Artikel Profil Migration
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Schmutzige Immigranten Zeitgeschichte. Die soziale Not hat einst hunderttausende Österreicher in ferne Länder getrieben. Der Aufstieg vom Tellerwäscher zum Millionär gelang nur wenigen – die meisten kehrten trotzdem nicht in ihre alte Heimat zurück. Profil 4, 25. Jänner 2010, S. 30-34 Von Christa Zöchling Wer mit dem Schiff in den Hafen von New York einfährt, die Freiheitsstatue wie ein großes Versprechen vor Augen, sieht daneben eine kleine Insel, Ellis Island, auf der bis 1954 alle Einwanderer in die USA registriert, medizinisch untersucht und gelegentlich in Quarantäne genommen wurden. An Spitzentagen wurden 12.000 Menschen durchgeschleust. Heute ist dort ein Immigrationsmuseum. Zeitungsartikel aus der vorvergangenen Jahrhundertwende und den Jahren danach, die hier ausgestellt werden, zeugen von der offenbar ewig wiederkehrenden Aggression der Einheimischen gegenüber den Fremden. Von „dirty immigrants“ ist hier zu lesen, ungebildeten Bauerntölpeln ohne Kultur und Anstand. Das war vor allem auf die Einwanderer aus der Habsburgermonarchie gemünzt, die sich aus den Randlagen des Reichs auf den Weg über das Meer gemacht hatten, um ein besseres Leben zu führen oder zumindest nicht Hungers sterben zu müssen. Etwa die Hälfte von ihnen kam aus Südosteuropa. Jeder Vierte dieser Neuankömmlinge konnte weder lesen noch schreiben. Allein in den Jahren 1905 bis 1914 waren rund 2,3 Millionen Menschen aus ÖsterreichUngarn ausgewandert, der überwiegende Teil (80 Prozent) in die USA, der Rest nach Kanada und Lateinamerika. In Argentinien waren Einwanderer aus der Monarchie schon zwei Jahrzehnte davor zur drittstärksten Bevölkerungsgruppe angewachsen, nach Spaniern und Italienern. Die Motive der Auswanderer waren vielfältig, doch zugrunde lag fast immer die Armut daheim: durch Erbteilungen schrumpfende Landwirtschaften, die kaum noch eine Familie ernährten, ein Berg von Schulden, der beglichen werden musste, Alimentationszahlungen. Die Standardbegründung der Antragsformulare auf den Reisepässen lautete: „Aufbau einer neuen Existenz“. Die Monarchie gewährte ihren Untertanen immerhin volle Reisefreiheit. Nur die Armeeführung warnte bisweilen vor dem Abgang der wehrfähigen jungen Männer. Vor dem Ersten Weltkrieg machten sich meist junge Burschen auf den Weg, deren Familien mühsam das Fahrtgeld zusammengespart hatten. Eine Schiffspassage kostete so viel wie das halbe Jahreseinkommen eines Arbeiters. Die Auswanderer waren fünf bis zehn Tage unterwegs, je nachdem ob sie in Hamburg, Rotterdam, Genua oder Triest an Bord gegangen waren. Sie reisten dritter Klasse, im Zwischendeck, auf schmalen Stockbetten lagernd, und wollten nach ein paar Jahren als reiche Männer zurückkehren. Meist blieb es nur bei den versprochenen Geldsendungen. Verwandte und Freunde folgten Jahre später und zogen in jene Städte, in denen schon Angehörige wohnten, oder sie hatten Adressen von Auswanderern in der Tasche, die sie vom Hörensagen kannten, die sich als Landsleute jedoch verpflichtet fühlten, dem Neuling 2 zu helfen. Heute noch gibt es im Osten der USA den so genannten German Belt, der von Chicago über Detroit, Pennsylvania, New Jersey und New York verläuft. In Wien wurde 1919 ein Wanderungsamt eingerichtet, um die Massen an Auswanderungswilligen zu beraten und sie nicht allein den Schleppern der großen Schifffahrtsgesellschaften zu überlassen, die ihr Agentennetz bis ins letzte Dorf gespannt hatten. Gemeinden, in denen das Auswanderungsfieber um sich griff, wurden seitens der Behörde vor Falschmeldungen gewarnt. „So glauben manche, dass sie Land umsonst bekommen“, heißt es in einem Bericht. Nachrichten, in denen die Lage rosig geschildert, Elend und Heimweh verschwiegen wurden, ermunterten die Zurückgebliebenen. Halbwüchsige folgten ihren Eltern, selbst junge Mädchen machten sich auf den Weg, in der Hoffnung, als Haushaltshilfe unterzukommen. 