in New York Taxi. Vom Elend und der Gewalt rund um ihn zugleich angewidert und angezogen, entwickelt er Erlöserphantasien. Paul Schrader fuhr selber Taxi, als er das Drehbuch verfasste, er wohnte in seinem Auto. Für ihn war die Verarbeitung seiner Situation die Rettung. Die brillante Filmmusik mit ihrer schizoiden Gespaltenheit zwischen zwei Musikstilen war der letzte Score, den der einzigartige Bernard Herrmann einspielte: Er starb in der Nacht nach der letzten Session. ▶ Sonntag, 16. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mitt- woch, 19. September 2012, 18.30 Uhr NEW YORK, NEW YORK – USA 1976 – R: Martin Scorsese – B: Earl Mac Rauch, Mardik Martin – K: Laszlo Kovacs – M: Ralph Burns – D: Liza Minnelli, Robert De Niro, Lionel Stander, Barry Primus, Mary Kay Place, Georgie Auld – 163 min, OF – 1945 tun sich der Saxophonist Jimmy und die Sängerin Francine zusammen und bauen eine gemeinsame Big-Band-Karriere auf. Als Francines Weg nach Hollywood führt, hat der drogensüchtige Jimmy Angst, abgehängt zu werden. Scorsese schuf in enger Zusammenarbeit mit den Architekten, Ausstattern und Kostümbildnern ein modernes Hollywood-Musical über die Big-Band-Ära der 1950er Jahre. Sein Kameramann Laszlo Kovacs vollbrachte das Kunststück, den klassischen TechnicolorLook wiederauferstehen zu lassen. ▶ Freitag, 21. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Diens- tag, 25. September 2012, 19.00 Uhr THE LAST WALTZ (THE BAND) – USA 1978 – R+B: Martin Scorsese – K: Michael Chapman, Laszlo Kovacs, Vilmos Zsigmond, David Myers, Bobby Byrne, Michael Watkins, Hiro Narita – Mit Robbie Robertson, Rick Danko, Levon Helm, Garth Hudson, Richard Manuel, Bob Dylan, Joni Mitchell, Neil Diamond, Emmylou Harris, Neil Young, Van Morrison, Eric Clapton, Ringo Starr, Martin Scorsese – 117 min, OF – Das monumentale Martin Scorsese Jerry Lewis und Robert De Niro in THE KING OF COMEDY 23 Abschiedskonzert der kanadischen Formation The Band brachte eine unglaubliche Zahl von Musikstars als »Gastmusiker« auf die Bühne. Scorsese verdichtete die fünf Stunden des Konzerts auf knapp zwei Stunden und schuf einen Meilenstein des Konzertfilms. Gespräche mit den Musikern vermitteln die Geschichte von The Band. ▶ Samstag, 22. September 2012, 21.00 Uhr RAGING BULL (WIE EIN WILDER STIER) – USA 1980 – R: Martin Scorsese – B: Paul Schrader, Mardik Martin, nach der Autobiographie von Jake LaMotta – K: Michael Chapman – D: Robert De Niro, Cathy Moriarty, Joe Pesci, Frank Vincent, Nicholas Colasanto – 129 min, OmU – Die Geschichte Jake LaMottas, des ehemaligen Boxweltmeisters im Mittelgewicht, ist weder eine faktentreue Biographie noch nur ein Film übers Boxen. RAGING BULL erzählt vielmehr von Ängsten – Angst vor Sex, Angst um die eigene bröckelige Identität –, die in Gewalt nach außen und innen münden, ohne je bewältigt zu werden, und von (auch religiös motivierten) Schuldgefühlen. Alle Schläge im Ring helfen da nicht, und erst als Jake eingesperrt wird, stellt er sich seinem wahren Feind – sich selber. Der radikal stilisierte Film wurde in brilliantem Schwarzweiß gedreht. ▶ Sonntag, 23. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mitt- woch, 26. September 2012, 18.30 Uhr THE KING OF COMEDY – USA 1983 – R: Martin Scorsese – B: Paul D. Zimmerman – K: Fred Schuler – M: Robbie Robertson – D: Robert De Niro, Jerry Lewis, Sandra Bernhard, Diahnne Abbott, Ed Herlihy, Lou Brown – 109 min, OF – Rupert Pupkin ist von der Vorstellung einer eigenen Talkshow besessen. Er beschließt sein Idol, den Fernsehstar Jerry Langford, zu entführen und einen Fernsehauftritt zu erpressen. Ein Film voller umwerfender, schmerzhafter Komik, und doch keine Komödie, sondern eher eine Farce mit Trauerrand, die ein präzises Bild der Medienwelt zeichnet. ▶ Freitag, 28. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Diens- tag, 16. Oktober 2012, 18.30 Uhr AFTER HOURS (DIE ZEIT NACH MITTERNACHT) – USA 1985 – R: Martin Scorsese – B: Joseph Minion – K: Michael Ballhaus – M: Howard Shore – D: Griffin Dunne, Rosanna Arquette, Verna Bloom, Thomas Chong, Teri Garr – 97 min, OF – Beim Versuch, sich nachts auf eigene Faust in Manhattan durchzuschlagen, gerät Paul Hackett in haarsträubende Verstrickungen und irrwitzige Katastrophen. Michael Ballhaus’ entfesselte Kamera liefert die perfekten Bilder für Scorseses Groteske voll schwarzem, grimmigem Humor und absurder Komik. – MIRROR, MIRROR – USA 1985 – R: Martin Scorsese – B: Joseph Minion – K: Robert M. Stevens – M: Michael Kamen – D: Sam Waterston, Helen Shaver, Dick Cavett, Tim Robbins, Dana Gladstone – 24 min, OF – Episode aus Steven Spielbergs Fernsehserie AMAZING STORIES: Nachdem sich ein erfolgreicher Autor von Gruselromanen in einer Talkshow über seine eigene Zunft lustig gemacht hat, sieht er im Spiegel eine geheimnisvolle Gestalt, die ihn bedroht. ▶ Samstag, 29. September 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mitt- woch, 17. Oktober 2012, 18.30 Uhr Martin Scorsese ROUND MIDNIGHT (UM MITTERNACHT) – USA 1986 – R: Bertrand Tavernier – B: David Rayfiel, Bertrand Tavernier – K: Bruno de Keyzer – M: Herbie Hancock – D: Dexter Gordon, François Cluzet, Gabrielle Haker, Sandra Reaves-Phillips, Herbie Hancock, Martin Scorsese, Philippe Noiret – 133 min, OF – Die Jazzszene in New York und Paris in den 1950er Jahren. Im Blue Note tritt der alkoholkranke Tenorsaxophonist Dale Turner auf, der Züge von Lester Young und Bud Powell in sich vereint. Ein Fan versucht ihm dabei zu helfen, sich vom Trinken zu befreien. Als Scorsese mit seinem Produzenten Irwin Winkler für Vorbereitungen zu THE LAST TEMPTATION OF CHRIST in Paris war, trafen sich die beiden mit Tavernier zum Essen. »Das Ergebnis des Mittagessens war, dass Bertrand mich bat, in seinem Film mitzuspielen. Er sagte, wenn ich spreche, hört man sofort New York heraus. Das würde ihm eine Menge establishing shots ersparen.« (Martin Scorsese) 24 ▶ Sonntag, 30. September 2012, 21.00 Uhr THE LAST TEMPTATION OF CHRIST BAD – USA 1987 – R: Martin Scorsese – B: Richard Price – K: Michael Chapman – D: Michael Jackson, Adam Nathan, Wesley Snipes, Paul Chalderon, Roberta Flack – 16 min, OF – Wer nur das Musikvideo zu Michael Jacksons BAD kennt, hat noch gar nichts gesehen: Der komplette Kurzfilm erzählt eine Geschichte von großen Hoffnungen und verlorenen Wurzeln, von Selbstachtung und street credibility. – THE COLOR OF MONEY (DIE FARBE DES GELDES) – USA 1986 – R: Martin Scorsese – B: Richard Price, nach dem Roman von Walter Tevis – K: Michael Ballhaus – M: Robbie Robertson – D: Paul Newman, Tom Cruise, Mary Elizabeth Mastrantonio, Helen Shaver, John Turturro – 119 min, OF – Ein alternder Poolbillardspieler nimmt ein junges Talent unter seine Fittiche und vermittelt ihm die Psychologie des Spiels und die Kunst des Abzockens. Paul Newman brilliert in seiner Rolle und erhielt seinen einzigen Oscar als bester Darsteller, Michael Ballhaus lässt seine Kamera kreisen. ▶ Sonntag, 14. Oktober 2012, 21.00 Uhr THE LAST TEMPTATION OF CHRIST (DIE LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI) – USA 1988 – R: Martin Scorsese – B: Paul Schrader, nach dem Roman von Nikos Kazantzakis – K: Michael Ballhaus – M: Peter Gabriel – D: Willem Dafoe, Harvey Keitel, Paul Greco, Verna Bloom, Barbara Hershey, John Lurie – 163 min, OF – Der Schreiner Jesus ringt mit mystischen Visionen, mit Versuchungen und mit seinen Schuldgefühlen, da er für die Römer Kreuze zimmert. Als er selbst ans Kreuz geschlagen wird, träumt er davon, seinem Schicksal zu entgehen und ein ganz gewöhnliches Leben zu führen. Der Film löste heftige Proteste aus. Religiöse Funda- mentalisten erhoben Vorwürfe von Blasphemie und Sakrileg, natürlich ohne den Film gesehen zu haben. NEW YORK STORIES (NEW YORKER GESCHICHTEN) – USA 1989 – R: Martin Scorsese, Francis Ford Coppola, Woody Allen – B: Richard Price, Francis Ford Coppola, Sofia Coppola, Woody Allen – K: Nestor Almendros, Vittorio Storaro, Sven Nykvist – D: Nick Nolte, Rosanna Arquette, Patrick O’Neal, Heather McComb, Giancarlo Giannini, Woody Allen, Mia Farrow – 124 min, OF – Drei Vignetten: Scorseses LIFE LESSONS zeigt einen erfolgreichen Maler, der sich im Kunstbetrieb aufreibt und eine private Krise heraufbeschwört. In Coppolas LIFE WITHOUT ZOE bringt die 12jährige Tochter ihre zerstrittenen Eltern wieder zusammen. In Woody Allens OEDIPUS WRECKS fühlt sich der Klient eines Therapeuten von seiner Mutter tyrannisiert, die riesengroß im Himmel über New York erscheint. streift sein Alter Ego durch eine Ausstellung mit Gemälden von Vincent van Gogh, steigt buchstäblich in eines der Bilder hinein und begegnet dem Künstler, der von Martin Scorsese gespielt wird. ▶ Sonntag, 11. November 2012, 21.00 Uhr ▶ Samstag, 9. November 2012, 21.00 Uhr GOODFELLAS – USA 1990 – R: Martin Scorsese – B: Nicholas Pileggi, Martin Scorsese, nach dem Roman »Wiseguy« von Nicholas Pileggi – K: Michael Ballhaus – D: Robert De Niro, Ray Liotta, Joe Pesci, Lorraine Bracco, Paul Sorvino, Frank Sivero, Catherine Scorsese – 146 min, OF – Die Lebenserinnerungen von Henry Hill, der von klein auf den Traum hatte, Karriere in der Mafia zu machen. Scorsese gelang eine weder romantisierende noch moralisierende Darstellung der Gangster. Er wusste sofort, wie der Film aussehen sollte: »GOODFELLAS sollte wie ein Revolverschuss beginnen und dann immer schneller werden, wie ein zweieinhalbstündiger Trailer. Nur so kann man den rauschhaften Lebensstil spüren und verstehen, warum er auf viele Leute so anziehend wirkt.« ▶ Mittwoch, 7. November 2012, 19.00 Uhr (Zu Gast: Michael Ballhaus) ▶▶ Samstag, 10. November 2012, 21.00 Uhr DREAMS (AKIRA KUROSAWAS TRÄUME) – Japan 1990 – R+B: Akira Kurosawa – K: Takao Saitô, Shôji Ueda – M: Shinichirô Ikebe – D: Akira Terao, Misuko Baishô, Chishû Ryû, Martin Scorsese, Mieko Harada – 119 min, OmeU – In acht »Träumen« lässt Kurosawa sein Alter Ego Stationen von der Kindheit bis ins hohe Alter besuchen. Angeblich dienten Kurosawa seine eigenen Träume als Vorbilder für die Episoden. Doch nicht nur deshalb ist dies wohl sein persönlichster Film. Hier wird die Besinnung auf seine in der Malerei liegenden Wurzeln offensichtlich: In der Episode »Die Krähen« THE KEY TO RESERVA (DER SCHLÜSSEL ZU RESERVA) – USA 2007 – R: Martin Scorsese – B: Ted Griffin – K: Harris Savides – M: Bernard Herrmann – D: Simon Baker, Kelli O’Hara, Michael Stuhlbarg, Christopher Denham, Martin Scorsese – 10 min, OF – Scorsese verfilmt ein Drehbuchfragment »aus Alfred Hitchcocks Nachlass«. Ein ganz und gar im Stil des Meisters gehaltener Kurzfilm, der seine zweifelhafte Herkunft zugleich ironisch reflektiert. – CAPE FEAR (KAP DER ANGST) – USA 1991 – R: Martin Scorsese – B: Wesley Strick, nach dem Roman »The Executioners« von John D. MacDonald – K: Freddie Francis – M: Bernard Herrmann – D: Robert De Niro, Nick Nolte, Jessica Lange, Juliette Lewis, Robert Mitchum, Gregory Peck – 128 min, OmU – Max Cady, aus dem Gefängnis entlassen, hat nur ein Ziel: Rache an seinem Anwalt Sam Bowden, dem er die Schuld an seiner Haftstrafe wegen Vergewaltigung gibt. Scorseses Remake eines Thrillers von 1962 adaptiert dieselbe Filmmusik und lässt die Hauptdarsteller des Originals in Nebenrollen auftreten. ▶ Sonntag, 18. November 2012, 21.00 Uhr LOLA MONTEZ – BRD 1955 – R: Max Ophüls – B: Max Ophüls, Jacques Natanson, Annette Wademant, Franz Geiger – K: Christian Matras – M: Georges Auric – D: Martine Carol, Peter Ustinov, Adolf Wohlbrück, Oskar Werner, Henri Guisol, Lise Delamare – 116 min – Die Geschichte der legendären Tänzerin Lola Montez, die zur Mätresse Ludwigs I. aufsteigt, als große, farbenprächtige Zirkusschau. Michael Ballhaus durfte als Achtzehnjähriger in München bei den Dreharbeiten zu- Martin Scorsese ▶ Freitag, 19. Oktober 2012, 21.00 Uhr 25 THE AGE OF INNOCENCE Martin Scorsese 26 schauen: »Was ich schon alles geklaut habe von diesem Film – bis ins Detail! Es gibt Einstellungen in THE AGE OF INNOCENCE, die sich unmittelbar an LOLA MONTEZ orientieren. Wie Ophüls mit dem Format umgegangen ist, mal wirklich Breitwand und dann wieder fast quadratisch, das hat bis heute niemand mehr so raffiniert geschafft. Wir haben es in THE AGE OF INNOCENCE wenigstens ansatzweise hingekriegt.« ▶ Mittwoch, 21. November 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast: Michael Ballhaus) THE AGE OF INNOCENCE (ZEIT DER UNSCHULD) – USA 1993 – R: Martin Scorsese – B: Jay Cocks, Martin Scorsese, nach dem Roman von Edith Wharton – K: Michael Ballhaus – M: Elmer Bernstein – D: Daniel DayLewis, Michelle Pfeiffer, Winona Ryder, Miriam Margolyes, Geraldine Chaplin, Richard E. Grant – 138 min, OF – Ein wohlhabender junger Anwalt im New York der 1870er Jahre riskiert seine Karriere, als er eine Gräfin kennenlernt. Unter allen Filmen Scorseses zeigt dieser am deutlichsten Einflüsse von Visconti, Ophüls und Rossellini. Der visuelle Stil des Films in Ausstattung, Kostümen, Darstellung, Bildgestaltung ist lyrisch, schwebend, romantisch, hinreißend. Michael Ballhaus’ Kamera ist unaufhörlich in Bewegung, die komplexe Choreographie der Darsteller wirkt völlig ungezwungen. ▶ Mittwoch, 21. November 2012, 21.00 Uhr (Zu Gast: Mi- chael Ballhaus) ▶ Freitag, 23. November 2012, 21.00 Uhr CASINO – USA 1995 – R: Martin Scorsese – B: Nicholas Pileggi, Martin Scorsese – K: Robert Richardson – D: Robert De Niro, Sharon Stone, Joe Pesci, James Woods, Frank Vincent, Kevin Pollak – 178 min, OmU – Sam leitet in den 1970ern ein Casino in Las Vegas für die Mafia, sein alter Freund Nicky ist der Mann fürs Grobe. Ausgerechnet die drogensüchtige Prostituierte Ginger bringt das kleine Reich der beiden ins Wanken. »Scorsese kann die Vergangenheit vergrößern und verklären, ohne seinen erbarmungslos genauen Realismus aufzugeben, ohne die (meist brutale) Wahrheit der Glücksspielstadt verschweigen zu müssen. ›Las Vegas, das war für Spieler das, was Lourdes für Gebrechliche und Verkrüppelte war‹, sagt De Niro einmal. Genauso hat der Katholik Scorsese die Stadt mit inbrünstiger Wahrheit dargestellt.« (Hellmuth Karasek) ▶ Samstag, 24. November 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Diens- tag, 27. November 2012, 19.00 Uhr A PERSONAL JOURNEY WITH MARTIN SCORSESE THROUGH AMERICAN MOVIES (EINE REISE DURCH DEN AMERIKANISCHEN FILM) – USA 1995 – R+B: Martin Scorsese, Michael Henry Wilson – K: Jean-Yves Escoffier – M: Elmer Bernstein – Mit Martin Scorsese, Kathryn Bigelow, Clint Eastwood, Francis Ford Coppola, Brian de Palma, Samuel Fuller, Gregory Peck, George Lucas, Arthur Penn, Billy Wilder – 225 min, OF – Scorseses Reise beginnt bei Meistern des Stummfilms wie D. W. Griffith und endet 1969, als er seine eigene Filmkarriere begann: »Ich fände es anmaßend, meine eigenen Filme oder die meiner Zeitgenossen zu kommentieren.« Das Ergebnis ist hypnotisch, mitreißend, aufregend, erhellend. Es gibt kaum eine andere Dokumentation, die so brennende Begeisterung transportiert und so unbändige Lust aufs Kino weckt. ▶ Dienstag, 6. November 2012, 19.00 Uhr KUNDUN – USA 1997 – R: Martin Scorsese – B: Melissa Mathison – K: Roger Deakins – M: Philip Glass – D: Tenzin Thuthob Tsarong, Gyurme Thetong, Tencho Gyalpo, Tsewang Migyur Khangsar, Sonam Phuntsoik – BRINGING OUT THE DEAD – USA 1999 – R: Martin Scorsese – B: Paul Schrader, nach dem Roman von Joe Connelly – K: Robert Richardson – M: Elmer Bernstein – D: Nicolas Cage, Patricia Arquette, John Goodman, Ving Rhames, Tom Sizemore, Mary Beth Hurt – 121 min, OF – Der Rettungssanitäter Frank Pierce ist überarbeitet und erschöpft, dem Zusammenbruch nahe; die Geister derer, die er nicht zu retten vermochte, verfolgen ihn. Ein period picture vor der kosmetischen Verschönerung New Yorks, der Müll ist Requisite. Übergroße Close-Ups, schwindelerregende Kameraperspektiven, Schnittgewitter, Reißschwenks, Zeitlupe, Zeitraffer, Varispeed, digitale Effekte – was in den Händen anderer nur Mätzchen für Überwältigungskino sind, ist bei Scorsese funktional und mit Bedacht als Stilmittel gesetzt. Martin Scorsese ▶ Sonntag, 25. November 2012, 21.00 Uhr Scorsese – K: Phil Abraham – D: Martin Scorsese – 246 min, OmeU – Scorsese entdeckte das italienische Kino, als er zu Hause im Fernsehen Klassiker wie PAISA und ROMA CITTA APERTA von Roberto Rossellini sah. Seine Begeisterung für den Neorealismus geht einher mit der Suche nach seinen Wurzeln, nach seiner eigenen Familiengeschichte und der italienischen Kultur. Scorseses Blick auf die italienische Filmgeschichte ist einer seiner schönsten und persönlichsten Filme. Er betrachtet die etablierten Klassiker aus ungewohnter Perspektive und lenkt unsere Aufmerksamkeit auch auf vergessene und marginalisierte Filme. ▶ Dienstag, 20. November 2012, 19.00 Uhr GANGS OF NEW YORK – USA 2002 – R: Martin Scorsese – B: Jay Cocks, Steven Zaillian, Kenneth Lonergan, nach einem Buch von Herbert Ashbury – K: Michael Ballhaus – M: Howard Shore – D: Leonardo DiCaprio, Daniel Day-Lewis, Cameron Diaz, Jim Broadbent, John C. Reilly, Liam Neeson – 168 min, OmU – Eine lange schwelende Rachegeschichte vollendet sich vor dem Hintergrund der New Yorker draft riots im Juli 1863, als sich Slumbewohner gegen die Zwangseinberufung im Bürgerkrieg erhoben und die Kriegsmarine mit Kanonen in die Menge feuern ließ. Scorsese ließ für sein breit angelegtes Epos um die Entstehung der modernen amerikanischen Demokratie im römischen Cinecittà-Filmstudio ganze Straßenzüge und das Hafengelände am East River von Dante Ferretti nachbauen. ▶ Freitag, 30. November 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch, 5. Dezember 2012, 18.30 Uhr ▶ Mittwoch, 28. November 2012, 19.00 Uhr ▶▶ Sams- IL MIO VIAGGIO IN ITALIA (MEINE ITALIENISCHE REISE) – USA 2001 – R: Martin Scorsese – B: Suso Cecchi d’Amico, Raffaele Donato, Kent Jones, Martin THE NEIGHBORHOOD – USA 2001 – R: Martin Scorses – B: Kent Jones, Martin Scorsese – K: Antonio Ferrara – Mit Martin Scorsese, Francesca Scorsese, Marie 27 tag, 1. Dezember 2012, 21.00 Uhr GANGS OF NEW YORK 134 min, OmU – Ein Spielfilm über die Jugend von Tenzin Gyatso, dem 14. Dalai Lama, linear erzählt von 1937 in Tibet bis 1959 im indischen Exil. »KUNDUN ist kein Film der großen Emotionen und kein Film, der Charaktere oder Story in den Vordergrund stellt. Kein Film, der viel erklärt oder Zusammenhänge und Motivationen ausbreitet. KUNDUN ist ein ungemein sinnlicher Film, der es versteht, durch Farbe, Rhythmus, Klang in seinen visionären Bann zu ziehen, den man nach einiger Zeit fast wie in Trance erlebt. Ein grandioser Rausch der Bilder und der Musik.« (Thomas Willmann) THE AVIATOR Martin Scorsese 28 Albanese – 7 min, OF – In seinem Beitrag für das als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 organisierte »Concert for New York« besucht Scorsese mit seiner Tochter die Elizabeth Street, in der er aufwuchs – FEEL LIKE GOING HOME – USA 2003 – R: Martin Scorsese – B: Peter Guralnick – K: Arthur Jafa – Mit Corey Harris, Sam Carr, Willie King, Taj Mahal, John Lee Hooker, Salif Keita – 83 min, OmU – Auf der Suche nach den Wurzeln des Blues fährt der Musiker Corey Harris ins Mississippi-Delta und von dort aus weiter bis nach Mali. ▶ Sonntag, 2. Dezember 2012, 21.00 Uhr THE AVIATOR – USA 2004 – R: Martin Scorsese – B: John Logan – K: Robert Richardson – M: Howard Shore – D: Leonardo DiCaprio, Cate Blanchett, Kate Beckinsale, John C. Reilly, Alec Baldwin, Alan Alda, Ian Holm, Jude Law – 169 min, OmU – Das komplizierte Leben des Multimilliardärs, Luftfahrtpioniers und Filmproduzenten Howard Hughes. Ein besonderes Stilmittel von THE AVIATOR ist die Farbgebung: Die Jahre bis 1935 sind in einer reduzierten Palette von Rot- und Blautönen gehalten, die an das damalige Multicolor-Verfahren angelehnt ist (Hughes war der Eigentümer von Multicolor). Die späteren Geschehnisse sind farblich den satten Technicolor-Tönen nachempfunden. In einigen Szenen fanden historische Schwarz-weiß-Materialien Verwendung, die entsprechend koloriert wurden. ▶ Freitag, 7. Dezember 2012, 21.00 Uhr NO DIRECTION HOME: BOB DYLAN – USA 2005 – R+B: Martin Scorsese – K: Mustapha Barat, Maryse Alberti, Oliver Bokelberg, Anghel Decca, Ken Druckerman, Ellen Kuras, James Miller, James Reed, Lisa Ritzler, Michael Spiller – Mit Bob Dylan, Pete Seeger, Joan Baez, Mavis Staples, Don Alan Pennebaker – 207 min, OmU – Eher das Portrait einer Ära als eine schlichte Musikerbiographie. Der Fokus liegt auf den Jahren 1961–66, in denen Bob Dylan vom Folksänger zum Protestsänger wurde, dann als Stimme einer ganzen Generation galt, sich schließlich zum Popstar im Folkrock wandelte, ehe er nach seinem Motorradunfall 1966 seinen Abschied vom Tourneebetrieb verkündete, an dem er acht Jahre festhielt. ▶ Sonntag, 9. Dezember 2012, 19.00 Uhr THE DEPARTED (UNTER FEINDEN) – USA 2006 – R: Martin Scorsese – B: William Monahan, nach dem Film INFERNAL AFFAIRS von Alan Mak und Felix Chong – K: Michael Ballhaus – M: Howard Shore – D: Leonardo DiCaprio, Matt Damon, Jack Nicholson, Mark Wahlberg, Martin Sheen, Vera Farmiga, Alec Baldwin – 151 min, OmU – Billy und Colin sind Nachwuchsbeamte der Staatspolizei in Massachusetts: Der eine soll als Undercover-Agent den Kopf des Bostoner Syndikats, Frank Costello, zu Fall bringen, der andere wurde von Costello in die Polizei eingeschleust. Beide geben ihr Insiderwissen an ihre wahren Auftraggeber weiter, beide sind durch ihre Doppelleben innerlich zerrissen. Das Remake eines Hong Kong-Thrillers ist angespannter und überdrehter, als es für US-Krimis üblich ist. ▶ Samstag, 8. Dezember 2012, 21.00 Uhr ▶ Mittwoch, 12. Dezember 2012, 19.00 Uhr SHINE A LIGHT – USA 2008 – R+B: Martin Scorsese – K: Robert Richardson – Mit Mick Jagger, Keith Richards, Charlie Watts, Ron Wood, Christina Aguilera, Bill Clinton, Hillary Clinton, Martin Scorsese – 122 min, OmU – Mitschnitt zweier Konzerte der Rolling Stones im New Yorker Beacon Theatre im Jahr 2006. Eines ▶ Freitag, 14. Dezember 2012, 21.00 Uhr SHUTTER ISLAND – USA 2010 – R: Martin Scorsese – B: Laeta Kalogridis, nach dem Roman von Dennis Lehane – K: Robert Richardson – M: Robbie Robertson – D: Leonardo DiCaprio, Mark Ruffalo, Ben Kingsley, Max von Sydow, Michelle Williams, Emily Mortimer – 138 min, OmU – Ein suggestiver Horror-Thriller, eine virtuos inszenierte Welt der falschen Fährten und psychologischen Traumgespinste, die die Zuschauer in ein doppelbödiges Spiel zwischen Wahn und Wirklichkeit verwickeln. Eine Hommage an das klassische ParanoiaKino der McCarthy-Ära. »Für unsere Kriege, unsere Terrorangst, unseren Sicherheits- und Gesundheitswahn findet Scorsese einen Spiegel in den 1950er Jahren. Schwarze Aufklärung über die Nähe von Wahnsinn und Gesellschaft.« (Rüdiger Suchsland) ▶ Samstag, 15. Dezember 2012, 21.00 Uhr ▶▶ Diens- tag, 18. Dezember 2012, 18.30 Uhr PUBLIC SPEAKING – USA 2010 – R+B: Martin Scorsese – K: Ellen Kuras – M: Joe Rudge – Mit Fran Lebowitz, Ivo Juhani, Graydon Carter, Martin Scorsese – 84 min, OF – Unterhaltsame und aufschlussreiche Dokumentation über Fran Lebowitz, die in den frühen 1970er Jahren die New Yorker Literatenszene betrat und von Andy Warhol für eine Kolumne in seinem Magazin »Interview« verpflichtet wurde. Es ist ein Monolog, in dem Lebowitz rhetorisch brillant und mit bissiger Komik über Gott und die Welt, das Rauchen, Touristen in New York, die Wahrheit über Andy Warhols ›Superstars‹ und die desaströse Entscheidung räsoniert, New York City in eine Touristenattraktion zu verwandeln. ▶ Sonntag, 16. Dezember 2012, 21.00 Uhr A LETTER TO ELIA (EIN BRIEF AN ELIA) – USA 2010 – R+B: Martin Scorsese, Kent Jones – K: Mark Raker – 60 min, OF – Eine sehr persönliche Verbeugung Martin Scorseses vor seinem Regiekollegen Elia Kazan, der ihm ein wichtiges Vorbild war. Anhand zahlreicher Filmausschnitte offenbart Scorsese, was Kazans Filme für das US-Kino allgemein und speziell für ihn bedeuten. – AMERICA, AMERICA (DIE UNBEZWINGBAREN) – USA 1963 – R+B: Elia Kazan, nach seinem Roman – K: Haskell Wexler – M: Manos Hadjidakis – D: Stathis Giallelis, Frank Wolff, Harry Davis, Elena Karam, Estelle Hemsley, John Marley – 174 min, OF – Kurz vor 1900. Stavros Topouzoglou, Angehöriger der unterdrückten griechischen Minderheit in Anatolien, soll mit dem gesamten Geld der Familie nach Konstantinopel gehen und dort in den Teppichhandel eines Verwandten einsteigen. Doch er träumt davon, nach Amerika auszuwandern. Kazans Epos, das auf dem Leben seines Onkels basiert, ist eine der bewegendsten Darstellungen der immigrant experience. ▶ Donnerstag, 20. Dezember 2012, 19.00 Uhr GEORGE HARRISON: LIVING IN THE MATERIAL WORLD – USA 2011 – R+B: Martin Scorsese – K: Robert Richardson – Mit Paul McCartney, Ringo Starr, Terry Gilliam, Jane Birkin, Eric Clapton, Ravi Shankar, Yoko Ono, Jackie Stewart, Olivia Harrison – 208 min, OmU – Dokumentarfilm über den englischen Musiker George Harrison. »Formal bleibt Scorsese im konventionellen Rahmen, mischt Archivmaterial mit Interviews und geht chronologisch vor. Zeitzeugen und Weggefährten kommen ausführlich zu Wort. Als Mensch, der sich gründlich auf die fernöstliche Meditation einließ, lebte Harrison ganz in der ›materiellen Welt‹. Mit dem Erfolg war er schnell zu Geld gekommen und zugleich einer inneren Leere gewahr geworden, die er mit Drogen und Hippie-Träumen zu überspielen versuchte.« (Roland Mörchen) ▶ Samstag, 22. Dezember 2012, 19.00 Uhr HUGO 3D (HUGO CABRET) – USA 2011 – R: Martin Scorsese – B: John Logan, nach dem Roman von Brian Selznick – K: Robert Richardson – M: Howard Shore – D: Asa Butterfield, Ben Kingsley, Chloe Grace Moretz, Sacha Baron Cohen, Christopher Lee – 126 min, OmU – Scorseses Hommage an die Magie des Kinos und den Filmpionier Georges Méliès spielt im Paris der 1930er Jahre. »Der Bahnhof und die Züge, die raffinierten Uhrwerke und der kleine Automatenmensch, die Filmkamera und die Projektionstechnik sind hier alles andere als ›seelenlose‹ Maschinen; sie sind vielmehr handlungstragende Charaktere, Verlängerungen und Spiegelungen der menschlichen Figuren, Transportmittel für Assoziationen und metaphorische Bedeutungsebenen.« (Felicitas Kleiner) ▶ Mittwoch, 19. Dezember 2012, 18.30 Uhr ▶▶ Freitag, 21. Dezember 2012, 21.00 Uhr Martin Scorsese davon war eine Geburtstagsgala für Bill Clinton. »Das Intro des Films zeigt die Vorbereitungen für das zu filmende Konzertereignis in der Form eines making of, in dem es um die Bühne und um die Kameras, auch um die set list geht und die Abstimmung der Inszenierung auf die zu erwartenden Songs – eine spielerische Koketterie, die sich mehr und mehr zu Selbstironie auswächst. Und dann geht’s los, mit ›Jumping Jack Flash‹, viel Energie und einer Menge Rock’n’Roll.« (Harald Mühlbeyer) 29 Prager Frühling Evald Schorm, Pavel Bošek und Karel Mareš in VOM FEST UND DEN GÄSTEN Prager Frühling 30 Die Tschechoslowakische Neue Welle der 1960er Jahre Die 1960er Jahre sind geprägt von Erneuerungsbewegungen des Kinos: Die nouvelle vague in Frankreich und das free cinema in England hatten Ende der 1950er Jahre den Reigen eröffnet, das cinema novo in Brasilien, der Neue Deutsche Film in der Bundesrepublik und letztendlich das New Hollywood sollten folgen. Auch in den osteuropäischen Ländern gab es im Zuge der Tauwetterperiode der Chruschtschow-Ära Aufbruchsbewegungen, die neue Formen des Autorenfilms gegen staatliche Gängelei und strenge inhaltliche Kontrollen durchzusetzen versuchten. In keinem Land aber debütierten innerhalb weniger Jahre so viele junge Filmemacher wie in der CSSR: Ab 1963 trat eine ganze Generation in Erscheinung, deren Filme in den kommenden Jahren auf allen internationalen Filmfestivals die höchsten Preise erhielten und sogar zwei Mal mit dem Oscar für den besten ausländischen Film ausgezeichnet wurden. Anders als in anderen Ländern war dies nicht nur ein Strohfeuer, das nach zwei oder drei Jahren wieder verlöscht war, sondern eine Bewegung, die erst durch den Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts im August 1968 und die anschließenden Verbote zahlreicher Filme gestoppt wurde. Der Begriff »Prager Frühling« steht gemeinhin für das von der Kommunistischen Partei der Tschechoslowakei unter Alexander Dubček getragene Reformprojekt und den Versuch, einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« aufzubauen. Diese Bewegung hatte aber ihren Vorlauf, der sich seit Anfang der 1960er Jahre in der CSSR bemerkbar machte und sich auf alle Künste erstreckte, insbesondere in der Literatur und beim Theater. Autoren wie Bohumil Hrabal und Milan Kundera lieferten Vorlagen für mehrere der Filme und arbeiteten selber an Drehbüchern mit. Die direkt nach dem Krieg eröffnete Filmfakultät an der Akademie der Musischen Künste (FAMU) in Prag wusste ihre Freiheiten auszunutzen und ihren Studenten einen unverstellten Blick auf gesellschaftliche Realitäten zu ermöglichen – fast alle wichtigen Filmregisseure der CSSR, die in den 1960ern debütierten, durchliefen diese Schule. Die im Mai 1963 in Libice veranstaltete Kafka-Konferenz stieß nicht nur eine öffentliche Beschäftigung mit dem bis Macht Toleranz gegenüber alternativen Meinungen verlangte. Der Regisseur sollte nicht mehr nur der künstlerische Organisator einer Filminszenierung – um nicht fremder Gedanken zu sagen – sein, die Aussage über seine eigene Sichtweise der Welt wurde zum obersten Prinzip.« (Ivan Klimeš) Der Wille zum Experiment, zu neuen Stilen und zu neuen Visionen zeigt sich insbesondere in Filmen von Věra Chytilová, Jan Schmidt oder Juraj Jakubisko. TAUSENDSCHÖNCHEN ist eine feministische surreale Komödie, die bis heute in der Filmgeschichte einzigartig ist. ENDE AUGUST IM HOTEL OZON entwickelt eine Endzeitvision, die später oft kopiert und im amerikanischen Mainstream-Kino weiterentwickelt wurde. VÖGEL, WAISEN UND NARREN ist ein phantastisches Märchen »über die jungen Leute von heute, die nicht erwachsen werden wollen und durch ihre Verrücktheit, ihren Wahnsinn die eigene Unsicherheit überdecken«. Abrupt beendete der Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in die CSSR am 21. August 1968 das Experiment des Prager Reformkommunismus und damit auch die Blütezeit der tschechoslowakischen Kinematographie. Ulrich Gregor beschreibt die Konsequenzen: »Zwar konnte das Kino der jungen Regisseure auch unter der Okkupation etwa noch ein Jahr ein verstecktes Dasein führen, manche Filme wurden noch gedreht und sogar exportiert, bis Ende 1969 die Entwicklung zu einem endgültigen Stillstand kam. In allen Bereichen wurden die bisher verantwortlichen Leiter des Filmwesens von ihren Posten entfernt und durch willfähige Diener des neuen Regimes ersetzt. Fast alle Regisseure des neuen tschechoslowakischen Films erhielten Arbeitsverbot, ihre früheren Filme wurden in die Archive verbannt und nicht mehr gezeigt (was dazu führte, dass das tschechoslowakische Kino der 1960er Jahre jahrzehntelang weder im In- noch Ausland präsent war und quasi zu existieren aufgehört hatte). Eine Reihe von Regisseuren emigrierte (aber nur Miloš Forman gelang es, sich in den USA zu etablieren und eine neue Karriere zu beginnen). Die blieben, konnten zunächst jahrelang keine Filme mehr drehen oder wurden wieder auf systemkonforme Unterhaltung festgelegt. Kirchhofsruhe beherrschte den tschechoslowakischen Film, der in Provinzialität und politischem Dogmatismus versank.« Die Filmreihe zeigt eine durchaus subjektiv gefärbte Auswahl von Filmen, die die Vielfalt des Kinos der 1960er Jahre vermittelt. Einige der Filme sind hierzulande noch völlig unbekannt, manche wurden erst zwanzig Jahre nach ihrer Entstehung überhaupt für Aufführungen freigegeben. Verblüffend ist die stilisti- Prager Frühling dahin in Osteuropa verfemten Werk Franz Kafkas an, sondern beflügelte den Kampf gegen Machtmissbrauch und Bürokratismus und für eine Welt der sozialen Demokratie, Initiative und Verantwortung. Jan Žalman beschrieb die Situation der 1950er Jahre folgendermaßen: »Zehn Jahre, einerseits erfüllt von einem messianischen Glauben an den Sozialismus und von Aufbaufieber, andererseits vom Kalten Krieg, von Isolation, von der Drohung einer atomaren Katastrophe und den Praktiken des Dogmatismus, brachten eine ›Erschütterung über den Verlust der Werte‹.