Der Westsaharakonflikt - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
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Der Westsaharakonflikt - Bundesamt für Migration und Flüchtlinge
Information Der Westsaharakonflikt Juni 2014 Urheberrechtsklausel Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrecht zugelassen ist, insbesondere eine Vervielfältigung, Bearbeitung, Übersetzung, Mikroverfilmung und/oder eine Einspeicherung und Verarbei tung, auch auszugsweise, in elektronischen Systemen ist nur mit Quellenangabe und vorhe riger Genehmigung des Bundesamtes gestattet. Die Inhalte dürfen ohne gesonderte Einwilligung lediglich für den privaten, nicht kommer ziellen Gebrauch sowie ausschließlich amtsinternen Gebrauch abgerufen, heruntergeladen, gespeichert und ausgedruckt werden, wenn alle urheberrechtlichen und anderen geschütz ten Hinweise ohne Änderung beachtet werden. Copyright statement This report/information is subject to copyright rules/all rights reserved. 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Die Prüfung des Antrags auf Schutzgewährung muss durch den für die Fallbearbeitung zuständigen Mitarbeiter erfolgen. Die Veröffentlichung stellt keine politische Stellungnahme des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge dar. Diese Ausarbeitung ist öffentlich. Disclaimer The information was written according to the „EASO COI Report Methodology“ (2012), the „Common EU guidelines for processing factual COI“ (2012) and the quality standards of the Federal Office for Migration and Refugees (Bundesamt) (2013). It was composed on the ba sis of carefully selected and reliable information. Information from so-called fact-finding missions in countries of origin is provided in accordance with EU directives for (common) fact-finding missions (2010). All information provided has been researched, evaluated and analyzed with utmost care within a limited time frame. All sources used are referenced and cited according to scientific standards. This document does not pretend to be exhaustive. If a certain event, person or organization is not mentioned, this does not mean that the event has not taken place or that the person or organization does not exist. This document is not conclusive as to the merit of any parti cular claim to international protection or asylum. Terminology used should not be regarded as indication of a particular legal position. The examination of an application for internati onal protection has to be carried out by the responsible case worker. The information (and views) set out in this document does/do not necessarily reflect the official opinion of the Bundesamt and makes/make no political statement whatsoever. This document is public. Abstract Die Westsahara liegt im Nordwesten Afrikas an der Küste zum Atlantischen Ozean. Die Küstengewässer sind fischreich, während sich im Landesinneren wertvolle Phosphatlagerstätten befinden. Die Bevölkerung wird auf über 500.000 Personen geschätzt, wovon viele aus Marokko eingewandert sind. Ein Großteil der Sahrauis, der autochthonen Bevölkerung der Westsahara, lebt in Flüchtlingslagern in Tindouf (Algerien). Im Bereich der Menschenrechte stellt die Beschränkung der bürgerlichen Freiheiten und politischen Rechte der Verfechter der Unabhängigkeit ein Problem dar. Von 1884 bis 1975 war das Gebiet eine spanische Kolonie, auch wenn Spanien erst in den letzten Jahrzehnten Kontrolle über die Sahrauistämme im Landesinneren ausgeübt hat. Als Spanien zustimmte seine Kolonialmacht abzutreten, forderten Marokko und Mauretanien ein Gutachten beim Internationalen Gerichtshof an. Dieses legten beide Länder so aus, dass ihre historischen Ansprüche auf das Gebiet bestätigt wurden, woraufhin Marokko und Mauretanien die Westsahara besetzten. Die Polisario, die Befreiungsbewegung der Sahrauis, mit Unterstützung aus Algerien und Libyen, startete Angriffe gegen Marokko und Mauretanien. Als Mauretanien sich letztendlich gezwungen sah, seinen Anteil der Westsahara abzutreten, übernahm diesen Marokko. Obwohl militärische Auseinandersetzungen weiterhin fortbestanden, war Marokko in der Lage die Beherrschung des Gebiets mit der Erbauung eines 2.000 km langen Schutzwalls zu sichern. Zwischen 1990 und 1991 verabschiedete der UN-Sicherheitsrat einen Plan, der zu einem Referendum führen sollte, bei dem zwischen der Unabhängigkeit der Westsahara und der Integration mit Marokko abgestimmt werden sollte. Doch beide Seiten hatten nicht vereinbare Vorstellungen davon, wer wahlberechtigt sein sollte. Immer, wenn ein Wählerverzeichnis von einer Seite vorgeschlagen wurde, lehnte es die andere Seite ab, sodass der UN-Plan schließlich aufgegeben wurde. Nachfolgende Bemühungen, beide Parteien dazu zu bringen, alternative Pläne zu akzeptieren, sind gescheitert. Eine marokkanische Initiative für einen regionalen Autonomiestatuts ist der letzte Stand. Abstract The Western Sahara is a territory in north-west Africa situated on the Atlantic coast line. The coastal waters are rich in fish and inland precious phosphate deposits have been found. The population is estimated at just over 500,000 of which many have come from Morocco. The majority of the Sahrawi, the autochthon population of the Western Sahara, lives in refugee camps in Tindouf (Algeria). A problem has arisen in the field of human rights which has resulted from the limitation of civil liberty and the political rights of the advocates of independence. Between 1884 and 1975 the territory was a Spanish colony even though Spain exercised control over the Sahrawi tribes only during the course of the last decades. When Spain agreed to surrender its colonial power, Morocco and Mauritania asked the International Court of Justice for an assessment of territorial rights. Both countries interpreted the resulting assessment as confirmation of their historic claims to the territory, whereupon Morocco and Mauritania occupied the Western Sahara. The Polisario, the Sahrawi Liberation Movement, supported by citizens from Algeria and Libya, started attacking Morocco and Mauritania. When Mauritania was eventually forced to give up its share of the Western Sahara, Morocco took over the territory. Although military conflicts continued, Morocco was able to control the territory by building a 2,000-km-long protective barrier, the Moroccan Wall. Between 1990 and 1991 the UN Security Council adopted a plan which was supposed to lead to a referendum where votes could be cast for either the independence of the Western Sahara or the integration with Morocco. Both parties, however, had incompatible ideas on who would be eligible to vote. Whenever an electoral register was proposed, the other party declined which eventually lead to the UN plan being abandoned. Subsequent efforts to make both parties accept alternative plans failed. The last update refers to a Moroccan initiative to arrive at a regional autonomous status. Inhalt 1. Entwicklung 9 1.1. Hintergrund des Konfliktes 1.2. Die ersten Versuche der Entkonolialisierung 9 10 1.3. Beginn des Westsaharakrieges und Grüner Marsch 12 1.4. Der Westsaharakrieg 1.4.1. Der Krieg gegen Mauretanien (1975-1979) 1.4.2. Der Krieg gegen Marokko (1979-1981) 13 14 15 1.5. Diplomatischer Kampf 1.5.1. Der Friedensplan der ONU-OUA von 1990-1991 1.5.2. Die Baker-Pläne 1.5.3. Jüngste Entwicklungen 16 17 18 19 2. Rohstoffe 2.1. 2.2. 2.3. 2.4. Phosphat Eisenherz und sonstige Mineralien Erdöl und Erdgas Fischerei 2 1 21 22 22 3. Aktuelle Lage 3.1. Flüchtlingslager 3.2. Menschenrechte 20 23 23 24 4. Ausblick Literaturverzeichnis 27 Anhang Abbildung 1. Spanisch Westafrika bis 1956 Abbildung 2. Westsahara (MINURSO-Einsatzgebiet) 30 31 25 9 1. Entwicklung Die Westsahara liegt im Nordwesten Afrikas an der Küste zum Atlantischen Ozean. Das Gebiet entspricht dem westlichen Teil der Saharawüste und umfasst 266.000 km². Im Norden grenzt es an Marokko (443 km Landesgrenze), im Nordosten an Algerien (42 km) und im Osten und im Süden an Mauretanien (1.561 km). Die Küstengewässer sind fischreich, während sich im Landesinneren wertvolle Phosphatlagerstätten befinden. Die Bevölkerung wird auf über 500.000 Personen geschätzt, wovon viele aus Marokko eingewandert sind. Ein Großteil der Sahrauis, der autochthonen Bevölkerung der Westsahara, lebt in Flüchtlingslagern in Tindouf (Algerien). 