1923 erreichte die Auswanderungswelle einen Höhepunkt. Ein Jahr später setzte die USEinwanderungsbehörde Länderquoten fest. Mit einem Bildungstest wurden Analphabeten ausgesiebt. Einwanderer brauchten nun einen Bürgen für anfallende Kosten. Viele wichen nach Kanada und Lateinamerika aus. Parallelgesellschaften. Die Burgenländer stellten in der Zwischenkriegszeit das Hauptkontingent der österreichischen Auswanderer. Jeder vierte Einwohner aus dem Bezirk Güssing im Südburgenland lebte 1930 in den USA, Kanada oder Lateinamerika. Fast jeder zweite Eberauer hat übrigens im Laufe der Jahre in Übersee eine neue Heimat gefunden (siehe nachfolgenden Kasten). In den USA lebten die österreichischen Einwanderer in einer Parallelgesellschaft. Die meisten hatten das Manko, die Landessprache nicht zu beherrschen, unterschätzt und suchten, gerade in den Anfangsjahren, Jobs in deutschen Unternehmen, in denen ihre Landsleute schon eine feste Position hatten. Sie pflegten keine nationale Traditionen mit Festen am Nationalfeiertag, sondern die regionale Verbundenheit und Folklore. In den Zement- und Stahlwerken rund um Allentown, Northampton und Coplay arbeiteten in den zwanziger Jahren schon zwei Generationen von Auswanderern aus dem Südburgenland. Viele waren auch gleich in New York, in East Harlem und in der Bronx, hängen geblieben, als Dienstmädchen oder in einem Gewerbebetrieb. Auswanderer aus dem Bezirk Oberwart hatte es großteils nach Chicago verschlagen, Kärntner trafen nördlich davon, in den von Deutschen betriebenen Brauereien in Milwaukee, auf ihresgleichen. Ihren Feierabend verbrachten sie in den Gasthäusern von Landsleuten, ihre Wochenenden bei Tanzabenden in den Auswandererclubs, wo sie sich verliebten und einen Partner aus dem heimatlichen Nachbardorf heirateten. Zu Hause wurde meist Deutsch gesprochen, Englisch lernten die Eltern von ihren schulpflichtigen Kindern. Während der Weltwirtschaftskrise in den dreißiger Jahren kehrten viele zurück. Das Gerücht, Arbeitslose würden zwangsdeportiert, verursachte Panik. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Auswanderung abnahm und die Emigranten eine bessere Schulbildung hatten, assimilierten sich die Österreicher. Vermutlich hat auch der Schrecken des Zweiten Weltkriegs dazu beigetragen. Das Deutschtum war nicht mehr en vogue. 3 Österreich führt keine Auswanderungsstatistik. Nach einer Schätzung aus dem Jahr 1996 ist seit 1945 eine halbe Million Österreicher ausgewandert. Von der US-Einwanderungsbehörde wurden für den Zeitraum 1945 bis 1988 63.000 Emigranten aus Österreich gezählt. Die traditionellen Einwandererländer hatten nach 1945 ihre Bestimmungen verschärft. In den fünfziger Jahren stand die Auswanderung nach Kanada an der Spitze, in den sechziger Jahren Australien, Ende der sechziger Jahre Südafrika. In die USA durfte man, wenn man dort Verwandte hatte. Viele Burgenländer konnten sogar außerhalb der Quote einwandern, weil ihre Angehörigen mittlerweile die amerikanische Staatsbürgerschaft besaßen. In diesem Bundesland gab es nach wie vor weder Arbeitsplätze in der Industrie noch im Tourismus. Stattdessen herrschte der Mythos vom reichen Onkel aus Amerika. Schon in der Zwischenkriegszeit war der amerikanische Dollar in vielen Dörfern die inoffizielle Leitwährung gewesen. In den Nachkriegsmonaten kamen die Pakete der Verwandten aus den USA hinzu. Früher noch als in der Bundeshauptstadt traf man in burgenländischen Dörfern auf Bauern mit