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Medizinrecht | Mandanteninformation | 23. April 2012 | Seite 1
Claus Pfisterer
Dr. Daniel Combé
Rechtsanwalt,
Fachanwalt für Medizinrecht
Rechtsanwalt,
Fachanwalt für Medizinrecht
Fehlerhafte Privatliquidation kann strafbar sein
Der Bundesgerichtshof (BGH)
hat mit seinem Grundsatzurteil
vom 25.1.2012 (Az.: 1 StR 45/11)
die Grenze zwischen der fehlerhaften Abrechnung nach den Regeln der GOÄ und dem strafbaren
Abrechnungsbetrug zulasten der
Ärzte aufgehoben.
Das Problem:
Verstöße gegen die Regelungen
der GOÄ führten bislang nur zum
Verlust des Honoraranspruchs
des abrechnenden Arztes. Nach
der neuen Rechtsprechung des
BGH kann ein Verstoß gegen die
Regelungen der GOÄ zugleich einen strafbaren Abrechnungsbetrug darstellen und Existenz bedrohende Konsequenzen für den
Arzt haben.
Der Fall:
Der Angeklagte betrieb als Arzt
für Allgemeinmedizin eine mit
der Erbringung von Naturheilverfahren, Homöopathie- und
Osteopathieleistungen sowie traditioneller chinesischer Medizin
beworbene Einzelpraxis, in der er
grundsätzlich Privatpatienten behandelte. Eine Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen
Versorgung hatte er nicht. Der
Arzt war Mitglied einer Laborgemeinschaft und bezog von dort
Leistungen des Basislabors (Kapitel M II GOÄ). Mit dem Hinweis
auf eine „sehr umfangreiche und
zeitintensive Leistung aufgrund
persönlicher Befundung“ ließ der
Arzt Leistungen des Basislabors
unter anderem mit dem Steigerungsfaktor 1,3 abrechnen. Dabei
wusste er, dass er keine der Befundungen selbst durchgeführt,
sondern sämtliche Parameter bei
der Laborgemeinschaft bezogen
hatte.
Leistungen des Speziallabors (Kapitel M III und M IV GOÄ) konnte
der Angeklagte nur von einem
hierzu befähigten und einzig
gegenüber dem Patienten liquidationsberechtigten
Laborarzt
erbringen lassen. Um dennoch
Gewinne aus der Erbringung von
Speziallaborleistungen zu erzielen, sandte der Arzt, wenn er
Speziallaborleistungen benötigte,
die dafür erforderlichen Proben
an den kooperierenden Laborarzt, wo die Proben seinen Wünschen entsprechend medizinisch
korrekt untersucht wurden. Die
erbrachten Leistungen rechnete der Laborarzt gegenüber dem
angeklagten Arzt zwischen dem
0,32 und 1,0-fachen des für die
Leistung maßgeblichen jeweiligen
GOÄ-Satzes ab. Der Angeklagte
rechnete gegenüber seinen Privatpatienten die Laborleistungen
regelmäßig mit einem Faktor von
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Zweite Schlachtpforte 7
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Medizinrecht | Mandanteninformation | 23. April 2012 | Seite 2
Fehlerhafte Privatliquidation kann strafbar sein
1,5 als eigene Leistungen ab. In
allen Fällen waren die Laborleistungen notwendig und wurden
fachlich und medizinisch korrekt
erbracht.
Ferner ließ der angeklagte Arzt
Behandlungen als eigene abrechnen, die von in seinen Praxisräumen tätigen Therapeuten,
nämlich einem Osteopathen
und einem aus China stammenden Arzt der traditionellen chinesischen Medizin, erbracht
wurden. Die Therapeuten waren
weder approbiert noch niedergelassen und hatten keine Berechtigung, selbstständige heilkundliche Leistungen an Patienten
zu erbringen und abzurechnen.
Tatsächlich jedoch erbrachten
die Therapeuten Osteopathieleistungen sowie Akupunkturleistungen in eigener Verantwortung ohne Aufsicht oder
Kontrolle durch den angeklagten
Arzt. Die Leistungen waren fehlerfrei. Die Therapeuten erhielten
von dem Angeklagten zwischen
40,- € und 55,- € für jede Behandlung. Der Angeklagte stellte die
Leistungen seinen Patienten als
selbst erbrachte ärztliche Leistungen zwischen 70,- € und 125,- €
in Rechnung.