1.1. Hintergrund des Konfliktes Im 19. Jahrhundert beschränkten sich die Beziehungen zwischen Spanien und der Westsahara hauptsächlich auf den Fischfang. Als kurz vor der Jahrhundertwende die Aufteilung des afrikanischen Kontinents unter den europäischen Kolonialmächten bevor stand, musste Spanien um seine Herrschaft im Norden Marokkos und über die Kanarischen Inseln bangen, die schon damals als See- und Militärstützpunkte für die Kontrolle des Handels im Mittelmeer und an der westafrikanischen Küste von großer Bedeutung waren. Um seine Vorherrschaft zu sichern, erklärte Spanien 1884 das gesamte Gebiet von Río de Oro über Angra de Cintra bis hin zum Cabo Blanco zu spanischem Protektorat. Am 10. Juli 1885 wurde die gesamte Küste von Bojador bis Cabo Blanco dem Überseeministerium in Madrid unterstellt.1 Die Sahrauis leisteten jedoch erbitterten Widerstand. Ihr nomadischer Lebensstil und die harten Wüstenbedingungen führten dazu, dass eine effektive Kontrolle der Spanier über die Westsahara nicht möglich war. Währenddessen war Frankreich zur vorherrschenden Macht im Nordwesten Afrikas ge worden und hoffte darauf, seine Gebiete zu vergrößern. Im Jahre 1886 begannen die Verhandlungen, um die Grenzen zwischen der französischen und der spanischen Zone zu definieren. Sie wurden bis 1900 fortgesetzt, als der erste geheime französisch-spani sche Vertrag unterschrieben wurde, in dem sich Spanien und Frankreich zunächst auf die Südgrenze der Westsahara einigten, die noch ihrem heutigen Verlauf entspricht. In zwei weiteren geheimen Abkommen 1904 und 1912 verkleinerte Frankreich die spa nische Einflusszone in Südmarokko. Spanien behielt neben der Westsahara nur einen Küstenstreifen im Norden Marokkos sowie die Enklave Ifni bei Tiznit und einen schmalen Landstreifen von Tarfaya bis zum Tal des Draa. Bei all diesen Verträgen stand außer Frage, dass die Gebiete Saguia el Hamra und Río de Oro – die heutige Westsahara – außerhalb des marokkanischen Territoriums lagen und un ter spanischer Kolonialherrschaft bleiben sollten. Sie wurden auch verwaltungstechnisch anders behandelt: Während der Landstreifen entlang der marokkanischen Mittelmeerküste und der sogenannte Tarfaya-Streifen ein Protektorat (Protectorado Español de Marruecos) bildeten, erhielten Saguia el Hamra und Rió de Oro den Status einer Kolonie. Diese 1 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef: Horlemann, S. 85. 10 Entscheidung führte zu einer klaren Trennung bezüglich der rechtlichen Situation zweier Teile desselben geografischen, kulturellen und ethnischen Gebietes.2 Jedoch wurde damals das Problem, das eine Teilung des Gebiets der Sahrauis darstellte, dadurch gelindert, dass Spanien beide Zonen verwaltete. Die Situation verschärfte sich erst, als Marokko 1956 die Unabhängigkeit erlangte und der neue König Mohamed V. die Idee eines „Groß-Marokkos“ als politische Grundlage der neuen alawidischen3 Monarchie aufnahm, indem er die Forderungen von Allal el Fassi, dem großen Patriarchen des marokkanischen Nationalismus und Oberhaupt der nationalistischen Partei Istiqlal aufgriff. Der Monarch war der Meinung, dass sich die politischen Grenzen Marokkos von Tanger im Norden bis zum Senegal erstrec ken sollten. Dieses Gebiet umfasste neben Spanisch-Sahara Mauretanien, die algerische Twat-Region und Gebiete von Mali bis Timbuktu. Darin eingeschlossen waren wichtige Lagerstätten von Mineralien wie Kohle aus Kenadsa, Kohlenwasserstoffe aus In Salah, Mangan aus Yebel Guettara, Eisen aus Bechar und Tinduf, Eisen aus Zueratt (alle in Algerien unter französischer Herrschaft) und Kupfer aus Akjoujtin in Mauretanien und Phosphate aus Spanisch-Sahara.4 Spanien erkannte ebenfalls die Unabhängigkeit Marokkos an und gab das Protektorat über Nord-Marokko auf. An der Mittelmeerküste blieben nur noch die Städte Ceuta und Mellila in spanischem Besitz. Die Kolonien in Spanisch-Westafrika wollte Diktator Franco allerdings nicht aufgeben, was letztendlich zum Ifni-Krieg führte, in dem Marokko ohne vorherige Kriegserklärung in Ifni und Sahara einmarschierte. Den Krieg gewann letztend lich Spanien mit Unterstützung französischer Kräfte. Am 1. April 1958 unterzeichneten Spanien und Marokko das Abkommen von Angra de Cintra. Marokko erhielt die Region von Tarfayabis und Spanien behielt Sidi Ifni und Spanisch-Westafrika. Ab diesem Zeitpunkt ge währte die spanische Regierung dem Rest des sahrauischen Gebiets unter seiner Verwaltung den Status einer Provinz. 1.2. Die ersten Versuche der Entkolonialisierung Am 14. Dezember 1960 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 1514 (XV) zur Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an kolo niale Länder und Völker.5 Die Vereinten Nationen kodifizierten damit auf gewisse Weise das Grundprinzip des internationalen Rechts, das das Recht auf Selbstbestimmung der unterdrückten Völker unter kolonialer Herrschaft festlegte sowie das Verfahren, wie dieses Recht auszuführen sei, bis hin zum Erlangen der Unabhängigkeit, sofern diese gewünscht war. Man kann daher sagen, dass diese Resolution den juristischen Grundstein für den Unabhängigkeitsprozess in Afrika legte. In den 1960er Jahren löste sich der Großteil des afrikanischen Territoriums von der europäischen Vormundschaft, nicht so jedoch die Westsahara. Anfang der 1970er Jahre schien es, als würde die Westsahara entgegen des Wider-stands der spanischen Regierung einem ähnlichen Prozess hin zur Unabhängigkeit folgen, wie die restlichen Länder Afrikas. 1963 erschien die Westsahara auf der UN-Liste der Länder, de 2 3 4 5 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S. 2. Die Alawiden (auch: Alaouiten oder Zweite Scherifen-Dynastie) sind seit dem Jahr 1664 die herrschende Königsdynastie in Marokko. Reyner, Anthony S. (1963): Morocco’s International Boundaries. A Factual Background. In: The Journal of Modern African Studies, 1(3), S. 313-326. Resolution der Generalversammlung der Vereinten Nationen 1514 (XV), vom 14.12.1960, http://www.un.org/Depts/german/gv-early/ ar1514-xv.pdf, Abruf am 16.05.2014. 11 nen das Recht auf Selbstbestimmung immer noch verwehrt wurde. Am 16. Dezember 1965 verabschiedete die UN-Vollversammlung ihren ersten Beschluss zur Westsahara (2072), in dem Spanien aufgefordert wurde, alle notwendigen Maßnahmen zur Entkolonialisierung dieses Gebietes zu treffen. Diese Resolution wurde laut Rössel (1991) mit einer Mehrheit von 100 zu zwei Stimmen (Spanien, Portugal) angenommen, wobei die Vereinigten Staaten, Großbritannien, Frankreich und Südafrika sich enthielten. Da man sich über die Wünsche der Bewohner der Westsahara im Unklaren war, verabschiedete die Generalversammlung am 20. Dezember 1966 eine zweite Resolution (2229), die die Enklave Ifni und die Westsahara behandelte und dabei explizit zwischen den beiden Fällen unterschied. Danach sollte Spanien zum „frühst möglichen Zeitpunkt in Übereinstimmung mit den Wünschen der einheimischen Bevölkerung und in Rücksprache mit den Regierungen Mauretaniens und Marokkos sowie anderen interessierten Parteien Verfahrensweisen für die Abhaltung eines Referendums unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen festlegen, das der Bevölkerung die freie Ausübung ihres Selbstbestimmungsrechtes ermöglichen sollte“6. Wahlberechtigt war nur die autochthone Bevölkerung des Gebiets, sodass Spanien auch den geflohenen Sahrauis aus den Nachbarländern die Rückkehr in ihr Land ermöglichen sollte. Doch der spanische Diktator Franco lehnte ein Referendum ab und auch die sechs weiteren Resolutionen zur Westsahara, die die UN-Vollversammlung danach bis 1973 verabschiedete, blieben erfolgslos. Spanien entschied sich dafür, die Westsahara zu fördern und auf diese Weise die internationalen Einsprüche auszugleichen und die wachsenden Forderungen der Bevölkerung zum Schweigen zu bringen. In dieser Zeit wurde das Unternehmens Empresa Nacional Minera del Sáhara (Enminsa) mit amerikanischem und englischem Kapital gegrün det, das sich dem Abbau von Phosphat beschäftigt. In Bou Craa gibt es außergewöhnliche Phosphatvorkommen, die ab 1972 von Enminsa abgebaut wurden.7 Die mangelnde Entschlusskraft der spanischen Regierung eine friedliche Entkolonialisierung des Territoriums durchzuführen, führte dazu, dass besonders die jüngeren Sahrauis glaubten, dass ein Dialog mit der Besatzungsmacht nicht möglich sei und man folglich zum bewaffneten Kampf übergehen müsse. 1973 gründeten sahrauische Kämpfer die Volksfront zur Befreiung von Saguia el Hamra und Río de Oro (von spanisch Frente Popular para la Liberación de Saguía el Hamra y Río de Oro, kurz: Frente Polisario), die sich die algerische Revolution zum Vorbild nahm.8 Doch für den Westen, insbesondere für die USA, war die Schaffung eins schwachen sozialistischen Staates an der nordatlantischen afrikanischen Küste keine Option. Im Kontext des Kalten Krieges befürchtete man, dass die unabhängige Westsahara unter algerischen Einfluss geraten würde, der letztendlich auch Marokko, den Verbündeten der Vereinigten Staaten, erreichen könnte. Außerdem lief man im Falle der Unabhängigkeit der Westsahara Gefahr, dass die ehemalige Sowjetunion diesen Umstand ausnützen könnte, um einen Marinestützpunkt in einem sahrauischen Hafen zu errich ten.9 Die Integration der Westsahara in Marokko schien daher die beste Option, um diese Gefahr abzuwenden. Das Gründungsmanifest der Frente Polisario nannte jedoch nicht ex plizit die Unabhängigkeit als Ziel. Ahmedou Ould Souilem, eines der Gründungsmitglieder, erklärte, dass die im Namen enthaltene „liberación“ sich auf die Befreiung von der spa 6 7 8 9 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef: Horlemann, S. 156. Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S. 4. Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press, S. 115. Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S. 5. 