auffällig gemusterten Krawatten, Dorfmädchen mit Nylonstrümpfen oder seltsamen Kleidungsstücken, die aus Plastiktüchern zusammengenäht waren, einem Material, das damals noch nicht geläufig war. Erfolgreiche Auswanderer besannen sich ihrer Herkunft und überschütteten ihre Heimatgemeinden mit Spenden für Kirchen, Volkshäuser und Denkmäler. Der Bäcker Joe Urbauer aus Markt Allhau etwa, der es in Chicago mit Mohnstrudeln und Topfengolatschen zu Reichtum brachte, besuchte in den ersten Nachkriegsjahren immer wieder sein Heimatdorf, logierte im besten Gasthaus, ließ die amerikanische neben der österreichischen Flagge hissen, Kleider und Schuhe verteilen und lud die ganze Dorfgemeinschaft ein. Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre verblasste die Strahlkraft der neuen Welt. Der Lebensstandard hatte sich angeglichen. Anfang der sechziger Jahre und in den achtziger Jahren kam es zu Rückwanderungen. Jeder Auswanderer hatte wohl große Träume. Je später er in der neuen Welt ankam, desto geringer war freilich die Chance auf deren Verwirklichung. Außergewöhnliche Karrieren, die die Legende „vom Tellerwäscher zum Millionär“ begründeten, waren am ehesten noch um die vorvergangene Jahrhundertwende möglich. Der US-amerikanische Tänzer und Sänger Fred Astaire entstammte einer burgenländischjüdischen Familie aus Eisenstadt, die 1895 in die USA ausgewandert war. Die Mutter des früheren argentinischen Präsidenten Nestor Kirchner war einst aus der österreichischungarischen Monarchie nach Chile ausgewandert. Die Großeltern des am vorvergangenen Wochenende unterlegenen chilenischen Präsidentschaftskandidaten Eduardo Frei waren Auswanderer aus Vorarlberg. Der frühere Wirtschaftsminister der ÖVP, Robert Graf, kam als Kind burgenländischer Auswanderer 1929 in New York zur Welt. Für Auswanderer nach 1945 sind spektakuläre Aufstiege rar. Frank Stronach, das Kind aus der oststeirischen Barackensiedlung, das es zum Milliardär brachte, ist eine seltene Ausnahme. 4 Verschiedene Biographien: Der Chronist Walter Dujmovits, der 78-jährige Obmann der „Burgenländischen Gemeinschaft“, will die Erinnerung an seine ausgewanderten Landsleute wach halten. Er ist so etwas wie deren kollektives Gedächtnis. Aus seinen Büchern erfahren wir, dass in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts jeder vierte Burgenländer aus dem Bezirk Güssing in den USA eine neue Heimat gefunden hatte, bei den Zurückgebliebenen der Dollar als inoffizielle Leitwährung galt und auf den entlegensten Bauernhöfen neumodische Haushaltsgeräte in Gebrauch waren, die selbst in der Bundeshauptstadt noch keiner kannte. Allein aus Eberau, wo in diesen Tagen die Volksseele wegen eines Asylzentrums kocht, ist nahezu jeder zweite Einwohner einst aus sozialer Not nach Übersee ausgewandert, „oft unter denselben Zwängen, aus denen Flüchtlinge heute nach Österreich kommen“, sagt Dujmovits. Die „irrationale“ Debatte schmerze ihn, „das passt eigentlich nicht zu uns Burgenländern“. Dujmovits kennt das Leid der Zerrissenheit, den Existenzkampf in der Fremde, die Anfeindungen, denen die armen, oft nicht einmal des Lesens und Schreibens kundigen Auswanderer ausgesetzt waren, aus seiner eigenen Familie. Sein Großvater, Martin Spanitz, war schon um die Jahrhundertwende von Gerersdorf nach Pennsylvania ausgewandert und hatte 22 Jahre lang in den Zementmühlen von Coplay mit einer Handschaufel das Baumaterial in Säcke gefüllt. Er starb 1945 an einer Staublunge. Seine Großmutter, die als 16-Jährige nach Amerika kam, in einer Textilfabrik arbeitete und abends für andere Auswanderer kochte und Wäsche wusch, hatte bei einem Heimatbesuch im Jahr 1909 ihre drei Kinder bei Verwandten zurückgelassen und sich neuerlich