« Die ersten Filme der Tschechoslowakischen Neuen Welle begnügten sich mit der möglichst realistischen Darstellung des Alltagslebens. »Auf der Leinwand war immer öfter die scheinbar nicht-stilisierte Welt der jungen Leute in deren authentischer Umgebung zu sehen, eine intim beleuchtete Welt von gewöhnlichen, nichtheldenhaften menschlichen Typen, die oft von NichtSchauspielern verkörpert wurden.« (Ivan Klimeš) Miloš Forman formulierte die Absichten seiner Filme sehr klar: »Üblicherweise gilt als politischer Film nur der Film, in dem politische Inhalte dargestellt werden. Ich bin jedoch der Auffassung, dass auch Filme vollkommen unpolitischen Inhalts wie DIE LIEBE EINER BLONDINE politisch sind. Denn der Tenor dieses Films ist die Überprüfung des eigenen Daseins, die Frage nach dem, was mit uns und um uns herum geschieht. Da liegt die Frage nach der Zukunft nicht mehr fern. Sicher wäre es möglich, engagierter und deutlicher zu argumentieren, auch andere Themen zu wählen, aber ich glaube, dass gerade jetzt, in dieser Situation, die nächste Frage die nach unseren eigenen Angelegenheiten sein soll, die Frage nach unseren individuellen Belangen. Dass es überhaupt möglich ist, einen Film darüber zu drehen, ist ein konkret politisches Zeichen. Vor einigen Jahren wäre das nach Kenntnis unserer Geschichte kaum denkbar gewesen.« Anders als die nouvelle vague in Frankreich oder das free cinema in England entwickelte der tschechoslowakische Film kein Starsystem, sondern definierte sich allein über seine Autoren und deren Sichtweisen. Der Episodenfilm PERLEN AUF DEM MEERESGRUND – zu dem auch noch der Kurzfilm GESAMMELTE ROHHEITEN zu zählen ist, der separat herausgebracht wurde – war das Manifest der jungen Filmemacher: Ausgehend von Kurzgeschichten Bohumil Hrabals zeigten sie ihre unterschiedlichen Handschriften. »Ein Politikum von großer Tragweite verbarg sich auch im Prinzip der Originalität. Anders zu sehen als die anderen, enthielt ein Element des Trotzes und stellte eine unberechenbare, also unkontrollierbare Einzigartigkeit dar, die von der 31 Prager Frühling 32 sche Vielfalt und die Frische der Filme, die sie dank ihrer künstlerischen Innovationskraft und ihres politischen Wagemuts auch heute noch ausstrahlen. Das Filmmuseum München dankt dem Tschechischen Zentrum München und dem Národní filmový archiv für die Unterstützung bei der Konzeption der Retrospektive, für die Bereitstellung der Filme und für die Untertitelung von außerhalb von Tschechien unbekannten Werken. Einige der Filme laufen in neuen digital restaurierten Fassungen, so DER FEUERWEHRBALL und das legendäre, bildgewaltige Historiengemälde MARKETA LAZAROVA. Als Gäste und Zeitzeugen erwarten wir die Regisseure Jan Schmidt, Karel Vachek, Juraj Herz und Jiří Menzel sowie die Schauspielerin Magda Vašáryová und den Leiter des Národní filmový archiv Michal Bregant in München. Vachek hat mit WAHLVERWANDTSCHAFTEN das wichtigste filmische Dokument über die Vorgänge im Frühling 1968 geschaffen, das einen Markstein in der Geschichte des Dokumentarfilms darstellt. Stefan Drößler KRIK (DER ERSTE SCHREI) – CSSR 1963 – R: Jaromil Jireš – B: Ludvík Aškenazy, Jaromil Jireš – K: Jaroslav Kučera – M: Jan Klusák – D: Eva Límanová, Josef Abrhám, Eva Kopecká, Jiří Kvapil, Jiří Jánoška – 77 min, OmeU – »Der Film erzählt einen Tag des Jahres 1963 und verwebt drei Handlungslinien miteinander: Eine junge Frau steht vor der Geburt ihres ersten Kindes; ihr Mann, ein Fernsehmechaniker, geht in verschiedenen Wohnungen seiner Arbeit nach; die dritte Linie bilden Fragmente aus Wochenschauen – das Bild einer chaotischen, unsicheren, halbirren Welt, in die das Kind geboren werden soll.« (Jan Žalman) EIN ANLASS ZUM SPRECHEN – BRD 1966 – R+B: Haro Senft – K: Jaromír Šofr – M: Erich Ferstl – mit Hynek Bočan, Věra Chytilová, Jan Čuřík, Miloš Forman, Jaromil Jireš, Pavel Juráček, Elmar Klos, Jan Kučera, Jiří Menzel, Jan Němec, Ivan Passer, Evald Schorm, Otakar Vávra, Václav Havel – 103 min – Dokumentarfilm über die Filmfakultät der Akademie der musischen Künste (FAMU) in Prag, die nahezu alle Filmemacher der Tschechoslowakischen Neuen Welle ausbildete. ▶ Donnerstag, 20. September 2012, 19.00 Uhr POSTAVA K PODPIRANI (JOSEF KILIAN) – CSSR 1963 – R: Pavel Juráček, Jan Schmidt – B: Pavel Juráček, Jan Schmidt – K: Jan Čuřík – M: Wiliam Bukový – D: Pavel Bartl, Pavel Šilhánek, Stanislav Michler – 38 min, OmeU – Eine kafkaeske Darstellung absurder Situationen: Ein junger Mann verstrickt sich in den Maschen einer übermächtigen bürokratischen Welt. – SBERNE SUROVOSTI (GESAMMELTE ROHHEITEN) – CSSR 1965 – R+B: Juraj Herz, nach der Erzählung »Baron Prášil« von Bohumil Hrabal – K: Rudolf Milíč – M: Zdeněk Liška – D: Václav Halama, František Ketzek, Bobina Maršátová, Libuše Palečková, Jan Vlček – 31 min – Groteske über die Relativität der Werte, die auf einem Wertstoffhof spielt. – NEZVANY HOST (DER UNGEBETENE GAST) – CSSR 1969 – R+B: Vlastimil Venclík – K: Tomáš Procházka – D: Iva Šašková, Jiří Hálek, Pavel Landovský, Václav Kotva – 23 min, OmeU – Ein junges Ehepaar wird durch ein Klopfen an der Tür aufgeschreckt. Ein Mann mit einem großen Koffer tritt ein und benimmt sich sofort wie zu Hause. ▶ Freitag, 21. September 2012, 18.30 Uhr PERLICKY NA DNE (PERLEN AUF DEM MEERESGRUND) – CCSR 1965 – R+B: Jiří Menzel, Jan Němec, Evald Schorm, Věra Chytilová, Jaromil Jireš, nach Kurzgeschichten von Bohumil Hrabal – K: Jaroslav Kučera – M: Jan Klusák, Jiří Šust – D: Emil Iserle, Miloš Čtrnáctý, Josefa Pechlátová, Vladimír Boudník, Dana Valtová – 105 min, OmU – Ein Anthologiefilm der Tschechoslowakischen Neuen Welle, der sich von tragikomischen Erzählungen Bohumil Hrabals über die Poesie des Alltags inspirieren ließ. Fünf Episoden. DER TOD DES HERRN BALTHASAR: Eine Familie geht zu einem Autorennen. DIE SCHWINDLER: Zwei alte Männer erzählen im Krankenhaus von ihrem Leben. HAUS DER FREUDE: Zwei Versicherungsvertreter begegnen einem Maler und dessen Mutter. AUTOMAT WELT: Eine Hochzeitsfeier in einer vorstädtischen Imbissbude. ROMANZE: Liebesgeschichte zwischen einem Installateur und einer jungen Zigeunerin. ▶ Samstag, 22. September 2012, 18.30 Uhr AZ PRIJDE KOCOUR (WENN DER KATER KOMMT) – CSSR 1963 – R: Vojtěch Jasný – B: Jan Werich, Jiří ▶ Freitag, 28. September 2012, 18.30 Uhr O NECEM JINEM (VON ETWAS ANDEREM) – CSSR 1963 – R+B: Věra Chytilová – K: Jan Čuřík – M: Jiří Šlitr – D: Eva Bosáková, Věra Uzelacová, Josef Langmiler, Jiří Kodet, Milivoj Uzelac, Miroslava Matlochová – 90 min, OmU – »Die Regisseurin konfrontiert ohne vordergründige Parteinahme den Alltag zweier Frauen – einer bekannten Sportlerin, deren Leben mit rastlosem Training ausgefüllt ist, und den einer Hausfrau und Mutter, die unter der Leere ihres Daseins leidet; während das Training der Sportlerin dokumentarisch gezeigt wird, ist die zweite Handlungslinie fiktiv. Die beiden Geschichten berühren sich nie, aber spiegeln sich aneinander, jedes Leben stellt das andere in Frage; aufgrund seiner originellen Konzeption löst der Film Gedanken und Fragen aus, auf die Věra Chytilová jedoch keine Antwort liefert.« (Ulrich Gregor) ▶ Samstag, 29. September 2012, 18.30 Uhr NEJVETSI PRANI (MEIN INNIGSTER WUNSCH) – CSSR 1964 – R: Jan Špáta, Stanislava Hutková – B: Jan Špáta – K: Vladimír Skalský, Karel Kracík – M: Štěpán Koníček – 31 min, OmU – »Offensichtlich spontane Interviews mit über hundert jungen Tschechen aus allen Bereichen des Lebens. Die faszinierenden Antworten zeigen das Nichtvorhandensein der offiziellen ›sozialistischen‹ Ideologie.« (Amos Vogel) – KAZDY DEN ODVAHU (MUT FÜR DEN ALLTAG) – CSSR 1964 – R: Evald Schorm – B: Antonín Máša – K: Jan Čuřík – M: Jan Klusák – D: Jan Kačer, Jana Brejchová, Josef Abrhám, Jiřina Jirásková, Vlastimil Brodský – 87 min, OmeU – »Stilistisch von Antonioni beeinflusst, erzählt Schorm die tragische Geschichte eines jungen kommunistischen Aktivisten, der beim Versuch, den revolutio- nären Idealen treu zu bleiben, immer stärker in Konflikt mir seiner Umwelt gerät. Kühne ideologische Verweise, unmissverständliche Sinnbilder und treffende Kommentare zur nachrevolutionären Wirklichkeit stempeln diesen bitteren und ironischen Film zu einem politischen Werk von großer Bedeutung.« (Amos Vogel) ▶ Sonntag, 30. September 2012, 18.30 Uhr A PATY JEZDEC JE STRACH (DER FÜNFTE REITER IST DIE ANGST) – CSSR 1964 – R: Zbyněk Brynych – B: Hana Bělohradská, Zbyněk Brynych, nach einer Novelle von Hana Bělohradská – K: Jan Kališ – M: Jiří Sternwald – D: Miroslav Macháček, Olga Scheinpflugová, Jiří Adamíra, Zdenka Procházková, Josef Vinklář, Ilja Prachař, Jana Prachařová – 97 min, OmeU – »Dieses expressionistische Drama um Verrat, Feigheit und Heldentum in einem totalitären Staat erforscht die Grenzen verschiedener menschlicher Verhaltensweisen unter extremen Bedingungen in glänzend angelegten Bildfolgen von hypnotischer Kraft. Die Geschichte eines jüdischen Arztes, der sich unerwartet einem schrecklichen Dilemma gegenübersieht, wirft elementare Fragen auf. Die Unterdrücker, angeblich Nazis, tragen keine Uniformen; die Ereignisse, scheinbar im letzten Weltkrieg angesiedelt, ereignen sich in einer zeitlosen und deshalb universellen Realität, was die bedrückende aktuelle Bedeutung des Films noch verstärkt. Ort der Handlung könnte Prag sein, Thema ist die Angst.« (Amos Vogel) ▶ Dienstag, 2. Oktober 2012, 18.30 Uhr OBCHOD NA KORZE (DAS GESCHÄFT IN DER HAUPTSTRASSE) – CSSR 1965 – R: Ján Kadár, Elmar Klos – B: Ladislav Grosman, Ján Kadár, Elmar Klos, nach dem Roman von Ladislav Grosman – K: Vladimír Novotný – M: Zdeněk Liška – D: Ida Kaminská, Josef Króner, František Zvarík, Hana Slivková, Martin Hollý – 122 min, OmU – 1942 soll in einer slowakischen Prager Frühling Brdečka, Vojtěch Jasný – K: Jaroslav Kučera – M: Svatopluk Havelka – D: Jan Werich, Emília Vašáryová, Vlastimil Brodský, Jiří Sovák, Vladimír Menšík, Jiřina Bohdalová – 101 min, OmeU – »Der Kater einer Wanderschauspieltruppe enthüllt durch seinen magischen Blick den wahren Charakter der Menschen. Mit Hilfe einer Zauberbrille durchdringt er das moralische Chaos, in dem sich die Leute selbst nicht mehr zurechtfinden. Im Stil eines phantastischen Märchenballetts inszeniert, ignoriert der Film durch seine ironischen Implikationen, deren gesellschaftskritische Intentionen durchaus deutlich ablesbar sind, die Genregrenzen des Märchenfilms und wendet sich nicht nur an ein jugendliches Publikum. Bemerkenswert ist auch die kunstvolle Nutzung der Farbfotografie, die nach dramaturgischen Gesichtspunkten eingesetzt wird.« (Helmut Pflügl) 33 Prager Frühling Kleinstadt im Zuge der nationalsozialistischen Säuberungswelle ein Tischler das Kurzwarengeschäft einer alten jüdischen Witwe übernehmen. »An der literarischen Vorlage fesselte uns vor allem die seltsame Mischung von Komödie und Tragödie. Es interessierte uns, diese diametral verschiedenen Ebenen zu einem harmonischen Ganzen zu verbinden. Beide sind für das Grundthema wesentlich: An der Gewalt sind nicht nur die Menschen mit dem Revolver im Gürtel schuld, sondern auch die ordentlichen, braven Menschen, die sich vor den Gewalttätern fürchten und deshalb zu ihren Mittätern werden.« (Ján Kadár / Elmar Klos) 34 ▶ Mittwoch, 3. Oktober 2012, 18.30 Uhr NIKDO SE NEBUDE SMAT (NIEMAND WIRD LACHEN) – CSSR 1965 – R: Hynek Bočan – B: Hynek Bočan, Pavel Juráček, nach der Erzählung »Směšné lásky« von Milan Kundera – K: Jan Němeček – M: Wiliam Bukový – D: Jan Kačer, Štěpánka Řeháková, Josef Chvalina, Hana Kreihanslová, Jaromír Spal – 95 min, OmeU – Ein junger Universitätsdozent wird von einem Wichtigtuer belästigt, der ihm schließlich zum Verhängnis wird. »Bočan hat aus der witzig-kritischen Erzählung von Milan Kundera einen skurrilen Film gemacht. Eine verrückte Wegumleitung um eine unbedeutende, aber dafür dauerhafte Straßenbaustelle steht kennzeichnend für die ganze Geschichte, die wirklich nur auf lächerlich umwegige Weise zu einem ›Fall‹ werden kann. Nicht als würde der Held zu einem unschuldigen Opfer. Auch sein Verhalten ist zweischneidig, wie der ganze Film in einer schönen Schwebe bleibt.« (Heinz Ungureit) »Bočans Debütfilm verrät große filmische Erzählkunst und weist stilistische Anklänge an Jacques Tati und Vittorio de Sica auf.« (Ivan Klimeš) ▶ Dienstag, 9. Oktober 2012, 18.30 Uhr INTIMNI OSVETLENI (INTIME BELEUCHTUNG) – CSSR 1965 – R: Ivan Passer – B: Jaroslav Papoušek, Václav Šašek, Ivan Passer – K: Miroslav Ondříček, Josef Střecha – M: Josef Hart, Oldřich Korte – D: Karel Blažek, Zdeněk Bezušek, Miroslav Cvrk, Věra Křesadlová, Jaroslava Štědrá – 71 min, OmeU – »Zu einem Musikschuldirektor in einer Kleinstadt kommt an einem Wochenende ein alter Schulfreund mit seiner Geliebten. Der Film ist die Chronik weniger Tage, die die Freunde zusammen verbringen, die Beschreibung banaler Ereignisse. Aus der Beobachtung vieler Einzelheiten ergibt sich ein Röntgenbild kleinbürgerlicher Verhaltensweisen. Hinter der pittoresken Oberfläche zeigen sich Leere, Abstumpfung, Selbstzufriedenheit, Beschränktheit. Deshalb ist INTIME BELEUCHTUNG trotz zunächst gegenteiligen Anscheins kein ›liebenswerter‹, sondern eher ein grausamer Film.« (Ulrich Gregor) ▶ Freitag, 12. Oktober 2012, 18.30 Uhr OSTRE SLEDOVANE VLAKY (LIEBE NACH FAHRPLAN) – CSSR 1966 – R: Jiří Menzel – B: Jiří Menzel, Bohumil Hrabal, nach einem Roman von Bohumil Hrabal – K: Jaromír Šofr – M: Jiří Šust – D: Václav Neckář, Jitka Bendová, Josef Somr, Vladimír Valenta, Jiří Menzel – 78 min, OmU – Unpathetische Komödie um einen verträumten Bahnbeamtenanwärter, der sich auf einem tschechischen Provinzbahnhof gegen Ende des Zweiten Weltkrieges langweilt. Eine Partisanin führt ihn in die Geheimnisse der Liebe ein, und er wird eher zufällig zum Helden des Widerstands. »Ein Werk intelligenter und ironischer Regie – allerdings auch nicht frei von ausgewalzten Effekten und Derbheiten. Dem Film war ein außergewöhnlicher Erfolg beschieden, in den USA erhielt er einen Oscar.« (Ulrich Gregor) ▶ Samstag, 13. Oktober 2012, 18.30 Uhr RUKA (DIE HAND) – CSSR 1966 – R+B: Jiří Trnka – K: Jiří Šafář – M: Václav Trojan – 18 min, ohne Dialog – Die traurige Geschichte über einen hilflosen Harlekin und eine allmächtige Hand als Parabel für die Ohnmacht der tschechischen Künstler jener Zeit. – O SLAVNOSTI A HOSTECH (VOM FEST UND DEN GÄSTEN) – CSSR 1966 – R: Jan Němec – B: Ester Krumbachová, Jan Němec – K: Jaromír Šofr – M: Karel Mareš – D: Ivan Vyskočil, Jan Klusák, Jiří Němec, Pavel Bošek, Karel Mareš, Evald Schorm – 71 min, OmU – Ein nicht näher benannter Gastgeber lädt zu einem Fest im barocken Stil ein. Seine Gäste verhalten sich wie Figuren aus einem ideologischen Pamphlet – bis einer der Gäste »flüchtet« und damit die gesellschaftliche Gesetzmäßigkeit stört. »Im Verlauf des Films verwandelt sich Renoir in Buñuel, und wir werden eines vernichtenden, pessimistischen Kommentars über SEDMIKRASKY (TAUSENDSCHöNCHEN) – CSSR 1967 – R: Věra Chytilová – B: Věra Chytilová, Ester Krumbachová, Pavel Juráček – K: Jaroslav Kučera – M: Jiří Šlitr, Jiří Šust – D: Jitka Cerhová, Ivana Karbanová, Julius Albert, Jan Klusák, Marie Češková, Jiřina Myšková – 73 min, OmU – »Eine närrische, dadaistische Komödie, eine Orgie spektakulärer visueller Köstlichkeiten, sinnlichen Dekors und wunderbarer Farbexperimente, eine groteske Farce, die trotzdem voll heiterer Weisheit ist. Zwei leichtsinnige junge Mädchen, gelangweilt und respektlos, weder der Vergangenheit noch der Zukunft bewusst, stolpern durch eine bizarre Reihe von Zufallsbekanntschaften, wilden Abenteuern, Fressorgien und Kuchenschlachten. Unter der Übertreibung, dem Sarkasmus und dem Übermut lauert ein ernsthafter Kommentar über einen betrügerischen Lebenswandel, der wie ein Spiel vonstatten geht und bei dem die Spieler zu Opfern werden.« (Amos Vogel) ▶ Freitag, 19. Oktober 2012, 18.30 Uhr Prager Frühling ▶ Sonntag, 14. Oktober 2012, 18.30 Uhr KONEC SRPNA V HOTELU OZON (ENDE AUGUST IM HOTEL OZON) – CSSR 1966 – R: Jan Schmidt – B: Pavel Juráček, Jan Schmidt – K: Jiří Macák – M: Jan Klusák – D: Beta Poničanová, Magda Seidlerová, Hana Vítková, Jana Nováková, Ondrej Jariabek, Vanda Kalinová – 80 min, OmeU – Die Welt nach einer nuklearen Katastrophe. Eine Gruppe von neun Frauen zieht durch die zerstörte Landschaft. Ihre alte Anführerin hat als einzige die Zeit vor der Katastrophe erlebt, die acht jungen Frauen in ihrer Begleitung haben ein zivilisiertes Leben nie kennen gelernt, sie sind ohne Moral und Gewissen aufgewachsen. Auf ihrer Suche nach einem Mann, mit dem sie Kinder zeugen und der Menschheit das Überleben sichern könnten, kommen die Frauen in eine ausgestorbene Stadt. Ein ungewöhnlicher ScienceFiction-Film, angesiedelt zwischen düsteren nuclear doomsday movies wie ON THE BEACH oder LORD OF THE FLIES und eskapistischen post-apocalyptic thrillers à la MAD MAX. 35 ▶ Samstag, 20. Oktober 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast: Jan Schmidt) HORI, MA PANENKO (DER FEUERWEHRBALL) – CSSR 1967 – R: Miloš Forman – B: Miloš Forman, Ja- TAUSENDSCHÖNCHEN menschliche unter dem Totalitarismus teilhaftig, einer kalten Dusche, zeitlos und unangenehm vertraut.« (Amos Vogel) Prager Frühling 36 roslav Papoušek, Ivan Passer – K: Miroslav Ondříček – M: Karel Mareš – D: Jan Vostrčil, Josef Šebánek, Ladislav Adam, Vratislav Čermák, František Debelka – 71 min, OmeU – Zu Ehren des 86-jährigen Ehrenkommandanten der freiwilligen Feuerwehr wird im kleinen Grenzort Vrchlabí ein Ball ausgerichtet – doch das Fest wird ein Fiasko. »Formans subversives Künstlertum ist so hintergründig, dass einige Kritiker in seinen Filmen noch immer nichts als frohgemute volkstümliche Komödien erblicken. Doch hinter seinem handfesten und scharfen Humor lauert eine sardonische Kritik am Kleinbürgertum. Nirgendwo kam das deutlicher zum Vorschein als in diesem Film, einer vergnüglichen und zunehmend düster werdenden Geschichte.« (Amos Vogel) ▶ Dienstag, 23. Oktober 2012, 18.30 Uhr HOTEL PRO CIZINCE (HOTEL FÜR FREMDE) – CSSR 1968 – R+B: Antonín Máša – K: Ivan Šlapeta – M: Svatopluk Havelka – D: Petr Čepek, Taťána Fischerová, Vladimír Šmeral, Evald Schorm, Jiří Menzel – 103 min, OmeU – Ein Dichter wird in dem Hotel ermordet, in das er sich zurückgezogen hat. Anhand seiner rätselhaft fragmentarischen Tagebuchskizzen wird in Rückblenden sein Leben in der Scheinwelt des Hotels beleuchtet und versucht, den Hergang des Verbrechens zu rekonstruieren. Die poetische Tragikomödie ist inspiriert vom Gestus der Stummfilmgroteske und vom Stil des absurden Theaters. »Offensichtlich ist die nostalgisch geschilderte, verschnörkelte Welt des Hotels als Allegorie der gegenwärtigen Gesellschaft gemeint, deshalb wurde der Film auch erst 1968 verspätet zur Aufführung freigegeben.« (Ulrich Gregor) ▶ Mittwoch, 24. Oktober 2012, 18.30 Uhr ZERT (DER SCHERZ) – CSSR 1968 – R: Jaromil Jireš – B: Milan Kundera, nach seinem Roman – K: Jan Čuřík – M: Zdeněk Pololáník – D: Josef Somr, Jana Dítětová, Luděk Munzar, Evald Schorm, Věra Křesadlová – 77 min, OmeU – »Ein erstaunlich ehrlicher und unbequemer Film, nicht nur wegen seiner wütenden Attacke auf den Stalinismus, sondern auch wegen der kompromisslosen Art, in der er den politischen Opportunismus der neuen Mittelklasse darstellt. Indem er eines jungen Mannes Entwicklung von jugendlichem Leichtsinn über eine politische Gefängnisstrafe zur schließlichen Bewusstwerdung nachvollzieht, gerät er zur beklemmenden Untersuchung einer korrupten Gesellschaft.« (Amos Vogel) ▶ Freitag, 26. Oktober 2012, 18.30 Uhr SPALOVAC MRTVOL (DER LEICHENVERBRENNER) – CSSR 1968 – R: Juraj Herz – B: Ladislav Fuks, Juraj Herz, nach dem Roman von Ladislav Fuks – K: Stanislav Milota – M: Zdeněk Liška – D: Rudolf Hrušínský, Vlasta Chramostová, Jana Stehnová, Miloš Vognič, Jiří Menzel – 96 min, OmeU – »Ein provozierender Versuch, zu den Quellen sadosexuellen Nazi-Ungeistes vorzudringen, wird in diesem stark expressionistischen Film über einen verklemmten Kleinbürger und Familienvater unternommen, dessen Arbeit an Leichen im örtlichen Krematorium – ›um sie frei zu machen fürs Leben nach dem Tod‹ – während der Nazibesetzung unerwartete Bedeutung gewinnt. Seine demütige Frau lässt sich bereitwillig von ihm erhängen, sein Sohn wird ermordet, und die Beförderung zum Leiter eines Vernichtungslagers erscheint schließlich als logische Auflösung einer bizarren, kraftvollen Geschichte.« (Amos Vogel) ▶ Samstag, 27. Oktober 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast: Juraj Herz) FARARUV KONEC (DAS ENDE EINES PRIESTERS) – CSSR 1968 – R: Evald Schorm – B: Josef Škvorecký – K: Jaromír Šofr – M: Jan Klusák – D: Vlastimil Brodský, Jana Brejchová, Jan Libíček, Zdena Škvorecká, Jaroslav Satoranský, Vladimír Valenta – 99 min, OmeU – Die Bewohner eines kleinen Dorfes halten irrtümlicherweise einen gewöhnlichen Küster für einen Priester. Dieser klärt den Irrtum nicht auf, und mit Hingabe und Einfühlungsvermögen erfüllt er die ihm übertragene Aufgabe zur allgemeinen Zufriedenheit. »Dieser Film ist als turbulente Farce mit köstlichen Typen aus dem Dorfmilieu angelegt, doch es mischen sich permanent Untertöne von Bitterkeit in die Satire der rivalisierenden weltlichen und kirchlichen Instanzen, wobei die Fronten von Wahrheit und Lüge nicht geradlinig verlaufen, denn Arroganz, Heuchelei und Betrug finden sich stets in den oberen Regionen jeder Instanz.« (Ivan Klimeš) ▶ Freitag, 9. November 2012, 18.30 Uhr wahl in der CSSR im Frühjahr 1968, die Reportage konzentriert sich auf die zweite Märzhälfte. Dass es ein Redefilm ist, stört, weil Wichtiges gesagt wird, überhaupt nicht – im Gegenteil, jedes Mehr an Gestaltung, etwa durch einen interpretierenden Kommentar, würde die Glaubwürdigkeit mindern. Die Direct-Cinema-Methode erweist sich hier noch einmal als demokratisches Verfahren: Auch der Zuschauer wird als Partner ernst genommen, er wird nicht gegängelt, er muss sich aus den Beobachtungen selbst eine Meinung zusammensetzen.« (Wilhelm Roth) ▶ Samstag, 10. November 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast: Karel Vachek, Michal Bregant) VTACKOVIA, SIROTY A BLAZNI (VöGEL, WAISEN UND NARREN) – CSSR 1969 – R: Juraj Jakubisko – B: Juraj Jakubisko, Karol Sidon – K: Igor Luther – M: Zdeněk Liška – D: Philippe Avron, Magda Vašáryová, Jiří Sýkora, Míla Beran, Mikuláš Ladižinský, Augustín Kubáň, Jana Stehnová – 78 min, OmU – »Diese delirierende Tour de force aus kreativer Kameraarbeit und Montage durchwandert ein verrücktes Universum surrealistischer Tableaus und bizarrer Vorgänge, wobei jede Konfiguration in Entwurf und Farbe einem Gedicht gleichkommt. Zwei Burschen und ein Mädchen, Kriegswaisen und der organisierten Gesellschaft entfremdet, versuchen, in einer Welt des Wahnsinns und des Krieges ein Leben der Freiheit und Unschuld zu leben. Dieser unkonventionelle, phantastische Film vermischt Traum und Wirklichkeit, Zärtlichkeit und Grausamkeit unter ziemlich spektakulärer Verwendung von verzerrenden Linsen, bewegter Kamera und veränderlichem Bildformat.« (Amos Vogel) ▶ Sonntag, 11. November 2012, 18.30 Uhr JAN 69 (JAN PALACH) – CSSR 1969 – R+B+K: Stanislav Milota – 20 min, ohne Worte – Ein Filmessay über die Beerdigung Jan Palachs, der sich zum Protest gegen die sowjetische Okkupation am 19. Januar 1969 verbrannte. »Eine zutiefst ergreifende Erfahrung in stiller Trauer und ein Zeugnis volksweiter Opposition.« (Amos Vogel) – SMUTECNI SLAVNOST (WUT UND TRAUER) – CSSR 1969 – R: Zdenek Sirový – B: Eva Kantůrková, Zdenek Sirový, nach dem Roman von Eva Kantůrková – K: Jiří Macháně – M: Josef Kalach – D: Jaroslava Tichá, Ľudovít Króner, Josef Somr, Jana Vychodilová, Ludmila Roubíková – 70 min, OmeU – Der Tod eines Bauern, der sich 1948 gegen die Kollektivierung gewehrt und daraufhin seinen Besitz verloren hatte, wird Anfang der 1960er Jahre zu einem Streitfall zwischen den Behörden und der Ehefrau, die ihren Mann feierlich in der Familiengruft bestatten will. Die Witwe kann sich durchsetzen, und der Trauerzug entwickelt sich zu einer eindrucksvollen Demonstration gegen die Machthaber. Sirový gibt seinem in Rückblenden verschachtelt erzählten Film die Form einer streng komponierten klassischen Tragödie. ▶ Freitag, 23. November 2012, 18.30 Uhr BYT (DIE WOHNUNG) – CSSR 1968 – R+B: Jan Švankmajer – K: Svatopluk Malý – M: Zdeněk Liška – D: Ivan Kraus, Juraj Herz – 13 min – »In diesem bedeutungsträchtigen, glänzend angelegten Werk verschwören sich die Objekte – die Welt des unglücklichen Wohnungsinhabers – gegen diesen; ein Spiegel zeigt nur den Hinterkopf, ein Ofen lässt beim Anzünden Wasser fließen, und ein Suppenlöffel hat Löcher.« (Amos Vogel) – UCHO (DAS OHR) – CSSR 1969 – R: Karel Kachyňa – B: Jan Procházka, Karel Kachyňa – K: Josef Illík – M: Svatopluk Havelka – D: Radoslav Brzobohatý, Jiřina Bohdalová, Jiří Císler, Miloslav Holub, Milica Kolofiková – 94 min, OmeU – Nach der Rückkehr von einem Fest hegen ein hoher Beamter und seine Frau den Verdacht, dass ihr Haus durchsucht wurde und sie unter Beobachtung stehen. Die aufkommende Panik lässt die zwischen dem Ehepaar schwelenden Konflikte ausbrechen. Das Schlüsselwerk der tschechischen Regalfilme wirkt wie eine Kombination aus Mike Nichols’ WHO’S AFRAID OF VIRGINIA WOOLF und Francis Ford Coppolas THE CONVERSATION. ▶ Samstag, 24. November 2012, 18.30 Uhr Prager Frühling SPRIZNENI VOLBOU (WAHLVERWANDTSCHAFTEN) – CSSR 1968 – R+B: Karel Vachek – K: Jozef Ort-Šnep – 85 min, OmeU – Der Film ist ein legendäres Portrait der politischen Protagonisten des Prager Frühlings, die in alltäglichen, oftmals privaten Gesprächen zu sehen sind. »Vachek berichtet mit virtuoser Direct-CinemaTechnik von den Vorbereitungen der Präsidentschafts- 37 Prager Frühling 38 SKRIVANCI NA NITI (LERCHEN AM FADEN) – CSSR 1969 – R+B: Jiří Menzel, nach einem Roman von Bohumil Hrabal – K: Jaromír Šofr – M: Jiří Šust – D: Rudolf Hrušínský, Vlastimil Brod, Václav Neckář, Jitka Zelenohorská, Jaroslav Satoranský, Vladimír Šmeral, Naďa Urbánková – 100 min, OmU – Die Industriestadt Kladno in den 1950er Jahren. Der Schrottplatz eines Hüttenkombinats dient als »Umerziehungslager« für »bourgeoise Elemente« und Feinde des Systems: Intellektuelle und Juristen, aber auch Handwerker und kleine Ladenbesitzer. Die bürgerlichen Werte, wie etwa ein Christuskreuz oder die Schreibmaschine eines Schriftstellers, werden zu Maschinen für den sozialistischen Aufbau umgeschmolzen. Am liebsten möchte man auch die Menschen umformen, doch diese erweisen sich mit ihren Gefühlen und Sehnsüchten als zu hart für das Feuer der Partei. Eine absurde Komödie, die nach Fertigstellung sofort verboten wurde und bei ihrer Erstaufführung 1990 auf den Berliner Filmfestspielen den »Goldenen Bären« erhielt. ▶ Dienstag, 4. Dezember 2012, 18.30 Uhr (Zu Gast: Jiří Menzel) ZAHRADA (DER GARTEN) – CSSR 1968 – R: Jan Švankmajer – B: Jan Švankmajer, Ivan Kraus – K: Svatopluk Malý – M: Zdeněk Liška – D: Jiří Hálek, Luděk Kopřiva, Míla Myslíková, Václav Borovička, František Husák – 19 min, OmeU – Ein Gartenzaun aus Menschen, ein freundlicher Funktionär mit einem mysteriösen Geheimnis, ein Gespräch mit sinnentleerten Konversationsfloskeln. – DEN SEDMY – OSMA NOC (DER SIEBTE TAG, DIE ACHTE NACHT) – CSSR 1969 – R: Evald Schorm – B: Zdeněk Mahler, Evald Schorm – K: Václav Hanuš – M: Jan Klusák – D: Jan Kačer, Bohumil Šmída, Jan Libíček, Květa Fialová, Josef Bek – 108 min, OmeU – Ein verschlafenes Dorf gerät in Panik: Der Bürgermeister und die Honoratioren des Ortes verschwinden, Züge und Telefone fallen aus, Gerüchte von einer Invasion schwirren umher, und der Dorfnarr geht daran, seine Habe zu verteilen, da er den Untergang nahen sieht. Das Verhalten der normalerweise eher ruhigen Dorfbevölkerung überschreitet die üblichen Hemmschwellen. »Eine groteske Parabel über die Angst, die Unsicherheit und das Gefühl der Bedrohung unter den Menschen, voll politischer Anspielungen« (Lino Miccichè) ▶ Freitag, 7. Dezember 2012, 18.30 Uhr ZMATEK (DIE KONFUSION) – CSSR 1968 – R+B: Evald Schorm – K: Stanislav Milota – 36 min, OmU – Unmittelbar nach dem Beginn der Okkupation 1968 ge- dreht, vereint der Film kaum bekannte Bilder von Panzern in den Straßen von Prag und von hilflosen bis phantasievollen Formen des Protests, die er zu einem eindrucksvollen Requiem verdichtet. – ZABITA NEDELE (EIN TOTGESCHLAGENER SONNTAG) – CSSR 1969 – R: Drahomíra Vihanová – B: Drahomíra Vihanová, Jiří Křenek – K: Petr Volf, Zdeněk Prchlík – M: Jiří Šust – D: Ivan Palúch, Míla Myslíková, Ota Žebrák, Petr Skarke, Irena Boleslavská, Vladislav Dražďák, Jan Vostrčil – 78 min, OmeU – Eine kleine Stadt an einem Sommersonntag: Der Oberleutnant Arnošt ist von der Eintönigkeit seines Lebens erschlagen und gleichzeitig unfähig, dieses zu ändern. Seine mechanisch angefüllte Existenz in einer entfremdeten Welt der stillstehenden Zeit verkörpert die innere Situation der Menschen Ende der 1960er Jahre. ▶ Samstag, 8. Dezember 2012, 18.30 Uhr MARKETA LAZAROVA – CSSR 1967 – R: František Vláčil – B: František Pavlíček, František Vláčil, nach dem Roman von Vladislav Vančura – K: Bedřich Baťka – M: Zdeněk Liška – D: Josef Kemr, Magda Vašáryová, Jaroslav Moučka, František Velecký, Karel Vašíček, Ivan Palúch – 162 min, OmeU – Die Geschichte von zwei rivalisierenden Clans im Mittelalter und einer tragischen Liebe. Die Titelheldin, ein ehrsames Mädchen, ist für das Leben im Kloster vorbestimmt. Sie wird aber gezwungen, die Geliebte eines gewalttätigen Jünglings zu werden. In einer Umfrage unter tschechischen Filmkritikern wurde MARKETA LAZAROVA 1998 »besten tschechischen Film aller Zeiten« gewählt. Das düstere, surreale Meisterwerk, das erst jüngst digital restauriert wurde, liefert ein eindrückliches Bild des Mittelalters. Es erinnert in seinen poetischen und streng komponierten CinemaScope-Bildern an Filme von Akira Kurosawa und an Andrej Tarkovskijs ANDREJ RUBLJOV. ▶ Dienstag, 11. Dezember 2012, 19.00 Uhr (Zu Gast: Magda Vašáryová) Das Erinnern weitertragen und Erniedrigung, des Appellstehens, des Sterbens von Mithäftlingen, des Hungerns zu narrativieren. Mitläufer und Täter des Nationalsozialismus hingegen berichten bereitwillig von den Kriegsjahren, jedoch meist in wenig bedrohlichen Anekdoten, um die eigentlich grauenvollen und möglicherweise belastenden Erlebnisse zu verdecken. Die fünf Filme dieser Reihe nähern sich den speziellen Problemen des Erinnerns, des Tradierens, des Verdrängens in der Familie. Sie beschreiten dabei grundverschiedene Wege und werfen fundamental unterschiedliche Fragen auf. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie nicht in die Falle tappen, lediglich private Familiengeschichten abzubilden. Zu den verschiedenen Arten des Schweigens gesellen sich verschiedene Arten des Fragens: GERDAS SCHWEIGEN ist ein Prozess des NachFragens, da das ursprüngliche Schweigen bereits in einem Buch gebrochen war. DAS WIRST DU NIE VERSTEHEN schafft einen stilisierten Rahmen, um seine Protagonistinnen aus der Reserve zu locken. WAS BLEIBT führt zwei kontrastierende Familiengeschichten zusammen. In 2 ODER 3 DINGE, DIE ICH VON IHM WEISS geht der Filmemacher auf Konfrontation mit seiner Familie, während WINTERKINDER – DIE SCHWEIGENDE GENERATION an die Beobachtung der Psychologin Ulla Roberts denken lässt: »Und manche Enkel Das Erinnern weitertragen In der Auseinandersetzung mit dem Naziterror rückte mit der Zeit das Altern der Betroffenen immer stärker ins Bewusstsein, und damit der nahende Verlust der wichtigsten Stimmen – nämlich der Stimmen derer, die das Geschehene selbst erlebten. Selbst das Knopp’sche Zeitzeugenfernsehen konnte sich dem nicht entziehen. Nun findet dieser Wechsel statt, der Übergang von der 2. auf die 3. Generation, mit dem das Berichten des Erlebten endgültig abgelöst wird durch stärker narrativierte Formen der Vermittlung. Dies birgt das Risiko, dass vorgefertigte Bilder zunehmend für »die Geschichte« stehen und das Fragen und Suchen ersetzen. Im familiären Kontext geschieht dies ständig, indem man das vorgefertigte Familiennarrativ übernimmt und weiterträgt. Umso überraschender ist, dass der Dokumentarfilm im vergangenen Jahrzehnt gerade Wege fand, im familiären Umfeld gegen die tradierten Bilder vorzugehen. Es geht ums Erzählen oder vielmehr darum, etwas erzählt zu bekommen. Zumeist beginnt es als Konfrontation mit dem Nicht-Wissen, mit der Suche, und damit als Auseinandersetzung mit dem Schweigen, dem Nicht-Erzählen, dem Nicht-Erzählten. Überlebende schwiegen, um ihre Partner, ihre Kinder, ihre Familien nicht zu belasten und um das einmal Erlittene nicht erneut durchzumachen. Auch in den Familien der Täter wurde geschwiegen, mit dem großen Unterschied, dass dieses Schweigen zur Mythenbildung führte, da das Familiengedächtnis »unter den Erfordernissen von Kohärenz, Identität und wechselseitiger Loyalität jedes Mitglied dazu verpflichtete, die ›gute Geschichte‹ der Familie aufrechtzuerhalten und fortzuschreiben.