12 nischen Kolonialbeherrschung bezog und dass es aber kein politisches Programm für die Unabhängigkeit des Gebiets bedeutete.10 1.3. Beginn des Westsaharakrieges und Grüner Marsch Bis 1974 bestand die Strategie Spaniens darin, die Entkolonialisierung der Westsahara so lange wie möglich zu verzögern. Aber die Position Spaniens war international immer schwieriger zu verteidigen. Die wachsende politische Stärke der Frente Polisario zeigte die immer größere Schwierigkeit, die Westsahara unter spanischer Hoheit zu behalten. Nach und nach setzte sich die Idee durch, dass der Moment gekommen sei, eine Lösung zu fin den, die die Erwartungen der Bevölkerung berücksichtigt. In diesem Kontext bat die UNGeneralversammlung den Internationalen Gerichtshof (IGH) um ein Gutachten, das klären sollte, ob die Westsahara im Moment der Kolonialisierung durch Spanien niemandem ge hört hatte (terra nullius) und welche rechtlichen Bindungen es zwischen diesem Gebiet und dem Königreich Marokko sowie der sog. mauretanischen Einheit gab.11 Am 16. Oktober 1975 gab der IGH sein Gutachten öffentlich bekannt. In Bezug auf die erste der beiden Fragen stellte der Gerichtshof fest, dass die Westsahara bis zur Ankunft der Europäer 1884 kei neswegs terra nullis gewesen sei, sondern dass das Gebiet von einer Bevölkerung bewohnt worden war, die zwar nomadisch lebte, aber dennoch sozial und politisch in Stämmen organisiert war und von Oberhäuptern repräsentiert wurde. In Bezug auf die zweite Frage erklärte man, dass das Material und die Informationen, die dem Gericht vorlagen, keine Beziehung von territorialer Souveränität zwischen dem Gebiet der Westsahara und dem Königreich Marokko oder der mauretanischen Einheit nachwiesen12, sondern nur die eine oder andere Beziehung zwischen den Stämmen, die als Nomaden bis nach Marokko gekom men waren sowie ein paar Rechte Mauretaniens über sahrauische Weidezonen. Damit wies der Gerichtshof die marokkanischen und mauretanischen Ansprüche auf die Westsahara zurück und empfahl die Durchführung eines Referendums, um die Frage zu klären, ob die Sahrauis die Unabhängigkeit oder die Annexion zu Marokko oder Mauretanien wollten. Marokko jedoch interpretierte die Anerkennung der Stammesbindungen der Sahrauis zu marokkanischen Sultanen in seinem eigenen Interesse. Nur ein paar Stunden nach der Veröffentlichung der Ergebnisse des IGH am 16. Oktober 1975 gab Hassan II. den Grünen Marsch13 bekannt, eine Massendemonstration durch die Westsahara, die im November statt finden und Spanien zur Übergabe der Kolonie an Marokko zwingen sollte. Am 31. Oktober 1975 überquerten marokkanische Truppen im von Spanien geräumten Nordosten des Landes die Grenze der Westsahara und drangen bis Hausa und Farsia vor.14 Von Anfang an leistete die Polisario Widerstand und es kam zu ersten Kämpfen. Während die internationalen Medien die Vorbereitung des „friedlichen Grünen Marsches“ beobach teten, begann der Krieg um die Westsahara. Ende November 1975 befanden sich zahlreiche sahrauische Städte unter marokkanischer Kontrolle, und die Gräueltaten der Invasoren 10 Pham, Peter J. (2010): Not Another Failed State. Toward a Realistic Solution in the Western Sahara. In: The Journal of the Middle East and Africa, 1 (1), S. 7. 11 Internationaler Gerichtshof (1975): Sahara Occidental. Avis consultative du 16 d’octobre 1975, http://www.icj-cij.org/docket/files/61/6195. pdf, Abruf am 19.05.2014. 12 ibid. 13 Der Marsch wurde nach der heiligen Farbe des Islam benannt. 14 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef: Horlemann, S. 176. 13 wurden bekannt: Plünderungen, Brandstiftung, Massenfestnahmen, Folterungen, Morde, Vergewaltigungen. Zehntausende Sahrauis flohen ins Landesinnere in die von der Polisario kontrollierten Zonen. Der schwere Weg dorthin und die harten Bedingungen (Hitze, Wasser- und Lebensmittelmangel, Krankheiten) kosteten viele das Leben. Schon bald waren die Lager im Landesinneren überfüllt, die hygienischen Zustände mangelhaft, Essen und Wasser mussten stark rationiert werden. In der Zwischenzeit, am 6. November 1975, begann der angekündigte Grüne Marsch. 350.000 größtenteils unbewaffnete Marokkaner, die man zuvor im ganzen Land rekrutiert hatte, zogen vom südlichen Marokko nach Spanisch-Sahara, der heutigen Westsahara. Der Marsch sollte so lange fortgeführt werden, bis Spanien sich bereit erkläre, die Westsahara an Marokko abzutreten. Der Monarch gab später selbst zu, dass es sich beim Grünen Marsch um eine „schreckliche, aber dennoch legitime Erpressung gehandelt habe“15, die durch kei nerlei Gesetz verurteilbar sei. Der UN-Sicherheitsrat, der auf Antrag Spaniens zusammen gekommen war, drängte Marokko zu einem Rückzug aus der Westsahara, verhängte aber keine konkreten Sanktionen, als seine Beschlüsse ignoriert wurden.16 Am 14. November 1975 unterschrieb Spanien, das in dem Moment mit inneren Angelegenheiten und mit Francos immer schlechterem Gesundheitszustand17 beschäftigt war, das geheime Madrider Abkommen mit Marokko und Mauretanien. Darin wurde die Westsahara geteilt, wovon der größte Teil an Marokko ging, während nur ein kleiner Streifen im Süden an Mauretanien übergeben werden sollte. Als Frist für den Rückzug Spaniens aus der Westsahara wurde der 28. Februar 1976 festgelegt. Die Gültigkeit dieses Abkommens wurde von der internatio nalen Gemeinschaft nie in Frage gestellt. Erst 1978 enthüllte die spanische Presse, welchen Preis Marokko für den Rückzug Spaniens gezahlt hat. In den geheimen Zusatzprotokollen des Abkommens wurden Spanien u.a. Fischfangrechte über einen Zeitraum von 12 Jahren vor der Küste der Westsahara sowie Anteile in Höhe von 35% an den Phosphatminen zu gestanden. Außerdem versprach Hassan II., seine Ansprüche auf die spanischen Enklaven Ceuta und Melilla so lange zurückzustellen, bis Großbritannien Gibraltar an Spanien abträ te. Auch verpflichtete sich Marokko, Spanien die Nutzung von Militärstützpunkten in der Westsahara zuzugestehen.18 1.4. Der Westsaharakrieg Noch vor dem Abzug der Spanier bombardierte die marokkanische Armee am 18., 20. und 23. Februar 1976 die ersten notdürftigen Flüchtlingslager im Osten der Westsahara mit - in ternational verbotenen - Napalm- und Phosphorbomben. Neutrale Beobachter bestätigten die Augenzeugenberichte der Sahrauis. Diese sprachen von „Gräueltaten, die Ausdruck übelster Barbarei“ seien und warnten vor einem „drohenden Völkermord“19 an den Sahrauis. Doch die Luftangriffe wurden bis Ende März 1976 fortgesetzt, bis Algerien seine Grenzen 15 Bárbulo, Tomás (2005): “Un chantaje horrible, pero lícito”, según Hasán II. In: El País vom 07.11.2005, http://elpais.com/diario/2005/11/07/ internacional/1131318009_850215.html, Abruf am 15.04.2014. 16 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, S. 47. 17 Der Diktator hatte mehrere Herzattacken erlitten und lag im Sterben. 18 Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press, S. 6. 19 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef: Horlemann, S. 182. 14 öffnete, um die sahrauischen Flüchtlinge in Tindouf aufzunehmen. Viele mussten hunderte Kilometer zu Fuß wandern, obwohl die Polisario mit allen verfügbaren Fahrzeugen versuch te, die Flüchtlinge zu schützen und außer Landes zu bringen. Auch die Flüchtlingskaravanen wurden von der marokkanischen Luftwaffe bombardiert, hunderte von Menschen kamen ums Leben. Letztendlich wurde die sahrauische Bevölkerung geteilt in diejenigen, die nach Algerien fliehen konnten und jene, die im von Marokko besetzten Gebiet blieben. Am 28. Februar 1976 riefen die Sahrauis in Bir Lehlou, einem Lager in der Wüste etwa 130 km von der algerischen Grenze entfernt, die Demokratische Arabische Republik Sahara (DARS) aus. Die DARS stellte sich als ein freier, unabhängiger, souveräner Staat dar, der von einem demokratischen Staatssystem regiert werden sollte und dessen Staatsreligion der Islam war.20 Neben Arabisch sollte auch Spanisch Amtssprache sein.21 Die DARS erklärte ih ren Beitritt zur UNO, zur Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) und zur Arabischen Liga sowie die Anerkennung der Menschenrechte. Die Frente Polisario lehnte das Madrider Abkommen ab und gab bekannt, dass sie weiterhin für die Unabhängigkeit der Westsahara kämpfen würde. Auch wenn die sahrauischen Befreiungskämpfer zu Beginn des Krieges vor allem mit der Evakuierung der Flüchtlinge beschäftigt waren, taten sie doch gleichzeitig alles in ihrer Macht stehende, um den Besatzern militärisch wie politisch Widerstand zu lei sten. Algerien, als der stärkste regionale Verbündete der Sahrauis, versorgte die Front nicht nur mit Flüchtlingseinrichtungen, sondern auch mit Waffen, militärischen Stützpunkten und Training für die Guerillaarmee.22 Innerhalb von Monaten wuchs die Armee auf mehrere tausend bewaffnete Kämpfer an und Anfang der 1980er Jahre war der bewaffnete Flügel der Frente Polisario rund 15.000 Mann stark.23 1.4.1. Der Krieg gegen Mauretanien (1975-1979) Polisarios Priorität galt der Niederschlagung Mauretaniens, dem schwächeren der beiden Gegner. Mauretanien hatte eine nur 3.000 Mann starke Armee und einige paramilitäri sche Einheiten. Außerdem war Mauretanien eines der ärmsten Länder der Welt, das von seinen Eisenerzexporten abhängig war. Die Polisario-Guerillas machten daher die rund 650 km lange Schienenverbindung von den Minen zum Hafen von Nwadhibou zu einem ihrer Hauptangriffsziele, um den Export von Eisenerz zu unterbrechen.24 Die mauretani schen Streitkräfte mussten sich aufteilen und waren nicht in der Lage, das Territorium vor Eingriffen zu verteidigen. Daher sah sich Präsident Ould Daddah gezwungen, einen mi litärischen Beistandspakt mit Marokko abzuschließen und rief später auch die Luftwaffe der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich zu Hilfe. Die Polisario griff immer wieder Züge an und nahm französische Eisenbahntechniker als Geiseln, woraufhin Frankreich zahlrei che Luftangriffe startete, bei denen auch Napalm- und Phosphorbomben eingesetzt wur den, wobei auch mehr als einhundert mauretanische Gefangene der Polisario umkamen.25 20 Die Bekanntmachung kann auf der folgenden Internetseite in französischer Sprache nachgelesen werden: http://www.arso.org/03-1f.htm, Abruf am 20.05.2014. 