auf den Weg gemacht, um Geld zu verdienen. Erst nach Ende des Ersten Weltkriegs war die mittlerweile siebenköpfige Familie wieder in Gerersdorf vereint, „doch nur einen einzigen Winter lang“, sagt Dujmovits. Denn schon 1921 übernahm der Erstgeborene den Posten des Vaters im Zementwerk in Coplay, 1928 folgte dessen Bruder, dann die Schwestern. Dujmovits’ Mutter war die Einzige, die bei den betagten Eltern zurückblieb und ihr Leben lang darunter litt. Sie habe sich, obgleich daheim, immer fremd gefühlt ohne ihre Geschwister, erinnert sich Dujmovits. Auch er ist am Ende in Österreich geblieben. Der reiche Onkel Johann Zollner war 17 Jahre alt, als er dem Ruf seines Vaters aus Amerika folgte und im Jänner 1930 seekrank und mit schwerem Herzen in Ellis Island ankam. „Wie die Viecher“ seien sie durch die Kontrollen getrieben worden, berichtete er an die daheimgebliebene Mutter im Kärntner Gailtal. In der Wirtschaftskrise gab es auch in Milwaukee keine Arbeit, und der junge Kärntner schlug sich jahrelang mit Gelegenheitsjobs durch. Hätte er genug Geld gehabt, wäre er sofort zurückgefahren. Aber er wollte nicht als „Verlierer“ dastehen, sagte er rückblickend. Ab 1936 ging es aufwärts. Er fand eine Arbeit als Tischler in einer deutschen Möbelfirma, besuchte die Abendschule, um Englisch zu lernen, heiratete eine Frau deutscher Herkunft, wurde amerikanischer Staatsbürger und schickte Geld und Fotos nach Hause, auf denen er stolz vor seinem neu erworbenen Haus und einem Automobil posierte. Am meisten hatte er gefürchtet, im Zweiten Weltkrieg gegen den daheimgebliebenen Bruder Michael im Feld zu stehen. Das blieb ihm erspart, weil seine Firma kriegswichtige Produkte herstellte. Die Freizeit verbrachte John Zollner gern im Kärntner „Edelweißclub“ in Milwaukee, doch seine frühere Heimat besuchte er selten. „Die denken, dass du der Reiche bist, nur weil du in Amerika wohnst, und sollst ihnen das ganze Geld geben. Die haben nichts gelernt dort“, sagte er in seinen letzten Jahren. Er starb 2004 in Milwaukee. 5 Die Heimkehrer Als der achtjährige Gregor Miklautsch im Frühsommer 1939 in New York mit seiner Familie einen Ozeandampfer bestieg, einer unbekannten Heimat entgegen, ahnte er nicht, dass ihm schlimme Jahre bevorstanden. Sein Vater habe nicht wissen können, dass er seine Familie in den Zweiten Weltkrieg führte. In Amerika habe er einfach keine Chance mehr gesehen, sich „hinaufzuarbeiten“. – „Ich war strebend, aber mir waren die Hände gebunden“, resümierte der Vater, Johann Miklautsch, Jahrzehnte später. Der Pferdeschmied aus dem Kärntner Gailtal, geboren 1899, war schon 1923 nach Amerika aufgebrochen. Anfangs arbeitete er als Huf- und Wagenschmied, konnte seinem Firmpaten, der schon seit ein paar Jahren in Milwaukee im US-Bundesstaat Wisconsin lebte, sogar die Reiseschulden zurückzahlen, wechselte bald auf eine bessere Stelle in einer Autofirma und fand doch „keine Ruhe und wollte nicht in der Fremde bleiben“. Johann Miklautsch kehrte 1929 heim ins Gailtal – „wieder ein Fehler in meinem Leben“, sagte er später, kaufte mit dem Ersparten ein altes Gasthaus in Nötsch, heiratete, doch ein Auskommen war nicht in Sicht. Johann Miklautsch überquerte abermals den Ozean, seine Frau kam nach. Die USA befanden sich mittlerweile in der Großen Depression, das Unternehmen, in dem Miklautsch gearbeitet hatte, war pleitegegangen. 