Mr. Henning Engelage

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Mr. Henning Engelage
Arthur F. Burns Fellowship Report 2010
Henning Engelage
Erste Tage in einem neuen Büro verlaufen meistens schleppend. Eine Tour durch den
Newsroom, ein Plausch mit den neuen Kollegen. Als ich gerade einer der Editorinnen
erzählte, wie ich vor dem Flug nach Miami die Dokumentation Cocaine Cowboys über die
Kokain-überfluteteten 80er Jahre mit einer der höchsten Mordraten in den Vereinigten
Staaten gesehen hatte, um die Stadt besser verstehen zu können, platzt eine
Reporterinnen herein: "There's been a shooting, 17 year old shot in the head, one year old
shot in the foot". So bekam der deutsche Frischling ein aufgeregtes Lächeln zugeworfen:
"Wanna go?".
Der erste Auftrag für den Miami Herald kann klischeehafter kaum sein:
Heruntergekommenes Gebäude, gelbes Polizeiband, fünf Kamerateams. Doch gerade
diese Breaking News Stories waren die spannendsten Aufträge während meiner Zeit im
Newsroom. Dafür ist Miami eine großartige News-Stadt: Viel Konkurrenz auf dem
Fernsehmarkt, Korruption, Diversifizität und vor allem immer noch viel Kriminalität, die in
den lokalen TV-Nachrichten eine große Rolle spielt.
Auch sonst gibt es nur wenige Städte, die mit dem Flair Miamis vergleichbar sind: Wer die
typische USA-Erfahrung sucht, ist hier falsch. Das stereotype Americana findet sich wohl
eher im Mittleren Westen. Der Oststaaten-Liberalismus oder das Easy Living der
Westküste ist mit Miami nicht zu vergleichen. Miami ist anders. Aber Miami ist vor allem
spannend, aufregend und wunderschön.
Wenn ich eine Sache aus Miami hätte mitnehmen können, wäre es mein Weg zur Arbeit
gewesen. Jeden Morgen, den ich in meinem Mietwagen von meinem Studio-Apartment in
Miami Beach über den McArthur Causeway - die südliche, sechsspurige Brücke zum
Festland - gefahren bin und auf der rechten Seite die Yachten und Villen der Venetian
Islands, auf der linken Seite die riesigen Kreuzfahrtschiffe und am Horizont die Skyline an
der Bay meinen Arbeitsweg zum Miami Herald begleiteten, habe ich mich erneut in die
Stadt verliebt. Direkt an der Bayside und am Causeway markierte der sandgelbe
Kastenbau mit der blauen Leuchtschrift "The Miami Herald" das Ende meines
Arbeitswegs.
Im Newsroom des Herald sitzt neben der Print und Online-Redaktion auch die Redakion
des El Nuevo Herald, der spanischen Tageszeitung, sowie ein Radiosender. Auch ein voll
ausgestattetes Online-TV-Studio ist im Newsroom integriert und, wie wohl alle Zeitungen
testet auch der Herald, wie sich die Zeitungen im 21. Jahrhundert positionieren sollen.
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Meine Kontaktperson für alle Fragen um Planung usw. war der Online-Redakteur Rick
Hirsch. In meiner gesamten Zeit hatte ich mit ihm zwar selten zu tun, doch immer wenn ich
eine Frage oder ein Problem hatte, konnte ich mich auf Rick verlassen.
Auch wenn ich als Freelancer aus ökonomischer Sicht mehr Geschichten für deutsche
Medien hätte schreiben sollen, habe ich während des Fellowships größtenteils für den
Herald gearbeitet. Den Rat, sich nicht als Intern verkaufen zu lassen, ist beim Herald dabei
nicht unbedingt wichtig. Die Praktikanten haben dort sehr viele Freiheiten und werden
auch gerne für die Breaking News Stories eingesetzt. Als Burns-Fellow hatte ich dabei
zusätzlich die Freiheit, mir meine Arbeit und Themen mehr aussuchen zu können als die
Interns und somit auch die Möglichkeit fürs Editorial oder für Feature zu schreiben.
Mein kleiner Cubicle war am Continuous News Desk angesiedelt und ich somit einer von
mehreren General Assignment Reportern. Nachdem ich in den ersten Tagen mit Kollegen
mitgefahren bin, haben mich die Redakteure nach zwei Wochen auch alleine zu Stories
rausgeschickt. Ein Auto ist für die Arbeit Pflicht, da der Herald keine Firmenwagen
unterhält und Miami eine typische Autostadt ist. Während ich am South Beach die meisten
privaten Dinge wie Einkaufen, zum Strand, in die Bar oder in den Club gehen, oder den
Ocean Drive entlanglaufen auch sehr gut ohne Auto erledigen konnte, ist in Miami ein Auto
unerlässlich. Ein Mietwagen für zwei Monate ist nicht gerade günstig, jedoch eine sinnvolle
Investition, um voll in der Redaktion mitarbeiten zu können. So habe ich jeweils freitags
die Spätschicht übernommen und auch samstags eine Schicht gehabt. Dafür waren
Sonntag und Montag dann meine Off-Days.