21 Damit ist die Westsahara das einzige Land in der arabisch-islamischen Welt, in dem offiziell Spanisch gesprochen wird. Siehe Piniés, Jaime de et al. (2014): Manifiesto por una política digna de España en el Sáhara Occidental, vom 28.04.2014, http://www.frentepolisario.com/modules.php?name=News&file=article&sid=7069, Abruf am 29.04.2014. 22 Diego Aguirre, José Ramón (1991): Guerra en el Sáhara. Madrid: Istmo, S. 262. 23 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, S. 56. 24 Der Eisenerzabbau brachte mehr als 80 Prozent der Exporteinnahmen des Landes ein, sodass eine wirkungsvolle Störung der Produktion zum wirtschaftlichen Kollaps des Kriegsgegners führen musste. 25 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef: Horlemann, S. 194. 15 Obwohl die sahrauische Befreiungsbewegung bei den französischen Bombardements schwere Verluste erlitt, wurden die Anschläge auf die Eisenbahnlinie unvermindert fort gesetzt. In Folge dessen sanken die Eisenerzexporte Mauretaniens drastisch. 1979 war Mauretanien, das kurz vor einem Staatsbankrott stand, gezwungen, seine Truppen aus der Westsahara zurückzuziehen, verhandelte ein Friedensabkommen mit der Frente Polisario und verzichtete letztendlich auf all seine territorialen Ansprüche. Obwohl der Rückzug Mauretaniens aus dem Westsaharakrieg einen großen militärischen und diplomatischen Erfolg für die Frente Polisario darstellte, waren die praktischen Folgen sehr begrenzt. Die Antwort Marokkos auf die „mauretanische Kapitulation“ und den „Verrat der Verpflichtungen aus dem Madrider Abkommen“26 ließ nicht auf sich warten und be stand aus der Besetzung der mauretanischen Zone, ohne dass die Streitkräfte der Polisario dies verhindern konnten. Marokko argumentierte, dass wenn Mauretanien auf den Teil ver zichtete, der ihm im Madrider Abkommen zugeteilt worden war, so konnte Marokko das Gebiet auf legale Weise besetzen. Am 14. August 1979 marschierte Marokko in Dakhla27 ein und ernannte die Stadt zur Hauptstadt der neuen marokkanischen Provinz Río de Oro, die das ganze Gebiet umfasste, dessen Verwaltung im Madrider Abkommen Mauretanien zuge sprochen worden war. 1.4.2.Der Krieg gegen Marokko (1979-1981) Für die Frente Polisario stellte Marokko einen schwierigeren Kontrahenten dar als die frü heren Gegner Spanien und Mauretanien. Marokko, mit anfangs 40.000 Soldaten, erhielt starke militärische Unterstützung von Frankreich und den USA.28 Hatte die Guerilla mit der Stilllegung des Eisenerzabbaus den Wirtschaftsnerv Mauretaniens getroffen, so richteten sich die Polisario-Angriffe im marokkanisch kontrollierten Teil der Westsahara entspre chend gegen die Phosphatproduktion von Bou Craa: Die Stromleitungen zur Mine wurden in der Wüste gekappt, das Förderband zerstört. Die Polisario störte auch den Fischfang vor der Küste des Landes, attackierte regelmäßig internationale Fischerboote und nahm Fischer aus Spanien, Marokko, Portugal und Südkorea gefangen, die aber nach Verhandlungen mit Algerien wieder freigelassen wurden. Nach dem sahrauischen Sieg über Mauretanien weitete die Polisario den Krieg auf marok kanische Militärtransporte, Stellungen und Ortschaften in Südmarokko aus. Anfang der 1980er Jahre erreichen die Kämpfe zwischen den sahrauischen und den marokkanischen Truppen ihren Höhepunkt. Besonders im Landesinneren hatte die Polisario taktische Vorteile.29 Sie drang immer mehr in marokkanisches Gebiet ein und brachte Marokko gro ße sowohl personelle als auch materielle Verluste ein. Hassans Truppen waren gezwungen Stützpunkte im Landesinneren aufzugeben, um die Verteidigung in wichtigeren Städten und Stützpunkten in Küstennähe zu verstärken. Anfang der 1980er kontrollierten die ma rokkanischen Besatzungstruppen zwar weiterhin die Hauptorte des Landes El Aaiun, Smara, 26 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S. 9. 27 Früherer spanischer Name: Villa Cisneros. 28 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, S. 57. 29 Boukhari, Ahmed (2004): Las dimensiones internacionales del conflicto del Sahara occidental y sus repercusiones para una alternativa marroquí. Documento de Trabajo 16/2004 del Real Instituto Elcano, vom 19.04.2004, http://www.realinstitutoelcano.org/documentos/99/DT16-2004-E.pdf, Abruf am 24.04.2004, S. 59. 16 Bojador und Dakhla, aber fünf Sechstel des Wüstenterritoriums befanden sich in der Hand der Polisario.30 Konfrontiert mit den hohen Verlusten an Menschenleben und Ausrüstung, die die Verteidigung der weit zerstreuten und freiliegenden Außenposten mit sich brachte, zog sich die marokkanische Armee zurück und konzentrierte sich darauf, die Polisario aus dem Gebiet im Nordwesten der Sakiyat al-Hamra-Region fernzuhalten, wo sich u.a. die PhosphatMinen Bou Craas befanden. Um dies zu erreichen, begann Marokko 1981 das Gebiet von den Angriffen der Frente Polisario abzuschotten, indem man mit dem Bau einer Schutzmauer, der so genannten Berme, begann. Zwischen 1980 und 1987 errichtete Marokko insgesamt sechs solcher Verteidigungsmauern. Sie bestehen aus Sand und Steinen, sind zwischen zwei und drei Metern hoch und insgesamt etwa 2.000 km lang. Entlang der Sandwälle gibt es alle fünf bis sechs Kilometer einen größeren marokkanischen Truppenstützpunkt, dazwischen kleinere Wachposten. Hinter der vorderen Mauer gibt es oft noch einen zweiten Sandwall zur Verstärkung. Vor den Mauern wurden Minen und Stacheldraht verlegt. Außerdem be sitzen die Marokkaner ein hoch entwickeltes elektronisches Überwachungsnetz, das von den USA und Frankreich bereitgestellt wurde.31 Das Schutzwallsystem teilt seither die Westsahara in zwei Gebiete: die marokkanisch besetzte Zone westlich der Berme und die von der Polisario kontrollierte Zone östlich davon. Die Schutzwälle änderten den Verlauf des Westsaharakriegs, da sie die Wirksamkeit der Polisario-Überfälle begrenzten. Marokko konnte sich nun fast voll und ganz auf die Verteidigung konzentrieren und dadurch schneller reagieren, wenn die Guerillas versuchten, diese zu durchbrechen. Doch die Frente Polisario fand bald die Schwachstellen der Schutzwälle, sodass es zwischen 1983 und 1991 zu einer Reihe von schweren Auseinandersetzungen kam. Sahrauischen Kämpfern gelang es dabei, unbemerkt bis zum Wall vorzu dringen, schnell die marokkanischen Positionen zu überrennen, marokkanische Soldaten gefangen zu nehmen oder zu töten und große Mengen an Waffen und Ausrüstung zu erbeu ten.32 1.5. Diplomatischer Kampf Die menschlichen und wirtschaftlichen Kosten des Kampfes waren für beide Seiten enorm. 1988 kamen sowohl die Frente Polisario als auch das marokkanische Heer nach den vielen Jahren ununterbrochenen Krieges in der Wüste an ihre Grenzen33 und erkannten, dass ein militärischer Sieg wohl nicht möglich war. Der militärische Gleichstand schien somit eine friedliche Lösung möglich zu machen. Die Vereinten Nationen und die Organisation für Afrikanische Einheit (OAU) sollten die politischen Verhandlungen einleiten. 30 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef: Horlemann, S. 202. 31 Boukhari, Ahmed (2004): Las dimensiones internacionales del conflicto del Sahara occidental y sus repercusiones para una alternativa marroquí. Documento de Trabajo 16/2004 del Real Instituto Elcano, vom 19.04.2004, http://www.realinstitutoelcano.org/documentos/99/DT16-2004-E.pdf, Abruf am 24.04.2004, S. 59. 32 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, S. 60. 33 Anfang der 1990er Jahre steckte Marokko in der tiefsten wirtschaftlichen und politischen Krise seit seiner Unabhängigkeit 1956. Hauptgrund für das enorme Anwachsen der Verschuldung waren die hohen militärischen Ausgaben. 