paddeln, was das zeug hält
Transcription
paddeln, was das zeug hält
Foto: Rasso Knoller Foto: Ontario Tourism O N TA R I O Morgenstimmung am Ottawa River (oben). Beim Rafting (rechts) ist es mit der Ruhe schnell vorbei. PADDELN, WAS DAS ZEUG HÄLT Was wäre Kanada ohne den Kanadier? Das Stechpaddel-Kanu ist ein nationales Symbol. Früher wurde das Land mit ihm erschlossen – heute garantiert es Spaß und Nervenkitzel. Rasso Knoller war unterwegs auf der Canadian Canoe Route. 50 | AMERICA 5/15 D er rote Helm sitzt. Die Rettungsweste ist festgezurrt. Meine Lehrerin Katrina Kerckhoff wartet am Ufer. Es gibt keine Ausreden mehr. Die erste Stunde meines Wildwasserpaddelkurses kann beginnen. Doch bevor ich ins Boot darf, schickt mich Katrina erst einmal in die kalten Strudel des Madawaska Rivers. So will sie mir die Angst vor dem Kentern nehmen. Wer schon nass ist, der fürchtet sich nicht mehr davor, ins Wasser zu fallen, so die Logik. Perfektes Deutsch Die 24-jährige Katrina ist eine Extrempaddlerin, die kein Problem hat, sich auch von 20 Meter hohen Wasserfällen in die Tiefe zu stürzen. Und sie ist die Tochter einer Weltmeisterschaftsmedaillengewinnerin. Mutter Claudia Kerckhoff hatte 1982 Bronze im Kanuslalom geholt und war überdies zehnfache kanadische Meisterin. Bei solch einer Lehrerin muss man sich einfach in sicheren Händen fühlen. „Madawaska Kanu Centre“ heißt das Unternehmen der Kerckhoffs. Mit der deutschen Schreibung des Wortes „Kanu“ statt „Kanoe“ nimmt man Bezug auf die Familiengeschichte. Katrinas Großeltern sind in den 1950er Jahren aus Norddeutschland eingewandert. Mutter Claudia spricht immer noch hervorragend Deutsch – auch deshalb, weil die meisten Wettbewerbe im Wildwasserfahren im deutschsprachigen Raum stattfinden. „Lehn dich weiter nach rechts, das Paddel etwas senkrechter einstechen, jetzt rückwärts paddeln, hinein in den Strudel!“ – Katrinas Anweisungen kommen klar und deutlich. Sie sitzt vorne, ich sitze hinten und soll das Boot durch die Stromschnellen steuern. Irgendwie ist die Sache ganz einfach, zumindest solange Katrina mir sagt, was ich zu tun habe. Zum Nachdenken, wie ich das Paddel richtig einsetzen muss, bleibt mir im Wildwasser keine Zeit. 5/15 AMERICA | 51 O N TA R I O vorgearbeitet, so dass das Schnitzen einfacher ist als gedacht. Am Ende des Tages verlasse ich mit einem durchaus brauchbaren Paddel Marke Eigenbau das Museum. Dann geht es wieder ins Wasser. Im Ottawa River steht Wildwater Rafting auf dem Programm. Die Stromschnellen nahe Pembroke sind von ganz anderem Kaliber als am Madawaska River. Dass die Sache trotzdem ein gutes Ende nimmt, dafür soll Matt sorgen. Er steuert das Raftingboot, in dem außer mir noch sechs weitere Touristen sitzen und mitpaddeln. boot ist ein kanadisches Nationalsymbol (neben Ahornblatt, Nordlicht und Eishockey) und so prägend für das Land, dass wir in Deutschland den Begriff „Kanadier“ mit ihm gleichsetzen – allerdings nur, wenn es mit dem Stechpaddel betrieben wird. Ein Kajak wird mit einem Doppelpaddel bewegt. Liebeserklärung im Kanu und ans Kanu: Postkarte aus den 1920er Jahren (rechts) und Birkenrinden- Exemplar im Flughafen Ottawa (oben). Am Ende des zweistündigen CrashKurses meistere ich die Stromschnellen der Klasse II dann aber auch allein. Im Verzeichnis der StromschnellenSchwierigkeitsgrade wird Grad II so definiert: „Sie können bespritzt werden. Leichte Wellen, die einfach zu sehen sind.