« (Harald Welzer) Es gibt verschiedene Arten des Schweigens, meint die Filmemacherin Anja Salomonowitz: eines, das redet, um von anderem zu schweigen, und eines, das schweigt, weil es sich zu sehr erinnert. Dies entspricht den Erfahrungen, die die Sozialwissenschaftlerin Gabriele Rosenthal in ihren Interviews sowohl mit Überlebenden der Shoah als auch mit Tätern des NS-Regimes machte: Überlebende schweigen vollkommen, da sie es nicht ertragen, die erlebte Grausamkeit sowie die tagtäglich erlittenen Situationen der Demütigung WINTERKINDER © Jens Schanze Es gibt diese Mauer des Verstehens, über die kommt man nicht. Wir sind auf der anderen Seite. Wir können Nachrichten empfangen von der anderen Seite, wir können uns die Dinge anhören, und das sollen wir auch immer versuchen. Aber wir werden diese Mauer nicht übersteigen können. Knut Elstermann 39 Das Erinnern weitertragen sagen, die Eltern haben anklagend gefragt, worauf die Großeltern gar nicht hätten antworten können. Die Enkel fragen anders.« An allen fünf Abenden werden Betroffene, Beteiligte, Filmemacherinnen und Filmemacher anwesend sein und mit dem Publikum diskutieren. Die Filmreihe findet in Kooperation mit der KZ-Gedenkstätte Dachau und dem Max-Mannheimer-Studienzentrum Dachau statt. Nathalie Geyer, Christoph Michel 40 WAS BLEIBT – Deutschland 2008 – R+B: Gesa Knolle, Birthe Templin – K: Yoliswa Gärtig, Rasmus Sievers – M: Immo Trümpelmann – Mit Erna de Vries, ihrer Tochter und Enkelin sowie Dietlindes österreichischer Familie – 58 min – Erna de Vries wurde als Kind mit ihrer Mutter nach Auschwitz deportiert und später nach Ravensbrück verbracht; bis heute erfüllt sie ihr Versprechen, das Erlebte weiterzutragen und weiterzugeben; ihre Töchter versuchen dies als Familienaufgabe fortzusetzen. Dietlinde erfuhr erst in den 1980er Jahren, dass ihre Mutter KZ-Aufseherin war; bis heute forscht sie weiter nach, während ihre eigene Tochter eine abwehrende Haltung einnimmt. Der erste Dokumentarfilm, der die familiäre Auseinandersetzung mit dem Holocaust sowohl auf der Täter- als auch auf der Opferseite beleuchtet. ▶ Sonntag, 23. September 2012, 17.30 Uhr (Zu Gast: Erna de Vries, Gesa Knolle, Birthe Templin) 2 ODER 3 DINGE, DIE ICH VON IHM WEISS – Deutschland 2005 – R+B: Malte Ludin – K: Franz Lustig, Birgit Gutjonsdottir, Martin Gressmann – M: Werner Pirchner, Hakim Ludin, Jaroslav Nahovica – Mit Malte Ludin, Erla Ludin, Iva Švarcová – 89 min – Hanns Elard Ludin war Deutscher Gesandter in der Slowakei und hatte maßgeblichen Anteil an der Deportation slowakischer Juden. 1947 wurde er in der CSSR als Kriegsverbrecher hingerichtet. In der Familie hieß es, er sei gefallen, und bald schlich sich gar die Vorstellung ein, er sei im Widerstand gewesen. Der jüngste Sohn macht sich nach Jahrzehnten daran, das Familiennarrativ zu hinterfragen. Er lässt in der Befragung seiner Verwandten nicht locker, geht dabei bisweilen brachial und schmerzhaft vor. ▶ Sonntag, 28. Oktober 2012, 17.30 Uhr (Zu Gast: Malte Ludin) DAS WIRST DU NIE VERSTEHEN – Österreich 2003 – R+B: Anja Salomonowitz – K: Leena Koppe – M: Sami Zeciri – Mit Gertrude Rogenhofer, Margit Kohlhauser, Hanka Jassy, Yael Salomonowitz, Ludwig Jassy – 53 min – »In meinem Film geht es um drei Frauen, die dem, was in der Geschichtswissenschaft als Täter- und Opfergeneration bezeichnet wird, angehören. Mit ihren unterschiedlichen Lebensgeschichten, unterschiedlichen Erzählungen und Erinnerungen leben sie alle in einer Familie, in meiner Familie.« (Anja Salomonowitz) »Hanka Jassy, ihre Großtante, hat Auschwitz überlebt. Gertrude Rogenhofer, ihr Kindermädchen, war Sozialistin und unterstützte ihren Onkel im Widerstand. Margit Kohlhauser, die Großmutter, lebte während des Krieges in Graz. Sie tat dort, was die meisten taten: Nichts.« (Nora Sternfeld) ▶ Sonntag, 25. November 2012, 17.30 Uhr (Zu Gast: Anja Salomonowitz) GERDAS SCHWEIGEN – Deutschland 2008 – R: Britta Wauer – B: Britta Wauer, nach dem Buch von Knut Elstermann – K: Kaspar Köpke, Bob Hanna – M: Karim Sebastian Elias – Mit Gerda Schrage, Knut Elstermann, Steven Schrage, Helga Elstermann, Dorle Specht – 95 min – Am Anfang steht ein Tabubruch: Das Kind Knut fragt seine »Tante Gerda« aus Amerika, gerade zu Besuch in der DDR, nach dem Verbleib ihres Kindes, über das niemand zu sprechen wagt. Die Kaffeegäste schweigen entsetzt. Knut ist verwirrt und beschämt. 30 Jahre später besucht Knut Elstermann Gerda in New York und stellt ihr diese Frage erneut, und sie bricht ihr jahrzehntelanges Schweigen. Die Filmemacherin Britta Wauer ist Gerdas Geschichte nachgegangen und zeichnet das filmische Porträt einer faszinierenden Frau, die sich mit trotzigem Lebensmut ein Leben nach Auschwitz aufgebaut hat. ▶ Sonntag, 20. Januar 2013, 17.30 Uhr (Zu Gast: Knut Elstermann) WINTERKINDER – DIE SCHWEIGENDE GENERATION – Deutschland 2005 – R+B: Jens Schanze – K: Börres Weiffenbach – Mit Antonie Schanze, Horst Schanze, Kerstin Schanze, Bärbel Schanze, Annette Schanze – 95 min – Jens Schanze versucht in Gesprächen mit seiner Familie, die Geschichte seines Großvaters zu erforschen, der NS-Funktionär in Schlesien war. Nach jahrzehntelangem Schweigen tauchen in der Familie plötzlich Informationen über den Großvater auf, die nicht zu dem liebevollen Bild passen wollen, das die Mutter in ihren Erzählungen immer vermittelt hat. Anstatt seiner Mutter Vorwürfe zu machen und sie zu verurteilen, befasst sich Schanze mit der Schwierigkeit, den Vater / Großvater als Nazi-Täter zu begreifen. ▶ Sonntag, 10. Februar 2013, 17.30 Uhr (Zu Gast: Jens Schanze) PARABETON Underdox 7. Underdox Festival 41 WHITE EPILEPSY Ben Rivers war der letztjährige Artist in Focus des Festivals für Dokument und Experiment, Underdox. Das Festival für Filme im Zwischenreich von Kunst, Dokumentarfilm und experimentellen Formen zeigt den ersten Langfilm des Briten, TWO YEARS AT SEA, der letztes Jahr auf den Filmfestspielen von Venedig mit dem Preis der Internationalen Filmkritik ausgezeichnet wurde und u. a. im New Yorker Museum of Modern Art zu sehen war. Rivers Film begleitet den Einsiedler Jake bei seinen alltäglichen Verrichtungen in einer abgeschiedenen, wilden Natur. Gefilmt hat Rivers in grobkörnigem Schwarzweiß, auf 16mm, und das Material selbst entwickelt, was seinem Film eine einzigartige, verrätselte Atmosphäre verleiht. Underdox zeigt die Werke von Filmkünstlern, die es hierzulande noch zu entdecken gilt. Der Franzose Philippe Grandrieux ist einer von ihnen. Der Dokumentar- und Kunstfilmer ist Vertreter eines physischen, ganz und gar sinnlichen Kinos, dem cinéma du corps und steht damit in einer Reihe mit Catherine Breillat oder Gaspar Noé. Für WHITE EPILEPSY hat er das Bildformat gekippt und arbeitet in Bildern, die an die Malerei von Caravaggio erinnern, zwei Körper heraus, die in einer archaischen Umarmung ihre ganze wilde Schönheit entwickeln. Heinz Emigholz ist Professor für Experimentelle Bildgestaltung und Autor von Architekturfilmen, dessen Filme regelmäßig im Filmmuseum gezeigt wurden. In PARABETON spannt er den Bogen von den ersten römischen Betonbauten zu den stilbildenden Konstruktionen des italienischen Bauingenieurs Pier Luigi Nervi. Ungewöhnlich für Emigholz: Zum ersten Mal werden seine Bilder durch die Bewegungen von Tieren und Menschen animiert, die sich in den teils verlassenen, teils noch funktionalen Gebäuden aufhalten. Underdox ist eines von fünf Partnerfestivals der Viennale. Zum 50. Geburtstag des Wiener Festivals wird es zwei Programme als Hommage geben. In der Artothek neben dem Filmmuseum gibt es außerdem Sonderveranstaltungen rund um das Thema Kunst und Kino. Das genaue Programm von Underdox mit allen Titeln, Spieldaten und Spielorten ist ab Mitte September unter www.underdox-festival.de zu finden. Dunja Bialas ▶ Donnerstag, 4. Oktober bis Sonntag, 7. Oktober 2012 Rumänisches Filmfestival Rumänien Ein Gespräch bei Tisch, dem sich die Freundin des Sohnes nicht entziehen kann, während ihre Freundin Gefahr läuft, in einem Hotelzimmer bei einem heimlichen Abtreibungsversuch zu verbluten (Cristian Mungius 4 MONATE, 3 WOCHEN, 2 TAGE), die Gespräche des Krankenhauspersonals, während ein alter Mann die Agonie des Todes erreicht (Cristi Puius DER TOD DES HERRN LAZARESCU): vielleicht stand noch keine Gesellschaft wie die rumänische in ihrer spezifischen Art, im Gespräch Realität zu leugnen, so entschieden auf dem Prüfstand eines Kinos, dessen Kameras Aufzeichnungsmedium sein wollen, die fixieren, dabei erzittern, in Plansequenzen aushalten – und unauflösbare Widersprüche aufzeigen. Die zweite Dekade der Neuen Rumänischen Welle bricht an. Puiu fordert mit seinem dritten Film AURORA (im letztjährigen Programm des Filmmuseums) die Wirklichkeit selbst heraus, wenn sich für seinen verschlossenen Helden ein Moment seines komplexen Beziehungsgeflechtes zu vier Morden verdichtet. Mungius dritte Regiearbeit JENSEITS DER HÜGEL bekam dieses Jahr – nach der Goldenen Palme für 4 MONATE, 3 WOCHEN, 2 TAGE – in Cannes Drehbuch- und Darstellerpreis. Wenn es Puius Frage ist, wieviel an reiner Sichtbarkeit Bilder in ihrer Folge fassen können, so fragt Mungiu mit ähnlicher Konzentration danach, wieviel Erzählung in eine Einstellung hineinpasst, welche Physis des Geistes in ein Bild, das sich dem Illusionskino verweigert. War 4 MONATE … ein Thriller mit überraschendem Inventar, so ist JENSEITS DER HÜGEL romanhaft jenseits von Sprache. Erneut stehen zwei junge Frauen im Zentrum, die eine liebt die andere, die andere liebt Gott vor der einen. Ihre Beziehung zu- JENSEITS DER HÜGEL 42 einander ist die asymmetrische Achse des Filmes, an der entlang sich mit bescheidener Selbstverständlichkeit eine Tragödie ausbreitet. Das neue rumänische Kino differenziert in seinem zweiten Jahrzehnt seine Motive und Ausdrucksformen bewusst aus. Im diesjährigen Programm sind die neuen Arbeiten von Adrian Sitaru und Radu Jude zu sehen. Beide widmen ihre Filme, AUS LIEBE MIT DEN BESTEN ABSICHTEN und ALLE IN UNSERER FAMILIE, explizit den tragikomisch quälenden Familienbanden, deren Hintergrundrauschen die Spannung so vieler rumänischer Filme ausmachte. Sitaru ziseliert dabei ihre feinsten neurotischen Impulse aus, projiziert die Einmischungen einer vorlauten Gesellschaft an die Wand eines Krankenhauszimmers, in dem die geliebte Mutter sich von einem Schlaganfall erholen soll. Judes Held wird gleich ungewohnt handgreiflich, als ihm die perfiden Ausweichmanöver seiner Ex-Frau die Tochter zu entziehen drohen. Beide, Sitaru und Jude, verfolgen dabei auch formal-ästhetische Absichten, Fragen, die die neue Sprache des rumänischen Kinos aufwirft. Mit seinen beiden Spielfilmen SPORTANGELN und AUS LIEBE… lotet Sitaru die Möglichkeiten und Konsequenzen der subjektiven Einstellung aus. Jude – schön nachzuvollziehen bei der aufeinanderfolgenden Präsentation von ALEXANDRA, ALLE IN UNSERER FAMILIE und EIN FILM FÜR FREUNDE – infiltriert die meisterlich realistischen Konfliktsituationen des rumänischen Kinos mit Theatralik, mit dem Trash der B-Movies, mit einem Extremismus der Darstellung. Eine andere zentrale Entwicklungslinie der Neuen Welle greift Gabriel Achim mit ADALBERTS TRAUM auf: die erinnerte kommunistische Vergangenheit. Achim geht Ein Programm im Rahmen der »Rumänischen Kulturtage München« (5. Oktober bis 2. Dezember 2012), in Kooperation mit der Gesellschaft zur Förderung der Rumänischen Kultur und Tradition e.V., München und dem Centrul National al Cinematografiei, Bukarest. CHIPURI (GESICHTER) – Rumänien 2002 – R: Anca Damian – B: Anca Damian, Laurentiu Damian – 6 min, OmeU – Sie machen ein Foto. Sie versuchen, eine Sekunde stillzuhalten. Die Zeit vergeht, das Foto hält eine Sekunde ihres Lebens fest. Auf dem Friedhof sind die Fotos Symbole des Totengedenkens. – CRULIC – DRUMUL SPRE DINCOLO (DER WEG INS JENSEITS) – Rumänien/Polen 2011 – R+B: Anca Damian – K: Ilija Zogowski – M: Piotr Dziubek – 73 min, OmeU – Claudiu Crulic aus Dorohoi ist tot, gestorben 33jährig in Krakau nach 90tägigem Hungerstreik, mit dem der schuldlos Inhaftierte das Gefängnis, das Gericht, das Konsulat zur Prüfung seines Falles bewegen wollte. Der Animationsfilm von Anca Damian wirbelt alle Techniken seiner Kunst durcheinander: Aquarell und Realfilm, Fotografie und Zeichnung, Knetmasse und Computergrafik, um den Gehalt von Erfahrungen und den Geschmack von Erinnerungen einzufangen. ▶ Donnerstag, 11. Oktober 2012, 19.00 Uhr (Zu Gast: Anca Damian) MEANDRE (MÄANDER) – Rumänien 1967 – R: Mircea Saucan – B: Horia Lovinescu – K: Gheorghe Viorel Todan – M: Tiberiu Olah – D: Margareta Pogonat, Mihai Paladescu, Dan Nutu, Anna Széles – 89 min, OmeU – Ein Film von geometrischer Schönheit. Schwarz/Weiß von chromatischer Dichte, extreme Perspektiven, experimenteller Ton, surreale Motive und eine Montage von Sensationen, in denen die Vergangenheit gegenwärtig und zugleich die Gegenwart eine vergangene ist. Gelu bewundert Petre, den Geliebten seiner Mutter, und lässt sich von diesem ins Erwachsensein initiieren, weil »die Wahrheit existiert, die Liebe existiert, weil dies keine Lügen sind«. Eine Liebe scheitert am Sicherheitsbedürfnis einer schönen Frau, eine Karriere an Konformismus und ästhetischem Mittelmaß, der Beat der 1960er bricht mit kühlem Kalkül in der Mitte des Films die von den Körpern entfremdeten Stimmen in den katakombengleichen Behausungen der stalinistischen Ära auf. ▶ Freitag, 12. Oktober 2012, 21.00 Uhr (Zu Gast: Dan Nutu) 100 DE LEI (DER 100 LEI-SCHEIN) – Rumänien 1974 – R: Mircea Saucan – B: Horia Lovinescu – K: Gheorghe Viorel Todan – M: Anatol Vieru – D: Dan Nutu, Ion Dichiseanu, Ileana Popovici, Violeta Andrei – 95 min, OmeU – Saucans vierter und letzter Spielfilm nach vierjährigem Arbeitsverbot fällt 1973 in die Zeit der neostalinistischen Restauration. Dem 1971 ausge- Rumänien in seiner schwarzen Komödie, darin ähnlich selbstbewusst wie Sitaru und Jude, formal einen neuen Weg, den der Kombination unterschiedlicher Datenträgerformate, um die historischen Texturen sprechen zu lassen – und den des ironischen Zitats von Filmen, die die Gesellschaft kollektiv einten. Das emanzipatorische Spiel, in das Achim die VHSTechnik einbindet, die für die jetzige Garde der jungen rumänischen Filmemacher in den 1980ern der Königsweg der Filmrezeption war, erfasst die Neue Welle selbst. Alexandru Maftei dreht mit HALLO! WIE GEHT’S? einen Genrefilm, eine romantic comedy zwischen Mittvierzigern, die der Liebe im Internet verfallen. Anca Damian dreht mit CRULIC einen abendfüllenden, von einem tragischen Schicksal inspirierten Animationsfilm, der sich durch die Mischung von Techniken von den Fesseln der biographischen Erzählung befreit. Im Jahr 2000, ein Jahr vor Cristi Puius Debüt KOKS UND KOHLE, war in Rumänien kein einziger Film entstanden. Brüche sind konstitutiv für die Filmgeschichte des Landes. Das Programm wirft auch einen Blick zurück auf diese Geschichte, wie sie sich nicht nur aus der Gegenwart in die Zukunft schreibt, sondern auch erneut zu schreiben ist, aus dem Kinosaal als lebendigem Archiv einer unterdrückten Vergangenheit heraus. Nur vier Spielfilme konnte Mircea Saucan zwischen 1960 und 1974, von beispielloser Zensur betroffen, drehen. MÄANDER und DER 100 LEI-SCHEIN sind Meisterwerke, genuin europäische Filme, die das Formbewusstsein seiner sowjetischen Lehrmeister mit den Aufbrüchen westeuropäischer Kinematographien verbanden. Die Kulturpolitik des Landes drängte Saucan nahezu vollständig aus dem Kino, dem damaligen Leitmedium der Wirklichkeitswahrnehmung, wie aus dessen Rezeptionsgeschichte hinaus. Er ist neu zu entdecken. Irene Rudolf 43 Rumänien rufenen ideologischen Kulturkampf setzt Saucan den rebellischen Hippie Petre entgegen, der ein Mädchen nicht für sich gewinnen kann und am Zynismus seines Bruders, eines arrivierten Schauspielers, scheitert. 44 Absurd verspielte Nachmittage in den Straßen Bukarests, aufgeworfene Landstriche, in denen mythische Ursprünge und mystische Erfahrungen aufscheinen, ein aufsehenerregender Buick, Träume der befreienden Bruderliebe und eine Sprache, die profane Realität, Spiel und Literatur und die Narben eines Freigeistes eint. Der Film erfährt die gewaltsamste Zensur: Das Negativ wird zerstört, Saucan wird psychiatrisch zwangsbehandelt, drei heimlich gezogene Positive überdauern die Diktatur, eines ist erhalten geblieben. ▶ Samstag, 13. Oktober 2012, 21.00 Uhr (Zu Gast: Dan Nutu) BUNA! CE FACI? (HALLO! WIE GEHT’S?) – Rumänien 2011 – R: Alexandru Maftei – B: Lia Bugnar – K: Radu Aldea – M: Dragos Alexandru – D: Dana Voicu, Ionel Mihailescu, Paul Diaconescu, Ana Popescu, Ioan Andrei Ionescu – 105 min, OmeU – Als Antwort auf Amerikas romantic comedy verwandelt Maftei Bukarest in ein warm glänzendes petit Paris, in dem an Haltestellen und Marktständen mutig Sehnsuchtsbotschaften aufblinken. Ein altmodisch bürgerliches und in zwanzig Ehejahren einander gleichgültig gewordenes Paar wird wieder zu Gabriel und Gabriela, die miteinander und ohne voneinander zu wissen heimlich und zum ersten Mal im Internet chatten. Die unverhoffte Nähe zu einem Fremden verändert sie beide. Maftei erzählt die turbulent scheue Geschichte eines zweiten Frühlings der Gefühle durch die Augen des stark pubertierenden Sohnes und findet ein Happy-End, das auch den Projektionen und Enttäuschungen eines virtuellen Aufbruchs und eines Kinos als Traumfabrik gerecht wird. ▶ Mittwoch, 17. Oktober 2012, 21.00 Uhr PESCUIT SPORTIV (SPORTANGELN) – Rumänien 2007 – R+B: Adrian Sitaru, nach einer Vorlage von Radu Jude – K: Adrian Silisteanu – M: Cornel Ilie – D: Adrian Titieni, Ioana Flora, Maria Dinulescuu – 84 min, OmeU – Zehn Drehtage im warmen Oktober, ein See nah der Hauptstadt, eine handgeführte Digitalkamera, keine Filmförderung: Sitaru dreht mit der Freiheit eines »Dogma«-Films, entwirft eine mise en scène am vorgefundenen Ort, entwickelt eine Dramaturgie in Echtzeit – und erzählt ausschließlich aus der jeweils subjektiven Perspektive seiner drei Hauptfiguren. Die abgründige Komödie um Schuld und Feigheit, Lüge und Begehren, Verführung, Bosheit, Naivität und Eifersucht rührt ans Phantastische. Ein Liebespaar fährt zu einem Picknick ins Grüne. Sie überfahren eine junge Prostituierte, die an ihrer Seite bleibt, mit zum See fährt, die »Büchse der Pandora« öffnet und keine Ruhe gibt, bis das moderne »Déjeuner sur l’herbe« zum Vexierbild einer anderen Erzählung aus einem anderen Blickwinkel wird. ▶ Samstag, 20. Oktober 2012, 21.00 Uhr DIN DRAGOSTE CU CELE MAI BUNE INTENTII (AUS LIEBE MIT DEN BESTEN ABSICHTEN) – Rumänien 2011 – R+B: Adrian Sitaru – K: Adrian Silisteanu – D: Bogdan Dumitrache, Natasa Raab, Marian Ralea, Alina Grigore, Adrian Titieni – 105 min, OmeU – Ein Anruf, die Mutter liege im Krankenhaus. Alex, der Endzwanziger, fährt sofort mit leichtem Gepäck und schweren Gedanken in die Heimatstadt. Eine Lawine an Spekulationen und Optionen, Rekonstruktionen und Voraussagen erfasst ihn. Was genau ist vorgefallen? Ist der Arzt kompetent, sagt er überhaupt die Wahrheit? Der Mutter geht es zusehends besser, dem Sohn zunehmend schlechter in diesem tragikomischen Familiendrama; und jeder Beteiligte, Vater und Freundin, Ärzte und das Lehrerkollegium der Mutter, Fremde allerorten ohnehin, haben was dazu zu sagen. Autobiografisch inspiriert, treibt Sitaru sowohl sein Thema aus SPORTANGELN, den Zweifel an den stattfindenden Ereignissen, als auch sein formales Experiment weiter. ▶ Sonntag, 21. Oktober 2012, 21.00 Uhr über das Unterbewusste des sozialistischen Arbeiters bevorsteht, sondern auch eine private Messerproduktion an der kollektiven Werkbank die Wachsamkeit der Spitzel und Funktionäre umgehen muss. ▶ Mittwoch, 24. Oktober 2012, 21.00 Uhr DUPA DEALURI (JENSEITS DER HÜGEL) – Rumänien 2012 – R+B: Cristian Mungiu, nach Tatiana Niculescu Bran – K: Oleg Mutu – D: Cosmina Stratan, Cristina Flutur, Valeriu Andriuta, Dana Tapalaga, Luminita Gheorghiu – 150 min, OmeU – Ein säkulares Passionsspiel, ein puristisches, in langen handgehaltenen Einstellungen sich abzeichnendes Melodram, ein tödliches Ringen zweier Frauen in farbreduzierten Tableaus, die die calvinistische Reinheit altniederländischer Malerei atmen. Alina kehrt in den armen Landstrich der Moldau zurück, um Voichita, die Jugendfreundin und spätere Geliebte im Waisenhaus, nach Deutschland mitzunehmen, findet sie in einer entbehrungsreich lebenden Klostergemeinschaft, kann sie nicht vom Ruf Gottes losreißen und nimmt um ihretwillen mit der pathologi- schen Verzweiflung Liebender den Kampf mit den Dogmen der Orthodoxie auf. Mungiu erzählt unparteiisch, entfaltet das Weltverständnis der Nonnen in der Konzentration auf die Körperlichkeit einer spirituellen Praxis, deren buchstäbliches Heilsversprechen den humanen Horizont überschreitet. ▶ Freitag, 26. Oktober 2012, 21.00 Uhr ALEXANDRA – Rumänien 2008 – R+B: Radu Jude – K: Andrei Butica – D: Serban Pavlu, Alexandra Pascu, Oana Ioachim – 27 min, OmeU – TOATA LUMEA DIN FAMILIA NOASTRA (ALLE IN UNSERER FAMILIE) – Rumänien 2012 – R+B: Radu Jude – K: Andrei Butica – D: Serban Pavlu, Mihaela Sirbu, Gabriel Spahiu – 107 min, OmeU – Judes Figuren sind von unbändigem Spieltrieb, und ihre Beziehungen zueinander sind ständiges hausgemachtes Theater. In ALEXANDRA streiten Vater, Mutter und deren neuer Lebensgefährte um die Deutungshoheit des Wortes »Papa« – der misstrauische Papa sieht sich aus dem Leben der Tochter herausgedrängt. In ALLE IN UNSERER FAMILIE setzt der Vater dann in derselben Sache zu anarchischer Gegengewalt an. Marius will sein gerichtlich zuerkanntes Besuchsrecht wahrnehmen, Otilia, die Mutter, will das vereiteln, der neue Freund und die Großmutter treiben die rasant Volten schlagende Eskalation voran. Mit Judes Film fällt ein Tabu für das rumänische Kino: jenes des Klischees, der Geste aus zweiter Hand, der grellen Farbe und des geschmacklosen Schlagabtauschs. Die Hysterie der Verhältnisse ist zugleich zenbuddhistische Fügung und schiere Lebenskraft. ▶ Samstag, 27. Oktober 2012, 21.00 Uhr FILM PENTRU PRIETENI (EIN FILM FÜR FREUNDE) – Rumänien 2011 – R+B: Radu Jude – K: Andrei Butica – D: Gabriel Spahiu, Serban Pavlu, Lucia Maier – 60 min, OmeU – In einer tour de force ungeschnittener 30 Minuten nimmt der Schauspieler Gabriel Spahiu vor dem geplanten Selbstmord eine Videobotschaft an seine Freunde auf. Der Kinozuschauer ist nicht gemeint, bleibt auf Distanz. »Es ist tragisch, dass es so komisch ist«, sagt Jude. Der Suizid misslingt, die Kamera läuft weiter, die Amateuraufnahme wird zum Fenster in eine Welt, in der Nachbarn, dann Sanitäter aus dem Off kommen und verzweifelt agieren. Mit Freunden an zwei Tagen in Spahius Wohnung gedreht, erreicht der Film eine seltene Einheit von Form und Inhalt. Jude sucht wieder – wie in ALLE IN UNSERER FAMILIE – das Extrem, das bislang Ungesehene, einen Naturalismus des Ausnahmezustandes. ▶ Sonntag, 28. Oktober 2012, 21.00 Uhr Rumänien VISUL LUI ADALBERT (ADALBERTS TRAUM) – Rumänien 2011 – R: Gabriel Achim – K: George Chiper-Lillemark – D: Gabriel Spahiu, Ozana Oancea, Doru Ana, Anca Androne – 98 min, OmeU – Im Geist der Tschechoslowakischen Neuen Welle, alte Dias zum Arbeitsschutz mit 8mm- und VHS-Texturen kombinierend, die ideologische und materielle Ausstattung der 1980er Jahre zusammentragend: Achims Debüt nimmt als schwarze Komödie um den Ingenieur Iulica eine Nacht und einen Tag im Mai 1986 in Augenschein. Steua Bucuresti gewinnt den UEFA-Pokal, die Gründung der kommunistischen Partei jährt sich zum 65. Mal, und Iulica geht im täglichen Slalom der ausweichenden Rede und der zuvorkommenden Gefälligkeiten dem Fabrikfest entgegen, bei dem nicht nur die Uraufführung seines experimentellen Stummfilms »Adalberts Traum« 45 46 ANNIE HALL Film und Psychoanalyse Film und Psychoanalyse Jetzt wird’s ernst! Die letzte Komödienstaffel und unser hingebungsvolles Publikum haben uns ermutigt, der leichten Muse noch etwas näher zu treten. Nach den Titanen des Genres in der ersten Staffel, den Marx Brothers, Ernst Lubitsch und Billy Wilder, hatte uns Martin Scorseses KING OF COMEDY bereits einen Vorgeschmack auf die Metakomödie gegönnt, die davon lebt, dass im Film das Filmkomische selbst aufs Korn genommen wird. In unserer neuen Staffel geben sich weitere Artisten der Selbstreferenz die Ehre: Woody Allen, der die Psychoanalyse als Leinwand benutzt, Crichton und Cleese, die aus einer Heist-Vorlage ein unwiderstehliches Pointenpatchwork häkeln, Bill Murray, der sozusagen aus dem Film nicht mehr herauskommt, und zum Abschluss der Meister des Unauffälligen, Jacques Tati mit seiner Figur Monsieur Hulot. Was die Psychoanalyse dazu zu sagen hat? Verraten wir nicht. Andreas Hamburger geschichte. Aber wie Allen das Paar sich in ständigen, hypomanischen Selbsterklärungen finden – und natürlich hauptsächlich verfehlen lässt, wie Alvy ständig von autobiographischen Assoziationen heimgesucht wird, die ihm helfen sollen, sich zu verstehen und ihn doch nur verwirren und uns belustigen, das ist nicht nur einzigartig komisch, sondern Woody Allen hat mit seinem Film einem Männertyp der 1970er Jahre ein ironisches Denkmal gesetzt, den der deutsche Verleihtitel DER STADTNEUROTIKER ausnahmsweise einmal gut erfasst. Wie virtuos der Film auch formal ist, mit seinen locker ineinander geschachtelten Rückblenden, seinen Doppelbelichtungen, dem direkten Ansprechen des Publikums und mit seinen Untertitelungen: Das kann man mehr als drei Jahrzehnte nach der Entstehung fast noch besser genießen als beim ersten Sehen. ANNIE HALL (DER STADTNEUROTIKER) – USA 1977 – R: Woody Allen – B: Woody Allen, Marshall Brickman – K: Gordon Willis – D: Woody Allen, Diane Keaton, Tony Roberts, Carol Kane, Paul Simon – 93 min, OmU – Der erfolgreiche Komiker Alvy Singer liebt und verliert die Sängerin Annie Hall: Kein neues Thema in der Film- A FISH CALLED WANDA (EIN FISCH NAMENS WANDA) – USA 1988 – R: Charles Crichton – B: John Cleese – K: Alan Hume – M: John Du Prez – D: John Cleese, Jamie Lee Curtis, Kevin Kline, Michael Palin, Maria Aitken – 108 min, OmU – Aus der Feder des Monty Python-Stars John Cleese stammt diese briti- ▶ Sonntag, 21. Oktober 2012, 17.30 Uhr (Einführung: Matthias Baumgart) GROUNDHOG DAY (…UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER) – USA 1993 – R: Harold Ramis – B: Danny Rubin – K: John Bailey – M: George Fenton – D: Bill Murray, Andie MacDowell, Chris Elliott, Steven Tobolowsky, Brian Doyle-Murray – 101 min, OmU – Phil Connors ist ein zynischer TV-Wetteransager, der wie jedes Jahr im Februar über ein Wetterritual in Illinois berichten muss, bei dem ein erwachendes Murmeltier das Frühjahr ankündigt. Zu seinem Schrecken muss er erkennen, dass er in einer Zeitschleife festhängt, die denselben Tag immer wieder aufs Neue in seinem Hotelzimmer beginnen lässt. Ob in der Filmtrilogie BACK TO THE FUTURE, den TERMINATOR-Filmen oder eben GROUNDHOG DAY – für den Film war es immer eine faszinierende Möglichkeit, mit den Zeitebenen spielen ▶ Sonntag, 13. Januar 2013, 17.30 Uhr (Einführung: Mathias Lohmer, Eva Friedrich) LES VACANCES DE M. HULOT (DIE FERIEN DES MONSIEUR HULOT) – Frankreich 1953 – R: Jacques Tati – B: Jacques Tati, Henri Marquet – K: Jacques Mercaton – M: Alain Romans – D: Jacques Tati, Nathalie Pascaud, Michele Rolla, André Dubois – 99 min, OmeU – Jacques Tatis Abenteuer in einer kleinen Badestadt am Atlantik. Mit dem ihm ganz eigenen skurrilen, dem Stummfilm verwandten Humor schildert Tati die Fährnisse eines Außenseiters, der von der heterogenen Gruppe der Urlauber wegen seines ungewollt »asozialen« Verhaltens abgelehnt wird. Mit seinem chaotischen Charme gewinnt er allerdings die Sympathie der allseits begehrten Martine. Die Komik entsteht durch die körpersprachlichen Eigenheiten des Protagonisten, den Lärm und die Tumulte, die er in der Gruppe produziert, und die Kettenreaktionen von Alltagskatastrophen, die er unabsichtlich auslöst. Gezeigt wird die ungekürzte Urfassung des Films aus dem Jahr 1953. Film und Psychoanalyse ▶ Sonntag, 18. November 2012, 17.30 Uhr (Einführung: Heidi Spanl, Katharina Leube-Sonnleitner) zu können, in Zeitlöcher oder -schleifen zu geraten, in der Zukunft oder Vergangenheit festgehalten zu sein und versuchen zu müssen, in die eigene, »richtige« Zeit zurückkehren zu können. ▶ Sonntag, 17. Februar 2013, 17.30 Uhr (Einführung: Corinna Wernz, Andreas Hamburger) 47 A FISH CALLED WANDA sche Kult-Komödie von 1988. Der Plot um ein Gaunerquartett gibt den Autoren Gelegenheit, schwärzesten britischen Humor mit einem lustvollen Angriff auf bürgerliche Moral- und Ehrvorstellungen zu verbinden. Tabus werden im befreienden Lachen über Behinderung, Verklemmtheit, Tierliebe und über den Anspruch auf Treue, Ehrlichkeit und Anstand außer Kraft gesetzt. Lebensformen von »geordneter Sexualität« und Versuche sexueller Befreiung gehen ineinander über. Olympia 1936 Foto: Leni Riefenstahl © International Olympic Committee / Leni Riefenstahl Medienarchiv Olympia 1936 48 Leni Riefenstahls monumentaler, zweiteiliger Film OLYMPIA gilt noch heute als einer der »besten Sportfilme«. Sein Ruf ist legendär, und zweifelsohne ist schon seine Entstehungsgeschichte einzigartig: Der Film wurde mit einem nicht nur für die damaligen Zeit unglaublichen Budget gedreht, das ein Vielfaches über den Herstellungskosten eines normalen Spielfilms lag, und erst zwei Jahre nach dem Ereignis ins Kino gebracht, weil Riefenstahl allein anderthalb Jahre im Schneideraum verbrachte. Sie sah in dem Projekt eine Herausforderung, die ihr weltweite Beachtung und Ruhm einbringen sollte. So erstellte Riefenstahl selber leicht umgeschnittene und veränderte Sprachfassungen von OLYMPIA in Englisch, Französisch, Italienisch und Japanisch, besuchte die Premieren in verschiedenen europäischen Ländern und nahm zahlreiche Auszeichnungen entgegen. Nur in Hollywood, wo man ihre Nähe zu den Machthabern des NS-Regimes missbilligte, verweigerte man ihr die Anerkennung – als Riefenstahl im November 1938 in Los Angeles eintraf, wurde sie von fast allen Vertretern der Filmwirtschaft boykottiert. Joseph Goebbels hatte OLYMPIA in höchs- ten Tönen gelobt: »Der hinreißende Rhythmus dieses gewaltigen Sportepos verrät Geist vom Geiste unserer Zeit. In einer modernen, aber dabei disziplinierten und gründlichen Arbeit ist hier ein künstlerischer Film zustande gekommen, der alle Bewunderung verdient. Er wird deutsche Geltung in der Welt vertreten und Zeugnis ablegen von der Größe unseres Volkes und unserer Zeit.« Enttäuscht teilte Riefenstahl den amerikanischen Pressevertretern mit: »Obwohl Amerika auf der Olympiade 1936 große Erfolge erzielt hat, wird der Film mit seinen siegreichen Athleten hier nicht gezeigt, weil die amerikanische Filmindustrie sowohl in der Produktion als auch im Verleih von Leuten kontrolliert wird, die das heutige Deutschland ablehnen. Und dies, obwohl es sich bei den Olympischen Spielen um ein reines Sportereignis handelt und obwohl der Film überall sonst auf der Welt gezeigt worden ist.« Riefenstahls Film erfuhr von denjenigen, die ihn gesehen hatten, seinerzeit durchweg Bewunderung für seine technische Perfektion und stilisierte Ästhetik. Diese hat sich heute in Werbung, Sportberichterstattung und Fotografie längst durchgesetzt: »Riefenstahls Olympia 1936 Fotos: Lothar Rübelt © International Olympic Committee 49 Leni Riefenstahl bei den Dreharbeiten zu OLYMPIA Filme – und das ist ihr hervorstechendes Merkmal – sind in einer besonders nachdrücklichen Weise auf das Große, Bedeutende, Schöne aus und bar jeglicher wie beiläufig oder nebenher gezeigten Begebenheiten. Sie kennen folglich weder Ambivalenz noch gar Widersprüche, interessieren sich weder für das Alltägliche noch das Absonderliche. Diese Filme suchen das ›Typische‹ oder genauer: das Typisierte. Riefenstahls Kunstbegriff ist frei von Ironie und Humor, ihre Werke meiden reflexive Momente.