Nach Ansicht des BGH täuschte
der angeklagte Arzt seine Patienten über das Vorliegen der
seinen Honoraranspruch begründenden Tatsachen. Obwohl eine
Zahlungspflicht des Patienten
nicht bestanden habe, zahlten
diese die Honorarforderung an
den Arzt. Damit sei der Tatbestand des Abrechnungsbetrugs
erfüllt. Soweit der Angeklagte
in den Fällen der Speziallaborleistungen und der Abrechnung von
Osteopathie- und Akupunkturleistungen nicht selbst erbrachte
ärztliche Leistungen als eigene
abrechnete, behauptete er nicht
lediglich, zu deren Abrechnung
berechtigt zu sein, sondern auch,
dass die Voraussetzungen der
seiner Abrechnung zu Grunde
liegenden
Rechtsvorschriften
eingehalten worden seien, was
nicht der Fall war. Der BGH führt
aus, dass die Patienten allein mit
dem angeklagten Arzt einen Be-
handlungsvertrag
geschlossen
hätten, weshalb ihn die Abrechnung der nicht von ihm selbst
erbrachten Leistungen verwehrt
sei. Dennoch habe er die eingekauften Leistungen als eigene
den Patienten „verkauft“, was
einen Betrug darstelle. Dies entspreche gefestigter Rechtsprechung zum Abrechnungsbetrug
bei Vertragsärzten. Für privat
liquidierende Ärzte gelte nichts
anderes. Wer eine Leistung einfordere, bringe damit zugleich
das Bestehen des zu Grunde liegenden Anspruchs, hier also die
Abrechnungsfähigkeit der in
Rechnung gestellten ärztlichen
Leistungen, zum Ausdruck.
Nach Ansicht des BGH vertrauten
die Patienten des Arztes darauf,
er werde seine Rechnungen korrekt erstellen. Ein Patient könne nicht wissen, ob der Arzt Labor- oder sonstige ärztliche oder
heilkundliche Leistungen im gebührenrechtlichen Sinne selbst
erbracht habe oder an einen Dritten delegieren durfte. Der Patient
vertraue regelmäßig darauf, dass
sein behandelnder Arzt nur Leistungen abrechne, die ihm nach
der GOÄ auch zustünden. Im Ergebnis hat der BGH den Verstoß
gegen die Regelungen der GOÄ
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Fehlerhafte Privatliquidation kann strafbar sein
trotz erfolgter fehlerfreier Leistungserbringung durch Dritte
gleichgesetzt mit einem wirtschaftlichen Schaden des Patienten.
Der angeklagte Arzt wurde wegen Betrugs zu drei Jahren und
drei Monaten Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt. Ferner hat das
Gericht ihm verboten, für die
Dauer von drei Jahren als liquidationsberechtigter Arzt oder als
angestellter Arzt mit eigenem
Abrechnungsrecht tätig zu werden.
Konsequenzen für die Praxis:
Der BGH erweitert durch diese
Entscheidung die Konsequenzen
einer nicht der GOÄ entsprechenden privatärztlichen Liquidation von dem Verlust des
Honoraranspruchs auf eine darüber hinausgehende Strafbarkeit des Arztes wegen Betrugs.
Diesen Gedankengang werden
die Staatsanwaltschaften und
die privaten Krankenversicherungen zukünftig berücksichtigen und im Falle fehlerhafter
Abrechnungen gegebenenfalls
strafrechtliche
Konsequenzen
prüfen. Im schlimmsten Fall kann
sich an eine strafrechtliche Verurteilung des Arztes, auch wenn
diese nur durch einen Strafbefehl
geschieht, ein berufsgerichtliches Verfahren und der Entzug
der ärztlichen Approbation anschließen. Jedem privat liquidierenden Arzt ist daher dringend
zu empfehlen, die Abrechnungsbestimmungen der GOÄ exakt
einzuhalten und insbesondere
den Grundsatz der persönlichen
Leistungserbringung mit seinen
engen Ausnahmetatbeständen
zu berücksichtigen.
Wichtig ist aber im Zusammenhang mit dieser strafrechtlichen
Entscheidung der Hinweis, dass
nicht jeder Ansatz einer streitigen Gebühr in diesem Sinne
zu beanstanden ist: Der BGH hat
bereits im Jahr 2006 in einer zivilrechtlichen Auseinandersetzung zwischen Arzt und Patient
entschieden, dass die ärztliche
Vergütung fällig wird, wenn die
Rechnung die formellen Voraussetzungen der GOÄ erfüllt. Die
Fälligkeit wird nicht davon berührt, dass die Rechnung mit
dem materiellen Gebührenrecht
nicht übereinstimmt (BGH, Urt.
v. 21.12.2006, Az.: III ZR 117/06).
Ärzte sind nicht gezwungen,
Beanstandungen eines privaten
Krankenversicherers oder des
Patienten in ihren Rechnungen
umzusetzen, solange die angesetzten Gebühren vertretbar sind
und nicht - wie im jetzt entschiedenen Fall - auf einer vorsätzlichen und bewußten Täuschung
des Patienten über den Umfang
der erbrachten Leistungen oder
die persönliche Leistungserbringung durch den Arzt beruhen.
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