“ Der Profi mag darüber lächeln, aber mir kamen die Strudel zu Beginn des Kurses nahezu unbezwingbar vor. Ein bisschen Stolz gönne ich mir am Ende des kleinen Lehrgangs deswegen schon. Die Fahrt auf dem Madawaska River ist Teil der sogenannten Canadian Canoe Route. In dem Gebiet nordöstlich von Toronto können Urlauber und Wochenendgäste so gut wie alles über das Kanu erfahren. Das Paddel- Im Canadian Canoe Museum in Peterborough, dem Größten seiner Art weltweit, führt mich Jeremy Ward durch die Hallen. Der sportliche Glatzkopf ist einer der besten Kanu-Restauratoren des Landes. Es gibt keine Frage zu canoe und kayak, die er nicht beantworten kann. Jeremy erzählt, wie Kanada einst nur mit Hilfe des Kanus erschlossen werden konnte. Denn eine Strecke, für die man zu Fuß oder mit dem Pferd zwei Wochen brauchte, legte man paddelnd in zwei Tagen zurück. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren die Wasserwege die Highways des Landes. Mehr als 600 Kanus sind in Peterborough ausgestellt, darunter auch das Birkenrinden-Kanu des ehemaligen kanadischen Ministerpräsidenten Pierre Trudeau. Vielen Gästen aus Europa mag der Name des bis 1984 amtierenden Politikers heute wenig sagen. Dass aber selbst ein Regierungschef in seiner Freizeit mit AMERICA GUIDE CANADIAN CANOE ROUTE Ottawa River Algonquin Provincial Pembroke Park 11 400 K A N A D A Lower Madawaska River Provincial Park O N T A R I O Peterborough Ontario 401 Toronto Lake Ontario INFORMATIONEN Ontario Tourism, Tel.: 089 - 689 06 38 37 www.ontariotravel.net/de 52 | AMERICA 5/15 17 Canadian Canoe Route: www.myccr.com Canadian Canoe Museum, 910 Monaghan Rd, Peterborough, Ontario K9J 5K4, www.canoemuseum.ca VERANSTALTER Madawaska Kanu Centre/ OWl Rafting, 274 River Road, Barry’s Bay, Ontario K0J 1B0, www.owl-mkc.ca Wochenend-, Wochenkurse, Familienrafting und vieles mehr. Der Hamburger Veranstalter CRD International bietet die Canadian Canoe Route als Mietwagenrundreise an. Eine 11-tägige Tour kostet ab 1.150 Euro pro Person (www.crd.de). Reißende Stromschnellen Doppelpaddel: Kajakfahrer auf dem Ottawa River. dem Kanu unterwegs war, verdeutlicht einmal mehr, welche Bedeutung es in Kanada hat. Oder kann sich jemand vorstellen, dass Helmut Kohl im Kanadier oder im Kajak über den Wolfgangsee gepaddelt wäre? Jeremy weiß auch, dass Peterborough nicht durch Zufall Standort des Museums wurde. Hier lag einst das weltweite Zentrum der Kanuproduktion, und keine Firma hat so viele Boote hergestellt wie die 1893 gegründete Peterborough Canoe Company. Ward erzählt auch, dass er sogar seine Flitterwochen an Bord eines Birkenrinden-Kanus verbracht hat. Zwei Wochen lang war er mit seiner Liebsten durch die kanadische Wildnis unterwegs. Das ist aus zwei Gründen bemerkenswert. Zum einen dürften sich viele Frauen unter einer gelungenen Hochzeitsreise etwas anderes vorstellen. Und zum zweiten sind Birkenrinden-Kanus inzwischen eine Rarität: So große Bäume, deren Rinde man zum Bau eines Kanus verwenden könnte, wachsen kaum mehr. Auf der Canadian Canoe Route wechseln Theorie und Praxis immer wieder miteinander ab. Deshalb steht nach dem Museumsrundgang auch gleich