« (Rainer Rother) Als Perfektionistin arbeitete Riefenstahl auch über die Premiere hinaus an ihrem Film. Sie änderte immer wieder Kleinigkeiten und ließ aus den 400.000 Metern Filmmaterial, die ihre 43 Kameramänner aufgenommen hatten, noch kurze Sportlehrfilme herstellen. Als OLYMPIA 1958 in der Bundesrepublik von einem Verleih noch einmal in die Kinos gebracht wurde, musste sie, um eine Freigabe der Freiwilligen Selbstkontrolle der deutschen Filmwirtschaft (FSK) zu erhalten, alle NS-Symbole und den Auftritt von Adolf Hitler entfernen. 1967 schnitt Riefenstahl eine neue Fassung der englischen Version des Films, die anlässlich der Olympischen Sommerspiele 1968 in Mexiko laufen sollte. In der Bundesrepublik konnte der Film zu Lebzeiten Leni Riefenstahls nur mit ihrer persönlichen Genehmigung aufgeführt werden, wobei sie filmhistorische Einführungen oder Kommentierungen jedweder Art verbot. Das International Olympic Committee (IOC) in Lausanne ist seit Jahren bemüht, die offiziellen Olympia-Filme, die seit 1924 entstanden, zu restaurieren und zu archivieren. Die Arbeit an OLYMPIA dauerte vier Jahre. Da nur noch umgeschnittene Versionen des Films existierten, wurden Filmmaterialien aus 23 Archiven zusammengetragen, darunter Teile des originalen NitroNegativmaterials, das Leni Riefenstahl im George Eastman House in Rochester eingelagert hatte. In mühevoller Kleinarbeit wurden die Filmkopien Bild für Bild verglichen und in 4K-Auflösung gescannt. Die Aufführung im Filmmuseum München ist die erste öffentliche Präsentation der restaurierten Urfassung und wird von den Filmrestauratoren Adrian Wood und Robert Jaquier eingeführt. Begleitend zu ihrem Vortrag über ihre Restaurierungsarbeit werden zwei weitere Raritäten gezeigt: Ein von Riefenstahl 1937 produzierter Film über die Fertigstellung des OLYMPIA-Films, der im Ausland zur Vorabwerbung eingesetzt wurde, und der offizielle Film zu den Olympischen Winterspielen 1936 in GarmischPartenkirchen JUGEND DER WELT von Carl Junghans. Dieser weitgehend in Vergessenheit geratene Film ist besonders interessant, weil Junghans ähnliche Stilmittel wie Riefenstahl einsetzte. Olympia 1936 50 Rainer Rother verglich die beiden Filme: »JUGEND DER WELT stellt keine Chronik dar, sondern geht in bewusster Abgrenzung von der Wochenschau so weit, die Sieger der Wettbewerbe namentlich nicht einmal zu nennen. Nur eingeblendete Fahnen geben dem Zuschauer einen vagen Hinweis auf die Gewinner. Die souveräne Distanz zur bloßen Reportage ist bei Junghans so weit getrieben, dass einzelne Disziplinen nur noch als Stakkato einer extrem ›schnellen‹ Montage vorgestellt werden. Die Musik Walter Gronostays unterstützt das, indem sie die Einstellungen zusätzlich dynamisiert. Das ›Avantgardistische‹ des Werks fand nicht jedermanns Beifall, erschwerte sicherlich eine breite Rezeption. Riefenstahl hat die Extreme vermieden. Die Zuschauer, die sich von JUGEND DER WELT überfordert fühlten, erhielten in OLYMPIA genügend Orientierungshilfe. Die einzelnen Wettkämpfe wurden möglichst so geschnitten, dass klare Spannungsbögen erkennbar sind. Das führte zu einer paradoxen Häufung von sportlichen Entscheidungen, die scheinbar erst im letzten Versuch fielen – was den realen Verläufen der Wettkämpfe (wie zum Beispiel beim Weitsprung der Männer oder beim Speerwerfen der Frauen) gar nicht entsprach. Die Zuschauer sollten vom Film durchgängig ›gefesselt‹ sein. Auf diese Art bekommt selbst das Endspiel im Hockey auf der Leinwand eine Dramatik, die es im Stadion nie entfalten konnte, da Deutschland gegen Indien ohne jede Chance war und mit 1:8 verlor – ein Ergebnis, das der Film verschweigt.« Stefan Drößler JUGEND DER WELT. DER FILM VON DEN IV. OLYMPISCHEN WINTERSPIELEN IN GARMISCH-PARTENKIRCHEN 1936 – Deutschland 1936 – R: Carl Junghans – B: Carl Junghans, Hans Weidemann – K: Sepp Allgeier, Hans Ertl, Hugo O. Schulte, Kurt Neubert, Walter Frentz, Heinz von Jaworsky, Erich Stoll, Paul Tesch, Carl Heinrich Wenng, Heinz Kluth, Bernhard Juppe, Hans Winterfeld – M: Walter Gronostay – 37 min – Ursprünglich sollte Leni Riefenstahl auch einen Film über die Olympischen Winterspiele 1936 drehen, doch wegen anderweitiger Verpflichtungen verzichtete sie auf diesen Auftrag. Der Film wurde von Riefenstahls Kameraleuten gedreht und unter Hans Weidemanns »künstlerischer Oberleitung« von Carl Junghans montiert. Er wurde als bester Dokumentarfilm bei der 4. Mostra internazionale d’arte cinematografica di Venezia 1936 ausgezeichnet und erhielt einen Grand Prix bei der Internationalen Ausstellung in Paris 1937. – DER OLYMPIA-FILM ENSTEHT / AUTOUR DES TRAVAUX EFFECTUES POUR LE FILM DES JEUX OLYMPIQUES 1936 / BEHIND THE SCENES OF THE FILM ABOUT THE OLYMPIC GAMES 1936 – Deutschland 1937 – R+B: Rudolf Schaad – M: Walter Gronostay – 35 min, englisch-französische OF – Da Leni Riefenstahl für den Schnitt ihrer Olympia-Filme eineinhalb Jahre benötigte, wurde von ihren Assistenten einen Vorabfilm zusammengestellt, der 1937 auf der Internationalen Ausstellung in Paris und auf der 5. Mostra internazionale d’arte cinematografica di Venezia gezeigt wurde. Der Film ist in Deutschland nie aufgeführt worden und liegt deshalb nur in einer bilingualen fremdsprachigen Fassung vor. ▶ Dienstag, 30. Oktober 2012, 18.30 Uhr (Englischer Einführungsvortrag über die Rekonstruktion von OLYMPIA: Robert Jaquier & Adrian Wood) OLYMPIA. DER FILM VON DEN XI. OLYMPISCHEN SPIELEN BERLIN 1936 – Deutschland 1938 – R+B: Leni Riefenstahl – K: Hans Ertl, Walter Frentz, Guzzi Lantschner, Kurt Neubert, Hans Scheib, Andor von Barsy, Willy Zielke, Wilfried Basse, Josef Dietze, Edmund Epkins, Fritz von Friedl, Hans Karl Gottschalk, Richard Groschopp, Willy Hameister, Wolf Hart, Hasso Hartnagel, Walter Hege, Eberhard von der Heyden, Albert Höcht, Paul Holzki, Werner Hundhausen, Heinz von Jaworsky, Hugo von Kaweczynski, Herbert Kebelmann, Sepp Ketterer, Albert Kling, Ernst Kunstmann, Leo de Laforgue, Alexander von Lagorio, Eduardo Lambertini, Otto Lantschner, Waldemar Lembke, Georg Lemki, C. A. Linke, Erich Nitzschmann, Albert Schattmann, Wilhelm Schmidt, Hugo O. Schulze, Leo Schwedler, Alfred Siegert, Wilhelm Georg Siehm, Ernst Sorge, Hans von Stwolinski, Karl Vass – M: Herbert Windt – 230 min – Olympia wurde am 20. April 1938, an Adolf Hitlers 49. Geburtstag, in Berlin uraufgeführt. Anwesend war die gesamte Berliner Prominenz aus Politik, Wirtschaft, Militär, Industrie und Kultur. Der Film wurde später für den Kinoeinsatz in zwei Teilen herausgebracht: FEST DER VÖLKER und FEST DER SCHÖNHEIT. Erstmals ist der Film wieder in seiner Uraufführungsfassung zu sehen, die das International Olympic Committee aufwändig restauriert hat. ▶ Mittwoch, 31. Oktober 2012, 19.00 Uhr (Einführung: Stefan Drößler) 1967 drehte er seinen ersten Film, da war Rosa von Praunheim 25 – geboren als Holger Mischwitzky am 25. November 1942 in Riga, aufgewachsen in OstBerlin und später im Stadtteil Praunheim von Frankfurt am Main. Drei Jahre später kam NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PERVERS, SONDERN DIE SITUATION, IN DER ER LEBT in die Kinos. 1969 war der in der von den Nazis verschärften Form geltende § 175, der »Unzucht zwischen Männern« unter Strafe stellte – und erst 1994 ganz abgeschafft wurde – auf Beziehungen von über 18-jährigen mit noch nicht Volljährigen beschränkt worden. Am 31. Januar 1972 zeigte das WDR-Fernsehen diesen bis heute auch in Schwulenkreisen umstrittenen Film, der Rest der ARD-Sender schaltete ab. Heute hat jede TV-Serie ihren QuotenSchwulen, Spielfilme zeigen expliziten schwulen Sex zur besten Sendezeit, Tabu-Themen wie Pädophilie erobern den TATORT. Ein Leben lang hat Rosa über 70 Filme (nicht nur) mit und über Schwule gedreht – und über ihre Idole: Spielfilme, Dokus, krude Mischungen aus beidem: ARMEE DER LIEBENDEN (1979) dokumentiert die Schwulenbewegung in den USA, EIN VIRUS KENNT KEINE MORAL (1985) ist eine bitterkomische, schrille Abrechung aus den ersten Jahren nach Entdeckung des HIV-Virus, ANITA – TÄNZE DES LASTERS (1987) porträtiert Anita Berber, ÜBERLEBEN IN NEW YORK (1989) drei junge deutsche Frauen in New York, AFFENGEIL (1990) Lotti Huber. DER EINSTEIN DES SEX (1999) ist ein Spielfilm über den Sexualwissenschaftler Magnus Hirschfeld. MÄNNER, HELDEN, SCHWULE NAZIS über die Faszination rechten Gedankenguts auf Homosexuelle kommt 2005 in die Kinos, MEINE MÜTTER erzählt 2007 die Suche nach der Geschichte von Praunheims leiblicher Mutter, von der er erst 2000 durch seine 94-jährige (nun Adoptiv-)Mutter erfahren hatte. Zuletzt waren ROSAS HÖLLENFAHRT (2009) auf den Spuren der Höllenvorstellungen verschiedener Religionen, DIE JUNGS VOM BAHNHOF ZOO (2011) und KÖNIG DES COMICS (2012) über den schwulen Zeichner Ralf König zu sehen. Und jetzt das ultimative, exzessive Projekt zum runden Geburtstag: 70 neue Filme zu Rosas 70. oder auch 70 ROSA FILME. Diese zwischen 4 und 40 Minuten langen Werke mit einer Gesamtlänge von über 20 Stunden sind oft schon vor ein paar Jahren entstanden oder wurden im Sommer noch gedreht. Sie bilden ein Kaleidoskop des Lebens in allen seinen Facetten, erzählen von starken Frauen und starken Schwulen, von jüdischen Lebenswelten, aber auch von sensiblen Heteros. Rosa leitet sie, bestückt mit immer anderen, schrillen, oft paillettenbesetzten Hutkreationen vielfach ein mit: »Würdest du dich bitte vorstellen!« Ganz alltägliche, kleine, aber spannende Biographien kommen da zum Vorschein, oder ein unglaublicher Lebensrückblick wie im Falle der jüdischen Familie um den Filmmogul Atze Rosa von Praunheim ICH BIN EIN GEDICHT 70 Rosa Filme 51 EVA MATTES Rosa von Praunheim Brauner. Dies ist nicht ohne Grund Rosas Lieblingsfilm, der seinen Höhepunkt in der Synagoge bei der Bar Mitzwa der Zwillinge von Tochter Alice Brauner und dem anschließenden rauschenden Fest hat. Auch das Doppelporträt von Ulla und Karsten Klingbeil – er einst erfolgreich im Baugewerbe und Bildhauer, sie heute umtriebige Charity-Lady – ist unterhaltsam, informativ, lustig und berührend: »Der, der geliebt wird, ist nie tot«, lautet der letzte Satz und die sonst so taffe Frau bekommt Tränen in die Augen. Manchmal wünscht man sich, dass ein Film wie der über Eva Mattes länger dauert als 21 konzentrierte Minuten; manchmal reichen fünf Minuten voll und ganz, um ein Thema anzureißen. Aber auch wenn Gerd und Conny (MEINE NACHBARN) eine halbe Stunde vom Zusammenleben über Jahrzehnte und den am Down-Syndrom erkrankten Bruder Connys erzählen, kommt nie Langeweile auf, erlebt man die Dokumentation einer von Respekt, Liebe, Freiheit und feinem Spott getragenen Beziehung. Schrilles und Schräges, Saftiges (KINGS OF PORN) und Knallbuntes, ungemein Komisches (DER FRÖHLICHE SERIENMÖRDER), aber auch Anrührendes und Leises (EIN VATER STIRBT) findet sich unter den 70 Filmen. KINGS OF PORN 52 Sensible Künstler kommen zu Wort und wilde Vögel, introvertierte Menschen, Krawalltunten und ein schwuler Schornsteinfeger, der einen Beruf unter lauter Heteros und Privatleben, in dem er ein S/M-Festival organisiert, perfekt verbinden kann. Schauspieler und Sänger aller Couleur sind dabei, wie ein im Technostil Seemannslieder singender, bärtiger, tätowierter Prackl oder eine zarte Rumänin (Sanda Weigl), schwule Verlagsleiter wie Michael Merschmeier und der mit HIV lebende Dichter Mario Wirtz, der Schauspieler und Regisseur Peter Kern (AXEL UND PETER) oder der Theologe David Berger, der lange im Vatikan den »heiligen Schein« bewahren musste, bevor er sich als schwuler Katholik outete. Allein ein Drittel der Filme ist Schwulen, Lesben, Transgender gewidmet: Strichern, Pornodarstellern, Dragqueens, einer lesbische Sexualwissenschaftlerin, die lustvoll weibliche Genitalien zelebriert (MÖSENMONAT MÄRZ), Edith alias Ades Zabel, dem berühmtesten homosexuellen Komiker Berlins und einem SPD-Politiker wie Georg Härpfer, der sich lebenslang für schwule Rechte einsetzt. Aber auch Tabu-Themen wie männliche Prostitution oder Schwule im Alter (GAY NOT GREY) scheut Rosa von Praunheim nicht. Letzteres ist ein Halbstunden-Film, in dem der 85-jährige Gottfried und der 20-jährige Max samt ihrer Gemeinschaft in einem Haus mit 20 Wohnungen für alte Schwule und Lesben – eine Demenz-WG eingeschlossen – porträtiert werden. Und wenn Porno-Stars (PORNO PETO) ganz zärtlich eine Liebesszene spielen, dann widerspricht auch das allen Klischees. Meist hat Rosa die Gesichter der Menschen, mit denen er spricht, im Blick der Kamera, oder er schneidet alte Fotos dazwischen, Ausschnitte aus Theateraufführungen, mischt fließenden Verkehr darunter oder Architektur-Details. Oft filmt er die Interieurs, in denen die Gespräche stattfinden, aber auch mit Vorliebe Blumen – auf dem Balkon, am Grab (der Berliner Ex-Senatorin Anne Klein in EINE LESBISCHE WITWE) oder im verwunschenen Dachgarten von Eva Mattes. Das erzählt manchmal mehr als alle Worte. Schöne, sprechende Bilder ergeben sich da wie nebenbei und (fast) ohne Absicht. Der Großstadtdschungel Berlins, das Multikulturelle, überhaupt die Atmosphäre der Metropole ist Hintergrund und Würze vieler, ja fast aller Filme. Dezidiert »Berliner Luft« atmen so verschiedene Filme wie der über einen Luxus-Zahnarzt am Ku’damm, MEIN PREUSSENPARK, der in 30 Minuten den Mikrokosmos eines Parks auffächert, in dem Ausländer auf Berliner, Ordnungsmacht auf Laissez-Faire, Normalo auf Pa- / Ist unklar / Deshalb gebt Euch keine Mühe / Das Leben ist so schön / Wie wir selbst. Klaus Kalchschmid Möpse und Menschen (Gesamtlänge: 139 min) ICH LIEBE GROSSE HÜTE – ULLA UND CARSTEN KLINGBEIL – 33 min – DER FALSCHE GRAF – 14 min – MöPSE IN NOT (Co-Regie: Oliver Sechting) – 21 min – BABETH – GELIEBTE GROSSER MÄNNER – 10 min – EINE JÜDISCHE FAMILIE – MARIA UND ALICE BRAUNER – 15 min – VALENTINA – EINE LETTISCHE JÜDIN – 20 min – VON AUSCHWITZ NACH NEW YORK – ESTHER BAUER – 5 min – AVE MARIA – DIE GLÄUBIGE RACHELE – 4 min – RUMMELSNUFF – SEEMANNSLIEDER TECHNO – 10 min – DER SATANIST – 7 min ▶ Freitag, 2. November 2012, 15.00 Uhr Schauspieler und Dichter (Gesamtlänge: 117 min) ICH BIN EIN GEDICHT – ELFI MIKESCH INSZENIERT ROSA UND SEINE GEDICHTE – 19 min – EVA MATTES – 21 min – ICHGOLA ANDROGYN VOM O-TONART THEATER – 24 min – JUGENDTHEATER IN BRANDENBURG – 19 min – DER KRANKE DICHTER – MARIO WIRZ – 19 min – DICHTER UND REBELL – GENNADI TRIFONOV (Co-Regie: Andreas Strohfeld) – 15 min Rosa von Praunheim radiesvogel trifft, oder GLOBALES LERNEN IN NEUKÖLLN, der mit Inge Marcus eine 70-jährige, ungemein jugendlich forsche, sympathische Frau porträtiert, deren Biografie sich über den ganzen Globus erstreckt, was eine immer wieder dazwischen geschnittene Weltkarte auf dem Tisch mit allerlei Fähnchen wunderbar illustriert. Ein Film stammt nicht von Rosa von Praunheim selbst: Für ICH BIN EIN GEDICHT inszeniert Elfi Mikesch, Kamerafrau – nicht zuletzt Werner Schroeters – und Regisseurin, Rosa als Traum in rosa Tüll auf dem Rad. Später wird er in dieser Verkleidung das erste Opfer des FRÖHLICHEN SERIENMÖRDERS, einer herrlichen Farce in den fantastischen Ruinen der Heilstätten von Beelitz mit zwölf Schauspielschülern, die mal sich, mal ein krudes Szenario spielen und das alles mit einem großartigen Augenzwinkern. Quasi der Vorfilm dazu ist DAVID KOKS, in dem der spätere Serienmörder sich fünf schöne Frauen erträumt. Auch AXEL UND PETER AXEL UND PETER ▶ Freitag, 2. November 2012, 18.30 Uhr Schwul-lesbische Welten (Gesamtlänge: 160 min) EINE LESBISCHE WITWE – 11 min – MöSENMONAT MÄRZ – 18 min – BIN ICH DEIN ONKEL? – 18 min – MEINE NACHBARN – GERD UND CONNY – 29 min – MEINE NACHBARN mit zwei wahrlich vollschlanken Schauspielern ist ein solches Vexierspiel, bei dem man erst am Ende begreift, dass alle Gemeinheiten, aller Zwist nur Spiel waren. MARTA UND HILDE stellt die Beziehung von Marta Feuchtwanger und ihrer Sekretärin Hilde in einem schrägen Film-Dialog in den Mittelpunkt. Und schließlich überlagern sich in NEW YORK SISTERS die Interviews mit sechs Schauspielerinnen über Arbeit und Überleben in dieser Stadt mit der Fiktion, dass eine Mutter ihre vier Töchter trifft, die allesamt nur Halbschwestern sind und sich nun das erste Mal sehen. Von 1970 und NICHT DER HOMOSEXUELLE IST PERVERS …bis zu den 70 Filmen zum 70. hat Rosa einen weiten Weg beschritten und ist doch immer sich selbst treu geblieben, gemäß der Titel seiner autobiographischen (Film-)Bücher »Sex und Karriere« (1978), »Rosas Rache« (2009) und dem Gedichtband »Mein Armloch« (2002). Was immer war / Ist weg / Was immer kommt 53 DIE SCHWESTERN DER PERPETUELLEN INDULGENZ – 11 min – BERLIN FROBENSTRASSE – BULGARISCHE TRANSEN IN BERLIN – 4 min – BUKAREST NORDBAHNHOF – EIN RUMÄNISCHER STRICHER – 5 min – PÄDOS UND HILFE FÜR JUNGS – 15 min – PORNO PETO – 25 min – KINGS OF PORN – 24 min ▶ Freitag, 2. November 2012, 21.00 Uhr Berliner Luft (Gesamtlänge: 126 min) DER LUXUS-ZAHNARZT AM KU’DAMM – 11 min – EIN GRÜNER SACHSE IM WEDDING – 15 min – DER HÄRTESTE TÜRSTEHER BERLINS – 12 min – BAPTISTEN IN BERLIN – 7 min – MEIN PREUSSENPARK MEIN PREUSSENPARK Rosa von Praunheim ▶ Sonntag, 4. November 2012, 15.00 Uhr ▶ Samstag, 3. November 2012, 15.00 Uhr Gesang, Tanz, Kunst (Gesamtlänge: 105 min) GIPSY QUEEN VON NEW YORK – SANDA WEIGL – 30 min – EIKE – EIN SCHöNER AKROBAT – 13 min – EVA UND ADELE – EIN KUNSTPÄRCHEN – 16 min – ANWALT UND KUNSTLIEBHABER – PETER RAUE – 10 min – KLATSCHREPORTER – ANDREAS KURTZ – 14 min – AUS LIEBE ZUM THEATER – MICHAEL MERSCHMEIER – 10 min – OUTING GOETHE – 12 min ▶ Samstag, 3. November 2012, 18.30 Uhr ANWALT UND KUNSTLIEBHABER ▶ Samstag, 3. November 2012, 21.00 Uhr Leben, Lieben, Sterben (Gesamtlänge: 133 min) AMELIE – DAS MÄDCHEN AUS DEM HINTERHAUS – 15 min – MISSBRAUCHT, POLIZIST UND MöRDER – 8 min – PROFESSORIN IN WEIMAR – CHRISTIANE VOSS – 12 min – WAS IST DAS BöSE? – RICHTER BAUER PACKT AUS – 7 min – EIN VATER STIRBT – FRITZ MIKESCH UND LEANDER – 40 min – EIN HARTES LEBEN (Co-Regie: Oliver Adam Kusio) – 15 min – SUZY – EINE FRAU AUF HARTZ 4 – 16 min – AUSLÄNDER RAUS – EIN FILM ÜBER MIGRATION – 20 min – 30 min – GLOBALES LERNEN IN NEUKöLLN – 25 min – ICH BIN EIN ERFOLGREICHER TÜRKE – 9 min – OBERBÜRGERMEISTER KLAUS SCHÜTZ – 17 min 54 Doku vs. Fiction (Gesamtlänge: 155 min) DAVID KOKS – EIN PENNER TRÄUMT VON SCHöNEN FRAUEN – 9 min – DER FRöHLICHE SERIENMöRDER – 34 min – MARTA UND HILDE – 24 min – AXEL UND PETER – TITTEN FÜR ARSCH – 40 min – GERMANS TASTE THE BEST – EINE KANNIBALIN IN NEW YORK – 18 min – NEW YORK SISTERS – SECHS WUNDERBARE FRAUEN – 30 min Film-Künstler (Gesamtlänge: 107 min) MIT SPECK FÄNGT MAN FILME – WIELAND SPECK – 24 min – DAS ABATON UND SEIN BETREIBER – WERNER GRASSMANN – 21 min – WERNER SCHROETER – DAS LETZTE INTERVIEW – 20 min – DAN TANG – EINE CHINESISCHE FILMEMACHERIN IN DEUTSCHLAND – 15 min – THIS BRUNNER – EINE SCHWEIZER FILMLEGENDE – 12 min – KNUT IST GUT – KNUT ELSTERMANN – 15 min ▶ Sonntag, 4. November 2012, 18.30 Uhr Schwules Leben (Gesamtlänge: 148 min) EIN SCHWULER SCHORNSTEINFEGER – ALAIN RAPPSILBER – 10 min – EIN JOURNALIST AUS NEW YORK: BRANDON – SCHWUL, JÜDISCH, DEUTSCH – 20 min – ICH BIN EDITH AUS NEUKöLLN – ADES ZABEL – 18 min – EINE DRAG QUEEN AUS AMSTERDAM – LADY GALORE – 14 min – HOUSE OF GALORE IN BERLIN – 20 min – EVA LOVE – BERLINER TUNTE UND TRANSSEXUELLE IN NEW YORK – 15 min – DER HEILIGE SCHEIN – DER SCHWULE THEOLOGE DAVID BERGER – 12 min – EIN LEBEN FÜR SCHWULE RECHTE – GEORG HÄRPFER – 12 min – GAY NOT GREY – ANDERS ALTERN (CoRegie: Oliver Sechting) – 27 min ▶ Sonntag, 4. November 2012, 21.00 Uhr Rosa von Praunheim wird an dem Wochenende bei einigen Vorstellungen anwesend sein. »Neapel, das sind tausend Farben, tausend Ängste, aber auch die Stimmen der Kinder, die allmählich lauter werden und dir sagen, dass du nicht allein bist. Neapel ist eine bittere Sonne, ein Geruch von Meer, ein schmutziger Papierfetzen, um den sich niemand kümmert. Jeder wartet auf das große Los. Neapel ist eine große Entdeckungsreise, im Labyrinth seiner Gassen warten auf dich Träume, aber nie die Wahrheit.« Dieser Text des neapolitanischen Liedermachers Pino Daniele, »Napule è«, drückt in wenigen Zeilen die Liebe zu einer Stadt aus, die man nur poetisch umschreiben kann. Keine andere Definition kann sie besser erfassen. Der Film war für Neapel immer zentral, kein anderes Medium kann diese Stadt besser einfangen, eine Stadt zwischen den düsteren Lavabrocken, den täglichen Tragödien einerseits, und dem porösen Licht des Tuffsteins und der überbordenden Lebensfreude andererseits, ein ständiges Schwanken zwischen Sicherheit und Unsicherheit, zwischen Realität und Imagination. Nirgendwo kann man die Härte des Lebens und die traumhaften Gebilde der Phantasie besser erfahren. So scheinen auch die Träume des kleinen Peppino in LA KRYPTONITE NELLA BORSA (2011) von Ivan Cotroneo in seiner Situation mehr als notwendig zu sein. Er lebt in einer Familie, die ihm alles bietet außer liebender Zuwendung. Nur mit Hilfe seiner Traumwelt kann er sich entwickeln. Der Legende nach wurde Neapel von der Sirene Partenope gegründet und ist zugleich verführerisch und gefährlich. Eine Stadt, die dich verzaubert, eine Stadt, die keine Kompromisse kennt. Neapel darf man nicht verstehen wollen, die Stadt ist wie eine Mutter, die trotz ihrer tausend Fehler geliebt werden will. Diese Widersprüche finden ihren vollkommenen Ausdruck sowohl in den Tragikomödien von Eduardo De Filippo als auch in den Filmen von Totò und von Massimo Troisi. In unserer Filmreihe machen Sie mit dieser Mentalität Bekanntschaft in dem Film COSI PARLO BELLAVISTA (1984) von Luciano De Crescenzo, der zugleich die Mimik und Gestik der Neapolitaner vermittelt. Neapel musste mit vielen Einwanderern fertig werden, und es musste verschmerzen, nicht mehr Hauptstadt eines Königreiches zu sein. In all diesen Wechselfällen ist es sich treu geblieben und hat zugleich seine Ideen in alle Welt verbreitet. Neapel wird seiner Rolle als Hafenstadt in mehr als einem Sinne gerecht. Hier kreuzen sich Kulturen, Rassen, Religionen und Mentalitäten. Neapel nimmt diese Einflüsse auf, ohne sich selbst zu verlieren. Neapel und der Film INTO PARADISO Neapel und der Film: Im Schatten des Vesuvs 55 Neapel und der Film 56 Wer nach Neapel kommt, der trifft dort Chinesen, Filipinos, Inder, Pakistani, Ukrainer, Rumänen, Polen, Senegalesen, Nordafrikaner. Sie sind Straßenhändler, sie haben ihre kleinen Geschäfte, sie pflegen Alte und Behinderte, sie leben mehr oder weniger integriert in neapolitanischen Familien. Der Film INTO PARADISO (2010) von Paola Randi gibt uns eine gute Vorstellung von diesem Völker- und Kulturgemisch und seinen Belastungen wie Bereicherungen für jeden Beteiligten. Der Dokumentarfilm NAPOLI PIAZZA MUNICIPIO (2008) von Bruno Oliviero zeigt einen beeindruckenden Querschnitt durch das bei Tag und Nacht pulsierende Leben der Metropole. John Turturro hat in seinem Dokumentarfilm PASSIONE (2010) den Weg über die Musik gewählt, um sich der Stadt zu nähern. Er durchstreift mit uns die Gassen und historischen Plätze und lässt neapolitanische Klang- wie Bildwelten vor uns entstehen, die ungewohnte Gefühle in uns auslösen. Mit Neapel sind viele Filmschauspieler verbunden: Sophia Loren, Valeria Golino, Silvio Orlando, Toni Servillo, Anna Bonaiuto, Licia Maglietta – unvergessliche Gesichter. Unter den Regisseuren finden wir Vittorio de Sica aus den Zeiten des neorealismo, aus den 1990er Jahren Martone, Piscicelli, Corsicato, Marra, De Lillo, Capuano, Incerti und heute Paolo Sorrentino und Matteo Garrone. Natürlich kann unsere Filmreihe nur einen kleinen Ausschnitt aus dem vielseitigen Leben der Stadt Neapel geben. Mit manchen Vorurteilen soll aufgeräumt werden. Engagierte Standpunkte der Filmemacher sind in unserer Reihe ausdrücklich erwünscht. Ein Beispiel dafür ist der erste Film von Francesco Rosi, LA SFIDA (1958), der ein Ereignis der cronaca nera der 1950er Jahre zum Gegenstand hat, des »dunklen Nachrichtenteils« der Zeitungen über Unfälle und Verbrechen. Ambra Sorrentino Becker NAPOLI PIAZZA MUNICIPIO (NEAPEL RATHAUSPLATZ) – Italien 2008 – R+B+K: Bruno Oliviero – M: Riccardo Veno – 55 min, OmeU – Um Neapels Piazza Municipio liegen viele bedeutsame Orte: das Rathaus, das im 13. Jahrhundert von den Anjou erbaute Schloss, die Baustelle der Metro, das Stadttheater Mercadante, der Blumenmarkt. Die Menschen, die den Platz überqueren, erzählen ihre eigenen Geschichten von damals und heute. – PASSIONE – Italien 2010 – R: John Turturro – B: John Turturro, Federico Vacalebre – K: Marco Pontecorvo – D: John Turturro, Mina, Max Casella, Lina Sastri, Massimo Ranieri, Peppe Barra – 96 min, OmU – Das Multitalent John Turturro kehrt mit diesem Film zu seinen süditalienischen Wurzeln zurück und präsentiert ein musikalisches Abenteuer: Neapel, in der französische und arabische Einwanderer sowie italienische Liedermacher schon immer die Vielfalt der Musik geprägt haben. Turturros lebendige Dokumentation berichtet über Lieder und Sänger und den Einfluss dieser Musik in der ganzen Welt. ▶ Donnerstag 29. November 2012, 19.00 Uhr INTO PARADISO – Italien 2010 – R: Paola Randi – B: Paola Randi, Michela Bozzini, Stefano Voltaggio – K: Mario Amura – M: Fausto Mesolella – D: Gianfelice Imparato, Saman Anthony, Peppe Servillo, Eloma Ran Janz, Gianni Ferreri, Shatzi Mosca – 144 min, OmU – Drei Männer, der schüchterne, gerade arbeitslos gewordene Wissenschaftler Alfonso, der in korrupte Machenschaften verwickelte Politiker Vincenzo und der ehemalige Kricket-Champion Gayaan aus Sri Lanka, der auf der Suche nach dem Paradies ausgerechnet in Neapel gelandet ist, treffen sich in einer illegal errichteten Hütte auf einem Hausdach im Migrantenviertel. Es entwickelt sich eine Freundschaft, die aus der Not geboren ist, da Auftragskiller der Camorra ihnen auf den Fersen sind. INTO PARADISO ist eine witzige, abgedrehte und einfallsreiche Komödie über Freundschaft und multikulturelle Solidarität. ▶ Freitag, 30. November 2012, 18.30 Uhr LA SFIDA (DE HERAUSFORDERUNG) – Italien 1958 – R: Francesco Rosi – B: Francesco Rosi, Suso Cecchi D’Amico, Enzo Provenzale – K: Gianni Di Venanzo – M: Roman Vlad – D: Rosanna Schiaffino, José Suarez, Nino Vingelli, Rosita Pisano, Angela Luce – 93 min, OmeU – Vito Polara, ein ehrgeiziger, skrupelloser junger Mann, will zu schnellem Geld und Erfolg kommen. Vom Zigarettenschmuggel steigt er auf den Obst- und Gemüsehandel um, der aber von der Camorra beherrscht wird. Francesco Rosis erster Spielfilm, der sich auf einen authentischen Fall beruft, verbindet präzise Milieubeschreibungen neorealistischen Kinos mit Elementen des amerikanischen sozialen Dramas und Gangsterfilms. Er wurde bei den Filmfestspielen in Venedig 1958 mit mehreren Preisen ausgezeichnet, nachdem er zuvor Proteste ausgelöst hatte und mit einem Aufführungsverbot belegt worden war. ▶ Samstag, 1. Dezember 2012, 18.30 Uhr GORBACIOF (GORBATSCHOW) – Italien 2010 – R: Stefano Incerti – B: Stefano Incerti, Diego De Silva – K: Pasquale Mari – M: Teho Teardo – D: Toni Servillo, Geppy Gleijeses, Mi Yang, Gaetano Bruno, Hal Yamanouchi – 85 min, OmeU – Marino Pacileo, wegen eines LA KRYPTONITE NELLA BORSA (KRYPTONIT IN DER TASCHE) – Italien 2011 – R: Ivan Cotroneo – B: Ivan Cotroneo, Monica Rametta, Ludovico Rampoldi, nach dem Roman von Ivan Cotroneo – K: Luca Bigazzi – M: Pasquale Catalano – D: Valeria Golino, Cristiana Capotondi, Luca Zingaretti, Libero de Rienzo, Luigi Catani – 98 min, OmeU – »Dies ist eine Geschichte über einen Superhelden, eine Familie und ein Kind mit einer Brille, aber es ist kein Kinderfilm. Es ist eine Geschichte über Liebe.« Mit diesen Worten beginnt eine nostalgische und melancholische Komödie über das Neapel der 1970er Jahre, in deren Mittelpunkt der neunjährige ▶ Dienstag, 4. Dezember 2012, 21.00 Uhr COSI PARLO BELLAVISTA (ALSO SPRACH BELLAVISTA) – Italien 1984 – R: Luciano De Crescenzo – B: Luciano De Crescenzo, Riccardo Pazzaglia, nach dem Buch von De Crescenzo – K: Dante Spinotti – M: Claudio Mattone – D: Antonio Allocca, Lucio Allocca, Giovanni Attanasio, Marisa Confalone, Isa Danieli – 102 min, OmU – Gennaro Bellavista, ein fröhlicher, lustvoller Mensch und Gymnasiallehrer im Ruhestand, verkörpert die Weisheit Neapels. Wie einst Sokrates auf der Agora von Athen, spricht und philosophiert er in regelmäßigen Treffen mit seinen Freunden, Mitbürgern und Hausbewohnern. Der neapolitanische Dialekt würzt die Gespräche, die sich um Politik, Essen, Anarchie und Muße drehen. Der rote Faden ist Bellavistas Theorie, dass sich die Menschen in auseinanderstrebende »Freiheitsmenschen« und einander zugewandte »Liebesmenschen« unterteilen. Neapel und der Film ▶ Sonntag, 2. Dezember 2012, 18.30 Uhr Peppino steht, dessen einziger Halt sein verrückter Cousin ist, der sich für Superman hält. Als der Cousin plötzlich stirbt, erscheint er Peppino immer wieder und hilft ihm, festen Boden unter den Füßen zu finden. Die malerischen Gassen Neapels und viele »kleine Leute« bilden den Rahmen dieses mit leichter Hand erzählten Films mit surrealistischen Untertönen. ▶ Mittwoch, 5. Dezember 2012, 21.00 Uhr 57 LA KRYPTONITE NELLA BORSA großen Muttermals auf der Stirn Gorbaciòf genannt, ist Buchhalter im Gefängnis Poggioreale in Neapel, ein stiller zurückhaltender Mensch, dessen einzige Leidenschaften das Glücksspiel und seine Liebe zu Lila, einer jungen Chinesin, sind. Auch deren Vater spielt um Geld. Als Gorbaciòf beschließt, ihm zu helfen seine Schulden zurückzuzahlen, gerät sein Leben außer Kontrolle. Das psychologische, fast dialoglose Porträt von Incerti erinnert an LE CONSEGUENZE DELL’AMORE (2004) von Paolo Sorrentino. In beiden Filmen begegnen wir Protagonisten, die kriminell handeln und dennoch eine ungeahnte Zärtlichkeit und Poesie in ihrem Verhalten zeigen. Zuschauerkino Zuschauerkino ? 58 Zweimal im Jahr bietet das Zuschauerkino des Münchner Filmzentrums (MFZ) allen, die Filme machen, die Gelegenheit, ihre Filme auf der Leinwand des Filmmuseums zu sehen und andere Filmemacher zu treffen. Filme einreichen können alle, die einen Kurzfilm gedreht haben, egal ob Profi oder Amateur, unabhängig vom Inhalt oder Format des Films, ob Spielfilm oder Dokumentation, Real- oder Animationsfilm. Es können nur Filme gezeigt werden, die persönlich von Beteiligten vorgestellt werden. Im Anschluss an die Vorführung bietet das MFZ eine Begegnungsmöglichkeit, damit Teilnehmer und Zuschauer noch leichter miteinander ins Gespräch kommen können (für Erfrischungen ist gesorgt). Dies sind die Spielregeln: Die Filme müssen bis zum 22. November 2012 im Filmmuseum eingereicht werden. Möglich sind die Formate 35mm, 16mm, DigiBeta, BetaSP, VHS, MiniDV, DVD und Blu-ray (keine Download-Links). Zugelassen werden nur Filme bis zu 15 Minuten Länge. MFZ und Filmmuseum behalten sich die Auswahl der Filme vor. Sollten mehr Filme an- gemeldet werden als Vorführzeit zur Verfügung steht, werden die Veranstalter eine Auswahl treffen, wobei die Reihenfolge der Anmeldungen berücksichtigt wird. Alle Filmemacher, deren Filme im Programm gezeigt werden, können an der Kasse bis zu fünf Freikarten für den Zuschauerkino-Filmabend erhalten. Darüber hinaus bestehen keine weiteren Verpflichtungen des Filmmuseums. Es wird vorausgesetzt, dass die Filmemacher über die Rechte an den von ihnen eingereichten Filmen verfügen und diese am Abend vor der Projektion kurz vorstellen. Kontakt: E-Mail ([email protected]), Telefon (089-233 20538), Fax (089-233 23931) oder Post (Filmmuseum München, St.