1931 kam Gregor auf die Welt, 1934 sein Bruder Johann. Die Familie lebte nun von staatlichen Lebensmittelrationen und Mietbeihilfe. Als das NS-Regime mit billigen Schiffskarten „deutsche“ Auswanderer lockte, entschlossen sie sich zur Heimkehr. In Nötsch hatten sie viele Freunde, doch bei NSDAP-Funktionären standen sie unter Verdacht. Als die USA in den Krieg eintraten, mussten sie ihr Gasthaus schließen. Es folgten weitere Repressalien, weil sich die Mutter um die Kriegsgefangenen im Ort kümmerte. Gregor Miklautsch, der wie seine Eltern Deutsch, Slowenisch und Englisch beherrschte, galt in der Dorfschule in Nötsch als der „kleine Amerikaner“, was in diesen Zeiten kein Lob bedeutete. Die Familie hatte in Amerika den Mangel einer guten Ausbildung am eigenen Leib erfahren. Fünf ihrer zehn Kinder erreichten später einen Universitätsabschluss. „Wer einmal fort war, erwirbt keinen neuen Charakter, aber man denkt in einem größeren Rahmen“, sagt Gregor Miklautsch heute. Der Erfolgreiche Als der 14-jährige Franz Strohsack im Herbst 1946 in den oststeirischen Elin-Werken eine Lehre als Werkzeugmacher begann, deutete nichts darauf hin, dass er einmal Chef eines internationalen Autozulieferkonzerns sein würde. Aufgewachsen war er in einer Barackensiedlung am Rande von Weiz ohne fließendes Wasser. Sein Vater, der sich den Kommunisten angeschlossen hatte, kam mehrmals in Polizeigewahrsam. Seine Mutter, die 1937 einen anderen Mann geheiratet hatte, musste in den ersten Nachkriegsmonaten bei den Gasthäusern im Ort um Abfälle für ein Schweindl bitten, das die Familie im Hinterhof ihres Hauses hielt. Noch in den fünfziger Jahren herrschte in dieser Region größte Armut, und als Stronach 20 Jahre alt war, ging er als Gastarbeiter für ein Jahr in die Schweiz und kam zurück mit einem Koffer voller Werkzeuge und Messinstrumente, die man in Weiz bis dahin nicht gesehen hatte. Doch er wollte weg. Er schrieb die Botschaften der USA, Kanadas, Australiens und Südafrikas an. Aus Kanada kam das Okay. Mit 200 Franken und Adressen anderer steirischer Auswanderer in der Tasche, begleitet von einem älteren Arbeitskollegen, machte er sich auf den Weg. Als der Dampfer in Rotterdam ablegte, wäre er am liebsten wieder zurück an Land geschwommen, sagte Stronach später. Zuerst versuchte er in Montreal sein Glück und sammelte Bälle auf einem Golfpatz ein. Die erste richtige Stelle ging ihm durch die Lappen, weil er sich mit den öffentlichen Bussen nicht auskannte und zu spät kam. Ein Landsmann vermittelte ihm einen Job als Tellerwäscher in einem Krankenhaus. Erst zwei Jahre später fand er eine Arbeit in seiner Profession als Werkzeugmacher. Doch Strohsack, der sich nun Stronach nannte, war nicht zufrieden. 1957 mietete er in der Nähe von Toronto einen garagenähnlichen Backsteinbau, kaufte eine gebrauchte Drehbank, nahm einen Kredit auf und gründete mit seinem Schiffsbegleiter, der es allerdings nicht gewagt hatte, seine sichere Anstellung aufzugeben und nur am Wochenende aushalf, ein eigenes Unternehmen. 6 Im ersten Jahr schlief Stronach in der Werkstatt. Im zweiten Jahr beschäftigte er bereits zehn Angestellte, um den Aufträgen nachkommen zu können. 1959 überredete Stronach einen Werkzeugkonstrukteur, der schon für Ford und General Motors gearbeitet hatte und die Welt der Autozulieferer kannte, bei ihm einzusteigen. Das war der Durchbruch. General Motors bestellte 300.000 metallene Aufhängungen für Sonnenblenden. Als Stronach im Frühjahr 1961 das erste Mal für einen Heimatbesuch nach Weiz zurückkehrte, fuhr er in einem nagelneuen Pontiac Parisienne mit hellroten Ledersitzen vor, mit dem er sich hatte einschiffen lassen. Da war er gerade 28 Jahre alt. Zwei Jahre später wurde er kanadischer Staatsbürger. 1968 verschmolz er seine Firma mit einem börsennotierten Unternehmen und baute es zu einem Weltkonzern der Autozulieferindustrie aus. 1995 bekam er auch seine österreichische Staatsbürgerschaft wieder. Da war er schon milliardenschwerer Großinvestor, der vorzugsweise ausgemusterte Politiker um sich scharte. 7