ein Paddelschnitzkurs auf dem Programm. Zum Glück wurde die Grobform an der Maschine bereits „Zieht die Beine an, damit ihr nicht gegen die Felsen schlagt, lasst euch einfach treiben, genießt den Trip durch die Wellen und wartet, bis Sascha kommt“, spricht Matt während seiner Sicherheitseinweisung. Sascha ist ein deutscher Weltenbummler, der hier für eine Saison als „Safety Paddler“ angeheuert hat. Als solcher folgt er dem Schlauchboot und ist als rettender Engel zur Stelle, falls jemand ins Wasser fällt. Bei unserer Tour ist diese Hilfe nicht nötig. Dank Matt meistern wir alle Stromschnellen souverän. Auf dem Ottawa River sind wir auf einer historischen Kanuroute unterwegs. Der 1.270 Kilometer lange Fluss war einer der Haupthandelswege der Algonkin-Indianer. Später nutzten ihn auch die Pelzhändler, die „Voyageurs“. Die Arbeit war schwer und gefährlich. Meist schufteten die Männer 14 Stunden und mehr am Tag. Dabei mussten sie die Boote nicht nur durch reißende Stromschnellen lotsen, sondern die Lasten über lange Portages bergan und bergab schleppen. Viele Voyageurs ruinierten dadurch ihre Gesundheit, die meisten starben früh. Die wilden Burschen waren aber auch Volkshelden. Ihre Geschichten wurden in vielen Liedern gerühmt. Und so darf sich auch am Ende der Canadian Canoe Route jeder Tourist ein bisschen wie ein Voyageur fühlen – wie ein Held, der das wilde Wasser bezwungen hat. H Expertefür IhrIhrExperte für USA Reisen Nordamerika Reisen GO WEST – THE BEST Info-Karte 13 ankreuzen Fotos: Rasso Knoller Wasser-Highways www.faszination-fernweh.de Tel. 06201 2580880 A L B E R TA Durchatmen: Astotin Lake im Norden des Elk Island National Parks. Straße deuten enorme Kothaufen auf noch größere Parkbewohner hin. Evelyn Henke, Public Outreach Education Officer und ein charmantes Energiebündel, lässt denn auch keinen Zweifel aufkommen, was ihren Nationalpark von den übrigen im Land absetzt. „Elk Island beherbergt auf seinen knapp 200 Quadratkilometern die Big 6 der kanadischen Tierwelt. Neben Wapitis und Weißwedelhirschen auch Elche, Maultierhirsche sowie Waldund Präriebisons.“ Der Nationalpark hat nach der afrikanischen Serengeti die weltweit höchste Dichte an wilden Huftieren. Hinzu kämen Kojoten, Biber und über 250 Vogelarten, viele davon Zugvögel. Foto: EEDC Kritische Marke Die B I S O N S vor der Haustür Viele Nationalparks Kanadas befinden sich in reichlich abgelegenen Gegenden. Nicht so der Elk Island National Park: Keine Autostunde von Edmonton entfernt, beherbergt er dennoch die „Big 6“ der kanadischen Tierwelt. Von Ole Helmhausen 54 | AMERICA 5/15 D er Siedlungsbrei und die Ölraffinerien am Ostrand Edmontons sind verschwunden. Eine ausgedehnte Parklandschaft mit kleinen Seen und lichten Espenwäldchen übernimmt die Regie. Bald darauf kündigt ein großes Schild mit Biber, Hirsch und Bison den Eingang zum Elk Island National Park an. Unterwegs zum Besucherzentrum gibt es bereits einen Vorgeschmack auf das, was einen erwartet: Hier streift eine Wapiti-Mama mit Nachwuchs durch das Unterholz, dort steht ein kapitaler Weißwedelhirsch. Auf der 200.000 Besucher im Jahr machen Elk Island zu einer Touristenattraktion. Doch das Schutzgebiet ist auch ein Refugium für eine Tierart, die einst unmittelbar vor dem Aussterben stand. „Unsere