-Jakobs-Platz 1, 80331 München). ▶ Donnerstag, 6. Dezember 2012, 19.00 Uhr (Die Filme- macher sind anwesend) Hommage à Sonja Ziemann schwere Sinnkrise. Die Produzenten fanden schnell die Schuldigen für die finanzielle Schieflage – es waren die Stars und ihre überzogenen Gagen. Zu diesen Stars zählte Sonja Ziemann. Ziemann, 1926 in Eichwalde bei Berlin geboren, besuchte mit zehn Jahren die renommierte Ballettschule von Tatjana Gsvosky und trat schon im Alter von 15 Jahren in der Berliner Plaza auf. 1941 spielte sie ihre erste Filmrolle unter der Regie von Walter Felsenstein in dem TobisFilm EIN WINDSTOSS. Mit Hildegard Knef besuchte sie die Schauspielschule der Ufa. Für ihre Rolle als Bärbele im ersten Farbfilm der Nachkriegszeit, SCHWARZWALDMÄDEL (1950, Regie: Hans Deppe), erhielt sie den Bambi als beliebteste Schauspielerin Deutschlands. Die Film und Mode Revue kommentierte das Ergebnis als einen »alarmierenden Vorgang«; statt seriöse Schauspielerinnen zu wählen, habe man sich einfach für die Jugend entschieden. SCHWARZWALDMÄDEL, meist als Start der Heimatfilmwelle definiert, basiert auf einer Operette des jüdischen Komponisten Leon Jessel, der 1942 an den Folgen der Misshandlungen der Gestapo starb. Der Film selbst ist eine hysterische Sonja Ziemann Zbigniew Cybulski, Sonja Ziemann, Aleksander Ford bei den Dreharbeiten zu DER ACHTE TAG Ob Heimatfilm, Verwechslungskomödie, Operette, Problemfilm oder Angestelltenglück – im bundesdeutschen Film der 1950er Jahre geht es vor allem um Teilhabe, um ein Sahnestück vom Wohlstand, um die Einlösung des Versprechens auf ein sorgloses Leben. Der Problemfilm stellte die Frage, ob man das Sahnestück verdient hatte, der Unterhaltungsfilm bestand auf dem Lottogewinn, den das Leben für jeden bereit hielt. Die Filme der 1950er Jahre atmen schwer unter der Arbeit der Verdrängung und dem Gerüstbau restaurativer Ideologie. Aber die Wünsche und Ängste, die Projektionen des Publikums gab es ja wirklich, und sie wurden vom deutschen Film ebenso wie von den Illustrierten aufgenommen. Die Sucht nach Zerstreuung, nach dem endlichen Glück im Kino, erwies sich kurzfristig als Segen für die Filmindustrie. So viel Geld mit so wenig künstlerischem Aufwand hatte man lange nicht gemacht. Als das Publikum merkte, dass es die Wünsche der Filmindustrie um vieles mehr erfüllte als umgekehrt und dass es im Fernsehen vielleicht nicht intelligenter, aber anders und um vieles bequemer unterhalten wurde als im Kino, geriet die Filmindustrie in eine 59 Sonja Ziemann 60 Mischung aus Revue, Singspiel und Komödie, lässt Künstlervolk, Neureiche und Traditionalisten lärmend aufeinanderprallen. Die Heimat ist hier schon eine Antiquität, hinter Glas in einem Museum untergebracht. SCHWARZWALDMÄDEL spielte 14 Millionen Mark ein und machte Rudolf Prack/Sonja Ziemann zum Traumpaar der frühen 1950er Jahre. Nach dem noch größeren Erfolg GRÜN IST DIE HEIDE (1951, Regie: Hans Deppe) war Sonja Ziemann zunächst auf Heimatfilme abonniert. In dem Remake DIE PRIVATSEKRETÄRIN (1953), wieder mit Prack als Partner, wechselt sie mit Tanz und Gesang zum »Kleinen Ladenmädchen«Genre, Unterabteilung Sekretärinnen-Milieu. Die unausgesprochene Handlungsmaxime für das weibliche Publikum lautete: Junge Mädchen lassen sich nicht auf erotische Abenteuer ein, sondern folgen ihrem Herzen, als Belohnung winkt ein Ehemann in Gestalt des Juniorchefs einer Bank oder des Chefs eines Modehauses. Sonja Ziemann verkörperte in den 1950er Jahren den »Traum von Lieschen Müller«, als die Helmut Käutner sie 1961 in seinem gleichnamigen Film besetzte. Die Reflektion des Sekretärinnen-Traums endete, so Karsten Witte 1992, in einem »Absturz ins zynische Nichts.« 1959 inszeniert Gottfried Reinhardt sie in seinem Remake von MENSCHEN IM HOTEL in der JoanCrawford-Rolle des Flämmchens. Ironischerweise war das wieder eine Sekretärinnenrolle, aber auch ein Gegengewicht zu den Schicksals-, Schurken- und Selbstdarstellern Heinz Rühmann, Gert Fröbe und O. W. Fischer. NACHT FIEL ÜBER GOTENHAFEN (1960) zählt zum Genre des Kriegsfilms, ist aber in großen Teilen eine Studie über Mütter und Frauen im Zweiten Weltkrieg. Sonja Ziemann als verlassene Offiziersfrau kämpft entschieden, aber aussichtslos gegen die Eifersucht ihres Mannes, den Kontrollwahn ihrer Schwiegermutter und die Zudringlichkeiten eines Heimaturlaubers. Bereits 1952 drehte Sonja Ziemann mit MADE IN HEAVEN (Regie: John Paddy Carstairs) ihren ersten Film im Ausland; das Engagement einer deutschen Schauspielerin in einem britischen Film provozierte in England erregte Diskussionen. Es folgten Filme in Frankreich und Italien und 1958 DER ACHTE WOCHENTAG mit Zbigniew Cybulski unter der Regie von Aleksander Ford. Die Studie eines Liebespaares, das keinen Ort für seine Liebe findet, wurde in Polen nach einer Vorlage ihres späteren Ehemanns, des Schriftstellers Marek Hlasko, gedreht. In Polen wurde der Film zunächst verboten, in Deutschland wurde er von der Öffentlichkeit nicht akzeptiert. Ihren einzigen amerikanischen Film drehte Sonja Ziemann in Wien und Budapest. Richard Widmark produzierte THE SECRET WAYS (1960), eine fins- tere Kalter-Krieg-Novelle über die Flucht eines ungarischen Wissenschaftlers in den Westen. Neben Widmark in der Hauptrolle spielte Charles Regnier, Sonja Ziemanns dritter Ehemann. Seit 1981 ist Sonja Ziemann Mitglied des Zürcher Schauspielhauses. Sie lebt in München. Werner Sudendorf DIE PRIVATSEKRETÄRIN – BRD 1953 – R: Paul Martin – B: Just Scheu, Ernst Nebhut – K: Albert Benitz – M: Paul Abraham, Driedrich Schröder – D: Sonja Ziemann, Rudolf Prack, Paul Hörbiger, Werner Fütterer, Gerty Godden – 95 min – Wiederverfilmung eines Erfolgsfilms aus der frühen Tonfilmzeit, dessen Lied »Ich bin ja heut so glücklich« zu einem Ohrwurm wurde. »Sonja Ziemann spielt eine Heimatlose, eine junge Frau, die von irgendwoher in eine fremde Stadt kommt, sich umsieht nach einer Stelle als Sekretärin, vor allem aber nach einem Mann, der reich genug zum Heiraten ist. Sie findet diesen Mann: Rudolf Prack, der ihren Chef spielt. Die Rolle der Privatsekretärin brachte alle Qualitäten Sonja Ziemanns auf den Punkt: Sie war schnippisch, spitz, zickig und eingebildet, will nach oben um fast jeden Preis. Rudolf Prack heiratet sie schließlich, und man weiß nicht genau, ob Furcht oder Mitleid sein eigentlicher Beweggrund ist.« (Claudius Seidl) ▶ Donnerstag, 13. Dezember 2012, 19.00 Uhr (Zu Gast: Sonja Ziemann, Einführung: Werner Sudendorf) DER ACHTE WOCHENTAG – BRD/Polen 1958 – R: Aleksander Ford – B: Marek Hlasko, Aleksander Ford, nach dem Roman von Marek Hlasko – K: Jerzy Lipman, Igor Oberberg – M: Kasimierz Serocki – D: Sonja Ziemann, Zbigniew Cybulski, Ilse Steppat, Tadeusz Lomnicki, Bum Krüger – 84 min – Im Elend einer polnischen Stadt der 1950er Jahre gedrehter Liebesfilm. »Zwei junge Liebende suchen nur ein Bett in einer Welt voller Lärm, Erbitterung, Elend, Unglück, Bosheit und Ungerechtigkeit. Die Frage, ob sich die Liebe in der grausamen, brutalen und ungesunden Welt, in der wir leben, entfalten kann, wird sehr unerbittlich formuliert. Die Inszenierung Fords ist oft von einer Menschlichkeit und einer Liebe gefärbt, die uns die Abenteuer von Peter und Agnes nahebringen. Er zwar liebend, aber schnell entmutigt, aufrichtig, aber zu Kompromissen neigend. Sie hartnäckig, stolz, unbestechlich und wunderbar verkörpert durch Sonja Ziemann.« (Jacques Doniol-Valcroze) MENSCHEN IM HOTEL – BRD 1959 – R: Gottfried Reinhardt – B: Hans Jacoby, Ladislas Fodor, nach dem Roman von Vicky Baum – K: Göran Strindberg – M: Hans-Martin Majewski – D: O.W. Fischer, Michèle Morgan, Heinz Rühmann, Sonja Ziemann, Gert Fröbe, Wolfgang Wahl, Dorothea Wieck – 105 min – »Das Ringelspiel des Schicksals funktioniert und fasziniert. Das große Plus dieser Verfilmung sind Gert Fröbe, der Generaldirektor, der mit gefälschter Bilanz seiner Firma auf die Sprünge helfen will, Heinz Rühmann als biederer, ehrlicher Buchhalter, der seinen Chef auf diesen ›Fehler‹ aufmerksam machen will, und Sonja Ziemann als Hotelsekretärin, die endlich bereit ist, dem Wink des Generaldirektors mit einem 5.000-Mark-Scheck zu folgen. Gottfried Reinhardts Regie entwirft die effektvollen Situationen mit sicherem Strich, Göran Strindbergs Kamera registriert kühl und scharf: Ein Unterhaltungsfilm. Aber einer mit Stil.« (Film-Beobachter) ▶ Samstag, 15. Dezember 2012, 18.30 Uhr THE SECRET WAYS (GEHEIME WEGE) – USA 1961 – R: Phil Karlson – B: Jean Hazlewood, nach dem Roman von Alistair MacLean – K: Max Greene – M: John Williams – D: Richard Widmark, Sonja Ziemann, Charles Regnier, Walter Rilla, Senta Berger, Howard Vernon – 112 min, OF – Ein spannender Kalter-Krieg-Thriller aus der Nachkriegszeit, produziert von Hauptdarsteller Richard Widmark: Nach der Niederschlagung des Volksaufstandes in Ungarn soll ein amerikanischer Agent einen ungarischen Wissenschaftler über die Grenze nach Wien schleusen – zusammen mit seiner politisch engagierten Tochter Julia. »Die Phantasie des Autors stieß sich an nichts, am wenigsten an der Wirklichkeit. Das nächtliche Wien macht er zu einer gefährlichen, Budapest zu einer gespenstisch-leeren Stadt. Auch die Regie sucht die Sensation – und darin ist der Film bemerkenswert effektvoll, nicht zuletzt mittels der Fotografie.« (Film-Dienst) ▶ Sonntag, 16. Dezember 2012, 18.30 Uhr DER TRAUM VON LIESCHEN MÜLLER – BRD 1961 – R: Helmut Käutner – B: Helmut Käutner, Willibald Eser – K: Günther Senftleben – M: Bernhard Eichhorn – D: Sonja Ziemann, Martin Held, Cornelia Froboess, Helmut Griem, Peter Weck, Georg Thomalla, Wolfgang Neuss – 92 min – »Eine filmische Aufhellung von Lieschen Müllers Wunschtraumdenken mit spöttischen Bemerkungen über bundesrepublikanische Zustände in einem Farbfilm-Musical.« (Film-Beobachter) Käutners ambitionierte Satire auf Kinoträume und deutsche Wirtschaftswunderklischees war seinerzeit trotz prominenter Besetzung mit Sonja Ziemann in der Titelrolle ein Flop und wurde daraufhin vom Verleih überarbeitet: »Es wurde nicht nur herumgeschnitten, er wurde auch um dreihundert Meter gekürzt und sinnentstellend umsynchronisiert. Es war der Versuch, noch einen schnellen Gebrauchsfilm aus diesem surrealistischen Märchen zu retten.« (Helmut Käutner) ▶ Freitag, 21. Dezember 2012, 18.30 Uhr Sonja Ziemann ▶ Freitag, 14. Dezember 2012, 18.30 Uhr 61 Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, Rom 2003 – © Alberto Cristofari / Contrasto Jean-Marie Straub zum 80. Geburtstag Jean-Marie Straub Auf einem Plakat, in den Programmen die Namen Dreyer und Straub lesen – und nichts wie hin! Marguerite Duras 62 Jean-Marie Straub hat deutsche, französische und italienische Filme gemacht. Das gibt dieser Münchner Retrospektive eine europäische Bedeutung. Sie schenkt uns in der Öde des monetären Europa die Möglichkeit, im »Ach der Alkmene« (Heiner Müller) den Nachhall der unglaublichen mythischen Geschehnisse zu hören, die bis heute unsere, die europäische, Vergangenheit beleben und ohne deren Erinnerung unser Leben und unser Fühlen versiegen würden. Cesare Pavese hat am 15. Oktober 1945 in seinem Tagebuch die Frage gestellt: »Was sagen, wenn die natürlichen Dinge – Quellen, Wälder, Weinberge, Land – eines Tages von der Stadt aufgesogen und vergangen sein werden und man ihnen in alten Sätzen aus der Vergangenheit begegnen wird? Sie werden auf uns wirken wie die Theoi, die Nymphen, das natürliche Heilige, das in manchen griechischen Versen zum Vorschein kommt. Dann wird der einfache Satz Es war eine Quelle uns rühren«. Das große Werk der Straubschen Filme gibt eine Antwort auf diese Frage, seine ganze ästhetisch-politische Energie richtet sich auf dieses Sagen. Jean-Marie Straub ist ein Sonntagskind, geboren am 8. Januar 1933 in Metz, das die Deutschen der Eisengruben wegen 1871 und 1940 annektierten. Mit dem Projekt einer Filmbiographie »Chronik der Anna Magdalena Bach« im Kopf geht Straub 1954 nach Paris. Er begegnet Danièle Huillet, geboren am 1. Mai 1936, am Feiertag des Wahlsiegs der französischen Volksfront: An Feiertagen gehen / die braunen Frauen daselbst / auf seidnen Boden. Vielleicht dachte Danièle an diesen Vers Hölderlins, als sie schrieb: »Das Interessanteste an mir ist mein Geburtsdatum«. Bis zu ihrem Tod am 9. Oktober 2006 war Danièle an allen Filmprojekten Straubs maßgeblich beteiligt. Statt zum Militärdienst nach Algerien geht Straub 1958 nach Deutschland auf der Suche nach Materialien, Orgeln und Handschriften für den Bachfilm. In Metz wird er in Abwesenheit zu einem Jahr Gefängnis verurteilt (und 1971 amnestiert). 1962 dreht er MACHORKAMUFF nach Heinrich Böll. Der 18-Minuten-Film hat bis heute nichts von seiner ästhetischen und politischen Sprengkraft verloren. Machorka-Muff, in der eben gegründeten Bundeswehr zum Leiter der »Akademie für militärische Erinnerungen« ernannt, fragt sich, was sein alter General zur Wiederbewaffnung gesagt hätte. Straubs Urprojekt und dritter Film, die CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH (1967) wird nicht durch das Thema zu einem deutschen Film, sondern durch die Straubsche Wahrheit der Menschen, Häuser, Innenräume, Gegenstände, Worte und Töne. »Es ist ein Film, den kein Deutscher hätte machen können, … so wie kein Italiener die ›Kartause von Parma‹ hätte schreiben können« (Straub). Als Motto vorangestellt ist ihm ein Jean-Marie Straub Vom extremen Anspruch der Straubs an die Wahrheit von Bild und Ton berichtet Erich Kuby nach den Dreharbeiten von MACHORKA-MUFF. Bei einer Innenaufnahme in München fällt Straub auf, dass das Straßenbahngeräusch nicht stimmt, das auch in einer anderen Szene in Bonn zu hören ist. »Und plötzlich sagt der Straub: Wir müssen nochmal nach Bonn fahren. Das ist nicht die Wahrheit«. Münchner oder Bonner Straßenbahn, für jeden anderen Filmemacher wäre das kein Problem gewesen. Aber das Team fährt zurück nach Bonn und Kuby kommentiert: »Jeder ist so verrückt wie er will. Der Straub ist schon ein erstaunlicher Mann«. Straub selbst zitiert gerne Godard, dem die ersten Tonfilme so gut gefielen, »weil es das erste Mal war, dass man Leute sprechen hörte«. In diesem »ersten Mal« lag eine große Wahrheit. Sie liegt auch darin, wie zum ersten Mal in der BRD in NICHT VERSÖHNT von der deutschen Vergangenheit gesprochen wird. Wer sich auf die Straubsche Ästhetik einlässt, wer Pausen und Längen aushält, wer Atem genug hat, um dem durch Komprimierungen erzeugten, ungeheueren Tempo zu folgen, wer Naturschauspiele wie das Erscheinen eines Berges oder den Einbruch eines Schmetterlings in eine Einstellung mit Ehrfurcht aufnimmt, wird in diesen Filmen die Welt neu zu sehen und zu hören bekommen. Das ist das Straubsche Versprechen, dessen Erfüllung von der Mitarbeit des Zuschauers abhängt. Sie erfordert von ihm altertümliche, oder wie Straub sagen würde, »kommunistische« Tugenden. CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH »Diese Christen« hätte er gesagt, »wer hätte das von ihnen erwarten können!« – »Und das in einer Demokratie.« »Eine Demokratie, in der wir die Mehrheit des Parlaments auf unserer Seite haben«. »Und die öffentliche Meinung?« »Sie wird es schlucken. Sie schluckt alles.« Jedes Wort wiegt schwer wie deutsche Vergangenheit. Die »Aura selbstvergessener Ergriffenheit« (Helmut Färber), mit der Erich Kuby als Machorka die Sätze spricht, beweist, dass der Sprung »vom Nazideutschen zum Bundesbürger« (Böll) gelungen ist. Die Geschichte der Bundesrepublik ist in diesen Film eingeschrieben und arbeitet in ihm weiter. Die Bundeswehr ist groß geworden und verrichtet ihre Arbeit in der ganzen Welt. An diese Tatsache stoßen die Köpfe der Zuschauer heute, wenn der Film in ihnen weiterdenkt. Der zweite deutsche Film NICHT VERSÖHNT ODER ES HILFT NUR GEWALT WO GEWALT HERRSCHT (1965) trägt einen Titel, der zum Programm einer ganzen Generation wurde. Heinrich Bölls Roman »Billard um halbzehn«, der ihm zu Grunde liegt, war 1959 erschienen, gleichzeitig mit Günter Grass’ »Blechtrommel« und Uwe Johnsons »Mutmaßungen über Jakob«. Eine Wende der Nachkriegsliteratur, die sich auf eine neue Weise mit der deutschen Geschichte beschäftigt. Wenige Jahre später folgt der Junge Deutsche Film, wobei der Beitrag der Straubs (»eine neue Elementargewalt«, Peter Nau) eine entscheidende Rolle spielt. Das ist längst Filmgeschichte wie auch die ästhetische Debatte, die die Straubs ausgelöst haben. Das Vorgehen der Filmemacher Straub/Huillet ist ebenso einfach wie ungewohnt. Sie behandeln den Text, der sie interessiert, wie ein Dokument. Mit größter Sorgfalt legen sie eine der in ihm enthaltenen, möglichen Strukturen frei und machen sie durch die große Kunst des Weglassens sichtbar. Die »Inkarnation des Wortes« durch die Sprechenden macht Bild und Ton zur Einheit. Die optische Seite des Films (von vielen Kritikern gepriesen) und die Sprechweise (die gewöhnlich auf Irritation und Ablehnung stößt) sind komplementär, bedingen einander, erzeugen die eigentliche Spannung. Dem Zuschauer wird jede Chance einer Identifikation mit dem Sprechenden genommen. Er kann sich nicht einrichten »in einer in sich geschlossenen Geschichte bruchlos erfundener Figuren« (Frieda Grafe). Er muss auf seine angelernte Vorstellung von »natürlichen« Betonungen verzichten und auf die Sprache achten, die sich in der einmaligen physischen Präsenz des Sprechenden entfaltet. Man mag sich dem verweigern, aber es wäre intellektuell unwürdig, diesen Filmen Dilettantismus und Kunstlosigkeit vorzuwerfen (gewöhnlich das Erste, was dem verletzten Kritiker einfällt). 63 Jean-Marie Straub 64 Wort von Charles Péguy: Die Revolution machen / bedeutet auch / sehr alte Dinge an ihren Platz stellen / die vergessen sind. Solche ins Negativ geritzte Graffiti sind wichtig zum Verständnis der Straubschen Filme. Die Verrückung sehr alter Dinge wie Ernst – Ehre – Treue – Ordnung wurde zum Code der deutschen Verbrechen. Beim Bachfilm mag sich der Zuschauer an das Motto erinnern, das Walter Benjamin 1936 seiner Folge von Briefen »Deutsche Menschen« vorangestellt hat: Von Ehre ohne Ruhm / Von Größe ohne Glanz / Von Würde ohne Sold. Davon berichtet die Geschichte der CHRONIK. Jahrzehnte später sagt Straub: »Als wir drehten, lag Hanoi unter den Bomben, wir dachten an den Vietcong und die Bauern im bayerischen Urwald«. »Ausgangspunkt für unsere CHRONIK war die Idee, einen Film zu versuchen, in dem man Musik nicht als Begleitung, nicht als Kommentar, sondern als ästhetische Materie benutzt«. Am Anfang seines Werks stehen musikalische Projekte, für deren Realisierung Straub 14 Jahre (CHRONIK) und 15 Jahre (MOSES UND ARON) gekämpft hat. Arnold Schönbergs Oper »Moses und Aron« ist eine sehr deutsche, eine sehr jüdische Geschichte, die Straub in eine Landschaft Italiens legt, die diese Erzählung fassen kann. Michael Gielen, der die musikalische Leitung übernommen hat, schreibt: »Schon das Wahnwitzige an dem Unternehmen hat mich gereizt«. Heute wären diese Aufführung und diese Aufnahme materiell gar nicht mehr möglich. Man fände noch den Ort (das antike Theater von Alba Fucense), aber nicht mehr den akustischen Raum, in dem sich die Naturlaute einer alten Welt (Sommerstille, Grillengezirpe, Schafsgeblöke, Wasserfließen, rollende Steine) in die Stimmen der Solisten und des Chors einmischen könnten. Schon damals hatte es viel Mühe gekostet, Maschinen und Flugzeuggeräusche fernzuhalten, die das menschliche Ohr überhört und wegschiebt, die das Mikrophon aber unerbittlich registriert. Umgekehrt hat Straub in OTHON (1969) den rauschenden römischen Verkehr wie einen Lavastrom in den Text von Corneille einfließen lassen. Gesprochen auf dem Palatin, dem Regierungsviertel des antiken Rom, war er dadurch zum Entsetzen der Kritik nicht mehr »hörbar«. »Man muss Corneille jetzt lesen oder gar nicht«, schrieb Marguerite Duras zu diesem Einbruch des Autolärms in die schöne Literatur. Was bedeutet es für unsere Kultur, dass heute Tausende, Millionen Menschen solche extreme Experimente ohne weiteres im Kino oder im Fernsehen sehen können – und dass diese Chance aus Müdigkeit der Einen und Feigheit der Andern nicht genutzt wird? Sicherlich können wir ohne OTHON und ohne MOSES UND ARON leben. Aber was wäre, wenn wir mit diesen Werken und mit Hölderlin und mit Cézanne und mit Kafka leben würden? Straub beharrt auf seinem »Nicht versöhnt« (nicht nur in LOTHRINGEN!, 1994, und UN HERITIER, 2011) und hat nie aufgehört, diese Negation produktiv umzukehren in die Frage: Unter welchen Bedingungen ist Versöhnung mit der Geschichte und mit der Natur möglich? Es ist die große Frage, auf die Hölderlin mit der kommunistischen Utopie des Empedokles (»Wenn dann der Erde Grün von neuem euch erglänzt«) eine Antwort sucht und die Cézanne ekstatisch ausrufen lässt: »In einem Grün wird mein ganzes Hirn fließen mit den Säften des Baumes«. Straub hat die Linie freigelegt, die von Empedokles über Lukrez zu den Mystikern und bis zu Hölderlin und Cézanne führt. Der junge Marx hat sie so beschrieben: »Die Natur ist der unorganische Leib des Menschen, nämlich die Natur, soweit sie nicht selbst menschlicher Körper ist. Die Natur ist sein Leib, mit dem er in beständigem Prozess bleiben muss, um nicht zu sterben«. Seit sich die moderne Industrie mit ihrer Gewalt in diesen Prozess eingemischt hat, wird die Natur auf immer bedrohlichere Weise in die Taten der Menschen verstrickt. Daher der Gedanke von der Notwendigkeit einer Versöhnung und die Einsicht, dass ohne sie auch keine Versöhnung unter den Menschen möglich ist. In DALLA NUBE ALLA RESISTENZA (1978) zeigt Straub das bäuerliche Italien mit seinen Mythen an der Schwelle zur Industriekultur. Der Klassenkampf der Bauern bekommt durch die Darstellung der Kämpfe zwischen Göttern und Menschen eine mythische Schicht. Schon in KLASSENVERHÄLTNISSE (1984) sehen wir, wie tief sich die Hierarchien und Abhängigkeiten in die Lebensweisen der Menschen eingraben. Klassenkämpfe werden zu mechanischen Machtspielen (OTHON; GESCHICHTSUNTERRICHT, 1972), wenn sie nicht bis zu diesen Abgründen vordringen. Einer der letzten, rätselhaften Filme SCHAKALE UND ARABER (2011) demonstriert in 12 Minuten die Aporien dieser Tiefen. In Kafkascher Komik, die vielen Straubfilmen eigen ist. Peter Kammerer SCHAKALE UND ARABER – Schweiz 2011 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Franz Kafka – K: Christophe Clavert – D: Barbara Ulrich, Giorgio Passerone, Jubarite Semaran – 12 min – MACHORKA-MUFF – BRD 1962 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Hauptstädtisches Journal« von Heinrich Böll – K: Wendelin Sachtler – D: Erich Kuby, Renate Lang – 18 min – NICHT VERSöHNT ODER ES HILFT NUR GEWALT, WO GEWALT HERRSCHT – BRD 1965 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Billard um und Bertolt Brecht. Ihnen entspricht Kafkas gewitzter Blick auf die Klassenverhältnisse: »Also endlich die Schere und damit Schluss!« ▶ Dienstag, 18. Dezember 2012, 21.00 Uhr CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH – BRD 1967 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach dem Nekrolog von Philipp Emmanuel Bach und Briefen von Johann Sebastian Bach – K: Ugo Piccone – D: Gustav Leonhardt, Christiane Lang-Drewanz – 94 min – DER BRÄUTIGAM, DIE KOMöDIANTIN UND DER ZUHÄLTER – BRD 1968 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Krankheit der Jugend« von Ferdinand Bruckner und Gedichten von Juan de la Cruz – K: Niklaus Schilling – D: Lilith Ungerer, Rainer Werner Fassbinder, James Powell – 23 min – Die CHRONIK, das jugendliche Meisterstück. Es hätte der erste Straubfilm werden sollen, aber die Finanzierung war kompliziert – einen Millionenfilm dagegen, mit Karajan, hätte man ihm sofort produziert. Bach bei der Arbeit, Musik als Tun. »Gebrauchsmusik ist die höchste Form der Musik«, schrieb Helmut Färber, »Musik die nicht nirgends ist, sondern benötigt und benutzt wird.« Benutzt wie das Theater im BRÄUTIGAM, Fassbinders antiteater. Finsterstes München, aber am Ende Wind, Bäume, Regen. Und das höchste Licht: Mein Herz aus Lehm, / wie jemals könnte es / brennen so sehr, dass stiegen seine Funken / wie es möchte / bis zu den hohen Gipfeln / jenes ewigen Vaters der Lichter. ▶ Mittwoch, 19. Dezember 2012, 21.00 Uhr LA MADRE (DIE MUTTER) – Schweiz 2012 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Cesare Pavese – K: Christophe Clavert – D: Giovanna Daddi, Dario Marconcini – 20 min, OmU – SCHAKALE UND ARABER – Schweiz 2011 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Franz Kafka – K: Christophe Clavert – D: Barbara Ulrich, Giorgio Passerone, Jubarite Semaran – 12 min – O SOMMA LUCE (O HöCHSTES LICHT) – Italien 2010 – R+B: JeanMarie Straub, nach der »Divina Commedia« von Dante Alighieri – K: Renato Berta – Mit Giorgio Passerone – 18 min, OmU – SICILIA ! – Italien 1998 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Conversazione in Sicilia« von Elio Vittorini – K: William Lubtchansky – D: Angela Nugara, Gianni Buscarino, Vittorio Vigneri – 66 min, OmU – Eine Reise ins Licht, die Straubs und das Mediterrane: Pavese und Vittorini, Kafkas Beduinen und Dantes Emphase. Geschichte einer Sehnsucht, eine Bewegung, die sich abbildet in der Folge der Filme. Die letzten drei sind ohne Danièle entstanden. Das Ausrufezeichen im Titel nach »Sicilia« ist wichtig, es signalisiert Ankunft und Aufbruch, steht für Action. Die Einfahrt eines Zuges in den Bahnhof von Syrakus. ▶ Sonntag, 6. Januar 2013, 18.30 Uhr DANIELE HUILLET & JEAN-MARIE STRAUB, CINEASTES – OU GIT VOTRE SOURIRE ENFOUI? (WO LIEGT EUER LÄCHELN BEGRABEN?) – Frankreich 2001 – R+B+K: Pedro Costa – 104 min, OmeU – 6 BAGATELAS (6 BAGATELLEN) – Frankreich 2001 – R+B+K: Pedro Costa – 18 min, OmeU – Die Straubs bei der Arbeit, beim Schnitt der dritten Fassung von SICILIA ! Straub wird dabei programmatisch, brechtisch, das ist manchmal sehr komisch: »Weil – wenn es eine lange Geduld gibt, ist sie gleichzeitig geladen mit Gegensätzen. Andernfalls hat sie sich nicht die Zeit genommen, sich zu laden. Die lange Geduld ist notwendigerweise geladen mit Zärtlichkeit und Gewalt. Die ungeduldige Geduld ist nur geladen mit Ungeduld. Der schöne Herbst ist zurückgekehrt.« ▶ Sonntag, 6. Januar 2013, 21.00 Uhr OTHON. LES YEUX NE VEULENT PAS EN TOUT TEMPS SE FERMER OU PEUT-ETRE QU’UN JOUR ROME SE PERMETTRA DE CHOISIR A SON TOUR (DIE AUGEN WOLLEN SICH NICHT ALLZEIT SCHLIESSEN ODER VIELLEICHT EINES TAGES WIRD ROM SICH ERLAUBEN SEINERSEITS ZU WÄHLEN) – Italien Jean-Marie Straub SCHAKALE UND ARABER halbzehn« von Heinrich Böll – K: Wendelin Sachtler – D: Henning Harmssen, Heinrich Hargesheimer, Martha Ständner, Danièle Huillet, Ulrich von Thüna – 52 min – Es war einmal, Mitte der Sechziger, in stupid old Germany, und endet bis heute nicht. Die gleiche Unversöhnlichkeit, es hilft immer noch nur Gewalt, wo Gewalt herrscht. Hart prallen Bölls Texte auf die Wirklichkeit der Körper, Blicke, Dialekte. Die Radikalität des amerikanischen Gangsterfilms, Legs Diamond und Arturo Ui sind Paten der frühen Filme, Budd Boetticher 65 1969 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Othon« von Pierre Corneille – K: Renato Berta – D: Adriano Aprà, Olimpia Carlisi, Anthony Pensabene, Jubarite Semaran – 88 min, OmU – TOUTE REVOLUTION EST UN COUP DE DES (JEDE REVOLUTION IST EIN WÜRFELWURF) – Frankreich 1977 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Un coup de dés« von Stéphane Mallarmé – K: William Lubtchansky – Mit Helmut Färber, Michel Delahaye, Danièle Huillet, Manfred Blank – 10 min, OmU – Städtetheater, Stadt als Schau-Platz. Inszenierte Geschichte, mit Freunden, an historischen Orten des Widerstands. Corneilles Polittrauerspiel, die Geschäfte des Herrn Othon, gefilmt auf dem Palatin in Rom, vom Straßenlärm umbrandet. Und Mallarmés Poem, das sich nicht auf Papier beschränken will. »Selbst die rein sinnliche Wirklichkeit des Raumes, den die Darsteller am Ende jedes Aktes leer lassen: wie süß wär’ sie ohne das Trauerspiel des Zynismus, der Unterdrückung, des Imperialismus, der Ausbeutung – unsere Erde, befreien wir sie!« schek, Peter Nestler – 16 min – MOSES UND ARON – Österreich 1974 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach der Oper von Arnold Schönberg – K: Renato Berta – D: Günter Reich, Louis Devos – 107 min – Schönbergs Musik, das machen die drei Filme sichtbar, die die Straubs mit ihr machten, hat nach dem Kino verlangt. Ein neues Verhältnis von Wort, Bild, Jean-Marie Straub ▶ Dienstag, 8. Januar 2013, 21.00 Uhr 66 CORNEILLE – BRECHT – Frankreich 2009 – R+B: Jean-Marie Straub, nach »Horace« und »Othon« von Pierre Corneille und »Das Verhör des Lukullus« von Bertolt Brecht – K: Jean-Claude Rousseau, Christophe Clavert – Mit Cornelia Geiser – 26 min, OmU – GESCHICHTSUNTERRICHT – BRD 1972 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Die Geschäfte des Herrn Julius Caesar« von Bertolt Brecht – K: Renato Berta – D: Gottfried Bold, Benedikt Zulauf – 88 min – Kunstpragmatismus, die Straubs und ihre Gebrauchsfilme: Bach für Bauern in Bayern, Corneille für die Arbeiter von Renault. Und Brecht, der mit unermüdlicher Gelassenheit vorführt, wie man mit den Instrumenten der marxistischen Analyse hantiert. GESCHICHTSUNTERRICHT ist eine Recherche zum römischen Kapitalismus, einst und heute. Einer der heitersten Straubfilme, mit KLASSENVERHÄLTNISSE und SICILIA ! bildet er eine Art Trilogie der Travestie. Das Verhör des Lukullus führt dann in die Unterwelt. »Wir suchen ständig das ›Harmonische‹, das ›An-und-für-sich-Schöne‹ zu gestalten«, schrieb Brecht, »anstatt realistisch den Kampf für die Harmonie und die Schönheit.« ▶ Mittwoch, 9. Januar 2013, 21.00 Uhr EINLEITUNG ZU ARNOLD SCHOENBERGS BEGLEITMUSIK ZU EINER LICHTSPIELSCENE – BRD 1973 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach Briefen von Arnold Schönberg – K: Renato Berta – Mit Jean-Marie Straub, Danièle Huillet, Günter Peter Stra- Gedanke. »Du, dem das Wort mit dem Bild davonläuft, du lebst selbst in den Bildern, die du vorgibst, fürs Volk zu erzeugen«, so Moses zum Ideologen Aron, »dem Ursprung, dem Gedanken entfremdet, genügt dir dann weder das Wort noch das Bild.« Das antike Theater in Alba Fucense ist als Schauplatz so irreal, so unmöglich und utopisch wie der von Mallarmés neuer, das Buch übersteigenden Poesie: »Die Praxis von Sprache ist nicht reduzierbar auf Sinnproduktion. Gedichte von Mallarmé sind szenisch konzipiert. Nicht möglich auf dem Theater, sagt er, aber das Theater verlangend. Diese Unmöglichkeit realisiert der Film.« (Frieda Grafe) ▶ Dienstag, 15. Januar 2013, 21.00 Uhr FORTINI / CANI (DIE HUNDE VOM SINAI) – Italien 1976 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach Franco Fortini – K: Renato Berta – Mit Franco Fortini – 83 min, OmU – ITINERAIRE DE JEAN BRICARD (WEG VON JEAN BRICARD) – Frankreich 2008 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach Jean-YvesPetiteau – K: William Lubtchansky – 40 min, OmU – Zwei Kriegs- und Nachkriegserfahrungen, der Italiener Franco Fortini, der Franzose Jean Bricard: vom Faschismus sprechen, also vom Kapitalismus, von Imperialismus, Neokolonialismus, Zionismus, Klassenkampf. Keine Grenzen sind absolut im Denken und im Handeln, kein Leben ist eine Insel. Alles ganz kafkaesk. »Den Hund vom Sinai machen, Redensart der Nomaden, die einst durch die Hochebene von El Tih zogen, im Norden des Berges Sinai. Ihre Bedeutung schwankt zwischen: ▶ Mittwoch, 16. Januar 2013, 21.00 Uhr DALLA NUBE ALLA RESISTENZA (VON DER WOLKE ZUM WIDERSTAND) – Italien 1978 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Dialoghi con Leucò« und »La luna e i falò« von Cesare Pavese – K: Saverio Diamanti – D: Olimpia Carlisi, Guido Lombardi, Andrea Bacci, Mauro Monni, Paolo Cinnani – 105 min, OmU – Der neue Weggefährte Cesare Pavese, er wird die Straubs nicht mehr verlassen auf ihrem Itinéraire. Dialoge mit mythologischen Figuren, die ums Unergründliche, Unaussprechliche kreisen, das Verhältnis der Götter und der Menschen. Die Farben haben Pedro Costa delirieren lassen, diese Gelbs, diese Grüns. Im Anschluss an die Dialoge ein Heimkehrer ins Italien nach Krieg und Widerstand. Ein Verschollener. Wie Gesellschaft Gewalt eindämmen will und selber dabei Gewalt entwickelt. »Die Menschen sprechen in einen leeren Raum, und während die Rede aufsteigt, versenkt sich der Raum in die Erde.