17 1.5.1. Der Friedensplan der ONU-OUA von 1990-1991 Die Bemühungen der VN und der OAU zeigten ihre ersten Erfolge in vorsichtigen Annäherungsgesprächen. Der UN-Generalsekretär Javier Pérez de Cuéllar stellte im Juni 1990 einen Friedensplan vor. Die zentralen Punkte des Planes, der einen groben Zeitplan enthielt, waren: Vereinbarung eines Waffenstillstands, stufenweiser Truppenrückzug, Rückführung der Flüchtlinge und die Durchführung eines Referendums, das von der ONU organisiert und überwacht werden sollte.34 Eine Kommission sollte den spanischen Zensus von 1974 aktualisieren und die sahrauischen Wahlberechtigten festlegen, die zwischen der Unabhängigkeit und der Eingliederung in Marokko wählen müssten. Das Referendum sollte 24 Wochen nach Eintreten des Waffenstillstandes durchgeführt werden.35 Am 29. April 1991 stimmte der UN-Sicherheitsrat der Umsetzung des Planes zu und beschloss außerdem eine Mission, die Mission des Nations Unies pour l’organisation d’un référendum au Sahara occidental (kurz: MINURSO) einzusetzen, die den Waffenstillstand sowie die Durchführung des Referendums überwachen sollte. Letzteres solle innerhalb von sechs Monaten abgehalten werden, spätestens jedoch im Februar 1992.36 Sowohl Marokko als auch die Frente Polisario nahmen den Plan im Prinzip an und es schien, als stünde man vor einer baldigen Lösung des Westsaharakonfliktes. Dennoch gab es Schwierigkeiten bei der Umsetzung des Plans: Die marokkanische Verwaltung blieb weiterhin in der Westsahara und auch die dort stationierte marokkanische Armee von 160.000 Mann wurde nicht auf die vorgesehenen 65.000 reduziert.37 Aber der Hauptgrund, weswegen es letztendlich bis heute nicht zu einem Referendum gekommen ist, ist die Wählerschaft: Sowohl Marokko als auch die Frente Polisario haben sehr unter schiedliche Ansichten darüber, wer stimmberechtigt ist und wer nicht. Trotzdem entsandte Pérez de Cuéllar die ersten MINURSO-Truppen und Zivilisten in die Westsahara, obwohl die Frage nach den Wahlberechtigten noch nicht gelöst war, und sorgte dafür, dass der Waffenstillstand am 6. September 1991 in Kraft trat.38 Zuvor legte Marokko der MINURSO im April 1991 eine Liste mit 120.000 angeblichen Bewohnern der Westsahara vor, die zum aktualisierten spanischen Zensus von 1974 hin zugefügt und individuell geprüft werden sollten. Außerdem ließ Hassan II. im September 1991 170.000 Marokkaner für das Referendum in die Westsahara umsiedeln („Zweiter Grüner Marsch“). Die Kriterien zur Identifizierung der Wahlberechtigen wurden wieder holt geändert, ius sanguinis und ius solis hinzugefügt, sowie die Zugehörigkeit zu einem der sahrauischen Stämme anerkannt. Marokko bestach Mitglieder der Identifikationskommission, damit sie die Anträge auf Wahlberechtigung marokkanischer Bürger an nahm. Auch wurde nachgewiesen, dass die MINURSO 4.000 von Marokko gesponserte Kandidaten im Wählerverzeichnis aufgenommen hatte.39 All dies führte dazu, dass der Identifikationsprozess an Glaubwürdigkeit verlor und schließlich Mitte der 1990er Jahre zum Stehen kam. 34 Jensen, Erik (2012): Western Sahara. Anatomy of a Stalemate? 2. Aufl., Boulder, Colorado und London: Lynne Rienner Publishers, S. 29. 35 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, S. 61. 36 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S.12. 37 Ruf, Werner (2003): Westsahara. Die Polisario am Ende? Der größte Verlierer ist das sahrauische Volk selbst. In: Gesellschaft der Freunde des Sahrauischen Volkes (Hg.): inamo (Informationsprojekt Naher und Mittlerer Osten), von Januar 2004, http://www.ag-friedensforschung.de/ regionen/Westsahara/polisario2.html, Abruf am 22.05.2014. 38 Jensen, Erik (2012): Western Sahara. Anatomy of a Stalemate? 2. Aufl., Boulder, Colorado und London: Lynne Rienner Publishers, S. 44. 39 Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press, S. 195. 18 1.5.2. Die Baker-Pläne Im Februar 1997 ernannte der neue UN-Staatssekretär Kofi Annan den Nordamerikaner James Baker zum UN-Verhandlungsführer für die Westsahara. Man hoffte, dass Bakers per sönliches Ansehen, seine große internationale Erfahrung und seine engen Beziehungen zur amerikanischen Regierung ausreichen würden, um den Friedensprozess endgültig voran zubringen. Nachdem er sich mit den höchsten Vertretern der marokkanischen Regierung, des Frente Polisario, Algeriens und Mauretaniens getroffen hatte, kam er zu dem Schluss, dass die einzige realistische Art den Friedensprozess in die Wege zu leiten, die direkte und private Verhandlung zwischen den Parteien war, unter der Aufsicht der UNO und mit der Anwesenheit von Beobachtern aus Algerien und Mauretanien. Auf diese Weise fanden im Sommer 1997 verschiedene Gesprächsrunden in London und Lissabon statt, in denen man versuchte, das Problem der Identifizierung der Wahlberechtigten zu lösen, während man zugleich auch versuchte Maßnahmen zur Durchführung des Friedensplans festzulegen. Die letzte Gesprächsrunde fand in Houston statt, wo beide Seiten ein Abkommen (Houston Accords) unterschrieben.40 Am 3. September 1998 wurde der Identifikationsprozess abgeschlossen und die MINURSO veröffentlichte eine provisorische Liste. Zuvor waren 147.249 Anträge untersucht wor den, wovon nur 84.249 die Wahlberechtigung für das Referendum erhielten.41 Marokko legte Einspruch gegen diese Zahl ein und bestand auf die Aufnahme von 79.125 neuen Personen. Diese Diskussionen über die Identifikation der Wahlberechtigten legten den Prozess letztendlich lahm. Laut Fuente Cobo (2011: 13) deutete alles darauf hin, dass eine Wählerschaft von weniger als 100.000 Personen die Wahrscheinlichkeit erhöhte, dass bei ei nem Referendum für die Unabhängigkeit gestimmt werden würde, wohingegen eine höhere Wählerschaft die Annexion der Westsahara mit sich führen würde. Baker blieb keine andere Möglichkeit als einen neuen Plan zu entwickeln. Der Baker Plan I bezeichnete sich ausdrücklich als Grundlage für eine „politische Lösung“ des Westsaharakonfliktes, also nicht auf dem Völkerrecht basierend. Er sollte von beiden Parteien unterschrieben werden, doch die Polisario lehnte ihn von vornherein ab. Der Grund: Ein Referendum für die Unabhängigkeit war darin nicht explizit vorgesehen. Stattdessen war geplant, der Westsahara eine gewisse Autonomie zuzugestehen, jedoch un ter marokkanischer Souveränität.42 Der Baker Plan I wurde vom Sicherheitsrat der UN nicht verabschiedet; stattdessen schlug dieser weitere Verhandlungen zwischen beiden Parteien vor, sodass Baker ihn überarbeitete. Die zweite Version des Baker-Plans43 sah eine autonome sahrauische Übergangs-regierung (die sog. Western Sahara Authority, kurz: WSA) von fünf Jahren vor, auf die ein Referendum über die Unabhängigkeit folgen sollte. An diesem Referendum sollte die gesamte gegenwär tige Bevölkerung der Westsahara teilnehmen, inklusive der Menschen, die nach 1975 aus Marokko hinzugezogen waren, was die Polisario bisher strikt abgelehnt hatte. Andererseits missfiel es Marokko, dass die lokale Übergangsregierung (die WSA) nur von „echten“ Sahrauis gewählt werden sollte, die als solche von der MINURSO identifiziert worden waren, 40 Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press, S. 208. 41 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S.13. 42 Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press, S. 223. 43 Offizieller Name: Peace Plan for the Self-Determination for the People of Western Sahara. 19 auch wenn Marokko während dieser Zeit die Souveränität über das Gebiet noch behal ten würde. Marokko erhob schon früh Einwände gegen den Baker-Plan II, und Algerien sowie die Frente Polisario akzeptierten ihn nur widerwillig. Im Juli 2003 billigte der UNSicherheitsrat den Plan und rief die Parteien dazu auf, ihn zu erfüllen. Doch Marokko lehnte den Baker-Plan II ab und verkündete, man würde jetzt und auch in Zukunft keinem Referendum mehr zustimmen, dass die Unabhängigkeit der Westsahara als Option enthal te.44 Im Juni 2004 gab Baker aus Protest sein Amt auf. Er wies darauf hin, dass aufgrund der unvereinbaren Positionen Marokkos und der Polisario sowie der Weigerung des Sicherheitsrates eine Lösung trotz der Einwände der Parteien durchzusetzen, es keine Möglichkeit für eine Kompromisslösung zu geben scheine.45 1.5.3. Jüngste Entwicklungen Nach Bakers Rücktritt schien die Situation zu eskalieren. Ab Mai 2005 fanden in mehre ren Städten der Westsahara Demonstrationen und Aufstände statt, die von der Polisario den Beinamen „Intifada für die Unabhängigkeit“ erhielten und die von jungen Sahrauis angeführt wurden. Ausländische Journalisten wurden des Landes verwiesen, nachdem sie Demonstranten interviewt haben, 14 Aktivisten wurden festgenommen.46 Im August 2005 übernahm der holländische Diplomat Peter Van Walsum die Rolle Bakers. Nach seiner ersten Reise nach Rabat, Tindouf, Argel und Nouakchott fasste er die Positionen der beiden Parteien als „nahezu unvereinbar“ zusammen. Er sah es als notwendig an, den Streit durch „direkte Gespräche ohne vorherige Bedingungen“ beizulegen, d.h. vorerst nicht von der Unabhängigkeit als Möglichkeit auszugehen und eine „politische Lösung zu fin den, die gerecht, dauerhaft und für beide Seiten akzeptabel sei“47. Der Autonomiestatus der Westsahara schien ihm daher eine gute Kompromisslösung. Die Idee der Autonomie war nicht neu; schon 1980 hatte Hassan II. verkündet, dass alles „bis auf das Siegel und die Flagge“48 verhandelbar sei, was die Möglichkeit zu umfassen schien, der Westsahara einen großen Grad an Selbstverwaltung zuzusprechen. Am 11. April 2007 legte Marokko mit französischer, amerikanischer und spanischer Unterstützung eine Initiative zur Autonomie der Westsahara beim neuen UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon vor. Dieser Plan wurde von der Polisario kategorisch abgelehnt. Dennoch erschien er dem Sicherheitsrat sinnvoll. Im Juni 2007 begann daher die erste Verhandlungsrunde zwischen Marokko und der Polisario in Manhasset, New York. Es wurden keine Durchbrüche erreicht und die Parteien trafen sich noch für drei weitere Runden; die letzte im März 2008 und er 44 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S.17. 