Bisons sind definitiv unser Aushängeschild“, sagt Henke und erklärt warum. Schon ein Jahr nach Gründung des Parks 1906 siedelte die kanadische Regierung eine 400-köpfige Präriebisonherde aus Montana an. In den 1960er Jahren kamen zwei Dutzend Waldbisons hinzu, ihre Nachkommen gelten heute als die genetisch reinsten Exemplare ihrer Art. Erreicht die Bisonbevölkerung die für den kleinen Park kritische Marke von 500, werden die überschüssigen Huftiere an andere Schutzgebiete in Nordamerika und der Welt verkauft. Inzwischen A L B E R TA Stau.“ Was genau sie damit meint, wird wenig später klar. Nichts geht mehr auf dem Parkway. Der Verkehr ist zum Erliegen gekommen. Erdiger Geruch Fotos: Oliver Gerhard Doch anstatt in einer endlosen Blechlawine festzusitzen, steckt man inmitten einer grunzenden, schnaubenden und sabbernden Menge prähistorisch wirkender Verkehrsteilnehmer, die alles andere im Sinn zu haben scheinen, als pünktlich zu ihren Terminen zu gelangen. Man kurbelt die Fenster herunter und atmet den erdigen Geruch der dutzendfach vorbeiziehenden Bisons ein. Mütter schubsen ihren neugierig Richtung Autos staksenden Nachwuchs sanft, aber nachdrücklich zurück in die Herde. Hin und wieder hebt ein Bison den zottigen Kopf, schaut herüber, und für einen kurzen Augenblick begegnen sich die Blicke von Mensch und Tier. Der Besucher bekommt ein flüchtiges Bild von damals, als die Bisons millionenfach durch die Prärien zogen und die ersten Reisenden aus Europa stundenund manchmal sogar tagelang warten mussten, um eine einzige Herde vorüberziehen zu lassen. Keine Autostunde von der Millionenstadt Edmonton entfernt, ist es heute die wohl schönste Art, im Stau zu stehen. H Ganz oben: Einer der rund 500 Bisons. Oben: Living Waters Boardwalk. AMERICA TIPP bevölkern Bisons aus Elk Island sogar die ebenfalls leergejagte jakutische Tundra in Sibirien. Knapp 100 Kilometer Wanderwege führen durch Elk Island, darunter der kurze Living Waters Boardwalk oder der zehn Kilometer lange Shirley Lake Trail, auf dem man Wapitis begegnen kann. Allen, die den 16 Kilometer langen Wood Bison Trail durch das Feuchtgebiet im Süden des Parks wandern möchten, pflegt Henke folgende Tipps mit auf den Weg zu geben. 1. Abstand halten, vor allem während der Bisonbrunft im Sommer, am besten drei Schulbuslängen. 2. Auf Anzeichen von Stress achten, wie auf56 | AMERICA 5/15 gesteller Schwanz und Hufescharren. Die 3. und vielleicht wichtigste Warnung: Stets den Boden vor den Füßen im Auge behalten – Bisonhaufen sind leicht so groß wie Fußbälle! Den urzeitlich aussehenden Fleischbergen kann man aber auch bequem im Auto begegnen. Der 20 Kilometer lange Elk Island Parkway mäandert in weiten Kurven durch die hügelige Landschaft. Zahlreiche Halteplätze („pull outs“) ermöglichen die Beobachtung knorriger Einzelgänger und langsam vorbeiziehender Herden. Zur Verkehrslage im Park befragt, lächelt Henke spitzbübisch. „Unsere Besucher wünschen sich geradezu einen ELK ISLAND NATIONAL PARK Der Elk Island National Park liegt am Yellowhead Highway rund 45 Kilome ter östlich von Edmonton. Er ist das ganze Jahr über geöffnet (www.pc.gc. ca/eng/pn-np/ab/elkisland/index. aspx). Anreise nach Edmonton z.B. mit Icelandair (www.icelandair.de). Alberta K A N A D A Edmonton Elk-IslandNationalpark