« (Gilles Deleuze) ▶ Dienstag, 22. Januar 2013, 21.00 Uhr ZU FRÜH / ZU SPÄT – Frankreich 1982 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach einem Brief von Friedrich Engels und »Luttes de classes en Égypte« von Mahmoud Hussein – K: William Lubtchansky, Robert Alazraki – 105 min – Bäuerliche Welt in Frankreich und in Ägypten. Ökologisches kommt bei Straub immer mit Utopischem. Muss Revolution nicht immer vom Land ausgehen? Sollten Erfahrungen nicht immer aus Schwenks entstehen? »Die Erfahrung nicht ertragen – das geht. Das hat man gesehen. Sogar die Idee der Erfahrung nicht mehr ertragen – das geht ebenfalls. Das sieht man alle Tage. Man kann finden, den Wind zu filmen, sei eine lächerliche Sache. Eben nur Wind. Man kann auch am Kino vorbeigehen, wenn es aus sich herausgeht und etwas riskiert.« (Serge Daney) ▶ Mittwoch, 23. Januar 2013, 21.00 Uhr DER TOD DES EMPEDOKLES ODER WENN DANN DER ERDE GRÜN VON NEUEM EUCH ERGLÄNZT – BRD 1986 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach Friedrich Hölderlin – K: Renato Berta – D: Andreas von Rauch, Vladimir Baratta, Ute Cremer, Howard Vernon, Peter Kammerer – 132 min – Hölderlin, der Kommunist unter den deutschen Klassikern. Empedokles ist mit seiner eigenen Emphase voll beschäftigt und versucht, vom Ätna aus die Welt aufzurütteln. »Er möchte Flamme sein, wie Jeanne d’Arc, wie Cézannes Mont Sainte-Victoire. Und wie John Fords scheinheiliger Ransom Stoddard (James Stewart in THE MAN WHO SHOT LIBERTY VALANCE) redet er zu viel. Er posiert wie eine Sonnenexplosion, aber mit geschlossenen Augen.« (Tag Gallagher) ▶ Dienstag, 29. Januar 2013, 21.00 Uhr SCHWARZE SÜNDE – BRD 1988 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Empedokles auf dem Ätna« (3. Fassung von »Der Tod des Empedokles«) von Friedrich Hölderlin – K: William Lubtchansky – D: Andreas von Rauch, Vladimir Baratta, Howard Vernon, Danièle Huillet – 42 min – Empedokles zum zweiten. Nach der Explosion nun die Implosion. Empedokles hat keine Botschaft mehr, er ist allein wie es Gertrud war am Ende von Dreyers letztem Film. Danièle Huillet spielt noch einmal selber mit in diesem Film, die Sphinx. – PROPOSTA IN QUATTRO PARTI (VORSCHLAG IN VIER TEILEN) – Italien 1985 – 40 min, OF – Blut und Boden. Eine Videomontage von Jean-Marie Straub: A CORNER IN WHEAT (1909) von David W. Griffith sowie Ausschnitte aus MOSES UND ARON, FORTINI / CANI und DALLA NUBE ALLA RESISTENZA. ▶ Mittwoch, 30. Januar 2013, 21.00 Uhr KLASSENVERHÄLTNISSE – BRD 1984 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Der Verschollene« von Franz Kafka – K: William Lubtchansky – D: Christian Heinisch, Mario Adorf, Laura Betti, Alfred Edel, Harun Farocki, Manfred Blank – 127 min – Starkino von den Straubs, in glänzendem Schwarz/Weiß, mit Adorf, Betti, Edel. Kafkas Neue Welt, gefilmt im Geiste von Fritz Lang, dem alten Meister und Lehrer. Ein jugendlicher Held, Kafkas Verschollener, aus seinem Land und seiner Familie gejagt wie die Kölner Jungs in NICHT VERSÖHNT. In den Korridoren und Küchen, Aufzügen und Balkonen fangen Kafkas Sätze an herumzuspuken. Deleuze über die Nähe von Straub und Kafka: »Man kann den Sprechakt nicht von dem lösen, was ihm widersteht, ohne ihn dabei selbst, gegen das ihn Bedrohende, widerständig zu machen. Er selbst ist die Gewalt, die nur hilft, ›wo Gewalt herrscht‹.« ▶ Dienstag, 5. Februar 2013, 21.00 Uhr PAUL CEZANNE IM GESPRÄCH MIT JOACHIM GASQUET – BRD 1989 – R+B: Danièle Huillet & JeanMarie Straub, nach »Cézanne – Ce qu’il m’a dit« von Joachim Gasquet – K: Henri Alekan – 63 min – UNE VISITE AU LOUVRE (EIN BESUCH IM LOUVRE) – Frankreich 2004 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Jean-Marie Straub dem Sieger zu Hilfe eilen, auf der Seite der Herren stehen, edle Gefühle zur Schau stellen. Auf dem Sinai gibt es keine Hunde.« 67 Straub, nach »Cézanne – Ce qu’il m’a dit« von Joachim Gasquet – K: William Lubtchansky, Renato Berta – 47 min, OmU – Nach dem Empedokles, der Arbeit mit Hölderlin, nun das Mystère Cézanne. Gespräche so tief, wie man sie heute nicht mehr kennt. Daniele Huillet: »Wer redet noch mit offenem Herzen? Es ist, wie wenn du plötzlich auf einem Berg reine Luft atmest.« Zwei Bodenständige, Bergbesessene, Sonnentrunkene, wie sie träumen, Natur und Geschichte zu versöhnen. »Die Inkarnation der Sonne durch die Welt, wer wird das je malen, wer es erzählen? Das wäre die physische Geschichte, die Psychologie der Erde.« Mittendrin eine Szene aus der MADAME BOVARY, dem Film von Jean Renoir, dem Sohn von Auguste. Jean-Marie Straub ▶ Mittwoch, 6. Februar 2013, 21.00 Uhr 68 DIE ANTIGONE DES SOPHOKLES NACH DER HöLDERLINSCHEN ÜBERTRAGUNG FÜR DIE BÜHNE BEARBEITET VON BRECHT 1948 (SUHRKAMP VERLAG) – Deutschland 1991 – R+B: Danièle Huillet & JeanMarie Straub – K: William Lubtchansky – D: Astrid Ofner, Ursula Ofner, Libgart Schwarz, Werner Rehm – 99 min – Theaterferien in Berlin. An der Schaubühne hatten die Straubs die »Antigone« inszeniert, nun sind sie mit dem Stück und den Akteuren im antiken griechischen Theater in Segesta. »Das Straubsche Kino und das alte griechische Drama«, schreibt Peter Handke, »sind für mich geradezu seinesgleichen, formgleich: beide stehen, oder stocken, am Anfang und verharren da, beharren auf diesem.« Die Arbeit der Straubs ist archäologisch, die Schichten der Geschichte aufblätternd: ein Stück von Sophokles, übersetzt von Hölderlin, bearbeitet von Brecht fürs Theater. Im Kino gewinnt es neue Körperlichkeit, Wesen, die mythisch sind und doch ganz gegenwärtig. »Ungeheuer ist viel. Doch nichts ungeheurer, als der Mensch.« ▶ Dienstag, 12. Februar 2013, 21.00 Uhr VON HEUTE AUF MORGEN – Deutschland 1997 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach der Oper von Arnold Schönberg und Max Blonda – K: William Lubtchansky – D: Christine Whittlesey, Richard Salter – 62 min – EN RACHACHANT – Frankreich 1982 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Oh ! Ernesto« von Marguerite Duras – K: Henri Alekan – D: Olivier Straub, Nadette Thinus, Bernard Thinus, Raymond Gérard – 7 min, OmU – LOTHRINGEN ! – Frankreich 1994 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Colette Baudoche« von Maurice Barrès – K: Christophe Pollock – D: Emmanuelle Straub – 21 min, OmU – UN HERITIER (EIN ERBE) – Frankreich 2011 – R+B: Jean-Marie Straub, nach »Au service de l’Allemagne« von Maurice Barrès – K: Renato Berta, Christophe Clavert – D: Joseph Rottner, Jubarite Semaran, Barbara Ulrich – 21 min, OmU – Filme über Erbschaft und Erziehung, Mode und Ideologien. »Was sind das, moderne Menschen?« Zwei Filme spielen im Elsass, im deutsch-französischen Grenzland, nach dem reaktionären Maurice Barrès. Wissen und Gewissheiten, die sich entfestigen, nationale Gefühle, die in den wilden Nationalismen ihre Wahrheit reklamieren, »die heute sichtbaren und hörbaren Geschichtsspuren«, schrieb Frieda Grafe, »und die vom Kino aufgerufenen – nicht direkt darzustellenden – archaischen Schwingungen«. Der alte Straub, geboren in Metz, tritt als Zeitzeuge selbst in Erscheinung. ▶ Mittwoch, 13. Februar 2013, 21.00 Uhr OPERAI, CONTADINI (ARBEITER, BAUERN) – Italien 2001 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Le donne di Messina« von Elio Vittorini – K: Renato Berta – D: Angela Nugara, Angela Durantini, Vittorio Vigneri, Aldo Fruttuosi, Rosalba Curatola – 123 min, OmU – Die Straubs gehen in die Wälder, ihr spätes Werk wurzelt in der Gegend um die toskanische Stadt Buti – unser Monument Valley, sagt Straub. OPERAI, CONTADINI ist ihr WAGONMASTER, ein western noir. Politisches wächst zusammen mit Mythischem, Märchenhaftem. Die neue Historie. Überlebensszenen unter unsäglichen Bedingungen, in einem Winter nach Ende des Zweiten Weltkriegs. »Es geht um den Wahnsinn, eine Gemeinschaft zu bilden«, sagt Straub, »den Wahnsinn des Schnees und des Eises.« ▶ Dienstag, 19. Februar 2013, 21.00 Uhr IL RITORNO DEL FIGLIO PRODIGO / UMILIATI (DIE RÜCKKEHR DES VERLORENEN SOHNES / GEDEMÜTIGT) – Italien 2003 – R+B: Danièle Huillet & JeanMarie Straub, nach »Le donne di Messina« von Elio Vittorini – K: Renato Berta – D: Vittorio Vigneri, Rosalba Curatola, Aldo Fruttuosi, Romano Guelfi, Paolo Spaziani – 64 min, OmU – Die Fortsetzung zu den OPERAI, CONTADINI. Die Gesellschaft formiert sich neu, Gericht wird gehalten. Ein Reichtum von Sonne, Licht, Wasser, Blattwerk, in den kleinsten Filmen noch, der den angeblichen Asketismus und Minimalismus der Straubs ad absurdum führt. »Das hat mich so geärgert, dass ich nachgesehen habe. Askese, etymologisch, bei den Griechen, heißt: einen Beruf und ein Handwerk gut ausüben, die Dinge gut polieren, als Schreiber zum Beispiel oder als Töpfer. Also bedeutet es genau das Gegenteil von dem, was die Leute heute denken, wenn sie QUEI LORO INCONTRI (JENE IHRE BEGEGNUNGEN) – Italien 2006 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub, nach »Dialoghi con Leucò« von Cesare Pavese – K: Renato Berta, Jean-Paul Toraille – D: Angela Nugara, Vittorio Vigneri, Grazia Orsi, Romano Guelfi, Giovanna Daddi, Dario Marconcini – 68 min, OmU – IL GINOCCHIO DI ARTEMIDE (DAS KNIE DER ARTEMIDE) – Italien 2007 – R+B: Jean-Marie Straub, nach »La Belva« von Cesare Pavese – K: Renato Berta, JeanPaul Toraille – D: Dario Marconcini, Andrea Bacci – 26 min, OmU – LE STREGHE – FEMMES ENTRE ELLES (DIE HEXEN – FRAUEN UNTER SICH) – Italien 2009 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Cesare Pavese – K: Re- ▶ Donnerstag, 21. Februar 2013, 19.00 Uhr Jean-Marie Straub ▶ Mittwoch, 20. Februar 2013, 21.00 Uhr nato Berta, Jean-Paul Toraille – D: Giovanna Daddi, Giovanna Giuliani – 26 min, OmU – L’INCONSOLABILE (DER UNTRöSTLICHE) – Italien 2011 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Cesare Pavese – K: Renato Berta, Christophe Clavert – D: Giovanna Daddi, Andrea Bacci – 15 min, OmU – LA MADRE (DIE MUTTER) – Schweiz 2012 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Cesare Pavese – K: Christophe Clavert – D: Giovanna Daddi, Dario Marconcini – 20 min, OmU – Mit Pavese haben die Straubs ihren Frieden gefunden, einen immer noch aufrührerischen Frieden. Neun filmische Dialoge mit Leuko, zum Schluss der allerneueste: LA MADRE. Meleagros hat getötet und wird nun selbst getötet, von der eigenen Mutter. »Wer schafft es denn je, sich von den Müttern zu lösen?« fragt ihn, der zum Schatten wurde, der vieldeutige Hermes. »Die Mischungen, die Monstren erzeugen, sind im Kino nicht nur erlaubt, sie sind, wenn man es recht bedenkt, sein Gesetz. Solche Zwitter zu produzieren hat vor ihm kaum eine Kunst geschafft. Vor allem seitdem die Leinwand redet, wimmelt es von Chimären und Kentauren und Werwölfen. Sogar Götter wandeln zuweilen wieder unter den Menschen.« (Frieda Grafe) 69 LA MADRE meinen, ein Asket ist einer, der hat kein Blut. Das war die Frömmigkeit vom 17. Jahrhundert, die das umgekippt hat. Die schlimme Frömmigkeit. Bis zur Peitsche auf sich selbst.« – EUROPA 2005 – 27 OCTOBRE – Frankreich 2006 – R+B: Danièle Huillet & Jean-Marie Straub – K: Jean-Claude Rousseau, Christophe Clavert – 11 min, kein Dialog – JOACHIM GATTI – Frankreich 2009 – R+B: Jean-Marie Straub, nach Jean-Jacques Rousseau – K: Renato Berta – 2 min, OmU Filmemigration LIEBELEI Filmemigration aus Nazi-Deutschland 70 Eines der vordringlichsten Ziele des Nationalsozialismus nach der Machtübernahme am 30. Januar 1933 war es, die Massenmedien unter seine Kontrolle zu bringen. Dazu gehörte vor allem auch der Film. Ein wesentlicher Schritt dazu erfolgte bereits am 10. März, als es gelang, in der Geschäftsleitung der Filmbörse, der zentralen Vermittlungsstelle für alle Filmschaffenden, einen Parteigänger zu installieren. Parallel dazu kam es zur Bildung Nationalsozialistischer Betriebsorganisationen (NSBO) in sämtlichen Berufssparten der Filmindustrie, die nicht nur die Basis, sondern auch die Filmbörse zu kontrollieren begannen. Am 17. März, nur sechs Tage nach der formellen Gründung des Propagandaministeriums, wurde dann eine eigene Filmabteilung innerhalb des Ministeriums installiert. Goebbels’ erster Auftritt vor der Filmwirtschaft am 28. März fiel verhalten aus. Er gab sich konziliant, sprach von der »Freiheit der Kunst« und verzichtete auf antisemitische Hetze. Konkret zur Sache äußerte sich Goebbels im Anschluss an seine Rede bei einem Treffen mit Ludwig Klitzsch, dem Generaldirektor der Ufa. Die Ufa war der mächtigste europäische Filmkonzern und politisch ein nationales, dem rechten Spektrum zuzurechnendes Unternehmen. Klaus Kreimeier nennt sie »präfaschistisch«. Hier war zu erwarten, dass die Politik des »neuen Deutschland« auf fruchtbaren Boden fallen würde. Und in der Tat reagierte die Ufa schnell. Bereits am folgenden Tag kam der Aufsichtsrat der Ufa überein, die bestehenden Verträge mit jüdischen Mitarbeitern und Angestellten aus »Rücksicht« auf die »nationalen Umwälzungen« nach Möglichkeit aufzulösen: »Jedes Vorstandsmitglied soll die Entscheidung darüber treffen, welche Mitarbeiter und Angestellten in seinem Ressort sofort zu entlassen und welche im Wege eines langsamen Abbaues aus den Diensten der Ufa auszuscheiden sind. Fälle, die Härten aufweisen, sollen schonend behandelt werden. Gehaltszahlungen sind mit Herrn Klitzsch zu besprechen.« Regisseur Erik Charell und der Erfolgsproduzent Erich Pommer wurden in der Niederschrift der Vorstandssitzung als erste genannt. Sie standen in den Vorbereitungen eines Großfilms über den Odysseus-Stoff, der gewisse Verwertungsrisiken beinhaltete. In diesem Fall kam die jüdische Abstammung Charells offenbar gerade recht, gen erheben werde. Heymann war – wie auch Rosy Barsony – nicht zu halten, er emigrierte über Frankreich in die USA. Der Ungar Viktor Gertler, Produktionsassistent und Cutter, schildert in seiner Autobiografie den Hergang seiner Entlassung aus der Ufa: »Im März 1933 wurde ich in den Konferenzsaal der Direktion zitiert. Als ich den Saal betreten wollte, trat gerade Pommer aus der Tür. Nervös und kreidebleich hetzte er an mir vorbei. Ich ging hinein. An einem langen Tisch sitzend sah ich meine bis dahin immer lächelnden Vorgesetzten: Corell, Meydam, Grieving, Gau, von Theobald und noch zwei weitere leitende Herren. Keiner von ihnen lächelte mehr. Im Raum herrschte eisige Kälte. Man bat mich Platz zu nehmen und – fragte mich nach meiner Religionszugehörigkeit. Später fand ich auf dem Schreibtisch in meinem Büro einen Brief vor. Ich las ihn. Die Ufa hatte mich für unbestimmte Zeit beurlaubt. […] Am nächsten Morgen erreichte mich ein Einschreiben der Ufa. Man teilte mir mit, ich sei mit sofortiger Wirkung entlassen. Als ich in der Personalabteilung noch mein Gehalt abheben wollte, erfuhr ich, daß für mich keinerlei Anweisung vorlag.« Einen ersten Höhepunkt erreichte die antisemitische Hetze am 1. April 1933 beim genannten »Boykott-Tag«. Von Goebbels veranlasst, zogen SA-Horden durch die Straßen und skandierten »Deutsche wehrt euch, kauft nicht bei Juden« und »Deutschland erwache, Juda verrecke«. Die Aktion richtete sich gegen jüdische Geschäfte und Anwaltskanzleien ebenso wie gegen Professoren, Lehrer, Studenten, Schüler, Künstler und nicht zuletzt auch gegen Filmschaffende. Ulrich Liebe gibt sehr einfühlsam eine der Aktionen in den Babelsberger Studios wieder. Der Produktionsleiter des UfaFilms KIND, ICH FREU’ MICH AUF DEIN KOMMEN betrat am Boykott-Tag das Atelier und verkündete lapidar: »Wer hier nicht reinarischen Blutes ist, verlässt sofort das Studio.« Der Regisseur Kurt Gerron erstarrt, »er schaut sich noch einmal hilflos um, dann wendet er sich ab und geht langsam mit schweren Schritten zum Ausgang; sein Körper bebt, er weint.« Nach den Ausschreitungen des Boykott-Tages kam es zur ersten großen Emigrationswelle – zahlreiche jüdische Künstler verließen Deutschland. Mit der Novellierung der Filmkontingentverordnung vom 28. Juli 1933 wurde die Entfernung der Juden aus der deutschen Filmbranche auf eine »gesetzliche Basis« gestellt. Um – wie es hieß – die »deutsche Filmherstellung aus den Händen der Juden« zu befreien, konnten Filme nur mehr dann als deutsche anerkannt werden, wenn »alle Mitwirkenden Deutsche« waren. Filmemigration um das Projekt zu Fall zu bringen. Einig war man sich in der Vorstandssitzung darüber, dass beider Verträge so rasch wie möglich aufgelöst werden sollten. Ein weiterer Prominenter war Regisseur Ludwig Berger. Seinen in Planung befindlichen Film wollte die Ufa allerdings noch verwirklicht sehen. Anfang Juni durfte Berger mit WALZERKRIEG beginnen, allerdings ohne den Produzenten Pommer. Seine Position wurde der Herstellungsgruppe Günther Stapenhorst übertragen. Rasch aufgelöst werden sollten beispielsweise auch die Verträge der Ufa-Autoren Robert Liebmann, Hans Müller und Friedrich Zeckendorf sowie einiger jüdischer Verwaltungsangestellter. Der Ufa-Konzern beschäftigte eine große Zahl der bedeutendsten Filmschaffenden und Filmkünstler sowie erfolgversprechender Nachwuchskräfte aus dem deutschsprachigen Raum; andere waren durch Subunternehmer indirekt in ihrem Einflussbereich. Viele dieser Filmschaffenden waren jüdischer Abstammung, und es konnten nicht alle von einem Tag auf den anderen gekündigt, geschweige denn ersetzt werden. Der Ausschluss von Juden aus der deutschen Produktion war somit ein Prozess, dessen Geschwindigkeit von verschiedenen Faktoren bestimmt war: von der Möglichkeit des Zugriffs, vom bereits eingesetzten Kapital, vom Grad der Zustimmung der Partei zu jüdischen Filmschaffenden oder filmwirtschaftlichen Interesse an bestimmten Persönlichkeiten und/oder jüdischen Produktionsfirmen. Der Opportunismus in der Ufa zeigte sich besonders anschaulich bei der ungarischen Schauspielerin und Tänzerin Rosy Barsony, deren weiteres Engagement mit »Rücksicht auf die Knappheit an jugendlichen Darstellern« durchgesetzt werden sollte. Auch den Komponisten und Leiter des UfaOrchesters, Werner Richard Heymann, wollte die Geschäftsleitung unbedingt halten: »Mit Rücksicht auf den anständigen Charakter von Werner R. Heymann und auf die Tatsache, dass er als Frontsoldat den Krieg mitgemacht hat, beschließt der Vorstand, sich bei der Regierung für seinen Weiterverbleib einzusetzen.« Als eine günstige Voraussetzung erachteten die Verantwortlichen, dass Heymann getauft war und der evangelischen Glaubensgemeinschaft angehörte. Heymann war einer der bedeutendsten Komponisten im deutschen Film, der u. a. die Musik zu den Ufa-Welterfolgen DIE DREI VON DER TANKSTELLE (1930, Regie: Wilhelm Thiele) und DER KONGRESS TANZT (1931, Regie: Erik Charell) komponiert hatte. Sein Assistent Gérard Jacobson wurde jedoch sofort entlassen, wenngleich betont wurde, dass die Ufa gegen eine private Weiterbeschäftigung Jacobsons durch Heymann keine Einwendun- 71 Filmemigration 72 Dabei wurde der Begriff des »Deutschen« nicht mehr ausschließlich über die Staatsangehörigkeit, sondern auch durch die »Stammeszugehörigkeit« definiert. Personen jüdischer Abstammung, nach nationalsozialistischer Terminologie »Nichtarier«, wurden damit – unabhängig von der deutschen Staatsbürgerschaft – wie Ausländer eingestuft. Sie benötigten jetzt eine Arbeitserlaubnis. Diese konnten sie nur über einen speziellen Antrag beim Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda erhalten, wobei aber von vornherein festgeschrieben war, dass ein Antrag nur aus »kulturellen oder künstlerischen Erwägungen« gewährt wurde. Etwa gleichzeitig wurde die Filmkammer ins Leben gerufen, die im November 1933 als eine von sechs Einzelkammern der Reichskulturkammer eingegliedert wurde. Die Reichsfilmkammer fungierte als ein Schnittpunkt aller mit Filmagenden betrauten Organisationen, an deren Spitze das von Goebbels geleitete Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda stand. Die Kammer erfasste alle an einem Film Beteiligten: von der Produktionsgesellschaft und dem Filmstab zur Zensur bis zur Distribution und Aufführung. Ab der zweiten Jahreshälfte 1933 lief ohne diese Zentralstelle überhaupt nichts mehr. Nur wenigen jüdischen Personen gelang über Ausnahmegenehmigungen die Weiterbeschäftigung im Reich. So konnte etwa der Produzent Gregor Rabinowitsch über seine Cine-Allianz Tonfilm GmbH noch bis Anfang 1935 produzieren und der beliebte Komiker Otto Wallburg bis 1934 in Filmen mitwirken. Seine letzten beiden Filme, INGE UND DIE MILLIONEN (1933, Regie: Erich Engel) sowie KONJUNKTURRITTER (1934, Regie: Fritz Kampers), präsentierten Wallburg jedoch als zwielichtigen Devisenschieber und kriminellen Spekulanten. Wie hieß es doch in einem gut gemeinten Rat deutscherseits an die österreichischen Produzenten? »Juden können in einer Filmrolle dann beschäftigt werden, wenn dieselbe der Mentalität der Rasse entspricht«. Im Vergleich zu 1933 nahmen deutschsprachige Filme mit jüdischer Beteiligung 1934 rapide ab. Über einen längeren Zeitraum – zum Teil bis Ende 1937 – arbeiteten Marta Eggerth, Jan Kiepura und Reinhold Schünzel. Ab 1938 waren im Filmbereich keine Juden mehr beschäftigt. Armin Loacker Die Filmreihe zeigt die letzten oder vorletzten Filme von Regisseuren, die aus Deutschland emigrieren mussten. Sie verdeutlicht den künstlerischen Verlust des deutschen Films, der durch Hitlers Machtergreifung vor 80 Jahren, am 30. Januar 1933, einsetzte. Die Schicksale der Emigranten schildert Günter Peter Straschek in seiner selten gezeigten Dokumentation FILMEMIGRATION AUS NAZI-DEUTSCHLAND. MÄDCHEN IN UNIFORM – Deutschland 1931 – R: Leontine Sagan – B: Christa Winsloe, nach ihrem Stück »Gestern und Heute« – K: Reimar Kuntze, Franz Weihmayr – M: Hansom Milde-Meißner – D: Hertha Thiele, Dorothea Wieck, Gertrud de Lalsky, Emilie Unda, Marte Hein, Hedwig Schlichter – 87 min – In einem strengen Erziehungsheim für preußische Offizierstöchter schwärmt eine Schülerin für eine verständnisvolle, junge Erzieherin. Der erste deutsche Tonfilm, bei dem eine Frau Regie führte. Regisseurin Leontine Sagan emigrierte bereits 1932 nach England, wo sie noch einen zweiten Spielfilm drehte, bevor sie 1939 nach Südafrika ging, wo sie als Kind aufgewachsen war. Dort widmete sie sich dem Theater. Hertha Thiele war in Deutschland als Schauspielerin so populär, dass sie trotz ihrer oppositionellen Haltung zu den Nationalsozialisten erst 1936 aus der Reichstheaterkammer und Reichsfilmkammer ausgeschlossen wurde. Im Januar 1937 emigrierte sie in die Schweiz und siedelte 1966 in die DDR über, wo sie wieder als Schauspielerin in Filmen auftrat. ▶ Dienstag, 8. Januar 2013, 18.30 Uhr MADAME HAT AUSGANG – Deutschland 1931 – R: Wilhelm Thiele – B: Franz Schulz, Wilhelm Thiele – K: Nicolas Farkas, Ferenc Farkas – M: Ralph Erwin – D: Liane Haid, Hans Brausewetter, Ernst Dumcke, Hilde Hildebrand, Paul Biensfeldt – 82 min – Elegante musikalische Komödie um eine betrogene Ehefrau, die nun auch einen Seitensprung wagt. Der als Meister der frühen Tonfilmoperette ausgesprochen erfolgreiche Wilhelm Thiele wurde als jüdischer Filmschaffender aus der Reichsfilmkammer ausgeschlossen, floh über Österreich und Großbritannien in die USA und landete 1934 in Hollywood, wo er als William Thiele zahlreiche B-Pictures drehte. Ende der 1950er Jahre kehrte er in die Bundesrepublik zurück. Der ebenfalls profilierte KUHLE WAMPE ODER WEM GEHöRT DIE WELT? – Deutschland 1932 – R: Slatan Dudow – B: Bertolt Brecht, Ernst Ottwald – K: Günther Krampf – M: Hanns Eisler – D: Hertha Thiele, Ernst Busch, Martha Wolter, Adolf Fischer, Lilli Schoenborn, Erwin Geschonneck – 71 min – Die Geschichte einer Berliner Arbeiterfamilie, die in Elend und Armut lebt, aber in der Arbeiterbewegung eine Möglichkeit sieht, die Welt zu verändern. KUHLE WAMPE ist der einzige kommunistische Spielfilm der Weimarer Republik und wurde erst nach starken Kürzungen von der Zensur freigegeben. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde er sofort wieder verboten. Slatan Dudow emigrierte 1933 über Frankreich in die Schweiz. Hanns Eisler löste im Februar 1933 seine Berliner Wohnung auf, Bertolt Brecht verließ Deutschland einen Tag nach dem Reichstagsbrand, Ernst Busch konnte sich am 9. März der Verhaftung durch die Gestapo entziehen. Eisler, ▶ Freitag, 11. Januar 2013, 18.30 Uhr DER TRÄUMENDE MUND – Deutschland 1932 – R+B: Paul Czinner, nach dem Stück »Mélo« von Henry Bernstein – K: Jules Krueger – D: Elisabeth Bergner, Anton Edthofer, Rudolf Forster, Margarete Hruby, Jaro Fürth – 93 min – Die Frau eines Orchestermusikers wird die Geliebte des Jugendfreundes ihres Mannes und gerät in einen Gewissenskonflikt. »Es ist der KammerspielFilm von heute, den die eigene Art der Bergner schuf. Flukturierendes Zwischenspiel der Seelen, das die Kamera reflektiert, das Worte zum Tönen bringt. Wieder bezwingen die große Verinnerlichung, der Zauber einer sensiblen Darstellungskunst.« (Lotte H. Eisner) Paul Czinner emigrierte 1933 zusammen mit Elisabeth Bergner nach England, wo beide heirateten und ihre Karrieren fortsetzen konnten. 1940 reisten sie in die USA, Filmemigration ▶ Mittwoch, 9. Januar 2013, 18.30 Uhr Brecht und Busch arbeiteten in verschiedenen Ländern in Europa, Brecht und Eisler auch in den USA. Busch verbrachte die letzten Kriegsjahre im Zuchthaus Brandenburg, nachdem er 1942 in Frankreich verhaftet und der Gestapo ausgeliefert worden war. Alle vier Künstler konnten ihre Karrieren in der DDR erfolgreich fortsetzen. 73 KUHLE WAMPE ODER WEM GEHÖRT DIE WELT? Drehbuchautor Franz Schulz verließ 1933 Deutschland und emigrierte über Prag und London in die USA. Dort arbeitete er unter dem Namen Franz Spencer. Ende der 1950er Jahre kehrte er nach Europa zurück. konnten aber in Hollywood ihre erfolgreiche Zusammenarbeit nicht fortsetzen und kehrten 1951 wieder nach England zurück. ▶ Samstag, 12. Januar 2013, 18.30 Uhr Filmemigration DER BRAVE SÜNDER – Deutschland 1931 – R: Fritz Kortner – B: Alfred Polgar, Fritz Kortner, nach dem Stück »Die Defraudanten« von Alfred Polgar – K: Günther Krampf – M: Nicholas Brodszky – D: Max Pallenberg, Heinz Rühmann, Dolly Haas, Josefine Dora, Fritz Grünbaum – 92 min – Unterhaltsame Burleske über die Abenteuer und Verwirrungen eines pedantischen Oberkassierers, der unfreiwillig zum Betrüger wird. 74 Fritz Kortner emigrierte 1933 über London und New York nach Hollywood. »Was ich beruflich in Hollywood zu leisten Gelegenheit hatte, war so wenig bemerkenswert, dass ich darüber zu erzählen gerne versäume.« (Kortner) 1947 kehrte er zurück und setzte in der Bundesrepublik seine Karriere als Schauspieler und Regisseur fort. Dolly Haas verließ Deutschland 1936, emigrierte zusammen mit ihrem jüdischen Mann Hans Brahm über England in die USA, wo sie mit einer Ausnahme keine Filme mehr drehte, sondern am Broadway reüssierte. Max Pallenberg floh 1933 nach Wien und kam 1934 bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Fritz Grünbaum versuchte 1938, aus Österreich zu fliehen, wurde verhaftet und 1941 im KZ Dachau ermordet. ▶ Dienstag, 15. Januar 2013, 18.30 Uhr ICH UND DIE KAISERIN – Deutschland 1933 – R: Friedrich Hollaender – B: Walter Reisch, Robert Liebmann – K: Friedl Behn-Grund – M: Friedrich Hollaender, Franz Wachsmann – D: Lilian Harvey, Conrad Veidt, Mady Christians, Heinz Rühmann, Friedel Schuster, Hubert von Meyerinck – 89 min – Eine musikalische Komödie: Die Lieblingsfriseuse der Kaiserin verliert deren Strumpfband bei einer Parforcejagd im Wald und löst Hofklatsch, Eifersüchteleien und politische Intrigen aus. ICH UND DIE KAISERIN war für viele Mitarbeiter der letzte Film in Deutschland, sie mussten alle 1933 emigrieren. Nach seiner einzigen Regiearbeit knüpfte Friedrich Hollaender als Komponist in Hollywood an seine Erfolge bei der Ufa an, ebenso wie sein Co-Komponist Franz Wachsmann, der sich in Amerika Franz Waxman nannte, sein Drehbuchautor Walter Reisch und die Schauspielerin Mady Christians. Robert Liebmann blieb in Frankreich, wo sich seine Spuren verlieren. Conrad Veidt arbeitete zunächst in Großbritannien und ab 1940 in Hollywood, wo er 1943 starb. ▶ Mittwoch, 16. Januar 2013, 18.30 Uhr LIEBELEI – Deutschland 1933 – R: Max Ophüls – B: Hans Wilhelm, Curt Alexander, Max Ophüls, nach dem Stück von Arthur Schnitzler – K: Franz Planer – M: Theo Mackeben – D: Magda Schneider, Luise Ullrich, Paul Hörbiger, Wolfgang Liebeneiner, Gustaf Gründgens, Olga Tschechowa – 88 min – Die ungewöhnlich dichte Verfilmung von Arthur Schnitzlers Drama über Liebschaften im Wien der k.u.k.-Monarchie gilt als einer der schönsten deutschen Filme. Max Ophüls schrieb: »Über LIEBELEI lag ein Glücksstern. Glückssterne scheinen besonders hell am Poetenhimmel, und ich glaube, Arthur Schnitzler ist ein großer Poet.« Die meisten Mitwirkenden des Films mussten unmittelbar nach der Premiere emigrieren. Max Ophüls drehte Filme in Frankreich, Italien, Holland, England und ab 1940 in den USA. 1949 kehrte er nach Europa zurück und arbeitete in Frankreich und der Bundesrepublik. Auch Hans Wilhelm und Curt Alexander arbeiteten im europäischen Exil bis 1940 an weiteren Filmen von Max Ophüls mit, Hans Wilhelm gelangte erst 1945 nach Hollywood, hatte dort aber nur wenig Erfolg. ▶ Freitag, 18. Januar 2013, 18.30 Uhr BRENNENDES GEHEIMNIS – Deutschland 1933 – R: Robert Siodmak – B: Friedrich Kohner, nach dem Roman von Stefan Zweig – K: Robert Baberske, Richard Angst – M: Allan Gray – D: Willi Forst, Hans Joachim Schaufuß, Hilde Wagener, Alfred Abel, Lucie Höflich – 87 min – Ein 13jähriger Junge entdeckt, dass seine Mutter in eine Liebschaft mit einem Rennfahrer vertrickt ist. »Es geht hier nicht um eine große Handlung: Geschehnisse n der Welt seelischen Erlebens gewinnen Form; wie sie im Optischen eingefangen werden, wie sie ein sparsamer, durchfeilter Dialog aufdeckt – darin liegt der Verdienst dieses Filmwerks.« (Lotte H. Eisner) BRENNENDES GEHEIMNIS lief nach seiner Uraufführung am 20. März 1933 nur wenige Tage in den deutschen Kinos ohne Nennung der Namen der jüdischen Mitarbeiter. Robert Siodmak bekam keine Arbeitserlaubnis mehr und emigrierte über Frankreich und England 1939 nach Hollywood, wo er seine Karriere als Regisseur fortsetzte. 1951 kehrte er nach Europa zurück und drehte in der Bundesrepublik einige preisgekrönte Filmklassiker. Friedrich Kohner gelangte über die Schweiz und England bereits 1936 nach Hollywood, wo er sich als Filmautor, Dramatiker und Buchautor einen Namen machte und Frederick Kohner nannte. ▶ Samstag, 19. Januar 2013, 18.30 Uhr DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE – Deutschland 1933 – R: Fritz Lang – B: Thea von Harbou, Fritz Lang – K: Fritz Arno Wagner, Karl Vass – M: Hans Erdmann – D: Rudolf Klein-Rogge, Oskar Beregi, Theodor Loos, Otto Wernicke, Klaus Pohl, Gustav Diessl – 122 min – Fritz Langs Kriminalfilm um den in einer Nervenklinik einsitzenden Dr. Mabuse, der mit Mord- und Terrorplänen eine »Herrschaft des Verbrechens« errichten will, konnte durchaus als kritische Anspielung auf die Nationalsozialisten und das System von Terror und Unterdrückung in einer zu erwartenden Diktatur gelesen werden. Dementsprechend wurde DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE im März 1933 von der Filmprüfstelle ver- 96 min, OmeU – Die in Venedig angesiedelte Geschichte um einen unscheinbaren italienischen Tenor, der auf das Mädchen verzichtet, das seine Liebe nicht erwidert, um eine große Sängerkarriere zu machen, ist ein Starvehikel für den populären jüdischen Tenor Joseph Schmidt. Während EIN LIED GEHT UM DIE WELT der große Kinoerfolg des Sommers 1933 war, musste Richard Oswald, einer der erfolgreichsten Regisseure und Produzenten der 1920er Jahre, emigrieren. Er drehte zunächst in den Niederlanden, Großbritannien, Österreich und Frankreich, bevor er ab 1938 in Hollywood seine Regiekarriere fortzusetzen versuchte. Auch Joseph Schmidt floh aus Deutschland und tourte im europäischen Ausland sowie in Palästina und in New York. 1940 wurde er in Frankreich interniert, konnte im September 1942 in die Schweiz flüchten, wo er zwei Monate später in einem Internierungslager starb. boten und zur Aufführung in Deutschland gar nicht erst zugelassen. Daraufhin verließ Star-Regisseur Fritz Lang nach einer Unterredung mit Joseph Goebbels im April 1933 Deutschland. Über Frankreich gelangte er 1935 nach Hollywood, wo er seine Regiekarriere fortsetzte. ▶ Freitag, 1. Februar 2013, 18.30 Uhr EIN LIED GEHT UM DIE WELT – Deutschland 1933 – R: Richard Oswald – B: Heinz Goldberg – K: Reimar Kuntze – M: Hans May – D: Joseph Schmidt, Viktor de Kowa, Charlotte Ander, Fritz Kampers, Carl de Vogt – DER TUNNEL – Deutschland 1933 – R: Kurt Bernhardt – B: Kurt Bernhardt, Reinhart Steinbicker, nach dem Roman von Bernhard Kellermann – K: Carl Hoffmann – M: Walter Gronostay – D: Paul Hartmann, Olly von Flint, Gustaf Gründgens, Attila Hörbiger, Otto Wernicke, Max Schreck – 81 min – Utopische Vision: Ein transatlantischer Tunnel soll Europa mit Amerika verbinden. Doch das gigantische Unternehmen wird durch unerwartete Schwierigkeiten und Intrigen gefährdet. Kurt Bernhardt war schon aus Deutschland emigriert, als er noch einmal zurückkehrte, um für eine französische Firma in München die deutsche Version von LE TUNNEL zu drehen. Während der Dreharbeiten wurde er wegen regimekritischer Äußerungen denunziert und konnte sich der Verhaftung durch die Gestapo durch Flucht entziehen. Er gelangte über Frankreich und England 1940 nach Hollywood, wo er als Curtis Bernhardt für verschiedene Major Studios Spielfilme drehte. ▶ Freitag, 8. Februar 2013, 18.30 Uhr Filmemigration ▶ Samstag, 2. Februar 2013, 18.30 Uhr 75 Filmemigration FÄHRMANN MARIA – Deutschland 1936 – R: Frank Wysbar – B: Hans-Jürgen Nierentz, Frank Wysbar – K: Franz Weihmayr – M: Herbert Windt – D: Sybille Schmitz, Ariberg Mog, Peter Voss, Carl de Vogt, Karl Platen – 83 min – »Dank großer atmosphärischer Stimmigkeit, dramaturgischer Präzision und einer starken lyrischen Note gehört dieser Legendenfilm zu den besten deutschen Arbeiten im Genre des phantastischen Films. Hohen Anteil daran hat auch die unbedingte Glaubwürdigkeit, welche die faszinierende Sybille Schmitz den metaphysischen Zügen der Titelfigur zu verleihen vermag.