45 „Well I think any dispute like this is solvable given goodwill on the part of both parties but you haven’t had that. If you don’t have that, if they’re not willing to exercise the political will necessary to reach a solution and the Security Council is not willing to move from Chapter 6, that is consensus, to Chapter 7 where they can ask the parties, force the parties, one or both of them, to do something they don’t want to do. Then I don’t know where the solution comes from. This issue is really not unlike the Arab-Israeli dispute: two different peoples claiming the same land. One is very strong, one has won the war, one is in occupation and the other is very weak” (Baker in Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press, S. 238). 46 Zunes, Stephen und Mundy, Jacob (2010): Western Sahara. War, Nationalism and Conflict Irresolution. New York: Syracuse University Press, S. 140. 47 Bolopion, Philippe (2008): Le médiateur de l’ONU écarte l’indépendance du Sahara occidental. In: Le Monde vom 22.04.2008, http:// www.lemonde.fr/afrique/article/2008/04/22/le-mediateur-de-l-onu-ecarte-l-independance-du-sahara-occidental_1036908_3212. html?xtor=RSS-3210, Abruf am 22.05.2014. 48 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S.17. 20 neut ohne jeglichen Erfolg. Die Frente Polisario kündigte an, dass sie bereit wäre, die direkten Verhandlungen mit Marokko fortzuführen, aber nur unter der Bedingung, dass Van Walsum ersetzt würde, da er zugunsten Marokkos voreingenommen sei. Van Walsum hatte mehrfach verkündet, die Unabhängigkeit der Westsahara sei eine unrealistische Option, auch wenn sie sich auf internationales Recht stütze.49 Am 21. August 2008 lief sein Mandat aus und wurde vom Generalsekretär Ban Ki-Moon nicht verlängert. Stattdessen wurde der amerikanische Diplomat Christopher Ross zum persönlichen Gesandten für die Westsahara des UNStaatssekretärs ernannt. Dieser schaffte es mit großen Mühen, dass sich Marokko und die Polisario im Dezember 2010 nach zwei Jahren wieder zu Verhandlungen trafen, doch erneut kam es zu keinen Ergebnissen. Zwischen dem 8. und 9. November 2010 kam es zu Zusammenstößen zwischen marokkani schen Sicherheitskräften und sahrauischen Zivilisten in Gdeim Izik, einem Wüstengebiet 16 km von Al Aaiun entfernt, wo 20.000 Sahrauis friedlich für eine Verbesserung ihrer sozialen und ökonomischen Situation demonstrierten. Dabei wurden 4.500 Menschen ver letzt, 2.000 festgenommen.50 Seit seiner Gründung wird das Mandat der MINURSO immer wieder um ein Jahr verlän gert – eine Resolution, die die Notwendigkeit anerkennt, die Menschenrechtslage in der Westsahara zu verbessern, aber ohne dass dies zu einer Ausweitung des Mandats geführt hätte. Die Verhandlungen werden zwar weiterhin fortgeführt, führen aber bisher zu keinem Ergebnis. Ban Ki-Moon hat angekündigt, den Verhandlungsprozess zu überprüfen, wenn bis April 2015 keine Lösung des Konflikts gefunden wird.51 2. Rohstoffe Die Rohstoffvorkommen in der Westsahara sind der Hauptgrund für das internationa le Interesse an einem Gebiet, das hauptsächlich aus Wüste besteht und nur spärlich be siedelt ist. 1974 bezeichnete die Weltbank die Westsahara wegen seiner Fischbestände, seiner immensen Phosphatvorkommen und großen Ölreserven als eines der reichsten Länder der Maghrebregion.52 Während die Kontrolle über die Phosphatvorkommen der Westsahara einer der Faktoren für Marokkos Entscheidung gewesen sein mag, die Westsahara zu besetzen, so sind es die Kontrolle der Fischbestände und die Hoffnung auf Erdöl die heutzutage in Marokko im Vordergrund stehen. Für Marokko sind die Rohstoffe der Westsahara von größter Bedeutung; nicht nur in Hinblick auf die dringend benötigten Beschäftigungsmöglichkeiten sondern auch in Hinblick auf eine Vergrößerung des Anteils Marokkos am Weltphosphatmarkt. Dadurch sichert sich Marokko die Kontrolle über einen Großteil der Nordatlantikküste und dessen Reichtum. Desweiteren besteht die Hoffnung, Marokkos Abhängigkeit von Ölimporten zu reduzieren.53 49 Cembrero, Ignacio (2008): Un Sáhara independiente es inalcanzable. In: El País vom 8. August 2008, http://elpais.com/diario/2008/08/08/ internacional/1218146401_850215.html, Abruf am 22.05.2014. 50 Calvo, Erena und Ana del Barrio (2010): El Ejército marroquí desmantela por la fuerza el campamento de protesta saharaui. In: El Mundo vom 8. November 2011, http://www.elmundo.es/elmundo/2010/11/08/internacional/1289203693.html, Abruf am 22.05.2014. 51 El pueblo saharaui celebra el 41 aniversario del inicio de la lucha armada. In: Sahara Press Service vom 20. 05.2014, http://www.spsrasd. info/es/content/el-pueblo-saharaui-celebra-el-41-aniversario-del-inicio-de-la-lucha-armada, Abruf am 22.05.2014. 52 Pinto Leite, Pedro (2006): International legality versus realpolitik. The cases of Western Sahara and East Timor. In: Olsson, Claes (Hrsg.) (2006): The Western Sahara Conflict. The Role of Natural Resources in Decolonization. Uppsala: Nordiska Afrikainstitutet, S.16. 53 Shelley, Toby (2004): Endgame in the Western Sahara. What future for Africa’s last colony? London: Zed Books Ltd, S. 62. 21 Marokko behandelt das von ihm kontrollierte Gebiet der Westsahara als Teil seines Königreiches und wirbt Investoren an. Von dem Wirtschaftswachstum bekommen die Sahrauis allerdings kaum etwas ab, da die Firmen hauptsächlich marokkanische und fran zösische Arbeiter einstellen und die Gewinne an den Sahrauis vorbei nach Marokko abflie ßen. Damit wird gegen geltendes Völkerrecht verstoßen.54 2.1. Phosphat Bou Craa liegt etwa 100 km südöstlich von El Aaiun und verfügt über eines der größten Phosphatvorkommen der Welt. Phosphat ist wesentlicher Bestandteil in Dünge- und Reinigungsmitteln. Die Phosphatvorkommen in Bou Craa wurden 1945 vom spanischen Geologen Manuel Alia Medina entdeckt und werden auf etwa zwei Milliarden Tonnen ge schätzt. 1964 schätzten Geologen von ENMINSA die Phosphatvorkommen in der gesamten Westsahara auf zehn Milliarden Tonnen.55. Der Übertagebergbau von Bou Craa erstreckt sich über 250 km². Das Phosphat, das seit 1972 abgebaut wird, wird über ein 96 km langes Förderband, dem längster dieser Art in der Welt, zur Küste transportiert. 1976 wurde das Förderband, an dessen Bau auch die deutschen Firmen Krupp, Clouth, Strabagbau, Pohlig Heckel-Bleichert und Klöckner-Humboldt-Deutz beteiligt waren, von der Frente Polisario zerstört; bis 1982 stand der Phosphatabbau still.56 Heute wird Bou Craa fast ausschließlich von Angestellten des marokkanischen Staats57 konzerns Office Chérifien des Phosphates (OCP, Scherifisches Amt für Phosphate) bewohnt. OCP ist Weltmarktführer in der Phosphat- und Düngemittelproduktion und außerdem der weltweit größte Exporteur von Rohphosphat und Phosphorsäure. 2012 trug die Phosphatindustrie 6 % zum marokkanischen BIP bei. Insgesamt verfügt Marokko über die weltweit größten Reserven dieses Minerals.58 Die durchschnittliche Produktion von hochwertig verarbeitetem Phosphat in Bou Craa beläuft sich jährlich auf etwa 3 Millionen Tonnen59, was etwa 10 % des vom OCP abgebauten Phosphats darstellt. 2.2. Eisenerz und sonstige Mineralien Die Eisenerzvorkommen am nordöstlichen Rand der Tiris-Ebene schätzt man auf etwa 72 Millionen Tonnen, nur wenige Kilometer entfernt von den großen mauretanischen Erzgruben von Zouerate. Die Bestände der Westsahara sollen aber größer und von besserer Qualität sein.60 Es gibt auch auf den für die Raum- und Luftfahrt verwendeten, äußerst selte nen Rohstoff Vanadium. Ebenso wurden in der Westsahara folgende Bodenschätze nach54 Matthaei, Katrin (2013): Im Schatten der Mali-Krise. In: DW vom 28.02.2013, http://dw.de/p/17mHb, Abruf am 23.04.2014. 55 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, S. 18. 56 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef: Horlemann, S. 129. 57 Das OCP ist verantwortlich für die Verwaltung und Kontrolle jeglicher Aspekte des Phosphatabbaus und dessen Aufbereitung. 58 Quarante, Olivier (2014): Die Schätze der Westsahara. In: Le Monde diplomatique Nr. 10360 vom 14.03.2014, S. 14. 59 Eyckmans, Sara, John Gurr und Cate Lewis (2010): Western Sahara. Bou Craa Phosphate Mine, 15.11.2010, http://bhpbillitonwatch. net/2010/11/15/western-sahara-bou-craa-phosphate-mine/, Abruf am 14.04.2014. 60 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, S. 19. 