Gerade beim Police Reporting habe ich die Stadt kennengelernt, denn in Gegenden wie
Liberty City oder die Trailer Parks am Rande der Stadt sollten und wollen Touristen
bestimmt nicht hinfahren, aber als Reporter ist es spannend, gerade diese Seite der Stadt
zu sehen. Auch wenn am South Beach irgendwann Lamborghinis oder Maseratis nichts
Besonderes mehr sind, gehört Miami zu den fünf ärmsten Städten der USA - und in diesen
Gegenden wird das dann auch sehr deutlich.
Neben der Häufigkeit von Gewaltverbrechen, die das Police Reporting in den USA so
spannend machen, ist auch die Intensität mit der die Reporter die Fälle bearbeiten und
bearbeiten können beeindruckend. So ist das Verständnis des Journalisten als Kontrolleur
der Regierung auch bis auf die Ebene des Law Enforcement sehr stark ausgeprägt. Jeder
Polizeibericht wird hinterfragt, Zeugen zum Vorfall interviewt, Verwandte von Opfern oder
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Tätern befragt. Die deutsche Annahme: "in den USA gäbe es einfach keine Privatsphäre",
vergisst, dass Mehr an Transparenz, dass so für Journalisten und deren Recherche
gegeben ist: Gerichtsakten, die kriminelle Vergangenheit eines Täters, das Gefängnis, wo
eine verhaftete Person gerade einsitzt: alles ist online abrufbar. Hat der Junge, der gerade
angeschossen wurde vielleicht eine Drogenvergangenheit?
Als ein Bankangestellter entführt und gezwungen wird, seine eigene Bank auszurauben,
lasse ich mir sein Facebook-Profilfoto von einem TV-Kollegen zuschicken. Ohne Namen
und Foto ist die Geschichte immer nur die Hälfte wert. Natürlich wird das aus deutscher
Sicht vor allem kritisch gesehen. Doch meine Kollegin Jen erzählt mir dann gerne die
Geschichte, dass sie Weihnachtskarten von Angehörigen bekommt, die dankbar sind,
dass die Geschichte von ihrem ermordeten Sohn noch einmal erzählt wurde.
Neben dem Police Reporting bietet Miami auch Themen, die die gesellschaftliche Debatte
in den USA im Mikrokosmos einer Stadt abbildet. Die Unterschiede zwischen Arm und
Reich sind hier besonders ausgeprägt. Und der Mix der Kulturen in Miami, von Weißen,
Schwarzen, Kubanern und Hispanics ist eine Vorschau auf das demographische Bild der
USA in den nächsten Jahrzehnten - auch wenn der Einfluss der Hispanics hier vor allem
durch Kubaner und Südamerikaner und nicht wie beispielsweise in den westlichen
Bundesstaaten von den Mexikanern geprägt ist.
Auch politisch ist Florida ein sehr spannender Staat. Während meiner Zeit im Newsroom
standen die Vorwahlen zu den Mid-Term-Elections auf der Agenda. Weil Florida auch
politisch so gespalten ist, mit einem konservativem Norden und einem liberalem Süden,
und in diesem Jahr die Kandidaturen für den Senat und den Kongress sehr umkämpft ist,
war das Politik-Ressort immer spannend zu beobachten.
Gerade da die Redaktionsstruktur beim Herald etwas ungeordneter ist, als ich es sonst
kenne, musste ich mich auch hier erst einmal einfinden. Denn wen ich wann für welche
Geschichte ansprechen muss und wer mir wann Sachen zuteilt, ist im Geflecht des
Newsrooms am Anfang etwas schwer zu durchschauen.
Als ich eines Morgens die Aufgabe hatte, einige dänische Studenten durch den Newsroom
zu führen, wurde mir gerade nebenbei erzählt, dass vor einigen Stunden eine Email neue
Entlassungen im Newsroom verkündet hatte. Die Stimmung unter den Kollegen war
dementsprechend schlecht. Eine Kollegin sagte zu mir sarkastisch: "Now you got the full
U.S. journalism experience."
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Die interessanteste Erfahrung war für mich jedoch das Arbeiten in einer Fremdsprache.
Auch wenn ich mich im Englischen sehr sicher gefühlt habe, saß ich am ersten Tag ein
wenig wie ein Anfänger vor dem Computer. Wie schreibt man das jetzt im amerikanischen
Journalismus? An den Stil, der zwischen nachrichtlicher Meldung und featuresquen
Elementen pendelt, habe ich mich erst einmal gewöhnen müssen. Aber da Berichte und
Geschichten weit mehr redigiert werden als in Deutschland üblich, habe ich mich durch
meine redigierten Berichte nach einiger Zeit in den Stil eingefunden.
Wer als Fellow zum Herald kommt, hat viele Möglichkeiten, sich in die Redaktion
einzubringen. Die Kollegen sind stets aufgeschlossen für Story-Ideen. Auch für den
deutschen Markt lassen sich hier Themen finden.
In meinen letzten zwei Wochen hatte ich dann auch das Gefühl, voll in der Redaktion
mitarbeiten zu können, ohne dass ich mir ständig Erklärungen zum antiquierten
Redaktionssystem, zu Recherchen oder zu den Abläufen in der Redaktion einholen
musste. Doch dann waren die zwei Monate in der Magic City auch schon um. Miami ist
anders als der Rest der USA. Und auch die Zeit scheint hier noch schneller zu vergehen
als irgendwo sonst.