« (Thomas Kramer) Frank Wysbar, der eine jüdische Ehefrau hatte, wurde 1938 mit einem Arbeitsverbot belegt und emigrierte über Rotterdam in die USA, wo er als Frank Wisbar B-Pictures und Fernsehfilme drehte. 1956 setzte er seine Karriere als Regisseur in der Bundesrepublik fort. 76 Reisepass erhalten hatte. Nach Filmarbeiten in der Schweiz und den Niederlanden ging er 1940 nach Hollywood und machte als Douglas Sirk mit seinen Melodramen Karriere. ▶ Samstag, 9. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶ Samstag, 16. Februar 2013, 18.30 Uhr LAND DER LIEBE – Deutschland 1937 – R: Reinhold Schünzel – B: Reinhold Schünzel, Eva Leidmann, Curt Goetz, nach dem Stück »Die Hofloge« von Karl Farkas – K: Werner Bohne – M: Alois Melichar – D: Albert Matterstock, Gusti Huber, Valerie von Martens, Wilhelm Bendow, Oskar Sima, Erik Ode – 91 min – Eine musikalische Komödie um einen heiratswilligen König und eine Prinzessin, die sich in einen vermeintlichen Attentäter verliebt. Curt Goetz schrieb die Dialoge. Die »Anarcho-Farce« (Hans-Christoph Blumenberg) war für Joseph Goebbels »eine typische Judenmache. Ganz unausstehlich.« Reinhold Schünzel, der als populärer Komödien-Regisseur mit Sondergenehmigung im »Dritten Reich« weiterarbeiten durfte, konnte im Mai 1937 über Wien, Budapest und Karlsbad nach Hollywood flüchten. Dort war er nicht mehr erfolgreich, zumal ihm der Ruf als Kollaborateur des NS-Regimes vorauseilte und er von früher geflohenen Emigranten boykottiert wurde. FILMEMIGRATION AUS NAZI-DEUTSCHLAND – BRD 1975 – R+B: Günter Peter Straschek – K: Charly Böhm, Carlos Bustamante, Werner Dittmer – Mit Fritz Lang, John Brahm, Lotte H. Eisner, Anatole Litvak, Rudi Fehr, Camilla Spira, Lucie Mannheim, Harold Nebenzal, Jan Lustig, Heinrich Fraenkel, George Froeschel, Bronislau Kaper, Harry Sokal, Gerd Oswald, Paul Falkenberg, Fritz Kortner, Bertolt Brecht, Gottfried Reinhardt, Dolly Haas, Frederick Kohner, Hans Feld – 290 min – Es kommt eine Vielzahl bekannter und weniger bekannter Persönlichkeiten zu Wort, die durch die Bedrohung des Naziregimes ins Exil getrieben wurden. Man erfährt, was es tatsächlich bedeutet hat, die Heimat zu verlassen, von vorne zu beginnen, und in manchen Fällen nach dem Krieg wieder zurückzukehren. Dies wurde nie genauer, unmittelbarer und im politischen Zusammenhang gesehen und erzählt als in den Episoden dieser Dokumentation, an deren Erstellung Günter Peter Straschek viele Jahre gearbeitet hat. Filmexilforschung als konkrete Zeugenschaft, als Gedenken, als ebenso spannende wie aufklärerische Geschichtsanalyse. Fünf Teile: »Wer klug war, ging schnell raus«, »Wir waren aufgescheucht und vogelfrei«, »Aus Europa draußen und in einer gewissen Sicherheit«, »Unter Palmen und blauem Himmel« und »Man wusste ja nie, wem man die Hand geben konnte«. ▶ Freitag, 15. Februar 2013, 18.30 Uhr LA HABANERA – Deutschland 1937 – R: Detlef Sierck – B: Gerhard Menzel – K: Franz Weihmayr – M: Lothar Brühne – D: Zarah Leander, Ferdinand Marian, Karl Martell, Julia Serda, Paul Bildt – 98 min – Eines der großen Melodramen mit Zarah Leander. Als junge Schwedin, die sich in der Karibik in den falschen Mann verliebt und nur eine kurze Zeit des Glücks erlebt, etablierte sie ihren Status als exotischer Ufa-Star und Sängerin: »Der Wind hat mir ein Lied erzählt.« Detlef Sierck, der mit einer jüdischen Frau verheiratet war, verließ Deutschland unmittelbar nach der Fertigstellung des Films, für dessen Dreharbeiten auf Teneriffa er einen ▶ Sonntag, 3. Februar 2013, 17.00 Uhr Das Kino des Denis Villeneuve Denis Villeneuve zum anderen die Salzwüste durchquert hat. Schon dieser verstörende Debütfilm stellt unmissverständlich klar, dass Villeneuves Filme für das Kino gemacht sind. Villeneuve ist, wie Ingmar Bergman, ein großer Frauenregisseur, der ihren ausdrucksstarken Gesichtern und ihren Gefühlswelten Raum lässt und sie außerdem häufig in direkte Beziehung zur Landschaft setzt. Es sind Heldinnen, deren Niedergang wie in der klassischen Tragödie beginnt, nachdem sie einen Fehler begangen haben. Doch ihr Leiden, ihre Suche nach dem Sinn des Lebens, stärken die Frauen, anstatt sie am Ende zu zerstören. MAELSTRÖM (2000) ist in jeder Hinsicht ein Wasserfilm, der von Fischen bevölkert wird – und der sogar von einem Fisch erzählt wird. Die schöne, verletzliche Bibiana (Marie-Josée Croze) wirkt selbst wie ein Fisch, der durch das Schicksal an Land gespült wird: Der prestigeträchtige Job wird ihr gekündigt, zudem kommt durch einen von ihr verursachten Unfall ein norwegischer Fischer zu Tode. Bibiana begeht Fahrerflucht. Oberflächlich befreiend wirken die Dusche, der Regen, die Wassertropfen auf ihrer Haut. Auch den Freitod wählt Bibiana im Wasser. Aber sie entkommt, gekrümmt, zuckend und sucht über Umwege den Kontakt zum Sohn des Fischers, einem Froschmann, der als Rettungstaucher arbeitet. Dabei kontrastiert Villeneuve die Mythen Norwegens, die Musik, das raue Wasser des Atlantiks mit der mondänen Welt der Straßen und Boutiquen Montreals, schafft irritierende Bilder, spielt leichte französische Chansons zu einer Trauerszene, offenbart einen skurrilen Humor, so wie die sprechenden Fische, die vom Leben erzählen wollen, aber stets vorher getötet werden. 77 Denis Villeneuve Denis Villeneuves Welt besteht aus Paradoxien und ständigen Überraschungen: ein Fisch, der spricht, ein 32. August, ein harmlos wirkender Frauenhasser, der gnadenlos Studentinnen niedermäht, ein namenloses Land, in dem die ungeheuerlichsten Dinge passieren. Die Heldinnen seiner Filme, kluge, intuitiv agierende Frauen, bleiben sich auf wundersame Weise selbst treu und wachsen an ihrem Dilemma. Dazu kommt eine unkonventionelle Erzählweise, durchkomponierte Bilder seines Kameramanns André Turpin, der immer wieder mit seinem Gespür für Farbe und Gestaltung verblüfft. Die Filme erhalten so eine existenzialistische Tiefe, wie sie nur selten im Kino zu sehen ist. Der frankokanadische Autorenfilmer Denis Villeneuve (geb. 1967) war lange Zeit eher in Cineastenkreisen ein Begriff. Erst 2009 brachte sein berührendes Drama INCENDIES – DIE FRAU, DIE SINGT den internationalen Durchbruch. Mit nur vier Spielfilmen ist Villeneuve ein langsamer Filmemacher, der sich viel Zeit für seine Projekte nimmt. Die aber haben es in sich. Würde man seinen vier Filmen die vier Elementen zuordnen, so wäre EIN 32. AUGUST AUF ERDEN (1998), Villeneuves erster langer Spielfilm, eindeutig »Luft«: die ätherische Protagonistin Simone (Pascale Bussière), die keinen Boden unter den Füßen zu haben scheint, bevor sie in einen schweren Autounfall verwickelt wird und dem Tode nahekommt, die flirrende Hitze in der Salzwüste von Utah, in der sie mit ihrem besten Freund Philippe ein Kind zeugen will, die unausgesprochenen Gefühle von Philippe, der seine Liebe für Simone erst auf der Rückseite des US-Einreiseformulars gestehen kann. Die langen Einstellungen muss man aushalten können. Es dauert, bis ein Auto von einem Bildrand Denis Villeneuve Feuer: POLYTECHNIQUE (2009) basiert auf Aussagen von Überlebenden eines Anschlags in der polytechnischen Hochschule 1989 in Montreal, als ein frauenhassender Student, der für seine Überzeugung förmlich brennt, seine Kommilitoninnen erschießt. »Die Feministinnen haben mein Leben ruiniert«, sagt der Täter. Valérie (Karine Vanasse) steht als einzige Überlebende im Mittelpunkt des Geschehens. Villeneuve drehte diesen Film in Schwarzweiß und CinemaScope, erzählt nichtlinear, was zunächst irritiert und distanziert. Täter und Opfer sprechen einen Off-Kommentar, die Dialoge sind reduziert, die Musik ist suggestiv, die Kamera manchmal verkantet, sie gleitet registrierend durch die Gänge der Schule. Das Blut, das den toten Körpern entströmt, ist nicht rot, sondern schwarz wie Öl. Die Schüsse sind im Originalton zu hören, während die restliche Umgebung im Ton ausgeblendet wird. Villeneuve schließt stilistisch jede Sentimentalität aus und erreicht dadurch nur noch mehr Tiefe und Betroffenheit. »Er ist tot. Ich lebe. Er ist frei. Ich bin es nicht.«, konstatiert die schwangere Valérie am Ende des Films. In INCENDIES – DIE FRAU, DIE SINGT (2010) begibt sich ein Geschwisterpaar auf die Suche nach seinen Wurzeln. Das Familiengeheimnis liegt in einem namenlosen Land im Nahen Osten verborgen, doch nur die Frau (die Schwester, die Tochter) will die Wahrheit herausfinden. Je mehr Hass ihr auf der Reise entgegenschlägt, desto geerdeter scheint sie zu werden – worin sie ihrer kämpferischen Mutter ähnelt. In der verworrenen, politisch und religiös vergifteten Situation fällt es der Tochter schwer, einen moralischen Standpunkt zu beziehen. Es scheint, als ob sie ihre Kraft aus dem Bösen um sie herum zieht und sich und die Welt nicht verloren geben will. INCENDIES ist ein erdenschwerer Film, der zwischen zwei Welten und zwei Generationen POLYTECHNIQUE 78 spielt und der erste Film, für dessen Erzählung Villeneuve mehr als 90 Minuten benötigt. Denis Villeneuve gelingt das seltene Kunststück, einer chaotischen und komplexen Welt komische oder absurde Momente abzugewinnen und seine Filme distanziert, aber immer mit Mitgefühl und ohne Sentimentalität zu inszenieren. Starke Geschichten, visuell experimentierfreudig erzählt, getragen von Schauspielerinnen, die wahre Entdeckungen sind: Denis Villeneuve zählt zu den inspirierendsten Autorenfilmern der Gegenwart. Claudia Engelhardt REW-FFWD – Kanada 1994 – R+B: Denis Villeneuve – K: Pierre Landry, Martin Leclerc – 31 min, OmeU – Ein junger Fotograf erlebt in Kingston, Jamaica, einen Kulturschock. – LE TECHNETIUM – Kanada 1996 – R+B: Denis Villeneuve – K: André Turpin – M: Sylvain Bellemare – D: Carl Alacchi, David La Haye, Audrey Benoit, Simone Chevalot, Stephan Cloutier – 17 min, OmeU – Ein Filmregisseur auf Koffeintrip wird in der HightechFernsehsendung »Le Technétium« interviewt. – 120 SECONDS TO GET ELECTED – Kanada 2006 – R+B+K: Denis Villeneuve – D: Alexis Martin – 2 min, OF – Ein Politiker versucht, seine Wähler von sich zu überzeugen – NEXT FLOOR – Kanada 2008 – R: Denis Villeneuve – B: Jacques Davidts – K: Nicolas Bolduc – M: Warren Slim Williams – D: Simone Chevalot, LucMartial Dagenais, Kenneth Fernandez, Mathieu Handfield, Ariel Ifergan – 11 min, OF – Während eines opulenten und luxuriösen Banketts kommt es unter zwölf Gästen zu einem makaber ritualisierten Gemetzel. – UN 32 AOUT SUR TERRE (EIN 32. AUGUST AUF ERDEN) – Kanada 1998 – R+B: Denis Villeneuve – K: André Turpin – M: Pierre Desrochers – D: Pascale INCENDIES ▶ Donnerstag, 10. Januar 2013, 19.00 Uhr MAELSTRöM – Kanada 2000 – R+B: Denis Villeneuve – K: André Turpin – M: Pierre Desrochers – D: MarieJosée Croze, Jean-Nicolas Verreault, Stephanie Morgenstern, Pierre Lebeau, Bobby Beshro – 88 min, OmU – Das Leben der an Luxus gewöhnten Bibiane kann über eine große emotionale Leere nicht hinwegtäuschen. Als sie ungewollt schwanger wird und auch ihre berufliche Existenz gefährdet ist, verliert sie jeden Halt, verschuldet einen tödlichen Verkehrsunfall und wird von der Erinnerung daran immer wieder eingeholt. Bibianes Geschichte wird nicht linear erzählt, sondern von einem Fisch, der sein Ende auf dem Hackklotz erwartet. Als ihn dies ereilt, nimmt ein anderer Fisch die Erzählung auf, beginnt aber an anderer Stelle und aus einer anderen Perspektive. ▶ Freitag, 11. Januar 2013, 21.00 Uhr POLYTECHNIQUE – Kanada 2009 – R: Denis Villeneuve – B: Jacques Davidts, Eric Leca, Denis Ville- neuve – K: Pierre Gill – M: Benoît Charest – D: Maxim Gaudette, Sébastien Huberdeau, Karine Vanasse, Martin Vatier, Evelyne Brochu – 77 min, engl. OF – Am 6. Dezember 1989 tötete ein Amokläufer insgesamt 14 Frauen an der Ecole Polytechnique in Montreal. Denis Villeneuve reflektiert die Tragödie aus den unterschiedlichen Blickwinkeln der Studenten Jean-François und Valérie. Die wahre Begebenheit wird durch das Schwarzweiß, die wechselnden Perspektiven und den Off-Kommentar verfremdet und wirkt so beklemmender und realistischer als jeder linear erzählte Augenzeugenbericht. ▶ Samstag, 12. Januar 2013, 21.00 Uhr INCENDIES (DIE FRAU, DIE SINGT) – Kanada 2010 – R+B: Denis Villeneuve, nach dem Bühnenstrück von Wajdi Mouabad – K: André Turpin – M: Grégoire Hetzel – D: Lubna Azabal, Mélissa Désormeaux-Poulin, Maxim Gaudette, Rémy Girard, Abdelghafour Elaaziz – 131 min, OmU – Die Geschichte zweier Frauen, deren Wege sich über den Tod hinaus verschränken. »Man muss schon sehr an die Menschen glauben, um zu begreifen, wie die nicht endende Kette von Gewalttätigkeit plötzlich dann doch reißt. Nicht durch Verstehen, nicht durch Bekenntnis, sondern durch Verzeihen. Ob wir das glauben? Vielleicht nicht. Aber Villeneuve glaubt es, und das reicht, um uns zu bewegen – und wenigstens die Möglichkeit in Betracht zu ziehen.« (Verena Lueken) ▶ Sonntag, 13. Januar 2013, 21.00 Uhr Denis Villeneuve Bussières, Alexis Martin, Richard S. Hamilton, Serge Thériault, Emmanuel Bilodeau – 88 min, OmU – »Denis Villeneuves Spielfilmdebüt ist zugleich existentialistische Komödie und surreales Road Movie. Als Paar, das sich die wechselseitige Zuneigung nicht eingestehen will, drohen Simone und Philippe in einer Welt mit kosmischen Flughafenhotels, plötzlichen Leichenfunden – und einem scheinbar nicht enden wollenden August – verloren zu gehen.« (David Kleingers) 79 Henri-Georges Clouzot Henri-Georges Clouzot und Romy Schneider bei den Dreharbeiten zu L’ENFER Kino der Angst: Henri-Georges Clouzot 80 Menschen in der Zerreißprobe – physisch, moralisch, charakterlich. Sie müssen höllisch schwitzen, angstvoll zittern, innerlich und äußerlich zerbrechen, das heißt sich offenbaren: in ihren hochfahrenden Ambitionen und dem Scheitern, in ihren niederen Beweggründen, den Obsessionen, auch in ihrer unantastbaren Schönheit. Sie müssen labyrinthische Räume durchirren, zumeist Anstaltsräume (Kliniken, Internate, Theater), oder Wüsten durchqueren – lebensbedrohliche Sphären. Sie führen, innerlich und äußerlich, explosives Material mit sich, transportieren zum Beispiel Nitroglyzerin auf zwei Lastwagen. Die nette Bombe in der Aktentasche genügt Clouzot nicht, er braucht die Steigerung ins Exzessive und Exzentrische. Wenn die Sonne scheint, dann brennt sie herab und brütet Angstschweiß aus; wenn es regnet – und es regnet oft in Clouzot-Filmen – dann gleich in Strömen, sodass schon mal die Kleidung an der Haut klebt. Kaum ein anderer hat das Kino der Angst derart scharf und exzessiv ausgeprägt wie HenriGeorges Clouzot (1907–1977). Existentialismus in Form des Thrillers. Dem Zeitgeist immer eine Nasenlänge voraus. Hitchcock wies seine Drehbuchautoren an, Clouzots Filme in ihrem Spannungsraffinement genau zu studieren, vor allem die beiden, die zu phänomenalen Publikumserfolgen wur- den: LE SALAIRE DE LA PEUR (1953) und LES DIABOLIQUES (1955). Schon die erste Einstellung seines ersten Spielfilms, L’ASSASSIN HABITE AU 21 (1942), nimmt den Zuschauer direkt hinein in den Thrill: Aus der Perspektive des Mörders erlebt man die nächtliche, bedrohliche Schatten werfende Verfolgungsjagd des Opfers. Clouzots Bilder, geformt mit detailversessener Präzision, prägen sich der Netzhaut wie dem Unterbewusstsein tief ein: der gespenstische Leichnam in der Badewanne (Paul Meurisse in LES DIABOLIQUES), der wie ein Zombie aus dem Schlamm auftauchende LkwFahrer (Charles Vanel in LE SALAIRE DE LA PEUR). Kino der radikalen Desillusionierung. Gut und Böse werden niemals hübsch sortiert. Dem Zynismus der Machthaber entspricht die Skrupellosigkeit der Habenichtse. So entsteht ein eigenwilliges, spektakulär imaginiertes Universum. André Bazin, Frankreichs Starkritiker der 1950er Jahre, über Clouzot: »Von all den französischen Filmemachern, die seit 1940 hervorgetreten sind, ist Clouzot zweifellos derjenige, dem das Kinematographische – man verzeihe mir den Ausdruck – am tiefsten in den Eingeweiden sitzt. Andere können, was die filmische Schöpfung angeht, mehr Intelligenz besitzen, wie René Clément, oder über ein eindringlicheres und anspruchsvolleres Stilempfinden verfügen, wie Robert Die relative Schmalheit von Clouzots Œuvre, 16 Langfilme in 38 Arbeitsjahren, ist vor allem seiner fragilen Gesundheit geschuldet, die ihn mehrmals zu Kuraufenthalten und dem Abbruch von Filmprojekten zwang. Clouzot begann als Drehbuchschreiber und Assistent, pendelte in den 1930er Jahren zwischen Paris und Berlin, wo er die Herstellung französischer Spielfilmfassungen betreute. Wie Hitchcock faszinierte ihn das deutsche expressionistische Kino, er assistierte bei Dupont und Litvak, kaprizierte sich bei seinen ersten eigenen Regiearbeiten auf raffiniert gedrechselte whodunits. Sein zweiter Spielfilm, LE CORBEAU, gilt bis heute als »umstritten«, weil er 1942 für die von den deutschen Besatzern installierte Filmfirma Continental produziert wurde. Diesem Film gelang das Kunststück, zwischen alle politischen Fronten zu geraten, er wurde nach 1945 als »unfranzösisch« klassifiziert, verboten, und bescherte Clouzot sogar ein lebenslanges Arbeitsverbot, das erst dann auf zwei Jahre reduziert wurde, als sich französische Intellektuelle und Filmemacher für ihn einsetzten: Jean-Paul Sartre, Simone de Beauvoir, René Clair, Marcel Carné, Jacques Becker. Jahrzehnte später verfasste François Truffaut eine erstaunliche Eloge auf das umstrittene Werk: »1943 gab es dann LE CORBEAU von Clouzot, der mich noch mehr begeisterte als Carnés LE VISITEURS DU SOIR. Ich muss ihn von seinem Start im Mai 1943 bis zur Befreiung, als er verboten wurde, etwa sechs oder sieben Mal gesehen haben. Als er dann wieder freigegeben wurde, habe ich ihn jedes Jahr mehrmals wiedergesehen, bis ich den Dialog auswendig konnte – es war ein sehr erwachsener Dialog, verglichen mit dem anderer Filme, voller bedeutungsschwerer Sätze, deren Sinn sich mir erst nach und nach erschloss. Die Handlung des Films drehte sich ausschließlich um eine Epidemie von anonymen Briefen, in denen Abtreibungen, Ehebrüche und alle möglichen anderen Verfehlungen denunziert wurden – so lieferte der Film eine ziemlich genaue Illustration dessen, was ich in diesen Kriegs- und Nachkriegsjahren um mich herum sah, als Kollaboration, Denunziation und Zynismus, ›Organisieren‹ und Schwarzmarkt den Ton angaben«. Einige Filme Clouzots erwiesen sich zu ihrer Zeit als Flops, zeigen auch Schwächen in der Konstruktion, offenbaren aber einen thematischen und artikulatorischen Reichtum, den die standardisierte Clouzot-Sicht der Filmgeschichtslexika meist unterschlägt. Da ist seine einzige Komödie, MIQUETTE ET SA MERE (1950): ungemein temporeich und mit den scharfzüngigsten Dialogen; oder LES ESPIONS, wo ein kleines Sanatorium zum Schauplatz eines kafkaesken Spionagekarus- Henri-Georges Clouzot Bresson – Clouzot aber schreibt sich in die Linie der großen Filmemacher ein, die aus ihrem Temperament schöpfen. Er gehört also zu jenen Regisseuren, die einen direkten, beinahe physischen Sinn für die Wirksamkeit des kinematographischen Bildes haben – und dazu den gleichsam aus dem Bauch hervorgehenden Willen, auf der Leinwand ein autonomes, originelles Universum zu erschaffen.« Andere Kritiker begegneten Clouzots Mischung aus exzessivem Genrekino und rabiater Existenzphilosophie mit tiefem Misstrauen, nannten ihn einen »Manipulateur und misogynen Nihilisten« (Gunter Groll). Ist sein Universum wirklich abgrundtief nihilistisch? Ist sein Blick auf die condition humaine geradezu verächtlich? Gewiss tummeln sich in seiner Welt zahllose korrupte und opportunistische Charaktere, Menschen, die rücksichtslos auf ihren Vorteil bedacht sind und dafür alles verraten: Freunde, Geliebte, Ideale. Aber dieser Pessimismus ist nur die halbe Wahrheit. Das Quartett der Lkw-Fahrer in LE SALAIRE DE LA PEUR enthält zwei durchweg sympathische Figuren: den Italiener, dessen naive Einfalt niemals ins Lächerliche gezogen wird, und den Deutschen, der gekonnt die Zündschnur mit dem Fingernagel aufdröselt und genau darauf achtet, dass er nur sich selbst in Gefahr bringt. Die Tugenden des naiven Kumpels und des verlässlichen Profis sind in Clouzots Männer-Universum höchste, unantastbare Werte. Selbst die beiden Franzosen, verkörpert von Charles Vanel und Yves Montand: der MöchtegernDandy und der feige Maulheld, werden durch die Hölle der Demaskierung gejagt, um am Ende doch unsere Sympathie zu gewinnen. Clouzots Filme haben oft Eingangssequenzen, in denen charakterliche Zwielichtigkeit mit einer atemberaubenden Direktheit ausgestellt wird. Fast schockierend wirkt das für uns Heutige, die wir an Gutmensch- oder Betroffenheitsdramaturgien gewöhnt sind. Bisweilen erinnert es an den Röntgenblick, mit dem Stendhal seine Emporkömmlinge, Ehebrecher und Machtsadisten schilderte. Nach dem Intro dann der Parcours der Zerreißproben, der Demaskierungen, und schließlich diese merkwürdige Dialektik, die – nicht immer, aber oft – den seelisch Entblößten Anteilnahme und Sympathie zuwachsen lässt. Es gibt auch immer wieder die eine – wie eingeschmuggelt erscheinende – Frauenfigur, die einfach nur schön und geheimnisvoll ist. Sie bleibt von Demaskierungsstrategien verschont. Träumerische Frauen (die Kellnerin in LE SALAIRE DE LA PEUR, die blonde Fotografin in QUAI DES ORFEVRES, 1947, die verrückte Patientin in LES ESPIONS, 1957), die gern in Zigarettenrauch eingehüllt werden. 81 Henri-Georges Clouzot LE MYSTERE PICASSO sells wird; LA VERITE (1960) versucht den Zeitgeist der frühen 1960er Jahre zu erhaschen und schickt Brigitte Bardot ins Milieu der Pariser Bohème; bei LA PRISONNIERE (1968) wendet Clouzot seine Obsessionen (Fetischismus, Sadomasochismus) bisweilen ins Banale, doch auch hier gelingen ihm faszinierende Passagen, wenn er die Wahrnehmungsweise der Op-Art filmisch zu erforschen versucht. 82 L’ASSASSIN HABITE AU 21 (DER MöRDER WOHNT IN NR. 21) – Frankreich 1942 – R: Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Stanislas-André Steeman, nach dem Roman von Stanislas-André Steeman – K: Armand Thirard – M: Maurice Yvain – D: Pierre Fresnay, Suzy Delair, Jean Tissier, Pierre Larquey, Noël Roquevert, Louis Florencie – 84 min, OmeU – Der Mörder hinterlässt seine Visitenkarte an den Tatorten. Sein Markenzeichen. Die Spur führt in eine Pension, in der eine Galerie bizarrer, exzentrischer Figuren logiert. Dort sortiert Pierre Fresnay als gewitzter Kommissar die Verdächtigen. Clouzots Regiedebüt, das die klassische Whodunit-Erzählform souverän variiert und ihr seinen unverwechselbaren persönlichen Stempel aufprägt: scharfer Blick für das realistische Detail, satirische Figurenzeichnung, raffinierte Konstruktion von Krimispannung. ▶ Freitag, 18. Januar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag, 22. Januar 2013, 18.30 Uhr Clouzot der Pionier: nicht nur bei seinen Suspense-Exzessen, sogar im Genre der Künstler-Dokumentation. In LE MYSTERE PICASSO (1956) holt er den exemplarischen Künstler des 20. Jahrhunderts ins Studio, setzt ihn vor eine durchscheinende Leinwand und protokolliert – auch das ein Suspense-Szenario – den schöpferischen Prozess. Es gibt Filmemacher, die jede Geste, jedes Bilddetail perfektionistisch formen wollen und den Zufall als Katastrophe betrachten: Fritz Lang, Michelangelo Antonioni, Clouzot. Den Gegensatz dazu markieren Regisseure wie Roberto Rossellini oder Jean Renoir, die improvisatorisch arbeiten und den Zufall als Geschenk in die Szene integrieren. Ein Gegensatz, der sich motivisch fortsetzt. Für Renoir ist die Umarmung das zentrale Motiv, für Clouzot das Ausgeschlossensein. Kein Zufall, dass bei ihm die Eifersucht zum größten Gefühlsdrama wird. Eifersucht: die Tragödie des ausgeschlossenen Dritten, der darunter leidet, dass sich die Wirklichkeit (die Frau) seinem Zugriff immerfort entziehen mag. Schon bei QUAI DES ORFEVRES drehte sich alles um Eifersucht, bei L’ENFER (1964) wollte Clouzot das Thema mit Romy Schneider ganz groß auffächern. Er erkrankte, das Projekt entglitt seiner Kontrolle und musste abgebrochen werden. So erzählt auch sein Œuvre von dem, was seine Filme meisterlich in Szene setzen: das Drama der scheiternden Ambition, und die Hoffnung, dass selbst das Scheitern noch als ein Gelingen gelesen werden kann. Rainer Gansera LE CORBEAU (DER RABE) – Frankreich 1943 – R: Henri-Georges Clouzot – B: Louis Chavance, Henri-Georges Clouzot – K: Nicolas Hayer – M: Tony Aubin – D: Pierre Fresnay, Ginette Leclerc, Héléna Manson, Pierre Larquey, Noël Roquevert, Micheline Francey – 92 min, OmeU – Clouzots legendär »umstrittener« Film, der nach dem Krieg als »antifranzösische Propaganda« eingestuft wurde und beinahe seine Karriere ruiniert hätte. Heute hat sich weitgehend die Sicht durchgesetzt, dass der Film die Atmosphäre der Kollaboration und Denunziation im Frankreich der Vichy-Ära »ziemlich genau illustriert« (Truffaut). In einem Provinzstädtchen tauchen anonyme Briefe auf, die vorgeben, dunkle Geheimnisse der Einwohner (Ehebruch, Abtreibung, Korruption) zu enthüllen und eine giftige Atmosphäre vom Misstrauen und Hass erzeugen. Pierre Fresnay spielt einen ehebrecherischen Arzt, der sich auf die detektivische Suche nach dem hinterhältigen Briefeschreiben begibt. ▶ Samstag, 19. Januar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch, 23. Januar 2013, 18.30 Uhr QUAI DES ORFEVRES (UNTER FALSCHEM VERDACHT) – Frankreich 1947 – R: Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry, nach dem Roman »Légitime Défense« von Stanislas-André Steeman – K: Armand Thirard – M: Francis López – D: Louis Jouvet, Simone Renant, Bernard Blier, Suzy Delair, Pierre Larquey, Claudine Dupuis – 106 min, OmU – »Du bist nur neidisch auf die Reichen, weil du nicht weißt, wie man Geld macht!« Die karrieresüchtige Chansonsängerin Jenny L’Amour (Suzy Delair, Clouzots ▶ Sonntag, 20. Januar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Dienstag, 29. Januar 2013, 18.30 Uhr LE RETOUR DE JEAN (RÜCKKEHR INS LEBEN) – Frankreich 1949 – R: Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry – K: Louis Page – M: Paul Misraki – D: Louis Jouvet, Monette Dinay, Jeanne Pérez, Noël Roquevert, Maurice Schutz – 28 min, OmeU – Der Überlebende eines Konzentrationslagers findet einen verwundeten Nazi-Verbrecher in seinem Hotel und will alles über dessen Beweggründe herausfinden. – MANON – Frankreich 1949 – R: Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry, nach dem Roman »L’Histoire du Chevalier des Grieux et de Manon Lescaut« von Abbé Prévost – K: Armand Thirard – M: Paul Misraki – D: Cécile Aubry, Serge Reggiani, Michel Auclair, Raymond Souplex, Héléna Manson – 100 min, OmeU – Juni 1944 in der Normandie: Der Résistance-Kämpfer Robert verfällt der Lebedame Manon, der enge Beziehungen zu den Nazis nachgesagt werden. Als sich die Lynchstimmung gegen Manon verdichtet, fliehen die Liebenden. Clouzot zeichnet ein düsteres, gewalttätiges Bild vom Frankreich der Nachkriegszeit mit seiner Schattenwirtschaft und der Verdrängung jeder Schuld. ▶ Freitag, 1. Februar 2013, 21.00 Uhr MIQUETTE ET SA MERE (MIQUETTE UND IHRE MUTTER) – Frankreich 1950 – R: Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Jean Ferry, nach dem Theaterstück von Gaston Armand de Caillavet und Robert de Flers – K: Armand Thirard – M: Albert Lasry – D: Louis Jouvet, Danièle Delorme, Mireille Perrey, Bourvil, Saturnin Fabre, Pauline Carton – 95 min, OmeU – Clouzots einzige Komödie, auch sein einziger Film, der nicht in der Gegenwart spielt. Angesiedelt in der belle époque entrollt sich eine vorsätzlich überdrehte, theatralisch aufgequirlte romantische Komödie, in der eine junge Provinzlerin unbedingt zur Bühnendiva werden will. Gelegenheit für Bourvil und Jouvet, mächtig auf die komödiantische Pauke zu hauen. »Ein Unterhaltungsstück, das vom Rest von Clouzots Werk aber weniger weit entfernt ist, als man ihm gern nachsagt. Es sind die sati- rischen Elemente und manche Charaktere, die mit andern Clouzot-Figuren durchaus verwandt sind.« (Jacques Chevalier) ▶ Freitag, 8. Februar 2013, 21.00 Uhr LE SALAIRE DE LA PEUR (LOHN DER ANGST) – Frankreich 1953 – R+B: Henri-Georges Clouzot, nach dem Roman von Georges Arnaud – K: Armand Thirard – M: Georges Auric – D: Yves Montand, Charles Vanel, Folco Lulli, Peter van Eyck, Véra Clouzot, Jo Dest – 148 min, OmeU – »Es gibt andere Möglichkeiten zu beweisen, dass man ein ganzer Mann ist«, so heißt es im Film spöttisch und selbstironisch. Doch für die vier in einem gottverlassenen Kaff »irgendwo in Südamerika« gestrandeten Männer gibt es nur diese Möglichkeit: zwei Lkw, beladen mit hochexplosivem Nitroglyzerin, durch unwegsames Gelände – teils Dschungel, teils wüstenhafte Steppe – unter haarsträubenden Bedingungen im Auftrag eines Ölkonzerns zu chauffieren. Ein höllischer Sisyphus-Trip, der den beiden Franzosen – zwei eitle, feige Angeber – die Möglichkeit bietet, doch noch einen Kern von Anstand und Selbstachtung zu offenbaren. Clouzots größer Publikumserfolg. ▶ Mittwoch, 30. Januar 2013, 18.30 Uhr ▶▶ Samstag, 2. Februar 2013, 21.00 Uhr LES DIABOLIQUES (DIE TEUFLISCHEN) – Frankreich 1955 – R: Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Jérôme Géronimi, René Masson, Frédéric Grendel, nach dem Roman »Celle qui n’était plus« von Pierre Boileau, Thomas Narcejac – K: Armand Thirard – M: Georges Van Parys – D: Simone Signoret, Véra Clouzot, Paul Meurisse, Charles Vanel, Michel Serrault, Noël Roquevert – 114 min, OmeU – Clouzots zweiter phänomenaler Kassenerfolg. Der Suspense-Klassiker, den Kritiker zum Anlass nahmen, Clouzot wegen seiner vermeintlich grausamen Manipulation sowohl der Figu- Henri-Georges Clouzot erste Ehefrau) beschimpft ihren biederen Ehemann, einen erfolglosen Pianisten. Sie will sich einem reichen, alten Impresario an den Hals werfen und treibt den Gatten in ein Delirium der Eifersucht. Als der Impresario ermordet aufgefunden wird, springt die Szenerie von der Music-Hall-Welt in die nüchternen Räume einer Polizeiwache, wo der altgediente Kommissar die Ermittlungen aufnimmt. 83 LES DIABOLIQUES Henri-Georges Clouzot ren wie des Zuschauers anzuklagen. Der Vorwurf übersieht, dass bei Clouzot die Thriller-Regeln neu definiert werden. Was an der Oberfläche so aussieht, als würde der Zuschauer in einen gemeinen Hinterhalt gelockt, ist im Kern die große Qualität der Erzählung, die einer bezwingenden Alptraum-Logik folgt. Paul Meurisse als sadistischer Internatsleiter, der nicht nur seine herzkranke Ehefrau demütigt, sondern auch seine Geliebte. 84 ▶ Dienstag, 5. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶▶ Samstag, 9. Februar 2013, 21.00 Uhr LE MYSTERE PICASSO (PICASSO) – Frankreich 1956 – R+B: Henri-Georges Clouzot – K: Claude Renoir – M: Georges Auric – Mit Pablo Picasso, Henri-Georges Clouzot, Claude Renoir – 78 min, OmU – Der Künstler bei der Arbeit. Clouzot überredet seinen Freund Pablo Picasso zu einem einzigartigen Experiment. Er lädt ihn ein, auf eine transparente Leinwand zu malen, sodass die Kamera die Bildgenese unmittelbar registrieren kann. So entsteht eine »filmische Symbiose mit dem Ereignis der Malerei« (André Bazin). Picassos Zauberhand entwirft, verwirft, konturiert neu, malt aus, übermalt, und seine Imagination durchquert in immer neuen Annäherungen die typischen Picasso-Motive: Minotaurus, Maler und Modell, der Clown auf der Bühne, Badende. »Schöpferische Tätigkeit bedeutet die totale Hingabe seiner selbst.« (Clouzot) ▶ Mittwoch, 6. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶▶ Sonntag, 10. Februar 2013, 21.00 Uhr LES ESPIONS (SPIONE AM WERK) – 1957 – R: HenriGeorges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Jérôme Géronimi, nach dem Roman von »Le vertige de minuit« von Egon Hostovsky – K: Christian Matras – M: Georges Auric – D: Curd Jürgens, Peter Ustinov, O.E. Hasse, Véra Clouzot, Martita Hunt, Sam Jaffe – 125 min, OmU – Kafkaesker Spionage-Thriller als bitterer, schwarzhumoriger Kommentar zum Stand der Dinge in Zeiten des Kalten Krieges. Paranoia-Studie und absurdes Theater. Schauplatz ist ein heruntergekommenes Sanatorium, dessen tölpelhafter Chefarzt ein kurioses Karussell von Intrigen und Verschwörungen in Gang setzt, als er sich bereit erklärt, einem flüchtigen Atomwissenschaftler Unterschlupf zu gewähren. Die Besetzung mit internationalen Stars brachte nicht den gewünschten Appeal. Clouzots größter Flop an der Kinokasse. ▶ Dienstag, 12. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶▶Freitag, 15. Februar 2013, 21.00 Uhr LA TERREUR DES BATIGNOLLES (ANGST IN BATIGNOLLES) – Frankreich 1931 – R: Henri-Georges Clouzot – B: Jacques de Baroncelli – D: Louis-Jacques Boucot, Germaine Aussey, Jean Wall – 15 min, OmeU – Eine expressionistische Komödie, die in der Pariser Bohème angesiedelt ist. – L’ENFER D’HENRI-GEORGES CLOUZOT (DIE HöLLE VON HENRI-GEORGES CLOUZOT) – Frankreich 2009 – R: Serge Bromberg, Ruxandra Medrea – B: Serge Bromberg – K: Irina Lubtchansky, Jérôme Krumenacker – M: Bruno Alexieu – 102 min, OmeU – 1964 wagte sich Clouzot an ein großes, ambitioniertes, mit visionären Bildersequenzen ▶ Donnerstag, 31. Januar 2013, 19.00 Uhr (Zu Gast: Serge Bromberg) ▶▶ Mittwoch, 19. Februar 2013, 18.30 Uhr LA PRISONNIERE (SEINE GEFANGENE) – Frankreich 1968 – R+B: Henri-Georges Clouzot – K: Andréas Winding – D: Laurent Terzieff, Elisabeth Wiener, Bernard Fresson, Dany Carrel, Michel Etcheverry, Claude Piéplu, Noëlle Adam – 106 min, OmU – Das sado-masochistische Verhängnis der Liebe, Clouzots große Obsession, in einer neuen, verstörenden Variante, die sich im Pariser Kunstambiente der späten 1960er Jahre abspielt, in einer Atmosphäre vermeintlicher Permissivität. Ein Dandy-Galerist frönt bizarren fetischistischen Leidenschaften und versucht, eine junge Frau in seine Welt zu locken. Könnte die Konstellation von Beherrschung und Unterwerfung nicht auch ein Spiel sein, ein lustvolles gar? Clouzot wirft die Frage auf und belässt sie in einer merkwürdigen Unentschiedenheit, schwankend zwischen voyeuristischer Aufheizung, Op-Art-Exkursionen und Eifersuchtsdrama. ▶ Sonntag, 17. Februar 2013, 21.00 Uhr ▶▶ Mittwoch, 20. Februar 2013, 18.30 Uhr Henri-Georges Clouzot ▶ Mittwoch, 13. Februar 2013, 18.30 Uhr ▶▶ Samstag, 16. Februar 2013, 21.00 Uhr ausgestattetes Eifersuchtsdrama. Schon die Vorbereitungen waren von Misshelligkeiten überschattet, uferten endlos aus. Als Clouzot eine Herzattacke erlitt, wurden die Dreharbeiten abgebrochen. Der Filmhistoriker Serge Bromberg rekonstruierte aus Clouzots Rohmaterial die tragische Geschichte des gescheiterten Projekts. 85 LA PRISONNIERE LA VERITE (DIE WAHRHEIT) – Frankreich 1960 – R: Henri-Georges Clouzot – B: Henri-Georges Clouzot, Véra Clouzot, Jérôme Géronimi, Simone Drieu, Christiane Rochefort, Michèle Perrein – K: Armand Thirard – D: Brigitte Bardot, Sami Frey, Charles Vanel, Paul Meurisse, Claude Berri – 127 min, OmeU – »Die Sezierung von Lebensweise und Amoralität der desillusionierten Jugend in den späten fünfziger Jahren, mit Bardot in ihrer besten Rolle als Mädchen, dessen überstürzte Flucht aus einem bürgerlichen Elternhaus in eine Reihe von frustrierenden Affären mit Pariser Intellektuellen und schließlich zu einer Mordanklage führt. Clouzot ist in seinen Beobachtungen der französischen Sitten so kalt und heftig wie immer.« (Geoff Andrew) WORK HARD PLAY HARD FilmWeltWirtschaft 86 DIE AUSBILDUNG FilmWeltWirtschaft Freiheit statt Vollbeschäftigung? Wenn der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht, ist die Not groß und sind die Maßnahmen oft erstaunlich. Kann sich der Mensch mit seinen Fähigkeiten in die Gesellschaft einbringen, auch wenn er keiner bezahlten Arbeit nachgeht? Die Realität der Arbeit und die Vorstellungen davon klaffen inzwischen immer weiter auseinander. Der Dokumentarfilm FREIGESTELLT (2012) von Claus Strigel geht der Frage nach, was frei sein von Erwerbsarbeit persönlich und gesellschaftlich bedeutet. Die nicht nachlassende Diskussion über ein bedingungsloses Grundeinkommen steht auch hier im Mittelpunkt des Films, reale Personen wie Goetz Werner werden befragt, animierte Gäste wie Karl Marx, Hannah Arendt und Aristoteles mischen sich in die heutige Diskussion ein. Die Arbeit bestimmt das Bewusstsein, und für den Arbeitsplatz gilt dies in besonderem Maße. In WORK HARD PLAY HARD (2011) von Carmen Losmann wird ausgefeilte moderne Architektur wie das Unilever-Gebäude in der Hamburger HafenCity vorgestellt, das Räume bietet, in denen Arbeit und Auszeit fließend ineinander übergehen. Die Mitarbeiter müssen mit dem Konzept des »mobilen Büros«, das keine persönlichen Prägungen mehr zulässt, zurechtkommen. In anderen Episoden werden Bewerbungsgespräche als stereotype Veranstaltungen gezeigt, in denen die Bewerber die Floskeln der Branche so sehr verinnerlicht haben, das sich ihre Persönlichkeit förmlich aufzulösen scheint. Die Kamera bei diesem klaren, kommentarlos beobachtenden Dokumentarfilm führte Dirk Lütter. Mit seinem Spielfilm DIE AUSBILDUNG (2011) nimmt Lütter das Ambiente der kalkulierenden Geschäftswelt wieder auf und porträtiert einen 20jährigen Auszubildenden, der an der Diskrepanz zwischen Anpassungsdruck und Freiheitswillen innerlich kaputt geht. Wie das Arbeitsleben die Menschen verändert, die Jahre und Jahrzehnte in und mit demselben Job zubringen, zeigt Alexander Riedel in seiner Doku-Fiction MORGEN DAS LEBEN (2010), der in München angesiedelt ist. Der Film porträtiert drei Menschen bei ihrem Versuch, aus der ewigen Warteschleife ihres bisherigen Lebens zu entfliehen, einen Schritt in Richtung Glück und Erfüllung weiterzugehen. Das Thema Arbeit ist auch bei dieser Frage entscheidend: ob Kündigung, Umschulung oder Totalverweigerung – Tatsache ist, man nimmt sich immer selber mit. Die achte Ausgabe von FilmWeltWirtschaft stellt sich dem Themenkomplex Arbeit. Wie gewohnt wird das Programm mit Kurzfilmen, Diskussionen und Gästen ergänzt. Claudia Engelhardt ▶ Donnerstag, 24. Januar 2013, 19.00 Uhr bis Sonntag, 27. Januar 2013, 21.00 Uhr münchen Do, 30.8. 19.00 Stummfilmtage KAFKA GEHT INS KINO (2002) / NICK WINTER ET LE VOL DE LA JOCONDE – NICK WINTER UND DER RAUB DER MONA LISA (1911) / DEN HIVDE SLAVEHANDELS SIDSTE OFFER – DIE WEISSE SKLAVIN (1911) Am Flügel: Joachim Bärenz, Filmerzähler: Norbert Alich, Einführung: Stefan Drößler 3 Fr, 31.8. 18.30 Stummfilmtage HYAKUNENGO NO ARUHI – EIN TAG IN 100 JAHREN (1933) / TOKYO NO EIYU – DER HELD VON TOKYO (1935) Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald 3 21.00 Stummfilmtage THE WEDDING MARCH – HOCHZEITSMARSCH (1928) Am Flügel: Joachim Bärenz 4 18.30 Stummfilmtage 3 BAD MEN – DREI EHRLICHE BANDITEN (1926) Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald 4 21.00 Stummfilmtage LE VOYAGE DANS LA LUNE – DIE PHANTASTISCHE REISE NACH DEM MONDE (1902) / ROTAIE – SCHIENEN (1929) Am Flügel: Joachim Bärenz 4 18.30 Stummfilmtage L’INHUMAINE – DIE UNMENSCHLICHE (1923) Am Flügel: Joachim Bärenz 4 21.00 Stummfilmtage EAST SIDE, WEST SIDE – TITANIC (1927) Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald 5 18.30 Stummfilmtage DAS WEISSE STADION (1928) Am Flügel und an der Violine: Günter A. Buchwald 5 21.00 Jean Rollin LES PAYS LOINS – DAS WEITE LAND (1965) / LE VIOL DU VAMPIRE – DIE VERGEWALTIGUNG DES VAMPIRS (1968) Einführung: Hans Schmid 8 18.30 Stummfilmtage OKTJABR – ZEHN TAGE, DIE DIE WELT ERSCHÜTTERTEN 5 (1927) 21.00 Nuri Bilge Ceylan KOZA (1995) / KASABA – DIE KLEINSTADT (1997) 19.00 Open Scene SA-MANN BRAND (1933) Einführung: Thomas Weidner So, 2.9. Mo, 3.9. Di, 4.9. Mi, 5.9. Do, 6.9. Fr, 7.9. Sa, 8.9. So, 9.9. Mo, 10.9. Keine Vorstellung 13 18.30 Ulrike Ottinger BILDNIS EINER TRINKERIN (1979) 16 21.00 Martin Scorsese WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR – WER KLOPFT DENN DA AN MEINE TÜR? (1968) 21 18.30 Ulrike Ottinger FREAK ORLANDO (1981) 16 21.00 Martin Scorsese BOXCAR BERTHA – DIE FAUST DER REBELLEN (1972) 21 18.00 Ulrike Ottinger DORIAN GRAY IM SPIEGEL DER BOULEVARDPRESSE (1984) 17 21.00 Martin Scorsese MEAN STREETS – HEXENKESSEL (1973) 21 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450 Kalenderübersicht Sa, 1.9. 87 münchen Di, 11.9. Mi, 12.9. 21.00 Jean Rollin LES AMOURS JAUNES – DIE GELBEN LEIDENSCHAFEN (1958) / LA VAMPIRE NUE – DIE NACKTE VAMPIRIN (1970) 9 18.30 Martin Scorsese MEAN STREETS – HEXENKESSEL (1973) 21 13 21.00 Nuri Bilge Ceylan MAYIS SIKINTISI – BEDRÄNGNIS IM MAI (1999) 19.00 Open Scene TO CATCH A THIEF – ÜBER DEN DÄCHERN VON NIZZA (1955) Zuvor: Buchpräsentation von Thilo Wydra Fr, 14.9. 18.30 Ulrike Ottinger PRATER (2007) 21.00 Martin Scorsese WHAT’S A NICE GIRL LIKE YOU DOING IN A PLACE LIKE THIS? (1963) / IT’S NOT JUST YOU, MURRAY! (1964) / THE BIG SHAVE (1967) / ITALIANAMERICAN (1974) / AMERICAN BOY (1978) 22 18.30 Ulrike Ottinger DIE KOREANISCHE HOCHZEITSTRUHE (2009) 21.00 Martin Scorsese ALICE DOESN’T LIVE HERE ANYMORE – ALICE LEBT HIER NICHT MEHR (1974) 22 18.30 Ulrike Ottinger UNTER SCHNEE (2011) 17 21.00 Martin Scorsese TAXI DRIVER (1976) 22 So, 16.9. Mo, 17.9. 17 17 Keine Vorstellung 18.30 Martin Scorsese ALICE DOESN’T LIVE HERE ANYMORE – ALICE LEBT HIER NICHT MEHR (1974) 22 21.00 Jean Rollin JEAN ROLLIN, LE REVEUR EGARE – DER STREUNENDE TRÄUMER (2011) Zu Gast: Yvan Pierre-Kaiser Mi, 19.9. 18.30 Martin Scorsese TAXI DRIVER (1976) 22 21.00 Nuri Bilge Ceylan UZAK – WEIT (2002) 13 Do, 20.9. 19.00 Prager Frühling KRIK – DER ERSTE SCHREI (1963) / EIN ANLASS ZUM SPRECHEN (1966) 32 Fr, 21.9. 18.30 Prager Frühling POSTAVA K PODPIRANI – JOSEF KILIAN (1963) / SBERNE SUROVOSTI – GESAMMELTE ROHHEITEN (1965) / NEZVANY HOST – DER UNGEBETENE GAST (1969) 32 21.00 Martin Scorsese NEW YORK, NEW YORK (1976) 18.30 Prager Frühling PERLICKY NA DNE – PERLEN AUF DEM MEERESGRUND (1965) 32 21.00 Martin Scorsese THE LAST WALTZ – THE BAND (1978) 22 17.30 Das Erinnern weitertragen WAS BLEIBT (2008) Zu Gast: Erna de Vries, Gesa Knolle, Birthe Templin 40 21.00 Martin Scorsese RAGING BULL – WIE EIN WILDER STIER (1980) 23 Di, 18.9. Kalenderübersicht WHO’S THAT KNOCKING AT MY DOOR – WER KLOPFT DENN DA AN MEINE TÜR? (1968) Seite 21 Do, 13.9. Sa, 15.9. 88 18.30 Martin Scorsese Sa, 22.9. So, 23.9. 9 22 Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450 münchen Mo, 24.9. Di, 25.9. Mi, 26.9. Do, 27.9. Fr, 28.9. Sa, 29.9. So, 30.9. Mo, 1.10. Keine Vorstellung 19.00 Martin Scorsese NEW YORK, NEW YORK (1976) Seite 22 18.30 Martin Scorsese RAGING BULL – WIE EIN WILDER STIER (1980) 23 21.00 Nuri Bilge Ceylan IKLIMLER – JAHRESZEITEN (2006) 14 19.00 Open Scene 18.30 Prager Frühling AZ PRIJDE KOCOUR – WENN DER KATER KOMMT (1963) 32 21.00 Martin Scorsese THE KING OF COMEDY (1983) 23 18.30 Prager Frühling O NECEM JINEM – VON ETWAS ANDEREM (1963) 33 21.00 Martin Scorsese AFTER HOURS – DIE ZEIT NACH MITTERNACHT (1985) / MIRROR, MIRROR (1985) 23 18.30 Prager Frühling NEJVETSI PRANI – MEIN INNIGSTER WUNSCH (1964) / KAZDY DEN ODVAHU – MUT FÜR DEN ALLTAG (1964) 33 21.00 Martin Scorsese ROUND MIDNIGHT – UM MITTERNACHT (1986) 24 Keine Vorstellung 18.30 Prager Frühling A PATY JEZDEC JE STRACH – DER FÜNFTE REITER IST DIE ANGST (1964) 33 21.00 Jean Rollin LE FRISSON DES VAMPIRES – DAS ERSCHAUDERN DER VAMPIRE (1971) 9 18.30 Prager Frühling OBCHOD NA KORZE – DAS GESCHÄFT IN DER HAUPTSTRASSE (1965) 33 21.00 Nuri Bilge Ceylan ÜC MAYMUN – DREI AFFEN (2008) 14 Do, 4.10. bis So, 7.10. Underdox. Festival für Dokument und Experiment 41 Mo, 8.10. 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus Di, 2.10. 18.30 Prager Frühling NIKDO SE NEBUDE SMAT – NIEMAND WIRD LACHEN (1966) 34 21.00 Jean Rollin LA ROSE DE FER – DIE EISERNE ROSE (1973) 10 Mi, 10.10. 19.00 Nuri Bilge Ceylan ONCE UPON A TIME IN ANATOLIA (2011) 14 Do, 11.10. 19.00 Rumänien CHIPURI – GESICHTER (2002) / CRULIC - DRUMUL SPRE DINCOLO – DER WEG INS JENSEITS (2011) Zu Gast: Anca Damian 43 Fr, 12.10. 18.30 Prager Frühling INTIMNI OSVETLENI – INTIME BELEUCHTUNG (1965) 34 21.00 Rumänien MEANDRE – MÄANDER (1967) Zu Gast: Dan Nutu 43 18.30 Prager Frühling OSTRE SLEDOVANE VLAKY – LIEBE NACH FAHRPLAN (1966) Kalenderübersicht Mi, 3.10. 34 89 21.00 Rumänien 100 DE LEI – DER 100 LEI-SCHEIN (1974) Zu Gast: Dan Nutu 43 Di, 9.10. Sa, 13.10. Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450 münchen So, 14.10. Mo, 15.10. Di, 16.10. Mi, 17.10. Do, 18.10. Fr, 19.10. Sa, 20.10. So, 21.10. Mo, 22.10. Di, 23.10. Mi, 24.10. 18.30 Prager Frühling RUKA – DIE HAND (1965) / O SLAVNOSTI A HOSTECH – VOM FEST UND DEN GÄSTEN (1966) Seite 34 21.00 Martin Scorsese BAD (1987) / THE COLOR OF MONEY – DIE FARBE DES GELDES (1986) 24 Keine Vorstellung 18.30 Martin Scorsese THE KING OF COMEDY (1983) 23 21.00 Jean Rollin LES DEMONIAQUES – DIE DÄMONISCHEN (1974) 10 18.30 Martin Scorsese AFTER HOURS – DIE ZEIT NACH MITTERNACHT (1985) / MIRROR, MIRROR (1985) 23 21.00 Rumänien BUNA! CE FACI? – HALLO! WIE GEHT’S? (2011) 44 35 19.00 Open Scene 18.30 Prager Frühling SEDMIKRASKY – TAUSENDSCHÖNCHEN (1967) 21.00 Martin Scorsese THE LAST TEMPTATION OF CHRIST – DIE LETZTE VERSUCHUNG CHRISTI (1988) 24 18.30 Prager Frühling KONEC SRPNA V HOTELU OZON – ENDE AUGUST IM HOTEL OZON (1967) Zu Gast: Jan Schmidt 35 21.00 Rumänien PESCUIT SPORTIV – SPORTANGELN (2007) 44 17.30 Film und Psychoanalyse ANNIE HALL – DER STADTNEUROTIKER (1977) Einführung: Matthias Baumgart 46 21.00 Rumänien DIN DRAGOSTE CU CELE MAI BUNE INTENTII – AUS LIEBE MIT DEN BESTEN ABSICHTEN (2011) 44 Keine Vorstellung 18.30 Prager Frühling HORI, MA PANENKO – DER FEUERWEHRBALL (1967) 35 21.00 Jean Rollin LEVRES DE SANG – BLUTIGE LIPPEN (1975) 10 18.30 Prager Frühling HOTEL PRO CIZINCE – HOTEL FÜR FREMDE (1968) 36 21.00 Rumänien VISUL LUI ADALBERT – ADALBERTS TRAUM (2011) 45 19.00 Open Scene Fr, 26.10. 18.30 Prager Frühling ZERT – DER SCHERZ (1968) 36 21.00 Rumänien DUPA DEALURI – JENSEITS DER HÜGEL (2012) 45 18.30 Prager Frühling SPALOVAC MRTVOL – DER LEICHENVERBRENNER (1968) 36 Zu Gast: Juraj Herz 21.00 Rumänien ALEXANDRA (2008) / TOATA LUMEA DIN FAMILIA NOASTRA – ALLE IN UNSERER FAMILIE (2012) 45 17.30 Das Erinnern weitertragen 2 ODER 3 DINGE, DIE ICH VON IHM WEISS (2005) Zu Gast: Malte Ludin 21.00 Rumänien FILM PENTRU PRIETENI – EIN FILM FÜR FREUNDE (2011) 45 Kalenderübersicht Do, 25.10. Sa, 27.10. 90 So, 28.10. 40 Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450 münchen Keine Vorstellung 18.30 Olympia 1936 JUGEND DER WELT (1936) / DER OLYMPIA-FILM ENTSTEHT (1937) Einführungsvortrag: Robert Jaquier & Adrian Wood 50 21.00 Jean Rollin FASCINATION – FASZINATION (1979) Mi, 31.10. 19.00 Olympia 1936 OLYMPIA. DER FILM VON DEN XI. OLYMPISCHEN SPIELEN BERLIN 1936 (1938) Einführung: Stefan Drößler 50 Do, 1.11. 19.00 Open Scene Fr, 2.11. 15.00 Rosa von Praunheim Möpse und Menschen Zu Gast: Rosa von Praunheim 53 18.30 Rosa von Praunheim Schauspieler und Dichter 53 21.00 Rosa von Praunheim Schwul-lesbische Welten 53 15.00 Rosa von Praunheim Berliner Luft 54 18.30 Rosa von Praunheim Gesang, Tanz, Kunst 54 21.00 Rosa von Praunheim Docu vs. Fiction 54 15.00 Rosa von Praunheim Leben, Lieben, Sterben 54 18.30 Rosa von Praunheim Film-Künstler 54 21.00 Rosa von Praunheim Schwules Leben 54 Di, 30.10. Sa, 3.11. So, 4.11. Mo, 5.11. 10 Keine Vorstellung Di, 6.11. 19.00 Martin Scorsese A PERSONAL JOURNEY WITH MARTIN SCORSESE THROUGH AMERICAN MOVIES (1995) 26 Mi, 7.11. 19.00 Martin Scorsese GOODFELLAS (1990) Zu Gast: Michael Ballhaus 24 Do, 8.11. 19.00 Open Scene Fr, 9.11. Sa, 10.11. So, 11.11. 18.30 Prager Frühling FARARUV KONEC – DAS ENDE EINES PRIESTERS (1968) 36 21.00 Martin Scorsese NEW YORK STORIES (1989) 18.30 Prager Frühling SPRIZNENI VOLBOU – WAHLVERWANDTSCHAFTEN (1968) Zu Gast: Karel Vachek & Michal Bregant 37 21.00 Martin Scorsese GOODFELLAS (1990) 18.30 Prager Frühling VTACKOVIA, SIROTY A BLAZNI – VÖGEL, WAISEN UND 37 NARREN (1969) 21.00 Martin Scorsese DREAMS – AKIRA KUROSAWAS TRÄUME (1990) 24 24 25 Mo, 12.11. bis Sa, 17.11. Internationales Festival der Filmhochschulen So, 18.11. 17.30 Film und Psychoanalyse A FISH CALLED WANDA – EIN FISCH NAMENS WANDA (1988) Einführung: Heidi Spanl, Katharina Leube-Sonnleitner 47 21.00 Martin Scorsese THE KEY TO RESERVA – DER SCHLÜSSEL ZU RESERVA (2007) / CAPE FEAR – KAP DER ANGST (1991) 25 Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450 Kalenderübersicht Mo, 29.10. 91 münchen Mo, 19.11. Di, 20.11. 19.00 Martin Scorsese IL MIO VIAGGIO IN ITALIA – MEINE ITALIENISCHE REISE (2001) Seite 27 Mi, 21.11. 18.30 Martin Scorsese LOLA MONTEZ (1955) Zu Gast: Michael Ballhaus 21.00 Martin Scorsese THE AGE OF INNOCENCE – ZEIT DER UNSCHULD (1993) Zu Gast: Michael Ballhaus 26 19.00 Open Scene Fr, 23.11. 18.30 Prager Frühling JAN 69 – JAN PALACH (1969) / SMUTECNI SLAVNOST – WUT UND TRAUER (1969) 37 21.00 Martin Scorsese THE AGE OF INNOCENCE – ZEIT DER UNSCHULD (1993) 26 So, 25.11. Mo, 26.11. 18.30 Prager Frühling BYT – DIE WOHNUNG (1968) / UCHO – DAS OHR (1969) 37 21.00 Martin Scorsese CASINO (1995) 26 17.30 Das Erinnern weitertragen DAS WIRST DU NIE VERSTEHEN (2003) Zu Gast: Anja Salomonowitz 40 21.00 Martin Scorsese KUNDUN (1997) 26 Keine Vorstellung Di, 27.11. 19.00 Martin Scorsese CASINO (1995) 26 Mi, 28.11. 19.00 Martin Scorsese GANGS OF NEW YORK (2002) 27 Do, 29.11. 19.00 Neapel NAPOLI PIAZZA MUNICIPIO (2008) / PASSIONE (2010) Einführung: Ambra Sorrentino Becker 56 Fr, 30.11. Sa, 1.12. So, 2.12. Kalenderübersicht 25 Do, 22.11. Sa, 24.11. 92 Keine Vorstellung Mo, 3.12. Di, 4.12. Mi, 5.12. 18.30 Neapel INTO PARADISO (2010) 56 21.00 Martin Scorsese BRINGING OUT THE DEAD (1999) 27 18.30 Neapel LA SFIDA – DIE HERAUSFORDERUNG (1958) 56 21.00 Martin Scorsese GANGS OF NEW YORK (2002) 27 18.30 Neapel GORBACIOF – GORBATSCHOW (2010) 56 21.00 Martin Scorsese THE NEIGHBORHOOD (2001) / FEEL LIKE GOING HOME (2003) 27 18.30 Prager Frühling SKRIVANCI NA NITI – LERCHEN AM FADEN (1969) Zu Gast: Jiří Menzel 38 21.00 Neapel LA KRYPTONITE NELLA BORSA – KRYPTONIT IN DER TASCHE (2011) 57 18.30 Martin Scorsese BRINGING OUT THE DEAD (1999) 27 21.00 Neapel COSI PARLO BELLAVISTA – ALSO SPRACH BELLAVISTA (1984) 57 Keine Vorstellung Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450 münchen Do, 6.12. 19.00 Open Scene Zuschauerkino Fr, 7.12. 18.30 Prager Frühling ZAHRADA – DER GARTEN (1968) / DEN SEDMY – OSMA NOC – DER SIEBTE TAG, DIE ACHTE NACHT (1969) 38 21.00 Martin Scorsese THE AVIATOR (2004) 18.30 Prager Frühling ZMATEK – DIE KONFUSION (1968) / ZABITA NEDELE – EIN TOTGESCHLAGENER SONNTAG (1969) 38 21.00 Martin Scorsese THE DEPARTED – UNTER FEINDEN (2006) 28 19.00 Martin Scorsese NO DIRECTION HOME: BOB DYLAN (2005) 28 Sa, 8.12. So, 9.12. Seite 58 28 Mo, 10.12. 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus Di, 11.12. 19.00 Prager Frühling MARKETA LAZAROVA (1967) Zu Gast: Magda Vašáryová 38 Mi, 12.12. 19.00 Martin Scorsese THE DEPARTED – UNTER FEINDEN (2006) 28 Do, 13.12. 19.00 Sonja Ziemann DIE PRIVATSEKRETÄRIN (1953) Zu Gast: Sonja Ziemann. Einführung: Werner Sudendorf 60 Fr, 14.12. Sa, 15.12. So, 16.12. Mo, 17.12. DER ACHTE WOCHENTAG (1958) 61 SHINE A LIGHT (2008) 28 18.30 Sonja Ziemann MENSCHEN IM HOTEL (1959) 61 21.00 Martin Scorsese SHUTTER ISLAND (2010) 29 18.30 Sonja Ziemann THE SECRET WAYS – GEHEIME WEGE (1961) 61 21.00 Martin Scorsese PUBLIC SPEAKING (2010) 29 18.30 Martin Scorsese SHUTTER ISLAND (2010) 29 21.00 Jean-Marie Straub SCHAKALE UND ARABER (2011) / MACHORKA-MUFF (1963) / NICHT VERSÖHNT (1965) 64 29 Keine Vorstellung 18.30 Martin Scorsese HUGO 3D – HUGO CABRET (2011) 21.00 Jean-Marie Straub CHRONIK DER ANNA MAGDALENA BACH (1968) / DER BRÄUTIGAM, DIE KOMÖDIANTIN UND DER ZUHÄLTER 65 (1968) Do, 20.12. 19.00 Martin Scorsese A LETTER TO ELIA – EIN BRIEF AN ELIA (2010) / AMERICA, AMERICA – DIE UNBEZWINGBAREN (1963) 29 Fr, 21.12. 18.30 Sonja Ziemann DER TRAUM VON LIESCHEN MÜLLER (1961) 61 21.00 Martin Scorsese HUGO 3D – HUGO CABRET (2011) 29 Kalenderübersicht Di, 18.12. 18.30 Sonja Ziemann 21.00 Martin Scorsese 19.00 Martin Scorsese GEORGE HARRISON: LIVING IN THE MATERIAL WORLD 29 (2011) 93 Mi, 19.12. Sa, 22.12. So, 23.12.2012 bis Sa, 5.1.2013 Weihnachtspause Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450 münchen So, 6.1. Mo, 7.1. 21.00 Jean-Marie Straub DANIELE HUILLET & JEAN-MARIE STRAUB, CINEASTES – OU GIT VOTRE SOURIRE ENFOUI? – WO LIEGT EUER LÄCHELN BEGRABEN? (2001) / 6 BAGATELAS (2001) 65 Keine Vorstellung MÄDCHEN IN UNIFORM (1931) 21.00 Jean-Marie Straub OTHON (1969) / TOUTE REVOLUTION EST UN COUP DE DES – JEDE REVOLUTION IST EIN WÜRFELWURF (1977) 65 18.30 Filmemigration MADAME HAT AUSGANG (1931) 21.00 Jean-Marie Straub CORNEILLE – BRECHT (2009) / GESCHICHTSUNTERRICHT (1972) 66 Do, 10.1. 19.00 Denis Villeneuve REW-FFWD (1994) / LE TECHNETIUM (1996) / 120 SECONDS TO GET ELECTED (2006) / NEXT FLOOR (2008) / UN 32 AOUT SUR TERRE – EIN 32. AUGUST AUF ERDEN (1998) 78 Fr, 11.1. 18.30 Filmemigration KUHLE WAMPE ODER WEM GEHÖRT DIE WELT? (1932) 73 21.00 Denis Villeneuve MAELSTRÖM (2000) 79 18.30 Filmemigration DER TRÄUMENDE MUND (1932) 73 21.00 Denis Villeneuve POLYTECHNIQUE (2009) 79 17.30 Film und Psychoanalyse GROUNDHOG DAY – … UND TÄGLICH GRÜSST DAS MURMELTIER (1993) Einführung: Mathias Lohmer, Eva Friedrich 47 21.00 Denis Villeneuve INCENDIES – DIE FRAU, DIE SINGT (2010) 19.00 MFZ Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus Mi, 9.1. Sa, 12.1. So, 13.1. Mo, 14.1. Di, 15.1. Kalenderübersicht LA MADRE – DIE MUTTER (2012) / SCHAKALE UND ARABER (2011) / O SOMMA LUCE – O HÖCHSTES LICHT (2010) / SICILIA ! (1999) Seite 65 18.30 Filmemigration Di, 8.1. 94 18.30 Jean-Marie Straub Mi, 16.1. 72 72 79 18.30 Filmemigration DER BRAVE SÜNDER (1931) 21.00 Jean-Marie Straub EINLEITUNG ZU ARNOLD SCHOENBERGS BEGLEITMUSIK ZU EINER LICHTSPIELSCENE (1973) / MOSES UND ARON (1975) 66 18.30 Filmemigration ICH UND DIE KAISERIN (1933) 21.00 Jean-Marie Straub FORTINI/CANI – DIE HUNDE VOM SINAI (1976) / ITINÉRAIRE DE JEAN BRICARD – WEG VON JEAN BRICARD (2008) 66 Do, 17.1. 19.00 Open Scene Fr, 18.1. 18.30 Filmemigration LIEBELEI (1933) 74 74 74 21.00 Henri-Georges Clouzot L’ASSASSIN HABITE AU 21 – DER MÖRDER WOHNT IN 82 NR. 21 (1942) Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450 münchen Sa, 19.1. So, 20.1. BRENNENDES GEHEIMNIS (1933) Seite 74 21.00 Henri-Georges Clouzot LE CORBEAU – DER RABE (1943) 82 18.30 Filmemigration 17.30 Das Erinnern weitertragen GERDAS SCHWEIGEN (2008) Zu Gast: Knut Elstermann 40 21.00 Henri-Georges Clouzot QUAI DES ORFEVRES – UNTER FALSCHEM VERDACHT (1947) 82 Mo, 21.1. Di, 22.1. Keine Vorstellung 18.30 Henri-Georges Clouzot L’ASSASSIN HABITE AU 21 – DER MÖRDER WOHNT IN NR. 21 (1942) 82 21.00 Jean-Marie Straub Mi, 23.1. 18.30 Henri-Georges Clouzot LE CORBEAU – DER RABE (1943) 21.00 Jean-Marie Straub Do, 24.1. bis So, 27.1. Mo, 28.1. Di, 29.1. 82 ZU FRÜH, ZU SPÄT (1982) 67 FilmWeltWirtschaft 86 Keine Vorstellung 18.30 Henri-Georges Clouzot QUAI DES ORFEVRES – UNTER FALSCHEM VERDACHT (1947) 82 21.00 Jean-Marie Straub Mi, 30.1. DALLA NUBE ALLA RESISTENZA – VON DER WOLKE ZUM WIDERSTAND (1979) 67 DER TOD DES EMPEDOKLES (1987) 67 18.30 Henri-Georges Clouzot LE SALAIRE DE LA PEUR – LOHN DER ANGST (1953) 83 SCHWARZE SÜNDE (1989) / PROPOSTA IN QUATTRO PARTI – VORSCHLAG IN VIER TEILEN (1985) 67 21.00 Jean-Marie Straub Do, 31.1. 19.00 Henri-Georges Clouzot LA TERREUR DES BATIGNOLLES – DER TERROR VON BATIGNOLLES (1931) / L’ENFER D’HENRI-GEORGES CLOUZOT (2009) Zu Gast: Serge Bromberg 85 Fr, 1.2. 18.30 Filmemigration DAS TESTAMENT DES DR. MABUSE (1933) 75 21.00 Henri-Georges Clouzot LE RETOUR DE JEAN – RÜCKKEHR INS LEBEN (1949) / MANON (1949) 83 So, 3.2. Mo, 4.2. Di, 5.2. 18.30 Filmemigration 75 21.00 Henri-Georges Clouzot LE SALAIRE DE LA PEUR – LOHN DER ANGST (1953) 83 FILMEMIGRATION AUS NAZI-DEUTSCHLAND (1975) 76 17.00 Filmemigration Keine Vorstellung 18.30 Henri-Georges Clouzot LES DIABOLIQUES – DIE TEUFLISCHEN (1955) 21.00 Jean-Marie Straub Mi, 6.2. EIN LIED GEHT UM DIE WELT (1933) KLASSENVERHÄLTNISSE (1984) 18.30 Henri-Georges Clouzot LE MYSTERE PICASSO – PICASSO (1956) 21.00 Jean-Marie Straub 83 67 84 PAUL CEZANNE IM GESPRÄCH MIT JOACHIM GASQUET (1989) / UNE VISITE AU LOUVRE (2004) 67 Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450 Kalenderübersicht Sa, 2.2. 95 münchen Do, 7.2. 19.00 Open Scene Fr, 8.2. 18.30 Filmemigration DER TUNNEL (1933) Seite 75 21.00 Henri-Georges Clouzot MIQUETTE ET SA MERE – MIQUETTE UND IHRE MUTTER (1950) 83 Sa, 9.2. 18.30 Filmemigration FÄHRMANN MARIA (1936) 21.00 Henri-Georges Clouzot LES DIABOLIQUES – DIE TEUFLISCHEN (1955) So, 10.2. 17.30 Das Erinnern weitertragen WINTERKINDER (2005) Zu Gast: Jens Schanze 21.00 Henri-Georges Clouzot LE MYSTERE PICASSO – PICASSO (1956) Mo, 11.2. 19.00 MFZ Di, 12.2. 18.30 Henri-Georges Clouzot LES ESPIONS – SPIONE AM WERK (1957) 21.00 Jean-Marie Straub Mi, 13.2. Do, 14.2. 19.00 Open Scene Fr, 15.2. 18.30 Filmemigration ANTIGONE (1991) 18.30 Filmemigration LAND DER LIEBE (1937) LA HABANERA (1937) 21.00 Henri-Georges Clouzot LA VERITE – DIE WAHRHEIT (1960) So, 17.2. 17.30 Film und Psychoanalyse LES VACANCES DE M. HULOT – DIE FERIEN DES MONSIEUR HULOT (1953) Einführung: Corinna Wernz, Andreas Hamburger 21.00 Henri-Georges Clouzot LA PRISONNIERE – SEINE GEFANGENE (1968) Mo, 18.2. Kalenderübersicht Di, 19.2. 96 Do, 21.2. 68 85 76 84 76 85 47 85 Keine Vorstellung 18.30 Henri-Georges Clouzot LA TERREUR DES BATIGNOLLES – DER TERROR VON BATIGNOLLES (1931) / L’ENFER D’HENRI-GEORGES CLOUZOT – DIE HÖLLE VON HENRI-GEORGES CLOUZOT (2009) 85 21.00 Jean-Marie Straub Mi, 20.2. 84 VON HEUTE AUF MORGEN (1997) / EN RACHACHANT (1982) / LOTHRINGEN ! (1994) / UN HERITIER (2011) 68 21.00 Henri-Georges Clouzot LES ESPIONS – SPIONE AM WERK (1957) Sa, 16.2. 40 84 Mitgliederversammlung im Ignaz-Günther-Haus 18.30 Henri-Georges Clouzot LA VERITE – DIE WAHRHEIT (1960) 21.00 Jean-Marie Straub 76 83 OPERAI, CONTADINI – ARBEITER, BAUERN (2001) 18.30 Henri-Georges Clouzot LA PRISONNIERE – SEINE GEFANGENE (1968) 68 85 21.00 Jean-Marie Straub IL RITORNO DEL FIGLIO PRODIGO – UMILIATI (2003) / EUROPA 2005, 27 OCTOBRE (2006) / JOACHIM GATTI (2009) 19.00 Jean-Marie Straub QUEI LORO INCONTRI (2006) / IL GINOCCHIO DI ARTEMIDE (2008) / LE STREGHE. FEMMES ENTRE ELLES (2009) / L’INCONSOLABILE (2011) / LA MADRE (2012) 69 68 Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München · Tel. 089/233 96450 Für Unterstützung und Kooperation bei der Realisierung unseres Programms danken wir: Stummfilm · Bonner Kinemathek (Franziska Kremser, Bernhard Gugsch, Sigrid Limprecht) · Centre National de la Cinématographie, Bois d’Arcy (Eric Le Roy) · Cinémathèque Française, Paris (Emilie Cauquy) · Fondazione Cineteca Italiana, Milano (Luisa Comencini) · Det Danske Filminstitutet, Kopenhagen (Thomas Christensen) · International Olympic Committee, Lausanne (Robert Jaquier) · Library of Congress, Washington (Rob Stone) · Museum of Modern Art, New York (Anne Morra, Mary Keene) · National Film Center / National Museum of Modern Art, Tokyo (Akira Tochigi) · ZDF/ARTE, Maiz (Nina Goslar) · Hanns Zischler, Berlin Nuri Bilge Ceylan · Sanartfilm, Nürnberg (Sinem Ilterli) · Zeyno Film, Istanbul (Sezgi Üstün) Martin Scorsese · Bonner Kinemathek (Bernhard Gugsch, Sigrid Limprecht) · Cinémathèque de la ville de Luxembourg (Claude Bertemes, Marc Scheffen) · Filmarchiv Austria, Wien (Nikolaus Wostry) · Filmwelt Verleihagentur, München (Christian Friedel) · Harvard Film Archive, Manchester (Haden Guest) · Österreichisches Filmmuseum, Wien (Regina Schlagnitweit, Alexander Horwath) · Sikelia Productions, New York (Kent Jones, Ashley Peter) · Svenska Filminstitutet, Stockholm (Jon Wengström) · UCLA Film and Television Archive, Los Angeles (Todd Wiener) · Warner Bros, Hamburg (Richard Flynn) · WDR / 3sat (Reinhard Wulf) · ZDF/ARTE, Mainz (Nina Goslar) · Mark McElhatten, New York · Michael Ballhaus, Berlin Prager Frühling · Národní filmový archiv, Prag (Michal Bregant, Karel Zima) · Slovenský filmový ústav, Bratislava (Viera Ďuriková) · Tschechisches Zentrum, München (Zuzana Jürgens, Anett Browarzik) · Haro Senft, München Das Erinnern weitertragen · KZ-Gedenkstätte Dachau (Waltraud Burger) · Max-Mannheimer-Studienzentrum Dachau (Felizitas Raith) Rumänien · Centrul National al Cinematografiei, Bukarest (Alina Salcudeanu) · Generalkonsulat von Rumänien, München (Michael Fernbach) · Gesellschaft zur Förderung der Rumänischen Kultur und Tradition, München (Brigitte Drodtloff) · Kulturreferat der LH München (Christoph Schwarz, Christina Eder) · Rumänisches Kulturinstitut »Titu Maiorescu«, Berlin (Cristina Hoffman, Andreea Dinca) · TAROM, München · Anca Damian, Bukarest · Radu Jude, Bukarest · Irene Rudolf, Berlin Film und Psychoanalyse · Akademie für Psychoanalyse und Psychotherapie, München (Matthias Baumgart, Eva Friedrich, Andreas Hamburger, Katharina Leube-Sonnleitner, Mathias Lohmer, Irmgard Nagel, Vivian Pramataroff-Hamburger, Heidi Spanl, Corinna Wernz) Olympia 1936 · International Olympic Committee, Lausanne (Robert Jaquier) · Adrian Wood, London Rosa von Praunheim · Klaus Kalchschmid, München · Rosa von Praunheim, Berlin Neapel und der Film · Circolo Cento Fiori, München (Ilaria Furno Weise, Pierangela Hoffmann de Maron, Ambra Sorrentino Becker) · Filmstadt München (Ursula Wessler) Sonja Ziemann · CCC-Film, Berlin (Marleen Dyett) · Deutsche Kinemathek, Berlin (Anke Hahn, Werner Sudendorf) · FriedrichWilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden (Gudrun Weiss) Jean-Marie Straub · Cineteca di Bologna (Anna Fiaccarini, Rinaldo Censi) · RAI Tre, Rom (Enrico Ghezzi, Roberto Turigliatto) · Johannes Beringer, Berlin · Pedro Costa, Lissabon · Helmut Färber, München · Fritz Göttler, München · Peter Kammerer, Urbino · Peter Nau, Berlin · Jean-Marie Straub, Paris · Barbara Ulrich, Paris Filmemigration · Deutsche Kinemathek, Berlin (Anke Hahn, Dirk Förstner) · Deutsches Filminstitut, Frankfurt (Brigitte Capitain) · Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung, Wiesbaden (Gudrun Weiss) Denis Villeneuve · Bundesverband kommunale Filmarbeit, Frankfurt (Sabine Schöbel) · La Cinémathèque québécoise, Montréal (Marie-Pierre Lessard) · Metropolis Hamburg (Rita Baukrowitz) Henri-Georges Clouzot · Bureau du Cinéma, Berlin (Anne Vassevière) · Cinémathèque Française, Paris (Monique Faulhaber) · Cultures France, Paris · Insititut Français de Munich (Pascal Filiu-Derleth) · Les Films du Jeudi, Paris (Laurence Braunberger) · Lobster Films, Paris (Serge Bromberg) · Museum of Modern Art, New York (Josh Siegel) FilmWeltWirtschaft · Filmhaus Nürnberg (Christiane Schleindl) · Initiative Grundeinkommen München · Münchner Initiative CSR (Jobst Münderlein) Fotos · Cinémathèque Suisse, Lausanne (Thomas Bissegger) · Deutsche Kinemathek, Berlin (Wolfgang Theis, Werner Sudendorf) · Filmmuseum München (Oleksandr Osherov, Gerhard Ullmann) · Fondazione Cineteca Italiana, Milano (Luisa Comencini) · Narodní Filmovy Archiv, Prag (Karel Zima) · International Olympic Committee, Lausanne (Robert Jaquier) · Maschafilm (Jens Schanze) · Rosa von Praunheim Filmproduktion, Berlin Das Kino der Stadt Filmmuseum im Münchner Stadtmuseum · St.-Jakobs-Platz 1 · 80331 München Tel 089/233 96450 · Fax 089/233 23931 · http://www.filmmuseum-muenchen.de