22 gewiesen: Wolfram, Platin, Gold, Chrom, Zinn, Bergyll, Mangan, Kupfer, Nickel, Magnetit, Ilmenit und Uran.61 2.3. Erdöl und Erdgas Während der spanischen Herrschaft wurden mit Hilfe von BP und Philips Oil Company die ersten Erkundungen nach Erdölvorkommen in der Westsahara unternommen, jedoch wurden diese aufgrund des Kriegs zwischen Marokko und der Polisario sowie des ungelösten rechtlichen Status des Gebiets abgebrochen. Nachdem man beträchtliche förderbare Ölfelder im benachbarten Mauretanien entdeckt hatte, wuchsen jedoch die Hoffnungen Marokkos auf mögliche Erdöl- und Erdgasvorkommen in der Westsahara, da die Geologie der Westsahara der Mauretaniens sehr ähnelt. Deswegen schloss die marokkanische Regierung Verträge mit ausländischen Unternehmen über die Erkundung von Ölvorkommen, u.a. 2001 mit dem amerikanischen Unternehmen Kerr McGee und dem französi schen Unternehmen TotalFinaElf (Total SA). Aufgrund starker internationaler Proteste zog sich Kerr McGee 2006 zurück;62 die Forschungsgebiete wurden vom US-amerikanischen Energiekonzern Kosmos Energy übernommen. Total SA führt seit Juli 2013 seismische Erkundungen auf einer mehr als 100.000 km² großen Fläche vor der Küste der Westsahara durch und hat erst im Februar 2014 seinen Vertrag mit Marokko erneuert.63 Schon 2002 hat der damalige UN-Subsekretär Hans Corell gewarnt: „Wenn gesucht und gefördert wird, ohne die Interessen der Bevölkerung der Westsahara zu berücksichtigen, wird das internationale Recht verletzt“64. Doch die Energiekonzerne beteuern, sie wür den sich an alle Gesetze, Regulierungen und Entscheidungen der UN und der EU hal ten und die Wirtschafts- und Menschenrechtsstandards der UN respektieren. Diverse Nichtregierungsorganisationen haben daran jedoch ihre Zweifel. Die Western Sahra Resource Watch (WSRW), eine internationale Nichtregierungsorganisation, die die wirt schaftlichen Aktivitäten Marokkos in der Westsahara beobachtet, befürchtet, dass eine Lösung des Westsaharakonflikts noch mehr erschwert würde, wenn tatsächlich Erdöl ge funden werden sollte. Derzeit laufen sechs Erdöl- und Erdgasprogramme in der Westsahara. Die Abkommen wurden zwischen Marokko und sechs unterschiedlichen ausländischen Unternehmen geschlossen.65 2.4. Fischerei Die Küste der Westsahara ist 2.200 km lang und zählt zu den fischreichsten Gewässern der Erde; dennoch haben sich die Sahrauis traditionell nicht mit der Fischerei be schäftigt.66 Spanische Fischer von den Kanarischen Inseln begannen bereits im späten 61 Rössel, Karl (1991): Wind, Sand und (Mercedes-)Sterne. Westsahara: der vergessene Kampf für die Freiheit. Unkel/Rhein, Bad Honnef: Horlemann, S. 126. 62 Wimmer, Olivia (2008): Neither war not peace. The Western Sahara and its struggle for liberation. Unveröffentlichte Diplomarbeit, Universität Wien, S. 20. 63 Das Projekt hat den Namen „Anzarane Offshore“; in der Schlacht von Bir Anzarane vom 12. September 1979 hatten die marokkanischen Streitkräfte den Frente Polisario vernichtend geschlagen. 64 Wandler, Reiner (2014): Ressourcenstreit in der Westsahara“. In: TAZ vom 23.04.2014, http://www.taz.de/!137201/, Abruf am 29.04.2014. 65 WSRW Report (2013): Totally wrong. Total SA in occupied Western Sahara, http://www.wsrw.org/files/dated/2013-09-01/totally_wrong. pdf, Abruf am 13.05.2014, S.2. 66 Das liegt zum einen Teil daran, dass das Gebiet nur wenige Naturhäfen hat und dass Fischen aufgrund der Steilküsten mit den starken Strömungen entlang der Küste äußerst gefährlich ist. Außerdem gab es kaum Holz für den Bau von Fischerbooten. 23 15. Jahrhundert vor der Küste der Westsahara zu fischen. Spanien expandierte seinen Fischereisektor in diesem Gebiet während des 20. Jahrhunderts und fing jährlich 225.000 Tonnen Fisch, bis Marokko 1975 die Kolonie übernahm und die Anlagen der Fischindustrie mit dem Bau neuer Häfen verbesserte. Heute erwirtschaftet der Fischereisektor 17 % des Bruttoinlandsprodukts der Westsahara, in ihm arbeiten 31 % der Beschäftigten des Gebietes und 78 % des gesamten marokkanischen Fischfangs stammt aus den Gewässern der Westsahara.67 1977 griff die Frente Polisario mehrere Fischtrawler an und bezeichnete die Fischereiaktivitäten als eine Verletzung der territorialen Gewässer der Demokratischen Arabischen Republik Sahara. Durch die Errichtung des marokkanischen Walls zwischen 1981 und 1987 wurde die Polisario fast gänzlich vom Atlantik abgeschnitten und die Angriffe hörten auf. Die langfristige Ausbeutung der Fisch- und Meerestierbestände hat zu einer Über-fischung geführt, was zu einem massiven Rückgang der Fischbestände geführt hat. Dennoch hat das EU-Parlament im Dezember 2013 der vierten Erneuerung des Partnerschaftlichen Fischereiabkommens mit Marokko zugestimmt, das für die Jahre 2014 bis 2017 gelten soll und das Ende Februar 2012 abgelaufene Abkommen ersetzt.68 In der Vergangenheit hatten europäische Fangschiffe vor der Küste Marokkos und der Westsahara unter einem Übereinkommen gefischt, das vom Abkommen von Madrid von 1975 abgeleitet worden war; als Spanien zur EU beitrat, wurde Spaniens Abkommen mit Rabat von der EU übernommen. 3. Aktuelle Lage Der Friedensplan ist gescheitert, die Baker-Pläne wurden nicht angenommen, auch die Gespräche zwischen den Parteien haben keinerlei Durchbruch geschafft und der Sicherheitsrat weigert sich eine Lösung zu erzwingen. Die Parteien werden zur Kooperation ge drängt, aber nicht mit Sanktionen bedroht. Seit dem Waffenstillstand von 1991 hat es keine wirklichen Veränderungen im Westsaharakonflikt gegeben. Marokko besetzt weiterhin 85 % des Gebietes der Westsahara und verwaltet dieses durch marokkanische Institutionen und nach marokkanischem Recht. Ein Teil der sahrauischen Bevölkerung lebt in der marokkani schen Zone westlich des Schutzwalls, getrennt von dem Rest ihrer Landsleute, die wiederum größtenteils in Flüchtlingslagern in Algerien leben. 3.1. Flüchtlingslager Die Flüchtlingslager der Westsahara sind eine weltweite Rarität, da sie ohne Beteiligung des UNHCR errichtet wurden.69 Die Sahrauis verwalten ihre Camps selbst, ohne nennenswerte Intervention, weder von Algerien noch von internationalen Institutionen. Sie unterstehen der Frente Polisario und dem Regierungschef der DARS. Nach mehr als dreißig Jahren70 67 Quarante, Olivier (2014): Die Schätze der Westsahara. In: Le Monde diplomatique Nr. 10360 vom 14.03.2014, S. 14. 68 Europäische Kommission: Marokko. Partnerschaftliches Fischereiabkommen, http://ec.europa.eu/fisheries/cfp/international/agreements/ morocco/index_de.htm, Abruf am 21.05.2014. 69 Herz, Manuel (Hg.) (2013): From Camp to City. Refugee Camps of the Western Sahara. Zürich: Lars Müller/ETH Studio Basel, S. 79. 70 Mittlerweile wächst die dritte Generation der Sahrauis in den Flüchtlingslagern heran. 24 ähneln die Lager kleinen Städten, längst wurden kleine Häuser neben den Zelten errich tet. Gleichzeitig möchte man nicht den Eindruck erwecken, man habe sich mit der Lage abgefunden und richte sich endgültig in Algerien ein.71 Während Flüchtlingslager oft als Orte der Verzweiflung gesehen werden, als Orte der totalen Kontrolle oder als Gebiete ei nes humanitären Regimes, sind die Lager der Sahrauis eher das Umfeld selbstverwalteten täglichen Lebens. Die Sahrauis nutzen die Lager um Institutionen zu entwickeln, die auf ihr eigenes Land übertragen werden können, sobald eine Lösung (die Unabhängigkeit) für den Westsaharakonflikt gefunden wird. Die Lager können als eine Art Testphase gesehen wer den, in denen der sahrauische Staat vorgebildet wird. Die Zeit in den Lagern wird von den Flüchtlingen besonders für kulturelle und soziale Tätigkeiten genutzt, was eine Abwendung von ihren Stammestraditionen und die Entwicklung einer fast urbanen, emanzipierten Gesellschaft bedeutet.72 Es gibt alles, was ein moderner Staat braucht: Armee, Polizei, Gerichte, Gefängnisse, Schulen, Krankenhäuser, kulturelle Einrichtungen, eine Radio- und eine Fernsehstation. Die Polisario hat von Anfang an der Bildung große Bedeutung zuge sprochen. Es gilt die allgemeine Schulpflicht, und die Schüler verbringen nicht nur sechs Tage der Woche (vormittags und nachmittags) in der Schule, sondern sie haben auch außer schulische Aktivitäten an ihrem einzigen freien Tag. Während der Sommerferien bringen die älteren Schüler den Erwachsenen das Lesen und Schreiben bei, während die jüngeren für Ferienkolonien nach Europa reisen. Viele junge Erwachsene studieren im Ausland, vor allem in Algerien, Kuba und Spanien, kehren aber meist nach dem Studium wieder in die Lager zurück.73 3.2. Menschenrechte Die Menschenrechtssituation in dem von Marokko besetzten Gebiet der Westsahara ist die gleiche wie im Rest des Königreichs: Die Bürger dürfen die Monarchie nicht in Frage stellen, die Regierung ist korrupt und die Sicherheitskräfte missachten die Rechtsstaatlichkeit. Das wichtigste Problem speziell in der Westsahara sind die Beschränkungen der bürgerlichen Freiheiten und politischen Rechte der Verfechter der Unabhängigkeit. Dies beinhaltet die Einschränkung der Rede-, Presse- und Versammlungsfreiheit, verlängerte Inhaftierung von andersdenkenden Personen, und körperlicher und verbaler Missbrauch von Gefangenen in der Haft. Auch erkennt die marokkanische Regierung weiterhin keine Vereinigungen für die Unabhängigkeit der Westsahara an. Es herrscht weitreichende Straffreiheit bei Verbrechen von Marokkanern gegenüber Sahrauis und Menschenrechtsverletzungen werden nicht ver folgt.74 Ausländische Journalisten, die über die Situation in der Westsahara berichten wollen, werden beobachtet oder sogar festgenommen.75 Die MINURSO, die Mission der UNO für ein Referendum in der Westsahara, hat nur ein Mandat um die Einhaltung des Waffenstillstands zu garantieren und ein Referendum vor71 Signer, David (2014): Jahrzehntelanges Warten im Sand. In: Neue Zürcher Zeitung vom 16.03.2014, http://www.nzz.ch/aktuell/international/reportagen-und-analysen/jahrzehntelanges-warten-im-sand-1.18263419, Abruf am 23.04.2014. 72 Herz, Manuel (Hg.) (2013): From Camp to City. Refugee Camps of the Western Sahara. Zürich: Lars Müller/ETH Studio Basel, S. 18. 73 Velloso, Agustín (2005): La educación en el Sáhara Occidental. El exilio permanente. In: Comité de Solidaridad con la Causa Árabe, X(1016), http://www.nodo50.org/csca/agenda05/misc/sahara-velloso_15-04-05.html, Abruf am 23.05.2014. 74 U.S. Departement of State (27.02.2013): Western Sahara 2013 Human Rights Report, http://www.state.gov/documents/ organization/220593.pdf, Abruf am 23.05.2014. 75 Vilalta, Marta (2014): Al-Aaiun és una ciutat policíaca que viu en estat de setge. In: VilaWeb vom 18.04.2014, http://www.vilaweb.cat/ noticia/4186121/20140418/marta-vilalta-aaiun-ciutat-policial-viu-setge.html, Abruf am 25.04.2014. 25 zubereiten, nicht aber um die Sahrauis zu schützen und die Menschenrechte zu wahren. Diese werden in der Westsahara aber systematisch verletzt. Amnesty International kriti siert seit Jahren die Verletzung der Menschenrechte durch marokkanische Autoritäten, die schon vor dem Westsaharakonflikt stattfanden, aber seit 1975 deutlich zugenommen ha ben.76 Zahlreiche Menschenrechtsorganisationen fordern eine Ausweitung des Mandats der MINURSO, jedoch vergebens.77 4. Ausblick Laut Pinto Leite (2006) ist es unbestreitbar, dass die Mehrheit der Sahrauis in den Lagern in Tindouf unter ihrer eigenen Verwaltung lebt, dass ein Teil der Westsahara schon befreit ist, und dass die sahrauische Republik internationale Beziehungen mit mehr als 70 Staaten unterhält. Die Westsahara erfüllt somit alle Eigenschaften eines souveränen Staates. Doch die Gelegenheiten zu einer endgültigen Lösung des Westsahara-Konfliktes erscheinen und verschwinden in zyklischen Bewegungen, ausgelöst von einer Reihe von Faktoren, die es bis heute unmöglich machen, sich auf eine dauerhafte Lösung zu einigen. Gelegentlich wird die Befürchtung geäußert, die Sahrauis könnten wieder den bewaffneten Kampf aufnehmen. Dies erscheint jedoch nicht realistisch. Einerseits waren die bisherigen militärischen Erfahrungen im Kampf gegen Marokko nicht immer gut. Des Weiteren scheint sich die Polisario bewusst zu sein, dass jeglicher Versuch, zu den Waffen zu greifen, als islamistischer Terrorismus gedeutet werden würde. Da dieser bei der internationalen Gemeinschaft auf starke Ablehnung stößt, würde dies dem Ansehen der Sahrauis nur scha den.78 Viel wahrscheinlicher erscheint eine gewaltsame Reaktion der jugendlichen Sahrauis, die größtenteils ihre Ursprungsheimat nie kennen gelernt haben und in den Flüchtlingslagern keine Zukunftsperspektiven haben. Unter ihnen haben sich in den letzten Jahren Gruppen wie die Jat Achahid gebildet, die der Frente Polisario und dem Einparteiensystem sehr kri tisch gegenüber steht. Doch die Jugendlichen könnten sich in ihrer Unzufriedenheit dem Islamismus zuwenden. Allerdings herrscht unter den Sahrauis ein moderater Islam vor, in dem insbesondere die Gleichberechtigung der Frauen weit entwickelt ist,79 und die Polisario, die den Terrorismus als einen schlimmen Fehler im Kampf für die Unabhängigkeit betrach tet, kontrolliert die Entwicklung in den Lagern. Größer dürfte daher die Gefahr sein, dass die junge Generation in den Flüchtlingslagern die Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Konflikts mit Marokko verliert und deswegen wieder zu den Waffen greift. Offensichtlich können den Westsaharakonflikt Marokko und die Sahrauis nicht alleine lö sen. Aber der UN-Sicherheitsrat war bisher nicht gewillt alles dafür zu tun, um eine dauer- 76 Pinto Leite, Pedro (2006): International legality versus realpolitik. The cases of Western Sahara and East Timor. In: Olsson, Claes (Hg.) (2006): The Western Sahara Conflict. The Role of Natural Resources in Decolonization. Uppsala: Nordiska Afrikainstitutet, S. 14. 77 Das Mandat wird seit 1991 alljährlich verlängert, zuletzt Ende April 2014. 78 Fuente Cobo, Ignacio (2011): Sahara Occidental. Origen, evolución y perspectivas de un conflicto sin resolver. In: Documento Marco del Instituto Español de Estudios Estratégicos, 8, S.20. 79 Signer, David (2014): Jahrzehntelanges Warten im Sand. In: Neue Zürcher Zeitung vom 16.03.2014, http://www.nzz.ch/aktuell/international/reportagen-und-analysen/jahrzehntelanges-warten-im-sand-1.18263419, Abruf am 23.04.2014. 26 hafte Lösung zu finden. Obwohl der Sicherheitsrat es kategorisch ablehnt, eine Lösung auch gegen der Willen einer der beteiligten Parteien durchzusetzen, so werden solche Schritte doch unvermeidbar sein. Mittlerweile scheint der Sicherheitsrat dem Vorschlag Marokkos nachzugeben, der eine Eingliederung der Westsahara als autonomes Gebiet in das Königreich vorsieht. Um die Rückkehr der Sahrauis in eine autonome Westsahara zu bewirken, müsste man aber zunächst eine sichere Umgebung für sie schaffen. In dem Fall müssten die Sahrauis die Mehrheit der Bürger und der nationalen Sicherheitspräsenz aus machen. Dafür müssten aber sowohl der marokkanische Militärsicherheitsapparat und die Zahl der marokkanischen Siedler abnehmen, und selbst dann würde die marokkanische Regierung stets separatistische Bewegungen fürchten und eine hohe militärische Präsenz fordern, um seine territoriale Integrität zu garantieren. Die Bedingungen in der Westsahara wären daher sicherlich explosiv. Darum stellt sich die Frage, ob die internationale Gemeinschaft, besonders der Sicherheitsrat, überhaupt gewillt ist in ein solches multinationales friedensschaffendes Projekt zu investieren, das ein Autonomieabkommen darstellt. Damit solch politischer Kompromiss, der auf geteilter Macht basiert, in der Westsahara funktioniert, muss eine Bereitschaft von allen drei Seiten gegeben sein. Aber gerade diese Bereitschaft hat bisher gefehlt, und zwar nicht nur auf Seiten der Polisario oder Marokkos, sondern auch, und das ist noch viel wichtiger, auf Seiten des Sicherheitsrates selbst. Auch kann man sich fragen, wa rum man die Unabhängigkeit der Westsahara mit der Begründung ablehnt, man könne sie nur unter Ausübung von Zwang erreichen, wenn die Autonomie sie ebenso erfordert. Letztendlich ist die Autonomie eine Lösung, die sich viel schwieriger durchsetzen lässt als eine Unabhängigkeit der Westsahara. Letztere erfordert nur gewaltfreien internationalen Druck für Marokkos Rückzug aus dem besetzten Gebiet, was jedoch nicht im Interesse der internationalen Gemeinschaft ist. Denn Marokko spielt nicht nur eine wichtige Rolle in der Migrationspolitik als Grenzland zur Europäischen Union, sondern ist auch ein wichtiger Handelspartner Europas80, der u.a. die Sicherung von Rohstoffen gewährleistet, die in der Westsahara gewonnen werden. Trotz der illegalen Besetzung durch das Königreich Marokko seit 1975 ist die Westsahara gemäß den UN weiterhin ein Gebiet im Prozess der Entkolonialisierung. Diese ist aber erst dann erreicht, wenn die Sahrauis ihr Recht auf Selbstbestimmung ohne jegliche Art von Einschränkungen in einem Referendum unter der Aufsicht der UNO ausüben können, wo bei neben Integration und Autonomie die Unabhängigkeit eine Option sein muss. 80 Wandler, Reiner (2014): Ressourcenstreit in der Westsahara“. In: TAZ vom 23.04.2014, http://www.taz.de/!137201/, Abruf am 29.04.2014. 27 Literaturverzeichnis Bárbulo, Tomás (2005): “Un chantaje horrible, pero lícito”, según Hasán II. In: El País vom 07.11.2005, http://elpais.com/diario/2005/11/07/internacional/1131318009_850215.html, Abruf am 15.04.2014. Bolopion, Philippe (2008): Le médiateur de l’ONU écarte l’indépendance du Sahara occi dental. In: Le Monde vom 22.04.2008, http://www.lemonde.fr/afrique/article/2008/04/22/ le-mediateur-de-l-onu-ecarte-l-independance-du-sahara-occidental_1036908_3212. html?xtor=RSS-3210, Abruf am 22.05.2014. Boukhari, Ahmed (2004): Las dimensiones internacionales del conflicto del Sahara occiden tal y sus repercusiones para una alternativa marroquí. Documento de Trabajo 16/2004 del Real Instituto Elcano, vom 19.04.2004, http://www.realinstitutoelcano.org/documentos/99/ DT-16-2004-E.pdf, Abruf am 24.04.2004. 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New York: Syracuse University Press. 30 Anhang Abbildung 1. SPanisCh WestaFriKa bis 1956 Unveränderte Karte entnommen Wikipedia: Spanisch Marokko, http://de.wikipedia.org/wiki/SpanischMarokko; Link zur Lizenz: http://creativecommons.org/licenses/bysa/3.0/, Abruf am 20.05.2014 31 Abbildung 2. Westsahara (MINURSO-Einsatzgebiet) Quelle: United Nations: MINURSO, Map No. 3691 Rev. 73, April 2014, http://www.un.org/Depts/Cartographic/ map/dpko/minurso.pdf, Abruf am 28.05.2014 32 Impressum Herausgeber Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) Referat 225 - Länderanalysen 90343 Nürnberg Bezugsquelle Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Referat 224 - Rechtsprechungsanalysen 90343 Nürnberg [email protected] Download über https://milo.bamf.de Stand Juni 2014 Gestaltung/Druck BAMF, Zentraler Service - Veranstaltungsmanagement/Besucherdienst, Publikationen Bildnachweis BAMF 34 www.bamf.de